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{"created":"2022-01-31T13:30:27.188422+00:00","id":"lit29686","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Kiesow, F.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 9: 149-155","fulltext":[{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"Liiteraturbericht.\n149\njede Reaktion d\u00e9s Nervengewebes mit Bewufstsein verbunden ist. Mit seiner Auffassung der Nachahmung vermag B. eine Reihe von Erscheinungen zu verstehen; so erkennt er im Trieb lediglich den Rest einer nachahmenden Reaktion, welche ihr Vorbild und damit auch ihre volle Wirksamkeit verloren hat, und im Willen eine beharrende Nachahmungssuggestion.\nWeiterhin zeigt B. die \u00e4ufserst wichtige Rolle, welche die Nachahmung in der intellektuellen, wie moralisch-sozialen Entwickelung des Menschen spielt, und stellt drei Gruppen auf: 1. einfache Kontraktilit\u00e4t, welche ihren Reiz reproduziert und noch unbewufst bleibt \u2014 prim\u00e4rsubkortikale oder biologische Nachahmungen, welche zuf\u00e4llige Bewegungen und Ver\u00e4nderungen darstellen, 2. psychologische oder kortikale Nachahmung, welche ausgel\u00f6st wird durch bewufste Bilder, bald Sinnesempfindungen, welche das Individuum sich erhalten oder wiedererzeugen will (sensorische Suggestion), bald Erinnerung an angenehme Empfindungen u. dergl. (ideomotorische Suggestion), 3. plastische oder sekund\u00e4r-subkortikale Nachahmungen, welche aus urspr\u00fcnglich bewufst sich anpassenden Nachahmungsreaktionen durch Gewohnheit zu un-bewufsten geworden sind.\nDen Schlufs dieser sehr beachtenswerten Abhandlung bildet eine Auseinandersetzung \u00fcber den noch sehr viel gebrauchten Begriff \u201eNachahmungstrieb\u201c, den Bain lebhaft bek\u00e4mpft und Baldwin nur f\u00fcr einen sehr kleinen Kreis von Erscheinungen bei der kindlichen Entwickelung gelten lassen will.\tM. Offner (Aschaffenburg).\nKoch. Das Nervenleben des Menschen. Ravensburg, Otto Maier, 1895.\nEs ist der bekannte Erforscher und Bearbeiter der psychopathischen Minderwertigkeiten, welcher in dem vorliegenden, 236 Seiten umfassenden Werke weitere Kreise mit unserem Nervenleben \u201ein gesunden und b\u00f6sen Tagen\u201c bekannt machen will. Nach einer Belehrung \u00fcber den Zusammenhang zwischen Nervensystem und Seele und die Bedeutung des Nervensystems f\u00fcr den Ablauf der k\u00f6rperlichen Funktionen widmet Verfasser einen grofsen Teil der Schrift den Minderwertigkeiten, deren genaue Kenntnis gerade in unserer Zeit dem gebildeten Publikum not thut. Koch wendet sich vor allem an die P\u00e4dagogen, welche durch sach-gem\u00e4fse Erziehung psychisch minderwertiger Kinder zum guten Teil mitwirken sollen, die Nervosit\u00e4t wieder aus der Welt zu schaffen. Koch ist ein \u00fcberzeugter Gegner der materialistischen Weltanschauung, aber auch die Anh\u00e4nger dieser werden, wie Referent, das B\u00fcchlein mit Interesse bis zum Schl\u00fcsse verfolgen.\tUmpfenbach (Bonn). '\nHeinr. Witte. Ein Fall von totaler An\u00e4sthesie mit besonderer Ber\u00fccksichtigung der Bewegungsst\u00f6rungen und der dabei zu beobachtenden Schlafzust\u00e4nde. Diss. Leipzig 1894. 39 S.\nIm Anschlufs an eine kurze Besprechung der durch Reid, Sp\u00e4th-Sch\u00fcppel, Klaatsch, Arndt, Str\u00fcmpell, Wintek, Krukenberg, Heyne,","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"150\nLitteraturberich t\nv. Ziemssen, Thomsen und Oppenheim und Raymond bekannt gewordenen F\u00e4lle von totaler An\u00e4sthesie (auf die von Meynet, Beevor und Freud ver\u00f6ffentlichten Mitteilungen wird kurz verwiesen) beschreibt Verfasser einen neuen hierher geh\u00f6rigen Fall, der in der psychiatrischen Klinik zu Leipzig an einer an schwerer Hysterie leidenden und nach Verfasser wahrscheinlich heredit\u00e4r belasteten weiblichen Person, einem Dienstm\u00e4dchen Ida Gr., konstatiert wurde, und der um so mehr Beachtung verdient, als ein Krankheitsbild von gleich hochgradiger Entwickelung wohl nur selten gefunden wird und zudem infolge eines mehrmaligen l\u00e4ngeren Aufenthaltes der Patientin in der genannten Anstalt die M\u00f6glichkeit geboten war, die Beobachtung der in Rede stehenden Erscheinungen in allen ihren \u00dcberg\u00e4ngen und Zwischenstufen auf sechs Jahre auszudehnen.\nEin Vergleich der urs\u00e4chlichen Bedingungen der oben aufgez\u00e4hlten Krankheitsf\u00e2ll\u00e8 f\u00fchrt den Verfasser zun\u00e4chst zu dem Ergebnis, dafs die betreffenden Kranken durchaus nicht alle hysterisch waren, sondern dafs die krankhaften Zust\u00e4nde vielmehr nur in den drei F\u00e4llen von Str\u00fcmpell, Thomsen und Oppenheim und von Raymond auf Hysterie beruhten und dafs sich dieselben in den anderen F\u00e4llen, in denen eine Diagnose gestellt war, im Anschl\u00fcsse an Typhus, an H\u00f6hlenbildungen und Degenerationserscheinungen im R\u00fcckenmark oder infolge eines schweren Traumas entwickelten, dafs aber aufserdem in den meisten F\u00e4llen psychische St\u00f6rungen vorhanden waren, die einen vorwiegend melancholischen Charakter trugen oder sich in einem starken Stimmungswechsel der sehr reizbaren Kranken offenbarten. Verfasser glaubt, aus dieser vergleichenden Zusammenstellung mit h\u00f6chster \"Wahrscheinlichkeit auf den zentralen Sitz des jedesmaligen Leidens schliefsen zu m\u00fcssen.\nIm gegenw\u00e4rtigen Falle war ein psychisches Trauma der Anlafs zum ersten Auftreten der Neurose, indem die damals 16 Jahre alte Patientin im Walde, mit Holzsammeln besch\u00e4ftigt, unwissentlich an einen im Geb\u00fcsch versteckten Topf mit Eiern stiefs und infolge des hierdurch entstehenden klirrenden Ger\u00e4usches von einem so furchtbaren Schrecken befallen wurde, dafs sie das Bewufstsein uerlor. Diesem ersten Ausbruche der Krankheit folgten zwei weitere Anf\u00e4lle, deren Ursache jedoch nicht zu ermitteln war, bei denen sich aber zu dem Zustande der einfachen Bewufstlosigkeit bereits typisch hysterische Konvulsionen leichteren Grades gesellten. Die vorliegend beschriebenen dauernden St\u00f6rungen entwickelten sich unter dem Einfl\u00fcsse der ersten Schwangerschaft. Auf dem Wege zum TRiERSchen Institute befindlich, wurde die Kranke von einem erneuten Anfall, der sich in tanz\u00e4hnlichen Bewegungen und Spr\u00fcngen \u00e4ufserte, \u00fcberrascht, wodurch sie die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich lenkte, welche sie, ihre unverst\u00e4ndlichen Worte f\u00fcr die \u00c4ufserungen einer Geisteskranken haltend, sodann der erw\u00e4hnten Klinik am 10. April 1888 einlieferte. Die Angaben \u00fcber den k\u00f6rperlichen Zustand der hochschwangeren Person lauten nach dem damals aufgenommenen Berichte: \u201eMittelgrofse Person von gutem Ern\u00e4hrungszustand, Fettpolster sogar reichlich entwickelt. Sch\u00e4del im Verh\u00e4ltnis zum Gesichtsteil klein ; stark vor springende Schl\u00e4fenschuppen.","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbei'icht.\n151\nGesicht breit und platt, erh\u00e4lt durch aufgeworfene Lippen und einen leichten Exophthalmus einen etwas brutalen Ausdruck. Degenerationszeichen am Kopf und \u00fcbrigen K\u00f6rper nicht zu bemerken.\u201c\nDer erste Aufenthalt der Kranken in der Leipziger Klinik umfafste beinahe 4 Jahre und w\u00e4hrte bis zum 25. Juli 1898, an welchem Tage sie als geheilt entlassen werden konnte. Unmittelbar nach ihrer Aufnahme befand sich die Kranke in vollst\u00e4ndig stupor\u00f6sem Zustande. Sie liegt nach dem bereits erw\u00e4hnten Krankheitsberichte ruhig mit geschlossenen Augen, zeitweilig von eigenartigen Krampfanf\u00e4llen mit andauernder Bewufstlosigkeit heimgesucht. Derartige Zust\u00e4nde dauern tagelang fort und wechseln dann mit Tagen, an denen die Kranke bei v\u00f6llig klarem Bewufstsein und ohne merkliche geistige St\u00f6rungen ist. Allm\u00e4hlich treten zu diesen Erscheinungen tiefere St\u00f6rungen der Gehirnfunktion hinzu, die Kranke hat offenbar Gesichts- wie Geh\u00f6rshalluzinationen, sie reagiert weder auf sensible, noch auf sensorische Reize irgend welcher Art. Nach dem Erwachen aus diesen Zust\u00e4nden besteht \u00fcber dieselben v\u00f6llige Amnesie. Ihre Entbindung erfolgte nach einigen Wochen freier Zeiten am 1. Juli 1888 im TniERSchen Institute durch Perforation des Kindes. Bereits am 11. Juli wird sie wiederum in v\u00f6llig stupor\u00f6sem Zustande in die psychiatrische Klinik zur\u00fcckgenommen, am 13. Juli ist sie frei und erkennt die sie umgebenden Personen. Der in der Folge auftretende Wechsel in ihrer Gem\u00fctsstimmung ist von funktionellen St\u00f6rungen der Sinnesorgane begleitet. In diesem Stimmungswechsel werden eigenartige D\u00e4mmerzust\u00e4nde beobachtet, in denen die bereits erw\u00e4hnten Reaktionen auf Sinnesreize unterbleiben. In einem solchen Zustande trat pl\u00f6tzlich An\u00e4sthesie der Kopfhaut auf, nach einigen Tagen entwickelte sich hieraus die totale An\u00e4sthesie des gesamten K\u00f6rpers, wobei gleichzeitig Schwankungen in der Geh\u00f6rs-, wie in der Gesichtssch\u00e4rfe beobachtet wurden. Das Gesichtsfeld erfuhr zeitweilig eine Einschr\u00e4nkung bis zur v\u00f6lligen Amaurose. Diese anfangs nur w\u00e4hrend der genannten D\u00e4mmerzust\u00e4nde auftretenden Erscheinungen greifen allm\u00e4hlich auch auf die freien Zeiten \u00fcber, wobei jedoch die Krampfanf\u00e4lle seltener werden. Von etwa Mitte des Jahres 1890 ist der gesamte K\u00f6rper auch w\u00e4hrend der freien Zeit f\u00fcr alle Reizqualit\u00e4ten total an\u00e4sthetisch, die Geruchs- und Geschmackssensationen sind vollst\u00e4ndig aufgehoben. Bei best\u00e4ndiger Herabsetzung der Geh\u00f6rssch\u00e4rfe hat das Gesichtsfeld dauernd so weit eine Einengung erfahren, dafs auf etwa 2 m Entfernung eben ein Kopf gesehen wird. Dabei hat sich ein Wahnsystem von vorwiegend erotischem Charakter entwickelt, in dem das Verh\u00e4ltnis der Kranken zu ihrem Geliebten den Mittelpunkt bildet, sie h\u00e4lt sich selbst f\u00fcr eine unermefslich reiche K\u00f6nigin, auf dem linken Auge sieht sie ihren Br\u00e4utigam als Soldaten, als einen Prinz und K\u00f6nig, der sie aus der Anstalt entf\u00fchren wird. Da die Kranke infolge der immer aufgeregter werdenden Halluzinationen f\u00fcr ihre Umgebung gef\u00e4hrlich wird, mufs sie zeitweise isoliert werden. Der d\u00e9lirante D\u00e4mmerzustand w\u00e4hrte durchschnittlich f\u00fcnf Tage, dann erfolgte gew\u00f6hnlich nach einem l\u00e4ngeren ruhigen Schlafe eine zeitweise Aufhellung des Bewufstseins, doch hat die Kranke \u00fcber zwei Jahre ununter-","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"152\nLi it\u00e9ra turbericht.\nbrochen in ihren Wahnideen gelebt, ohne eine ganz freie Zeit gehabt zu haben, sie gew\u00e4hrte w\u00e4hrend dieser Zeit bei sonst freundlicher Gem\u00fctsart ein Bild \u00e4hnlich dem der chronischen Paranoia. Ihre Heilung erfolgte pl\u00f6tzlich, nachdem sie am 8. Juni 1893 ans einem festen Schlafe erwachte. Die Wahnideen waren v\u00f6llig verschwunden, \u201ealle Sinnesorgane funktionierten normal, die Sensibilit\u00e4t war hergestellt, das Gesichtsfeld nicht eingeschr\u00e4nkt, Geh\u00f6r, Geruch und Geschmack ohne nachweisbare Anomalien\u201c. Da dieser Zustand konstant blieb, konnte sie, wie oben erw\u00e4hnt, am genannten Tage zu ihren Eltern entlassen werden.\nIm Anschlufs an eine neue Schwangerschaft kehrten jedoch schon nach etwa zwei Monaten die Anf\u00e4lle zur\u00fcck, so dafs die Betreffende wiederum in die Klinik gegeben werden mufste. Bei normalem Verlauf der Schwangerschaft (am 26. April 1894 gebar sie spontan ein kleines, aber ausgetragenes M\u00e4dchen, das aufser einer etwa thalergrofsen Impression am linken Stirnbein keine Besonderheiten zeigte) entwickelte sich ein dem oben kurz beschriebenen \u00e4hnliches Krankheitsbild. \u201eNur die sensiblen und sensorischen St\u00f6rungen entwickelten sich nicht ganz so vollst\u00e4ndig wieder, d. h. zeitweise bestand doch An\u00e4sthesie des ganzen K\u00f6rpers, Gesichtsfeldeinschr\u00e4nkung bis auf die Gr\u00f6fse eines Kopfes, starke Geh\u00f6rsherabsetzung, vollst\u00e4ndiger Verlust der Geruchs- und Geschmacksempfindung. Aber nach dem Erwachen aus einem D\u00e4mmerzust\u00e4nde funktionierten regelm\u00e4fsig alle Sinnesorgane l\u00e4ngere Zeit ganz normal.\u201c \u201eDas Wochenbett verlief ohne St\u00f6rung. W\u00e4hrend der ersten Tage hielten noch die Wahnideen an, aber dann besserte sich der Zustand ganz aufserordentlich. Etwa seit dem neunten Tage funktionierten alle Sinnesorgane normal, und die Wahnideen sind vollst\u00e4ndig verschwunden. Patientin macht seit der Zeit den Eindruck einer ganz gesunden Person.\u201c\nBei einer n\u00e4heren Er\u00f6rterung der einzelnen St\u00f6rungen berichtet Verfasser, dafs die Einengung des linken Gesichtsfeldes, auf welchem Auge die Kranke, wie bemerkt, die Halluzinationen sah, regelm\u00e4fsig eine st\u00e4rkere war, als die des rechten. Einige Male war dasselbe bis zum punktf\u00f6rmigen Sehen eingeschr\u00e4nkt. Von Interesse escheint es, dafs auch in diesem Palle im Pixierpunkte alle Parben richtig erkannt wurden. Am rechten Auge wurde zu dieser Zeit bei gleich deutlicher Erkennung aller Parben innerhalb des betreffenden Gebietes nirgends \u00fcber 10\u00b0 hinaus gesehen. \u201eEin anderes Mal erstreckt sich das Gesichtsfeld des linken Auges bis an die 10\u00b0-Linie, das des rechten Auges reicht gerade 30\u00b0 weit, ziemlich gleichm\u00e4fsig nach der temporalen und nasalen H\u00e4lfte; nach oben und unten ist die Einengung st\u00e4rker, bis 20\u00b0.\u201c Verfasser bemerkte zu diesem letztangef\u00fchrten Palle, dafs dieser Zustand wohl der seltenere gewesen sei und dafs ein weiteres Gesichtsfeld nur ganz ausnahmsweise, wie gleich nach dem Erwachen aus einem D\u00e4mmerzust\u00e4nde oder je nach dem Verschwinden der Wahnideen beobachtet wurde. \u00dcber die Herabsetzung des Geh\u00f6rs wurden keine genaueren Messungen angestellt, der Krankheitsbericht beschr\u00e4nkt sich auf die Angaben, \u201edafs es gleich nach dem Erwachen immer normal, w\u00e4hrend starker Halluzinationen herabgesetzt, w\u00e4hrend der D\u00e4mmerzust\u00e4nde bis","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht.\n153\nzur v\u00f6lligen Beaktionslosigkeit auf Beizung gesunken war\u201c. Die zeitweilig auftretende v\u00f6llige Funktionslosigkeit der \u00fcbrigen Sinnesorgane ist schon oben erw\u00e4hnt* \u00abDie Sensibilit\u00e4t war h\u00e4ufig und lange Zeit verloren.\u201c Zu den Zeiten der totalen An\u00e4sthesie hatte die Kranke nach Verfasser keine Vorstellung von der Lage ihrer Extremit\u00e4ten. \u201eMan kann sich ihr von der Seite her n\u00e4hern, ihre Hand auf den B\u00fccken legen oder in jede beliebige Stellung bringen, die Hand \u00f6ffnen, ihr einen Gegenstand herausnehmen etc., sie bemerkt nichts. Kur darauf mufs man achten, dafs man bei keiner dieser Manipulationen in ihr Gesichtsfeld ger\u00e4t und dafs man bei Vornahme der Versuche vermeidet, eine Lage\u00e4nderung des Kopfes, resp. eine Ersch\u00fctterung desselben hervorzurufen. Die dadurch bewirkte Verschiebung des Gesichtsfeldes macht sie sofort darauf aufmerksam, dafs etwas an ihrer Peripherie vorgeht, und veranlafst sie, sich nach der Ursache umzusehen. Also jeder Stofs an den Kopf wird sofort bemerkt, aber nicht gef\u00fchlt, sondern gesehen\u201c. Da die Kranke, mif Ausnahme ihrer schwersten Zeiten, umher gegangen ist, obwohl mit schwerf\u00e4lligen und langsamen Schritten und dabei unter Vermeidung jeglicher Art von Kopfbewegungen mit festem Blick geradeaus oder auf den Fufsboden, etwa 2 m vor sich hin, sah, so ist Verfasser, entgegen der Annahme des Berichtes, der diese Erscheinung auf das Vorhandensein von Halluzinationen deutet, der Ansicht, dafs dies eine Vorsichtsmafsregel war, durch welche die Kranke mit H\u00fclfe des Gesichtssinnes den K\u00f6rper aufrecht und im Gleichgewicht erhielt. Da dieselbe infolge der Einschr\u00e4nkung des Gesichtsfeldes die unteren Extremit\u00e4ten nicht sehen konnte, so mufs die Ausf\u00fchrung der zum Gehen notwendigen einfachen Beinbewegungen ohne jede sinnliche Kontrolle m\u00f6glich gewesen sein. Die M\u00f6glichkeit der Innervation der oberen Extremit\u00e4ten ohne Kontrolle des Gesichts ergiebt sich nach Verfasser als sicher aus dem Umstande, dafs die Kranke G. in aufgeregten Zust\u00e4nden ihre Arme nach allen Bichtungen hin frei bewegte. Verfasser legt auf diese letztere Mitteilung um so mehr Gewicht, \u00ab als nach den Angaben anderer Autoren eine willk\u00fcrliche Bewegung bei total An\u00e4sthetischen nach Ausschlufs des Gesichtssinnes nicht m\u00f6glich war. Nach dem Berichte hat die Patientin gewandt gestrickt. Verfasser konnte sie w\u00e4hrend dieser Th\u00e4tigkeit nicht selbst beobachten, schliefst jedoch aus einer an einer anderen Kranken gemachten Beobachtung, welche bei An\u00e4sthesie der oberen Extremit\u00e4ten ebenfalls zu stricken im st\u00e4nde war, dafs auch bei der Kranken G. die feinen Strickbewegungen der Finger unter der Kontrolle des Gesichtssinnes stattgefunden haben m\u00fcssen.\nIn den nachfolgenden Er\u00f6rterungen kommt Verfasser unter Ber\u00fccksichtigung der eingangs erw\u00e4hnten F\u00e4lle zu dem Schl\u00fcsse, dafs, wenn die Lage und Stellung der Glieder trotz vorhandener Hautan\u00e4sthesie empfunden wird, \u201ediese F\u00e4higkeit an gewisse zentripetale Bahnen gekn\u00fcpft ist, welche mehr in der Tiefe des K\u00f6rpers verlaufen, resp. endigen\u201c. Insbesondere sucht Verfasser f\u00fcr diese Erscheinungen die Sensibilit\u00e4t der Gelenkfi\u00e4ehen verantwortlich zu machen. An die Stelle der von Str\u00fcmpell gegebenen Theorie, nach welcher es sich in dem von","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"154\nLi ttera turb er ick t.\nletzteren an einem jungen M\u00e4dchen beobachteten Falle von Hemi-an\u00e4stbesie um eine weitere cerebrale St\u00f6rung und um Beziehungen zur willk\u00fcrlichen Lenkung der Aufmerksamkeit bandelt, indem die betreffende Kranke den mit einem Gewicht von 10 Pfund beschwerten Arm unter Zuh\u00fclfenahme des Gesichts beben konnte, ohne hinzusehen, hierzu aber nicht im st\u00e4nde war, selbst wenn ihr das Gewicht heimlich fortgenommen wurde, sucht Verfasser analog der in der Akustik als Theorie des Mitschwingens gleichgestimmter Tonquellen bekannten eine andere gleich abgestimmter cerebraler Zentren des Vorstellens und des lnner-vierens zu setzen, durch deren Verstimmtsein eben der fragliche Defekt verursacht werde. Wichtiger als diese theoretischen Erw\u00e4gungen erscheinen dem Deferenten die Beobachtungen, welche Verfasser \u00fcber das Einschlafen seiner Kranken nach k\u00fcnstlichem Verscblufs von Gesicht und Geh\u00f6r als der noch allein bei derselben funktionierenden Sinnesorgane angestellt hat.\nIndem Verfasser die unter dem Namen des STR\u00fcMPELLSchen Falles bekannte Erscheinung nachzupr\u00fcfen suchte, ergab sich, dafs der Ver-schlufs der Ohr\u00f6ffnungen zum Gelingen des Versuches nicht notwendig war, sondern dafs die Kranke bereits in den Zustand der Bewufstlosig-keit verfiel, wenn ihr nur f\u00fcr einige Sekunden die Augen durch Niederdr\u00fccken der Lider zugehalten wurden. \u201eMan bemerkte eine schnell zunehmende Starre der gesamten K\u00f6rpermuskulatur ; Dumpf und Extremit\u00e4ten wurden gestreckt, die Arme an den Leib angelegt. Wenn man sogleich versuchte, durch energisches Au seinander ziehen der Lider Licht in die Augen fallen zu lassen, so sah man die Bulbi nach oben und innen gedreht, nicht ruhig, sondern in fortw\u00e4hrender langsamer Bewegung. Wenn es gelang, Licht in die verengten Pupillen einfallen zu lassen, so verschwand zun\u00e4chst nach einigen Sekunden die Starre der Muskulatur wieder, dann kehrte auch das Bewufstsein zur\u00fcck. Wenn aber die Augen l\u00e4ngstens V* Minute verschlossen gewesen waren, so war das Bewufstsein nicht zur\u00fcckzurufen. Beim Erheben der Augenlider bemerkte man wohl in der Lidspalte ein St\u00fcckchen Iris, aber die Pupille war nicht mehr zu erreichen. Die Kranke blieb in diesem Zustande und mufste wie erstarrt auf ihr Lager getragen werden. Die Muskulatur war bretthart und schien bei dem Versuche, eine Beugung, z. B. im Ellenbogengelenke, zu erzwingen, oder bei Deibung der Haut und \u00e4hnlichen Manipulationen nur noch an Digidit\u00e4t zuzunehmen.\u201c Verfasser bemerkt zu dem Vorstehenden noch, dafs die Kranke gew\u00f6hnlich mehrere Stunden in diesem Zustande verharrte und sich zuweilen nach dem Erwachen in dem mehrfach erw\u00e4hnten D\u00e4mmerzust\u00e4nde befand. Er schliefst aus dem ganzen Vorg\u00e4nge, dafs es sich hier nicht um einen wirklich physiologischen Schlaf im Sinne der PEL\u00dcGER-STR\u00dcMPELLSchen Annahme, sondern vielmehr um eine hypnotische Erscheinung handle. Im selben Sinne sucht Verfasser die F\u00e4lle von Heyne, Daymond, y. Ziemssen, Thomsen und Oppenheim, sowie eine von Loeweneeld ver\u00f6ffentlichte Mitteilung zu deuten. Bedauerlich bleibt, dafs im vorliegenden Falle, wie Verfasser selbst hervorhebt, \u00fcber etwaige im Dunkelraume angestellte Kontroil-versuche nichts berichtet wird. Obwohl der Fall Beachtung verdient,","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturberichi.\n-\u00e9 ** **\nloo\nd\u00fcrfte derselbe, zumal die Kranke G-. f\u00fcr die Hypnose stark disponiert war, wobl noch keine Verallgemeinerung erfahren. Jedenfalls m\u00f6chte die PFL\u00fcGERSche Theorie hiermit noch nicht entkr\u00e4ftigt sein. Am Schl\u00fcsse der Abhandlung sucht Verfasser noch darzuthun, dafs auch der normale Schlaf vielfach erst durch Selbsthypnose eingeleitet wird, und warnt in diesem Sinne vor der \u00fcblen Sitte, kleine Kinder durch Einwiegen in den Schlaf zu bringen. Nach einer \u00fcbersichtlichen Zusammenstellung der verwerteten Litteratur fafst Verfasser seine Hauptergebnisse in folgende drei Thesen zusammen:\n\u201e1. Bei totaler An\u00e4sthesie ist der Gesichtssinn allein, sobald er nur ein feststehendes Objekt zum Fixieren hat, im st\u00e4nde, die aufrechte Stellung des K\u00f6rpers zu \u00fcberwachen und zu erhalten.\n2.\tDie Motilit\u00e4t, d. h. die F\u00e4higkeit, alle Muskeln willk\u00fcrlich zu innervieren, ist bei reiner An\u00e4sthesie nicht betroffen.\n3.\tDie bekannten Hypnose erzeugenden Manipulationen haben nicht allein einen rein suggestiven Einflufs, sondern es werden dabei auf dem Wege der Sinnesnerven dem Gehirn Beize zugef\u00fchrt, welche unabh\u00e4ngig vom Bewufstsein erregend auf gewisse Hirnteile einwirken.\u201c\nDeferent erlaubt sich, dem Vorstehenden hinzuzuf\u00fcgen, dafs die Heilung der kranken Ida G. auch nach ihrer zweiten Entlassung aus der Leipziger Klinik keine dauernde war, dafs sie infolge erneuter Anf\u00e4lle in dieselbe zur\u00fcckgenommen werden mufste und sich noch jetzt daselbst befindet.\tF. Kiesow (Leipzig).\nBrugsch-Pascha. Die Hypnose im Altertum. Zeitschr. f. Hypnot. April 1894.\nVerfasser beweist aus dem gnostischen Papyrus, der zum Teil in London, zum Teil in Leyden sich befindet und aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung stammt, dais die alten \u00c4gypter die Hypnose bereits vor mindestens 2000 Jahren kannten und anwendeten. Sie benutzten mit Vorliebe Streichungen, um meist unschuldige Knaben einzuschl\u00e4fern, die sie dann zum Hellsehen benutzten. Mit aller Wahrscheinlichkeit kann man annehmen, dafs die Hypnose noch viel \u00e4lter ist, wenn auch aus der Keilschrift nichts hierher Geh\u00f6riges bekannt ist.\nUmpfenbach (Bonn).\nW. Gessmann. Magnetismus und Hypnotismus. 2. Aufl. Wien, A. Hartleben, 1895.\nDer Hartlebensche Verlag hat diesem neuen Wissensgebiete Aufnahme gew\u00e4hrt in seine elektro-technische Bibliothek. In der Beihe der Handb\u00fccher \u00fcber angewandte Elektrizit\u00e4t nimmt sich der Hypnotismus freilich, namentlich f\u00fcr einen Skeptiker, etwas sonderbar aus. Doch mufs man es G. zugestehen, dafs er es verstanden hat, in seinem \u00fcber 200 Seiten fassenden Buche das Wissenswerte knapp und doch ausf\u00fchrlich zusammenzustellen, wenn er auch haupts\u00e4chlich nur die Beziehungen zwischen dem mineralischen Magnetismus, dem sog. tierischen Magnetismus und dem Hypnotismus ber\u00fccksichtigen will. Das Meiste ist ans bereits bekannt, doch findet man auch Neues, wie z. B. die von G. konstruierten Hypnoskope, mit deren H\u00fclfe man beweisen kann, dafs","page":155}],"identifier":"lit29686","issued":"1896","language":"de","pages":"149-155","startpages":"149","title":"Heinr. Witte: Ein Fall von totaler An\u00e4sthesie mit besonderer Ber\u00fccksichtigung der Bewegungsst\u00f6rungen und der dabei zu beobachtenden Schlafzust\u00e4nde. Diss. Leipzig 1894. 39 S.","type":"Journal Article","volume":"9"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:30:27.188427+00:00"}