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{"created":"2022-01-31T14:19:48.804557+00:00","id":"lit29694","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"H\u00f6fler, A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 9: 256-269","fulltext":[{"file":"p0256.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\nHarald H\u00f6ffding. Psychologie in Umrissen auf Grundlage der Erfahrung.\nZweite deutsche Ausgabe, unter Mitwirkung des Verfassers nach der vielfach ge\u00e4nderten dritten d\u00e4nischen Ausgabe \u00fcbersetzt von F. Bendixen, Gymnasiallehrer. Leipzig, Fues\u2019 Verlag (R. Reisland). 1893. 500 S.\nWenn Referent nach wiederholten eigenen Erfahrungen urteilen darf, tritt an denjenigen, von dem es bekannt ist, dafs er sich fachm\u00e4fsig mit Psychologie besch\u00e4ftige, gegenw\u00e4rtig h\u00e4ufiger als bez\u00fcglich einer anderen philosophischen Disziplin aus Laienkreisen die Frage heran, aus welchen B\u00fcchern man sein Interesse an den Gegenst\u00e4nden und Resultaten der psychologischen Forschung befriedigen k\u00f6nne, ohne sich auf aktiven kritischen Anteil an derlei Forschungen pers\u00f6nlich einlassen zu k\u00f6nnen und zu wollen. Referent hatte sich durch solche Fragen immer in einige Verlegenheit gesetzt gesehen: denn man m\u00fcfste wenig Gef\u00fchl f\u00fcr die Art und die Gr\u00fcnde jenes so allgemeinen Interesses gerade an psychologischen Dingen haben, wenn man sich schmeicheln wollte, dafs es durch die vom Laien gar nicht zu ahnenden Detailfragen und die allenthalben nur zu mannigfaltigen Versuche einer exakten Beantwortung, wie sie die besten, nach strengen empirischen Methoden vorgehenden Arbeiten der Gegenwart sich zur Aufgabe machen, nicht vielmehr abgestofsen, als auch nur teilweise befriedigt werden k\u00f6nne. Der erste Eindruck, den Referent schon von der ersten deutschen Auflage des H\u00f6FFDiNGSchen Buches empfangen hat, und der sich hei wiederholtem Lesen und Nachschlagen der ersten wie der zweiten Ausgabe immer wieder best\u00e4tigte, war der, dafs es sich gerade derartigen Bed\u00fcrfnissen eines nat\u00fcrlichen, noch nicht gleichsam wissenschaftlich verfeinerten oder \u00fcherverfeinerten Interesses aufs geschickteste anpasse. Bei m\u00e4fsigem Umfange eine F\u00fclle von Mitteilungen \u00fcber Erscheinungen aus dem Lehen, die man als im engeren Sinne \u201epsychologisch interessant\u201c zu bezeichnen pflegt, Belegstellen aus der Dichtung, welche sich gleich fern von Trivialit\u00e4t1 wie von Phantasterei halten, sondern wirklich in geheime Falten und Abgr\u00fcnde der Menschenseele hineinleuchten \u2014\n1 In der sehr verbreiteten Schulpsychologie von Dr. Johannes Cr\u00fcger wird z. B. aus Dichterstellen im einzelnen induziert, dafs \u201eder Erschrockene blafs wird und zittert\u201c, dafs \u201eder Freudige lacht und jauchzt\u201c. (4. Aufl. 1892. S. 127) u. dergl. m.","page":256},{"file":"p0257.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n257\nzugleich eine umfassende Ber\u00fccksichtigung (belegt durch vielseitige Zitate unter dem Text) aller denjenigen neueren und neuesten Bereicherungen des psychologischen Thatsachenkreises, welche auch den Fernstehenden wenigstens zuerst manchmal wie Kuriosa anmuten, aber aus blofser Neugier allm\u00e4hlich ein rein theoretisches Interesse sich ab-kl\u00e4ren zu lassen pflegen; dabei eine auch in den theoretischsten Teilen noch angenehme und leichtfl\u00fcssige Darstellung (nur ab und zu durch sprachliche Unebenheiten der \u00dcbersetzung etwas beeintr\u00e4chtigt). \u2014 Aus Gr\u00fcnden, auf welche wir zum Schl\u00fcsse dieser Anzeige zur\u00fcckkommen,, scheinen uns diese Vorz\u00fcge, wiewohl zun\u00e4chst nicht eigentlich wissenschaftlicher Natur, doch in hinreichend naher Beziehung zu den Am Spr\u00fcchen, welche die strengste psychologische Wissenschaft an eine ihrem Gegenst\u00e4nde gewidmete Arbeit zu stellen hat, dafs ihrer an dieser Stelle zur Charakteristik des Gesamteindruckes, welchen das Buch hervorbringt, und dem es ja das Bed\u00fcrfnis einer dritten bezw. zweiten Auflage wohl in erster Linie zu danken hat, gedacht werden durfte.\nDa nun aber das Buch seiner eigenen Absicht nach doch auch als vollwichtige wissenschaftliche Leistung, keineswegs als blofse Popul\u00e4r-litteratur oder als Schulbuch genommen sein will, so erw\u00e4chst f\u00fcr ein an dieser Stelle zu erstattendes Referat die Pflicht, auch den anderen Eindruck nicht zu besch\u00f6nigen, dafs es um die eigentliche wissenschaftliche Exaktheit in Gegenstand und Darstellung nur zu h\u00e4ufig nicht am besten bestellt ist. Wenn dieser Eindruck im folgenden durch Anf\u00fchrung einer gr\u00f6fseren Zahl derartiger schwacher Punkte belegt wird, so m\u00f6ge es nicht als eine Zur\u00fccknahme des ersten g\u00fcnstigen Urteils gedeutet werden und] keinen Leser der Anzeige, bezw. des Buches abhalten, sich einen g\u00fcnstigeren Durchschnittseindruck, zu bilden, als er aus dem vorwiegenden Verweilen bei den schwachen Punkten sich ergiebt.\nIn I. \u201eGegenstand und Methode der Psychologie\u201c wird mit einer historischen Darstellung begonnen, \u201ewie sich die Vorstellung von dem Seelischen im menschlichen Geschlechte entwickelt hat und sich noch in jedem einzelnen Individuum entwickelt\u201c (S. 2). Mit S. 20 beginnen Mitteilungen \u00fcber die Methode der Psychologie, wobei auf S. 28ff. ein gr\u00f6fserer Abschnitt \u00fcber Experimentalpsychologie gegen\u00fcber der ersten Auflage wesentlich umgearbeitet ist.\nIn II. \u201eSeele und K\u00f6rper\u201c folgen auf einige physikalische Begriffsbestimmungen physiologische Mitteilungen (S. 43\u201471); dafs hier mitten in dem Abschnitte (S. 59) Verfasser bekennen mufs, \u201ewir haben noch keine ausf\u00fchrliche Charakteristik der Bewufstseinserscheinnngen gegeben\u201c, kann man f\u00fcglich nicht anders denn als einen Dispositionsfehler bezeichnen. Wichtiger als dies sind die Bedenken gegen so ziemlich alle Punkte, die Verfasser zu solcher Charakteristik anf\u00fchrt. Zuerst seine Lieblingstheorie von der Relativit\u00e4t schon der ersten Empfindungen (S. 60); Hobbes\u2019 \u201ebest\u00e4ndig ein und dasselbe empfinden und gar nicht empfinden, das bleibe sich ganz gleich\u201c, wird beif\u00e4llig zitiert (S. 60). Ferner: \u201edie fr\u00fcheren Zust\u00e4nde m\u00fcssen entweder bewahrt oder wieder erzeugt werden k\u00f6nnen, und die gleichzeitig gegebenen Elemente m\u00fcssen zusammen-,\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie IX.\t^ \u2022","page":257},{"file":"p0258.txt","language":"de","ocr_de":"258\nBesprechungen.\ngehalten werden\u201c (S. 62); insofern kann \u201edie Erinnerung die psychologische Grunderscheinung genannt werden\u201c (S. 64); und: \u201eKant charakterisiert das Bewufstsein mit Hecht als eine Synthese, als einen zusammenfassenden Prozefs\u201c. Ist das nicht eine ins grofse gehende T\u00e4uschung durch die W\u00f6rter \u201ezusammengesetzt\u201c, \u201ezusammengehalten\u201c, welche Participia passiva keineswegs ohne weiteres auf Th\u00e4tigkeiten des Zusammensetzens, Zusammenhaltens zu schliefsen erlauben (wie u. a. Cornelius und Meinong \u00fcberzeugend dargethan haben \u2014 vergl. diese Zeitschrift, VL S. 428, \u00fcber den Terminus \u201everbunden\u201c u. dergl.).\nSeite 71\u201493 sind den metaphysischen (das sind sie, trotz der Verwahrung S. 72) Theorien von den Beziehungen zwischen \u201eBewufstseins-leben und Hirnlehen\u201c gewidmet. Verfasser findet eine dualistische und drei monistische Hypothesen denkbar (S. 72), deren letzte: \u201eSeele und K\u00f6rper, Bewufstsein und Gehirn entwickeln sich als verschiedene \u00c4ufserungsformeu eines und desselben Wesens\u201c, die These des Verfassers ist. \u201eDie Voraussetzung, dafs ein Kausalverh\u00e4ltnis zwischen dem Geistigen und K\u00f6rperlichen stattfinden k\u00f6nne, widerspricht dem Satze von der Erhaltung der Energie\u201c (S. 73). Der schon von Descartes1 vorgeschlagene Ausweg, \u201edie Seele \u00e4ndere nur die Richtung der physischen Bewegung\u201c, nicht aber die Gr\u00f6fse der Geschwindigkeit und somit auch nicht die aktuelle Energie, \u201el\u00e4fst sich nur von denjenigen benutzen, welche einen Sinn damit zu verbinden verm\u00f6gen, dafs die Seele \u2014 senkrecht zur Bewegungsrichtung der Hirnteilchen wirke\u201c (S. 74). Nun, so schlimm, weil so einfach, brauchen wir uns ja den Ausweg wohl nicht zu denken. Vor allem: m\u00fcfste denn, um eine Beschleunigung normal zum Bahnelement hervorzubringen, das Beschleunigende selbst in der Normale \u201esitzen\u201c? Treibt doch ein Stromdraht den neben ihm liegenden Magnetpol normal zur Stromrichtung und \u201esitzt\u201c nicht normal zu seiner eigenen Richtung. Ehe man sich also durch die Vorstellung, \u201edie Seele wirke senkrecht zu einer Bewegungsrichtung\u201c schrecken l\u00e4fst, beachte man, dafs dieser Ausdruck selbst doppeldeutig ist, n\u00e4mlich: \u201ewirke\u201c von der Senkrechten aus (was nach der Lehre von der Unr\u00e4umlichkeit des Psychischen \u00fcberhaupt keinen Sinn hat) oder \u201ewirke\u201c so, dafs die bewirkte Bewegung senkrecht etc. erfolgt. Verfasser scheint aber an dieser einen Stelle \u00fcberdies selbst gemerkt zu haben, dafs der Energiesatz zur Widerlegung des Influxus physicus nicht ausreiche, denn er f\u00e4hrt fort: \u201eUnd jedenfalls wird man die vom Beharrungs-\n1 Als 1886 Ehrenfels\u2019 \u201eMetaphysische Ausf\u00fchrungen im Anschlufs an Dubois-Beymondu (Sitzgs.-Ber. d. Wien. ATcad.) erschienen waren, trug mir Prof. Boltzmann (damals in Graz) an Ehrenfels die Mitteilung auf, dafs mit dem Energiesatz eine Einwirkung des Psychischen auf das Physische nicht unvertr\u00e4glich sei, wenn man annehme, dafs diese Einwirkung normal gegen die Niveaufl\u00e4chen erfolge. Ehrenfels hat sp\u00e4ter \u00f6ffentlich bei Diskussionen in der philosophischen Gesellschaft an der Universit\u00e4t Wien diese Anregung acceptiert. Bei einer neuerlichen Unterredung j\u00fcngster Tage bejahte mir Hof rat Boltzmann die oben angeregte Pr\u00e4ge, ob der Satz von der Energie als Integralgesetz \u00fcberhaupt eine Latit\u00fcde lasse, aus der physikalischen Erw\u00e4gung, dafs er die bisherigen Bem\u00fchungen der Energetiker, die gesamte Mechanik, ja","page":258},{"file":"p0259.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n259\nge setze herr\u00fchrende Schwierigkeit nicht los, da dieses f\u00fcr jede \u00c4nderung der Bichtung einer Bewegung ja ausdr\u00fccklich eine \u00e4ufsere, d. h. eine k\u00f6rperliche Ursache verlangt.\u201c Oder denkt sich Verf. das Beharrungsgesetz als ein Korrolar des Energiegesetzes? Wenn nein, so m\u00f6ge der neueste Monismus k\u00fcnftighin nicht immer wieder den Energiesatz (der als modernster freilich den meisten am meisten imponiert), sondern ein ausreichendes physikalisches Prinzip zur Widerlegung der dualistischen Kausaltheorien heranziehen. Die Frage spitzt sich also hier darauf zu, oh der Satz von der Energie als Integralgesetz f\u00fcr die differentiale Beschreibung des Systems, auf das er angewendet wird, \u00fcberhaupt eine Latit\u00fcde l\u00e4fst oder nicht. Wenn ja, so wird ein solcher Ausweg, wenn auch vielleicht in weit feinerer Form, im Auge zu behalten sein, solange sich in den anderen Auswegen, wie z. B. der Parallelismustheorie, noch irgend ein Haar findet. Eeferent findet z. B. ein solches bei vorliegender Darstellung vor allem in der parteiischen Beschreibung des Thats\u00e4chlichen, auf welches sich diese Theorie nach dem Verfasser soll st\u00fctzen k\u00f6nnen. W\u00e4hrend es bei der Widerlegung des Materialismus sehr richtig geheifsen hatte: \u201ewas nicht die Eigenschaften des K\u00f6rperlichen hat, das kann nicht die Umlagerung von etwas K\u00f6rperlichem sein\u201c (S. 79), lesen wir doch alsbald wieder (S. 85): \u201eEs w\u00fcrde ein sonderbarer Zufall sein, wenn sich die Merkmale [der \u201ek\u00f6rperlichen Erscheinungen\u201c in dem \u201eBewufstseinsleben\u201c] auf diese Weise wiederholten, ohne dafs ein innerer Zusammenhang zu Grunde l\u00e4ge.\u201c Also angeblich genaueste \u201eWiederholung\u201c der \u201eMerkmale\u201c, trotz Fehlens der (oder doch einiger) \u201eEigenschaften\u201c. Und ebenso wenige Zeilen sp\u00e4ter wieder die Aufforderung, \u201edie k\u00f6rperliche Wechselwirkung zwischen den Elementen des Gehirnes und Nervensystem.es als eine \u00e4ufsere Form der inneren ideellen Einheit des Bewulstseins aufzufassen\u201c ; gerade zu dieser \u201eEinheit\u201c, die nach dem Verfasser eines der charakteristischsten \u201eMerkmale\u201c des Psychischen bildet, giebt es ja aber in der \u201ek\u00f6rperlichen Wechselwirkung\u201c kein halbwegs \u00e4hnliches \u201eMerkmal\u201c. So heilst es denn auch zwei Seiten sp\u00e4ter (S. 87): \u201e. . . geistige Existenz hat. .. die Synthese zur Grundform; und die Synthese setzt Individualit\u00e4t voraus. Die k\u00f6rperliche Welt zeigt uns keine wirklichen Individualit\u00e4ten\u201c. \u2014 Trotz dieser L\u00fccken im Thatsachenroaterial wird die \u201eParallelismus\u201c-These und die ansie gekn\u00fcpfte \u201eZwei-Seiten\u201c-Hypothese gegenw\u00e4rtig fast allgemein f\u00fcr die plausibelste\ndie gesamte Physik ausschliefslich auf das Energiegesetz zu gr\u00fcnden, f\u00fcr nicht gegl\u00fcckt, ja f\u00fcr aussichtslos halte. Meiner weiteren Frage, ob es f\u00fcr den, z. B. f\u00fcr das Tr\u00e4gheitsgesetz geforderten Begriff \u201ephysischer\u201c Kr\u00e4fte n\u00f6tigenfalls gen\u00fcge, wenn zwar die Wirkung (r\u00e4umliche Beschleunigung), nicht aber die Provenienz der Kr\u00e4fte als physische gedacht werde, erwiderte Boltzmann, dafs es, um von physischen Kr\u00e4ften zu reden, gen\u00fcge, wenn die physischen Ver\u00e4nderungen als durch irgendwelche Koordinaten, die nicht r\u00e4umlich, nicht einmal blofs zeitlich sein m\u00fcssen, eindeutig bestimmt angenommen werden (also nur nicht etwa eine Willensfreiheit oder dergl.). Dar\u00fcber, ob es solche Kr\u00e4fte gebe, solle nat\u00fcrlich hiermit noch nichts behauptet sein. \u2014 Hofrat Boltzmann hatte die G\u00fcte, mich behufs vorliegenden Eeferates zur Mitteilung seiner Bemerkungen zu erm\u00e4chtigen.\n17*","page":259},{"file":"p0260.txt","language":"de","ocr_de":"260\nBesprechungen.\ngehalten.1 Dazu geh\u00f6rte aber nach Erachten des Referenten die Gegenprobe, ob, wenn man nun wirklich das Physische, und mit ihm also auch das Energieprinzip nur als die \u201eandere Seite\u201c (sozusagen die Kehrseite \u2014 denn das Psychische sollen wir ja erkennen, wie es an sich ist) des Psychischen ansieht, der Energiesatz (bezw. sonstige physikalische Prinzipien, an denen die Influxustheorie scheitern soll) mit den Gesetzen der psychischen Ph\u00e4nomene besser vertr\u00e4glich geworden ist. Soli doch sogar nach dem Verfasser jede Hoffnung, \u201eeine geistige Parallele des Satzes von der Erhaltung der Kraft zu finden\u201c, eitel sein (S. 87).\nIII.\t\u201eDas Bewufste und das Unbewufste\u201c bringt es zu keiner klaren Feststellung auch nur einer Terminologie trotz der Anl\u00e4ufe hierzu (S. 95). Es wird zu zeigen versucht, \u201edafs das TJnbewufste mit dem Be-wufsten verwandt ist, so dafs der Unterschied sowohl auf der psychischen, als auch auf der physischen Seite (!) nur ein Gradunterschied wird\u201c. S. 101 wird z. B. Fechners Erz\u00e4hlung vom Nachbild der Ofenr\u00f6hre so interpretiert: \u201eDer physische Reiz war derartig geschehen, dafs die Empfindung des Sehens entstehen konnte.\u201c Woher weifs der Verfasser, dafs die Empfindung nicht wirklich entstanden war und nur nicht be merkt oder sogleich wieder vergessen wurde?\u2014Die in der ersten Auflage den Schlufs von HI bildende l\u00e4ngere Stelle, welche zeigen sollte, \u201edafs die Psychologie nie wird eine exakte Wissenschaft werden k\u00f6nnen\u201c, ist in der zweiten Auflage ohne einen Ersatz weggelassen.\nIV.\t\u201eEinteilung der psychologischen Elemente\u201c nennt als \u201ejetzt allgemein\u201c die Dreiteilung in Erkennen, F\u00fchlen, Wollen. Das Urteil ist hier \u00fcberhaupt nicht erw\u00e4hnt, seine Annahme als Grundklasse nicht einmal zu widerlegen versucht und sp\u00e4ter (S. 241) sehr kurz das \u201elogische Urteil\u201c als \u201ebewufste und bestimmte Verbindung von Begriffen\u201c definiert, betreffs des \u201eurspr\u00fcnglichen Urteils\u201c eine der WuNDTSchen Zerlegungstheorie \u00e4hnliche gestreift. Die \u201eDifferenzierung\u201c bedeute \u00fcberhaupt nur \u201edas \u00dcberwiegen verschiedener Elemente in verschiedenen Zust\u00e4nden, nicht aber deren vollst\u00e4ndige Trennung\u201c. Giebt es nicht ein Drittes? Mufs z. B. die \u201eGef\u00fchlsseite eines Vorganges\u201c \u201e\u00fcberwiegen\u201c, damit wir sie als Element in der psychologischen Theorie abstrahierend fest-halten k\u00f6nnen?\nV.\t\u201eDie Psychologie der Erkenntnis\u201c behandelt unter A. die Empfindung. Es lasse sich \u201enicht zwischen Hauptfarben und zusammengesetzten Farben unterscheiden\u201c (S. 135), wohl aber sei \u201emit jedem Farbenreiz ein farbloser Lichtreiz verbunden, welcher ... in deutliche farblose Empfindung . . \u00fcbergeht\u201c (?). Empfinden und Auffassen des Empfindens oder Empfundenen werden beinahe nirgends auseinandergehalten: Z. B. dem von Franz operierten Blindgeborenen \u201e..verwirrten (die verschiedenen Gegenst\u00e4nde) das Gesicht, so dafs er zuletzt gar nichts sah; die einzelnen Eindr\u00fccke bringen ein Chaos hervor, welches be-\n1 Z. B. Paulsen (.Einleitung in die Philosophie, 1. Aufl. 8. 90) r\u00fchmt ausdr\u00fccklich die \u201eeinsichtige Er\u00f6rterung dieser Fragen\u201c seitens H\u00f6ffdings Psychologie.","page":260},{"file":"p0261.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n261\nstimmtes Auffassen unm\u00f6glich macht.\u201c (S. 142). Mag man finden, dafs das Auseinanderhalten von Empfinden und Auffassen, wie es am nachdr\u00fccklichsten Stumpf von Anfang seiner Tonpsychologie an urgiert hat, noch immer psychologische G-eschmacksache, nicht ausgemachte Pflicht sei, wie sie ein stringent erbrachter Beweis jedem Mitforscher auf erlegt ; eine offenbare Konfusion aber ist es, wenn die These, \u201ees m\u00fcsse sich ein Hintergrund finden, im Verh\u00e4ltnis zu welchem die neue Empfindung hervortreten kann\u201c (S. 142), durch den langsam gekochten Frosch bewiesen wird, weil dieser nicht die geringste \u2014 \u2014 man erwartet zu lesen : Empfindung dabei hatte\u201c, liest aber in Wirklichkeit \u2014 \u2014: \u201eBewegung ausf\u00fchrt\u201c. Hiernach darf man sich nicht wundern, wenn die n\u00e4chsten Beispiele fortw\u00e4hrend von Merken (S. 143, Z. 16, 17, 19 u. f.) reden, wo man Empfinden erwarten w\u00fcrde. Und doch sollen diese Thatsachen des Verfassers \u201eBeziehungsgesetz\u201c beweisen. Den Ein w\u00fcrfen Stumpfs erwidert Verfasser in einer l\u00e4ngeren Anmerkung (S. 152), die sich ebenso schon in der ersten Auflage gefunden hatte. Der Satz in ihr: \u201eWie man sieht, verwirft Stumpf selbst eigentlich nicht das Beziehungsgesetz\u201c, ist zum mindesten euphemistisch, denn eine Erw\u00e4hnung, dafs Stumpf (Tonpsychol. Bd. I.) im Beziehungsgesetz nicht weniger als f\u00fcnf heterogene und immer nur teilweise haltbare Behauptungen unterschieden hat, vermifst man \u2014 um so mehr nat\u00fcrlich jeden Versuch einer Entkr\u00e4ftigung dieses Vorwurfes.\nEs folgt der umfangreiche Abschnitt V. B. \u201eVorstellung\u201c (S. 161 bis 250); also Vorstellung hier in dem engeren Sinne der Phantasie- (im Gegensatz zur Wahrnehmungs-) Vorstellung verstanden. Der Verfasser hat bekanntlich diesem Kapitel besonders eingehende Untersuchungen gewidmet (Vierteljahresschr. /'. ivissensch. Fhilos. 18.. u. 14. Jahrg. \u201e\u00dcber Wiederkennen, Assoziation und psychische Aktivit\u00e4t.). Vieles von dem dort zuerst Mitgeteilten ist in die zweite Auflage erweiternd, \u00f6fters auch berichtigend gegen\u00fcber der ersten aufgenommen. Verfasser beginnt auch hier gleich mit seiner Theorie des \u201eunmittelbaren Wieder er kennens^ (wir lesen hier \u00f6fters Wieder er kennen im Unterschied von den genannten Abhandlungen in der Vierteljahresschrift, wo es \u00fcberall \u201eWiederkennen\u201c heifst). Es ist jedenfalls eine h\u00f6chst beachtenswerte und vom Verfasser richtig beobachtete Thatsache, die er in vielen Beispielen vorf\u00fchrt: \u201eEin einzelner Gesichtszug, ein Farbenton des Himmels, ein zuf\u00e4llig geh\u00f6rtes Wort k\u00f6nnen uns bekannt Vorkommen, ohne dafs wir im st\u00e4nde w\u00e4ren, oder sogar ohne dafs wir das Bed\u00fcrfnis f\u00fchlten, sie auf bestimmte fr\u00fchere Erlebnisse zur\u00fcckzuf\u00fchren. Sie erscheinen uns anders als ganz, neue Empfindungen (?). Sie haben ein anderes Gepr\u00e4ge. Ebenso, wenn wir nicht im st\u00e4nde sind, einen Kamen ins Ged\u00e4chtnis zur\u00fcckzuf\u00fchren, w\u00e4hrend wir bei dessen Kennung sogleich dar\u00fcber im reinen sind,- dafs| dieser der gemeinte war. Auch hier ist das Wiedererkennen unmittelbar, der Karne klingt uns unmittelbar bekannt. Der Unterschied zwischen dem, was uns als bekannt, vertraut, heimisch, und dem, was uns als neu und unbekannt erscheint, l\u00e4fst sich nicht n\u00e4her beschreiben. Ddeser Unterschied ist ebenso einfach und unmittelbar gegeben, wie der Unterschied zwischen Kot und Gelb oder zwischen Lust und Unlust. Wieder^","page":261},{"file":"p0262.txt","language":"de","ocr_de":"262\nBesprechungen.\nholte Empfindungen k\u00f6nnen\u2018sich uns mit einer eigent\u00fcmlichen Qualit\u00e4t\ndarstellen, die man Qualit\u00e4t der Bekanntheit nennen k\u00f6nnte, als\nG-egenteil der Qualit\u00e4t der Fremdheit\u201c. (S. 163).\u2014 Man sieht, dafs\nschon der Satz: diese \u201eQualit\u00e4t\u201c lasse sich \u201enicht n\u00e4her beschreiben\u201c,\neine bestimmte Theorie enth\u00e4lt; und in der That unternimmt es der\nVerfasser, die Thatsache trotz ihrer Unbeschreibbarkeit zu \u201eerkl\u00e4ren\u201c,\nwobei er findet, wir seien \u201ewie so oft hinsichtlich der physiologischen\nSeite der Sache g\u00fcnstiger gestellt als hinsichtlich der psychologischen\u201c.\nIn ersterer Hinsicht wird \u201edie Ab\u00e4nderung, welche die Empfindung\n\u2022 \u2022\ndurch Wiederholung erleidet, durch das Gesetz der \u00dcbung erkl\u00e4rt. Der einzige Unterschied (?) zwischen dem Bekannten und dem Neuen ist ja der, dafs jenes einem wiederholten, dieses einem neuen Eindruck entspricht\u201c. \u201eDas Wiedererkennen und die Bekanntheitsqualit\u00e4t entspr\u00e4chen... der Leichtigkeit, mit welcher verm\u00f6ge der erworbenen Disposition zu molekularen Umlagerungen . . . die Umlagerung bei Wiederholung des Eindrucks gesch\u00e4he\u201c. \u201eIn psychologischer Beziehung\u201c hat das unmittelbare Wieder er kennen etwas vom Charakter sowohl der Empfindung, wie der Vorstellung ('S. 164). \u201eDiese mittlere Stellung zwischen Empfindung und Vorstellung k\u00f6nnen wir theoretisch dadurch ausdr\u00fccken, dafs im Wieder er kennen sowohl ein Vorstellungs-als ein Empfindungselement vorhanden ist. Nennen wir letzteres A,\nerst er es a, so k\u00f6nnen wir das Wieder erkennen durch (A 4- a) oder\nausdr\u00fccken, indem wir durch die Klammer bezeichnen, dafs wir nur mittelst Abstraktion zwischen den beiden Elementen unterscheiden, die sich in der That nicht sondern lassen.\u201c \u2014 In der Vierteljahresschrift Jahrg. 13, ist S. 431 ff. n\u00e4heres zu lesen \u00fcber die \u201egr\u00f6fsere Leichtigkeit\u201c, mit welcher bei der Wiederholung der Zustand eintritt, die Molek\u00fcle seien \u201eleichter aus dem Gleichgewicht zu bringen\u201c (S. 432). Wenn es nun aber (ibid. S. 433) heifst: \u201eDas Wiedererkennen oder vielmehr die Bekanntheitsqualit\u00e4t bildet dann das psychologische Korrelat der gr\u00f6fseren Leichtigkeit, mit welcher eine \u00c4nderung in der Lagerung der betreffenden Hirnmolek\u00fcle hervorgebracht wird\u201c, so d\u00fcrfte gerade in dieser Behauptung eines \u201eKorrelates\u201c auffallend werden, wie ganz inkongruent die physiologische und psychologische Erkl\u00e4rung sind; denn wie soll ich von jener \u201eLeichtigkeit\u201c etwas wissen, wie soll ich mir vorstellen, dafs sie \u00fcberhaupt ins Bewufstsein falle, wenn nicht vorher gezeigt ist, ob und inwiefern es etwa in einem nicht physiologischen, sondern psychologischen Sinne schwer ist, \u00fcberhaupt zu einer Empfindung oder Vorstellung zu kommen? Erst a. a. 0., S. 444, findet sich, allerdings schon in anderem Zusammenh\u00e4nge, ein Satz, in dem von \u201eleichter\u201c auch in psychologischem Sinne die Rede ist, n\u00e4mlich: \u201eWenn ich ein gutes Buch zum zweiten Male lese, beruht der besondere Genufs (den man den Genufs des Wiedererkennens nennen kann) sicherlich nicht darauf, dafs ich ununterbrochen daran denke, was nun kommen wird, und fortw\u00e4hrend diese, nicht besonders zweckm\u00e4fsige Erwartung best\u00e4tigt sehe. Derselbe beruht dagegen darauf, dafs jeder einzelne sich darstellende Zug leichter in mein Bewufstsein hineinschl\u00fcpft","page":262},{"file":"p0263.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n263\noder in diesem mit der Qualit\u00e4t der Bekanntheit entsteht.\u201c Also hier w\u00e4re doch eine psychologische Beschreibung gegeben: \u201eMit der Bekanntschaftsqualit\u00e4t entstehen\u201c = \u201eleichter in das Bewufstsein hineinschl\u00fcpfen.\u201c Ob sich nur unter letzterem schon in der Beschreibung etwas sonderbar klingendem Vorg\u00e4nge noch etwas denken l\u00e4fst? Wenn nicht, so ist es f\u00fcr des Verfassers obige These, der Unterschied zwischen Bekannt und Unbekannt sei \u201eeinfach und unmittelbar\u201c, in einer Hinsicht gut; wie vertr\u00e4gt\u2019s sich aber dann mit der ebenfalls behaupteten \u201emittleren Stellung zwischen Empfindung und Vorstellung?\u201c Referent glaubte, diese Erage urgieren zu sollen, eben weil das Faktum an sich gewifs alle Beachtung verdient, und ferner, weil er (nach den in den Aufs\u00e4tzen \u00fcber \u201ePsychische Arbeit\u201c, diese Zeitschrift Bd. VIII, vertretenen Auffassungen) allem, bei dem ein psychisches \u201eLeichter\u201c und \u201eSchwerer\u201c in Betracht kommt, sozusagen aus pers\u00f6nlichem Interesse jede m\u00f6gliche Kl\u00e4rung w\u00fcnscht. Deshalb hier nur noch ganz kurz die Anregung: Durfte in einer Untersuchung \u00fcber \u201eWieder kennen\u201c und \u201eWieder erkennen\u201c das \u201eErkennen\u201c, zu dem doch sonst ein Urteil f\u00fcr ein wesentliches Erfordernis gilt, so ganz aus dem Spiele bleiben?\nBetreffs der sehr eingehenden Darstellung des Ineinandergreifens von \u201efreiem Vorstellungslauf, Wahrnehmung, gebundener Vorstellung, Empfindung\u201c, die (S. 170) durch die Schemata eines \u201ehorizontalen\u201c und eines \u201eaufw\u00e4rts gehenden Stromes\u201c dargestellt sind, sei auf das Buch selbst verwiesen.\nS. 181\u2014195 er\u00f6rtern die Ichvorstellung, wobei S. 185 eine \u201eformale\u201c und eine \u201ereale\u201c (gemeint ist eine inhaltliche) Einheit auseinandergehalten werden. \u2014 Es folgen interessante Mitteilungen \u00fcber Nachempfindungen, Fechners Erinnerungsnachbild (Verfasser f\u00fcgt den Begriff Erinnerungsnachbild eines Nachbildes bei, S. 196), Illusion, Halluzination, Pseudohalluzination (S. 198) u. s. f. Mit S. 208 beginnt eine ausf\u00fchrliche Theorie der Assoziation ebenfalls im Anschlufs an die angef\u00fchrten Untersuchungen in der Vierteljahresschrift. Es folgen: Einzelvorstellungen, Individualvorstellungen und G-emeinvorstellungen ; \u201eBildung freier konkreter Individual Vorstellungen (Phantasie)\u201c..\nIn V C. \u201eZeit und Raumauffassung\u201c h\u00e4lt der Verfasser \u201eeine Empfindung oder ein Gef\u00fchl, welches.. den verh\u00e4ltnism\u00e4fsig festen Hintergrund abgiebt, im Gegensatz zu welchem das Wechseln, die Succession deutlich hervortreten kann\u201c f\u00fcr \u201eeine notwendige Voraussetzung f\u00fcr das Entstehen der Zeitauffassung\u201c (S. 251). \u201eDie unmittelbare Auffassung des Unterschiedes oder Gegensatzes zwischen dem Konstanten und dem Wechselnden ist indessen nur eine Zeitempfindung (!), keine Zeitvorstellung (S. 252). Also doch wieder eine \u201eZur\u00fcckf\u00fchrung\u201c der Zeit auf psychologisch Andersartiges? Und zwar wieder eine \u201eEmpfindung\u201c definiert als \u201eAuffassung\u201c. Auch die immer wiederkehrende Behauptung, \u201edie Zeitvorstellung setzt also zweierlei voraus: 1. Das Bewufstsein der Ver\u00e4nderung, der Succession\u201c u. s. f. (S. 253) sollte doch einmal an der Analogie gepr\u00fcft werden, ob wir den Raum, genauer \u00f6rtliche Verschiedenheiten, nur vorzustellen verm\u00f6gen, wenn diese auch von qualitativen Verschiedenheiten begleitet sind. Indem der Verfasser sp\u00e4ter (S. 275 ff.) die Theorie der","page":263},{"file":"p0264.txt","language":"de","ocr_de":"264\n- Besprechungen.\nLokalzeichen annimmt (Stumpfs Einwendungen, zuletzt diese Zeitschrift TV. Bd. S. 70\u201473, sind nicht ber\u00fccksichtigt), w\u00e4re diese Frage freilich f\u00fcr ihn kein Bedenken. \u2014 Ferner (S. 259): \u201eEine absolut gleichm\u00e4fsige Zeit ist ein Ideal. Nur in der symbolischen Darstellung der Zeit als einer Linie ist absolute G-leichm\u00e4fsigkeit vorhanden.\u201c Heifst aber \u201egleichm\u00e4fsige Zeit\u201c \u00fcberhaupt etwas? Gleichf\u00f6rmig oder gleichm\u00e4fsig heifsen Bewegungen oder sonstige Ver\u00e4nderungen, wenn die Ver\u00e4nderungen des Zeitinhaltes, z. B. Ortsdistanzen, Steigerung der Tonintensit\u00e4t bei dem gleichm\u00e4fsigen Crescendo u. dergl., den Zeitstrecken proportional sind. Auch wieder ein bedenkliches Analogon zu den \u201eebenen und krummen B\u00e4umen\u201c. \u2014 In Sachen des Baumes (S. 260\u2014281) macht der Verfasser dem Nativismus einige freilich sehr verklausulierte Zugest\u00e4ndnisse. Ob z. B. folgendes eins sein soll, ist nicht ganz klar: \u201eNur bei zwei von unseren Sinnen, dem Gesichte und dem Gef\u00fchle (?), spielt die Baumform eine durchaus \u00fcberwiegende Bolle f\u00fcr uns; beim Geh\u00f6r, Geruch und Geschmack ist die Lokalisation nicht urspr\u00fcnglich vorhanden [also : bei jenen zwei ist sie urspr\u00fcnglich vorhanden?]; bei diesen haben wir nur mit der Deutlichkeit und Qualit\u00e4t der Empfindungen zu thun. Die eigentliche, bestimmte Baumanschauung ist.. an die Gesichtsempfindungen gekn\u00fcpft.\u201c \u2014 Dafs die Berichte \u00fcber operierte Blindgeborene, wie Stumpf gezeigt hat, viel mehr f\u00fcr als gegen den Nativismus beweisen, wird nicht beachtet. Der Satz S. 272 unten: \u201eauch hier kann ihm die Erfahrung des Tastsinnes geholfen haben\u201c, l\u00e4fst g\u00e4nzlich unklar, wie \u201edie \u00dcbersetzung aus dei Sprache des einen in die des anderen Sinnes\u201c zu erfolgen begonnen haben soll. Dem \u201eZugest\u00e4ndnisse, das hier dem Nativismus zu machen ist\u201c (S. 272), thut es keinen Abbruch, wenn \u201edie unmittelbare.. Fl\u00e4chenauff\u00e4ssung sehr undeutlich und leicht ab\u00e4nder lieh ist\u201c; vollends welcher Nativist verlangt, dafs \u201evon Anfang an das Baumverh\u00e4ltnis f\u00fcr sich allein aufgefafst werden k\u00f6nne\u201c (S. 273); und wenn es (S. 277) von der empiristischen oder (?) genetischen Theorie heifst, \u201eihre Hauptschwierigkeit liegt an dem Punkte, wo es angenommen wird, dafs der \u2022 \u2022\t_ __________\n\u00dcbergang aus der Beihe der Gesichts-, Ber\u00fchrungs- und Bewegungsempfindungen in die Auffassung des sinnlich Wahrgenommenen als eines Ausgedehnten stattfindet. Es tritt hier eine neue Qualit\u00e4t hinzu, die an keinem der Elemente vorausgesetzt wird und die die genetische Theorie nicht zu erkl\u00e4ren vermag\u201c \u2014 so ist hiermit eigentlich eingestanden, dafs sie nichts zu erkl\u00e4ren vermag, n\u00e4mlich eben das nicht, was die Nati-visten f\u00fcr wirklich urspr\u00fcnglich, f\u00fcr eigentliche Baumempfindung erkl\u00e4ren.\nIn D. : \u201eDie Auffassung des Wirklichen\u201c wird nach der Stellung des Problems, \u201ewie es zugeht, dafs das Bewufstsein in dem Inhalte seiner Empfindungen . . eine von ihm selbst unabh\u00e4ngige Wirklichkeit erblickt\u201c (-\u2014 wobei die doch vor allem n\u00f6tige Beschreibung, worin der \u201enaive Bealismus\u201c eigentlich besteht, ausf\u00fchrlicher sein k\u00f6nnte und das Betonen der unmittelbaren Existenzialurteile vermissen l\u00e4fst), eine Theorie des Kausalbegriffes und des Kausalsatzes gegeben (S. 291\u2014297); schliefslich wird \u201edie Frage nach den Grenzen der Erkenntnis\u201c unter Ausgehen vom Beziehungsgesetze in f\u00fcnf Punkten beantwortet.","page":264},{"file":"p0265.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n265\nDen Abschnitt YI \u201eDie Psychologie des Gef\u00fchles\u201c darf man wohl den gelungensten des ganzen Buches nennen. Hier hat der Verfasser Gelegenheit, die eingangs gew\u00fcrdigten Vorz\u00fcge seiner Darstellung besonders ausgiebig zu beth\u00e4tigen, indem es ja das Gef\u00fchl vor allen anderen Klassen seelischer Vorg\u00e4nge ist, welches dem naiven Interesse am n\u00e4chsten steht, wogegen f\u00fcr M\u00e4ngel in der Exaktheit die anerkannten Schwierigkeiten dieses Kapitels unter allen Umst\u00e4nden eine Entschuldigung bieten.\nIn A. \u201eGef\u00fchl und Sinnesempfindung\u201c formuliert der Verfasser die Aufgabe, \u201ezu zeigen, welchen Gesetzen gem\u00e4fs und auf welchen Wegen sich die h\u00f6heren Formen des Gef\u00fchlslebens aus den elementaren, an die unmittelbaren Sinnesempfindungen gekn\u00fcpften Gef\u00fchlen entwickeln\u201c (S. 304). Indem der Verfasser zu zeigen sucht, \u201ewie die verschiedenen Gef\u00fchle durch die verschiedenen Erkenntniselemente entstehen, die mit den Gef\u00fchlselementen verbunden werden\u201c (S. 304), scheint er in der brennenden Frage (die allerdings nicht ausdr\u00fccklich formuliert wird), ob es neben dem qualitativen Unterschiede von Lust und Unlust noch feinere Qualit\u00e4tsunterschiede der Gef\u00fchle gebe, f\u00fcr das Nein Stellung genommen zu haben. So S. 309: \u201eAls Gef\u00fchlselement betrachtet, ist der Schmerz einfach und bietet keine Verschiedenheit dar.\u201c \u2014 Bedenklich ist der Satz: \u201ewir haben hier ein Gef\u00fchl von unserer Existenz \u00fcberhaupt\u201c \u2014 \u201eLebensgef\u00fchl\u201c (S. 310); hierher gerechnet werden die \u201eGef\u00fchle\u201c von Kraft, Mattigkeit, Leichtigkeit, Freiheit, Unruhe, Angst, Hunger, Durst. Es folgen die einzelnen Sinnesgef\u00fchle.\nIn B. \u201eGef\u00fchl und Vorstellung\u201c (S.. 321 ff.) kommt der Verfasser auf die schon in IV aufgestellte These zur\u00fcck, \u201eals primitives Bewustseins-element ist das Gef\u00fchl schon gegeben, bevor Empfinden und Vorstellen irgendwelchen Einflufs aus\u00fcben k\u00f6nnen\u201c, was \u2014 von prinzipiell gegenteiligen \u00dcberzeugungen des Deferenten zu schweigen \u2014 schlecht zu obiger einleitender Formel von den \u201eelementaren, an die unmittelbaren Sinnesempfindungen gekn\u00fcpften Gef\u00fchlen\u201c und auch schlecht zu den .unmittelbar auf S. 321 folgenden Bestimmungen stimmt, wo gesagt wird: \u201eEs ist also nur eine Abstraktion, wenn wir von blofsen Gef\u00fchlen ohne jegliches Element der Erkenntnis reden\u201c. Wenn Verfasser wirklich dieser letzteren \u00dcberzeugung (die Deferent f\u00fcr die richtige h\u00e4lt) treu bliebe, wie d\u00fcrfte er wieder einige Zeilen sp\u00e4ter sagen: \u201eEin Gef\u00fchl der Lust oder Unlust wird naturgem\u00e4fs eine Assoziation mit der Vorstellung dessen eingehen, was beim Entstehen des Lust- oder Unlustgef\u00fchles eine Dolle zu spielen scheint, also der wirklichen oder anscheinenden Ursachen desselben, Bevor eine solche Assoziation eintritt, hat das Gef\u00fchl keine Dichtung oder kein Objekt, ist also nicht Gef\u00fchl an etwas oder f\u00fcr etwas.\u201c Nicht geringere theoretische Bedenken erweckt die (aus einem von Darwin entlehnten Beispiele \u00fcber Zorn-m\u00fctigkeit eines Kindes abgeleitete) These : \u201esobald das Gef\u00fchl wegen der Verbindung mit der Vorstellung von dessen Ursache einen bestimmten Gegenstand und eine bestimmte Dichtung erh\u00e4lt, nimmt der Zustand einen aktiven Charakter an, so dafs es unm\u00f6glich wird, Gef\u00fchle und Willen scharf zu sondern\u201c. Dieser These gem\u00e4fs ist es, dafs. zun\u00e4chst","page":265},{"file":"p0266.txt","language":"de","ocr_de":"266\nBesprechungen.\nInstinkt, Trieb und Begierde (Begehren) behandelt werden, was man, da der Verfasser von der Psychologie des Gef\u00fchles die des Willens trennt, wohl mehr in dieser als in jener suchen w\u00fcrde. (S. 442 sucht Verfasser diese Vorwegnahme zu rechtfertigen.) In der Frage nach einer Gef\u00fchlsassoziation : \u201eKann das Gef\u00fchlselement eines geistigen Zustandes das Gef\u00fchlselement eines anderen geistigen Zustandes anziehen, oder geschieht der \u00dcbergang stets durch Verbindung der Erkenntniselemente?\u201c (S. 331) entscheidet sich der Verfasser f\u00fcr das letztere. \u2014 Vhn S. 336, wo den angef\u00fchrten allgemeinen Theorien sogleich das aktuelle Problem von den \u201eegoistischen und sympathischen Gef\u00fchlen\u201c folgt, werden die Versuche \u201ealle Sympathie als verstohlene Eigenliebe zu erkl\u00e4ren,\u201c zur\u00fcckgewiesen, und Mutterliebe wie Geschlechtsliebe f\u00fcr unmittelbar altruistisch erkl\u00e4rt. \u2014 Bis zum Schl\u00fcsse des Abschnittes S. 423 findet sich jene F\u00fclle feiner und lebhafter Bemerkungen, welche die Lekt\u00fcre dieses Teiles zu einer so angenehmen machen. Man sehe S. 359 \u00fcber das Egoistische der Sentimentalit\u00e4t, S. 365 \u00fcber die Beziehungen zwischen ethischem und religi\u00f6sem Gef\u00fchle u. dergl. mehr.\nIn D. \u201eDie Physiologie und Biologie des Gef\u00fchles\u201c wird James\u2019 und Kabl Langes Umkehrung von Gef\u00fchl und Gef\u00fchls\u00e4ufserung zur\u00fcckgewiesen (S. 378) und Aristoteles\u2019 Theorie, dafs das \u201eLustgef\u00fchl an jede nat\u00fcrliche und normale Lebensth\u00e4tigkeit gekn\u00fcpft sei\u201c, als die \u201enoch jetzt gew\u00f6hnlichste und wahrscheinlichste\u201c bezeichnet.\nIn E. \u201eDie G\u00fcltigkeit des Beziehungsgesetzes f\u00fcr die Gef\u00fchle\u201c macht sich\u2019s der Verfasser nat\u00fcrlich ebenso leicht, wie sonst mit diesem seinen Lieblingsgesetze. Wenn es z. B. gleich nach der Kegel von der fortune physique und der fortune normale heifst: \u201eJedes Individuum hat an der Grundstimmung, die sein Leben beherrscht, einen praktischen Mafsstab, ein Niveau, welches seine Gef\u00fchle nur in einzelnen Augenblicken \u00fcbersteigen und unter welches sie ausnahmsweise sinken\u201c (S. 384), so spricht die ihr zugegebene M\u00f6glichkeit eines konstant bleibenden und doch gef\u00fchlten Gef\u00fchles denn doch viel mehr gegen, als f\u00fcr die Notwendigkeit solcher Beziehung. Freilich ist eine \u201eGrundstimmung\u201c eigentlich kein Gef\u00fchl, sondern eine Gef\u00fchlsdisposition (welchen Unterschied der Verfasser auch bei seinem Eintreten f\u00fcr objektlose Gef\u00fchle, \u201enat\u00fcrliche Keckheit und Angst\u201c, zu wenig beachtet hat) ; aber indem die angef\u00fchrte Stelle die Grundstimmung direkt in Vergleich zieht mit aktuellen Gef\u00fchlen, begiebt sich der Verfasser des Kechtes, sein Beziehungsgesetz gegen den angef\u00fchrten Einwurf gesichert zu halten.\nIm letzten Abschnitte : \u201eF. Der Einflufs des Gef\u00fchles auf die Erkenntnis\u201c (S. 411 ff.) folgen sehr gute und eingehende Unterscheidungen a) einer antizipierenden und realisierenden, b) einer idealisierenden Wirkung, c) eines anspornenden und anregenden Einflusses des Gef\u00fchles. Dafs Verfasser (S. 421) mit Wundt \u201edie Analogien der Empfindungen\u201c ganz auf die Gleichheit der Gef\u00fchlswirkung schiebt, ohne eine \u00c4hnlichkeit zwischen Empfindungsmerkmalen f\u00fcr sich anzuerkennen, l\u00e4fst gerade jene Gleichheit der Wirkung auf das Gef\u00fchl selbst unerkl\u00e4rt, ja w\u00fcrde sie geradezu unerkl\u00e4rlich machen.\nIn VII. \u201eDie Psychologie des Willens\u201c (S. 424-487) wird unter","page":266},{"file":"p0267.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n267\nA. \u201eDie Urspr\u00fcnglichkeit des Willens\u201c der Wille wieder (wie in\nAbschnitt IV) \u201eals die primitivste, oder als die am meisten zusammen-\n\u2022 *\ngesetzte und abgeleitete seelische Aufserung\u201c bezeichnet; letzteres, wenn man \u201eeinen Willen nur bei bewufster Wahl statuiert\u201c, ersteres, \u201ewenn man unter dem Willen alle bewufste Aktivit\u00e4t und hierin auch die mit der Empfindung und dem Gef\u00fchle verbundenen unwillk\u00fcrlichen (spontanen, reflektorischen und instinktiven) Handlungen zum Willen rechnet; letzterer Sprachgebrauch wird der nat\u00fcrlichere sein\u201c. Referent meint, dafs bei aller Definitionsfreiheit letztere Anwendung des Begriffes Wille ebenso gewifs zu weit, wie erstere zu eng w\u00e4re; insbesondere d\u00fcrfte geradezu eine Unbestimmtheit des vom Verfasser gegebenen Begriffes der \u201eAktivit\u00e4t\u201c hiermit verraten sein. \u2014 Nach Darstellung der \u201ephysiologischen Vorgeschichte des Willens\u201c (bis S. 430), wird wieder behauptet, \u201edafs das Beziehungsgesetz auf dem Gebiete des Willens G\u00fcltigkeit hat: jedes Wollen [trotz des obigen \u201enat\u00fcrlicheren\u201c Sprachgebrauches?] besteht in einem Vorziehen, beruht also auf einer Beziehung\u201c (S. 431). Nach Er\u00f6rterungen \u00fcber unwillk\u00fcrliche und willk\u00fcrliche Aufmerksamkeit wird ein \u201eSichanschicken oder inneres Vorbereiten\u201c, welches \u201esich nicht n\u00e4her beschreiben . . und sich nur durch unmittelbare Selbstbeobachtung erkennen l\u00e4fst\u201c, als \u201edas fundamentale Element im Bewufstsein einer willk\u00fcrlichen Bewegung\u201c bezeichnet. W\u00e4re es nicht zweckm\u00e4fsig, dieses Element mit einem besonderen Namen, etwa Begehren, zu versehen? Die eigentliche Aufgabe einer deskriptiven Psychologie des Willens, von der Referent bekennt, dafs sie ihm durch die \u00fcblichen synthetischen Darstellungen, wie aus dem Triebe u. dergl. der Wille hervorgeht, keineswegs befriedigend erledigt zu sein scheinen, best\u00e4nde dann darin, durch Determination dieses generellen Elementes \u201eBegehrung\u201c die einzelnen species: Wollen, W\u00fcnschen, Streben, Entschlufs u. s. f. zu definieren, oder, wenn das immer noch zu schwierig sein sollte, wenigstens diese species gegeneinander distinguierend abzugrenzen. Sehr brauchbare Beitr\u00e4ge zur L\u00f6sung dieser, wenn auch vom Verfasser nicht in dieser Weise ausdr\u00fccklich formulierten Aufgabe bringt der n\u00e4chste Abschnitt B : \u201eDer Wille und die anderen Bewufstseinselemente\u201c ; wertvoll, wenn nicht als definitive L\u00f6sungen, so doch als Anregungen zu fleifsiger Beobachtung der in Betracht zu ziehenden psychischen Einzelph\u00e4nomene. So wird z. B. der Wunsch (S. 446), der gew\u00f6hnlich \u00fcber dem vielen Reden von Trieben u. dergl. dem eigentlichen Wollen gegen\u00fcber zu kurz kommt, in einigen, allerdings kurzen und nicht ganz einheitlichen Bestimmungen zur Sprache gebracht. Es folgen Er\u00f6rterungen \u00fc^>er Vorsatz und Entschlufs (S. 448) und \u00fcber die Wahl (S. 450), wobei die Gleichstellung, \u201edie Wahl heifst auch Entschlufs\u201c, schwerlich mit dem Sprachgebrauche stimmt. S. 461 wird der Entschlufs zutreffender beschrieben als \u201eAbschlufs der ganzen bewufsten Debatte\u201c. Was dazwischen, z. B. \u00fcber die R\u00fcckwirkung des Willens auf das Gef\u00fchl, \u00fcber die Kunst der Selbstbeherrschung (S. 453), \u00fcber die M\u00f6glichkeit, den eigenen Willen zu wollen u. dergl., gesagt wird, darf als wirkliche Seelenkunde im praktischen Sinne bezeichnet werden; so auch in der Analyse Hamlets (S. 460) \u201edas Problem, ob sich anstatt der verlorenen Sicherheit eine","page":267},{"file":"p0268.txt","language":"de","ocr_de":"268\nBesprechungen.\nneue erwerben l\u00e4fst\u201c. Um so bedenklicher sind gleich wieder die folgenden theoretischen Antworten auf die Frage, \u201ewoher wir wissen, dafs wir wollen\u201c (S. 462). \u201eWas wir in unserem Bewufstsein erfahren, wenn wir wollen, das l\u00e4fst sich bei n\u00e4herer Untersuchung auf Elemente der Erkenntnis und des Gef\u00fchles zur\u00fcckf\u00fchren.\u201c Auf die Frage: wie unterscheiden wir den Wunsch von dem Entschlufs? wird geantwortet: \u201eTn der Praxis verlassen wir uns hier auf unsere unmittelbaren Gef\u00fchle (?) .. Wir k\u00f6nnen hier nur bis zu einem praktischen Glauben an uns selbst gelangen, der sich auf unsere Selbsterfahrung und die Kenntnis unseres Charakters st\u00fctzt. Jedenfalls ziehen wir einen Schlufs, der keine unmittelbare Thatsache ist .\t(S. 464). Hat der Verfasser hier auseinander-\ngehalten: einerseits den deskriptiven Unterschied zwischen W\u00fcnschen und Wollen, falls je ein Ph\u00e4nomen der einen und der anderen Art fertig vor unserer inneren Wahrnehmung (genauer: der auf das j\u00fcngst vergangene Ereignis zur\u00fcckschauenden frischen, an Frische einem Erinnerungsnaehbilde \u00e4hnlichen psychologischen Erinnerung) vorliegt ; und andererseits den oft, z. B. von Schopenhauer, beschriebenen F\u00e4llen, wo zwischen Entschlufs und Ausf\u00fchrung noch ein Zeitintervall liegt, w\u00e4hrenddessen sich freilich an den Teilbedingungen f\u00fcr das im Augenblicke der Ausf\u00fchrung noch einmal einsetzende Wollen schon wieder etwas ge\u00e4ndert haben kann? F\u00fcr den letzteren Fall kann freilich auch die Erkenntnistheorie nichts als einen Schlufs, und zwar einen Kausal- und daher nur Wahrscheinlichkeitsschlufs garantieren. Beweist das aber etwas gegen die L\u00f6sbarkeit der ersteren deskriptiven Aufgabe?\nIm Schlufskapitel C. \u201eDer individuelle Charakter\u201c wird letzteres Wort so allgemein genommen, dafs z. B. auch die Temperamente zur Sprache kommen. Indem der Verfasser drei Gegens\u00e4tze: Lust\u2014Unlust, St\u00e4rke \u2014 Schw\u00e4che, Geschwindigkeit \u2014 Langsamkeit einf\u00fchrt, erh\u00e4lt er acht Temperamente. Dafs hierbei in den vier herk\u00f6mmlichen sich die Merkmalspaare d\u00fcster\u2014stark, bezw. hell\u2014schwach jedesmal zusammen-finden, h\u00e4tte die Frage nahe legen k\u00f6nnen, ob es sich hier nicht doch um einigermafsen konsekutive Merkmale statt ganz unabh\u00e4ngig variabler handle. Nat\u00fcrlich wird die Frage der Erblichkeit er\u00f6rtert; \u201ean den physischen, sozialen und angeerbten Verh\u00e4ltnissen haben wir die Elemente, aus denen der Bau der Individualit\u00e4t von vornherein aufgef\u00fchrt wird\u201c; aber \u201edie Forschung kann und mufs gestehen (S. 483), dafs es ihr nicht gelingt, bei dem Individuellen den T\u00fcttel \u00fcber das Jota zu setzen, dafs es hier stets etwas giebt, das ihr entschl\u00fcpft, \u2014 dafs die Individualit\u00e4t deshalb als eine irrationale Gr\u00f6fse erscheint, die sich nur ann\u00e4hernd bestimmen l\u00e4fst\u201c (S. 484). \u201eSpencers Theorie erinnert an Platos mystische Lehre von der Erkenntnis als der Erinnerung aus der Pr\u00e4existenz\u201c (S. 486). Was zum Schl\u00fcsse des Buches als \u201eerkenntnis-theoretische Schranke der Entwickelungshypothese\u201c bezeichnet wird, d\u00fcrfte wohl wieder auf einer Verwechselung beruhen (S. 487): \u201eDie letzten Prinzipien, zu denen uns die Analyse unserer Erkenntnis f\u00fchrt, sind auch die letzten Voraussetzungen, zu denen wir gelangen k\u00f6nnen. Alle Erkl\u00e4rungen, Beweise und Hypothesen \u2014 also auch die Entwickelungshypothese selbst \u2014 st\u00fctzen sich auf dieselben. Aber doch wohl nur die Hypothese betreffs der Ent-","page":268},{"file":"p0269.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n269\nWickelung, nicht die Entwickelung selbst, falls die Hypothese, welche eine solche nicht als einen G-edanken, sondern als ein Weltprinzip aufstellt, recht hat. \u2014 \u2014\nReferent hat die immer undankbare Aufgabe des Heraushebens von Stellen, die ihm angreifbar scheinen, nicht umgehen wollen, da die zweite gegen\u00fcber der ersten Auflage in der That viele Ver\u00e4nderungen aufweist, von denen der Verfasser zum Teil selbst ausweist, dafs sie in Ber\u00fccksichtigung von Kritiken erfolgt sind. Oh es freilich dem Verfasser passen wird, bei einer sicher zu hoffenden weiteren Auflage auch auf die mehrfach prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten R\u00fccksicht zu nehmen, h\u00e4lt Referent bei der nur andeutenden Begr\u00fcndung seiner Gegenthesen f\u00fcr kaum wahrscheinlich. Um so mehr sei noch einmal auf die eingangs erw\u00e4hnten Vorz\u00fcge des Buches hingewiesen, und zwar jetzt nicht, um das Buch zu loben (\u2014 dafs sich z. B. Heinzes Empfehlung, es\nsei \u201eeines der brauchbarsten psychologischen Lehrb\u00fccher neuerer Zeit\u201c \u2022 * ________________\n[\u00dcberweg, Gesch. d. Philos. 7. Aufl. 3. Bd. S. 535], als wirksam erweist, habe ich k\u00fcrzlich an einem konkreten Falle im akademischen Unterrichte zu erfahren Gelegenheit gehabt), sondern um angesichts anderer neuerer und neuester Erscheinungen, z. B. K\u00fclpes Buch, zu betonen, dafs, wo H\u00f6feding mit seinen psychologisch interessanten Beispielen aus dem Leben, der Dichtung u. s. f. weit \u00fcber das hinausgeht, was man im Augenblicke als exakte Psychologie gelten l\u00e4fst, f\u00fcr diese selbst dennoch weitere Aufgaben bezeichnet sind, die nicht aus dem Auge zu verlieren und am allerwenigsten einfach wegzuleugnen, mit zu den Verpflichtungen eben der Exaktheit geh\u00f6rt. Wenn H\u00f6ffding nicht wenig Krummes gerade sein l\u00e4fst, so wird doch diese, der Theorie wohl f\u00fcr immer inkommensurabel bleibende Psychologie des wirklichen Lebens seitens der Theorie als ein Gegebenes anzuerkennen sein, der sich die Exaktheit ohne Ende, asymptotisch, zu n\u00e4hern immer wird trachten m\u00fcssen. Umkehren, wie vielleicht mancher gern m\u00f6chte, l\u00e4fst sich das Gleichnis nun einmal nicht: denn das Leben wird hoffentlich nie ein Bed\u00fcrfnis sp\u00fcren, sich der starren Geraden, genannt \u201eexakte Psychologie\u201c, zu \u201en\u00e4hern\u201c \u2014 nicht einmal \u201eohne Ende\u201c.\tA. H\u00f6fler (Wien).\nTheobald Ziegler. Das Gef\u00fchl. Eine psychologische Untersuchung. Stuttgart, G\u00f6schen 1893. 328 S.\nVerfasser sagt im Vorwort: \u201eDie Psychologie hat neben ihrer streng wissenschaftlichen Seite von Haus aus auch einen Zug zum Popul\u00e4ren und allgemein Menschlichen. Ich f\u00fcrchte denselben nicht und meide darum auch nicht den b\u00f6sen Schein. Und so habe ich f\u00fcr diese Untersuchung eine allgemein verst\u00e4ndliche Sprache gew\u00e4hlt, es im \u00fcbrigen den verschiedenen Seiten meines Gegenstandes \u00fcberlassend,, ob sie eine strengere oder laxere Behandlung fordern und ertragen. Die Einheitlichkeit der Darstellung im ganzen sollte dar\u00fcber, denke ich, doch nicht in die Br\u00fcche gegangen sein.\u201c\nAlso nach des Verfassers eigener Absicht eine Arbeit gleichen Charakters auf monographischem Boden, wie nach dem in der vorstehenden Anzeige begr\u00fcndeten Gesamteindruck das H\u00f6FFDiNGSche Buch","page":269}],"identifier":"lit29694","issued":"1896","language":"de","pages":"256-269","startpages":"256","title":"Harald H\u00f6ffding: Psychologie in Umrissen auf Grundlage der Erfahrung. Zweite deutsche Ausgabe, unter Mitwirkung des Verfassers nach der vielfach ge\u00e4nderten dritten d\u00e4nischen Ausgabe \u00fcbersetzt von F. Bendixen, Gymnasiallehrer. Leipzig, Fues' Verlag (R. Reisland). 1893. 500 S.","type":"Journal Article","volume":"9"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:19:48.804563+00:00"}