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{"created":"2022-01-31T14:28:39.616864+00:00","id":"lit29695","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"H\u00f6fler, A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 9: 269-275","fulltext":[{"file":"p0269.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n269\nWickelung, nicht die Entwickelung selbst, falls die Hypothese, welche eine solche nicht als einen G-edanken, sondern als ein Weltprinzip aufstellt, recht hat. \u2014 \u2014\nReferent hat die immer undankbare Aufgabe des Heraushebens von Stellen, die ihm angreifbar scheinen, nicht umgehen wollen, da die zweite gegen\u00fcber der ersten Auflage in der That viele Ver\u00e4nderungen aufweist, von denen der Verfasser zum Teil selbst ausweist, dafs sie in Ber\u00fccksichtigung von Kritiken erfolgt sind. Oh es freilich dem Verfasser passen wird, bei einer sicher zu hoffenden weiteren Auflage auch auf die mehrfach prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten R\u00fccksicht zu nehmen, h\u00e4lt Referent bei der nur andeutenden Begr\u00fcndung seiner Gegenthesen f\u00fcr kaum wahrscheinlich. Um so mehr sei noch einmal auf die eingangs erw\u00e4hnten Vorz\u00fcge des Buches hingewiesen, und zwar jetzt nicht, um das Buch zu loben (\u2014 dafs sich z. B. Heinzes Empfehlung, es\nsei \u201eeines der brauchbarsten psychologischen Lehrb\u00fccher neuerer Zeit\u201c \u2022 * ________________\n[\u00dcberweg, Gesch. d. Philos. 7. Aufl. 3. Bd. S. 535], als wirksam erweist, habe ich k\u00fcrzlich an einem konkreten Falle im akademischen Unterrichte zu erfahren Gelegenheit gehabt), sondern um angesichts anderer neuerer und neuester Erscheinungen, z. B. K\u00fclpes Buch, zu betonen, dafs, wo H\u00f6feding mit seinen psychologisch interessanten Beispielen aus dem Leben, der Dichtung u. s. f. weit \u00fcber das hinausgeht, was man im Augenblicke als exakte Psychologie gelten l\u00e4fst, f\u00fcr diese selbst dennoch weitere Aufgaben bezeichnet sind, die nicht aus dem Auge zu verlieren und am allerwenigsten einfach wegzuleugnen, mit zu den Verpflichtungen eben der Exaktheit geh\u00f6rt. Wenn H\u00f6ffding nicht wenig Krummes gerade sein l\u00e4fst, so wird doch diese, der Theorie wohl f\u00fcr immer inkommensurabel bleibende Psychologie des wirklichen Lebens seitens der Theorie als ein Gegebenes anzuerkennen sein, der sich die Exaktheit ohne Ende, asymptotisch, zu n\u00e4hern immer wird trachten m\u00fcssen. Umkehren, wie vielleicht mancher gern m\u00f6chte, l\u00e4fst sich das Gleichnis nun einmal nicht: denn das Leben wird hoffentlich nie ein Bed\u00fcrfnis sp\u00fcren, sich der starren Geraden, genannt \u201eexakte Psychologie\u201c, zu \u201en\u00e4hern\u201c \u2014 nicht einmal \u201eohne Ende\u201c.\tA. H\u00f6fler (Wien).\nTheobald Ziegler. Das Gef\u00fchl. Eine psychologische Untersuchung. Stuttgart, G\u00f6schen 1893. 328 S.\nVerfasser sagt im Vorwort: \u201eDie Psychologie hat neben ihrer streng wissenschaftlichen Seite von Haus aus auch einen Zug zum Popul\u00e4ren und allgemein Menschlichen. Ich f\u00fcrchte denselben nicht und meide darum auch nicht den b\u00f6sen Schein. Und so habe ich f\u00fcr diese Untersuchung eine allgemein verst\u00e4ndliche Sprache gew\u00e4hlt, es im \u00fcbrigen den verschiedenen Seiten meines Gegenstandes \u00fcberlassend,, ob sie eine strengere oder laxere Behandlung fordern und ertragen. Die Einheitlichkeit der Darstellung im ganzen sollte dar\u00fcber, denke ich, doch nicht in die Br\u00fcche gegangen sein.\u201c\nAlso nach des Verfassers eigener Absicht eine Arbeit gleichen Charakters auf monographischem Boden, wie nach dem in der vorstehenden Anzeige begr\u00fcndeten Gesamteindruck das H\u00f6FFDiNGSche Buch","page":269},{"file":"p0270.txt","language":"de","ocr_de":"270\tBesprechungen.\nhinsichtlich des Gesamtgebietes der Psychologie. N\u00e4her l\u00e4fst sich Zieglers \u201eGef\u00fchl\u201c charakterisieren durch den Vergleich mit dem \u201eliebensw\u00fcrdigen B\u00fcchlein von Nahlowsky\u201c: beide Monographien \u00fcber das Gef\u00fchl stecken sich ganz \u00e4hnliche Ziele in Gegenstand, Umfang und Darstellung. Aber Zieglers Buch macht recht auffallend f\u00fchlbar, wie sich doch der Inhalt unserer Wissenschaft \u2014 der man die F\u00e4higkeit stetigen Fortschreitens oder \u00fcberhaupt Vomfleckkommens so oft und laut abspricht \u2014, und wohl auch unser Geschmack an psychologischen Dingen binnen weniger Jahrzehnte ganz auffallend ge\u00e4ndert haben. Dafs dabei der Geschmack des Verfassers noch immer nicht der allermodernste ist, zeigt der Kontrast gegen Lehmanns kurz vorher erschienenes \u201e Gef\u00fchlsleben\u201c, gegen dessen exakte Art Verfasser sich ziemlich reserviert verh\u00e4lt, wie auch schon der Vorbehalt gegen Fechners \u201eExperimentale \u00c4sthetik\u201c und \u00fcberhaupt gegen den \u201enaturwissenschaftlichen Betrieb der Psychologie\u201c (S. 11) h\u00e4tte erwarten lassen.\nIn I. \u201eDas Bewufstsein\u201c (S. 20\u201478) giebt Verfasser eine Art allgemeiner Psychologie : \u201e1. Einige historische Bemerkungen zur Lehre vom Bewufstsein; 2. Begriff des Bewufstseins ; 3. das physiologische non liquet; 4. die Enge des Bewufstseins, 5. Apperzeption und Aufmerksamkeit; 6. Gewohnheit und Erm\u00fcdung; 7. das Selbstbewufstsein.\u201c Den Er\u00f6ffnungsworten: \u201eAlles Psychische ist Bewufstseinsph\u00e4nomen; das Bewufstsein ist somit das Grundph\u00e4nomen der Psychologie. Darum hat man, ob man nun die Psychologie als Ganzes darstellen oder eine psychische Erscheinung f\u00fcr sich herausheben will, mit dem Bewufstsein zu beginnen\u201c \u2014 verm\u00f6chte Deferent weder nach seiner eigenen Stellung zum Begriffe des Bewufstseins beizustimmen, noch w\u00e4re solches Voranstellen f\u00fcr den Verfasser unvermeidlich, da er ja wenigstens als die eine von drei1 Bedeutungen des Wortes Bewufstsein den \u201ezeitweiligen Zustand der Seelenprozesse, durch den sie . . bewufst . . werden, das Hell- und Klarsein dieser Prozesse\u201c (S. 29) nicht in Abrede stellt. Das eigentliche Motiv f\u00fcr jene Anordnung scheint vielmehr die \u00dcberzeugung des Verfassers gewesen zu sein, dafs es \u201enicht in erster Linie Vorstellungen sind, die das Bewufstsein ausmachen, sondern . . Gef\u00fchle\u201c (S. 57). Desgleichen ausf\u00fchrlicher (S. 65): \u201eWorin steckt bei der Empfindung das Ich, wodurch wird sie meine Empfindung? Wodurch anders, als durch das Gef\u00fchlsm\u00e4fsige daran, den sog. Gef\u00fchlston? Dieser\n1 Nach Horwicz (S. 29). \u2014 Verfasser selbst unterscheidet: 1. Den Zustand oder die Eigenschaft des seelischen Vorganges, wodurch (?) derselbe als bewufster bezeichnet (?) wird \u2014 die Bewufstheit, das Bewufstsein, das passive, oder, wie man nicht \u00fcbel gesagt hat, das adjektivische Bewufstsein; den Gegensatz dazu bildet das Unbewufste als ein nicht zum Bewufstsein kommendes. 2. Den Zustand oder die Th\u00e4tigkeit des Subjektes, wodurch der seelische Vorgang seine Eigenschaft erh\u00e4lt, die das Bewufstsein hervorrufende Funktion des Subjektes \u2014 Bewufstsein im engeren Sinne, aktives Bewufstsein; der Gegensatz dazu ist die Bewufstlosigkeit, sei es als eine allgemeine Eigenschaft ganzer Klassen von Wesen, denen die F\u00e4higkeit, sich einer Sache bewufst zu werden, \u00fcberhaupt abgeht, oder als vor\u00fcbergehender Zustand der mit Bewufstsein begabten Wesen, in dem jene F\u00e4higkeit latent bleibt, jene F\u00e4higkeit und Funktion ruht\u201c (S. 30).","page":270},{"file":"p0271.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen-,\n271\nbesteht eben darin, wie ich von dem Reiz afifiziert werde, in der Lust, die denselben in mir hervorruft, in der Unlust oder dem Schmerz, den er mir verursacht, in dem Werte, den er f\u00fcr mich hat. Dasselbe also, was die Empfindung zu einer bewufsten macht, ihre Apperzeption bewirkt, das Gef\u00fchl als k\u00f6rperliches, macht sie zu meiner Empfindung.\u201c Abgesehen von den bedenklich geh\u00e4uften Bestimmungen: ob man nicht ebensogut weiter fragen k\u00f6nnte: was macht mein Gef\u00fchl zu meinem Gef\u00fchl? Immerhin h\u00e4tte Verfasser zu Gunsten seiner Lehre Lotze {Diktate aus den Vorlesungen \u00fcber Psychologie, 1. AufL S. 47) anf\u00fchren k\u00f6nnen.\nAuf II. \u201eDie k\u00f6rperlichen Gef\u00fchle\u201c (S. 75\u201498) folgt in III. \u201eDas Wesen des Gef\u00fchls\u201c eine Kritik der verschiedenen Antworten auf die Frage: Was ist ein Gef\u00fchl? wobei die Antwort des Verfassers lautet (S. 106): \u201eLust ist die psychische Seite, die Innenseite oder Begleiterin des Lebens, d. h. die Beth\u00e4tigung des Verm\u00f6gens, jedem als neu, als Kontrast auf tretenden Reiz gegen\u00fcber durch Gew\u00f6hnung und Assimilation sich selbst zu behaupten ; Unlust dagegen entspricht psychisch dem Mangel an solcher Beth\u00e4tigung.\u201c F\u00fcr die \u201eEinteilung der Gef\u00fchle\u201c ergiebt sich folgendes Schema (S. 113 u. 114):\nI. Die Gef\u00fchle nach ihrer qualitativen Verschiedenheit:\na) k\u00f6rperlich-sinnliche; b) \u00e4sthetische; c) intellektuelle; d) sittliche; e) religi\u00f6se.\nII. Der Gef\u00fchlsverlauf:\na) die Gef\u00fchle im engeren Sinne nach ihrem Verlaufe betrachtet ... ; b) Affekte ; c) Stimmungen.\nIn IV. \u201eDas Gef\u00fchlsleben im einzelnen\u201c (S. 115\u2014212) verweist Verfasser unter a) \u201ek\u00f6rperlich sinnliche Gef\u00fchle\u201c zur\u00fcck1 auf Abschnitt II. Aus diesem sei des Verfassers Stellungnahme zu den Theorien der Konsonanz2 von Helmholtz und Wundt (S. 91) erw\u00e4hnt. Wundts Lehre von der Klangverwandtschaft \u201ereduziert die ganze Annehmlichkeit und das Wohlgefallen am Harmonischen auf die St\u00e4rke (?)\u201c .. Den Mangel an\n1\tDa der Verfasser dieses Durchbrechen seiner eigenen Einteilung einer ziemlich ausf\u00fchrlichen und doch, wie es scheint, ihn selbst nicht ganz \u00fcberzeugenden Motivierung bed\u00fcrftig h\u00e4lt, so ist es nicht recht klar, warum er mit dem Eingestehen und Entschuldigen des \u201eKompositionsfehlers\u201c gar noch einen Ausfall auf \u201edie kritischen Walfische\u201c verbindet. Nicht aus dem Walfischbewufstsein heraus, sondern weil angesichts des Zweckes der Arbeit auch irgend etwas \u00fcber den Geschmack der Darstellung gesagt werden mufs, sei bemerkt, dafs der Ausfall von der \u201eTonne f\u00fcr unsere kritischen Walfische\u201c selbst f\u00fcr eine Tonne etwas zu wenig zierlich, weil vor allem zu l\u00e4nglich, ausgefallen ist. \u2014 Von sonstigen gelegentlichen Divergenzen zwischen dem Geschmack des Verfassers und dem des Referenten soll nat\u00fcrlich weiter nicht die Rede sein.\n2\tDas Physikalische an der Darstellung bed\u00fcrfte einiger Berichtigungen. Z. B.: \u201eL\u00e4fst man zu gleicher Zeit zwei T\u00f6ne . . erklingen\u201c u. s. f. und: \u201eTreffen dagegen bei ungleichem Anf\u00e4nge\u201c u. s. f. will sagen \u2014 sagt es aber nat\u00fcrlich nicht \u2014, dafs die Schwingungen beider T\u00f6ne mit einem Wellenberge oder \u00fcberhaupt mit gleicher Phase anfangen m\u00fcssen. \u2014 Ebenso (S. 92): \u201eSo heifsen wir ein Instrument verstimmt, wenn die Grundt\u00f6ne mit den Obert\u00f6nen .. \u201eSchwebungen bilden\u201c. W\u00fcrden wir ein Instrument, das keine reinen Intervalle aufweist, nicht","page":271},{"file":"p0272.txt","language":"de","ocr_de":"272\nBesprechungen.\nHelmholtz\u2019 Theorie, dafs nur das Fehlen der Unlust positiv erkl\u00e4rt sei, glaubt Verfasser dadurch erg\u00e4nzen zu k\u00f6nnen, dafs \u201eim Gegensatz zur Unlust und Pein (der fast ununterbrochen unser Ohr treffenden Ger\u00e4usche) die nicht intermittierenden T\u00f6ne, welche unserem Nervensystem das Analysieren zum erfreulichen Spiel machen, positiv angenehm, d. h. harmonisch empfunden werden.\u201c\nIV. b), \u201eDie \u00e4sthetischen Gef\u00fchle\u201c, bringt eine Reihe sehr h\u00fcbscher Analysen im einzelnen, nachdem im allgemeinen die \u201eFormal\u00e4sthetik\u201c abgelehnt ist. \u201eDen Sinnenreiz vom \u00c4sthetischen ausschliefsen zu wollen, ist eitel Pr\u00fcderie\u201c (S. 118). Ebensowenig wird \u201edie Lehre von dem rein uninteressierten oder interesselosen Wohlgefallen\u201c acceptiert. Hier stimmt Referent in der Sache zu, nicht aber betreffs der Verwendung des Terminus \u201eInteresse\u201c, welches Wort bei aller Vielseitigkeit der Verwendung von der Sprache doch unverkennbar genug auf eine gewisse Klasse von Urteilsgef\u00fchlen gem\u00fcnzt ist (man vergleiche z. B. die seither erschienenen psychologisch-ethischen Untersuchungen zur Werttheorie von Meinono). \u2014 Eine bedeutende Rolle r\u00e4umt hier (S. 124) und sonst allenthalben (z. B. S. 67, 126, 128, 139, 188, 190, 821) der Verfasser dem ViscHERschen Begriff der \u201eEinf\u00fchlung\u201c zu. Es folgen Er\u00f6rterungen \u00fcber das Erhabene (S. 132\u2014136), das Tragische (bis S. 142) und das Komische.\nIn IV. c) \u201eDie intellektuellen Gef\u00fchle\u201c finden sich einige theoretisch bedenkliche Thesen, z. B. : \u201eAuf seiner untersten Stufe als Empfindung w\u00e4chst das Erkennen ganz direkt aus dem Gef\u00fchle heraus\u201c (S. 148). \u201eZahnweh z. B. l\u00e4fst sich nicht erinnern, und wer das Gegenteil behauptet, verwechselt ohne Zweifel das Dafs mit dem Was\u201c. W\u00e4re es so, wie h\u00e4tte dann S. 115 verlangt werden k\u00f6nnen, man m\u00fcsse \u201eFarbe und Inhalt\u201c jedes Gef\u00fchles selber \u201enachf\u00fchlen\u201c \u2014 was ja doch auch bei Zahnweh, z. B., wenn man es als psychologisches Beispiel anf\u00fchrt, wenigstens nicht v\u00f6llig mifslingt. Es folgen Angaben \u00fcber den Einflufs des Gef\u00fchles auf die Phantasie (wo die Benutzung von Oelzelts inhaltsreicher Arbeit sich empfohlen h\u00e4tte) und auf das Denken. \u201eDie moderne Logik hat im Urteilen ein emotionelles Element entdeckt\u201c (S. 159). \u2014 Referent m\u00f6chte sagen: sie versucht, einen alten Irrtum Humes aufzuw\u00e4rmen. \u2014 Um so besser sind die Analysen der verschiedenartigen Freude, welche systematische, dogmatische, skeptische Naturen am Erkennen finden, die Analyse der Neugierde (S. 163) u. dergl. m.\nIn IV. d) \u201eDie sittlichen Gef\u00fchle\u201c m\u00f6chte Verfasser auf die Frage \u201eWas nennen wir nun eigentlich sittlich\u201c kurz antworten: \u201eIm Gegens\u00e4tze zu dem Egoistischen das Selbstlose\u201c (S. 166). Er wird aber mit der\nauch schon \u201everstimmt\u201c heifsen, wenn wir auf ihm einstimmige Melodien zu spielen versuchen und statt der erwarteten Ganzt\u00f6ne, Quinten u. s. f. lauter entstellte Intervalle, aber nat\u00fcrlich keine Spur von Schwebungen h\u00f6rten? Stumpes \u201eVerschmelzungstheorie\u201c wird von einem solchen Ein-wande nicht getroffen \u2014 freilich auch nur dann, wenn der Begriff der Verschmelzung nicht ausschliefslich auf gleichzeitige T\u00f6ne gegr\u00fcndet wird, wie es den Anschein hat, nach der gegenw\u00e4rtigen Einf\u00fchrung des Begriffes (im II. Bande der Tonpsychologie, der nur von gleichzeitigen T\u00f6nen handelt).","page":272},{"file":"p0273.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n273\nEgoismustheorie nicht recht fertig, So soll \u201edas Gef\u00fchl der Mutter f\u00fcr das (noch ungeborene) Kind erst einem Teil und St\u00fcck von ihr seihst gelten\u201c und \u201edamit noch egoistisch\u201c sein. Aber liebt wirklich die hoffende Mutter das Ungeborene als einen Teil von ihr? Wie viel weniger mufs es wahr sein, dafs nach der Geburt \u201edas Gef\u00fchl der Liebe an ihm haften bleibe... und sich s o auf ein zweites, ein anderes erstrecke\u201c (S. 167). Ebenso soll daf\u00fcr, \u201edafs Mitleid weit h\u00e4ufiger ist, als Mitfreude\u201c, \u201eder Grund kein anderer\u201c sein, \u201eals dafs jenes dem Egoismus mehr zusagt, als dieses\u201c (S. 168). Sonderbar: Leid mehr zusagt, als Freude? \u201ePsychologisch betrachtet, ist der Eud\u00e4monismus ebenso unbestreitbar, als berechtigt\u201c (S. 171). Seit wann fragt die Psychologie nach \u201eberechtigt\u201c? \u2014 Sehr gute Bemerkungen dagegen \u00fcber Eitelkeit, Hochmut, Scham (S. 172), Ehrgef\u00fchl, \u201eHerrschafts- und Knechtsgef\u00fchl\u201c (S. 180).\nIn IV e) \u201eHie religi\u00f6sen Gef\u00fchle\u201c l\u00e4fst Verfasser Schleiermachebs \u201eGef\u00fchl Schlechthinniger (schauerliches Wort! Ref.) Abh\u00e4ngigkeit\u201c nur \u201eals die H\u00e4lfte . . allerdings die erste H\u00e4lfte\u201c (S. 183) der Religion \u00fcberhaupt gelten. \u201eAus der Furcht und Gebundenheit in die Sicherheit und Freiheit, aus der Enge in die Weite, \u00fcber die Kleinheit hinweg ins Grofse, das ist die Sehnsucht, die wir gerade in jenen Momenten der Nichtigkeit und Endlichkeit f\u00fchlen\u201c (S. 185). Sch\u00f6n, aber dies soll nun das Ganze sein? Sonderbar \u2014 von einer Liebe zu Gott weifs der Verfasser nur zu berichten in den ungesunden Formen, die sie als Mystizismus angenommen hat (S. 191). Hier k\u00f6nnte in M\u00f6rickes \u201eNeue Liebe11 (ferner: \u201eWo find ich lrostu und manchem anderen) wahrlich nicht \u201eder Kom\u00f6diant den Pfarrer\u201c, wohl aber der Pfarrer-Dichter den Religionsphilosophen lehren. Vielleicht ist dieses Zur\u00fcckstellen der Gottesliebe eine Konsequenz folgender erkenntnis - theoretischer Thesen : \u201eHie Welt ist meine Vorstellung, Bewufstseinsinhalt ist alles; aber aus Empfindung und Vorstellung schafft sich der Geist eine Aufsenwelt, indem er hinaus verlegt, was in ihm ist, die Empfindungen auf Hinge draufsen projiziert. Von diesem Objektivierungs- und Projizierungs-prozefs ist nun nat\u00fcrlich auch das religi\u00f6se Abh\u00e4ngigkeitsgef\u00fchl und die fromme Sehnsucht nach einem Unendlichen nicht ausgenommen, auch das Unendliche wird projiziert; und so entsteht der Glaube an ein Unendliches aufser mir, an einen Gott, an meinen Gott. An meinen Gott! \u2014 denn diese pers\u00f6nliche Beziehung geh\u00f6rt sich f\u00fcr den Frommen notwendig . . .\u201c Ob wohl schon jemand, der seine Mitmenschen im Ernst f\u00fcr seine \u201eVorstellungen\u201c, f\u00fcr \u201eprojizierte Empfindungen\u201c gehalten hat, sie hat lieben k\u00f6nnen ? Kann es niemand, so w\u00e4re es ein zum mindesten theoretisch interessanter Beweis f\u00fcr Meinorg-s Analyse der Wertgef\u00fchle als Existenzialgef\u00fchle : denn ein Wertgef\u00fchl ist die Liebe und kann nicht bestehen ohne \u201edas Urteilen [hier : Glaube an das Dasein des Geliebten], das sich in irgend einer Weise dieser Wirklichkeit bem\u00e4chtigen mufs\u201c (vergl. Werttheorie a. a. O. S. 21). Endlich: M\u00fcfste sich das Gef\u00fchl jedesmal den Glauben aus nichts schaffen, jeder sich \u201eseinen\u201c Gott erst wieder neu konstruieren, wie es die vorliegende Darstellung \u2022von Anfang voraussetzt (ganz mit \u00dcbergehen des \u201esozialen Faktors der\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie IX.\t18","page":273},{"file":"p0274.txt","language":"de","ocr_de":"274\nBesprechungen.\nEntwickelung\u201c [H\u00f6ffding]), so h\u00e4tten die Konfessionen schwerlich das von Schopenhauer so sehr betonte Interesse, fr\u00fchzeitig mit der Einpr\u00e4gung des Dogmas zu beginnen.\nDas bisherige IVa \u2014 e stand unter dem Titel (S. 115):\t\u201e1. Die\nGef\u00fchle nach ihrer qualitativen Beschaffenheit\u201c; und gerade das religi\u00f6se Gef\u00fchl soll \u201ein seiner Eigenart der lauteste Protest sein gegen jene falsche Meinung, dafs die Gef\u00fchle qualitativ nicht verschieden seien und der Schein des Verschiedenseins vielmehr nur von den Vorstellungen herr\u00fchre, die sie begleiten. Einstweilen haben wir ja \u00fcberhaupt noch keine Vorstellung, sondern als ein Unvorstellbares und Unaussprechliches, als ein lediglich im Gef\u00fchl haben \u2014 so erscheint uns das Religi\u00f6se und das zu ihm geh\u00f6rige Unendliche\u201c (S. 186). Referent h\u00e4lt diesen Beweis f\u00fcr ebensowenig stichhaltig (\u2014 ist denn auch ein noch so dunkles Gef\u00fchl von \u201eAbh\u00e4ngigkeit\u201c ohne Vorstellung von Abh\u00e4ngigkeit vorstellbar?) wie das eigentliche argumentum ad hominem an fr\u00fcherer Stelle (S. 110): \u201eDie \u00e4sthetische Freude \u00fcber ein sch\u00f6nes Gedicht ist inhaltlich verschieden von der sinnlichen \u00fcber ein Glas guten Weines oder von der intellektuellen \u00fcber eine gel\u00f6ste Preisaufgabe; und zwar ist nicht nur die Ursache, das a quo, dasjenige, an dem sich die Freude hier und dort aufrankt, verschieden, sondern auch ihr Inhalt, die Wirkung, der ganze Verlauf, die Art und Weise dieser Freude im ganzen stellt sich uns als von jeder anderen spezifisch verschieden dar.\u201c Ob nicht gerade die Vielheit der hier in Betracht gezogenen Momente (Inhalt, Wirkung, Verlauf, Art und Weise) denVersuch nochmaliger Analyse der angeblich unanalysierbaren Qualit\u00e4t nahe legt?\nIn IV. 2) \u201eDer Gef\u00fchls verlauf\u201c vermifst Referent die ausdr\u00fcckliche Formulierung, dafs Stimmung \u00fcberhaupt keine psychische \u201eErscheinung\u201c (wie sie S. 205 einmal genannt wird), sondern Disposition ist; was sich ganz wohl damit vertr\u00e4gt, dafs freilich das Temperament (S. 205) eine noch bleibendere ist.\nDie Abschnitte V. \u201eDie Gef\u00fchls\u00e4ufserungen\u201c und VI. \u201eGef\u00fchl und Wille\u201c \u00fcberschreiten, streng genommen, schon den Titel des Buches, wie namentlich die n\u00e4here Gliederung zeigt (V. 1. Bewegung und Trieb, 2. die unwillk\u00fcrlichen Ausdrucksbewegungen, 3. die willk\u00fcrlichen Ausdrucksbewegungen im Dienste der Mitteilung an andere, a) die Sprache, b) das Spiel, c) die Kunst, d) die Kultur, e) der Kultus. \u2014 VI. Gef\u00fchl und Wille : 1. Die verschiedenen Formen und Stufen des Willens, 2. der Inhalt des Willens, 3. Willensfreiheit und Freiheitsgef\u00fchl, 4. die Leidenschaft, 5. das Wesen des Willens). S. 219 wird der Trieb analysiert und hierbei unter f\u00fcnf Punkten als Punkt 2 \u201edas Streben, von dieser Unlust loszukommen\u201c angef\u00fchrt. Gleichwohl soll das Streben oder Begehren keineswegs als besonderes psychisches Element gelten. (S. 308.) \u201eDas Ergebnis : Und so. bleiben f\u00fcr das, was wir als Willen ansprechen, nur diejenigen Gef\u00fchle \u00fcbrig, welche durch eine Periode der Hemmung, die zu \u00fcberwinden, der Spannung, die zu l\u00f6sen ist, hindurch in Aktion \u00fcbergehen.\u201c Zu den unmittelbar folgenden Worten: \u201eAll unser Thun ist durch Gef\u00fchle hausiert. Wo diese uns eindeutig und direkt in Bewegung setzen, da reden wir nicht von Wollen, sondern nur, wo eine Spannung zu l\u00f6sen","page":274},{"file":"p0275.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n275\nist, wo Schwierigkeiten zu \u00fcberwinden sind, ein Motiv gegen ein anderes sich durchsetzen mufs, wo sich das Kraftgef\u00fchl als ein Gef\u00fchl der Anstrengung \u00e4ufsert\u201c hat Referent schon einmal (diese Zeitschrift Bd. VIII. S. 81) Stellung genommen. Hier als einen Beleg, dafs der Gleichung Wille = Wahl das Sprachgef\u00fchl des Verfassers selbst nicht treu zu bleiben vermag, die Stelle: \u201eIst aber das Gute, das wir objektiv als den Dienst an der Wohlfahrt der Gesamtheit fassen k\u00f6nnen, im einzelnen zur herrschenden Macht geworden, so dafs er sich fraglos und wahllos, freudig und willig in diesen Dienst stellt, so kann es sich verschieden in ihm \u00e4ufsern\u201c u. s. f. (S. 176).\nNach dem kurzen Abschnitt VII. \u201eAbnormit\u00e4ten im Gef\u00fchlsleben\u201c (1. Geisteskrankheit, 2. Hypnotismus) gelangt im \u201eSchlufs\u201c (S. 320\u2014328) Verfasser zu einer Art Bewertung des Gef\u00fchles, wobei er es sich (aus nicht recht \u00fcberzeugenden Gr\u00fcnden) versagt, bis zu.einer Metaphysik des Gef\u00fchles vorzugehen. \u201eWas es (das Gef\u00fchl). . hier leistet . . l\u00e4fst sich mit einem Worte aussprechen, das wir bisher hinantgehalten haben und das doch alles in sich fafst: Das Gef\u00fchl schafft Werte\u201c (S. 322). Warum \u201ehintangehalten\u201c, wird nicht gesagt. Jedenfalls d\u00fcrfen wir aber Beitr\u00e4ge zu einer Theorie des Wertes als solchen in dem Buche, n\u00e4mlich in dem kurzen Schlufswort, nicht suchen. Ob z. B. der Verfasser auch nun die Frage: \u201eSchafft j edes Gef\u00fchl Werte?\u201c nach Meinongs Analyse der Wertgef\u00fchle als einer speziellen Gef\u00fchlsklasse (Existenzialgef\u00fchle) noch bejahen m\u00f6chte? \u2014 Die den obigen unmittelbar folgenden Worte: \u201eNur was Wert besitzt, wird von mir erkannt (?), nur was f\u00fcr mich Wert hat, wird von mir erstrebt, unternommen und gethan\u201c, klingen in ihrer ersten H\u00e4lfte jedenfalls nicht erkenntnis-theoretisch, was sie ja doch sein wollen. \u2014\nReferent schliefst wieder mit der Versicherung, dafs er sich wohl\nbewufst ist, durch die herausgegriffenen Einzelheiten zwar vielleicht\n\u2022 *\nAnregung zu deren sachlicher \u00dcberpr\u00fcfung seitens des Verfassers selbst, nicht aber ein angemessenes Bild von dem vielen Detail, das dem Leser das Buch lehrreich und angenehm macht, haben geben zu k\u00f6nnen. Wie Verfasser selbst einmal (S. 27) Wundt und H\u00f6ffding \u201edie zwei bedeutendsten Psychologen der Gegenwart\u201c nennt, so teilt auch sein vorliegender Beitrag zur Psychologie im ganzen die Vorz\u00fcge wie die Schw\u00e4chen der genannten Schriftsteller. \u00dcber \u201ebedeutend\u201c und \u201ebedeutendst\u201c wollen wir nicht streiten ; genug, wenn sich nur alles in allem zeigen wird, dafs ihre und Zieglers Art, Psychologie zu treiben, dem Gegenst\u00e4nde \u00fcberhaupt neue Interessenten zuf\u00fchrt.\tA. H\u00f6fler (Wien).\nRamon y Cajal und Richard Greeff. Die Retina der Wirbeltiere, nach Arbeiten von Ramon y Cajal. In Verbindung mit dem Verfasser zusammengestellt, \u00fcbersetzt und mit Einleitung versehen von R. Greefe. Wiesbaden, J. F. Bergmann. 1894. Gr.-Quart. 180 Seiten mit 7 Doppeltafeln und 3 Abbildungen im Text.\nDas vorliegende, von der Verlagsbuchhandlung J. F. Bergmann pr\u00e4chtig ausgestattete Werk enth\u00e4lt eine ausf\u00fchrliche Zusammenstellung der Ergebnisse aus den Arbeiten Ramon y Cajals, welche vom Jahre\n18*","page":275}],"identifier":"lit29695","issued":"1896","language":"de","pages":"269-275","startpages":"269","title":"Theobald Ziegler: Das Gef\u00fchl. Eine psychologische Untersuchung. Stuttgart, G\u00f6schen 1893. 328 S.","type":"Journal Article","volume":"9"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:28:39.616870+00:00"}