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{"created":"2022-01-31T13:39:10.545861+00:00","id":"lit29740","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Wreschner, Arthur","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 9: 299-301","fulltext":[{"file":"p0299.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n299\nbewirkte, und zwar in der Weise, dafs die vor und nach einem st\u00e4rkeren Eindr\u00fccke liegenden Intervalle verl\u00e4ngert erschienen (vorausgesetzt, dafs der st\u00e4rkere Eindruck auch der subjektiv betonte war). Dafs die gr\u00f6fsere Intensit\u00e4t der Empfindung nicht unmittelbar diese Zeitt\u00e4uschung bedingt, sondern mittelbar dadurch, dafs der Wechsel der Intensit\u00e4t eine rhythmische Auffassung, insbesondere eine subjektive Betonung des intensiveren Eindruckes veranlafst, ergab sich daraus, dafs ein qualitativer Wechsel der Eindr\u00fccke in gleichem Sinne zeitver\u00e4ndernd wirkte, wenn dabei ein analoger rhythmischer Eindruck durch die Art der Verteilung von Verschiedenheit und G-leichheit gegeben war.\nSchumann (Berlin).\nW. Jerusalem. Glaube und Urteil. Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. XVIII. Jahrg. 2. Heft. (1894.) S. 162\u2014195.\nNach kurzer Kritik der haupts\u00e4chlichsten Ansichten, welche bisher \u00fcber dieses Thema aufgestellt sind, legt Verfasser zun\u00e4chst seine eigene Auffassung von dem Urteilsakte dar. Durch diesen werden die Sinnes-data gedeutet, indem sie gestaltet und gegliedert und als Th\u00e4tigkeit eines Dinges hingestellt werden. Eine derartige von unseren eigenen Willensimpulsen ausgehende Apperzeption wirkt isolierend, nicht asso ziierend, und fertigt den vorliegenden Komplex f\u00fcr unser Bewufstsein ab, verselbst\u00e4ndigt und objektiviert ihn. Ein vollst\u00e4ndiges, ausgesprochenes oder gedachtes Urteil ist hierzu nicht erforderlich, die Wahrnehmung gen\u00fcgt. Die Zweigliedrigkeit dagegen ist f\u00fcr jeden Urteilsakt wesentlich. Diese Urteilslehre will Verfasser auch bei Wundt, Schuppe, namentlich aber bei Gerber finden. Er bezeichnet sie in Anlehnung an Avenarius als die Intr oj ektionsl ehre , tritt aber insofern dem letztgenannten Forscher entgegen, als er eine Ausschliefsung der Introjektion des Willens in die Objekte nicht nur bei dem nat\u00fcrlichen Weltbegriff, sondern selbst auf der h\u00f6chsten Kulturstufe f\u00fcr unm\u00f6glich h\u00e4lt.\nDie Wahrheit des Urteils ist implicite schon mit dem primitivsten Urteilsakte gegeben, was schon die mangelhafte sprachliche Ausbildung der Bejahung zeigt. Explicite entsteht der Whhrheitsbegriff erst durch unrichtige oder die fr\u00fcheren rektifizierende Urteile, zu welchen das Subjekt sowohl durch seine eigene Erfahrung als durch die anderer gelangen kann. Diese Rektifizierung bisheriger Urteile ist stark gef\u00fchlsbetont, und zwar um so st\u00e4rker, je mehr das ganze praktische Leben dadurch tangiert wird. Ihr sprachlicher Ausdruck ist die Negation, welche ein Urteil \u00fcber ein Urteil ist. Eine Vorstellung als etwas That-s\u00e4chliches kann wohl aus dem Bewufstsein verschwinden oder verdr\u00e4ngt, aber nie negiert werden, daher auch keine Wahrheit enthalten. Je \u00f6fter eine Negation stattgefunden hat, desto mehr verliert sie von ihrem Gef\u00fchlswerte, wird zu einem ruhigen Akt des Intellekts, jedoch nur selten zu einem rein formalen Urteilselement, wie die h\u00e4ufig starke Betonung des \u201enicht\u201c zeigt. Liegt in der Zur\u00fcckweisung auch der Hinweis auf die richtige Deutung, also eine gewisse positive Bestimmung,","page":299},{"file":"p0300.txt","language":"de","ocr_de":"300\nLitter aturbericht.\nso tritt eine Verschmelzung der Negation mit dem Pr\u00e4dikate ein {unsterblich, ungern etc.). Auf Grund dieses indirekten Entstehens des Wahrheitshegriffes l\u00e4fst sich dieser somit definieren als ein Sich-Behaupten der einmal yorgenommenen Deutung gegen alle etwaigen Negierungen. Seine Grundlage und Voraussetzung ist die dualistische Weltanschauung. Es handelt sich um eine Beziehung, ein Entsprechen (nicht eine \u00dcbereinstimmung) einer psychologischen Thatsache mit dem extramentalen Vorg\u00e4nge. Die Best\u00e4tigung der Wahrheit ist entweder eine objektive, durch das Eintreffen einer Vorhersage, oder eine intersubjektive, durch die Zustimmung der Denkgenossen bewirkte. \u2014 Diese Urteilslehre wird in der \u00e4ufseren wie inneren Erfahrung durchgef\u00fchrt. In jener ist die Glaubw\u00fcrdigkeit der Sinne trotz der Sinnest\u00e4uschungen sehr grofs und oft die Grundlage f\u00fcr die Wahrheit anderer Urteilsarten. Namentlich der Tastsinn vermittelt fest geglaubte Urteile, weil er mit den Bewegungsempfindungen eng zusammenh\u00e4ngt und dadurch ganz ausnehmend die Vorstellung des Widerstandes und einer unabh\u00e4ngigen Aufsenwelt veranlafst. (\u201eEin Hindernis ist ein Ding.\u201c) Die Tasturteile rektifizieren daher oft die anderen Sinnesurteile. Die Urteile der inneren Erfahrung gestatten allerdings nicht als innere Erlebnisse die Unterscheidung einer subjektiven und objektiven Komponente, aber trotzdem enthalten sie keine unmittelbare Gewifsheit. Denn etwas anderes ist das Erleben einer Thatsache und ihre Deutung oder Beurteilung. Diese kann auch falsch sein aus vielen Gr\u00fcnden, namentlich aber infolge der Selbstt\u00e4uschungen und der sprachlichen, an die \u00e4ufsere sinnliche Erfahrung sich anlehnenden Ausdrucksweise. Mit dem hohen Grade der Gewifsheit, welche die psychologischen Urteile haben, weil die eigenen inneren Vorg\u00e4nge von keinem anderen mit angesehaut werden k\u00f6nnen, ist die Wahrheit nicht zu verwechseln.\nWas schliefslich den Glauben oder das F\u00fcrwahrhalten betrifft, so ist als seine psychologische Grundlage nicht die Wahrheit, sondern ein Gef\u00fchl anzunehmen, wie dies schon aus dem Gegens\u00e4tze, dem Zweifel, hervorgeht. Der Ursprung dieses Gef\u00fchls ist die \u00dcbereinstimmung eines Urteils mit der ganzen Weltanschauung des Subjekts. Daher findet es sich unmittelbar bereits in den eigenen Urteilen, wenn es sich auch explicite oft erst sp\u00e4terhin durch Hinzutritt neuer unterst\u00fctzender Belege einstellt, namentlich bei den anfangs nur als Vermutungen hingestellten Urteilen. Bei der Auffassung fremder Urteile hingegen handelt es sich zun\u00e4chst um eine Synthese des getrennt Gegebenen. Bei Beschreibungen und Berichten ist dies die ganze Th\u00e4tig-keit des Auffassens, so dafs von keinem Urteil, sondern nur von einer Vorstellung, daher auch von keiner Wahrheit die Bede sein kann. Mufs man aber dem Mitteilenden den Urteilsakt nachmachen, so stellt sich auch das Gef\u00fchl des Glaubens ein, und zwar in verschiedenen Intensit\u00e4ten. Den geringsten Grad zeigen die indifferenten Urteile, bei denen sich nichts Widersprechendes im Bewufstseinsinhalt zeigt. Erst wenn dieses vorhanden ist und eine Verteidigung statthat, z. B. bei dem Autorit\u00e4tsglauben in Beligion, Wissenschaft und Politik, erreicht","page":300},{"file":"p0301.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n801\nauch die Intensit\u00e4t einen hohen G-rad. Kinder und Ungebildete sind sehr leichtgl\u00e4ubig, weil ihre Weltanschauung noch sehr viel L\u00fccken enth\u00e4lt, welche die geistige Aneignung aller m\u00f6glichen Behauptungen gestatten. Einbildungen werden oft geglaubt, wenn sie durch verschiedene Umst\u00e4nde, namentlich durch die Zustimmung anderer, Bestandteile des Ich werden. (Religi\u00f6se Vorstellungen.) L\u00fcgen k\u00f6nnen durch h\u00e4ufige Wiederholung ein geistiges Eigentum und so geglaubt werden.\nWie Verfasser selbst betont, sucht er all die Momente, welche bei dem Urteilsakte in Betracht kommen, zu ber\u00fccksichtigen. Ohne Zweifel ist es auch ein Fortschritt, wenn im Gegensatz zu der fr\u00fcheren rein formalen und logischen Auffassung des Urteils der Anteil des Willens in den Vordergrund tritt. Ob aber gerade die Introjektion das Wesentliche hierbei ist, scheint mir fraglich. \u2014 In dem Streben, das Urteil psychologisch zu erkl\u00e4ren, hat Verfasser das Wesen der Vorstellung zu wenig ber\u00fccksichtigt. Auch diese ist nicht ohne weiteres als etwas That-s\u00e4chliches zu bezeichnen. Woher kommt es denn, dafs viele Eigenschaften und Vorg\u00e4nge an den Dingen nicht bemerkt, nicht zu Vorstellungen werden? Auch hier wirkt das Interesse, der Wille, oder die von diesem bestimmte Aufmerksamkeit. Jede Apperzeption aber ist bereits ein Urteilen, und, handelt es sich um eine \u00e4ufsere Wahrnehmung, ein objektivierender Denkakt, wie Verfasser selbst hervorhebt. Hierdurch aber machen auch die Vorstellungen bereits Anspruch auf Wahrheit. Eine derartige Trennung von Vorstellung und Urteil scheint mir unberechtigt; und die Objektivierung ist schon durch die Wahrnehmung des noch nicht analysierten Komplexes, also vor dem Urteil, vorhanden. \u2014 In gleicher Weise halte ich die Verquickung der Urteilslehre mit dem Dualismus f\u00fcr verfehlt. Der Idealist wie der Materialist leugnet ja nicht das Vorhandensein einer dualistischen Weltauffassung als einer psychologischen Thatsache. Diese ist f\u00fcr das Urteil aber mafsgebend, w\u00e4hrend der Streit zwischen dem Dualismus und Monismus metaphysischer Natur ist. \u2014 Dafs die Negation f\u00fcr den Wahrheitsbegriff von hoher Bedeutung ist, kann man zugeben. Aber die Negation ist nicht immer eine Rektifizierung. Ein Urteil ist zu einer Zeit berechtigt, zu einer anderen nicht mehr. Man denke nur an das Wahrnehmen von Ver\u00e4nderungen. Jedenfalls aber ist es nicht ganz ersichtlich, wie Verfasser nur den limitativen Urteilen eine positive Bestimmung auf Grund seiner Theorie zuschreiben kann. Wenn jedes negative Urteil rektifiziert, so enth\u00e4lt es eine Position. \u2014 Den sonstigen Ausf\u00fchrungen des Verfassers, namentlich in der Zur\u00fcckf\u00fchrung des Glaubens auf das Gef\u00fchl, kann man zustimmen; nur der Zusammenhang des intensiven Autorit\u00e4tsglaubens mit der Notwendigkeit einer Verteidigung ist nicht recht ersichtlich.\nArthur Wreschner (Berlin)\nTheodor Elsenhans. Wesen und Entstehung des Gewissens. Eine Psychologie der Ethik. Leipzig, Engelmann, 1894. 334 S.\nEs wird zuerst eine ausf\u00fchrliche Geschichte des Gewissensbegriffes in der neueren Ethik seit Kant gegeben ; besonders eingehend werden die ethischen Lehren Herbarts dargestellt und kritisiert. Der systematische","page":301}],"identifier":"lit29740","issued":"1896","language":"de","pages":"299-301","startpages":"299","title":"W. Jerusalem: Glaube und Urteil. Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. XVIII. Jahrg. 2. Heft. 1894. S. 162-195","type":"Journal Article","volume":"9"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:39:10.545867+00:00"}