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{"created":"2022-01-31T14:44:22.942140+00:00","id":"lit29743","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Wallaschek","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 9: 303-304","fulltext":[{"file":"p0303.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\nAndr\u00e9 Godfernaux. Le sentiment et la pens\u00e9e et leurs principaux aspects physiologiques. Biblioth\u00e8que de philosophie contemporaine. F. Alcan, Paris. 1894. 224 S.\nVerfasser geht von psychopathologischen Beobachtungen aus. Er nimmt mit Hecht an, dafs geradem pathologischen F\u00e4llen reiche Gelegenheit geboten sei, die gegenseitige Abh\u00e4ngigkeit der intellektuellen und affektiven Vorg\u00e4nge zu studieren. Die Studien selbst fallen im vorliegenden Falle allerdings h\u00f6chst oberfl\u00e4chlich aus. Als besondere \u00bbPsychose\u201c wird z. B. auch die Extase abgehandelt. Als wesentliches Charakteristikum der Manie wird die motorische und intellektuelle Inkoh\u00e4renz angef\u00fchrt. Die chronische Paranoia stellt sich dem Verfasser einfach als die fortlaufende Transkription krankhafter Affektzust\u00e4nde dar u. dergl. m. Bei der durchg\u00e4ngigen Unzul\u00e4nglichkeit der psychiatrischen Vorstudien fallen dann auch die \u00dcbertragungen auf die Psychologie des Geistesgesunden v\u00f6llig unbrauchbar aus, obwohl allenthalben sogar Dichter, Mystiker, Bibel und Entwickelungsgeschichte zu Beitr\u00e4gen herangezogen werden.\tZiehen (Jena).\nWilliam W. Ireland. On Affections of the Musical Faculty in Cerebral Disease. Journ. of Mental Science. Vol. XL. S. 354\u2014367. (1894.)\nAusgehend von den bekannten Theorien Spencers und Darwins \u00fcber den Ursprung der Musik, hommt der Verfasser zu dem schon so oft erw\u00e4hnten Resultate, dafs Musik eine Gabe sei, die einen nur weit niederen Organismus ben\u00f6tige, als die Sprache. \u201eWenn die Intelligenz der V\u00f6gel durch Entwickelung des Gehirnes erh\u00f6ht w\u00fcrde, dann w\u00fcrde aus ihrem Ges\u00e4nge eine Sprache entstehen\u201c (355). Verfasser macht dabei den ebensooft begangenen Fehler, jede Tongebung als Musik zu betrachten. Meiner Ansicht nach w\u00fcrde Musik immer Musik bleiben, eine Erh\u00f6hung der Intelligenz k\u00f6nnte wohl zur Sprache f\u00fchren, aber das w\u00e4re ganz unabh\u00e4ngig davon, ob fr\u00fcher eine Produktion musikalischer T\u00f6ne stattfand oder nicht. Viel richtiger bemerkt der Verfasser sp\u00e4ter, dafs \u201edie ersten Spuren der musikalischen Begabung in jenen rhythmischen Bewegungen best\u00fcnden, die bei Idioten der niedersten Klasse gefunden werden\u201c. Nun, es m\u00fcssen nicht gerade die rhythmischen Bewegungen der Idioten sein, in denen die Keime der Musik liegen, aber im Rhythmus oder richtiger im Taktgef\u00fchl \u00fcberhaupt scheint auch mir der psychologische Ursprung der Musik zu liegen. Den Vogelsang kann man hei dieser Deduktion ganz unbeachtet lassen. \u00dcberdies h\u00e4ngt Musik als Gef\u00fchlsausdruck. der sie nun einmal ist, von denselben Gehirnpartien und Nervenbahnen ab, wie der automatische Ausdruck. Eine Tonproduktion kann also auch automatisch erfolgen, wenn von einer Th\u00e4tigkeit der Intelligenz noch lange nicht oder l\u00e4ngst nicht mehr die Rede ist. Direkt aber hat dieser musikalische Ausdruck weder mit h\u00f6herer noch mit niederer Intelligenz etwas zu thun. Anders verh\u00e4lt es sich, wenn man unter Musik die Komposition (nicht Reproduktion) eines modernen musikalischen Kunstwerkes versteht. Dieser systematische Aufbau, die sorgf\u00e4ltige Ausarbeitung eines Musikst\u00fcckes erfordert eine Vorstellungsgabe, eine \u00dcbersicht, ein Zusammenfassen und Auseinanderhalten von","page":303},{"file":"p0304.txt","language":"de","ocr_de":"304\nLitter a turbericht.\nFormen und Verteilen von Tonmassen, das ohne hohe Entwickelung des Gehirnes nicht zu denken ist. Mit dem Gef\u00fchl allein kommt man da nicht mehr aus. Es giebt eben verschiedene Arten, um nicht zu sagen Grade von Musik, zum mindesten wird Reproduktion (blofse Ausf\u00fchrung) und Produktion (Komposition) zu unterscheiden sein, worauf ich an anderer Stelle wiederholt aufmerksam gemacht habe. An solche Unterschiede hat Herr Ireland leider nicht gedacht und kommt schliefs-lich zu den schon wiederholt in verschiedenen Artikeln und B\u00fcchern hervorgehobenen Schlufsfo]gerungen : die musikalische Begabung gehe von beiden H\u00e4lften des Gehirnes aus, und es sei zweifelhaft, ob sie an eine bestimmte Stelle desselben gebunden sei. Sie bleibe auch nach Gehirnkrankheiten intakt (survive after brain-diseases). Das kommt nun, wie gesagt, darauf an, was man unter Musik versteht. Ich weifs keinen Fall, wo ein Komponist trotz der Folgen einer Gehirnkrankheit (es giebt deren zahlreiche ber\u00fchmte F\u00e4lle) noch komponiert h\u00e4tte.\nWertvoll sind zwei praktische F\u00e4lle, die der Verfasser zitiert. Ein 18j\u00e4hriges M\u00e4dchen, dessen Sprachstimme schwach und heiser war, hatte nichtsdestoweniger eine klare Gesangsstimme. Der Fall wurde als hysterische Aphonie bezeichnet. Ein anderer Fall betrifft einen Mann, der den Ton einer Violine nicht von dem einer Trompete (!) unterscheiden konnte. Eine derartige Klangfarbenverwechselung ist meines Wissens einzig in ihrer Art.\tWallaschek (London).\nRichard Legge. Music and the Musical Faculty in Insanity. Journ. of Ment. Science. Vol. XL. S. 368\u2014375. (1894.)\nLegge untersucht zun\u00e4chst den Begriff \u201eMusical Faculty\u201c und zerlegt ihn in folgende Bestandteile: 1. relatives und absolutes Tonged\u00e4chtnis; 2. emotionale Empf\u00e4nglichkeit f\u00fcr den Einflufs der Musik; 3. Fertigkeit im Gesang und Spiel von Instrumenten; 4. Kompositionstalent. Diese Zerlegung scheint mir nicht ganz gl\u00fccklich, zumal der Verfasser nicht sagt, ob er alle vier Bestandteile oder etwa nur einen als zur musikalischen Bef\u00e4higung gen\u00fcgend erachtet. Keine der beiden M\u00f6glichkeiten l\u00e4fst sich ohne weiteres bejahen; so steht das absolute Tonged\u00e4chtnis in keinem direkten Verh\u00e4ltnis zur musikalischen Bef\u00e4higung, auch nicht zum Kompositionstalent. Einige unserer gr\u00f6fsten S\u00e4nger sind unmusikalisch. Andererseits ist das relative Tonged\u00e4chtnis in der Fertigkeit in Spiel und Gesang inbegriffen. Noch problematischer ist die weitere Bemerkung, dafs ein musikalisches Geh\u00f6r (ear for music) immer vorhanden sei, \u201ewenn man darunter die F\u00e4higkeit versteht, zwischen hohen und tiefen T\u00f6nen zu unterscheiden\u201c. Kennt denn der Verfasser die Tontaubheit nicht? \u201eWo ein musikalisches Geh\u00f6r vorhanden ist,\u201c heifst es weiter, \u201eda giebt es auch einen Sinn f\u00fcr Rhythmus\u201c. (369.) Nun heifst musikalisches Geh\u00f6r jedenfalls etwas ganz anderes als oben, aber was? \u201eEine Person, die kein Geh\u00f6r hat (with no ear), kann wahrscheinlich sagen, welcher von zwei ihr vorgespielten T\u00f6nen der h\u00f6here ist, aber sie wird eine geringe oder gar keine Vorstellung haben von dem Intervall zwischen beiden.\u201c Die Kenntnis des Intervalls ist jedoch nicht blofs Sache des Geh\u00f6rs, sondern des Studiums und der \u00dcbung. Wie soll","page":304}],"identifier":"lit29743","issued":"1896","language":"de","pages":"303-304","startpages":"303","title":"William W. Ireland: On Affections of the Musical Faculty in Cerebral Disease. Journ. of Mental Science. Vol. XL. S. 354-367. 1894","type":"Journal Article","volume":"9"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:44:22.942145+00:00"}