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{"created":"2022-01-31T14:31:35.004114+00:00","id":"lit29747","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Kurella","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 9: 310-312","fulltext":[{"file":"p0310.txt","language":"de","ocr_de":"310\nLitteraturbei'icht.\nErgriffensein zum Ausdruck.\u201c Kommt es zu einem koordinierten Ausgleich in einem Akt, so ergiebt sich Neigung. Werden solche Koordinationen durchaus gewohnheitsm\u00e4fsig und heredit\u00e4r, so erhalten wir den Gef\u00fchls ton.\tK\u00fcrella (Brieg).\nGiuseppe Sergi. Dolore e Piacere. Storia naturale dei sentimenti.\nMailand, Fratelli Dumolard. 1894. 398 S.\nDie vorliegende Beschreibung und Theorie der Gef\u00fchle und Affekte schliefst sich eng an die jAMES-LANGEsehe Affekttheorie an. Sergi sieht in der Gesamtheit dieser Erscheinungen nur Oszillationen des Gemeingef\u00fchles und des Ern\u00e4hrungszustandes (S. 91), bedingt durch Erregung eines Komplexes von Reflexzentren im verl\u00e4ngerten Mark.\nW\u00e4hrend er den Gef\u00fchlston der Empfindungen durch einfachen Reflex von jedem sensiblen und sensorischen Nerven aus zu st\u00e4nde kommen l\u00e4fst, sagt er von den Affekten (S. 78): \u201eEine solche Emotion kommt nach meiner, auf sehr aufmerksame und langdauernde Beobachtungen gegr\u00fcndeten \u00dcberzeugung durch folgenden Prozefs zu st\u00e4nde: Eine auditive, visuelle oder sonst eine Empfindung reizt oder erweckt hell oder vag eine Vorstellung oder ein Erinnerungsbild; aber auch wenn letzteres nicht geschieht, gelangt sie jedenfalls l\u00e4ngs der bekannten Leitungsbahnen zur Perzeption an einer bestimmten Stelle im Hirn; sie steigt abw\u00e4rts zu dem Hauptzentrum des organischen Lebens, demselben, das wir oben als Zentrum des Schmerzes und der Lust kennen gelernt haben; sie reizt dieses spezielle Zentrum, von welchem reflektorisch Erregungen des Herzens, des Atmungsmechanismus und andere noch zu beschreibende Reflexe ausgehen.\u201c (S. 79:) \u201eDie intellektuellen Ph\u00e4nomene sind f\u00fcr die Affekte, was die \u00e4ufseren organischen Reize f\u00fcr Schmerz und f\u00fcr Lust sind; die allgemeinen Wirkungen solcher Reize sind vollkommen analog, fast identisch, wenn nicht den physischen Schmerzen eine Lokalisation eigen w\u00e4re, die bei den Affekten fehlt.\u201c\nSergi weicht also von 0. Large darin ab, dafs er nicht alle Affektsymptome von vasomotorischen Reflexen allein ableitet, sondern von Reflexen auf ein komplexes Zentrum f\u00fcr vasomotorische,Herz-,Respirations-, Eingeweide- und trophische Innervation im verl\u00e4ngerten Mark, unter denen er die Reflexe im Gebiete des n. Vagus besonders eingehend er\u00f6rtert. Sergi klassifiziert auch anders als Lange; er teilt das ganze Gebiet in exaltative und depressive Erscheinungen, jene der Lust, diese der Unlust entsprechend. (Aber man kann doch seiner Unlust einen sehr exaltierten Ausdruck zu geben gen\u00f6tigt sein.) Diese Gedanken werden in den sechs Kapiteln ni\u2014VHI entwickelt; Kapitel VI, \u201eMechanik der Affekte\u201c, ist das wichtigste. Kapitel IV f\u00fchrt allgemeine, in den Anfangskapiteln enthaltene Betrachtungen \u00fcber die biologische Bedeutung der Affekte und ihre in der Phylogenese erworbene Unterordnung unter die wesentlichsten Lebensgebiete (Erhaltung des Individuums, Erhaltung der Art durch Fortpflanzung und Brutpflege, durch soziale Gemeinschaft) n\u00e4her aus. Kapitel V betont stark und mit einiger Breite, dafs die Medulla oblongata der \u201eSitz\u201c der emotiven Erscheinungen ist, und giebt eine Skizze der darin enthaltenen Nervenkerne. Sergi betrachtet die Nerven-","page":310},{"file":"p0311.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n311\nkerne als funktionelle, nicht nur als nutritive Zentren der daraus entspringenden Bahnen; diese heute besonders bez\u00fcglich der \u201esensiblen\u201c Kerne im verl\u00e4ngerten Mark eingermafsen ersch\u00fctterte Annahme ist allerdings geeignet, die Kernkomplexe dieser Region als Emotionszentrum erscheinen zu lassen. In dem Verzeichnis der unwillk\u00fcrlichen emotiven Innervationen (S. 109\u2014115) ist die Innervation der Harnblase, die sich so sehr mit Stimmungen und' Gef\u00fchlen \u00e4ndert, gar nicht genannt. Es folgen dann (Kap. V) umfangreiche Ausz\u00fcge aus physiologischen Abhandlungen \u00fcber \u00c4nderungen der Herz-, Atmungs- und Gefafs-innervation durch Reizung sensibler peripherer Nerven und Nervenendigungen. Zum Schlufs wird etwas \u00e4hnliches auch bez\u00fcglich der Harnblase kurz erw\u00e4hnt. (Da bisher nur im Lendenmark ein subkortikales Zentrum f\u00fcr die Blase nachgewiesen ist, kann das emotive Zentrum im verl\u00e4ngerten Mark nicht das einzige sein.)\nKapitel VI, \u201eMechanik der Affekte\u201c, giebt eine ausf\u00fchrlichere Entwickelung der Affekttheorie an der Hand einer Analyse des Schrecks und der Furcht ; der Inhalt desselben ist, wie bei der prinzipiellen \u00dcbereinstimmung nat\u00fcrlich ist, sehr \u00e4hnlich den entsprechenden Schilderungen Langes. Einige kurz hingeworfene Andeutungen (S. 131) \u00fcber das Verhalten von Darm-, Blasen- und Schweifsdr\u00fcsen-Innervation in diesen Affekten werden physiologisch nicht weiter begr\u00fcndet, ebensowenig die vorgetragene Auffassung des Gef\u00e4fskrampfes im Schreck als Paralyse des vasodilatorischen Zentrums. (Im Text wohl versehentlich: paralisi nel centro vasoco stritt ore.)\nIn den eigentlichen Ausdrucksbewegungen sieht S. unter Ablehnung der Erkl\u00e4rungen Spencers und Darwins nur Folgen der fundamentalen reflektorischen Erscheinungen, symbolisch gewordene Angriffs- und Abwehrbewegungen; er geht dabei \u00fcber allgemeine Andeutungen nicht hinaus. Auf eine kurze Skizze beschr\u00e4nkt sich auch das Kapitel (XIII) \u00fcber die Pathologie der Affekte, die auch hier in zwei Klassen, als depressiv und exaltativ, auftreten.\nMelancholie und Manie werden als Typen der Depression und Exaltation kurz skizziert. Den Psychiatern schreibt S. die Neigung zu, die bulb\u00e4ren St\u00f6rungen zu \u00fcbersehen und alle Erscheinungen aus kortikalen St\u00f6rungen herzuleiten ; Kraeft-Ebings oberfl\u00e4chliches Raisonnement findet die verdiente Kritik; was dagegen S. von Meynert sagt, der die Wechselwirkung zwischen Rinde und Tonus des Gef\u00e4fszentrums so fein auffafst, deutet darauf, dafs S. nur die Vorlesungen, nicht die Psychiatrie von Meynert kennt.\n\u00dcbrigens haben auch Cramer Vater und Sohn den wahrscheinlichen bulb\u00e4ren Ursprung der affektiven Psychosen behauptet.\nDen \u00fcbrigen Inhalt von S.s Werk bildet eine Darstellung der \u00e4sthetischen und (k\u00fcrzer) der moralischen Gef\u00fchle, ausf\u00fchrliche, in den Eingangskapiteln enthaltene und durch das ganze Buch verstreute Ausf\u00fchrungen \u00fcber die Genealogie und Phylogenese der Gef\u00fchle und rein psychologische Er\u00f6rterungen. Letztere sind leider, obwohl sie das Interessanteste sind, am k\u00fcrzesten gehalten, w\u00e4hrend die Bedeutung der Anpassung, der nat\u00fcrlichen Auslese und Vererbung, der biologische Wert","page":311},{"file":"p0312.txt","language":"de","ocr_de":"312\nIAtteraturbericht.\nder Gef\u00fchle und Affekte, ihre durch Differenzierung bedingte Entwickelung aus der primitiven Irritabilit\u00e4t niederer Organismen, die parallel gehende Entwickelung der Empfindungen und Vorstellungen breit und zu wiederholten Malen geschildert werden.\nWie Vorstellungen zu ihrem Einflufs auf das hui bare Affektzentrum kommen \u2014 und damit beginnt doch das psychologische Interesse an der Affekttheorie \u2014, wird in leichten Umrissen suggeriert; ich w\u00fcrde f\u00fcr eine eingehendere Ausf\u00fchrung dieser Linien gern etwas von den evolutionstheoretischen Er\u00f6rterungen drangeben. Ich wage deshalb keine Reproduktion dieser zarten Linien (S. 87, 88, 127, 199 f.), in der Hoffnung, dafs S. seine wertvollen Gedanken bald ausf\u00fchrlicher darstellen wird. Wenn er den Sitz der Affekte im verl\u00e4ngerten Mark immer wieder so stark betont, so mufs demgegen\u00fcber doch gesagt werden, dafs ein Affekt, mag er auch vom verl\u00e4ngerten Mark ausgehen, ein bewufstes Erlebnis ist, welches ein Erinnerungsbild hinterl\u00e4fst; dafs dieses Erinnerungsbild denselben Gesetzen der Lokalisation und Assoziation unterworfen sein mufs, wie alle Erinnerungsbilder, und dafs seine Reproduktion, Verkn\u00fcpfung und Verschmelzung mit anderen Vorstellungen den eigentlichen Inhalt der Psychologie des Gef\u00fchls und der Affekte ausmacht.\nGerade von diesen Gesichtspunkten aus mufs eine n\u00e4here Ausf\u00fchrung der psychologischen Er\u00f6rterungen Sergis gew\u00fcnscht werden. Inzwischen m\u00fcssen wir ihm f\u00fcr die interessante Begr\u00fcndung und Fortbildung der jAMES-LANGE\u2019schen These und ihre feinsinnige Einf\u00fcgung in den Rahmen der Evolutions-Psychologie aufrichtig dankbar sein.\nKurella (Brieg).\nTh. Ribot. Der Wille. Pathologisch-psychologische Studien. Nach der\n8. Aufl. \u00fcbersetzt von Dr. F. Th. Pabst. Berlin, 1898.\nDie bekannte, vor 12 Jahren zuerst erschienene Monographie Ribots\n\u00fcber den Willen hat hier eine fliefsende, fehlerfreie \u00dcbersetzung erfahren.\nSeihst derjenige, der die theoretischen Schlufsfolgerungen, wie sie Ribot\nzieht, nicht immer zugeben kann, wird doch den Hauptvorzug des Buches,\ndie Zusammenstellung eines umfangreichen, f\u00fcr die Betrachtung des\nWillens \u00e4ufserst wichtigen pathologischen Materials anerkennen m\u00fcssen.\nHierdurch hat Ribots Abhandlung einen solch hohen instruktiven Wert\n\u2022 \u2022\nerhalten, dafs eine \u00dcbersetzung davon mit Freuden zu hegr\u00fcfsen ist.\nA. Pilzecker (G\u00f6ttingen).\nJ. Mark Baldwin. The Origin of emotional expression. Psychol Review. I. 6. S. 610\u2014628 (1894).\nEine Pr\u00fcfung der James-Langes ch en Affekttheorie vom Standpunkte des Evolutionismus. Nach B. ist das Problem ganz in der Frage enthalten, auf welchem Wege der Organismus Flucht- und Abwehrbewegungen \u201egelernt\u201c hat. Die Antwort m\u00fcsse lauten: durch den Schmerz; der Schmerz, das Signal eines Insults, m\u00fcsse urspr\u00fcnglich der reaktiven Bewegung vorausgegaugen sein. Man m\u00fcsse zwar der Theorie alle","page":312}],"identifier":"lit29747","issued":"1896","language":"de","pages":"310-312","startpages":"310","title":"Giuseppe Sergi: Dolore e Piacere. Storia naturale dei sentimenti. Mailand, Fratelli Dumolard. 1894. 398 S.","type":"Journal Article","volume":"9"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:31:35.004119+00:00"}