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{"created":"2022-01-31T14:41:59.536041+00:00","id":"lit29759","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Ottolenghi, S.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 9: 331-341","fulltext":[{"file":"p0331.txt","language":"de","ocr_de":"(Laboratorium der gerichtlichen Medizin an der Kgl, Universit\u00e4t in Siena.)\nDas Gef\u00fchl und das Alter.\nExperimentelle Untersuchungen.\nVon\u00bb\nProf. S. Ottolenghi\nin Siena.\nIn meinen fr\u00fcheren Studien habe ich experimentell bewiesen, dafs das Gef\u00fchl nicht nur in degenerierten Individuen abgestumpft ist, sondern dafs es auch bei den verschiedenen sozialen Klassen angeh\u00f6renden normalen Personen ungleich entwickelt ist. Die folgenden mitgeteilten Beobachtungen zeigten mir, dafs der Grad des Gef\u00fchles auch mit dem Alter im allgemeinen sich \u00e4ndert.\nIm Kampf ums Dasein ist, wie Eichet1 sich sch\u00f6n ausdr\u00fcckt, das Gef\u00fchl des Schmerzes eine der m\u00e4chtigsten Verteidigungswaffen. Die Sch\u00e4rfe und \u00dcbung der Sinne ist eine der wichtigsten Bedingungen f\u00fcr die Entwickelung der Psyche. Den Psychologen und den Erzieher mufs also das Studium des Gef\u00fchls auf den verschiedenen Altersstufen im h\u00f6chsten Grade interessieren.\nIch habe auf diesem wichtigen Gebiete nur gelegentliche Notizen vorgefunden und darum beschlossen, die allgemeine Sensibilit\u00e4t und das Schmerzgef\u00fchl in ihrer Abh\u00e4ngigkeit vom Alter systematisch zu studieren. Meine Untersuchungen erstreckten sich auf 321 m\u00e4nnliche Individuen, die alle aus Siena waren. Unter ihnen befanden sich 77 Knaben von 9\u201414 Jahren (18 Sch\u00fcler, 12 Findelkinder, 25 Waisen, 22 Taubstumme des Instituts Pendola), 63 Knaben von 14\u201418 Jahren\n1 La d\u00e9fense de l\u2019organisme. Rev. scient 1894. S. 252.","page":331},{"file":"p0332.txt","language":"de","ocr_de":"332\nS. Ottolenghi.\n(16 Sch\u00fcler, 27 Waisen, 20 Taubstumme); 46 Universit\u00e4tsstudenten von 19\u201424 Jahren, 42 Doktoren von 24\u201440 Jahreu, 23 Handwerker von 20\u201440 Jahren, 23 Handwerker von 40\u201464 Jahren und endlich 20 Handwerker von 65\u201475 Jahren. Das geeignetste Mittel zur Pr\u00fcfung des Gef\u00fchls ist der elektrische Strom, wie ihn Lombroso schon im Jahre 1868 w\u00e4hlte.\nTrotz der Entgegnungen von Mantegazza glaube ich, infolge der \u00dcbereinstimmung der Resultate in hunderten und aberhun-derten von Untersuchungen, dafs das Schmerzgef\u00fchl f\u00fcr diese Untersuchungen am besten mit dem faradischen Strome hervorgerufen wird.\nDieses Erregungsmittel ist besonders geeignet, weil man es nicht nur bequem abstufen, sondern auch die Gr\u00f6fse der elektrischen Kraft in Volt mit dem Faradimeter genau bestimmen kann, wozu sich das Faradimeter von Edelmann besonders eignet.\nI.\nDie allgemeine Sensibilit\u00e4t.\nMan kann den von mir gemachten und der Akademie der Fisiocritici in Siena mitgeteilten Untersuchungen, deren Resultate in der folgenden Tabelle enthalten sind, entnehmen, dafs ein mittlerer Grad der allgemeinen Sensibilit\u00e4t dann besteht, wenn zu ihrer Erregung 15\u201420 Volt erforderlich sind. Diesen Grad, welchen wir als mittleren bezeichnen wollen, beobachtete ich am h\u00e4ufigsten, und zwar bei 38,15% der untersuchten Personen; feine allgemeine Sensibilit\u00e4t, die \u00abchon bei 10\u201415 Volt erregt wird, findet man bei 16%; sehr feine allgemeine Sensibilit\u00e4t wird durch eine geringere elektrische Kraft als 10 Volt hervorgerufen. Ich traf dieselbe bei 1,05% an. Man kann diejenige Sensibilit\u00e4t als m\u00e4fsig bezeichnen, welche zu ihrer Erregung 20\u201430 Volt bedarf; man findet sie im Durchschnitt bei 28,80%.\nStumpf kann man diejenige allgemeine Sensibilit\u00e4t nennen, welche erst durch h\u00f6here Erregung als 30 Volt geweckt wird. Unter den 321 Untersuchten war sie bei 21,73% vorhanden. Wenn man diese Stufe noch weiter einteilen will, so kann man unterscheiden: m\u00e4fsig stumpf (30\u201440 Volt) bei 9%, stumpf (40\u201450 Volt) bei 4,16%, sehr stumpf (50\u201460 Volt) bei 7,27 %","page":332},{"file":"p0333.txt","language":"de","ocr_de":"Tabelle I.\nAllgemeine Sensibilit\u00e4t.\nBas Gef\u00fchl und das Alter\n333\n\t? j \u2666\nuaimnoua\u00e4jng\t\nasunquainiy tut\to o'\nasi3 i\u00df\t\n99-OP\t\nuauraioaaS/ng\to\nasnaquauuy un\t\u00a9*\"\nJ9qJ9AipUBH\t\nl jaqoajqiaA\to\nOf-pz\to ;\njaqi9Aipa\u00abH\t<\u00a9\nOf\u2019\u2014fZ\to\nU9ao;qOQ\t\u00a9\nfS\u201461\t<o\n\u2022pnjs smiswAiuxi\to'\n61\u2014PI\to\njaiuqos\to*\n61\u2014H\t\u00a9\nnasre aa\t\u00b0\nPl-6\t\u00a9\nuasigAV\to'\nPT\u20146\t\u00a9\njamqog\t\u00a9\ni 61\u2014H\to\naurami\u00dfquBX j\to'\"\n1 \\ ;\tPT\u20146\to\n| aiuumjsquBX i\t\u00a9^\ni ; japmqiapuij\to o\n. f m *\t\n5 ; *_\t\n\u00ab j\to i * 1 1 I i l\t\ni j\tsarao^g\t\n; U9qos[i;qe[9\t\n!\tS3p\t\n\t\n!\ttr-\txo\txP\tT-t\tCM\tO\u00ef\tCO \u25a0\t\t\nT-M >\trs\tCP\t1\u20141\t00\t\to\tt-m\tCM\t05\nco\tCO\tccT\tco\"\t1\u20144\toT\t\t\trH\n\tT\u20141\tco\tCM\tO!\t\t\t\t\ni\tco\tXP\tc\txp\txp\to\to\to\n1\t\t\t03\t\t03\tco\tT-H\tH\n\t\t\tTh\t\t\t\t\t\n,\t\tc:\tCT-\t\tI>>\tco\t\t\n1\t1\t05\t\u00ab\u25a0V co\t05\tt-M\tTh\tco\ti\n\t\t\tTh\tco\t03\t\ttH\t\u00bb\nI\t\u00ce\tcp\tco \u00ab'S,\t00\tCO\tco\tCD\tCP\n1\t!\tcp\"\tco\t05\tcd~\tco\tCP\t\u2022r^ CD\n\t\trH\tTh\tco\t03\t\t\t\n|\tlD\txp\txP\tlO\to\t1\tm\ti\ni\t\tco\tco\t03\tt-M\tI\tt-M\t1\nco\t\tco\tio\t\t\t\t\t\n\tt>*\tco\t\t1\t1\tI\ti\t\nt-M\ttjT\tco\"\tof\t1\t!\t1\t1\ti\nT-M\tm\tco\t\t\t\t\t\t\nc-\to\tm\t03\t\t\t\t\t\nt-M\to\tco^\tD-\tt\t*\t1\t\t\nof\tco\"\tin'\t00\t1\t* \u00ee\t1\t1\t!\n\trfl\tTh\t\t\t\u2022\t\t\t\n\t\tiD\t\t\t\t\t\t\n\tin\tO^\txp\t1\t1\tI\t|\tj\n00\t\tt\u2014r\tof\t!\t1\tI\t1\t1\nT-l\tco\tco\t1\u20141\t\t\t\t\t\n\tCO\t\t\t\t\t\t\t\n1\t1-H^\tT-M\tin^\tr\u2014t\tCO\t\t\tI\n1\tTh\tcf\tl>f\tC5\tco~\tof\t1\t1\n\t\t03\tco\t03\tT-M\tt-m\t\u00bb\t\nTh\t1\tco\tco\t00\t\tTh\t1 l\t1\n\t\tco\tin\t\t\t\t\t\nin\t\t\tCP\t\t\u00ee\t!\tr\t\nxO\t03\tIP\tco\to\t1\t1\t1\t|\n\t03\txP\trH\ti-H\t\t\t\t\n1\to\tlO\tXP\t\u00a9\tO\ti\t\u00ee\tI\n1\t03\tco\tco\t1\u20141\tt*M\t! i\ti\ti\n\u00a9\nCO\nCO\nco\nCO\nco\nc:\no\n05\n05\n05\nco\nco\n00\nin\niO\n02\n4S\npfl\n0)\nCG\n\n<D\n-1-3\n* 1\u2014*\n&C\n\u2022 !\u2014\u2022\n-CG *\u2014! :c\u00f6\ncw\n\u00c4\ns\nP\n4\u00bb\n02\n\u00ab4-1\nP-\nP\n\u25a0+3\n02\n&D\n\u2022 !\u20144\n\u00e7QC\n:c8\nMH\nPi\nP\nCG\no\nt>\nV\nlO\nrH\nI\no\no\nCM\nI\nI\nxO\no\nco\no\nCM\nO\nCO\nA\nO\nO\nco\no\nxO\n;\nI\no\n\u00abM\nPh\nP\n43\n5T2\nf-i\nrP\n<D\n02\nO\nCP\n!\no\niO\n<M-I\nPm\np\nH-3\nQQ\n-P\nCG\n<x>\nI\np\n:o3\nO\n[N*\nO\nCP","page":333},{"file":"p0334.txt","language":"de","ocr_de":"334\n8. Ottolenghi.\nund aufs erst stumpf (60\u201470 Volt) bei 1,27% der beobachteten Personen.\nI. Jugendliches Alter. Untersuchen wir nun, in welcher Weise sich die allgemeine Sensibilit\u00e4t entwickelt, so finden wir, dafs bei den Sch\u00fclern von 9\u201414 Jahren der mittlere Grad am meisten vertreten ist, bei denen von 14\u201419 Jahren die1 feine Sensibilit\u00e4t (37,5%). Noch \u00f6fter finden wir diesen Grad bei den Studenten im Alter von 19\u201424 Jahren (43,5 %). Eine \u00e4hnliche Verteilung der Sensibilit\u00e4t findet sich bei den gebildeten St\u00e4nden angeh\u00f6renden Erwachsenen; bei ihnen ist aber auch sehr oft (54,7%) die feine Stufe vertreten. Bei den Waisen ist die Sensibilit\u00e4t im allgemeinen stumpfer, als bei den Studenten, auch wenn man den durch das Alter bedingten Unterschied dabei ber\u00fccksichtigt. In beiden Altersstufen findet man am h\u00e4ufigsten die m\u00e4fsige Sensibilit\u00e4t, h\u00e4ufiger finden wir diesen Grad bei den Waisen von 9\u201414 Jahren (53%) als bei denen von 14\u201419 Jahren (37 %).\nBei Taubstummen bemerkt man keinen grofsen Unterschied zwischen den Knaben von 9\u201414 und denen von 14\u201419 Jahren. Bei letzteren ist die Sensibilit\u00e4t entweder eine mittlere oder eine m\u00e4fsige. Bei Findelkindern steht in der Mehrzahl (58%) die Sensibilit\u00e4t auf der mittleren Stufe, ebenso wie bei den Sch\u00fclern. Betrachten wir nun die stumpferen Grade der allgemeinen Sensibilit\u00e4t (von 30 und mehr Volt), so finden wir sie im Durchschnitt bei 21,72%, es f\u00e4llt aber gleich auf, wie selten sie bei Kindern Vorkommen; wir fanden sie niemals bei den Findelkindern, bei 9,9, bezw. 10% der beiden Altersstufen der Taubstummen, hingegen bei 10, bezw. 29% der Waisen und 10, bezw. 0% der Studenten. Nimmt man also die Waisen von 14\u201419 Jahren aus, so ist eine stumpfe allgemeine Sensibilit\u00e4t in der Jugend sehr selten.\nMan kann also folgende S\u00e4tze aufstellen :\n1.\tDie allgemeine Sensibilit\u00e4t ist bei Kindern ziemlich entwickelt, in einzelnen Gruppen ist besonders die mittlere Stufe, in anderen die feine Stufe vertreten, manchmal jedoch auch die m\u00e4fsige Stufe.\n2.\tDie allgemeine Sensibilit\u00e4t nimmt bei den Kindern mit dem Alter zu, und diese Zunahme geschieht in der Art, dafs sie bei einzelnen Gruppen mit dem Eintritt in das erwachsene Alter die h\u00f6chste Stufe der Feinheit erlangt.","page":334},{"file":"p0335.txt","language":"de","ocr_de":"Das Gef\u00fchl und das Alter.\n335\n3.\tBei den Erwachsenen sind die Stufen der allgemeinen Sensibilit\u00e4t nicht sowohl dem Alter, als dem Stande und dem Grade der Degeneration nach verschieden.\nII. H\u00f6heres Alter. Zu nicht weniger interessanten Ke-sultaten gelangen wir bei unseren Beobachtungen \u00fcber die allgemeine Sensibilit\u00e4t im Alter. Ich untersuchte Handwerker im Alter von 40\u201465 Jahren, sowie noch \u00e4ltere, welche im Armenhause aufgenommen waren, und fand, dafs dabei im Vergleich mit Handwerkern von 24\u201440 Jahren die allgemeine Sensibilit\u00e4t mit dem Wachsen der Jahre abnimmt, dafs also hier das entgegengesetzte wie in der Jugend stattfindet. Bei Handwerkern von 24\u201440 Jahren war fast gleichm\u00e4fsig die mittlere Sensibilit\u00e4t vorhanden, und zwar bei 35%; bei denen von 40\u201465 Jahren hatten 43,94 % stumpfe Sensibilit\u00e4t; unter den noch bejahrteren stieg dieser Prozentsatz auf 75 %, w\u00e4hrend dieser Grad der Sensibilit\u00e4t bei allen gepr\u00fcften Individuen doch durchschnittlich nur 21% betrug. Es ergiebt sich also, dafs in h\u00f6herem Alter das Gef\u00fchl sich bis zur Stumpfheit vermindert, so dafs ein Greis wohl noch weniger als ein Kind empfindet. Man kann sich also die allgemeine Sensibilit\u00e4t wie eine krumme Linie vorstellen, die in der Mitte am h\u00f6chsten ist, w\u00e4hrend die beiden Enden nach unten geneigt sind ; das eine Ende (das Alter) liegt noch etwas tiefer, als das andere (die Kindheit).\nII.\nDas Schmerzgef\u00fchl.\nIch unterscheide verschiedene Stufen der Empfindlichkeit f\u00fcr den Schmerz:\n1.\tStufe: \u00e4ufserst hohe Empfindlichkeit f\u00fcr Schmerz; man kann sie fast nicht von \u00e4ufserst starker allgemeiner Erregbarkeit unterscheiden: 30\u201440 Volt.\n2.\tStufe: hohe Schmerzempfindlichkeit: 40\u201450 Volt.\n3.\tStufe: feine Schmerzempfindlichkeit: 50\u201460 Volt.\n4.\tStufe: mittlere Schmerzempfindlichkeit: 60\u201470 Volt. Sie wird bei Erwachsenen am h\u00e4ufigsten gefunden.\n5.\tStufe: m\u00e4fsige Schmerzempfindlichkeit: 70\u201490 Volt. Stumpf wollen wir die Schmerzempfindlichkeit nennen,\nwenn man sie nur mit st\u00e4rkerer elektrischer Spannung als","page":335},{"file":"p0336.txt","language":"de","ocr_de":"336\nS- Ottolenghi.\n90 Voit erregen kann. Wir wollen bei ihr noch drei weitere Stufen unterscheiden :\n6.\tStufe: m\u00e4fsig stumpfe Schmerzempfindlichkeit: 90 bis 100 Yolt.\n7.\tStufe: sehr stumpfe Schmerzempfindlichkeit : 100\u2014130 Yolt.\n8.\tStufe: \u00e4ufserst stumpfe Schmerzempfindlichkeit: mehr als 130 Yolt.\nBei den Untersuchungen merkt man bald, dafs sehr verschiedene Stufen der Schmerzempfindlichkeit auch bei Individuen gleicher sozialer Yerh\u00e4ltnisse Vorkommen. Die Schmerzempfindlichkeit ist aber auch ver\u00e4nderlich, je nach dem Stande und Grade der individuellen Degeneration.\nAus meinen Beobachtungen an den fr\u00fcher schon erw\u00e4hnten 321 Individuen, an denen ich den Einflufs des Alters und der Degeneration auf die Schmerzempfindlichkeit studieren wollte, ergab sich, dafs eine stumpfe Schmerzempfindlichkeit sehr oft (50%) vorhanden war.\nKindheit. Unter den eben erw\u00e4hnten Individuen sind 10 sechs- bis neunj\u00e4hrige Kinder nicht mit eingeschlossen, denn es war nicht m\u00f6glich, von ihnen genaue Angaben zu erhalten. Kaum f\u00fchlten die Kleinen die elektrische Erregung etwas st\u00e4rker, so str\u00e4ubten sie sich gegen die weitere Pr\u00fcfung. Dies d\u00fcrfen wir aber nicht immer \u00fcbertriebener Empfindlichkeit des Gef\u00fchlssinns, sondern m\u00fcssen es \u00fcbertriebener allgemeiner Erregbarkeit zuschreiben. In einzelnen F\u00e4llen konnte ich andererseits in letzter Zeit fast vollst\u00e4ndige Gef\u00fchlsstumpfheit in den ersten Lebensjahren nach weisen.\nJugendliches Alter. Aus der Tabelle II sieht man, wie der Einflufs des Alters bei der Schmerzempfindlichkeit viel deutlicher hervortritt als bei der allgemeinen Sensibilit\u00e4t. Wir finden bis zum Eintritt in das erwachsene Alter verh\u00e4ltnis-m\u00e4fsige Stumpfheit der Schmerzempfindlichkeit, die sich in folgender Weise auf die verschiedenen untersuchten Gruppen verteilt: stumpfe Schmerzempfindlichkeit findet man bei 82% der Findelkinder, bei 68 % der Taubstummen im Alter von 9\u201414 Jahren, bei 61% der Waisen und Sch\u00fcler desselben Alters, bei 60% der Taubstummen von 14\u201419 Jahren, bei 44% der Waisen und 31,25 % der Sch\u00fcler desselben Alters. Bei den Universit\u00e4tsstudenten finden wir nur 17% und bei den Doktoren sogar nur","page":336},{"file":"p0337.txt","language":"de","ocr_de":"Tabelle II.\nSchmerzempfmdlichkeit.\nDas Gef\u00fchl und das Alter.\n337\n\t\nuararaoaaSjns\ta\nasnrquduuy mi\to\n'9SX9XQ\t\n99-0f\t\nsasnBqaaraiy sap\to\n\t\nJaqodjqiaA\to o\"\n0^\u201403\to\nJ9^J9M.pUBII\to'\nO\u00ef\u2014fZ\to\nuajoj^od\to\nfZ-6l\to\nWS S\u00abHSJ9AIU\u00a31\t\u00a9\n6i\u2014n\to\njaiQqog\t\n61\u2014H\to\n\t\u00a9\nH\u20146\to\nuasie^\t\nn-6\t^o\nlaiuqos\to\"\n61\u2014H\t1 o\n9iuuin*sqnB\u00a3\to\u201c\ntt-6\to\ngimunisqnBX\to\nfl\u20146\to\nJ9pm^I9puij;\t\n<D\t\nr3\t\no3\t\nI o\t\nsatnox^g\t\nnaqosxj^aia\t\nsap\t\n\u00bb\u00ab\u2022TH\t\no\no\nCD\nm\ns S\no I\nO\nCO\n\u00dc\no\nrP\n\u00d6\n\u2022 r-t\n<s>\n<4h\n\u00a9\n-P\n~P\n\u2022 r\u2014i\nb\u00df\n\u2022 l-i\nc\u00ae\n:o3\n\u00abw\nPi\nS\n03\n<4-1\nP.\na\np\n-p\nm\nb\u00df\n\u2022 p-i\n*3\n:o3\nLO\tCD\tJO\to\trH\t03\tHfl\tCO\tlO\no\t\tOS WS\tJO\trH\tO\t03\tcs\tCD\n1-H\tCO\tr-\tTh\taf\t\u2022% rq\trH\t\u00ab\u25a0N rH\tr\\ tH\n\t\t\tT\u20141\trH\to\trH\t03 '\trH\n1\t1\t1\to\tlO\tio\tiO\tO\to\n\t1\t1\trH\tTh\tTh\tr\u2014\u2022\t03\trH\n1\tf\tiO\t\u00e0O\tco^\t\t\tG0\tjO\n1\t1\tTh\tTh\tidT\t\u2022\u00bb lO\tG0\t'co\"\to\n\t\t\t\tCM\tco\t\t03\tCO\ni\t1\ti\tCO\tCO\t\t\t\t\n\t1\ti\tco'\tccT\tIO\tI\tCS\tCD\n\t\t\t\trH\t00\t\t03\tl\u00a32\nJO\tJO\to\to\to\to\t1\to\to\n\t\trH\t1-H\t03\tio\t1\t03\tCO\nl>-\tCO\t03\tco\tt-\t00\tcc\t\t\nCO CN\tTh \u2022\u25a0N\tJO\tI>* *\\\tlC\tco\tco^\ti\t1\n03\tr-1\tCS\to\t00\t\u00abs\t\t\t1\n\tOl\t\tco\t03\t\t\t\t\n!>\u2022\ttH\t\t\t00\tJO\t03\t(M\tTh\nT\u20141\tCO\tCO\ttH\t\tco\tjo\tiO\tco\n03\trh\t03 CO\trH CM\tr-T CM\tWS t-H\tr\\ co\tco\trs Th\n\tjO 03 \u00abr^\t\ttO\tJO\tjo\t\t\ttO\n1\t\tt>* CO\tCM tH\tJO \u00abs rH\t03 \u2022V\tJO rN (M\tio \u00ab-N 03\t(M co\n\tCD\t1\u20141\tCO\trH\tCO\trH\tT\u2014t\t\n\tIH\t\t\t\t03\t\t\t03\nl-H\trH\tco \u00abfe.\t\t\tO\t\t00\t03\nTh\tTh\tG0\tCD\tCM\t\u2022% T+l\tD-\t\t(M\n\t\t\t(M\trH\t\t\ttH\tCM\n1\t1\tCO\tCM\to\tO\t(M\tGO\to\n1\ti\t\trH\t03\tCO\trH\t03\t03\n1\tJO\tJO\tuo\t\t\t\ttH\t\n1\tJO\t*s jo\tJO\tCM\t\tCM\tr\\ r-\tCM\n\t\t\t\t(M\tCO\trH\t03\t<M\n1 I\tJO\t\to\tlO\to\tio\tJO\to\n1\t\t\t03\trH\tCO\tCM\t03\t1-1\n\t\t\tCD\tco\t00\tco\tCO\t00\nt 1\tf\ti\u00c4\t\t\trH\tID\tco\trH\n\t1\tTh\tCO\t*> co\t00\t\u2022 \\ io\trfl\tGO\n\t\t\trH\trH\tco\trH\tCO\ttH\n1\t1\t!\t1\tCO\t03\ti\u2014i\trH\tY\n1\tI\ti\t1\trH\t00\tHfl\tTh\t1\nSh\nPh\na\n5\nm\nu\nrP\n(D\nm\nSh\nPh\na\np\n02\nHH\nQQ\n\u00ceH\nCD\nS3\nIC\u00d4\nO\to\to\to\to\t8\to co\to CO\nJO 1\tco t\tc- f\tCTS I\ter;\trH I\trH 1\trH\n40-\t1 o Jfl\t1 o co\t1 o CH\tA\t1 o \u00ab\tI o o\tA\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie IX,\n22","page":337},{"file":"p0338.txt","language":"de","ocr_de":"338\nS. Ottolenghi.\n7,38%, welche eine stumpfe Schmerzempfindlichkeit besitzen. Man kann demnach sagen, dafs in dem jugendlichen Alter bei allen untersuchten Gruppen (Studenten, Waisen, Taubstummeny Findelkindern) Stumpfheit des Schmerzgef\u00fchls in grofser Mehrzahl angetroffen wird; sie wird mit fortschreitendem Alter immer seltener, unabh\u00e4ngig von den sozialen Kreisen, denen die Individuen angeh\u00f6ren. Dieses wiederholt sich; ja, es tritt sogar noch deutlicher hervor, wenn wir nur die h\u00f6heren Grade der Stumpfheit (100\u2014130 Volt oder mehr als 130 Yolt) allein ber\u00fccksichtigen.\nErstaunlich ist die Wahrnehmung, dafs bei den Studenten die Schmerzempfindlichkeit sich stufenweise sch\u00e4rft, so dafs die drei Altersstufen, 9\u201414, 14\u201419 und 19\u201424 Jahre, deutlich voneinander unterschieden sind. Nicht weniger erstaunlich ist, dafs bei normalen Sch\u00fclern von 9\u201414 Jahren fast ebenso oft stumpfe Schmerzempfindlichkeit vorkommt, wie bei den Individuen gleichen Alters, welche degenerierten Gruppen angeh\u00f6ren, Waisen, Taubstummen und Findelkindern.\nMan kann demnach sagen:\t,\n1.\tdafs im jugendlichen Alter die Schmerzempfindlichkeit sehr gering ist ;\n2.\tdafs sie sich mit zunehmendem Alter sch\u00e4rft, falls keine anderen Ursachen ihre Entwickelung hindern.\nH\u00f6heres Alter. Um ein Urteil \u00fcber die Beschaffenheit des Schmerzgef\u00fchls in dieser Lebensperiode zu gewinnen, m\u00fcssen wir die Zahlen vergleichen, die wir bei M\u00e4nnern verschiedenen Alters, aber in gleichen Verh\u00e4ltnissen, n\u00e4mlich den in das Armenhaus Aufgenommenen, gewonnen haben. Bei 65% der zwischen 40 und 65 Jahre alten Leute trafen wir ein stumpfes, d. h. nur mit einer gr\u00f6fseren Stromst\u00e4rke als 90 Yolt erweckbares Schmerzgef\u00fchl, w\u00e4hrend bei den noch \u00e4lteren Leuten dieser Prozentsatz auf 45 herabsank. Einige, doch nicht in hinreichender Zahl gemachte Beobachtungen an \u00e4lteren Leuten h\u00f6herer St\u00e4nde best\u00e4tigten uns die mit dem Alter zunehmende Verfeinerung der Schmerzempfindlichkeit oder, wie man auch sagen kann, die Verminderung des Widerstandes gegen den Schmerz.\nAndere Zahlen unserer Tabelle liefern das gleiche Ergebnis : Die \u00e4ufserste Stumpfheit (mehr als 130 Volt Stromst\u00e4rke) trafen wir bei 30 % der im Alter von 20\u201440 Jahren stehenden Hand-","page":338},{"file":"p0339.txt","language":"de","ocr_de":"Das Gef\u00fchl und das Alter.\n339\nwerker; dieselbe Zahl ergab sich bei den im Armenhause aufgenommenen Handwerkern von 40\u201465 Jahren ; bei noch \u00e4lteren trafen wir sie nur bei 10%. Im hohen Alter fand sich mit bemerkenswerter H\u00e4ufigkeit (45%) eine mittlere Empfindlichkeit (70\u201490 Volt), wie man sie nur bei 20\u201425% der Handwerker im Alter von 20\u201440 und von 40\u201465 Jahren findet.\nEs wird dadurch bewiesen, dafs die Feinheit des Schmerzgef\u00fchls vom mittleren Lebensalter zum Greisenalter zunimmt, ohne jedoch die mittlere Stufe, 60\u201470 Volt, zu \u00fcberschreiten.\nTabelle HL\nStumpfheit des Schmerzgef\u00fchls dem Alter nach.\n22*","page":339},{"file":"p0340.txt","language":"de","ocr_de":"340\nS. Ottolenghi.\nGreise unterscheiden sich demnach von den Kindern dadurch, dafs erstere den Schmerz viel leichter f\u00fchlen, als letztere, w\u00e4hrend, wie in Abschnitt I erw\u00e4hnt, auf beiden Lebensstufen die allgemeine Sensibilit\u00e4t als stumpf zu bezeichnen ist.\nVergleiche hierzu die graphische Darstellung in Tabelle III.\nSchlufsbemerkungen.\nDie Resultate der vorliegenden Untersuchungen scheinen mir nicht ohne Wichtigkeit.\nVor allem scheint es mir n\u00fctzlich zu sein, den experimentellen Nachweis f\u00fcr etwas gefunden zu haben, was schon viele, die sich mit der Biologie des Kindes besch\u00e4ftigten (Perez, Pr\u00eater, Lombroso, Sergi), erkannten.\nDas Kind ist nicht nur anatomisch und psychisch, sondern auch hinsichtlich seiner Empfindlichkeit unvollkommen entwickelt. Bemerkenswert ist bei ihm der gemeinsame Mangel feiner Empfindlichkeit und des moralischen Sinnes: ein neuer \u00fcberzeugender Nachweis der inneren, engen Verbindung, die zwischen organischer und psychischer Empfindlichkeit besteht. Diese Thatsache hat nicht nur eine theoretische, sondern auch eine praktische Wichtigkeit. Bei der forensischen Psychiatrie wird man gen\u00f6tigt sein, bei mangelnder Empfindlichkeit auf eine Degeneration des Charakters nur mit grofser Vorsicht zu schliefsen, da sie auch auf viel einfachere psychologische Ursachen zur\u00fcckgef\u00fchrt werden k\u00f6nnte. In der P\u00e4dagogik ist es nicht viel weniger wichtig, sich daran zu erinnern, dafs das Kind nicht so fein f\u00fchlt, wie wir. Unsere Pflicht ist es, in unseren Beziehungen zu ihm und in der Wahl unserer Erziehungsmittel seine geringe Empfindlichkeit zu ber\u00fccksichtigen und zu ihrer Verfeinerung beizutragen. Dieses indirekte, aber vern\u00fcnftige Mittel wird sein geistiges inneres Gef\u00fchlsleben erziehen und erh\u00f6hen.\nWeniger neu, jedoch nicht ohne Interesse erscheint uns der Beweis, dafs Greise den Schmerz weniger f\u00fchlen, als Leute im mittleren Lebensalter, jedoch ihm gegen\u00fcber weniger widerstandsf\u00e4hig sind. Diese Neigung des Gef\u00fchls, schliefslich zu dem Zustande der Kindheit wieder zur\u00fcckzukehren, erkl\u00e4rt sehr gut gewissse psychische Ver\u00e4nderungen, die wir im Greisen-alter mehrfach, haupts\u00e4chlich aber in den affektiven Gef\u00fchlen und im moralischen Sinn, antreffen.","page":340},{"file":"p0341.txt","language":"de","ocr_de":"Bas Gef\u00fchl und das Alter.\n341\nDie hier mitgeteilten Ergebnisse \u00fcber die Beziehung zwischen Empfindlichkeit und Alter beim Manne beabsichtige ich gegenw\u00e4rtig durch \u00e4hnliche Untersuchungen beim Weibe zu vervollst\u00e4ndigen. Neuerdings hier\u00fcber begonnene Untersuchungen lassen schliefsen, dafs auch hier das Gef\u00fchl mit wachsendem Alter sich sch\u00e4rft. Bei jungen M\u00e4dchen ist es nicht sch\u00e4rfer als bei gleichaltrigen Knaben.","page":341}],"identifier":"lit29759","issued":"1896","language":"de","pages":"331-341","startpages":"331","title":"Das Gef\u00fchl und das Alter: Experimentelle Untersuchungen","type":"Journal Article","volume":"9"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:41:59.536047+00:00"}