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{"created":"2022-01-31T14:03:13.958210+00:00","id":"lit29843","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"M\u00fcller, G. E.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 10: 1-82, 321-413","fulltext":[{"file":"p0001.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\nVon\nG. E. M\u00fcller.\nKapitel 1.\nDie psychophysischen Axiome und ihre Anwendung anf die\nGesiehtsempflnd ungen.\n\u00a7 1. Die vier ersten Axiome der Psychophysik.\nDie Psychophysik setzt nicht blofs die G\u00fcltigkeit der in der Physik und Chemie gelehrten, auf das Verhalten der Materie bez\u00fcglichen Axiome voraus, sondern fufst aufserdem auf gewissen ihr eigent\u00fcmlichen Axiomen, welche die Wechselbeziehung zwischen den psychischen Zust\u00e4nden und den ihnen entsprechenden materiellen Vorg\u00e4ngen betreffen. Man kann zur Zeit f\u00fcnf solche Axiome der Psychophysik unterscheiden,1 von denen die ersten vier die folgenden sind, w\u00e4hrend das f\u00fcnfte Axiom erst in \u00a7 5 zur Darstellung gelangt.\n1.\tJedem Zustande des Bewufstseins liegt ein materieller Vorgang, ein sogenannter psychophysischer Prozefs, zu Grunde, an dessen Stattfinden das Vorhandensein des Bewufstseins-zustandes gekn\u00fcpft ist. (Dafs jedem psychophysischen Prozesse ein Bewufstseinszustand entspricht, besagt die Definition des psychophysischen Prozesses; vergl. S. 4).\n2.\tEiner Gleichheit, \u00c4hnlichkeit, Verschiedenheit der Beschaffenheit der Empfindungen \u2014 von den \u00fcbrigen psychischen Zust\u00e4nden, von denen gleiches gilt, wie von den Empfindungen, kann hier und im folgenden abgesehen werden \u2014 entspricht\n1 Die Zahl ist einigermafsen willk\u00fcrlich. Man kann dieselbe verringern oder erh\u00f6hen, indem man mehrere der angef\u00fchrten Axiome zusammenlegt, bezw. das eine oder andere derselben zerlegt.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie X.\t1","page":1},{"file":"p0002.txt","language":"de","ocr_de":"2\nG. E. M\u00fcller.\neine Gleichheit, \u00c4hnlichkeit, Verschiedenheit der Beschaffenheit1 der psychophysuchen Prozesse, und umgekehrt. Und zwar entspricht einer gr\u00f6fseren oder geringeren \u00c4hnlichkeit der Empfindungen auch eine gr\u00f6fsere, bezw. geringere \u00c4hnlichkeit der psychophysischen Prozesse, und umgekehrt.\n3.\tBesitzen die \u00c4nderungen, welche eine Empfindung durchl\u00e4uft, dieselbe Richtung, oder sind die Unterschiede, die zwischen\n_ ^ v 0 \u2022\neiner Reihe gegebener Empfindungen , bestehen, von gleicher Richtung, so besitzen auch die \u00c4nderungen, welche der psychophysische Prozefs durchl\u00e4uft, oder die Unterschiede der gegebenen psychophysischen Prozesse gleiche Richtung. Ebenso entsprechen auch \u00c4nderungen oder Unterschieden des psychophysischen Prozesses, welche gleiche Richtung besitzen, stets Empfindungs\u00e4nderungen oder -unterschiede von gleicher Richtung. Ist also eine Empfindung in w-facher Richtung variabelT so muf8 auch der zu Grunde liegende psychophysische Prozefs in n-facher Richtung ver\u00e4nderlich sein, und umgekehrt.\n4.\tDie Richtungen, in denen eine Empfindung ver\u00e4ndert werden kann, sind von verschiedener Art. F\u00fchrt die Richtung, in welcher die Empfindung ver\u00e4ndert wird, zum Nullpunkte hin, d. h. wird bei fortgesetzter \u00c4nderung der Empfindung in dieser Richtung schliefslich der Punkt des v\u00f6lligen Schwindens der Empfindung erreicht, so sagt man, dafs die Empfindung bei ihrer Ver\u00e4nderung eine Abnahme ihrer Intensit\u00e4t erleide. Ist die Ver\u00e4nderung genau die Umkehrung einer solchen, welche als Abnahme der Empfindungsintensit\u00e4t bezeichnet wird, so spricht man von einer Zunahme der Empfindungsintensit\u00e4t. Unter den verschiedenen Richtungen der Ver\u00e4nderlichkeit einer Empfindung, welche zum Nullpunkte hinf\u00fchren, nimmt diejenige eine hervorragende Stellung ein, in welcher die Empfindung bei stetiger \u00c4nderung den Nullpunkt\n1 Von der Beschaffenheit des psychophysischen Prozesses \u2014 und das entsprechende gilt von der Beschaffenheit der Empfindung \u2014 ist hier in einem weiteren (die Qualit\u00e4t und Intensit\u00e4t umfassenden) Sinne die Rede. Die Beschaffenheit des psychophysischen Prozesses hat indessen nichts zu thun mit dem Orte, wo sich dieser Prozefs vollzieht. Psychophysische Prozesse, die sich nur durch den Ort, an welchem sie stattfinden, voneinander unterscheiden, sind hinsichtlich ihrer Beschaffenheit v\u00f6llig gleich, genau ebenso wie psychophysische Vorg\u00e4nge, die sich nur durch die Zeit, zu welcher sie sich abspielen, voneinander unterscheiden.","page":2},{"file":"p0003.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Peychopkysik der OestehUempfindungen.\n3\nauf dem k\u00fcrzesten Wege, d. h. mit Durchlaufung der geringsten Anzahl von Zwischenempfindungen, erreicht. Wird die Empfindung in dieser oder der genau entgegengesetzten Richtung ver\u00e4ndert, so liegt eine reine Intensit\u00e4ts-\u00e4nderung der Empfindung vor. Wird die Empfindung in einer der \u00fcbrigen zum Nullpunkte hin- oder vom Nullpunkte wegf\u00f6hrenden Richtungen ver\u00e4ndert, so ist die Empfindungs\u00e4nderung gemischter Art, d. h. eine solche, welche neben der Intensit\u00e4t auch noch die Qualit\u00e4t der Empfindung betrifft. Als eine rein qualitative wird die Empfindungs\u00e4nderung dann bezeichnet, wenn sie in einer Richtung stattfindet, die weder zum Nullpunkte hin-, noch von demselben hinwegf\u00fchrt.\nSo viel zur Verst\u00e4ndigung dar\u00fcber, was wir unter einer\nmm\n\u00c4nderung der Empfindungsintensit\u00e4t oder Empfindungsqualit\u00e4t verstehen. Weiteres hierher Geh\u00f6riges findet sich in \u00a7 6.\nEs gilt nun der Satz (viertes psychophysisches Axiom),\n\u2022\u2022\ndafs jeder qualitativen \u00c4nderung der Empfindung auch eine qualitative \u00c4nderung des psychophysischen Prozesses entspricht, und umgekehrt, und dafs bei einer Erh\u00f6hung oder Minderung der Empfindungsintensit\u00e4t auch die Intensit\u00e4t des psychophysischen Prozesses1 anw\u00e4chst, bezw. sich verringert, und umgekehrt. Ist die Qualit\u00e4ts\u00e4nderung oder die Intensit\u00e4ts\u00e4nderung, welche die Empfindung erfahrt, eine reine, so betrifft auch die \u00c4nderung des psychophysischen Prozesses lediglich die Qualit\u00e4t, bezw. lediglich die Intensit\u00e4t desselben, und umgekehrt.\nWie leicht zu erkennen, stehen die hier angef\u00fchrten vier Axiome in dem Verh\u00e4ltnisse zu einander, dafs immer das nachfolgende Axiom das vorhergehende in bestimmter Weise n\u00e4her erg\u00e4nzt. Man kann es einfacher finden, den Inhalt dieser Axiome in der allgemeinen Behauptung eines psychophysischen Parallelismus kurz zusammenzufassen. Es ist aber zweckm\u00e4\u00dfiger, die S\u00e4tze, welche zusammengenommen dieses allgemeine Prinzip des psychophysischen Parallelismus ausmachen,\n1 Die Begriffe der Intensit\u00e4t und Qualit\u00e4t sind hinsichtlich des psychophysischen Prozesses ganz analog zu definieren, wie hinsichtlich der Empfindung. Die Intensit\u00e4t eines psychophysischen Prozesses nimmt ab, wenn derselbe sich in einer zum Nullpunkte f\u00fchrenden Richtung \u00e4ndert. Weiteres \u00fcber die Intensit\u00e4t des psychophysischen Prozesses folgt in \u00a7 3.","page":3},{"file":"p0004.txt","language":"de","ocr_de":"*\n4\tG. E. M\u00fcller.\neinzeln zu formulieren und hervorzuheben. Denn der Ausdruck \u201epsychophysischer Parallelismus\u201c ist viel zu unbestimmt und l&fst, wie z. B. die Ausf\u00fchrungen des \u00a7 3 zeigen werden, Auslegungen zu, die wir nicht zu teilen verm\u00f6gen oder wenigstens f\u00fcr sehr unsioher halten. Auch haben manche Forscher, und zwar auch solche von hervorragender Art, welche den Parallelismus zwischen Psychischem und Physischem im allgemeinen anerkennen, thats\u00e4chlich doch gegen das eine oder andere\nunserer f\u00fcnf psychophysischen Axiome verstofsen.\nWas den Begriff des psychophysischen Prozesses anbelangt, so kann man in Hinblick auf die Thatsache, dafs nicht jedwede Hirnerregung von einem Zustande unseres Bewufstseins begleitet ist, Hirnerregung und psychophysischen Prozefs nicht identifizieren, sondern mufs den letzteren als einen solchen innerhalb unseres Gehirnes sich abspielenden materiellen Vorgang definieren, welcher von einer Empfindung oder einem sonstigen Zustande unseres Bewufstseins begleitet ist. Hierbei ist prinzipiell die M\u00f6glichkeit nicht zu \u00dcbersehen, dafs der psychophysische Prozefs nur ein Teil desjenigen mehr oder weniger komplizierten Vorganges (sog. Erregungsvorganges) sei, der sich bei Vorhandensein einer Empfindung oder eines sonstigen psychischen Zustandes in irgendwelchen Himteilen abspielt. Nehmen wir beispielshalber an, die Hirnerregung sei ein von elektrischen Ver\u00e4nderungen begleiteter chemischer Prozefs, und es sei nur die demselben entsprechende elektrische Ver\u00e4nderung f\u00fcr das Verhalten unserer Empfindungen mafs-gebend, so w\u00fcrden wir nicht den ganzen Erregungsvorgang, sondern nur diese elektrische Begleiterscheinung als den psychophysischen Prozefs zu bezeichnen haben. Nur f\u00fcr die letztere, nicht aber f\u00fcr den ganzen Erregung\u00bbvorgang brauchten alsdann die obigen Axiome g\u00fcltig zu sein. So k\u00f6nnten z. B. verschiedenen Erregungsvorg\u00e4ngen gleiche Empfindungen entsprechen, falls nur die elektrischen Begleiterscheinungen der Erregungsvorg\u00e4nge dieselben w\u00e4ren.\nH\u00e4lt man an dem obigen Begriffe des psychophysischen Prozesses fest, so zeigt sich, dafs das oben an vierter Stelle aufgestellte Axiom keinerlei Entscheidung dar\u00fcber enth\u00e4lt, ob der betreffende Hirnvorgang bei jedem beliebigen Intensit\u00e4tswerte oder (im Sinne Pechnkes) erst von einem bestimmten Schwellenwerte seiner Intensit\u00e4t ab Empfindung mit sich zu f\u00fchren vermag. Denn obiges Axiom besagt nur, dafs, solange als der Hirnvorgang die Eigent\u00fcmlichkeit besitzt, eine Empfindung mit sich zu f\u00fchren, jeder beliebigen Verst\u00e4rkung oder Schw\u00e4chung desselben eine Erh\u00f6hung, bezw. Verringerung der Empfindungsintensit\u00e4t entspricht Ob aber der Hirnvorgang jene Eigent\u00fcmlichkeit, psychophysischer Prozefs zu sein, prinzipiell schon bei jeder beliebigen Intensit\u00e4t besitzen kann, bleibt v\u00f6llig dahingestellt.\ni","page":4},{"file":"p0005.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophyaik der Gesteh ist mp/i ndungen.\n5\n\u00a72. Unannelimbarkeit eines voiiHbbing aufgestellten\npsychophysischen Satzes.\nDie obigen psychophysischen Axiome oder wenigstens ein Teil derselben liegen stillschweigend oder mehr oder weniger deutlich ausgesprochen gewissen Betrachtungen von Lotzb {Kleine Schriften, herausgegeben von Peipers. 2. S. 30f., Medic. Psychol. S. 217), Fechner [Elemente der Psychophysik. 2. S. 224ff. und anderw\u00e4rts), Mach (Arch. f. Anal. u. Physiol. 1865. S. 634 f., Wien. Ber. 52. 1866. U. S. 320 f.), Hering (Zur Lehre vom Licht-sinne. S. 76) u. a. zu Grunde. Der von dem letztgenannten Forscher (a. a. O. S. 77, 83 f.) aufgestellte Satz, dafs \u201epsychophysische Prozesse von sehr verschiedener Gr\u00f6fse dieselbe Empfindung geben k\u00f6nnen, weil es \u00fcberall nicht auf die absolute Gr\u00f6fse dieser Prozesse, sondern lediglich auf ihr gegenseitiges Verh\u00e4ltnis ankommt\u201c, dafs also z. B. einer und derselben Grauempfindung verschiedene absolute Intensit\u00e4ten der Weifserregung und Schwarzerregung entsprechen k\u00f6nnen, erscheint uns indessen unhaltbar. Man denke sich eine Anzahl psychophysischer Prozesse mit bestimmten gegenseitigen Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnissen gegeben und hierauf ohne Ver\u00e4nderung dieser ihrer gegenseitigen Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse allm\u00e4hlich bis auf den Nullpunkt verringert. Soll nun bei dieser Verringerung der Intensit\u00e4ten s\u00e4mtlicher Partialprozesse die Empfindung ganz unver\u00e4ndert bleiben? Soll im Widerspruche zu dem Prinzipe der Kontinuit\u00e4t ein Erfolg der Intensit\u00e4ts\u00e4nderung des zusammen-gesetzten psychophysischen Prozesses auf der psychisohen Seite erst in dem Momente eintreten, wo s\u00e4mtliche Partialprozesse den Nullpunkt erreichen, indem in diesem Momente die Empfindung ihren bisher unver\u00e4nderten Intensit\u00e4tswert pl\u00f6tzlich mit dem Nullwerte vertauscht? Wir meinen, dafs auch die psychophysische Gesetzm\u00e4fsigkeit keine Spr\u00fcnge kennt. Herings obiger Satz widerspricht offenbar dem vierten unserer psychophysischen Axiome, nach welchem einer \u00c4nderung eines (einfachen oder zusammengesetzten) psychophysischen Prozesses, welche in einer zum Nullpunkte hinf\u00fchrenden Richtung stattfindet, eine \u00c4nderung der Empfindung, die gleichfalls in einer zum Nullpunkte hinf\u00fchrenden Richtung stattfindet, entsprechen mufs. \u00dcberdies sprechen auch die Erfahrungen auf dem Gebiete","page":5},{"file":"p0006.txt","language":"de","ocr_de":"6\nG. E. Muller.\ndes H\u00f6rsinnes keineswegs f\u00fcr den Satz, dafs eine Klangempfindung v\u00f6llig unver\u00e4ndert bleibe, wenn man die den Partialt\u00f6nen entsprechenden psychophysischen Prozesse in gleichen V erh\u00e4ltnissen verst\u00e4ifke oder schw\u00e4che.\nEs empfiehlt sich nicht, dem obigen Satze Herings gegen\u00fcber geltend zu machen, dafs derselbe gegen das zweite unserer Axiome, nach welchem einer Verschiedenheit der psychophysischen Prozesse stets auch eine solche der Empfindungen entsprechen m\u00fcsse, verstofse. Denn man k\u00f6nnte leicht erwidern, dafs, wie wir oben die \u00f6rtlichen Verschiedenheiten der psychophysischen Prozesse f\u00fcr psychophysisoh bedeutungslos erkl\u00e4rt haben, vielleicht auch diejenige Verschiedenheit zusammengesetzter psychophysischer Vorg\u00e4nge, welche nur in einer Verschiedenheit der absoluten Intensit\u00e4ten der sie zusammensetzenden Partialprozesse, nicht aber in einer Verschiedenheit der gegenseitigen Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse der letzteren bestehe, f\u00fcr psychophysisch irrelevant zu betrachten sei. Man mufs jenem Satze Herings in der obigen Weise das Prinzip der Kontinuit\u00e4t und unser viertes Axiom, sowie die Erfahrungen anderer Sinnesgebiete entgegenstellen. Eine der Hauptaufgaben dieser Untersuchungen ist es, die HERiNGsche Theorie der Gegenfarben so zu modifizieren, dafs sie jenes hier angefochtenen Satzes Herings nicht mehr bedarf.\n\u00a7 3. Vom physischen Korrelate der Empfindungsintensit\u00e4t.\nDa alle Empfindungen Intensit\u00e4t besitzen, so m\u00fcssen nach dem vierten der obigen Axiome auch alle psychophysischen Prozesse prinzipiell in solcher Richtung ver\u00e4ndert werden k\u00f6nnen, dafs bei Fortsetzung der \u00c4nderung in dieser Richtung schliefslich der Nullpunkt erreicht wird.\nEiner solchen zum Nullpunkte f\u00fchrenden Ver\u00e4nderung kann jeder psychophysische Prozefs prinzipiell auf doppelte Weise unterworfen werden, insofern er erstens in allen Teilen seiner Ausbreitung eine (nach der lebendigen Kraft der Bewegungen oder in anderer Weise zu bemessende) St\u00e4rke besitzt, und insofern er zweitens sich \u00fcber gewisse Partien des Zentralorganes erstreckt, also eine gewisse Ausbreitung besitzt, die man sich prinzipiell bis zum Werte Null verringert denken kann.","page":6},{"file":"p0007.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesteh tsempfindungen.\n7\nEs fragt sich nun, ob wir uns die Intensit\u00e4t der Empfindung von der St\u00e4rke oder von der r\u00e4umlichen Ausbreitung des psychophysischen Prozesses oder von beiden Faktoren zugleich abh\u00e4ngig zu denken haben.\nIm allgemeinen hat man sich mit dieser Frage bisher nur sehr wenig besch\u00e4ftigt. Ein eigent\u00fcmlicher, wenn auch nicht gl\u00fccklicher, Versuch, zu zeigen, dafs die Empfindungsintensit\u00e4t ihr Korrelat nicht in der St\u00e4rke der Nervenerregung, sondern in der Ausbreitung derselben innerhalb des Zentralorganes (in der Zahl der an der Erregung beteiligten Ganglienzellen) besitze, ist seiner Zeit von Bernstein gemacht worden, um die von Fechner angenommene logarithmische Beziehung der Empfindungsintensit\u00e4t zur Beizst\u00e4rke zu erkl\u00e4ren. (Man vergleiche hier\u00fcber meine Schrift \u201eZur Grundlegung der Psycho-physiku. S. 374 ff.).\nFechner (Elemente der Psychophysik. 2. S. 224 ff, In Sachen der Psychophysik. S. 204 ff.) denkt sich die Empfindungsintensit\u00e4t sowohl von der St\u00e4rke, als auch von der Ausbreitung des psychophysischen Prozesses abh\u00e4ngig. Denn seiner Ansicht nach h\u00e4ngt die Empfindungsintensit\u00e4t von der Summe von lebendiger Kraft oder von der Summe von Geschwindigkeiten oder von Beschleunigungen ab, welche w\u00e4hrend einer endlichen Zeit von s\u00e4mtlichen Teilchen entwickelt werden, die an dem als ein Schwingungsvorgang vorzustellenden psychophysischen Prozesse beteiligt sind. \u201eNach dieser Auffassung,\u201c bemerkt Fechner, \u201eh\u00e4ngt die Intensit\u00e4t der Empfindung wesentlich mit von der Zahl der dazu beitragenden Teilchen ab, und es kann eine gr\u00f6fsere Amplitude der Schwingung durch eine gr\u00f6fsere Zahl Teilchen, die mit kleinerer Amplitude schwingen, ersetzt werden .... Hierin liegt unstreitig eines der wichtigsten Mittel, mit den unsichtbar kleinen Bewegungen in unseren Nerven und Gehirn doch grofse psychische Leistungen hervorzubringen. Wenn blofs ein Nerventeilchen innerlich schw\u00e4nge, so m\u00fcfste es unstreitig in ungeheurer Amplitude schwingen, um den Glockenton in derselben St\u00e4rke wiederzugeben, in der wir ihn jetzt h\u00f6ren.......tt\nEine n\u00e4here und tiefer gehende Angabe dar\u00fcber, wonach eigentlich die St\u00e4rke des psychophysischen Prozesses zu bemessen sei, kann bei dem gegenw\u00e4rtigen d\u00fcrftigen Zustande unseres Wissens nicht mit gutem Gewissen unternommen","page":7},{"file":"p0008.txt","language":"de","ocr_de":"8\nG. E. Muller.\nwerden. Wie oben angedeutet, hat schon Fechner geschwankt, ob die St\u00e4rke, welche der psychophysische Prozefs in einem gegebenen Raumelemente besitzt, nach der lebendigen Kraft oder nach den Geschwindigkeiten oder nach den Beschleunigungen .\u2014 man kann aber auch noch an ganz andere Gr\u00f6fsen denken \u2014 der in diesem Raumelemente vorhandenen, an dem psychophysischen Prozesse beteiligten materiellen Bestandteile zu bemessen sei. Auf jeden Fall hat man bei Betrachtungen dieser Art zun\u00e4chst nicht von der St\u00e4rke der psychophysischen Th\u00e4tigkeit schlechtweg, sondern von der St\u00e4rke zu reden, welche die psychophysische Th\u00e4tigkeit in einem bestimmten Raumelemente (von endlicher Gr\u00f6fse) zu einem bestimmten Zeitpunkte besitzt. Und die St\u00e4rke, welche die psychophysische Th\u00e4tigkeit in einem Raumelemente besitzt, hat man nach dem Werte zu bemessen, den der innerhalb des betreffenden Zeitteilchens in diesem Raumelemente sich abspielende psychophysische Prozefs bei unver\u00e4ndertem Fortdauern w\u00e4hrend der Zeiteinheit f\u00fcr eine bestimmte, allerdings noch nicht genauer angebbare, physikalische oder chemische Gr\u00f6fse (wie die lebendige Kraft von Bewegungen oder die Gr\u00f6fse eines chemischen Umsatzes) ergeben w\u00fcrde.\nNotwendig erhebt sich nun aber die Frage, welche psychophysische Bedeutung die Zahl der Raumelemente besitze, in denen der psychophysische Prozefs mit gleicher oder verschiedener St\u00e4rke bestehe, oder, kurz gesagt, die Frage, was das psychische Korrelat der Ausbreitung der psychophysischen Th\u00e4tigkeit sei. In dieser Hinsicht kann man auf folgende Betrachtung kommen. Es sei ein psychophysischer Prozefs mit einer bestimmten Ausbreitung gegeben, und zwar besitze derselbe der Einfachheit halber in allen Teilen seiner Ausdehnung die gleiche St\u00e4rke. Alsdann kann ich denselben erstens dadurch auf den Nullpunkt herabbringen, dafs ich die St\u00e4rke desselben in allen Teilen seiner Ausbreitung allm\u00e4hlich auf Null herabbringe. Diese Abschw\u00e4chung des psychophysischen Prozesses hat ihr psychisches Korrelat in einer Abnahme der Empfindungsintensit\u00e4t, die schliefslich mit dem v\u00f6lligen Schwinden der Empfindung endigt. Zweitens kann ich jenen psychophysischen Prozefs auch dadurch auf den Nullpunkt herabbringen, dafs ich die Ausbreitung desselben allm\u00e4hlich immer mehr verringere. Auch hierbei erhalten wir","page":8},{"file":"p0009.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n9\neine Reihe von Empfindungen, die uns schliefslich zum Nullpunkt fuhrt. Aber entsprechend dem Umstande, dafs in den beiden betrachteten F\u00e4llen die Reihe von Zust\u00e4nden, welche der psychophysische Prozefs bis zum Nullpunkte hin durchl\u00e4uft, eine verschiedene ist, mufs auch die Reihe von Empfindungen, welche bis zum Nullpunkte hin durchlaufen wird, in beiden F\u00e4llen von verschiedener Art sein. Es giebt also sozusagen zwei verschiedene Arten von Empfindungsintensit\u00e4t, oder besser, neben der Intensit\u00e4t der Empfindungen, welche ihr Korrelat in der St\u00e4rke des psychophysischen Prozesses besitzt, giebt es noch eine andere, gleichfalls zum Nullpunkte f\u00fchrende Dimension der Empfindungen, welche ihr Korrelat in der Ausbreitung der psychophysischen Th\u00e4tigkeit besitzt, und welche etwa als die M\u00e4chtigkeit der Empfindungen bezeichnet werden k\u00f6nnte. Dafs diese letztere Dimension sich der Aufmerksamkeit bisher ganz entzogen hat, kann einfach daran liegen, dafs der psychophysische Prozefs, wenigstens so lange, als seine Art dieselbe bleibt, immer nahezu die gleiche Ausbreitung besitzt, so dafs diejenige Ver\u00e4nderlichkeit der Empfindung, die auf der prinzipiell bestehenden (aber thats\u00e4chlich sich nicht geltend machenden) Ver\u00e4nderlichkeit der Ausbreitung des psychophysichen Prozesses beruht, in unserer Erfahrung \u00fcberhaupt nicht zu Tage treten kann. Es kann aber auch sein, dafs, wenigstens innerhalb gewisser Grenzen, die Ausbreitung des psychophysischen Prozesses gleichzeitig mit der St\u00e4rke desselben anw\u00e4chst, so dafs mit den \u00c4nderungen der Empfindungsintensit\u00e4t zugleich \u00c4nderungen jener M\u00e4chtigkeit einhergehen. Weil aber diese \u00c4nderungen der Intensit\u00e4t und M\u00e4chtigkeit der Empfindungen immer in gleicher Weise miteinander verbunden sind, und niemals der Fall vorkommt, dafs sich bei gleichbleibender Intensit\u00e4t einer Empfindung die M\u00e4chtigkeit derselben ver\u00e4ndert, oder umgekehrt, so kommen wir nicht zu einer Sonderung jener beiden Dimensionen der Empfindung. Nur der sog. Lebhaftigkeitsuntersohied, den man zwischen einer Empfindung und dem ihr entsprechenden Vorstellungsbilde beobachtet, und den man vielfach nicht geneigt ist, in eine Linie mit dem Intensit\u00e4tsunterschiede zweier Empfindungen zu stellen, ist vielleicht als ein Unterschied aufzufassen, der wesentlich auf einer Verschiedenheit der Ausbreitung des psychophysischen Prozesses beruht.","page":9},{"file":"p0010.txt","language":"de","ocr_de":"10\nG. E. M\u00fcller.\nGedanken der im Vorstehenden angedeuteten Art, di\u00a9 nicht weiter ausgef\u00fchrt werden sollen, erscheinen einfach und plausibel, solange man immer nur den Fall voraussetzt, dafs der psychophysische Prozefs in allen Teilen seiner Ausbreitung dieselbe St\u00e4rke besitze, und sich nun entweder die St\u00e4rke oder die Ausbreitung desselben oder beide zugleich variiert denkt. Ihre Durchf\u00fchrung st\u00f6fst aber auf Schwierigkeiten, sobald man dazu \u00fcbergeht, sich den Fall zurechtzulegen, wo die psychophysische Th\u00e4tigkeit in den verschiedenen Teilen ihrer Ausbreitung verschiedene St\u00e4rke besitzt. Soll sich dann jene M\u00e4chtigkeit der Empfindung lediglich nach der Ausbreitung des psychophysischen Prozesses bestimmen, ganz unabh\u00e4ngig davon, wie grofs die St\u00e4rke desselben in den einzelnen Baumteilchen ist? Es scheint also die FECHNERsche Ansicht den Vorzug zu verdienen, nach welcher die Ausbreitung des psychophysischen Prozesses ihr psychisches Korrelat nicht an einer von der Empfindungsintensit\u00e4t verschiedenen Dimension der Empfindung besitzt, sondern eine Vergr\u00f6fserung oder Verringerung jener Ausbreitung psychophysisch v\u00f6llig \u00e4quivalent ist einer ohne Ver\u00e4nderung der Ausbreitung des psychophysischen Prozesses stattfindenden, bestimmten Erh\u00f6hung, bez.Verringerung der St\u00e4rke desselben.1 Nach dieser Auffassung ist die Empfindungsintensit\u00e4t abh\u00e4ngig von der Summe der Werte, welche die St\u00e4rke des psychophysischen Prozesses in den verschiedenen Teilen der Ausbreitung des letzteren besitzt. Der Wert dieser Summe ist also dasjenige, was wir unter dem Werte der Intensit\u00e4t des psychophysischen Prozesses zu verstehen haben. Inwieweit \u00fcberhaupt eine Variation der Ausbreitung des psychophysischen Prozesses in Wirklichkeit stattfindet, kann man bei der hier angedeuteten Auffassung zun\u00e4chst dahingestellt sein lassen.\nDie Annahme, dafs die Intensit\u00e4t des psyohophysischen Prozesses sich wesentlich nach der Anzahl von Baumteilchen\n1 Aus leicht ersichtlichen Gr\u00fcnden k\u00f6nnen (wenigstens bei dem gegenw\u00e4rtigen Stande unseres Wissens) Beobachtungen dar\u00fcber, wie sich die Empfindung eines und desselben Gesichts- oder Geh\u00f6rsreizes einerseits bei ein\u00e4ugigem, andererseits bei zwei\u00e4ugigem Sehen, bezw. einerseits bei einohrigem, andererseits bei zweiohrigem H\u00f6ren verh\u00e4lt, zur Entscheidung zwischen dieser FzoHNERschen Ansicht und der vorher angedeuteten, anderen Ansicht nicht dienen.","page":10},{"file":"p0011.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Ps\u00ffchophysik der Gesichtsempfindungen.\n11\nbestimme, in denen er sich abspielt, wird \u00fcbrigens, wenn aucli nicht ansgesprochenermafsen, stets dann gemacht, wenn man den psychophysischen Prozefs als einen chemischen Vorgang ansieht. Denn alsdann mufs man die Intensit\u00e4t dieses Prozesses f\u00fcr nm so gr\u00f6fser erkl\u00e4ren, je betr\u00e4chtlicher unter sonst gleichen Verh\u00e4ltnissen die Anzahl der Molek\u00fcl\u00a9 oder der Gruppen zusammengeratener Molek\u00fcle ist, an denen er sich vollzieht, d. h. je gr\u00f6fser die Zahl der Raumteilchen ist, in denen er sich abspielt.\nZu der beliebten Bedewendung, dafs ein allgemeiner Parallelismus zwischen dem Psychischen und Physischen existiere, stimmt die Fbchnbr-sche Ansicht, welche wir im Vorstehenden als die mindestens zur Zeit vorzuziehende bezeichnet haben, nicht gerade in ganz besonderem Mafse. Denn ein psychophysischer Prozefs von der Ausbreitung a und der (in allen Teilen seiner Ausbreitung gleichen) St\u00e4rke s ist nicht dasselbe, wie\na\nder qualitativ gleiche Prozefs von der Ausbreitung \u2014 und der St\u00e4rke n $,\nn\nwo n einen beliebigen, von 1 verschiedenen Wert besitzt, und doch soll nach jener Ansicht in beiden F\u00e4llen ganz dieselbe Empfindung vorhanden sein. Die Behauptung eines allgemeinen psychophysischen Parallelismus geht in ihrer Allgemeinheit eben gerade auf die interessanteren Punkte nicht n\u00e4her ein, kann sogar zu Fehlgriffen verleiten und mufs notwendig durch eine Beihe speziellerer S\u00e4tze erl\u00e4utert werden. Auch unser obiges drittes Axiom (S. 2) findet erst durch die vorstehenden Ausf\u00fchrungen eine notwendige Erg\u00e4nzung, insofern die letzteren besagen, dafs eine'' Zunahme oder Abnahme der Ausbreitung des psychophysischen Prozesses und eine Steigerung, bezw. Verringerung der St\u00e4rke, welche derselbe in den verschiedenen Teilen seiner Ausbreitung besitzt, als Ver\u00e4nderungen von gleicher Bichtung anzusehen sind.\nMan ist vielfach geneigt gewesen, als das physische Korrelat derjenigen Eigent\u00fcmlichkeit unserer Gesichtsempfindungen, welche in dem Ausgedehnt- oder Ausgebreitetsein der Farbe besteht, einfach die objektive Ausbreitung und r\u00e4umliche Anordnung der den Farbenempfindungen zu Grunde liegenden Nervenerregungen anzusehen. Hierzu ist\nerstens zu bemerken, dafs eine solche Auffassung erst dann als haltbar\n_ \u2022\nangesehen werden k\u00f6nnte, wenn es gewifs w\u00e4re, dafs auch in allen \u00fcbrigen Sinnesgebieten, deren Nervenerregungen ja unzweifelhaft ebenso wie diejenigen des Gesichtssinnes mit einer gewissen Ausdehnung und r\u00e4umlichen Anordnung im Gehirne stattfinden, die Empfindungsqualit\u00e4ten als ausgedehnt empfunden werden. Ferner ist ja doch nicht sozusagen nur ein durch die erregten Himmassen gelegter fl\u00e4chenhafter Querschnitt psychophysisch wirksam, sondern ein psychophysischer Prozefs, der sich nach allen drei Dimensionen des Baumes erstreckt, liegt unserer Empfindung zu Grunde. Wenn also die r\u00e4umlichen Eigenschaften und Verh\u00e4ltnisse der psychophysischen Prozesse sich wirklich sozusagen ohne weiteres in die r\u00e4umlichen Eigenschaften und Verh\u00e4ltnisse unserer","page":11},{"file":"p0012.txt","language":"de","ocr_de":"12\nG. \u00cb. Muller.\nEmpfindungen \u00fcbersetzten, so m\u00fcfsten die Farbenqualit\u00e4ten und sonstige sinnliche Qualit\u00e4ten nicht blofs mit einer gewissen Ausdehnung, sondern gleichzeitig noch mit einer Erstreckung in die dritte Dimension, mit einer gewissen Dicke empfunden werden. Endlich erhebt sich noch die Frage, wie man sich vom Standpunkte der hier bek\u00e4mpften Ansicht aus damit auseinandersetzen wolle, dafs unsere Wahmehmungshilder keine Diskontinuit\u00e4ten erkennen lassen, welche der Zusammensetzung der psychophysisch wirksamen erregten Massen aus diskreten Teilchen, der Trennung derselben durch Bindegewebe und Blutgef\u00e4fse, der Scheidung der beiden Sehsph\u00e4ren des Grofshirns durch die mediane Hirnspalte u. dergl. m. entsprechen. Uns scheint es ganz unm\u00f6glich, zur Zeit eine psychophysische Deckung f\u00fcr das r\u00e4umliche Element unserer Empfindungen zu gewinnen. Und es erscheint aussichtslos, an dieses Grundproblem der r\u00e4umlichen Wahrnehmung heranzugehen, bevor die psychophysische Forschung \u00fcber andere, einfachere Probleme sichere Auskunft, auf der man fufsen kann, gebracht und auch das psychologische Denken in mancherlei Hinsicht noch weitere Fortschritte gemacht hat. Vielleicht sind \u00fcberhaupt unsere Erkenntnismittel von der Art, dafs wir niemals dazu kommen k\u00f6nnen, solche Anschauungen von der Materie zu entwickeln, welche .uns erlauben, f\u00fcr das r\u00e4umliche Element unserer Empfindungen in einleuchtender Weise das physische Korrelat anzugeben. Es kann aber auch sein, dafs hier Schwierigkeiten ganz anderen Ursprunges vorliegen.\nHinsichtlich der Lokalzeichentheorie Lotzbs mag hier beil\u00e4ufig erinnert werden, dafs sie ganz wesentlich auf der spiritualistischen Voraussetzung beruht, dafs die Vorstellungsassoziation aus einer Eigent\u00fcmlichkeit der Seele entspringe und nicht auf eine physiologische Assoziation r\u00fcckf\u00e4hrbar sei. Jetzt, wo wir in dieser Beziehung besser unterrichtet und gen\u00f6tigt sind, den psychischen Assoziationen und Reproduktionen physiologische Assoziationen und Reproduktionen unterzulegen, haben wir keinen Grund, eventuell vor der Annahme zur\u00fcckzuschrecken, dafs zwei ganz gleiche Empfindungen, welche durch Reizung zweier verschiedener Lokalit\u00e4ten des Sinnesorganes hervorgerufen werden, trotz ihrer v\u00f6lligen Gleichheit verschieden lokalisiert werden k\u00f6nnen, d. h. verschiedene zu ihrer Lokalisierung dienliche Vorstellungen reproduzieren k\u00f6nnen. Nach unseren gegenw\u00e4rtigen Anschauungen h\u00e4ngen die Vorstellungen, welche eine Empfindung reproduziert, von den physiologischen Assoziationen ab, welche der ihr zu Grunde liegende Nervenprozefs eingeht. Und ein und derselbe sensorische Nervenprozefs kann in zwei oder mehr F\u00e4llen, in denen er von verschiedenen Stellen des Sinnesorganes aus hervorgerufen wird, sich mit ganz verschiedenen, gleichzeitig oder unmittelbar nach ihm erweckten, Nervenerregungen assoziieren, so dafs er sp\u00e4terhin je nach der Lokalit\u00e4t der Reizungsstelle verschiedene zur Lokalisierung der ihm entsprechenden Empfindung dienliche Vorstellungen reproduzieren kann. Eine Erregung, welche von einem anderen Orte des Sinnesorganes aus hervorgerufen wird als eine zweite Erregung von gleicher Beschaffenheit, ist eben physiologisch etwas anderes, pflanzt sich auf anderen Bahnen fort und kann andere","page":12},{"file":"p0013.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der GesichUiempfindungen.\n13\nAssoziationsbahnen beschreiten, als jene zweite Erregung. Ebenso ist der Fall, wo eine zusammengesetzte Erregung aus einer links erweckten schw\u00e4cheren und rechts erweckten st\u00e4rkeren Erregung (z. B Geh\u00f6rs-erregung) besteht, physiologisch sehr wesentlich von dem Falle verschieden, wo die linke Erregung die st\u00e4rkere und die rechte Erregung die schw\u00e4chere ist. Von dem hier angedeuteten Standpunkte aus erscheint z. B. f\u00fcr die Erkl\u00e4rung unserer (allerdings nur m\u00e4fsig entwickelten) F\u00e4higkeit, eine Tonquelle auf Grund der durch sie erweckten Geh\u00f6rseindr\u00fccke richtig nach rechts oder links u. s. w. zu lokalisieren, nicht die Annahme erforderlich, dafs sich die durch das rechte Ohr und die durch das linke Ohr vermittelten Geh\u00f6rseindr\u00fccke durch irgend eine von der Lokalit\u00e4t des erregten Ohres abh\u00e4ngige Modifikation ihrer Beschaffenheit, durch ein sogenanntes Lokalzeichen oder lokales Moment voneinander unterschieden.1 Diese Eindr\u00fccke k\u00f6nnen (gleichen Beiz und gleiche Erregbarkeit vorausgesetzt) einander v\u00f6llig gleich sein. F\u00fcr die Lokalisation der Schallquelle gen\u00fcgt es, dafs die Nervenprozesse, welche den Schallempfindungen zu Grunde liegen, je nach der Lage der Schallquelle (je nach dem Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse, das zwischen den Erregungen beider Geh\u00f6rsorgane besteht) verschiedene andere Nervenprozesse reproduzieren, deren psychisches Korrelat in den die richtige Lokalisation der Schallquelle ausmachenden Vorstellungen besteht. Diese letzteren Vorstellungen m\u00fcssen freilich, wenigstens zum Teile, eine gewisse Verschiedenheit besitzen.\n\u00a74. Einfache und zusammengesetzte psychophysische\n. Prozesse.\nDie psychophysischen Prozesse sind entweder einfache oder Mischprozesse. Ein einfacher psychophysischer Prozefs ist ein solcher, den die psychophysische Betrachtung nicht gen\u00f6tigt ist, in mehrere Teilvorg\u00e4nge zu zerlegen, der also entweder wirklich einfacher Natur ist oder nur aus solchen Teilvorg\u00e4ngen besteht, welche als psychophysische Prozesse in unserer Erfahrung niemals voneinander getrennt Vorkommen, ja sogar auch niemals in anderen Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnissen miteinander vermischt Vorkommen. Hingegen bezeichnen wir einen\n1 Ob diese Annahme durch anderweite (dem Gebiete der allgemeinen Physiologie angeh\u00f6rende) Gesichtspunkte erfordert wird, soll hier dahingestellt bleiben. Macht man die Annahme, dafs die Lokalisation der Schallquellen im wesentlichen auf den Tastempfindungen der beiden\nTrommelfelle beruhe, so gilt nat\u00fcrlich gleichfalls der Satz, dafs diese\n\u2022 \u2022\nLokalisation an und f\u00fcr sich keinen gen\u00fcgenden Grund f\u00fcr die Behauptung hergiebt, dafs die Trommelfellempfindungen des rechten und des linken Ohres sich durch ein besonderes lokales Moment voneinander\nunterschieden.","page":13},{"file":"p0014.txt","language":"de","ocr_de":"14\nG- E. Mutter.\npsychophysischen Prozefs als einen zusammengesetzten oder Mischprozefs, wenn er aus zwei oder mehr Vorg\u00e4ngen besteht, welche als psychophysische Prozesse auch voneinander getrennt oder wenigstens in wechselnden Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnissen miteinander vermischt in unserer Erfahrung Vorkommen.\nEine Empfindung, welcher ein einfacher psychophysischer Prozefs entspricht, soll eine reine Empfindung oder Grundempfindung heifsen, eine solche hingegen, welcher ein psychophysischer Mischprozefs zu Grunde liegt, soll als eine unreine Empfindung oder Mischempfindung bezeichnet werden. Es ist wohl zu beachten, dafs eine Mischempfindung, ebenso wie eine reine Empfindung, eine einfache Empfindung ist, die nicht als ein Komplex mehrerer Empfindungen oder als eine aus mehreren Teilempfindungen zusammengesetzte Empfindung angesehen werden darf.\nAngenommen z.B., es k\u00e4me in unserer Erfahrung diejenige Empfindung vor, welcher ausschliefslich eine Weifserregung (im Sinne von Herings Theorie) ohne jede Beimischung einer anderen Erregung entspricht, so w\u00fcrden wir diese Empfindung als eine Grundempfindung und den ihr zu Grunde liegenden psychophysischen Prozefs als einen einfachen bezeichnen, ohne durch diese Bezeichnungen die M\u00f6glichkeit ganz auszuschliefsen, dafs die Weifserregung thats\u00e4chlich ein ziemlich komplizierter Vorgang sei. Wir w\u00fcrden mit diesen Bezeichnungen nur behaupten, dafs entweder die Weifserregung wirklich einfacher Art sei oder wenigstens in unserer Erfahrung keine Empfindung vorkomme, deren psychophysischen Prozefs wir uns als einen solchen vorzustellen h\u00e4tten, der in seiner Ganzheit oder einem Teile nach aus einem Teilvorgange der Weifserregung bestehe oder aus ganz denselben Teilvorg\u00e4ngen, wie die Weifserregung, nur mit anderen Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnissen derselben zu einander, zusammengesetzt sei.\nHingegen w\u00fcrden wir eine Empfindung, welcher ein aus Weifserregung und Blauerregung zusammengesetzter psychophysischer Vorgang entspricht, als eine Mischempfindung (aber nicht als eine zusammengesetzte Empfindung) bezeichnen, weil dieser psychophysische Prozefs aus Teilvorg\u00e4ngen besteht, die als psychophysische Prozesse auch voneinander getrennt oder wenigstens in den verschiedensten Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnissen miteinander vermischt in unserer Erfahrung Vorkommen.","page":14},{"file":"p0015.txt","language":"de","ocr_de":"Zut Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n15\nln K\u00fcrze l\u00e4uft also die Unterscheidung von einfachen und zusammengesetzten psychophysischen Prozessen, von Grund-empfindungen und Misohempfindungen, darauf hinaus, dafs von den psychophysischen Prozessen der ersteren Benennungsweise zur Zeit nicht nachweisbar ist, dafs sie zusammengesetzter Natur sind, w\u00e4hrend wir gute Gr\u00fcnde haben, diejenigen der zweiten Benennungsweise als zusammengesetzte (aus zwei oder mehr Partialprozessen bestehende) Vorg\u00e4nge anzusehen. Es verh\u00e4lt sich mithin mit dieser Unterscheidung ganz \u00e4hnlich, wie mit der Unterscheidung zwischen chemischen Elementen und chemischen Verbindungen. Denn auch die chemischen Elemente sind nicht Stoffe, deren einfache Natur wir mit Sicherheit behaupten k\u00f6nnen, sondern nur Stoffe, von denen zur Zeit nicht nachgewiesen ist, dafs sie zusammengesetzter Art sind. Wie ferner trotz dieser Relativit\u00e4t des Begriffes chemisches Element die Unterscheidung zwischen chemischen Elementen und chemischen Verbindungen f\u00fcr die Chemie notwendig ist, so ist auch die Unterscheidung von einfachen und zusammengesetzten psychophysischen Prozessen, von Grund-empfindungen und Mischempfindungen, f\u00fcr die Psychophysik erforderlich, obwohl wir nicht behaupten k\u00f6nnen, dafs die den Grund empfindungen entsprechenden psychophysischen Vorg\u00e4nge auch f\u00fcr eine \u00fcber unser jetziges Wissen hinausgehende, letzte Betrachtung als einfache psychophysische Prozesse anzusehen seien.\n\u00a7 5. Das f\u00fcnfte psychophysische Axiom.\nHinsichtlich der Mischempfindungen erhebt sich nun die wichtige Frage, in welcher Weise sich die Qualit\u00e4t einer Mischempfindung nach den Qualit\u00e4ten und Intensit\u00e4ten der ihr zu Grunde liegenden psychophysischen Partialprozesse bestimme. Auf diese Frage antworten die folgenden Darlegungen, welche das f\u00fcnfte Axiom der Psychophysik enthalten.\nEs seien a und b die Intensit\u00e4ten der beiden qualitativ verschiedenen, einfachen psychophysischen Partialprozesse, welche einer Mischempfindung p zu Grunde liegen, und a sei die reine Empfindung, welche der Partialprozefs von der Intensit\u00e4t a isoliert genommen hervorrufen w\u00fcrde, und ft sei die reine Empfindung, welche der Partialprozefs von der Intensit\u00e4t b einzeln","page":15},{"file":"p0016.txt","language":"de","ocr_de":"16\nG. E. M\u00fctter.\ngenommen erwecken w\u00fcrde. Alsdann ist die Mischempfindung p sowohl jener Empfindung a, als auch dieser Empfindung \u00df in gewissem Grade \u00e4hnlich, und zwar bestimmt sich der Grad der \u00c4hnlichkeit, welche p zu a und zu \u00df besitzt, in folgender Weise nach den Intensit\u00e4ten und Qualit\u00e4ten der beiden psycho-physischen Partialprozesse.\nDer Grad der \u00c4hnlichkeit, welche die Mischempfindung p zur Empfindung \u00ab oder \u00df besitzt, m\u00f6ge kurz mit Apa, bezw. Ap\u00df bezeichnet werden. Fingiert man nun den Fall, dais die Empfindungen a und \u00df ohne jede in Betracht kommende \u00c4hnlichkeit zu einander seien, so bieten sich als die einfachsten und plausibelsten folgende zwei Formeln dar:\na\na -f b\nA^ = ^T~b......................2>-\nSetzt man b = 0, so geht die \u00c4hnlichkeit von p zu a in v\u00f6llige Gleichheit \u00fcber, indem Apa \u2014 1 wird. Das Entsprechende gilt f\u00fcr den Fall, wo a = 0 ist. Ist a = 6, so f\u00e4llt Apa \u2014\nAa\u00df = ^ aus.\nSind jedoch die beiden Grundempfindungen a und \u00df einander in merkbarem Grade \u00e4hnlich, so bedarf das Vorstehende einer wesentlichen Erg\u00e4nzung. Der Grad der \u00c4hnlichkeit der Empfindung a zur Empfindung \u00df soll dem obigen entsprechend durch Aa\u00df dargestellt werden, wo Aa\u00df ein nur von den Qualit\u00e4ten der beiden Empfindungen a und \u00df} nicht aber von den Intensit\u00e4ten derselben abh\u00e4ngiger, echter Bruch ist, welcher der Einheit um so n\u00e4her steht, je \u00e4hnlicher a dem \u00df ist. Bezeichnen wir ferner den Grad der \u00c4hnlichkeit von \u00df zu a mit A\u00dfa so gilt zun\u00e4chst offenbar die Gleichung :\nAa\u00df = A\u00dfa......................3).\nDer Grad der \u00c4hnlichkeit ferner, in welcher die Mischempfindung p) der jene beiden den Grundempfindungen a und \u00df entsprechenden Partialprozesse von den Intensit\u00e4ten a und b gemeinschaftlich zu Grunde liegen, zu der Empfindung a steht, wird durch die Gleichung dargestellt :","page":16},{"file":"p0017.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n17\nu A\u00dfet. b\na -\\-b\nEbenso gilt f\u00fcr die \u00c4hnlichkeit von p zu \u00df die Gleichung:\nA 0 b + Acc\u00df.a\na + b ......................6)-\nHinsichtlich der Gr\u00f6fse Aa\u00df oder A\u00dfa, welche als der \u00c4hnlichkeitskoeffizient von a in Beziehung auf \u00df, bezw. von \u00df in Beziehung auf a, bezeichnet werden kann, braucht nicht erst noch bemerkt zu werden, dafs sie stets nur positive Werte besitzen kann. Negative Werte eines \u00c4hnlichkeitskoeffizienten sind sinnlos.\nDie Notwendigkeit, von den Formeln 1) und 2) zu den Formeln 4) und 5) \u00fcberzugehen, ergiebt sich ohne weiteres daraus, dafs sich der Wert von Apa der Einheit um so mehr n\u00e4hern mufs, je \u00e4hnlicher \u00df dem a wird, je mehr sich also A\u00dfa der Einheit n\u00e4hert. Dieses Verhalten findet seinen Ausdruck in Gleichung 4), nicht aber in Gleichung 1). Es kann \u00fcberhaupt als das Richtigere erscheinen, sogleich mit der Aufstellung obiger Gleichungen 4) und 5) zu beginnen und Gleichungen 1) und 2) als diejenigen darzustellen, die sich f\u00fcr den Grenzfall v\u00f6lliger Disparatheit von a und \u00df) wo A\u00dfa \u2014 0 ist, ergeben.\nDie vorstehenden Betrachtungen lassen sich nun leicht f\u00fcr den Fall verallgemeinern, dafs der Mischempfindung p nicht blofs 2, sondern 3 oder mehr psychophysische Partialprozesse von den Intensit\u00e4ten a, 6, c . . ., denen isoliert genommen die reinen Empfindungen a, \u00df) y \u2022 \u2022 \u2022 entsprechen, zu Grunde liegen. In diesem Falle gelten die Gleichungen:\nci -f- A\u00dfa . b -f- Aya . c . \u2022. et -{- b \u201c|- c. . .\nb ~f- Aa\u00df . d -f- Ay\u00df . c . . . d -j\u2014 b \u2014|- c . ..\nu. s. w.\nDie vorstehenden Gleichungen 6) und 7) samt den entsprechenden Gleichungen f\u00fcr Apy, Apd u. s. w. k\u00f6nnen als ein kurzer Ausdruck des f\u00fcnften psychophysischen Axioms angesehen werden. Sie stellen uns die Qualit\u00e4t der Mischempfindung fjt in ihrer Abh\u00e4ngigkeit von der Beschaffenheit\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie X.\t2","page":17},{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"18\nG. E. M\u00fcller.\nund den Intensit\u00e4tsVerh\u00e4ltnissen der ihr zu Grunde liegenden psychophysischen Partialprozesse dar.\nNat\u00fcrlich kann eine Mischempfindung p einer reinen Empfindung a auch dann \u00e4hnlich sein, wenn keiner der ihr zu Grunde liegenden Partialprozesse dem psychophysischen Prozesse, welcher der Empfindung a entspricht, qualitativ gleich ist, sondern einer oder mehrere jener Partialprozesse diesem letzteren Prozesse nur \u00e4hnlich sind. Auch diesem Falle wird obige Gleichung 6) gerecht, indem man alsdann in derselben die Gr\u00f6fse a gleich Null zu setzen hat.\nF\u00fcr den Fall, dafs die Empfindungen a, \u00df> y \u2022 \u2022 \u2022 als zu ander disparat angesehen werden k\u00f6nnen, oder wenigstens a als disparat zu y, \u00f4 . .. angesehen werden darf,1 geht Gleichung 6) \u00fcber in die einfachere Gleichung:\nAp.a = \u2014r- t a,.......................8).\na + b -f c . . .\nEntsprechendes gilt von den Gleichungen f\u00fcr Ap\u00df, Apy u. s. w.\nDas auf der rechten Seite vorstehender Gleichung 8) dargestellte Verh\u00e4ltnis, in welchem di\u00a9 Intensit\u00e4t eines psychophysischen Partialprozesses zur Summe der Intensit\u00e4ten aller vorhandenen psychophysischen Teilvorg\u00e4nge steht, soll kurz als das Gewicht dieses Partialprozesses bezeichnet werden.\nBezeichnen wir mit dApa die Zunahme von Apa, die einem bestimmten Zuwuchse da von a entspricht, so ergiebt sich aus Gleichung 6), wenn wir da als sehr klein ansetzen,\ndAfia___b (1 \u2014 A\u00dfa) -f- c (1 \u2014 Aya) ...\n~\u00e0a \u2014\t(a + b + c . . .)*\t.........\nDas Entsprechende findet sich f\u00fcr\ndAfjk\u00df dAfiy\nu. s. w.\n1 Dafs der Fall, wo einer Mischempfindung v\u00f6llig disparate psycho* physische Partialprozesse zu Grunde liegen, in unserer Erfahrung wirklich vork\u00e4me, wird hier nicht im mindesten behauptet. Dieser Fall ist hier nur deshalb ber\u00fccksichtigt, weil die \u00c4hnlichkeit zwischen zwei einer Misch empfindung zu Grunde liegenden Partialprozessen (und mithin auch zwischen den diesen Partialprozessen entsprechenden zwei Grundempfindungen) in manchen F\u00e4llen so gering ist, dafs sie bei versehiedene\u00e7 Betrachtungen ohne Nachteil v\u00f6llig vernachl\u00e4ssigt werden kann und von obigen Gleichungen 1), 2) und 8) getrost Gebrauch gemacht werden darf.","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik dsr Gesichtsempfindunyen.\n19\nAus dieser Gleichung 9) ergiebt sich, abgesehen von anderen, leicht ersichtlichen Konsequenzen, dafs die \u00c4hnlichkeit einer Mischempfindung p zu der Grundempfindung a, welche einer der ihr zu Grunde liegenden psychophysischen Partialprozesse einzeln genommen hervorrufen w\u00fcrde, bei einer Erh\u00f6hung dieses Partialprozesses eine Zunahme erfahrt, die erstens unter sonst gleichen Verh\u00e4ltnissen um so geringer ist, je intensiver dieser Partialprozefs bereits ist, und die zweitens unter sonst gleichen Umst\u00e4nden um so geringer ist, je \u00e4hnlicher die reinen Empfindungen \u00df, y . . ., welche den \u00fcbrigen vorhandenen Partialprozessen entsprechen, der Grundempfindung a sind, je kleiner demgem\u00e4fs die Werte der Differenzen (1 \u2014 A\u00dfa\\ (l \u2014 Aya) u. s. w. sind. Aus dem zweiten Teile dieses Satzes ergiebt sich z. B. folgendes. Es sei eine Weifserregung von der Intensit\u00e4t w und aufserdem eine einfache chromatische Erregung von der Intensit\u00e4t f gegeben, welcher die reine Farbenempfindung y entspricht. Der \u00c4hnlichkeitskoeffizient dieser Farbenempfindung 9 in Beziehung auf die reine Weifsempfindung m\u00f6ge kurz durch A<p dargestellt werden. Alsdann ist die Weiblichkeit der Mischempfindung, welche jenen beiden psychophysischen\nPartialprozessen entspricht, nach Gleichung 4) gleich \u2014\nzu setzen, und der Zuwuchs, den die W eifslichkeit dieser Mischempfindung bei einer Steigerung von w um dw erf\u00e4hrt, ist nach\nGleichung 9) gleich -Da nun Atp offenbar einen\nh\u00f6heren Wert besitzt, wenn die vorhandene chromatische Erregung eine Gelberregung und mithin die Empfindung <p eine reine Gelbempfindung ist, als dann, wenn jene Erregung eine Blauerregung und mithin f eine reine Blauempfindung ist, so folgt, dafs die Weiblichkeit der Mischempfindung bei einer und derselben Erh\u00f6hung der gegebenen Weifserregung einen gr\u00f6fseren Zu wuchs erf\u00e4hrt, wenn die neben der Weifserregung noch gegebene chromatische Erregung von der Intensit\u00e4t / eine Blauerregung ist, als dann, wenn dieselbe eine Gelberregung ist.\nDer Aufstellung der obigen Formeln 1) bis 9) liegt selbstverst\u00e4ndlich (ebenso wie den entsprechenden Ausf\u00fchrungen von Hbriho) nicht die Voraussetzung zu Grunde, dafs wir die \u00c4hnlichkeiten von Empfindungen messen k\u00f6nnten. Wir sind\n2*","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20\nG. K M\u00fctter.\nvielmehr nur in der Lage, in gegebenen F\u00e4llen die Merkb&rkait oder Unmerkbarkeit, das Gr\u00f6lser* oder Geringersein von Empfindnngs\u00e4hnlichkeiten oder Empfindung\u00bbunterschieden behaupten zu k\u00f6nnen, sowie \u00fcber die Sichtung von Empfindungsunterschieden urteilen zu k\u00f6nnen. Zur Erkl\u00e4rung oder Er\u00f6rterung von Resultaten, die mittelst dieser unserer, durchaus nicht nach jeder Richtung hin scharf entwickelten, F\u00e4higkeit erhalten werden, sollen die obigen Formeln (nebst anderweiten Betrachtungen) dienen. Die betreffenden That Sachen k\u00f6nnen infolge ihres allgemeineren, nicht numerisch bestimmten Charakters auch noch auf Grund anderer Formeln erkl\u00e4rt oder er\u00f6rtert werden. Nur sind eben die obigen Gleichungen von allen in Betracht kommenden Formeln weitaus die einfachsten und deshalb zu bevorzugen. Man kann nat\u00fcrlich versuchen, den Inhalt der obigen Formeln, soweit er wirklich in unserer Erfahrung zu Tage tritt, in blofsen Worten auszudr\u00f6cken. Indessen verliert man bei einem solchen Versuche durchaus die K\u00fcrze, Pr\u00e4zision und Durchsichtigkeit, welche ein Vorteil der mathematischen Darstellungsweise ist. Man versuche z. B. nur einmal, alle diejenigen g\u00fcltigen S\u00e4tze, welche in Gleichung 9) enthalten sind, blofs in Worten auszudr\u00fccken. Nur dann, wenn es sich zeigen sollte, dafs die obigen Formeln auch bei einem ernsthafteren Denken auf Missverst\u00e4ndnis oder ungen\u00fcgendes Verst\u00e4ndnis stofsen, wird es angezeigt sein, zu dem umst\u00e4ndlichen Gesch\u00e4fte \u00fcberzugehen, den gesamten wesentlichen Inhalt derselben nur in Worten auszudr\u00fccken.\nWenn wir den obigen Formeln entsprechend z. B. die Weifslichkeit einer schw&rzweifsen Mischempfindung f\u00fcr den Fall, dafs die \u00c4hnlichkeit der reinen Schwarzempfindung zur reinen Weilsempfindung ganz\nw\nvernachl\u00e4ssigt werden kann, gleich \u2014\t- setzen, wo w und s die Intensi-\nt\u00e4ten derWeifs- und Schwarzerregung darstellen, so kann man vielleicht fragen, ob es nicht ebenso einfach und ebenso plausibel sei, die\nW\nWeifslichkeit einer solchen Empfindung gleich \u2014 zu setzen. Hierzu ist\nfolgendes zu bemerken. Setzt man die Weifslichkeit der schwarz-\nw\nweifsen Mischempfindung gleich , so erh\u00e4lt man f\u00fcr den Fall, wo\no\ns = 0 wird und die Mischempfindung in die reine Weifsempfindung \u00fcbergeht, den Weifslichkeitswert <\u00bb. Geht man hingegen von unseren Formeln aus, so erh\u00e4lt man in diesem Falle den Wert 1. Von vornherein kann es rein als Sache der Willk\u00fcr erscheinen, ob man sich f\u00fcr diese oder jene Behandlungsweise entscheide. Ziehen wir indessen die","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindunyen,\n21\nErfahrung in Betracht, so kann kein Zweifel obwalten, wie wir uns zu entscheiden haben. Man setze n\u00e4mlich die Weifslichkeit der. schw\u00e4rzte\nweifsen Mischempfindung gleich \u2014 und denke sich nun 8 bedeutend ver-\n\u00e4ndert, z. B. verzehnfacht oder auf ein Zehntel verringert, so mufs dieser \u00c4nderung von 8 eine sehr deutliche \u00c4nderung der Weifslichkeit der Mischempfindung entsprechen, welche ihrem relativen Werte nach ganz unabh\u00e4ngig davon ist, wie grofs der Wert von w ist, und welche ihrem absoluten Werte nach um so gr\u00f6fser ist, je betr\u00e4chtlicher derWert von to ist, welche z. B. in dem Falle,wo w tausendmal gr\u00f6fser ist, als\u00ab, relativ genommen gleich grofs und absolut genommen sehr viel gr\u00f6fser ist, als in dem Falle, wo w gleich grofs gegeben ist, wie 8. Es ist leicht zu erkennen, dafs diese Konsequenz der Erfahrung durchaus widerspricht. Unsere Erfahrungen auf diesem Gebiete, so grob sie auch sind, berechtigen uns vollkommen zu der Behauptung, dais die Qualit\u00e4t einer durch zwei psychophysische Partialprozesse bewirkten Mischempfindung und die \u00c4hnlichkeit, welche die letztere zu der dem einen Partialprozesse entsprechenden Grundempfindung besitzt, durch eine bestimmte Verst\u00e4rkung oder Schw\u00e4chung des anderen Partialprozesses eine um so geringere \u00c4nderung erf\u00e4hrt, je intensiver jener erstere Partialprozefs in Vergleich zu diesem letzteren, einer \u00c4nderung seiner St\u00e4rke zu unterwerfenden Partialprozesse ist. Diesem Verhalten wird man gerecht, wenn man die\nI#\nWeifslichkeit einer schwarz weifsen Empfindung gleich w 8 setzt und\nentsprechend in anderen F\u00e4llen verf\u00e4hrt, nicht aber dann, wenn man\nw\ndieselbe gleich \u2014 setzt. Zu einem entsprechenden Resultate gelangt man,\no\nwenn man davon ausgeht, dafs bei Bestimmung der Weifslichkeit durch\nw\ndas Verh\u00e4ltnis \u2014 der Zuwachs, den die Weifslichkeit bei konstantem s\n8 1\ndurch eine bestimmte Erh\u00f6hung von w erf\u00e4hrt, ganz unabh\u00e4ngig von dem bereits vorhandenen Werte von 10 ausf\u00e4llt. \u2014\nAus den obigen Ausf\u00fchrungen ergiebt sich, dafs eine wahrgenommene qualitative \u00c4hnlichkeit zweier Empfindungen zu einander sehr verschiedenen Ursprunges sein kann. Erstens k\u00f6nnen zwei reine Empfindungen in einer f\u00fcr uns zur Zeit nicht ableitbaren \u00c4hnlichkeit zu einander stehen (wie z. B. die reine Weifsempfindung und die reine Gelbempfindung). Zweitens kann eine Mischempfindung einer reinen Empfindung \u00e4hnlich sein, weil der dieser letzteren entsprechende psychophysische Prozefs den Partialprozessen, welche der Mischempfindeng zu Grunde liegen, mehr oder weniger \u00e4hnlich oder gar einem derselben qualitativ gleich ist. Drittens k\u00f6nnen zwei Mischempfindungen einander \u00e4hnlich sein, weil einer oder mehrere der Partialprozesse, welche der einen Empfindung zu Grunde liegen, qualitativ gleich oder \u00e4hnlich sind einem oder mehreren der Partialprozesse, auf denen die andere Empfindung beruht. Die (einigermafsen umst\u00e4ndliche) Aufstellung der Formeln f\u00fcr die verschiedenen F\u00e4lle von gegenseitiger \u00c4hnlichkeit zweier Mischempfindungen ist zwar schon gegenw\u00e4rtig von Interesse, mufs aber der Raum-","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22\nG. E. M\u00fcller.\nersparnis wegen hier ganz unterlassen werden trotz des lebhaften Anreizes, der aus ihrem logischen Interesse und dem Umstande entspringt, dafs der \u00c4hnlichkeitskalk\u00fcl, soweit von einem solchen geredet werden darf, bei Entwickelung der Formeln f\u00fcr die gegenseitigen \u00c4hnlichkeiten von Mischempfindungen in der That teilweise seine ganz eigenen Wege geht.\nEs wird sp\u00e4terhin noch n\u00e4her die Rede darauf kommen, dafs wir es im Gebiete des Gesichtssinnes vielleicht niemals mit ganz reinen Empfindungen, sondern nur mit Mischempfindungen zu thun haben, die allerdings in manchen F\u00e4llen den reinen Empfindungen mehr oder weniger nahestehen. Wir halten es f\u00fcr \u00fcberfl\u00fcssig, auseinanderzusetzen, inwiefern nun trotzdem die obigen Formeln 1) bis 9), die sich fast s\u00e4mtlich auf die \u00c4hnlichkeit einer Mischempfindung zu einer reinen Empfindung beziehen, auch f\u00fcr das Gebiet des Gesichtssinnes ihren Wert besitzen. \u2014\nUnsere obigen Entwickelungen kn\u00fcpfen innerlich durchaus [an die Formeln an, welche Hering (Zur Lehre vom Lichtsinne,, S. 57 ff.) behufs Darstellung der Verwandtschaftsverh\u00e4ltnisse der Gesichtsempfindungen aufgestellt hat. Hering (a. a. O. S. 61) setzt \u201edie sog. Helligkeit einer schwarzweifsen Empfindung oder den Grad ihrer Verwandtschaft mit\nw\ndem reinen Weifs\u201c gleich \u2014 ^ -, wo w \u201edie weifse Partialempfindung\u201c\nund s \u201edie schwarze Partialempfindung\u201c bezeichnet. Diese Bestimmung der Helligkeit entspricht unseren obigen Gleichungen 1) und 2). Nur ist die Definition der Gr\u00f6fsen w und s, unter denen wir einfach die Intensit\u00e4ten der beiden psychophysischen Partialprozesse verstehen w\u00fcrden, bei Hering psychologisch gehalten.1 Ebenso entspricht es unserer obigen Gleichung 8), wenn Hering (a. a. O. S. 116 f.) die Bl\u00e4ue einer blau-schwarzweifsen Empfindung durch das Verh\u00e4ltnis ausdr\u00fcckt, ,,in welchem\n1 Man definiert jene Gr\u00f6fsen w und s psychologisch in unanfechtbarer und Mifsverst\u00e4ndnissen nicht ausgesetzter Weise, wenn man darunter die Intensit\u00e4t der reinen Weifs-, bezw. reinen Schwarzempfindung versteht, welche die vorhandene Weifs-, bezw. Schwarzerregung isoliert genommen hervorrufen w\u00fcrde.\nAuch der Ausdruck Gewicht wird von Hering, abweichend von unserer obigen Definition (S. 18), mehr in einem psychologischen Sinne\nfenommen. W\u00e4hrend wir von dem Gewichte eines psychophysischen 'artialprozesses reden, spricht Hering von dem Gewichte der entsprechenden Empfindung.\nBeil\u00e4ufig sei hier darauf aufmerksam gemacht, dafs der in \u00a7 2 an-\nfeftihrte und von uns angefochtene psychophysische Satz Herings von en Ausf\u00fchrungen desselben \u00fcber die Abh\u00e4ngigkeit der Qualit\u00e4t einer Mischempfindung von den Qualit\u00e4ten und Intensit\u00e4ten der psychophysischen Partialprozesse scharf zu trennen ist, was uns in der Darstellung Herings nicht gen\u00fcgend hervorzutreten scheint. Denn jener Satz bezieht sich nicht auf die Qualit\u00e4t, sondern auf die Intensit\u00e4t der Mischempfindungen, insofern er in Abrede stellt, dafs eine Mischempfindung ihre Intensit\u00e4t \u00e4ndere, wenn die ihr zu Grunde liegenden psychophysischen Partialprozesse in gleichem Verh\u00e4ltnisse verst\u00e4rkt oder geschw\u00e4cht werden. Man kann die Richtigkeit dieses Satzes bestreiten, w\u00e4hrend man jenen anderen Aufstellungen Herings im wesentlichen zustimmt.","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gestehtsempfindungen.\n23\ndas blatte Glied zur Summe aller drei Glieder steht\u201c. Hingegen stimmt es nicht zu unseren obigen Formeln, wenn Hering (a. a. O. S. 117) die\nw + 0,5 b\nHelligkeit einer Farbe, z. B. eines Blau, gleich\tsetzt, wo b \u201edas\nder Grundfarbe entsprechende Glied\u201c darstellt, so dafs die Helligkeit einer reinen Blauempfindung (f\u00fcr welche tc = s = 0 ist) und \u00fcberhaupt jeder reinen Farbenempfindung gleich J erhalten wird. Bekanntlich hat Hering selbst sp\u00e4terhin (Pfl\u00fcgers Arch. 40. 1887. S. 19, und 49. 1891. S. 568ff., Wien. Ber. 98. 1889. III. S. 71 f.) die Anschauung, dafs die Helligkeit aller reinen Farbenempfindungen gleich $, d. h. gleich der Helligkeit der neutralen Grauempfindung zu setzen sei, aufgegeben und den vier farbigen Grundempfindungen verschiedene Grade der Verwandtschaft zur reinen Weifsempfindung zu geschrieben. In welcher Weise nun aber die von ihm fr\u00fcher f\u00fcr die Verwandtschaftsverh\u00e4ltnisse der Gesichtsempfindungen aufgestellten Formeln zu modifizieren seien, um den verschiedenen \u00c4hnlichkeitsgraden, die zwischen den reinen Gesichtsempfindungen bestehen, gerecht zu werden, hat er bisher nicht angegeben. Im obigen ist der Versuch gemacht, diese L\u00fccke auszuf\u00fcllen. \u2014 Hinsichtlich der spezifischen Helligkeit der Farben mag hier folgendes bemerkt werden: Es sei zun\u00e4chst eine schwarzweifse Em-\nw\npfindung gegeben, deren Helligkeit gleich \u2014 + - ist, wo w und 8 die fr\u00fcher\n(S. 20) angegebene Bedeutung besitzen. Jetzt werde noch ein chromatischer Partialprozefs von der Intensit\u00e4t f den beiden bereits vorhandenen psychophysischen Partialprozessen hinzugef\u00fcgt. Der \u00c4hnlichkeitskoeffizient der diesem chromatischen Prozesse entsprechenden reinen Farbenempfindung in Beziehung auf die reine Weilsempfindung sei A tf. Dann wird die Helligkeit der Mischempfindung nach Hinzu-\nw \u2014j\u201c A fi>. /\nfugung der chromatischen Erregung gleich \u2014\t^ zu setzen sein.\nDieser neue Helligkeitswert ist gr\u00f6fser, gleich grofs oder kleiner, als\nder fr\u00fchere, durch\nw\nw\n\\ bestimmte Helligkeitswert, je nachdem A<f>\nw\ngr\u00f6fser, gleich grofs oder kleiner als ^ ist. Hieraus ergiebt sich,\ndafs durch Hinzuf\u00fcgung einer chromatischen Erregung zu einer sch war z-weifsen Erregung die Helligkeit der entsprechenden Empfindung erh\u00f6ht oder verringert wird, je nachdem die Helligkeit der anf\u00e4nglich vorhandenen schwarzweifsen Empfindung geringer oder gr\u00f6fser ist, als eine bestimmte Helligkeit, die hier kurz als die kritische Helligkeit bezeichnet werden mag. Besitzt die Helligkeit der schwarzweifsen Empfindung diesen kritischen Wert, so wird an der Helligkeit der Empfindung durch das Hinzukommen der chromatischen Erregung nichts ge\u00e4ndert. Der kritische Helligkeitswert der schwarzweifsen Empfindung ist von der Qualit\u00e4t der hinzuzuf\u00fcgenden chromatischen Erregung abh\u00e4ngig, und zwar um so geringer, je kleiner A<f> ist, je weniger \u00e4hnlich also die dieser chromatischen Erregung entsprechende reine Farbenempfindung der reinen Weifsempfindung ist. Nimmt also die Helligkeit","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\nG. E. M\u00fcller.\nin der Reihe der reinen Farbenempfindungen von Glied zu Glied zu, wenn wir dieselben in der Reihenfolge Blau, Gr\u00fcn, Rot, Gelb anordnen, so ist zu behaupten, dafs die kritische Helligkeit der schwarzweifsen Empfindung f\u00fcr Blau den geringsten und f\u00fcr Gelb den h\u00f6chsten Wert besitzt. Wir d\u00fcrfen also nicht sagen, dafs das Hinzukommen einer Blauerregung zu einer schwarzweifsen Erregung unter allen Umst\u00e4nden verdunkelnd wirke, sondern dies ist nur dann der Fall, wenn der Helligkeitswert der schwarzweifsen Empfindung oberhalb eines gewissen, allerdings sehr niedrigen, Helligkeitswertes liegt. Andererseits d\u00fcrfen wir auch nicht sagen, dafs das Hinzukommen einer Gelberregung zu einer schwarzweifsen Erregung unter allen Umst\u00e4nden aufhellend wirke. Dies ist vielmehr nur dann der Fall, wenn die Helligkeit der schwarzweifsen Empfindung unterhalb eines gewissen, allerdings ziemlich hohen, Helligkeitswertes liegt. Dafs das Hinzukommen einer Blauerregung zu einer schwarzweifsen Erregung innerhalb gewisser Grenzen aufhellend, das Hinzukommen einer Gelberregung innerhalb gewisser Grenzen verdunkelnd wirken mufs, kann man sich, ganz unabh\u00e4ngig von unseren obigen Formeln, auch durch folgende (schon von Hillebb and in \u00e4hnlicher Weise anges teilte) einfache Betrachtung klar machen. Angenommen, es sei die schwarzweifse Empfindung so dunkel, dafs sie der reinen Schwarzempfindung merkbar gleicht, so f\u00fchren wir diese Empfindung durch Hinzuf\u00fcgung von Blauerregung und immer weiter fortgesetzte Verst\u00e4rkung der Blauerregung aus ihrem Anfangszustande allm\u00e4hlich in einen Zustand \u00fcber, wo sie der reinen Blauempfindung merkbar gleicht. Ist nun wirklich die reine Schwarzempfindung dunkler, als die reine Blauempfindung, so mufs die Operation (die Hinzuf\u00fcgung und allm\u00e4hliche Verst\u00e4rkung der Blauerregung), durch welche wir die Empfindung aus ihrem Anfangszustande, wo sie der reinen Schwarzempfindung merkbar gleicht, in jenen Endzustand, wo sie der reinen Blauempfindung merkbar gleich ist, \u00fcberf\u00fchren, unter diesen Umst\u00e4nden notwendig aufhellend wirken. Denken wir uns andererseits die schwarzweifse Empfindung mit solcher Helligkeit gegeben, dafs sie der reinen Weifsempfindung merkbar gleicht, und nehmen wir nun an, dafs diese Empfindung durch Hinzuf\u00fcgung und immer weiter fortgesetzte Verst\u00e4rkung von Gelberregung in einen Zustand \u00fcbergef\u00fchrt werde, wo sie der reinen Gelbempfindung merkbar gleich ist, so mufs sich die Empfindung bei dieser Ver\u00e4nderung verdunkeln, falls wirklich die reine Weifsempfindung f\u00fcr heller zu erkl\u00e4ren ist, als die reine Gelbempfindung. Es mufs also unter diesen Umst\u00e4nden die Hinzuf\u00fcgung und Verst\u00e4rkung der Gelberregung verdunkelnd wirken.\nSoviel \u00fcber die Art und Weise, wie die Betrachtungen \u00fcber die spezifische Helligkeit der Farben an unsere obigen, das f\u00fcnfte psychophysische Axiom betreffenden Entwickelungen anzukn\u00fcpfen sind. Diese Betrachtungen \u00fcber die spezifische Helligkeit der Farben sind g\u00fcltig, wenn man berechtigt ist, die reinen Farbenempfindungen nicht als disparat zur reinen Weifsempfindung anzusehen, sondern ihnen verschiedene Grade der Verwandtschaft zu letzterer Empfindung zuzuschreiben. Und wer m\u00f6chte behaupten, dafs die reinen Farbenempfindungen sich","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Ge&ichtsempfindungen.\n25\ndisparat zur reinen Weifsempfindung verhielten, oder in Abrede stellen, dais die reine Gelbempfindung der letzteren Empfindung \u00e4hnlicher sei, als die reine Blauempfindung! Aus der Triftigkeit, welche diese Betrachtungen an und f\u00fcr sich besitzen, ergiebt sich aber noch nicht, dafs die Erscheinungen, welche Hering und Hillebrand ausschliefslich auf die spezifische Helligkeit der Farben zur\u00fcckgef\u00fchrt haben, wirklich ausschliefslich oder auch nur in der Hauptsache in solcher Weise zu erkl\u00e4ren seien. Es fehlt uns zur Zeit noch an gen\u00fcgenden Unterlagen f\u00fcr eine quantitative Absch\u00e4tzung der Tragweite der obigen Betrachtungen. Wie wir weiterhin n\u00e4her sehen werden, hat v. Kries neuerdings versucht, die bisher auf die spezifische Helligkeit zur\u00fcckgef\u00fchrten Erscheinungen durch gewisse histologisch-physiologische Verh\u00e4ltnisse zu erkl\u00e4ren. Man kann ferner, wie im \u00a7 26 gelegentlich angedeutet werden wird, auch noch Gesichtspunkte rein chemisch-physikalischer Art zur Erkl\u00e4rung jener Erscheinungen heranziehen. Wie man sich diesen beiden letzteren Erkl\u00e4rungsarten gegen\u00fcber zu verhalten habe, bleibt hier dahingestellt. Es kommt uns hier nur auf die Behauptung an, dafs die oben dargelegten psychophysischen Verh\u00e4ltnisse an den betreffenden Erscheinungen mitbeteiligt sein m\u00fcssen, wenn wirklich die reinen Farbenempfindungen der reinen Weifsempfindung in verschiedenen Graden \u00e4hnlich sind.\n\u00a7 6. y on der Intensit\u00e4t und Eindringlichkeit\nder Empfindungen.\nDem auf S. 2f. Bemerkten gem\u00e4fs dient der Ausdruck Empfindungsintensit\u00e4t dazu, mit H\u00fclfe der Ausdr\u00fccke Zunahme, Abnahme u. dergl. zwei einander entgegen gesetzte Richtungen zu bezeichnen, in denen die Empfindung ver\u00e4ndert werden kann. Und zwar ist die Richtung der Ver\u00e4nderlichkeit, welche einer reinen Abnahme der Empfindungsintensit\u00e4t entspricht, dadurch charakterisiert, dafs die Empfindung bei stetiger \u00c4nderung den Nullpunkt auf dem k\u00fcrzesten Wege, d. h. mit Durchlaufung der geringsten Anzahl von Zwischenempfindungen erreicht, wenn sie in dieser Richtung sich stetig \u00e4ndert.\nSchreiben wir einer Empfindung einen bestimmten Wert der Intensit\u00e4t zu, so verstehen wir darunter die Zahl der verschiedenen Empfindungen, welche durchlaufen werden w\u00fcrden, wenn man die Empfindung in der auf dem k\u00fcrzesten Wege zum Nullpunkte f\u00fchrenden Richtung bis zur Erreichung des Nullpunktes stetig ver\u00e4ndern w\u00fcrde. Sagen wir, dafs eine Empfindung zwar gleiche Qualit\u00e4t, aber eine gr\u00f6fsere Intensit\u00e4t besitze als eine andere Empfindung, so bedeutet dies, dafs, wenn wir die erstere Empfindung in der auf dem k\u00fcrzesten","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26\nG, E. Muller.\nWege zum Nullpunkte f\u00fchrenden Richtung stetig ver\u00e4ndern w\u00fcrden, alsdann die zweite Empfindung sich unter den bei dieser Ver\u00e4nderung zu durchlaufenden Empfindungen befinden w\u00fcrde. Die Zahl der Empfindungen, welche bei einer solchen, bis zum Nullpunkte fortgesetzten, stetigen Intensit\u00e4tsminderung einer Empfindung durchlaufen werden, ist allerdings stets als unendlich grofs anzusehen. Da aber auch unendlich grofse Zahlen in einem endlichen Verh\u00e4ltnisse zu einander stehen k\u00f6nnen, so steht jede gegebene Empfindung zu jeder beliebigen anderen Empfindung gleicher oder verschiedener Qualit\u00e4t in einem bestimmten Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse.1 Man deutet den hier entwickelten Begriff der Empfindungsintensit\u00e4t kurz, wenn auch nicht hinl\u00e4nglich genau, an, wenn man die Intensit\u00e4t der Empfindung kurz als den Abstand derselben vom Nullpunkte definiert.\nVon der Empfindungsintensit\u00e4t im vorstehend angegebenen Sinne ist die Eindringlichkeit der Empfindungen wohl zu unterscheiden. Die Eindringlichkeit betrifft die mehr psychologische Seite der Empfindungen, sie scheint sich haupts\u00e4chlich nach der Macht zu bestimmen, mit welcher die Sinneseindr\u00fccke unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und k\u00f6nnte daher in\n1 Aus der Thatsache, dafs zwei Empfindungen in einem bestimmten Intensit\u00e4ts Verh\u00e4ltnisse zu einander stehen, ergiebt sich nat\u00fcrlich noch nicht, dafs wir im st\u00e4nde sind, dieses Intensit\u00e4ts Verh\u00e4ltnis zu bestimmen.\nEs w\u00fcrde nat\u00fcrlich sehr irrig sein, wenn man behaupten w\u00fcrde, dafs nach obigem die Intensit\u00e4t jeder Empfindung (entsprechend der unendlichen Zahl bis zum Nullpunkt hin zu durchlaufender Empfindungen) unendlich grofs anzusetzen sei. Denn ebenso, wie man die L\u00e4nge einer endlichen Raumstrecke nicht f\u00fcr unendlich grofs erkl\u00e4rt, weil dieselbe als aus unendlich vielen Punkten oder L\u00e4ngeninkrementen bestehend angesehen werden kann, sondern nach ihrem Verh\u00e4ltnisse zu der als Einheit betrachteten L\u00e4nge einer bestimmten Raumstrecke be-mifst, so w\u00fcrde man auch die Intensit\u00e4t einer Empfindung nach ihrem Verh\u00e4ltnisse zu der als Einheit betrachteten Intensit\u00e4t einer bestimmten Empfindung zu bemessen haben.\nWill man, statt von einer unendlich grofsen Anzahl von Empfindungen, welche bis zum Nullpunkte hin zu durchlaufen seien, zu reden, sich etwas anders ausdr\u00fccken (z. B. von psychischen Strecken u. dergl. reden), so w\u00fcrde die Sache hierdurch in keiner Weise ber\u00fchrt. Auf die Eigent\u00fcmlichkeit des Stetigen einzugehen, ist hier nicht Anlafs. Und es ist hier gleichg\u00fcltig, wie man derselben sprachlich gerecht zu werden versucht. Nur darf eben die Ausdrucksweise nicht zu umst\u00e4ndlich sein.","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Paychophysik der Gesich tsemp/indungen.\n27\nsachlicher Hinsicht nicht unpassend auch als die Aufdringlichkeit der Sinneseindr\u00fccke bezeichnet werden. Sie ist schon von Fechnek gelegentlich (In Sachen der Psyclwphysih. S. 126), wenn auch nicht unter der Bezeichnung der Eindringlichkeit, als der \u201eerregende Einflufs auf das Allgemeinbewufstsein, die anziehende Kraft auf die Aufmerksamkeitw charakterisiert worden. Nimmt die Intensit&t einer Empfindung zu, ohne dafs sich die Qualit\u00e4t derselben in erheblichem Grade \u00e4ndert, so w\u00e4chst zugleich die Eindringlichkeit. Man darf aber nicht den Satz aufstellen, dafs ganz allgemein der gr\u00f6fseren Intensit\u00e4t der Empfindung auch die gr\u00f6fsere Eindringlichkeit entspreche. Denn es erscheint m\u00f6glich, dafs sich zwei Empfindungen, falls sie von verschiedener Qualit\u00e4t sind, hinsichtlich der Eindringlichkeit anders zu einander verhalten, als hinsichtlich der Intensit\u00e4t. Die Eindringlichkeit einer Empfindung ist, wie es scheint, nicht blofs von der Intensit\u00e4t des psychophysischen Prozesses abh\u00e4ngig, sondern bestimmt sich zugleich auch nach der H\u00e4ufigkeit der betreffenden Empfindung in unserer Erfahrung, nach dem Gef\u00fchlswerte derselben und nach anderen derartigen f\u00fcr die Erweckung unserer Aufmerksamkeit wichtigen Faktoren.\nWenn wir die Intensit\u00e4t einer Empfindung kurz als die Zahl der Empfindungen definieren, welche durchlaufen werden w\u00fcrden, wenn man die Empfindung auf dem k\u00fcrzesten Wege bis zur Erreichung des Nullpunktes stetig ver\u00e4ndern w\u00fcrde, so wird man vielleicht diese Definition zu abstrakt und deshalb nicht befriedigend finden, weil sie \u201edas Moment der Steigerung\u201c u. dergl., welches man empfinde, wenn man von einer schw\u00e4cheren Empfindung zu einer st\u00e4rkeren \u00fcbergehe, nicht mit zum Ausdrucke bringe. Man ist eben gew\u00f6hnt, Intensit\u00e4t und Eindringlichkeit nicht voneinander zu scheiden. Jenes Moment der Steigerung betrifft die Eindringlichkeit, aber nicht die Intensit\u00e4t der Empfindungen. Erh\u00f6hen wir die St\u00e4rke eines Sinnesreizes, ohne seine Qualit\u00e4t zu ver\u00e4ndern, so nimmt, wie bereits bemerkt, infolge der Steigerung des psychophysischen Prozesses neben der Intensit\u00e4t der Empfindung zugleich auch die Eindringlichkeit derselben zu, die begleitenden Nebeneindr\u00fccke, zum Teil motorischen Ursprunges, gewinnen an Zahl und St\u00e4rke und wirken gleichfalls im Sinne einer Erh\u00f6hung der Eindringlichkeit. Es ist daher (ganz abgesehen","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\nG, E. M\u00fcller.\nvon den Bedenken, die daraus entspringen, dafs in vielen F\u00e4llen eine Ver\u00e4nderung der Beizst\u00e4rke zugleich auch eine qualitative \u00c4nderung der Empfindung zur Folge hat) einiger-inafsen bedenklich, wenn man die Resultate, die man beim Operieren mit Empfindungen erh\u00e4lt, die verschiedenen Intensit\u00e4ten eines Reizes von konstanter Qualit\u00e4t entsprechen, stete ohne weiteres auf die Intensit\u00e4tsunterschiede dieser Empfindungen bezieht. Noch bedenklicher ist es, wenn man Versuche anstellt, bei denen Empfindungen verschiedener Qualit\u00e4t angeblich hinsichtlich ihrer Intensit\u00e4t miteinander verglichen werden, bei denen aber in Wahrheit die betreffenden Empfindungen stets nur hinsichtlich der Eindringlichkeit verglichen werden. Denn man kann zwei Empfindungen verschiedener Qualit\u00e4t, z. B. eine Rotempfindung und eine Grauempfindung, zwar hinsichtlich ihrer Eindringlichkeit einigermafsen miteinander vergleichen, hat hingegen nicht in gleicher Weise ein Urteil dar\u00fcber, ob der Abstand vom Nullpunkte f\u00fcr diese oder jene beider Empfindungen gr\u00f6fser sei. Wir \u00fcberlassen es dem Leser, der soeben gemachten Bemerkung, dafs man sich h\u00fcten m\u00fcsse, Dinge, die m\u00f6glicherweise oder gar ganz sicher auf die Eindringlichkeit der Empfindungen zu beziehen sind, ohne weiteres auf die Intensit\u00e4t derselben zu beziehen, ihre Anwendungen auf vorliegende Versuche und Untersuchungen selbst zu geben.\nIm Gebiete des Gesichtssinnes hat man nicht selten sogar dreierlei Dinge zusammengeworfen, n\u00e4mlich die Intensit\u00e4t, Helligkeit und Eindringlichkeit. Es ist zu beachten, dafii Helligkeitsvergleichungen von Gesichtsempfindungen, die durch Lichtreize verschiedener Qualit\u00e4t bewirkt sind, leicht dadurch in fehlerhafter Weise beeinflufst werden k\u00f6nnen, dals man sich bei seinem Urteile nicht ausschliefslich von der Helligkeit, sondern mehr oder weniger auch von der Eindringlichkeit der zu vergleichenden Empfindungen beeinflussen l\u00e4fst. Individuelle Verschiedenheiten, die sich bei der Helligkeitsvergleichung verschiedener Farben heraussteilen, k\u00f6nnen zu einem gr\u00f6fseren oder geringeren Teile darauf beruhen, dafs die einen Versuchspersonen sich in diesem oder jenem Grade von der Eindringlichkeit beeinflussen lassen.1 Schon Hering bemerkt\n1 Dafs Gesichtsempfindungen, die durch Lichtreize von verschiedener Qualit\u00e4t bedingt sind, ebenso wie hinsichtlich ihrer Helligkeit auch hinsichtlich ihrer Eindringlichkeit miteinander verglichen werden k\u00f6nnen\u00bb","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichteempfindungen.\n29\ngelegentlich in seiner \u201eKritik einer Abhandlung von Donders\u201c (Lotos. 2. 1882. S. 32), die Erfahrung lehre, \u201edafs bei Vergleichung der Helligkeiten verschiedenfarbiger Lichter die Urteile verschieden ausfallen, je nachdem sich einer dabei mehr von der Energie der eigentlichen Farbe oder mehr von der Weifslichkeit der farbigen Empfindungen leiten l\u00e4fst, ganz abgesehen von anderen individuellen Verschiedenheitenu. Hingegen hat A. K\u00f6nig in seiner Abhandlung \u00dcber den Heilig-Jceitswert der Spektralfarben bei verschiedener absoluter Intensit\u00e4tu diese Fehlerquelle ganz ignoriert und individuelle Verschiedenheiten Botgr\u00fcnblinder, die sich bei Helligkeitsver-gleichungen verschiedener Spektralfarben zeigten, ohne weiteres aus8chliefslich auf die physiologische Seite des Sehaktes bezogen nnd sogar zur Entscheidung theoretischer Fragen hinsichtlich der letzteren herangezogen!* 1\nEs ist zu beachten, dafs vielleicht gerade solche Individuen, deren Farbensinn sehr schwach ist, bei Helligkeitsvergleichungen verschiedenartiger Lichter sich besonders leicht von der Eindringlichkeit der letzteren beeinflussen lassen. Denn solche Personen haben weniger Gelegenheit und Anlafs als Farben-t\u00fcchtige, sich den Unterschied zwischen Helligkeit und Eindringlichkeit klar zu machen, einen Unterschied, der eben doch nur dann ohne weiteres sich aufdr\u00e4ngt oder einleuchtet, wenn man ges\u00e4ttigte Farbenempfindungen mit farblosen Gesichts-empfindungen vergleicht, z. B. eine ges\u00e4ttigte Rotempfindung mit einer schwarzweifsen Empfindung vergleicht, welche weit heller, aber zugleich auch weit weniger eindringlich ist, als die Rotempfindung. Haben wir es also z. B. mit einem Individuum zu thun, welches des Rotgr\u00fcnsinnes v\u00f6llig entbehrt und den Gelbblausinn nur in sehr abgeschw\u00e4chtem Grade besitzt, so ist es leicht m\u00f6glich, dafs dieses Individuum bei seinen Helligkeitsvergleichungen von Spektralfarben sich durch die h\u00f6here Eindringlichkeit, welche eine Anzahl seiner Farben-empfindungen infolge ihrer, wenn auch nur schwachen, Gelblich-\nund dafs man bei Vergleichung ihrer Helligkeiten eine Tendenz \u00fcberwinden mufs, sich von ihren Eindringlichkeiten beeinflussen zu lassen, haben uns Versuche gezeigt.\n1 Dafs eine gewisse Konstanz der bei solchen HelligkeitsVergleichungen von einem und demselben Individuum gef\u00e4llten Urteile die Beeinflussung durch die Eindringlichkeit und \u00dcberhaupt das Bestehen konstanter Fehler nicht ausschliefst, bedarf nicht erst der Erw\u00e4hnung.","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"30\nG. E. Muller.\nkeit besitzen, beeinflussen lasse, so dafs es das Helligkeitsmaximum im Spektrum weiter in das Gebiet der gelben Nuancen hin ein verlegt, als der Fall sein w\u00fcrde, wenn es sich bei seinem Urteile lediglich durch die Helligkeitsverh\u00e4ltnisse der wahrgenommenen Lichteindr\u00fccke bestimmen liefse. Es liegt also wiederum nur die Vernachl\u00e4ssigung eines schon von Hering hinl\u00e4nglich hervorgehobenen psychologischen Gesichtspunktes vor, wenn A. K\u00f6nig (diese Zeitschrift. 7. 1894. S. 161 ff) in der Thatsache, dafs bei einem rotgr\u00fcn blinden und nur mit einem sehr schwachen Gelbblausinn ausgestatteten Individuum das Maximum der spektralen Helligkeitsverteilung bedeutend weiter nach Gelb hinliegend gefunden wurde, als bei einem total farbenblinden Individuum, ohne weiteres eine Schwierigkeit erblickt, deren Hebung auf dem Boden der gegenw\u00e4rtigen Gestaltung der HERiNGschen Theorie nicht zu erm\u00f6glichen sei.1\nEs er\u00fcbrigt noch, kurz auf die Ausf\u00fchrungen einzugehen, welche Hering (Zur Lehre vom Lichtsinne. S. 55 f.) hinsichtlich der Intensit\u00e4t der Gesichtsempfindungen bietet. Dieser Forscher bemerkt, dafs die Bezeichnungen Intensit\u00e4t oder St\u00e4rke auf die 8chwarzweifse Empfindungsreihe, fur welche sie besonders h\u00e4ufig benutzt worden seien, nur unter der Bedingung anwendbar seien, \u201edafs man jedem einzelnen Gliede der Reihe zwei Intensit\u00e4ten zugesteht und das Verh\u00e4ltnis angiebt, in welchem hier die Intensit\u00e4ten der beiden Empfindungen des Schwarz und Weifs zu einander stehen . . . Wenn den einzelnen Stufen der schwarzweifsen Empfindungsreihe eine Intensit\u00e4t im jetzt \u00fcblichen Sinne des Wortes zugeschrieben werden k\u00f6nnte, so m\u00fcfste es denkbar sein, dafs diese Intensit\u00e4t sich \u00e4nderte; denn andernfalls h\u00e4tte die Anwendung des Begriffes der Intensit\u00e4t hier gar keinen Sinn. Wie aber soll sich z. B. ein bestimmtes Grau seiner Intensit\u00e4t nach \u00e4ndern? Eine\n1 Auch die individuellen Verschiedenheiten, die hinsichtlich der Pigmentierung der Macula lutea oder Augenlinse bestehen, m\u00fcssen sich bei den total oder ann\u00e4hernd total Farbenblinden dahin geltend machen, hinsichtlich der Lage des Helligkeitsmaximums im Spektrum individuelle Verschiedenheiten zu bewirken. Ist die Pigmentierung abnorm stark, so muf8 auch die Verschiebung, welche dieses Helligkeitsmaximum nach dem langwelligen Spektralende hin erf\u00e4hrt, betr\u00e4chtlich sein. Das obige Versuchsresultat K\u00f6nigs l\u00e4fst sich also vom Standpunkte Herings aus in nicht weniger als zweifacher Weise erkl\u00e4ren !","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindutigen.\n31\n\u2022 \u2022 ____________________________\n\u00c4nderung ist, abgesehen von der Beimischung anderer Farben, nur denkbar durch ein deutlicheres Hervortreten des in ihm enthaltenen Schwarz oder Weifs, dadurch aber w\u00fcrde das gegebene Grau in ein anderes Grau verwandelt, welches in der schwarzweifsen Empfindungsreihe weiter nach dem Weifs oder nach dem Schwarz hin liegt\u201c.\nDie Empfindung einer und derselben Graunuance kommt in der That in unserer Erfahrung nicht mit merkbar verschiedenen Intensit\u00e4ten vor.1 Dies erkl\u00e4rt sich in folgender Weise. Wie weiterhin an der Hand von Thatsachen n\u00e4her bewiesen werden wird, ist in den zentralen Teilen des Sehorganes fortw\u00e4hrend eine endogene Erregung vorhanden, welche aus Weifserregung und Schwarzerregung zusammengesetzt ist. Wirkt nun ein von der Netzhaut her kommender Antrieb im Sinne einer Steigerung der Weifserregung, so wirkt er nicht gleichzeitig im Sinne einer Erh\u00f6hung der Schwarzerregung, sondern, entsprechend dem hier in Betracht kommenden (weiterhin n\u00e4her zu behandelnden) Antagonismus, sogar im Sinne einer Schw\u00e4chung der letzteren Erregung; es mufs also die Empfindung ihre Qualit\u00e4t \u00e4ndern, indem sie weifslicher wird. Wirkt von der Netzhaut her ein (etwa durch Kontrast-ein\u00fcufs bewirkter) Antrieb im Sinne einer Steigerung der Schwarzerregung, so wird gleichzeitig die Weifserregung geschw\u00e4cht; es mufs also die Empfindung ihre Qualit\u00e4t in der Weise ver\u00e4ndern, dafs sie schw\u00e4rzlicher wird. Stellen wir f\u00fcr eine bestimmte Netzhautstelle gleichzeitig einen Weifsreiz und einen Schwarzreiz (letzteren etwa durch Kontrast) her, so kommen dieselben infolge des zwischen ihnen bestehenden Antagonismus nur mit der Differenz ihrer Intensit\u00e4ten entweder als ein Weifsreiz, der im Sinne einer Erh\u00f6hung der Weifserregung und Schw\u00e4chung der Schwarzerregung wirkt, oder als ein Schwarzreiz, der in umgekehrter Bichtung wirkt, oder als ein Beiz von dem Werte 0 zur Geltung. Thats\u00e4chlich k\u00f6nnen wir also die Empfindung einer und derselben Graunuance deshalb nicht in merkbar verschiedenen Intensit\u00e4ten herstellen, weil wir nicht im st\u00e4nde sind, durch irgendwelche Beize die zentralen Weifs- und Sohwarzerregungen gleichzeitig\n1 Von gewissen M\u00f6glichkeiten, die sp\u00e4terhin zur Sprache kommen werden, 1st hier abgesehen.","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\nG. E. Muller.\nin gleichem Verh\u00e4ltnisse zu erh\u00f6hen oder zu schw\u00e4chen, und bei jeder F\u00f6rderung oder Schw\u00e4chung der einen von beiden Erregungen zugleich das Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis erh\u00f6hen, bezw. verringern, in welchem dieselbe zu der anderen Erregung steht. W\u00e4re jene endogene Erregung des Zentralorganes nicht vorhanden, so w\u00fcrden wir ebenso, wie etwa die W\u00e4rme- oder K\u00e4lteempfindung, auch die Empfindung des Weifsen oder des Schwarzen in verschiedenen Intensit\u00e4ten hersteilen k\u00f6nnen.* 1 Es besteht also kein Grund, den Empfindungen der schwarz-weifsen Reihe die Intensit\u00e4t abzusprechen. Jede Empfindung dieser Reihe kann prinzipiell, wenn auch aus dem angegebenen Grunde nicht in praxi, auf einem k\u00fcrzesten Wege stetig auf den Nullpunkt \u00fcbergef\u00fchrt werden. Und zwar verhalten sich die Intensit\u00e4ten der thats\u00e4chlich vorkommenden Empfindungen der schwarzweifsen Reihe in der Weise, dafs, wenn man von der Empfindung eines bestimmten mittleren Grau ausgeht, alsdann die Intensit\u00e4t nach beiden Seiten hin um so gr\u00f6fser ist, je weiter man sich von jenem mittleren Grau entfernt. In gleicher Weise verh\u00e4lt sich die Eindringlichkeit. Nur erscheint es m\u00f6glich, dafs gleichen Intensit\u00e4tsgraden auf der Seite der schw\u00e4rzlichen Nuancen andere Grade der Eindringlichkeit zugeh\u00f6ren, als auf der Seite der weifslichen Nuancen; es erscheint z. B. m\u00f6glich, dafs eine tiefschwarze Empfindung eindringlicher sei, als eine weifsgraue Empfindung von gleicher Intensit\u00e4t.\nHillebkand (Wien. Ber. 98. 1889, III. S. 89) glaubt, \u201edas Bestehen von Intensit\u00e4tsunterschieden innerhalb der Gesichtsempfindungen \u00fcberhaupt in Abrede stellen\u201c zu d\u00fcrfen. \u201eDie M\u00f6glichkeit einer konstanten Intensit\u00e4t, die eben ihrer Konstanz\n1 Wir w\u00fcrden aber die Grauempfindungen, welche den \u00dcbergang von der reinen Schwarzempfindung zur reinen Weifsempfindung vermitteln, ebensowenig keilnen, wie wir jetzt die rotgr\u00fcnen und gelbblauen Empfindungen kennen. Denn, da hinsichtlich des Weifs und Schwarz ein ganz analoger Antagonismus besteht, wie hinsichtlich des Rot und Gr\u00fcn, des Gelb und Blau, so w\u00fcrden wir nicht im st\u00e4nde sein, neben der Schwarzerregung gleichzeitig die Weifserregung hervorzurufen, und\ni\numgekehrt.\nAuch eine Farbenempfindung von ganz bestimmter Qualit\u00e4t k\u00f6nnen wir, wie leicht ersichtlich, wegen jener endogenen Erregung der Sehsubstanz nicht in verschiedenen Intensit\u00e4ten hersteilen. Mit der Intensit\u00e4t ver\u00e4ndern wir hier immer zugleich die Qualit\u00e4t.","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophys\u00efk der Gesichtsempfindungen.\n33\nwegen nie bemerkt, also auch nicht direkt empirisch nachgewiesen werden k\u00f6nnte, sondern nur etwa auf Grund deduktiver Argumente angenommen werden m\u00fcfste\u201c, will er bestehen lassen. Hierzu ist folgendes zu bemerken. Man denke sich zu jeder der verschiedenen (aus Schwarz- und Weifserregung zusammengesetzten) Erregungen, welche den thats&chlich vorkommenden Empfindungen der schwarzweifsen Reihe entsprechen, eine beliebige chromatische Erregung von konstanter Intensit\u00e4t hinzugefugt. Werden dann die Empfindungen der Reihe s\u00e4mtlich in gleichem Grade farbig erscheinen? Keineswegs, sondern die Farbigkeit wird am deutlichsten bei einem mittleren Grau hervortreten und um so mehr zur\u00fccktreten, je weiter man sich von diesem Grau nach dem Weifs oder Schwarz hin entfernt. Es ist also die chromatische Erregung von konstanter Intensit\u00e4t im Verh\u00e4ltnisse zu der Erregung, welche einer schwarzweifsen Empfindung zu Grunde liegt, um so schw\u00e4cher, je weiter die schwarzweifse Empfindung von jener mittleren Grauempfindung absteht, d. h. die Erregungen, welche den thats\u00e4chlich vorkommenden Empfindungen der schwarzweifsen Empfindungsreihe zu Grunde liegen, verhalten sich so, dafs diese Empfindungen von einer mittleren Grauempfindung aus nach beiden Seiten hin an Intensit\u00e4t betr\u00e4chtlich zunehmen m\u00fcssen. Die HiLLRBRANDsche Annahme einer konstanten Intensit\u00e4t der Gesichtsempfindungen wird also schon durch die gel\u00e4ufige, von Hering zu wiederholten Malen (z. B. Pfl\u00fcgers Arch. 41, 1887. S. 11) hervorgehobene Thatsache widerlegt, dafs eine und dieselbe chro-' matische Erregung der Empfindung einen viel h\u00f6heren Grad von Farbigkeit verleiht, wenn aie zu einer Erregung hinzukommt, die einer mittleren Grauempfindung entspricht, als dann, wenn sie zu der Erregung hinzugef\u00fcgt wird, die einer ausgepr\u00e4gten Weifsempfindung oder Schwarzempfindung zugeh\u00f6rt.\n\u00a7 7. Die psychischen Qualit\u00e4tenreihen.\nWenn eine Empfindung sich hinsichtlich ihrer Qualit\u00e4t \u00e4ndert, so haben wir in gewissem Grade ein Urteil dar\u00fcber, ob die \u00c4nderung der Qua\u00fct\u00e4t in konstanter oder wechselnder Richtung vor sich geht. Wir haben ein solches Urteil auch noch dann, wenn die \u00c4nderungen der Qualit\u00e4t zugleich von\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie X.\t3","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34\nO. E. M\u00fctter.\n\u00c4nderungen der Empfindungsintensit\u00e4t begleitet sind. So f\u00e4llen wir z. B. trotz der Intensit\u00e4tsunterschiede, die nach obigem zwischen den verschiedenen Gliedern der schwarzweifsen Empfindungsreihe bestehen, mit Sicherheit das Urteil, dafs eine geradl\u00e4ufige, d. h. in konstanter Richtung vor sich gehende, \u00c4nderung der Empfindungsqualit\u00e4t vor sich gehe, wenn die Empfindung eines tiefen Schwarz durch die verschiedenen Graunuancen hindurch in die Empfindung eines hellen Weife \u00fcbergef\u00fchrt werde.\nWir bezeichnen eine Reihe von Empfindungen, in welcher sich die Qualit\u00e4t geradl\u00e4ufig und stetig \u00e4ndert, kurz als eine psychische Qualit\u00e4tenreihe. Eine psychische Qualit\u00e4tenreihe kann prinzipiell begrenzt oder prinzipiell unbegrenzt erscheinen. So ist die Tonh\u00f6henreihe eine prinzipiell unbegrenzt erscheinende Qualit\u00e4tenreihe. Wenn es auch nicht m\u00f6glich ist, die Tonh\u00f6he f\u00fcr uns ins Unbegrenzte zu erh\u00f6hen oder zu vertiefen, so k\u00f6nnen wir doch nicht behaupten, dafs bei der h\u00f6chsten oder tiefsten unserer faktischen Tonh\u00f6hen oder bei irgend einer anderen, jenseits der Grenzen unseres Empfindens gelegenen Tonh\u00f6he ein prinzipiell un\u00fcherschreitbarer Abschlufs erreicht sei. Hingegen ist z. B. die Reihe der schwarzweifsen Empfindungen eine prinzipiell begrenzt erscheinende Qualit\u00e4tenreihe, weil wir uns die Empfindungs\u00e4nderung, die in einem Schw\u00e4rzerwerden, bezw. Weifserwerden der Empfindung besteht, nicht \u00fcber die reine Schwarz-, bezw. Weifsempfindung hinaus fortgesetzt denken k\u00f6nnen. Hierbei bleibt ganz dahingestellt, in welchem Grade die ausgepr\u00e4gteste der in unserer Erfahrung vorkommenden Schwarz- oder Weifsempfindungen der reinen Schwarz-, bezw. Weifsempfindung nahesteht.\nBetreffs der anscheinenden Unbegrenztheit der Tonh\u00f6henreihe vergleiche man Stumpf, Tonpsychologie. 1. S. 178 ff. Wie derselbe in einem Nachtrage (2. S. 660) berichtigend bemerkt, hat schon Akistoxenus die prinzipielle Unbegrenztheit der Tonh\u00f6henreihe behauptet.\nIn begrifflicher Hinsicht mag hier beil\u00e4ufig daran erinnert werden.\n\u2022 \u2022\t*\ndafs eine \u00c4nderung einer einfachen Empfindung, mag dieselbe nun eine Grundempfindung oder Mischempfindung sein, niemals gleichzeitig in mehreren Richtungen stattfinden kann. Denken wir uns den Fall, dais eine reine Weifsempfindung durch stetige \u00c4nderung auf dem k\u00fcrzesten Wege in eine intensivere Empfindung eines weifslichen Blaugr\u00fcn \u00fcbergef\u00fchrt werde, so \u00e4ndert sich die Empfindung eben in derjenigen Richtung, welche von jener Weifsempfindung zu dieser unges\u00e4ttigten Farbenempfindung f\u00fchrt. Wir d\u00fcrfen aber nicht etwa sagen, dafs sich die","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n35\nEmpfindung, ganz abgesehen von ihrer Intensit\u00e4ts\u00e4nderung, gleichzeitig in zwei Eichtungen ver\u00e4ndere, von denen die eine von der reinen Weifs-empfindung zur reinen Gr\u00fcnempfindung, die andere aber zur reinen Blauempfindung hinf\u00fchre. Wohl aber d\u00fcrfen wir sagen, dafs sich bei der angegebenen Empfindungs\u00e4nderung sowohl die Bl\u00e4ulichkeit, als auch die Gr\u00fcnlichkeit, sowie auch die Weifslichkeit und die Intensit\u00e4t der Empfindung \u00e4ndere.\nWenn nach obigem eine psychische Qualit\u00e4tenreihe dadurch charakterisiert ist, dafs sich in ihr die Empfindungsqualit\u00e4t in geradl\u00e4ufiger Weise stetig \u00e4ndert, so kann man dies nat\u00fcrlich auch in folgender Weise ausdr\u00fccken: Denken wir uns alle Glieder einer gegebenen psychischen Qualit\u00e4tenreihe j\u00e4uf gleiche Intensit\u00e4t gebracht, so \u00e4ndert sich in der so erhaltenen Empfindungsreihe die Empfindung in ganz geradl\u00e4ufiger Weise. Handelt es sich nun weiter darum, anzugeben, was unter einer geradl\u00e4ufigen Empfindungs\u00e4nderung zu verstehen sei, so ist folgendes zu sagen: Die Empfindungs\u00e4nderung, welche dem Durchlaufen einer Eeihe von Empfindungen entspricht, ist eine durchg\u00e4ngig gerad-l\u00e4ufige, oder die Unterschiede, welche zwischen den aufeinanderfolgenden Gliedern einer (stetigen oder diskreten) Empfindungsreihe bestehen, sind s\u00e4mtlich von gleicher Bichtung, wenn alle Glieder der Eeihe in derselben Beihenfolge in einer Empfindungsreihe Vorkommen, die man erhalten w\u00fcrde, wenn man das Anfangsglied der Eeihe auf einem k\u00fcrzesten Wege in stetiger Weise in das Endglied \u00fcberf\u00fchrte.\nEbenso, wie sich aus dem fr\u00fcheren (S. 26 f.) ergiebt, dafs die Intensit\u00e4ten zweier gegebener Empfindungen oder auch zwei gegebene Intensit\u00e4tsunterschiede von Empfindungen in einem bestimmten Gr\u00f6fsen-. Verh\u00e4ltnisse zu einander stehen, scheint auch behauptet werden zu d\u00fcrfen, dafs qualitative Empfindungsunterschiede in einem bestimmten Gr\u00f6fsen-Verh\u00e4ltnisse zu einander stehen k\u00f6nnen. Sind a, \u00df, y, cf einfache Empfindungen von verschiedener Qualit\u00e4t, aber gleicher Intensit\u00e4t, so verh\u00e4lt sich der qualitative Unterschied zwischen \u00ab und \u00df zu dem qualitativen Unterschiede zwischen y und cf, wie sich die Zahl der Empfindungen, welche bei der auf dem k\u00fcrzesten Wege stattfindenden stetigen \u00dcberf\u00fchrung von a in \u00df durchlaufen werden, zu der Zahl von Empfindungen verh\u00e4lt, welche durchlaufen werden, wenn man y auf dem k\u00fcrzesten Wege stetig in d \u00fcberf\u00fchrt. Sind die Empfindungen \u00ab, \u00df, y, cf von verschiedener Intensit\u00e4t, so entsprechen ihre qualitativen Unterschiede den Zahlen von -Empfindungen, welche bei ihrer auf dem k\u00fcrzesten Wege stattfindenden stetigen \u00dcberfahrung ineinander durchlaufen werden wflrden, wenn man sie zuvor auf gleiche Intensit\u00e4t gebracht haben w\u00fcrde. Sind jene Empfindungen nicht durch stetige \u00c4nderung ineinander \u00fcberf\u00fchrbar, also v\u00f6llig heterogen zu einander, so kann, wie leicht ersichtlich, von einem bestimmten Gr\u00f6fsenverh\u00e4ltnisse, in welchem der Unterschied zwischen a und \u00df zu dem Unterschiede zwischen y und cf stehe, nicht gesprochen werden.\nDie vorstehende Betrachtung findet indessen eine gewisse Schwierigkeit oder bedarf noch einer gewissen Erg\u00e4nzung infolge der Thatsache, dafs, wie wir im folgenden (S. 39) sehen werden, unter Umst\u00e4nden eine\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36\nG. E. M\u00fcller.\ngegebene Empfindung auf zwei verschiedenen k\u00fcrzesten Wegen in eine andere gegebene Empfindung ftbergeffihrt werden kann,\n\u00a7 8. Zwei M\u00f6glichkeiten hinsichtlioh der psychophysischen Repr\u00e4sentation einer psychischen Qua-\nlit\u00e4tenreihe.\nNach dem dritten und vierten psychophysischen Axiome mofs der geradl\u00e4nfigen und allm\u00e4hlichen \u00c4nderung, welche die Empfindungsqualit\u00e4t beim Durchlaufen einer Qualit\u00e4ten-reihe erf\u00e4hrt, eine allm\u00e4hliche \u00c4nderung der Qualit\u00e4t des psychophysischen Prozesses entsprechen, welohe gleichfalls von gerad-l\u00e4ufiger Art ist.\nEine solche geradl\u00e4ufige und allm\u00e4hliche qualitative \u00c4nderung eines psychophysischen Prozesses ist auf doppeltem Wege m\u00f6glich, erstens dadurch, dafs sich an einem einfachen psychophysischen Prozesse oder an mehreren Partialprozessen\nnebeneinander eine geradl\u00e4ufige, allm\u00e4hliche \u00c4nderung qnali-\n_ \u2022\u2022\ntativer Art (z. B. \u00c4nderung der Schwingungszahl) vollzieht, zweitens dadurch, dafs sich die Intensit\u00e4ten der Theil-vorg\u00e4nge eines zusammengesetzten psychophysischen Vorganges in der Weise \u00e4ndern, dafs eine allm\u00e4hliche und geradl\u00e4ufige \u00c4nderung der Beschaffenheit dieses zusammengesetzten Vorganges resultiert. Denn wenn sich z. B. ein zusammengesetzter psychophysischer Prozefs, der aus zwei Teilvorg\u00e4ngen (z. B. Schwarzerregung und Weifserregung) besteht, in der Weise \u00e4ndert, dafs der eine Teilvorgang immer st\u00e4rker in Vergleich zum anderen wird, so mufs dieser \u00c4nderung des zusammengesetzten psychophysischen Prozesses nach den Darlegungen des \u00a7 5 eine geradl\u00e4ufige \u00c4nderung der Empfindungsqualit\u00e4t entsprechen. Die beiden Teilvorg\u00e4nge, die durch allm\u00e4hliche \u00c4nderung ihres Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisses eine psychische Qualit\u00e4tenreihe ergeben, brauchen keineswegs immer einfache Vorg\u00e4nge zu sein, sondern k\u00f6nnen auch selbst beide oder einer von ihnen wiederum zusammengesetzter Art sein. Denken wir uns z. B. einen psychophysischen Prozeis einerseits aus Weifs-erregung und andererseits aus einer Mischerregung bestehend, welche in einem konstanten, von allen Intensit\u00e4ts\u00e4nderungen unabh\u00e4ngigen Verh\u00e4ltnisse einerseits aus Blauerregung und andererseits aus Roterregung zusammengesetzt ist, so mufs bei einer geradl\u00e4ufigen und allm\u00e4hlichen \u00c4nderung des Inten-","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n37\nsit\u00e4tsverh\u00e4ltnisses, in welchem die Weifeerregung zu dieser Mischerregung steht, die Qualit\u00e4t der entsprechenden Mischempfindung (weifsliohen Rotblauempfindung) gleichfalls eine geradl\u00e4ufige und allm\u00e4hliche \u00c4nderung erfahren. Ferner k\u00f6nnen, wenn einer psychischen Qualit\u00e4tenreihe eine geradl\u00e4ufige und allm\u00e4hliche \u00c4nderung des Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisses zweier (einfacher oder zusammengesetzter) psychophysischer Teilvorg\u00e4nge zu Grunde liegt, neben diesen beiden Teilvorg\u00e4ngen auch noch andere Partialprozesse vorhanden sein, die sich an der \u00c4nderung jenes Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisses direkt nicht beteiligen. Wenn sich z. B. eine weifsliche Rotempfindung durch die gleich weifsliohen rotblauen Nuancen hindurch in eine gleich weifsliche Blauempfindung umwandelt, so hat diese geradl\u00e4ufige \u00c4nderung der Empfindungsqualit\u00e4t ihr physisches Korrelat wesentlich nur an der geradl\u00e4ufigen \u00c4nderung, welche das Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis zwischen der Blau- und der Roterregung erf\u00e4hrt, w\u00e4hrend die Weifserregung und Schwarzerregung nur insofern ins Spiel gezogen werden, als sie stets diejenigen Intensit\u00e4tswerte besitzen m\u00fcssen, welche, den Entwickelungen von \u00a7 \u00f6 gem\u00e4fs, den vorhandenen Intensit\u00e4tswerten der Rot- und Blauerregung gegen\u00fcber erforderlich sind, um der Empfindung stets den gleichen Grad von Weilslichkeit und Schw\u00e4rzliohkeit zu verleihen. Endlioh kann eine psychische Qualit\u00e4tenreihe auch nooh in der Weise auf einer geradl\u00e4ufigen und stetigen Aenderung des Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisses zweier (einfacher oder zusammengesetzter) psychophysischer Teilvorg\u00e4nge beruhen, dafs neben diesen beiden noch ein dritter Teilvorgang vorhanden ist, dessen Intensit\u00e4t im Verlaufe der Reihe in der Weise von einem endlichen Anfangs werte ans zu einem h\u00f6heren oder geringeren Endwerte anw\u00e4chst, bezw. absinkt, dafs die \u00c4hnlichkeit, welche die Glieder der Qualit\u00e4tenreihe zu derjenigen Empfindung besitzen, welche dieser dritte Teilvorgang allein genommen hervorrufen w\u00fcrde, im Verlaufe der Reihe von Glied zu Glied immer gr\u00f6fser, bezw. geringer wird. Dies ist z. B. der Fall, wenn wir von einer r\u00f6tlichen Schwarzempfindung aus durch die entsprechenden Nuancen von r\u00f6tlichem Grau hindurch in stetiger und gerad-l\u00e4ufiger Weise zu einer Weifsempfindung von deutlich gr\u00f6fserer, bezw. deutlich geringerer R\u00f6tlichkeit \u00fcbergehen. Es kommen auch F\u00e4lle vor, die noch komplizierter sind, als der soeben","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\nG. E. M\u00fcller.\nerw\u00e4hnte Fall. Man denke z. B. an die psychische Qualit\u00e4tenreihe, die wir erhalten, wenn wir von einer rotblauen Schwarzempfindung in stetiger und geradl\u00e4ufiger Weise zu einer Weifsempfindung von h\u00f6herer R\u00f6tlichkeit, aber geringerer Bl\u00e4ulich-keit \u00fcbergehen. F\u00fcr das Folgende hat ein Eingehen auf diese komplizierteren F\u00e4lle kein Interesse.\nIm Grunde beruht jede psychische Qualit\u00e4tenreihe, welche nicht durch eine stetige, geradl\u00e4ufige \u00c4nderung der Qualit\u00e4t eines oder mehrerer einfacher, psychophysischer Prozesse zu st\u00e4nde kommt, wesentlich darauf, dafs sich das Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis zweier (einfacher oder zusammengesetzter) psychophysischer Teil Vorg\u00e4nge in stetiger und geradl\u00e4ufiger Weise \u00e4ndert. Jede solche Qualit\u00e4tenreihe beginnt prinzipiell (wenn auch vielleicht nicht in unserer Erfahrung) mit derjenigen Empfindung, bei welcher der erstere dieser beiden psychophysischen Teilvorg\u00e4nge einen endlichen Intensit\u00e4tswert besitzt, hingegen die Intensit\u00e4t des zweiten gleich Null ist, und erreicht bei derjenigen Empfindung ihr Ende, wo das Umgekehrte der Fall ist. So hat auch in den zuletzt angef\u00fchrten F\u00e4llen, wo wir von einer r\u00f6tlichen Schwarzempfindung zu einer Weilsempfindung von gr\u00f6fserer oder geringerer R\u00f6tlichkeit oder von einer rotblauen Schwarzempfindung zu einer Weifserapfindung von gr\u00f6fserer R\u00f6tlichkeit, aber geringerer Bl\u00e4ulichkeit \u00fcbergehen, die Qualit\u00e4tenreihe ihren Anfang bei derjenigen Empfindung, bei welcher die Intensit\u00e4t der Weifserregung gleich Null ist, hingegen die Schwarzerregung einen endlichen Intensit\u00e4tswert besitzt, und ihr Ende bei derjenigen Empfindung, bei welcher das Umgekehrte der Fall ist. Denken wir uns die Empfindungsreihe \u00fcber eine dieser beiden Grenzempfindungen hinaus verl\u00e4ngert, so ist dies nur dadurch m\u00f6glich, dafs wir von der betreffenden Grenzempfindung ab die Richtung der qualitativen Empfindungs\u00e4nderung eine andere werden lassen, also in eine andere Qualit\u00e4tenreihe \u00fcbergehen.1 Es besitzt\n1 Denn wenn wir t. B. von einer r\u00f6tlichen Schwarzempfindung aus zun\u00e4chst zu einer Weifsempfindung von h\u00f6herer R\u00f6tlichkeit, welcher nur noch Weifserregung und Roterregung zu Grunde liegt, in stetiger und geradl\u00e4ufiger Weise \u00fcbergehen und alsdann von dieser r\u00f6tlichen Weifsempfindung aus in der Weise weitergehen, dafs wir die Roterregung noch weiterhin immer st\u00e4rker in Vergleich zu der (gleichfalls anwachsenden) Weifserregung werden lassen, so gehen wir hiermit in eine zweite Qualit\u00e4tenreihe, n\u00e4mlich in diejenige der weifsroten Empfindungen, \u00fcber.","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n39\nalso die Roterregung, bezw. Roterregung und Blauerregung, welche in den soeben erw\u00e4hnten Qualit\u00e4tenreihen neben der Sohwarzerregung und Weifserregung ihre Intensit\u00e4ten \u00e4ndern, gewissermafsen nur eine accessorische Bedeutung. Und wir sind in der That zu der Behauptung berechtigt, dafs jede psychische Qualit\u00e4tenreihe, welche nicht durch eine stetige und geradl\u00e4ufige, qualitative \u00c4nderung eines oder mehrerer einfacher psychophysischer Prozesse zu st\u00e4nde kommt, wesentlich auf der geradl\u00e4ufigen und stetigen \u00c4nderung des Intensit\u00e4tsverh\u00e4lt-nis8es zweier (einfacheroderzusammengesetzter)psychophysischer Teilvorg\u00e4nge beruht.\nNehmen wir an, es lasse sich ein einfacher psychophysischer Prozefs a durch allm\u00e4hliche \u00c4nderung seiner Beschaffenheit (z. B. Schwingungszahl) in einen anderen einfachen psychophysischen Prozefs b stetig und geradl\u00e4ufig \u00fcberf\u00fchren, so ist nach obigem neben dieser Art geradl\u00e4ufigen und stetigen \u00dcberganges von a in b noch eine zweite Art m\u00f6glich, bei welcher wir zu dem anf\u00e4nglich allein gegebenen Vorg\u00e4nge a den Vorgang b in zunehmender Intensit\u00e4t unter gleichzeitiger Schw\u00e4chung von a hinzuf\u00fcgen, so dafs a in bestimmter Weise immer schw\u00e4cher im Vergleich zu b wird, bis wir zuletzt nur noch den Vorgang b allein \u00fcbrig haben. Bezeichnen wir nun die den beiden psychophysischen Vorg\u00e4ngen a und b zugeh\u00f6rigen Empfindungen mit a und \u00df, so m\u00fcssen den beiden soeben angegebenen Arten geradl\u00e4ufiger \u00c4nderung des psychophysischen Prozesses offenbar zwei verschiedene Arten geradl\u00e4ufigen \u00dcberganges der Empfindung \u00ab in die Empfindung \u00df entsprechen.1 Und es ist nun eine ebenso interessante wie schwierige Aufgabe, die beiden in dieser Weise entstehenden Empfindungsreihen, welche von dem gleichen Anfangs-gliede zu dem gleichen Endgliede in stetiger und geradl\u00e4ufiger, aber doch verschiedener Weise hinf\u00fchren, in ihrer psychologischen Verschiedenheit ganz zutreffend zu charakterisieren. Man kann meinen, dieser Aufgabe durch folgende Betrachtung n\u00e4her zu treten.\nWird die von \u00ab zu \u00df f\u00fchrende Empfindungsreihe dadurch erhalten, dafs sich das Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis jener beiden psychophysischen Teil-vorg\u00fcnge in geradl\u00e4ufiger und allm\u00e4hlicher Weise \u00e4ndert, so wird der in der Empfindungsreihe stattfindende Fortschritt vollst\u00e4ndig dadurch charakterisiert, dafs man sagt, im Verlaufe der Keihe werde die \u00c4hnlichkeit zu a immer geringer und die \u00c4hnlichkeit zu \u00df in entsprechendem Mafse immer gr\u00f6fser. In dem anderen Falle hingegen, wo wir von der Empfindung a zu der Empfindung \u00df dadurch gelangen, dafs ein einfacher psychophysischer Prozefs seine Qualit\u00e4t in geradl\u00e4ufiger und stetiger Weise \u00e4ndert (oder mehrere einfache psychophysische Prozesse neben-\n1 Es braucht nicht erst bemerkt zu werden, dafs diese beiden verschiedenen Arten geradl\u00e4ufigen Empfindungs\u00fcberganges da, wo sie prinzipiell m\u00f6glich sind, nicht auch stets in unserer Erfahrung nebeneinander Vorkommen m\u00fcssen.","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\nG. E. M\u00fcller.\neinander ihre Qualit\u00e4t in solcher Weise ver\u00e4ndern), wird der Fortschritt in der Reihe nur unzul\u00e4nglich charakterisiert, wenn wir auf die Abnahme der \u00c4hnlichkeit zu \u00ab und Zunahme der \u00c4hnlichkeit zu \u00df verweisen; denn jedes Glied der Reihe enth\u00e4lt gewissermafsen ein ganz besonderes Moment in Vergleich zu den fr\u00fcheren und sp\u00e4teren Gliedern der Reihe, obwohl es denselben in gr\u00f6fserem oder geringerem Grade \u00e4hnlich ist (\u00e4hnlich wie z. B. dann, wenn wir die Rotempfindung, Schwarzempfindung und Weifsempfindung nach ihren Verwandtschaftsverh\u00e4ltnissen ordnen, die Rotempfindung in der Mitte zwischen den beiden letzteren Empfindungen steht und dennoch zugleich \u2014 ganz anders als die Grauempfindung \u2014 ein ganz neues Moment in Vergleich zu beiden enth\u00e4lt)-\nDer Umstand, dafs in dem erster en der beiden soeben er\u00f6rterten. F\u00e4lle der Fortschritt in der Empfindungsreihe vollst\u00e4ndig durch die Abnahme der \u00c4hnlichkeit zum Anfangsgliede und die entsprechende Zunahme der \u00c4hnlichkeit zum Endglieds charakterisiert ist, scheint es nun mit sich zu bringen, dafs uns in diesem Falle die Empfindungsreihe als eine prinzipiell begrenzte erscheint. Allerdings verhehlen wir uns nicht, dafs vielleicht jenseits des empirischen Endgliedes (Anfangsgliedes) der Reihe noch eine Anzahl von Empfindungen m\u00f6glich seien, welche dem Anfangsgliede (Endgliede) noch un\u00e4hnlicher seien, als das empirische Endglied (Anfangsglied). Allein wir sagen uns zugleich, dafs, wenn die Reihe jenseits ihrer empirischen Grenzen sich nicht v\u00f6llig hinsichtlich ihres Charakters und der Art des in ihr bestehenden Fortschrittes \u00e4ndern solle, die \u00fcber die empirischen Grenzen hinaus verl\u00e4ngerte Reihe hinsichtlich der Art des in ihr bestehenden Fortschrittes gleichfalls vollst\u00e4ndig dadurch charakterisiert sein m\u00fcsse, dafs von Glied zu Glied die \u00c4hnlichkeit zu einer als Anfangsglied der Reihe zu betrachtenden Empfindung abnimmt und die \u00c4hnlichkeit zu einer anderen, als Endglied zu betrachtenden Empfindung zunimmt. Es erscheint uns also auch die \u00fcber die empirischen Grenzen hinaus verl\u00e4ngerte Reihe als eine von einem Anfangsgliede zu einem Endgliede reichende, d. h. als eine begrenzte Reihe.\nIst hingegen in einer in der Erfahrung gegebenen Empfindungsreihe die Art des von Glied zu Glied stattfindenden Fortschrittes nicht hinl\u00e4nglich dadurch charakterisiert, dafs man sagt, es werde von Glied zu Glied die \u00c4hnlichkeit zu dem empirischen Anfangsgliede der Reihe immer geringer und die \u00c4hnlichkeit zu dem empirischen Endgliede in entsprechendem Grade immer gr\u00f6fser, sondern besitzt trotz der konstanten Richtung des in der Reihe bestehenden qualitativen Fortschrittes jedes Glied der Reihe ein besonderes Moment in Vergleich zu allen \u00fcbrigen Gliedern, so wird uns die Reihe als eine prinzipiell unbegrenzte erscheinen, falls uns eben, wie bei der Tonh\u00f6henreihe der Fall ist, die eigent\u00fcmliche, konstante Art des in der Reihe bestehenden qualitativen Fortschrittes irgendwie zum Bewufstsein kommt und als das Wesentliche erscheint, hingegen die im Verlaufe des empirischen Teiles der Reihe stattfindende Abnahme der \u00c4hnlichkeit zu dem empirischen Anfangsgliede und Zunahme der \u00c4hnlichkeit zu dem empirischen Endgliede als ein nebens\u00e4chliches Merkmal erscheint, das eine Folge der konstanten","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n41\nBichtung jenes qualitativen Fortschrittes sei.1 Wir verm\u00f6gen in solchem Falle keinen Grund zu erkennen, weshalb der in der Beihe stattfindende qualitative Fortschritt bei irgend einer Empfindung seinen Abschlufs finden m\u00fcsse, und so erscheint uns die Beihe als eine prinzipiell un* begrenzte.\nDenken wir uns also zwei Empfindungsreihen gegeben, die beide auf geradl\u00e4ufige Weise von einer Empfindung \u00ab zu einer anderen Empfindung \u00df hinf\u00fchren, und von denen die erstere auf einer geradl\u00e4ufigen qualitativen \u00c4nderung eines oder mehrerer einfacher psychophysischer Prozesse, die andere aber in der oben angegebenen Weise auf einer geradl\u00e4ufigen \u00c4nderung des Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisses zweier psychophysischer Teilvorg\u00e4nge beruht, so ist der Fortschritt in der letzteren Beihe f\u00fcr uns vollst\u00e4ndig dadurch charakterisiert, dafs von Glied zu Glied die \u00c4hnlichkeit zu dem Anfangsgliede a abnimmt, hingegen die \u00c4hnlichkeit zu dem Endglieds \u00df anw\u00e4chst. Indem wir nun der Beihe diese Art von Charakteristik notwendigerweise auch f\u00fcr den Fall einer Verl\u00e4ngerung \u00fcber ihre empirischen Grenzen hinaus belassen, erscheint uns dieselbe prinzipiell begrenzt. Die erstere Beihe hingegen, in welcher jedes Glied sein besonderes Moment in Vergleich zu allen \u00fcbrigen Gliedern der Beihe besitzt, scheint uns infolge eben hiervon durch den Umstand, dais von Glied zu Glied die \u00c4hnlichkeit zu ec abnimmt und die \u00c4hnlichkeit zu \u00df zunimmt, nur unvollst\u00e4ndig charakterisiert. Dieser Umstand tritt in unserer Auffassung der Beihe sogar v\u00f6llig zur\u00fcck, falls uns durch irgend einen psychologischen Faktor die eigent\u00fcmliche, konstante Art des qualitativen Fortschrittes, der in der Beihe besteht, zum Bewufstsein kommt. Indem wir in diesem Falle die wesentliche Eigent\u00fcmlichkeit der Beihe in eben jener konstanten Art qualitativen Fortschrittes erblicken und zugleich nicht einzusehen verm\u00f6gen, weshalb jener Fortschritt bei irgend einer Empfindung ein Ende finden m\u00fcsse, erscheint uns die Beihe als eine prinzipiell unbegrenzte.1\nSoviel zur psychologischen Charakteristik der beiden hier er\u00f6rterten, verschiedenen Arten von Empfindungsreihen. Eine weitere\n1 Hinsichtlich der Tonh\u00f6henreihe vergleiche man die im wesentlichen auf dasselbe hinauskommenden Ausf\u00fchrungen von Stumpf (Ton-psychologie, 1. S. 140 ff-, 178 ff.).\n8 Die beiden hier unterschiedenen Arten von Empfindungsreihen finden sich im Gebiete des H\u00f6rsinnes nebeneinander verwirklicht, wenn man z. B. die Empfindung eines einfachen Tones c das eine Mal so in die Empfindung der h\u00f6heren Oktave c' \u00fcberf\u00fchrt, dafs man durch die zwischenliegenden Tonh\u00f6hen hindurchgeht, das andere Mal hingegen so, dafs man dem Tone c den Ton c' mit immer wachsender Intensit\u00e4t und unter gleichzeitiger Abschw\u00e4chung von c hinzuf\u00fcgt, bis zuletzt nur noch der Ton c' vorhanden ist. Vorausgesetzt wird nat\u00fcrlich, dafs der H\u00f6rende in dem zweiten Falle das Eintreten der den beiden Teilt\u00f6nen entsprechenden einheitlichen Klangempfindung nicht durch eine auf Heraush\u00f6ren des einen der beiden Teilt\u00f6ne gerichtete Anspannung der sinn lieh on Aufmerksamkeit verhindere. W\u00e4hrend man im ersteren Falle von einer \u00c4nderung der Tonh\u00f6he redet, spricht man im zweiten von einer \u00c4nderung der Klangfarbe. Es d\u00fcrfte in mehrfacher Hinsicht von Interesse sein, im Gebiete des H\u00f6rsinnes \u00fcber diese beiden Arten von Empfindungsreihen vergleichende Versuche anzustellen.","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\nG. E. M\u00fcller.\nAusf\u00fchrung der hier versuchten Gedankeng\u00e4nge d\u00fcrfte erst dann angezeigt sein, wenn man \u00fcber ein eingehenderes und ausgedehnteres empirisches Material hinsichtlich unserer Auffassung solcher Empfindungsreihen und der Art des in ihnen bestehenden Fortschrittes verf\u00fcgt, insbesondere auch mit voller Sicherheit \u00fcbersieht, inwieweit unsere Auffassung bei diesen Dingen durch die Kenntnis der Verh\u00e4ltnisse der betreffenden Beize beeinflufst wird.\nNat\u00fcrlich haben wir hier ganz von denjenigen Unterschieden abgesehen. die sich zwischen den Empfindungsreihen geltend machen, wenn man die Erfolge der auf Analyse von Sinneseindr\u00fccken gerichteten Th\u00e4tigkeit der sinnlichen Aufmerksamkeit ber\u00fccksichtigt. Ist die Nervenerregung. die einem Sinnesreize entspricht, einfacher Art, so kann die sinnliche Aufmerksamkeit diesem Beize gegen\u00fcber sich im wesentlichen nur in der Weise geltend machen, dafs sie demselben die Einwirkung auf das Bewufstsein entweder erleichtert oder erschwert. Falls es sich hingegen um einen Sinneseindruck handelt, welchem unter gew\u00f6hnlichen Umst\u00e4nden eine aus mehreren Partialerregungen bestehende Mischerregung und eine Mischempfindung entspricht, so kann unter Umst\u00e4nden die sinnliche Aufmerksamkeit diesen Partialerregjungen gegen\u00fcber eine bevorzugende und ausw\u00e4hlende Bolle spielen und hierdurch die Beschaffenheit derjenigen Nervenerregung, welche wirklich zum psychophysichen Prozesse wird, mehr oder weniger beeinflussen. Die Leichtigkeit und St\u00e4rke, mit welcher dieser Einflufs der sinnlichen Aufmerksamkeit ausge\u00fcbt werden kann, h\u00e4ngt indessen ganz wesentlich davon ab, ob die dem Sinneseindrucke entsprechende Mischerregung schon an der \u00e4ufsersten Peripherie der sensorischen Nervenbahn in jedem der beteiligten Neuronten hervorgerufen wird (wie dies z. B. der Fall ist, wenn durch einfallendes Licht in den zu einer Netzhautstelle geh\u00f6rigen Sehnervenfasern eine aus Weifserregung und ein oder zwei chromatischen Erregungen bestehende Mischerregung hervorgerufen wird), oder ob (wie bei der Einwirkung von Kl\u00e4ngen der Fall ist) an den peripherischen Endigungen jedes der von dem Eindr\u00fccke zun\u00e4chst getroffenen Neuronten nur eine einfache Erregung bewirkt wird, und die unter gew\u00f6hnlichen Umst\u00e4nden auf das Bewufstsein einwirkende Mischerregung erst durch eine Art von Wechselwirkung oder Zusammenwirken dieser in verschiedenen Neuronten hervorgerufenen einfachen Erregungen1 zu Stande kommt. Es ist physiologisch nichts weniger als unbegreiflich, dafs im letzteren Falle die sinnliche Aufmerksamkeit die Wechselwirkung oder das Zusammenwirken der Partialerregungen verh\u00e4ltnism\u00e4fsig leicht zu brechen oder zu modifizieren vermag, w\u00e4hrend im ersteren Falle einem analytischen Bem\u00fchen der sinnlichen Aufmerksamkeit ganz andere Schwierigkeiten gegen\u00fcberstehen. Es ist einigermafsen befremdend, dafis man auf Grund der hier angedeuteten Thatsachen der sinnlichen Aufmerksamkeit dazu gekommen ist, den Mischempfindungen, welche in dem\n1 Dieses Zusammenwirken kann in verschiedener Weise gedacht werden. Es w\u00fcrde uns zu weit abf\u00fchren, wollten wir hier n\u00e4her auf diesen Punkt eingehen.","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Paychophysik der Gesichtsempfindungen.\n43\nzweiten der hier unterschiedenen F\u00e4lle unter gew\u00f6hnlichen Umst\u00e4nden entstehen, einen ganz anderen (allerdings nicht hinl\u00e4nglich klar bestimmten) psychologischen Charakter zuzuschreiben, als den im ersteren Falle eintretenden Mischempfindungen. Denn der Inhalt oder die Beschaffenheit einer unter gew\u00f6hnlichen Umst\u00e4nden auftretenden Mischempfindung hat damit gar nichts zu thun, welche Wirkungen eventuell eine intensiv auf Analyse gerichtete sinnliche Aufmerksamkeit an den der Misohempfindung zu Grunde liegenden Partialerregungen hat. Es d\u00fcrfte nicht allzu schwer sein, die Thatsachen der Klangempfindung und Klanganalyse an der Hand der modernen Neurontentheorie im Sinne der vorstehenden Andeutungen befriedigender zu erkl\u00e4ren, als dies durch ein Operieren mit dem Worte Verschmelzung geschieht.\n\u00a7 9. Er\u00f6rterung, inwieweit man zwischen den beiden angef\u00fchrten M\u00f6glichkeiten des Zustandekommens einer psychischen Qualit\u00e4tenreihe entscheiden k\u00f6nne.\nNach Vorstehendem erhebt sich die wichtige Frage, ob es Gesichtspunkte giebt, mittelst deren wir entscheiden k\u00f6nnen, ob eine gegebene psychische Qualit\u00e4tenreihe auf dem ersteren oder zweiten der beiden oben angegebenen Wege ihre psychophysische Repr\u00e4sentation finde, ob sie, auf einer geradl\u00e4ufigen allm\u00e4hlichen Ver\u00e4nderung der Qualit\u00e4t eines oder mehrerer\neinfacher psychophysischer Prozesse oder auf einer gerad-\n\u2022\u2022\nl\u00e4ufigen allm\u00e4hlichen \u00c4nderung des Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisses zweier (einfacher oder zusammengesetzter) Partialprozesse beruhe. Es liegt nahe, diese Frage in folgender Weise zu beantworten.\nBeruht die psychische Qualit\u00e4tenreihe darauf, dafs sich das gegenseitige Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis zweier psychophysischer Teil-vorg\u00e4nge a und b in geradl\u00e4ufiger und allm\u00e4hlicher Weise \u00e4ndert, so ist die Reihe der Qualit\u00e4ten, welche der aus diesen beiden Vorg\u00e4ngen zusammengesetzte psychophysische Prozefs besitzen kann, auf der einen Seite durch das Glied begrenzt, wo a einen endlichen Wert besitzt und b gleich 0 ist, und auf der anderen Seite durch das Glied, wo b einen endlichen Wert besitzt und a gleich 0 ist. Es ist also in diesem Falle die Reihe der Qualit\u00e4ten des psychophysischen Prozesses eine prinzipiell begrenzte, und mithin ist auch die entsprechende psychische Qualit\u00e4tenreihe prinzipiell begrenzt.\nKommt hingegen die psychische Qualit\u00e4tenreihe durch eine geradl\u00e4ufige und allm\u00e4hliche qualitative \u00c4nderung eines oder mehrerer einfacher psychophysischer Prozesse zu st\u00e4nde, so l\u00e4fst","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\nG. E. M\u00fctter.\nsich von vornherein nicht sagen, ob die psychische Qualit\u00e4tenreihe eine begrenzte oder unbegrenzte sein werde. Denn es l\u00e4fst sich nicht behaupten, dafs jede geradl\u00e4ufige und allm\u00e4hliche \u00c4nderung der Qualit\u00e4t eines einfachen psychophysischen Prozesses in gleicher Weise wie die Schwingungszahl eines\n08zillatorischen Vorganges prinzipiell unbegrenzt sein m\u00fcsse.\n\u2022\u2022\nEe sind auch solche geradl\u00e4ufige qualitative \u00c4nderungen einfacher physischer Vorg\u00e4nge m\u00f6glich, die nur bis zu gewissen Grenzpunkten hin stattfinden k\u00f6nnen. So kann man sich z. B. die geradlinige Schwingung eines Punktes durch stetige \u00c4nderung der Schwingungsrichtung ganz allm\u00e4hlich und auf einem k\u00fcrzesten Wege in diejenige Schwingung \u00fcber gef\u00fchrt denken, welche in einer zur anf\u00e4nglichen Schwingungsrichtung senkrechten Richtung stattfindet.1\nEs ergiebt sich mithin, dafs eine prinzipiell begrenzte psychische Qualit\u00e4tenreihe von vornherein betrachtet sowohl durch eine geradl\u00e4ufige allm\u00e4hliche \u00c4nderung des Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisses zweier psychophysischer Teilvorg\u00e4nge, als auch dadurch bedingt sein kann, dafs ein oder mehrere einfache psychophysische Prozesse ihre Qualit\u00e4t in konstanter Richtung allm\u00e4hlich ver\u00e4ndern. Hingegen kann eine prinzipiell un-\n1 Auch hier ist wiederum eine zweite Art des stetigen und gerad-l\u00e4ufigen \u00dcberganges von dem Anfangsgliede zum Endgliede m\u00f6glich. Man stelle sich vor, dafs sich die geradlinige Schwingung ganz allm\u00e4hlich in eine Schwingung verwandle, die in einer Ellipse stattfindet, deren grofse Axe in die Richtung der anf\u00e4nglichen geradlinigen Schwingung f\u00e4llt. Die Exzentrizit\u00e4t dieser Ellipse werde immer kleiner und kleiner, bis die Ellipse zu einem Kreise wird. Hierauf gehe der Kreis in eine Ellipse \u00fcber, deren grofse Axe senkrecht zur anf\u00e4nglichen Schwingungsrichtung steht, und diese Ellipse werde immer gestreckter und gestreckter, bis sie zuletzt in eine zur anf\u00e4nglichen Schwingungsrichtung senkrecht stehende Gerade \u00fcbergeht. Setzt man beispielshalber den Fall, die beiden zu einander senkrecht stehenden geradlinigen Schwingungen seien psychophysische Prozesse, so erhebt sich abermals die Frage: wie unterscheiden sich die beiden psychischen Qualit\u00e4tenreihen, die man erh\u00e4lt, wenn man von der einen geradlinigen Schwingung das eine Mal auf die soeben angedeutete Weise, das andere Mal aber auf die oben angegebene Weise zu der darauf senkrecht stehenden, geradlinigen Schwingung stetig und geradl\u00e4ufig \u00fcbergeht? Unterschieden der Schwingungsrichtung kann man nat\u00fcrlich nur dann eine psychophysische Bedeutung zuschreiben, wenn man annimmt, dafs sich mit der Schwingungsrichtung zugleich die r\u00e4umliche Beziehung \u00e4ndert, in welcher das schwingende Teilchen zu anderen am psychophysischen Prozesse beteiligten Teilchen steht.","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\nbegrenzte psychische Qualit\u00e4tenreihe nur auf dem letzteren Wege zu st\u00e4nde kommen.\nDie vorstehende Betrachtung ist an und f\u00fcr sich einwandsfrei, leidet aber an dem Mangel, dafs sie auf die in unserer Erfahrung vorkommenden psychischen Qualit\u00e4tenreihen nicht anwendbar ist. Denn wenn eine Qualit\u00e4tenreihe in unserer Erfahrung \u00fcber zwei Endglieder nicht hinausgeht, so folgt hieraus noch nicht ohne weiteres, dafs die Reihe \u00fcberhaupt \u00fcber jene Endglieder nicht hinausgehen k\u00f6nne; aus der empirischen Begrenztheit einer Empfindungsreihe folgt noch nicht ihre prinzipielle Begrenztheit.. Und wenn uns eine psychische Qualit\u00e4tenreihe prinzipiell begrenzt oder unbegrenzt erscheint, so folgt noch nicht ohne weiteres, dafs sie auch wirklich eine prinzipiell begrenzte, bezw. unbegrenzte Reihe sei ; ein psychologischer Anschein kann auch tr\u00fcgerisch sein.\nMit S\u00e4tzen, welche sich auf prinzipiell begrenzte oder unbegrenzte Qualit\u00e4tenreihen beziehen, k\u00f6nnen wir also nichts anfangen. Wir k\u00f6nnen nur von solchen S\u00e4tzen Anwendung machen, welche uns \u00fcber die Beziehung etwas aussagen, in welcher der psychologische Eindruck oder Anschein der prinzipiellen Begrenztheit oder Unbegrenztheit einer psychischen Qualit\u00e4tenreihe zu der Art des psychophysichen Zustandekommens derselben steht. Und hier treten nun die Betrachtungen in Kraft, die wir (um den G-ang der Er\u00f6rterung nicht an dieser Stelle st\u00f6ren zu m\u00fcssen) bereits in derSchlufs-anmerkung des vorigen Paragraphen angestellt haben. Aus jenen Betrachtungen scheint sich zu ergeben, dafs, wenn der in einer psychischen Qualit\u00e4tenreihe bestehende Fortschritt durch die von Glied zu Glied stattfindende Abnahme der \u00c4hnlichkeit zu dem empirischen Anfangsg\u00fcede und entsprechende Zunahme der \u00c4hnlichkeit zu dem empirischen Endgliede der Reihe vollst\u00e4ndig charakterisiert ist und uns infolge hiervon die Reihe als eine auch prinzipiell begrenzte erscheint, alsdann die Reihe auf.eine geradl\u00e4ufige und allm\u00e4hliche \u00c4nderung des Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisses zweier psychophysischer Partialprozesse zur\u00fcckzuf\u00fchren ist. Ist hingegen der Fortschritt in der Qualit\u00e4tenreihe durch die Abnahme der \u00c4hnlichkeit zum Anfangsgliede und Zunahme der \u00c4hnlichkeit zum Endgliede nicht vollst\u00e4ndig charakterisiert, mit welchem Verhalten sich (wenigstens unter gewissen psychologischen Bedingungen) der An-","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\nG. E. M\u00fcller.\nschein einer prinzipiellen Unbegrenztheit der Reihe verkn\u00fcpft, so beruht die Qualit\u00e4tenreihe darauf, dafs sich die Qualit\u00e4t eines oder mehrerer einfacher psychophysischer Prozesse geradl\u00e4ufig und allm\u00e4hlich \u00e4ndert.1\nMachen wir nun von vorstehenden S\u00e4tzen Anwendung, so ergiebt sich, dafs wir Mach unsere Zustimmung versagen m\u00fcssen, wenn er (Beitr\u00e4ge zur Analyse der Empfindungen. Jena. 1886. S. 121 f.) meint, dafs zum psychophysischen Verst\u00e4ndnisse der Tonh\u00f6henreihe \u201edie Annahme von nur zwei Energien, die durch verschiedene Schwingungszahlen in verschiedenem Verh\u00e4ltnisse ausgel\u00f6st werden\u201c, gen\u00fcge. Entspr\u00e4che das psychophysische Zustandekommen der Tonh\u00f6henreihe dieser Ansicht Machs, so w\u00fcrde sie uns hinsichtlich des in ihr bestehenden Fortschrittes z. B. der schwarzweifsen Empfindungsreihe vergleichbar und ebenso wie diese prinzipiell begrenzt erscheinen. In Anwendung auf das Gebiet der Gesichtsempfindungen ergiebt sich aus den vorstehenden S\u00e4tzen, dafs alle psychischen Qualit\u00e4tenreihen des Gesichtssinnes auf ein variables Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis zweier (einfacher oder zusammengesetzter) psychophysischer Teilvorg\u00e4nge zur\u00fcckzufuhren sind. Denn der Fortschritt in allen jenen Qualit\u00e4tenreihen, die vom Schwarz zum Weifs, vom Weifs zum Rot, vom Gr\u00fcn zum Blau u. s. w. fuhren, ist durch die von Glied zu Glied stattfindende Abnahme der \u00c4hnlichkeit zum Anfangsgliede und Zunahme der \u00c4hnlichkeit zum Endgliede vollst\u00e4ndig charakterisiert; und alle diese Qualit\u00e4tenreihen erscheinen uns dementsprechend prinzipiell begrenzt.\nBei der Unfertigkeit und Unsicherheit indessen, welche den hier zu Grunde gelegten Betrachtungen (der Schlufsamnerkung des vorigen Paragraphen) anhaftet, haben wir uns nach noch\n1 Wie leicht zu erkennen, ist es nach unseren fr\u00fcheren Ausf\u00fchrungen nicht v\u00f6llig ausgeschlossen, dafs eine psychische Qualit\u00e4tenreihe uns prinzipiell unbegrenzt erscheine, obwohl sie auf einer gerad-l\u00e4ufigen \u00c4nderung eines einfachen psychophysischen Prozesses beruht, die prinzipiell nur bis zu gewissen Grenzpunkten hin stattfinden kann. Denn nicht die thats\u00e4chliche Begrenztheit oder Unbegrenztheit der gerad-l\u00e4ufigen Ver\u00e4nderlichkeit des zu Grunde liegenden psychophysischen Prozesses, sondern nur die Art des in der psychischen Qualit\u00e4tenreihe stattfindenden Fortschrittes ist nach dem Fr\u00fcheren dasjenige, wovon der psychologische Eindruck der prinzipiellen Begrenztheit oder Unbegrenztheit der Reihe abh\u00e4ngt.","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n47\nanderen Gesichtspunkten umzusehen, welche Auskunft \u00fcber das psychophysische Zustandekommen der psychischen Qualit\u00e4tenreihen, insbesondere derjenigen des Gesichtssinnes, versprechen. Als ein solcher Gesichtspunkt bietet sich uns der folgende dar.\nBeruht eine psychische Qualit\u00e4tenreihe auf einer gerad-l\u00e4ufigen \u00c4nderung des Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisses zweier psycho-physischer Teilvorg\u00e4nge a und 6, so mufs jedes Glied dieser Qualit\u00e4tenreihe (abgesehen nat\u00fcrlich von den beiden Endgliedern) dadurch hergestellt werden k\u00f6nnen, dafs man die psychophysischen Prozesse, welche zweien oder mehreren das betreffende Glied zwischen sich einfassenden Gliedern entsprechen, in bestimmten Inten8it\u00e4t8Verh\u00e4ltnissen miteinander kombiniert Denn wenn einem gegebenen Gliede der Reihe ein bestimmtes Verh\u00e4ltnis \u2014 entspricht, so mufs dasselbe z. B. auch dadurch hergestellt werden k\u00f6nnen, dafs man zwei psychophysische Prozesse, deren einer durch einen h\u00f6heren und deren anderer durch einen\nd\ngeringeren Wert des Verh\u00e4ltnisses ^ charakterisiert ist, in bestimmtem St\u00e4rkeverh\u00e4ltnisse miteinander kombiniert. Kommt hingegen eine psychische Qualit\u00e4tenreihe durch eine gerad-l\u00e4ufige \u00c4nderung der Qualit\u00e4t (z. B. Schwingungszahl) eines oder mehrerer einfacher psychophysischer Prozesse zu st\u00e4nde, so kann, wie leicht ersichtlich, der psychophysische Prozefs, welcher einem gegebenen Gliede der Reihe entspricht, durch Kombination der psychophysischen Prozesse, welche zweien oder mehreren das gegebene Glied zwischen sich einschliefsen-den Gliedern der Reihe entsprechen, in keiner Weise hergestellt werden. Wenn also Mach, wie oben erw\u00e4hnt, die Tonh\u00f6henreihe auf ein variables Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis zweier psychophysischer Teilvorg\u00e4nge zur\u00fcckf\u00fchrt, so scheint uns diese Ansicht auch daran zu scheitern, dafs nach derselben jedes Glied der Tonh\u00f6henreihe auch durch Kombination eines beliebigen h\u00f6heren und tieferen Tones m\u00fcfste hervorgerufen werden k\u00f6nnen, was thats\u00e4chlich nicht der Fall ist.1 Hingegen scheint im\n1 Betrachtet man dagegen die fr\u00fcher (S. 41) erw\u00e4hnte Qualit\u00e4tenreihe, welche man dadurch erh\u00e4lt, dafs man vom Tone c durch blofse \u00c4nderung der Klangfarbe zum Tone & \u00fcbergeht, so zeigt sich, dafs jedes Glied der Beihe dadurch hergestellt werden kann, dafs man die Beize, welche zweien oder mehreren dasselbe zwischen sich einschliefsenden","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nG. E. Muller.\nGebiete des Gesichtssinnes das an der Tonh\u00f6henreihe vermifste Verhalten zu bestehen. Denn jedes Glied der Qualit\u00e4tenreihe, welohes vom Schwarz zum Gr\u00fcn oder vom Weifs zum Bot oder vom Urrot zum Urblau u. s. w. fuhrt, k\u00f6nnen wir dadurch hersteilen, dafs wir die Beize, welche den beiden Endgliedern der Beihe oder \u00fcberhaupt zweien oder mehreren das betreffende Glied zwischen sich einschliefsenden Gliedern der Beihe entsprechen, in bestimmten St\u00e4rkeverh\u00e4ltnissen kombinieren.* 1\nWenn man indessen in letzterem Thatbestande einen vollg\u00fcltigen Beweis f\u00fcr die Behauptung erblicken w\u00fcrde, d\u00e4fs im Gebiete des Gesichtssinnes jede psychische Qualit\u00e4tenreihe auf ein variables Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis zweier psychophysischer Teilvorg\u00e4nge zur\u00fcckzufuhren sei, so w\u00fcrde man wiederum die n\u00f6tige Vorsicht vermissen lassen. Denn zwischen die Lichtreize\nGliedern entsprechen, in bestimmten St\u00e4rkeverh\u00e4ltnissen kombiniert. Hinsichtlich der Art und Weise, wie Mach dem hier erhobenen Einwande zu begegnen sucht, vergleiche man dessen Beitr\u00e4ge zur Analyse der Empfindungen, S. 122 f. Auf die sog. resultierenden T\u00f6ne (man vergleiche z. B. Mbldk in Pfl\u00fcgers Arch* 60. 1895. S. 628 ff.) braucht hier nicht erst eingegangen zu werden.\n1 Wenn man die Empfindung eines spektralen Blaugr\u00fcn durch Kombination des spektralen Urgr\u00fcn und Urblau nicht mit ganz demselben S\u00e4ttigungsgrade hersteilen kann, so l\u00e4fst sich dies unschwer darauf zur\u00fcckf\u00fchren, dafs die Empfindungsreihe, welche (bei normalen Bedingungen der Beobachtung der Spektralfarben) vom spektralen Urgr\u00fcn zum spektralen Urblau f\u00fchrt, infolge der Art und Weise, wie sich in dieser 8pektralregion die Weifsvalenz des Lichtes mit der Wellenl\u00e4nge \u00e4ndert, keine wirkliche psychische Qualit\u00e4tenreihe darstellt, d. h. keine Empfindungsreihe ist, in welcher sich die Qualit\u00e4t ganz geradl\u00e4ufig \u00e4ndert. Analoges gilt von anderen Spektralregionen.\nIn Hinblick auf das soeben Bemerkte kann man folgende ganz allgemeine Frage aufwerfen. Es sei gegeben eine Mischempfindung E (z. B. eine schwarzweifse Gr\u00fcnempfindung), welche auf den psychophysischen Teilvorg\u00e4ngen a, 6, c .. . beruht, und eine andere Mischempfindung E (z. B. eine Blauempfindung von geringerer Weifslichkeit und gr\u00f6fserer Schw\u00e4rzlichkeit), welcher die psychophysischen Teilvorg\u00e4nge a\\ 6', c# . . . zu Grunde liegen, von denen einer oder mehrere die gleiche Qualit\u00e4t und auch Intensit\u00e4t besitzen k\u00f6nnen, wie einer, bezw. mehrere jener Vorg\u00e4nge a, b, c. . . Diese beiden Empfindungen E und E seien durch eine stetige Reihe von Empfindungen verbunden, denen nur solche psychophysische Prozesse zu Grunde liegen, welche die Qualit\u00e4t jener Vorg\u00e4nge a, b, c... a', b\\ c\u2018... besitzen. Wie m\u00fcssen sich nun im Fortschritte der von E zu E hinf\u00fchrenden Empfindungsreihe die gegenseitigen","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychopkysik der Gesichtsempfindungen.\n49\nund die psychophysischen Prozesse des Sehorganes sich die chemischen Netzhautprozesse ein. Und der hier erw\u00e4hnte Thatbestand l\u00e4fst sich, wie leicht zu erkennen, auch in der Weise vollkommen erkl\u00e4ren, d&fs man jede psychische Qualit\u00e4tenreihe des Gesichtssinnes auf eine geradl\u00e4ufige \u00c4nderung des Intensit\u00e4t\u00bb Verh\u00e4ltnisses zweier (einfacher oder zusammengesetzter) Netzhautprozesse, welcher eine geradl\u00e4ufige \u00c4nderung der Qualit\u00e4t des zugeh\u00f6rigen psychophysischen Prozesses entspreche, zur\u00fcckf\u00fchrt, hierbei aber ganz dahingestellt sein l\u00e4fst, welcher Art diese geradl\u00e4ufige \u00c4nderung des psyoho-physischen Prozesses sei, ob sie die Qualit\u00e4t eines oder mehrerer einfacher Vorg\u00e4nge oder das Intensit\u00e4tsVerh\u00e4ltnis zweier Teilvorg\u00e4nge betreffe.\nDie Unsicherheit, die nach dem Bisherigen hinsichtlioh der psychophysischen Deutung einer gegebenen psychischen Qualit\u00e4tenreihe vielleicht noch besteht, schwindet, sobald man\nIntensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse der psychophysischen Teilvorg\u00e4nge verhalten, damit die Empfindungsreihe wirklich eine psychische Qualit\u00e4tenreihe sei? Eine Antwort erh\u00e4lt man z. B. auf dem Wege, dafs man an unsere Bemerkung (S. 35 f.) ankn\u00fcpft, es sei die Empfindungs\u00e4nderung, welche dem Durchlaufen einer Qualit\u00e4tenreihe entspricht, durchg\u00e4ngig gerad-l\u00e4ufiger Art, falls man sich s\u00e4mtliche Glieder der Beihe auf gleiche Intensit\u00e4t gebracht denke. Man denke sich also f\u00fcr jedes Glied der von\nB zu & hinf\u00fchrenden Empfindungsreihe die absoluten Intensit\u00e4ten der\n\u2022\u00ab\nzu Grunde liegenden psychophysischen Teilvorg\u00e4nge ohne \u00c4nderung der gegenseitigen Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse dieser Vorg\u00e4nge so ge\u00e4ndert, dafs s\u00e4mtliche Empfindungen der Beihe eine und dieselbe Intensit\u00e4t besitzen. Dann mufs sich in der so erhaltenen Empfindungsreihe die Empfindung ganz geradl\u00e4ufig \u00e4ndern, wenn die gegebene, von E zu B f\u00fchrende Empfindungsreihe wirklich eine psychische Qualit\u00e4tenreihe ist. Fragt man nun weiter, wie sich die psychophysischen Prozesse, die einer stetigen Empfindungsreihe zu Grunde liegen, verhalten m\u00fcssen, damit in dieser Beihe die Empfindungs\u00e4nderung ganz geradl\u00e4ufig erfolge, so erh\u00e4lt man hierauf die Antwort, wenn man von dem Satze ausgeht, dafs jedem geradl\u00e4ufigen, d. h. k\u00fcrzesten und mithin einzigartigen stetigen Obergange zwischen zwei Empfindungen auch ein einzigartiger stetiger \u00dcbergang zwischen den zwei zugeh\u00f6rigen psychophysischen Prozessen entsprechen mufs, und umgekehrt.\nBei dem beschr\u00e4nkten Zwecke dieser Abhandlung ist es uns tin-m\u00f6glich, auf diese und andere bisher fast ganz vernachl\u00e4ssigte Punkte der allgemeinen Psychophysik n\u00e4her einzugehen. Es muis uns hier gen\u00fcgen, angedeutet zu haben, dafs die oben aufgeworfene Frage in der That eine prinzipielle Antwort zul\u00e4fst.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie X.\n4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nG. K M\u00fcller.\ntriftige Gr\u00fcnde hat, die psychophysischen Prozesse des betreffenden Sinnesgebietes als chemische Vorg\u00e4nge anzusehen. Denn es ist unm\u00f6glich, eine durch zahllose Zwischenstufen hindurchgehende, geradl\u00e4ufig\u00a9 \u00c4nderung der Qualit\u00e4t eines chemischen Prozesses sich anders vorzustellen, als so, dafs man diesen Prozefs aus zwei Teilvorg\u00e4ngen bestehen l\u00e4fst, deren Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis sich allm\u00e4hlich \u00e4ndert. Geht man also (mit Herino) von der Voraussetzung aus, dafs die psychophysischen Vorg\u00e4nge des Sehorganes chemischer Natur seien, so hat man im Gebiete des Gesichtssinnes jede psychische Qualit\u00e4tenreihe auf ein variables Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis zweier (einfacher oder zusammengesetzter) psychophysischer Teilvorg\u00e4nge zur\u00fcckzufuhren.\nEntsprechendes, wie f\u00fcr den Fall, dafs die psychophysischen Prozesse des betreffenden Sinnesgebietes als chemische Vorg\u00e4nge anzusehen sind, gilt f\u00fcr den Fall, dafs wenigstens von den peripherischen Vorg\u00e4ngen (z. B. den Netzhautprozessen), welche die unmittelbaren Ursachen der sensorischen Nervenerregungen sind, feststeht, dafs sie chemischer Art sind, und zugleich angenommen werden darf, dafs jeder geradl\u00e4ufigen und allm\u00e4hlichen \u00c4nderung der Beschaffenheit der Nervenerregung auch eine geradl\u00e4ufige und allm\u00e4hliche \u00c4nderung der Beschaffenheit des peripherischen Vorganges zu Grunde liegt. Besteht zwischen der Nervenerregung und dem peripherischen Vorg\u00e4nge eine Beziehung der soeben angegebenen Art, so mufs jeder geradl\u00e4ufigen und allm\u00e4hlichen \u00c4nderung der Empfindungsqualit\u00e4t eine geradl\u00e4ufige und allm\u00e4hliche qualitative \u00c4nderung nicht blofs der Nervenerregung, sondern auch des peripherischen Vorganges entsprechen. Eine geradl\u00e4ufige und allm\u00e4hliche \u00c4nderung des letzteren Vorganges kann aber, wenn dieser chemischer Art ist, nicht anders zu st\u00e4nde kommen, als so, dafs sich das Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis zweier ihn zusammensetzender Partialprozesse in konstanter Sichtung allm\u00e4hlich \u00e4ndert.\nGehen wir also von der gegenw\u00e4rtig allgemein geteilten Voraussetzung1 aus, dafs die durch die Lichtstrahlen in der Netzhaut hervorgerufenen, die Entstehung der Sehnerven-\n1 Man vergleiche hier\u00fcber z. B. Bernstein, Untersuchungen \u00fcber dm Erregungsvorgang im Nerven- und Muskelsystem. Heidelberg 1871. S. 181 ff. K\u00fchne in Hermanns Handb. d. Physiol. III. 1. S. 237 f.","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychaphysik der Gesichtsempfindungen.\n51\nerregungen vermittelnden Prozesse(Netzhautprozesse) chemischer Art 8 ei en, und machen wir zweitens (die Frage, welcher Art eigentlich die Sehnervenerregungen seien, ganz beiseite lassend) die fast selbstverst\u00e4ndliche Annahme, dafs jeder geradl\u00e4ufigen und allm\u00e4hlichen qualitativen \u00c4nderung der Sehnervenerregung eine gleichfalls geradl\u00e4ufige und allm\u00e4hliche qualitative\nmm\t_\t_\t_\t_\n\u00c4nderung des Netzhautprozesses zu Grunde liege, so kommen wir zu dem wichtigen Satze: jede Reihe von Gesichtsempfindungen, welche eine Qualit\u00e4tenreihe bildet, mufs auf einem Netzhautprozesse beruhen, der aus zwei (einfachen oder zusammengesetzten) chemischen Teilvorg\u00e4ngen besteht, deren Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis sich geradl\u00e4ufig und allm\u00e4hlich \u00e4ndert.\nWas die zweite der bei Ableitung dieses Satzes zu Grunde gelegten, vorstehende angef\u00fchrten Voraussetzungen anbelangt, so nehmen wir also z. B. an, dafs, wenn eine Blauempfindung durch die entsprechenden rotblauen Nuancen hindurch allm\u00e4hlich in eine Rotempfindung \u00fcbergehe, alsdann dieser geradl\u00e4ufigen und allm\u00e4hlichen \u00c4nderung der Empfindungs-qualit\u00e4t eine gleichfalls geradl\u00e4ufige und allm\u00e4hliche qualitative \u00c4nderung nicht blofs der Nervenerregung, sondern auch des Netzhautprozesses zu Grunde liege. Diese Annahme ist zweifellos diejenige, welche den Prinzipien wissenschaftlicher Methodologie gem\u00e4l's zun\u00e4chst zu Grunde zu legen und nur dann aufzugeben ist, wenn sich zeigt, dafs ihre Zugrundelegung zu un\u00fcberwindbaren Schwierigkeiten f\u00fchrt, oder dafs eine andere, an und f\u00fcr sich kompliziertere, Annahme dennoch bei Ber\u00fccksichtigung aller zu erkl\u00e4render Erscheinungen schneller und einfacher zum Ziele fuhrt. Von der Plausibilit\u00e4t dieser Annahme \u00fcberzeugt man sich am besten dadurch, dafs man sich die Absurdit\u00e4t einer gegenteiligen Annahme vergegenw\u00e4rtigt, z. B. der Annahme, dafs in dem soeben angef\u00fchrten Falle (des \u00dcberganges von einer Blauempfindung zu einer Rotempfindung) die Geradl\u00e4ufigkeit der qualitativen \u00c4nderung der Empfindung und Sehnervenerregung dadurch zu st\u00e4nde komme, dafs die qualitative \u00c4nderung des Netzhautvorganges bald in dieser bald in jener Richtung stattfinde.\nDie hier in Rede stehende, von uns oben zu Grunde gelegte Annahme findet nun \u00fcberdies noch eine beachtenswerte Best\u00e4tigung in der fr\u00fcher (S. 48) erw\u00e4hnten Thatsache, dafs\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\nG. E. M\u00fcller.\nm Gebiete des Gesichtssinnes jedes mittlere Glied einer psychischen Qualit\u00e4tenreihe dadurch hergestellt werden kann, dais man die Beize, welche zweien oder mehreren das betreffende Glied zwischen sich einschliefsenden Gliedern der Beihe entsprechen, in bestimmten St\u00e4rkeverh<nissen miteinander kombiniert. Denn macht man die Voraussetzung, dafs z. B. der Qualit\u00e4tenreihe, welche von einer Nuance des TTrrot zur gleichhellen Nuance des Urgelb hinf\u00fchrt, eine qualitative \u00c4nderung des Netzhautprozesses zu Grunde liege, welche nicht g\u00e4nzlich in einer und derselben Richtung stattfinde, sondern etwa anf\u00e4nglich darin bestehe, dafs ein chemischer Prozefs a immer schw\u00e4cher, hingegen ein zu a hinzugef>er Prozefs b immer st\u00e4rker werde, bis schliefslich b nur nooh allein \u00fcbrig sei, und hierauf darin bestehe, dafs b immer schw\u00e4cher, hingegen ein zu b hinzugefftgter chemischer Prozefs c immer st\u00e4rker werde, bis schliefslioh nur noch c vorhanden sei, so ist nur durch Annahme komplizierterer Verh\u00e4ltnisse die Thatsache erkl\u00e4rbar, dafs wir durch Kombination der beiden Beize, welche, einzeln genommen, die beiden Netzhautprozesse a und c hervorrufen, dieselbe Nervenerregung und Empfindung bewirken k\u00f6nnen^ welche der von a und c wesentlich verschiedene Netzhaut-prozefs fr, einzeln genommen, zur Folge hat. Hingegen erkl\u00e4rt sich die Thatsache, dafs jedes Glied der erw\u00e4hnten Empfindungsreihe durch geeignete Kombination der Beize, welche zweien oder mehreren das gegebene Glied zwischen sich einschliefsenden Gliedern der Beihe entsprechen, hervorgerufen werden kann, ohne weiteres und in einfachster Weise, wenn man annimmt, dafs diese Empfindungsreihe, wie \u00fcberhaupt jede psychische Qualit\u00e4tenreihe des Gesichtssinnes, in ihrer ganzen Erstreckung darauf beruht, dafs sich das Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis zweier Netzhautprozesse in konstanter Richtung \u00e4ndert.1\n1 Es w\u00fcrde nat\u00fcrlich auf einem argen Mis Verst\u00e4ndnisse und v\u00f6lliger Verst\u00e4ndnislosigkeit f\u00fcr psychophysische Dinge beruhen, wenn man dem obigen die Ansicht entnehmen wollte, es m\u00fcsse jeder Beihe qualitativ verschiedener Sinnesreize, welche die Eigent\u00fcmlichkeit besitzt, dafs die Empfindung jedes mittleren Gliedes durch geeignete Kombination zweier oder mehrerer dasselbe zwischen sich einschliefsender Glieder hervorgerufen werden kann, eine Beihe von Nervenerregungen und Empfindungen entsprechen, in welcher sich die Qualit\u00e4t geradl\u00e4ufig \u00e4ndert. \u00dcber die qualitativen Verh\u00e4ltnisse unserer Empfindungen k\u00f6nnen uns nur direkte Vergleichungen der Empfindungen selbst und ihrer Unterschiede, niemals","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n53\nWenn wir oben behauptet haben, dafs eine geradl\u00e4ufige und allm\u00e4hliche qualitative \u00c4nderung eines chemischen Vorganges nur dann m\u00f6glich sei, wenn derselbe aus zwei Teilvorg\u00e4ngen, deren Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis variabel sei, bestehe, so haben wir dabei ganz von der M\u00f6glichkeit abgesehen, dafs der betreffende chemische Prozefs oszilla-torischer Art, d. h. ein chemischer Vorgang sei, dessen Lebhaftigkeit periodisch auf- und abschwelle, oder welcher aus einer Beihe schnell aufeinanderfolgender gleichartiger chemischer Umsetzungen bestehe, die durch kurze Intervalle, in denen chemische R\u00fcckbildung stattfinde, voneinander getrennt seien. Da an einem solchen chemischen Vorg\u00e4nge die Dauer und der zeitliche Verlauf der einzelnen chemischen Umsetzungen in \u00e4hnlicher Weise variabel sind, wie an einem rein physikalischen Schwingungsprozesse die Schwingungsdauer und die Schwingungsform ver\u00e4nderlich sind, so w\u00fcrde man einen solchen Vorgang f\u00fcr einen chemischen Prozefs erkl\u00e4ren k\u00f6nnen, der nicht durch das Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis zweier bestimmter Teilvorg\u00e4nge charakterisiert sei und dennoch in stetiger und geradl\u00e4ufiger Weise hinsichtlich seiner Beschaffenheit variiert werden k\u00f6nne. Man kann die Frage aufwerfen, ob die Qualit\u00e4tenreihe der Tonh\u00f6hen durch solche chemische Oszillationsvorg\u00e4nge psychophysisch zu deuten sei.1 F\u00fcr das Gebiet des Gesichtssinnes hingegen kommt die Annahme, dafs die Netzhautprozesse oder die psychophysischen Vorg\u00e4nge chemische Oszillationen seien, deren Dauer und zeitlicher Verlauf von der Art des einwirkenden Lichtes abh\u00e4nge, schon vom chemisch-physikalischen und physiologischen Standpunkte aus \u00fcberhaupt nicht in Betracht.\nAngenommen, es stehe f\u00fcr ein Sinnesgebiet fest, dafs die psychophysischen Prozesse desselben chemischer Art sind, und es sei zugleich die M\u00f6glichkeit ausgeschlossen, dafs diese Prozesse chemische Oszillationsvorg\u00e4nge im obigen Sinne seien, so m\u00fcssen dem fr\u00fcher Bemerkten gem\u00e4fs in diesem Sinnesgebiete alle psychischen Qualit\u00e4tenreihen prinzipiell begrenzter Art sein und auch den psychologischen Eindruck prinzipieller Begrenztheit mit sich f\u00fchren.\n\u00a7 10. Ableitang der sechs retinalen Grandprozesse.\nWir gehen nun dazu \u00fcber, von dem oben aufgestellten Satze, dafs jede psychische Qualit\u00e4tenreihe des Gesichtssinnes auf zwei (einfache oder zusammengesetzte) Netzhautprozesse,\naber irgendwelche Versuchsresultate Auskunft geben, welche die physio logische Vertretbarkeit eines Sinnesreizes durch einen (einfachen oder zusammengesetzten) anderen Sinnesreiz betreffen. Wohl aber k\u00f6nnen Resultate der letzteren Art, wie sich aus obigem ergiebt, f\u00fcr die Deutung des physiologischen Zustandekommens einer Empfindungsreihe, von welcher auf Grund der inneren Wahrnehmung feststeht, dafs sie eine psychische Qualit\u00e4tenreihe im fr\u00fcher angegebenen Sinne darstellt, von Wichtigkeit sein.\n1 Man vergleiche L. Hermann in Pfl\u00fcgers Arch. 56. 1894. S. 497 f.","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nG. E. M\u00fcller.\nderen Intensit\u00e4ts Verh\u00e4ltnis variabel sei, zur\u00fcckgef\u00fchrt werden m\u00fcsse, die geh\u00f6rige Anwendung zu machen.\nAn erster Stelle tritt uns da die Reihe der schwarzweifsen Empfindungen entgegen, die vom tiefsten Schwarz durch die verschiedenen Abstufungen des Grau zum hellsten Weifs f\u00fchrt. Diese Qualit\u00e4tenreihe f\u00fchren wir auf zwei chemische Netzhaut -Prozesse, einen Weifsprozefs und einen Schwarzprozefs, zur\u00fcck, die, je nach den Intensit\u00e4tswerten, welche sie besitzen, bald dieses, bald jenes Glied der schwarzweifsen Empfindungsreihe zur Folge haben.\nJede schwarzweifse Empfindung ist indessen nicht blofs ein Glied der schwarzweifsen Empfindungsreihe, sondern zugleich auch noch Anfangsglied zahlloser anderer Qualit\u00e4tenreihen, deren jede zu der Empfindung eines ges\u00e4ttigtsten Farbentones hinf\u00fchrt. So stellt die Reihe der Empfindungen, welche von einer gegebenen Weifsempfindung durch die r\u00f6tlichen Weifsempfindungen und weifslichen Rotempfindungen hindurch allm\u00e4hlich zu der ges\u00e4ttigtsten Rotempfindung hinf\u00fchrt, eine Empfindungsreihe dar, in welcher die \u00c4nderung der Empfindungsqualit\u00e4t allm\u00e4hlich und geradl\u00e4ufig vor sich geht. Eine Reihe gleicher Art stellt die Empfindungsreihe dar, welche von derselben Weifsempfindung aus durch die rotblauen Weifsempfindungen und weifslichen Rotblauempfindungen hindurch ohne Ver\u00e4nderung des Farbentones zu der ges\u00e4ttigtsten Rotblauempfindung hinf\u00fchrt. Das Gleiche gilt von der Reihe der weilsgelben, weifsgr\u00fcnen, weifs-gr\u00fcnblauen u. s. w. Empfindungen. Jede von diesen zahllosen weifsfarbigen Empfindungsreihen stellt eine (prinzipiell begrenzt erscheinende) psychische Qualit\u00e4tenreihe dar. Es ist hier v\u00f6llig irrelevant, dafs die ges\u00e4ttigtsten der in unserer Erfahrung vorkommenden Farbenempfindungen als absolut ges\u00e4ttigt nicht angesehen werden d\u00fcrfen. Das Wesentliche ist hier nur die Thatsache, dafs jede schwarzweifse Empfindung das Anfangsglied zahlloser Empfindungsreihen ist, in deren jeder die\u00c4nderung der Empfindungsqualit\u00e4t geradl\u00e4ufig und allm\u00e4hlich vor sich geht. Dem obigen Satze gem\u00e4fs haben wir jede dieser psychischen Qualit\u00e4tenreihen auf ein variables Intensit\u00e4ts Verh\u00e4ltnis zweier retinaler Teilvorg\u00e4nge zur\u00fcckzuf\u00fchren, deren einer ein chromatischer Prozefs ist, und deren anderer ein aus Weifsprozefs und Schwarzprozefs zusammengesetzter Vorgang ist. Handelt es sich (bei einer","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n55\nprinzipiellen Betrachtung) um die Qualit\u00e4tenreihen, welche von der reinen Weifsempfindung oder reinen Schwarzempfindung ausgehen, so kommt nat\u00fcrlich ein Bestandteil des letzteren Vorganges in Wegfall.\nEs fragt sich nun, inwieweit jener erstere Prozefs, der chromatische Prozefs, einfacher oder zusammengesetzter Art ist. Auf diese Frage erhalten wir die Antwort, wenn wir uns alle diejenigen Farbenempfindungen, welche einen ganz bestimmten W eifslichkeitsgrad und einen ganz bestimmten Schw\u00e4rzlichkeit8grad besitzen, aus denjenigen der soeben erw\u00e4hnten, von den schwarzweifsen Empfindungen zu den ges\u00e4ttigtsten Farbenempfindungen hinf\u00e4hrenden Qualit\u00e4tenreihen, in denen sie Vorkommen, herausgenommen und alsdann alle diese Farbenempfindungen von gleicher Weifslichkeit und gleicher Schw\u00e4rzlichkeit nach ihren Verwandtschafts Verh\u00e4ltnissen in Qualit\u00e4tenreihen angeordnet denken. Alsdann erhalten wir \u2014 m\u00f6gen wir den konstanten Weifslichkeitsgrad und den konstanten Schw\u00e4rzlichkeitsgrad (der auch ann\u00e4hernd gleich 0 sein kann) in dieseh oder jenen Werten w\u00e4hlen \u2014 vier Qualit\u00e4tenreihen, n\u00e4mlich die Reihen der rotgelben, gelbgr\u00fcnen, gr\u00fcnblauen und blauroten Empfindungen. Denn wenn wir von einer Rotempfindung durch die gleich weifslichen und gleich schw\u00e4rzlichen rotgelben Empfindungen hindurch zu der Gelbempfindung von gleichfalls gleicher Weifslichkeit und Schw\u00e4rzlichkeit \u00fcbergehen, so ist die \u00c4nderung der Empfindungsqualit\u00e4t sowohl allm\u00e4hlich, als auch geradl\u00e4ufig. Das Gleiche gilt f\u00fcr den Fall, dafs wir von einer Gelbempfindung unter Beibehaltung desselben Weifslichkeits- und Schw\u00e4rzlichkeits-grades durch die gelbgr\u00fcnen Farbent\u00f6ne hindurch zu der entsprechenden Gr\u00fcnempfindung \u00fcbergehen, u. s. w. Jede von jenen vier Qualit\u00e4tenreihen haben wir nun dem obigen Satze gem\u00e4fs auf ein variables Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis zweier chemischer Netzhautprozesse zur\u00fcckzuf\u00fchren. So haben wir z. B. die rotgelbe Qualit\u00e4tenreihe psychophysisch dahin zu deuten, dafs im Verlaufe der Reihe der Gelbprozefs in Vergleich zum Rotprozesse immer st\u00e4rker werde, w\u00e4hrend der Weifsprozefs und der Schwarzprozefs immer gerade diejenigen Intensit\u00e4tswerte bes\u00e4fsen, welche den vorhandenen Intensit\u00e4ten des Rotprozesses und Gelbprozesses gegen\u00fcber erforderlich seien, damit s\u00e4mtlichen Gliedern der Empfindungsreihe der gleiche Grad von Weifslichkeit und von Schw\u00e4rzlichkeit zukomme.","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\nG. E. M\u00fcller.\nEs lassen sich also die farbigen, d. h. nicht zu der schwarz-weif s en Empfindungsreihe selbst geh\u00f6rigen, Bestandteile der Qualit\u00e4tenreihen, welche von den schwarzweifsen Empfindungen aus zu den Empfindungen der ges\u00e4ttigtsten Farbentone hin-' f\u00fchren, auch in der Weise anordnen, dafs man sie zu Qualit\u00e4tenreihen zusammenf\u00fcgt, deren jeder ein bestimmter, konstanter Weifslichkeitsgrad und Schw\u00e4rzlichkeitsgrad eigent\u00fcmlich ist. Und alle die Qualit\u00e4tenreihen, die man bei dieser letzteren Anordnungsweise erh\u00e4lt, sind entweder Reihen rotgelber oder gelbgr\u00fcner oder gr\u00fcnblauer oder blauroter Empfindungen von konstantem Weifslichkeits- und Schw\u00e4rzlichkeitsgrade.1 Da nun die farblosen und farbigen Bestandteile der Qualit\u00e4tenreihen, welche von den schwarzweifsen Empfindungen aus zu den Empfindungen der ges\u00e4ttigtsten Farbent\u00f6ne hinf\u00fchren, die Gesamtheit aller unserer Gesichtsempfindungen darstellen, so kommen wir mithin auf Grund des Satzes, dafs jede psychische Qualit\u00e4tenreihe des Gesichtssinnes auf zwei hinsichtlich ihrer Intensit\u00e4ten variable chemische Netzhautprozesse zur\u00fcckzuf\u00fchren ist, zu dem wichtigen Resultate, dafs der Gesamtheit unserer Gesichtsempfindungen sechs Netzhautprozesse zu Grunde liegen, die wir kurz als den Weifs-, Schwarz-, Rot-, Gelb-, Gr\u00fcn- und Blauprozefs zu bezeichnen haben, weil ihnen in dem Falle, dafs jeder von ihnen ganz allein und ohne Mitwirkung endogener Erregungsursachen f\u00fcr den Zustand der Sehsubstanz der Grofshirnrinde mafsgebend w\u00e4re, eine reine Weifs-, Schwarz-, Rot-, Gelb-, Gr\u00fcn- und Blauempfindung in unserem Bewufstsein entsprechen w\u00fcrde.\n1 Wie leicht ersichtlich, h\u00e4ngt der Umfang einer solchen rotgelben, gelbgr\u00fcnen, gr\u00fcnblauen oder blauroten Empfindungsreihe (d. h. die Zahl der die Reihe bildenden Empfindungen) von dem konstanten Weilslichkeits-und Schw\u00e4rzlichkeitsgrade der Reihe ab. Je mehr an einer solchen Reihe die \u00c4hnlichkeit zu einer bestimmten schwarzweifsen Empfindung hervortritt, desto mehr n\u00e4hert sich der Umfang der Reihe dem Falle, wo er auf ein einziges Glied, n\u00e4mlich eben die betreffende schwarzweifse Empfindung, zusammensohrumpft. Es Heise sich \u00fcber die hier in Rede stehenden Empfindungsreihen an der Hand unserer bisherigen Entwickelungen noch einiges sagen und fragen, doch w\u00fcrde es die Geduld des Lesers zu sehr auf das Spiel setzen, wollten wir auf diese (f\u00fcr die obige Beweisf\u00fchrung im Grunde irrelevanten) Dinge n\u00e4her eingehen.","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen*\n57\nGeht man von der Voraus Setzung aus, dafs die psychophysischen Prozesse der Sehsubstanz chemischer Natur seien, so kommt man dem auf S. 50 Bemerkten gem\u00e4fs in ganz analoger Weise, wie wir im vorstehenden die sechs retinalen Grundprozesse abgeleitet haben, aber ohne einer bestimmten Annahme hinsichtlich der Beziehung zwischen Sehnervenerregung und Netzhautprozefs zu bed\u00fcrfen, notwendig zu der Schlussfolgerung, dafs unseren Gesichtsempfindungen sechs psychophysische Grundprozesse, eine Weifserregung, Schwarzerregung u. s. w., zu Grunde liegen.\nWie sieb aus dem auf 8. 31 f. Bemerkten leicht ergiebt, steht die Sache hinsichtlich der Abh\u00e4ngigkeit der schwarzweifsen Empfindungsreihe von den entsprechenden Netzhautprozessen etwas anders, als hinsichtlich der \u00fcbrigen Qualit\u00e4tenreihen des Gesichtssinnes, z. B. der weilsroten und rotblauen Reihen. Es wurde indessen f\u00fcr den Leser nur zu erm\u00fcdenden Weitl\u00e4ufigkeiten der Darstellung gef\u00fchrt haben, wenn wir im vorstehenden und nachfolgenden diese Sonderstellung der schwarzweifsen Empfindungsreihe jedesmal n\u00e4her ber\u00fccksichtigt h\u00e4tten. Der Versuch, die schwarzweifse Empfindungsreihe auf einen einzigen Netzhautprozefs zur\u00fcckzuf\u00fchren, welcher nach Mafsgabe seiner Intensit\u00e4t auf die endogene Weifserregung der zentralen Sehsubstanz verst\u00e4rkend, hingegen auf die Schwarzerregung derselben abschw\u00e4chend wirke, scheitert schon f\u00fcr eine oberfl\u00e4chliche Betrachtung daran, dafs alsdann die Erkl\u00e4rung der negativen Nachbilder und anderer Erscheinungen f\u00fcr die farblosen Empfindungen ganz anders zu halten w\u00e4re als f\u00fcr die farbigen Empfindungen. Der Leser wird sich aus den nachstehenden Entwickelungen alles dasjenige, was wir in Beziehung auf einen derartigen Versuch zu sagen h\u00e4tten, leicht selbst herausnehmen.\n\u00a7 11. Erg\u00e4nzende Bemerkungen zu vorstehender\nAbleitung der sechs retinalen Grundprozesse.\nEhe wir nun dazu \u00fcbergehen, die Gr\u00fcnde anzufuhren, die f\u00fcr die Annahme eines antagonistischen Verh\u00e4ltnisses zwischen je zweien der obigen sechs retinalen Grundprozesse sprechen, und die Konsequenzen zu entwickeln, die sich aus dem Wesen dieser antagonistischen Beziehungen und der Art und Weise, wie jene Grundprozesse durch die Lichtstrahlen ausgel\u00f6st werden, ftkr die Theorie der Gesichtsempfindungen ergeben, haben wir zun\u00e4chst m diesem und den nachfolgenden Paragraphen dieses Kapitels den bisherigen Entwickelungen behufs Abwehr von Mifsverst\u00e4ndnissen und behufs n\u00e4herer Begr\u00fcndung und genauerer Pr\u00e4zisierung wichtigerer Punkte einige erg\u00e4nzende und erl\u00e4uternde Bemerkungen zuzuf\u00fcgen.","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\nG. E. M\u00fcller.\nWie ein R\u00fcckblick auf das Bisherige leicht ergiebt, fufst unsere Ableitung der sechs retinalen Grundprozesse lediglich erstens auf den psychophysischen Axiomen, zweitens auf der Annahme einer chemischen Natur der Netzhautprozesse, drittens auf der Voraussetzung, dafs jeder geradl\u00e4ufigen und allm\u00e4hlichen \u00c4nderung der Qualit\u00e4t der Sehnervenerregung eine gleichfalls geradl\u00e4ufige und allm\u00e4hliche \u00c4nderung der Qualit\u00e4t des Netzhautprozesses zu Grunde liegt, und viertens auf der V or aus Setzung, dafs wir, wenigstens im Gebiete des Gesichts-sinnes, diejenigen Empfindungsreihen, welche psychische Qualit\u00e4tenreihen sind, d. h. in denen sich die Empfindungsqualit\u00e4t geradl\u00e4ufig und allm\u00e4hlich \u00e4ndert, als solche zu erkennen verm\u00f6gen.\nHiernach wird unsere Ableitung der sechs retinalen Grundprozesse nicht von den Einw\u00e4nden getroffen, welche man gegen die von Mach und Herino gegebenen Ableitungen der sechs Grundfarben erhoben hat. Mach ( Wien. Her. 52. 1865. II. S. 320 f.) legt seiner Ableitung der sechs Grundfarben den Satz zu Grunde: \u201eWenn ein psychischer Vorgang sich auf rein psychologischem Wege in eine Mehrheit von Qualit\u00e4ten a, b, c aufl\u00f6sen l\u00e4fst, so entsprechen diesem eine ebensogrofse Zahl verschiedener physischer Prozesse \u00ab, \u00df, y.u Hiergegen hat v. Kries (Die Gesichtsempfindungen und ihre Analyse. S. 41. Leipzig 1882) nicht mit Unrecht eingewandt, dafs sich z. B. das Orange nicht in die Qualit\u00e4ten Rot und Gelb zerlegen lasse. \u201eMan nehme eine gleichm\u00e4fsig orangegef\u00e4rbte Fl\u00e4che und probiere, das Rot und das Gelb herauszusehen, so wie man aus einem Accord seine einzelnen T\u00f6ne heraush\u00f6rt. Ich f\u00fcr meinen Teil finde das vollkommen unm\u00f6glich, die Empfindung bleibt f\u00fcr mich eine vollkommen einfache, von einer Zerlegung ist keine Rede.\u201c\nHerino dr\u00fcckt sich in der Regel dahin aus, dafs eine Mischempfindung an die betreffenden Grund empfindungen, z. B. die Empfindung des Violett an die Empfindungen von Rot und Blau \u201eerinnere\u201c. Allein man kann ein werfen, dafs, wenn Violett an Rot erinnere, auch umgekehrt das Rot an Violett erinnere. An etwas erinnern, Verwandtsein u. dergl. seien eben wechselseitige Verh\u00e4ltnisse. Es lasse sich aus der Thatsache, dafs Violett an Rot und Blau erinnert, ebensowenig etwas schliefsen, wie aus der Thatsache, dais Rot an","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n69\nViolett und Orange erinnern kann. Auch erinnere z. B. der Ton e an den Ton d und /*, und doch schliefse man hier nicht, dafs der Empfindung des Tones e ein psychophysischer Prozefs zu Grunde liege, welcher aus den Nervenerregungen zusammengesetzt sei, die dem d und f entsprechen.\nAuf S. 19 seiner Abhandlung vZur Erkl\u00e4rung der Farbenblindheit aus der Theorie der Gegenfarbena bemerkt Hkrino, \u201edafs jedem das Violett zugleich dem Blau und Rot verwandt oder \u00e4hnlich erscheint, dafs er gleichsam beide Farben darin zugleich sieht, und dafs er es deshalb unbedenklich als Blaurot oder Rotblau bezeichnet. . . . Reines Gelb dagegen wird niemand als Rotgr\u00fcn oder Gr\u00fcnrot bezeichnen.4* . . . Dieser Auslassung gegen\u00fcber kann man einwenden, dafs der Abstand zwisohen dem Violett einerseits und dem Rot oder Blau andererseits nicht mit dem Abstande zwischen Gelb einerseits und Rot oder Gr\u00fcn andererseits zu vergleichen sei, sondern mit dem Abstande zwischen Gelb einerseits und Gelbrot oder Gelbgr\u00fcn andererseits. Es fragt sich nun: erscheint das Gelb dem Gelbrot und Gelbgr\u00fcn nicht in gleichem Grade verwandt, wie das Violett dem Blau und Rot verwandt erscheint? Und was berechtigt dazu, die absolut ges\u00e4ttigte Violettempfindung f\u00fcr eine Mischempfindung, die absolut ges\u00e4ttigte Gelbempfindung hingegen f\u00fcr eine Grundempfindung zu halten?\nMustern wir die Gesichtsempfindungen einzeln in beliebiger Aufeinanderfolge, so erscheinen sie uns s\u00e4mtlich sozusagen von gleicher Dignit\u00e4t. Man sieht es sozusagen keiner Gesichtsempfindung ohne weiteres an, ob sie eine ausgepr\u00e4gte Mischempfindung oder mit gr\u00f6fserer oder geringerer Ann\u00e4herung eine Grundempfindung ist. Man mufs die Gesichtsempfindungen zu Qualit\u00e4tenreihen anordnen, dann zeigt sich der Unterschied zwischen den mittleren Gliedern und den Endgliedern dieser Reihen, und dann kommt man unter den oben wieder in Erinnerung gebrachten Voraussetzungen notwendig zur Annahme von sechs retinalen Grundprozessen, die in dem Falle, dafs jeder von ihnen ganz allein f\u00fcr den Erregungszustand der Sehsubstanz mafsgebend w\u00e4re, die Empfindung des reinen Weifs, Schwarz, Rot u. s. w. zur Folge haben w\u00fcrden.1 Wenn man blofs das Vorhandensein\n1 Es braucht nicht nochmals in Erinnerung gebracht zu werden, dafs wegen der fr\u00fcher erw\u00e4hnten endogenen Erregung der Sehsubstanz","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\nG. E' M\u00fcller.\nand die quantitativen Verh\u00e4ltnisse der \u00c4hnlichkeiten oder Verschiedenheiten der Gesichtsempfindungen ber\u00fccksichtigt, gewinnt man (mittelst der sog. subjektiven Methode) keinen sicheren und unanfechtbaren Ausgangspunkt f\u00fcr. die Sechsfarbentheorie. Man mufs zugleich die Richtung gegebener qualitativer Unterschiede oder \u00c4nderungen der Gesichtsempfindungen ber\u00fccksichtigen, um zu einem solchen Ausgangspunkte zu gelangen. Man mufs sagen : wenn ich vom Rot zum Orange und vom Orange zum Gelb tibergehe, so findet die \u00c4nderung der Empfindungsqualit\u00e4t in beiden F\u00e4llen in gleicher Richtung statt. Dasselbe geschieht, wenn ich vom Gelb zum Gelbgr\u00fcn und von diesem zum Gr\u00fcn \u00fcbergehe, u. s. w. Es bilden also die (gleich weifslichen und gleich schw\u00e4rzlichen) rotgelben, gelbgr\u00fcnen u. s. w. Empfindungen psychische Qualit\u00e4tenreihen im fr\u00fcher angegebenen Sinne. Gehe ich hingegen vom Orange zum Gelb und dann vom Gelb zum Gelbgr\u00fcn, oder zuerst vom Gelbgr\u00fcn zum Gr\u00fcn und dann vom Gr\u00fcn zum Blaugr\u00fcn \u00fcber, so ist die \u00c4nderung der Empfindungsqualit\u00e4t im zweiten Falle von anderer Richtung, als im ersteren Falle. Es sind also die Farbenempfindungen, die vom Orange zum Gelbgr\u00fcn oder vom Gelbgr\u00fcn zum Blaugr\u00fcn f\u00fchren, nicht Glieder einer und derselben Qualit\u00e4tenreihe.\nDie Richtigkeit unserer Ableitung der sechs retinalen Grundprozesse h\u00e4ngt offenbar ganz wesentlich davon ab, ob wir \u00fcberhaupt die F\u00e4higkeit besitzen, die Richtungen gegebener qualitativer Empfindungsunterschiede mit gewisser Sicherheit zu vergleichen, und bejahenden Falles davon, ob wir von dieser F\u00e4higkeit einen richtigen Gebrauch gemacht haben, als wir die Reihen der rotgelben, gelbgr\u00fcnen, gr\u00fcnblauen, blauroten Empfindungen f\u00fcr Empfindungsreihen erkl\u00e4rten, in denen sich die Qualit\u00e4t geradl\u00e4ufig \u00e4ndere.\nWas zun\u00e4chst die erstere Frage anbelangt, so d\u00fcrfte das Bestehen der in Frage stehenden F\u00e4higkeit sich bereits hinl\u00e4nglich aus der \u00dcbereinstimmung und Sicherheit ergeben, mit der wir urteilen, dafs eine geradl\u00e4ufige \u00c4nderung der Empfin-\nund wegen der Weifsvalenzen der farbigen Lichter eine reine Rot-, Gelb-, Gr\u00fcn- oder Blauempfindung in unserer Erfahrung \u00fcberhaupt nicht vorkommt, und dafs dieses Nichtvorkommen der vier chromatischen Grundempfindungen f\u00fcr unsere Ableitung der sechs retinalen Grundprozesse durchaus belanglos ist.","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n61\ndungsqualit\u00e4t eintrete, wenn wir vom tiefsten Schwarz duroh die verschiedenen Abstufungen des Grau hindurch zum reinen Weife, vom Blau durch die entsprechenden blau weife en Nuancen hindurch zum reinen Weife, vom Rot durch die entsprechenden rotgrauen Nuancen hindurch zum Grau \u00fcbergehen u. dergl. m. Au\u00e7h an unsere Beurteilung der Tonh\u00f6henreihe als einer gerad-l&ufigen Empfindungsreihe ist hier zu erinnern.\nEs fragt sich also nur noch, ob speziell die von uns unterschiedenen Reihen der (gleich weifeliehen und gleich schw\u00e4rzlichen) rotgelben, gelbgr\u00fcnen, gr\u00fcnblauen und blauroten Empfindungen wirklich Empfindungsreihen sind, in denen sich die Empfindungsqualit\u00e4t geradl\u00e4ufig \u00e4ndert. Diese Frage kann nur durch die Beobachtung entschieden werden. Behufs Entscheidung derselben darf man sich nicht an eine Beobachtung des Sonnenspektrums halten, das vor allem wegen der zwischen seinen verschiedenen Teilen bestehenden Helligkeitsunterschiede zu diesem Zwecke v\u00f6llig unbrauchbar ist. Man stelle sich vielmehr durchFarbenkreisel oder mittels durchsichtiger farbiger Papiere, deren Helligkeiten man durch untergelegte weifee, graue oder schw\u00e4rzliche Papiere reguliert, ein Rot, ein Orange, ein Gelb und ein Gelbgr\u00fcn von ann\u00e4hernd gleichen Helligkeiten her. Daun vergleiche man zuerst die drei Farben Rot, Orange, Gelb und hierauf die drei Farben Orange, Gelb, Gelbgr\u00fcn miteinander und frage sich, wie sich beide Reihen von je drei Farben hinsichtlich der zwischen ihren Glie dern bestehenden Unterschiede verhalten. Man wird zu dem Resultate kommen, dafe in der Reihe Rot, Orange, Gelb die Empfindungs\u00e4nderung beim \u00dcbergange vom ersten zum zweiten Gliede in der gleichen Richtung erfolgt, wie beim \u00dcbergange vom zweiten zum dritten Gliede, hingegen in der Reihe Orange, Gelb, Gelbgr\u00fcn die Empfindungs\u00e4nderung beim \u00dcb er gange vom zweiten zum dritten Gliede von anderer Richtung ist, als beim \u00dcbergange vom ersten zum zweiten Gliede. Zu den entsprechenden Resultaten gelangt man, wenn man die Farbenreihen Gr\u00fcn, Gr\u00fcnblau, Blau und Gr\u00fcnblau, Blau, Blaurot oder die Reihen Blau, Blaurot, Rot und Blaurot, Rot, Orange mit einander vergleicht. Eleganter noch sind nat\u00fcrlich die Versuche, wenn man jede der miteinander zu vergleichenden Farbenreihen aus je f\u00fcnf oder sieben Gliedern bestehen l\u00e4fet, also z. B. die Reihe, welche aus Rot, gelblichem Rot, mittlerem Orange, r\u00f6tlichem Gelb","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62\nG. E. M\u00fcller.\nund Gelb besteht, mit der Reihe vergleicht, welche aus mittlerem Orange, r\u00f6tlichem Gelb, Gelb, gr\u00fcnlichem Gelb und mittlerem Gelbgr\u00fcn besteht. Wer sich durch Versuche der hier angedeuteten Art nicht davon \u00fcberzeugen kann, dafs die Reihen der rotgelben, gelbgr\u00fcnen, gr\u00fcnblauen und blauroten Empfindungen wirklich Qualit\u00e4tenreihen im fr\u00fcher angegebenen Sinne darstellen, \u2014 dem ist einfach nicht zu helfen (falls ihm nicht etwa durch Versuche der im n\u00e4chsten Paragraphen anzugebenden Art doch noch geholfen werden kann).\nWenn wir behaupten, es bestehe die F\u00e4higkeit, die Richtungen von Empfindungsunterschieden miteinander zu vergleichen, so behaupten wir nat\u00fcrlich nicht, dafs dieses Verm\u00f6gen eine unendlich grofse Feinheit besitze, und uns jede minimale Abweichung von der Geradl\u00e4ufigkeit einer Empfindungs\u00e4nderung merkbar sein m\u00fcsse. Und noch weniger bestreiten wir, dafs die Aus\u00fcbung jenes Verm\u00f6gens durch Vorurteile, welche auf irrigen Theorien, auf Verwechselungen physikalischer und psychophysischer Verh\u00e4ltnisse u. dergl. beruhen, verhindert oder irregeleitet werden k\u00f6nne. Wir haben es erlebt, dafs lange Zeit hindurch sogar von Forschern ersten Ranges der \u00dcbergang von der Schwarzempfindung zur Weifsempfindung als eine blofse \u00c4nderung der Empfindungsintensit\u00e4t aufgefafst und dargestellt worden ist, was uns heutzutage fast unbegreiflich erscheinen will. Wir d\u00fcrfen uns daher nicht wundem, wenn uns noch heutzutage die inhaltlichen Beziehungen der ges\u00e4ttigten Farbenempfindungen vielfach in unzutreffender oder unzul\u00e4nglicher Weise geschildert werden.1\n1 Es ist nicht gerade ein sehr saohgem&fses Verfahren, wenn man z. B. ohne weiteres zwar die Reihe der rotweifsen Empfindungen, die vom ges\u00e4ttigten Rot zum reinen Weifs f\u00fchrt, durch eine gerade Linie, hingegen die Reihe der rotgelben Empfindungen, die vom ges\u00e4ttigten Rot zum ges\u00e4ttigten Gelb f\u00fchrt, durch eine krumme Linie darstellt. Es geh\u00f6rt nicht viel Beobachtungssch\u00e4rfe zu der Erkenntnis, dais beide Empfindungsreihen durchaus von gleicher Art sind.\nMan kann die inhaltlichen Beziehungen s\u00e4mtlicher Farbenempfindungen \u00fcberhaupt nicht durch r\u00e4umliohe Schemata vollst\u00e4ndig und ein wandsfrei darstellen. Denkt man sich z. B. die vier Grundfarben Rot, Gelb, Gr\u00fcn, Blau in dieser Reihenfolge an den vier Ecken eines Rechteckes stehend und die \u00dcbergangsstufen zwischen ihnen durch die Seiten des Rechteckes dargestellt, so ist zwar richtig zur Darstellung gebracht, dals die Richtung der Empfindungs\u00e4nderung in der rotgelben","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Fsychophysik der Gesichtsempfindungen.\n63\nWir brauchen ferner nach dem Bisherigen nicht weiter auszuf\u00fchren, dafs unsere Ableitung der sechs retinalen Grundprozesse nicht im mindesten von dem Ein w\u00e4nde betroffen wird, dafs wir im Spektrum die dem Urgelb, Urgr\u00fcn oder Urblau entsprechenden Stellen nicht mit absoluter Sicherheit bezeichnen k\u00f6nnten. Wird uns die Qualit\u00e4tenreihe, die von einem gegebenen Schwarz durch die verschiedenen Abstufungen des Grau hindurch ganz allm\u00e4hlich zu einem ausgepr\u00e4gten Weifs f\u00fchrt, und in unmittelbarem Anschl\u00fcsse hieran die Qualit\u00e4tenreihe, welche von diesem W eifs aus durch die verschiedenen rotweifsen Nuancen hindurch ganz allm\u00e4hlich zu einem ziemlich ges\u00e4ttigten Rot f\u00e4hrt, vorgef\u00fchrt, und werden wir hierbei aufgefordert, den Punkt genau zu bezeichnen, wo dem weifsem Lichte soeben noch kein Rot zugesetzt worden sei, so werden wir nicht im st\u00e4nde sein, diesen Punkt mit untr\u00fcglicher Sicherheit zu bezeichnen. Aber trotz dieser Unvollkommenheit wird es niemandem einfallen, sein Urteil, dafs die vorgef\u00fchrte Schar von Empfindungen aus zwei Reihen bestehe, die sich durch die Richtung der in ihnen stattfindenden \u00c4nderung der Empfindungsqualit\u00e4t voneinander unterschieden, und die ihren Scheidungspunkt bei ungef\u00e4hr der und der Empfindung bes\u00e4fsen, f\u00fcr ein auf Selbstt\u00e4uschung beruhendes zh halten. Was in diesem Falle gilt, gilt aber nat\u00fcrlich auch dann, wenn die vorgef\u00fchrte Schar von Empfindungen z. B. aus den beiden\nFarbenreihe eine andere ist, als in der gelbgr\u00fcnen, in dieser eine andere als in der gr\u00fcnblauen, u. s. w. Aber, streng genommen, m\u00fcfste man aus dieser Darstellung herauslesen, dafs die Empfindungs\u00e4nderung beim \u00dcbergange vom Bot zum Gelb genau dieselbe sei wie beim \u00dcbergange vom Blau zum Gr\u00fcn, und beim \u00dcbergang vom Gelb zum Gr\u00fcn dieselbe sei, wie beim \u00dcberg\u00e4nge vom Bot zum Blau; denn es liegen ja je zwei Seiten des Bechteckes in gleicher Bichtung. Auch w\u00fcrde diese Darstellung zu der durchaus nicht unanfechtbaren Schlufsf olgerung veranlassen k\u00f6nnen, dafs die Zahl der Zwischenempfindungen, die von der Gelbempfindung direkt zur Gr\u00fcnempfindung \u00fcberf\u00fchren, gleich grofs sei, wie die Zahl der Empfindungen, die den direkten \u00dcbergang von der Botempfindung zur Blauempfindung bilden, u. a. m. Wir haben also in \u00a7 10, wo es sich darum handelte, die Gesamtheit unserer Gesiohtsempfindungen zu einem System von Qualit\u00e4tenreihen anzuordnen, mit gutem Grunde von einer Bezugnahme auf r\u00e4umliche Darstellungen des Farbensystems ganz Abstand genommen. \u00dcber die Verwirrungen, die bisher durch die Farbentafeln angerichtet worden sind, hat sich bekanntlich Hebing in seiner Abhandlung : \u201e\u00dcber Newtons Gesetz der Farbenmischung\" (S. 49ff.) eingehend ge\u00e4ufsert.","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64\n0. E. M\u00fcller.\nReihen der rotgelben und der gelbgr\u00fcnen Empfindungen besteht, und wir aufgefordert werden, den Scheidungspunkt dieser beiden Reihen genau zu bestimmen. Das Unsichere und Schwankende unserer Bestimmungen dieses Punktes ist dann nicht im mindesten ein Beweis gegen die Behauptung, dafs die Reihe der gelbgr\u00fcnen Empfindungen durch die Richtung der in ihr stattfindenden \u00c4nderung der Empfindungsqualit\u00e4t von der Reihe der rotgelben Empfindungen wesentlich verschieden sei. Der hier ber\u00fchrte Mangel hat seinen Grund lediglich darin, dais wir nicht jeden beliebig kleinen Empfindungsunterschied erkennen und noch weniger alle beliebig kleinen Empfindungsunterschiede hinsichtlich ihrer Richtung miteinander vergleichen k\u00f6nnen. W\u00e4re unser Verm\u00f6gen in dieser Beziehung vollkommen, so w\u00fcrden wir den Scheidungspunkt zweier Qualit\u00e4tenreihen (der nat\u00fcrlich aus physiologischen Gr\u00fcnden in verschiedenen F\u00e4llen bei verschiedenen \u00e4u&eren Reizen gegeben sein kann) auch stets mit untr\u00fcglicher Sicherheit bezeichnen k\u00f6nnen. Unsere Ableitung der sechs retinalen Grundprozesse wird aber durch die Unvollkommenheiten, welche unsere F\u00e4higkeit der Erkennung und Vergleichung von Empfindungsunterschieden besitzt, und die aus diesen Unvollkommenheiten entspringenden M\u00e4ngel ebensowenig widerlegt, wie eine physikalische Theorie, welche aus Beobachtungen \u00fcber gerad- und krummlinige Bewegungen abgeleitet ist, dadurch widerlegt wird, dafs wir nicht jede minimale Abweichung einer Bewegung von ihrer bisherigen Richtung erkennen, und dais es sogar F\u00e4lle giebt, wo sich eine Anzahl von Beobachtern dar\u00fcber herumstreitet, ob ein in der Ferne gesehener K\u00f6rper ruhe, sich annfthere oder entferne.\nEin wenig einsichtiges Denken wird nun vielleicht einwenden, dafs, wenn wir in Hinblick auf unsere soeben erw\u00e4hnte Unf\u00e4higkeit der Vergleichung minimaler Empfindungsunterschiede aus jeder der in Betracht kommenden Empfindungsreihen nur eine beschr\u00e4nkte Anzahl von Gliedern (nach dem oben erw\u00e4hnten Versuchs verfahr en etwa gar nur drei oder f\u00fcnf Glieder) herausgriffen und unser Urteil \u00fcber die Geradl\u00e4ufigkeit oder Ungeradl\u00e4ufigkeit der betreffenden Reihen nur auf die Eindr\u00fccke st\u00fctzten, die wir beim Durchlaufen dieser wenigen herausgegriffenen Glieder der Reihen erhielten, wir alsdann gar keine Gew\u00e4hr daf\u00fcr bes\u00e4fsen, dafs uns eine von uns als","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Ges ich tsempfindunge n.\n65\ngeradl\u00e4ufig erkl\u00e4rte Empfindungsreihe auch daun noch als eine durchg\u00e4ngig geradl\u00e4ufige Reihe erscheinen w\u00fcrde, wenn wir nicht blofis einige wenige, sondern s\u00e4mtliche Glieder derselben hinsichtlich der Richtung der zwischen ihnen bestehenden Unterschiede miteinander vergleichen k\u00f6nnten. Es gen\u00fcgt, diesem Einwande gegen\u00fcber folgendes zu bemerken. An-genommen, es sei uns eine Linie gegeben, von der wir jedesmal nur einige Punkte hinsichtlich der Richtung, in welcher sie zu einander liegen, miteinander vergleichen k\u00f6nnen, so \u2666 werden wir doch mit gutem Rechte die gegebene Linie f\u00fcr eine in ihrer ganzen Erstreckung geradl\u00e4ufige erkl\u00e4ren, wenn sich-zeigt, dafs jedesmal, wo wir einige beliebige Punkte der Linie herausgreifen und hinsichtlich ihrer gegenseitigen Lagen ver-gleichen, diese beliebig herausgegriffenen Punkte in einer Geraden liegen. Das Entsprechende gilt in unserem Falle. Wir halten z. B. die \u00c4nderung der Empfindungsqualit\u00e4t in der ganzen rotgelben Reihe f\u00fcr eine geradl\u00e4ufige, weil wir jedesmal, wo wir beliebige drei, vier, f\u00fcnf oder mehr Glieder dieser Reihe herausgreifen und, richtig angeordnet, miteinander vergleichen, den Eindruck haben, dafs die Empfindungs\u00e4nderung von Glied zu Glied in derselben Richtung stattfinde.\nWenn wir uns im bisherigen auf unsere F\u00e4higkeit, gegebene Empfindungsunterschiede hinsichtlich ihrer Richtung miteinander zu vergleichen, gest\u00fctzt haben, so halten wir uns deshalb nicht f\u00fcr verpflichtet, nun auch sofort an dieser Stelle noch i\u00ef\u00ee eine psychologische Untersuchung dieser F\u00e4higkeit und Er\u00f6rterung aller damit n\u00e4her zusammenh\u00e4ngender Fragen einzugehen. .Erstens verbietet sich eine solche Abschweifung aus R\u00fccksichten der Raumersparnis. Und zweitens w\u00fcrde es deshalb unzweckm\u00e4fsig sein, jene psychologischen Untersuchungen in diese psychophysischen Entwickelungen einzumengen, weil alsdann leicht der Anschein entstehen k\u00f6nnte, als ob die Richtigkeit dieser letzteren Entwickelungen von der Richtigkeit jener psychologischen Untersuchungen abh\u00e4ngig w\u00e4re. Eine Theorie der F\u00e4higkeit, gegebene Empfindungsunterschiede hinsichtlich ihrer Richtung zu vergleichen, kann irrig oder unvollst\u00e4ndig sein, w\u00e4hrend die praktische Handhabung dieser F\u00e4higkeit v\u00f6llig richtig ist. Auf die Dauer freilich darf sich die Psychophysik einer psychologischen Untersuchung dieser F\u00e4higkeit nicht entziehen.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie X.\n5","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66\nG. E. M\u00fcller.\nVon den Gesichtspunkten, die bei der hier erw\u00e4hnten psychologischen Untersuchung zu ber\u00fccksichtigen sind, mag hier beil\u00e4ufigerweise der folgende erw\u00e4hnt werden. Wir k\u00f6nnen bei einer psychischen F\u00e4higkeit eine allgemeinere Gesetzm\u00e4fsigkeit und einen allgemeineren Typus, der sich bei verschiedenen Individuen gewisaermafsen nur nach den verschiedenen Werten der betreffenden Konstanten differenziert, nur dann mit einiger Wahrscheinlichkeit erwarten, wenn es sich um eine F\u00e4higkeit handelt, die eine biologische Bedeutung besitzt, d. h. deren wir im Kampfe ums Dasein zu unserem besseren Fortkommen bed\u00fcrfen. Stellen wir die Versuchspersonen vor psychologische Aufgaben, die in der Praxis 'des Lebens gar nicht Vorkommen, und f\u00fcr die wir von Haus aus sozusagen gar nicht bestimmt sind, so wird sich der eine der Aufgaben mittelst dieser, der andere mittelst jener Kunstgriffe oder Gesichtspunkte mit mehr oder weniger Willk\u00fcr entledigen, und allgemeing\u00fcltige Gesetz-m\u00e4fsigkeiten sind von vornherein nicht zu erwarten. Es fragt sich also auch hinsichtlich der oben erw\u00e4hnten F\u00e4higkeit der Vergleichung gegebener Empfindungsunterschiede nach ihrer Richtung, inwieweit sich dieselbe als eine F\u00e4higkeit von biologischer Bedeutung darstelle oder wenigstens ohne weiteres auf eine solche F\u00e4higkeit zur\u00fcckf\u00fchren lasse. Wie wenig man sich bisher vergegenw\u00e4rtigt hat, dafs die experimentelle Psychologie in erster Linie diejenigen psychischen F\u00e4higkeiten zu untersuchen hat, die eine biologische Bedeutung besitzen, ergiebt schon ein fl\u00fcchtiger \u00dcberblick \u00fcber die Litteratur dieser Disziplin. \u2014\nWir haben oben (S. 61) als ein Beispiel daf\u00fcr, dafs wir \u00fcber die Richtung von Empfindungsunterschieden zu urteilen verm\u00f6gen, die That-sache angef\u00fchrt, dafs uns die Tonh\u00f6henreihe als eine geradl\u00e4ufige Reihe erscheint. In letzter Linie stimmen die auf diese Thatsache bez\u00fcglichen Ausf\u00fchrungen von Stumpf (Tonpspychologie. 1. S. 140ff.) mit unserer Auffassung derselben \u00fcberein. Wenn indessen Stumpf (S. 142 ff.) zugiebt, dafs man durch blofse Vergleichung von \u00c4hnlichkeitsgrad en gleichfalls zu der Erkenntnis der eindimensionalen Natur der Tonh\u00f6henreihe gelangen k\u00f6nne, so d\u00fcrfte diese Konzession nicht haltbar sein. Der Satz : Das Gebiet der Tonh\u00f6hen besitzt nur eine Dimension, ist nicht, wie Stumpf meint, mit dem Satze identisch, \u201edafs von je drei T\u00f6nen unter allen Umst\u00e4nden nur einer der mittlere sein kann\u201c. Betrachten wir z. B. die Farbenreihe, welche vom Rot auf dem k\u00fcrzesten Wege (durch weifsliches Rot hindurch) zum mittleren Weifsrot und von diesem auf dem k\u00fcrzesten Wege (durch weifsliches Rotblau hindurch) zum mittleren \"Weifsblau f\u00fchrt, so kann von je drei Gliedern dieser Reihe auch immer nur eines das mittlere sein, und doch wird es uns nicht einfallen, diese Reihe f\u00fcr eine eindimensionale zu erkl\u00e4ren ; denn die qualitative \u00c4nderung besitzt beim \u00dcberg\u00e4nge vom Weifsrot zum Weifsblau eine ganz andere Richtung als beim \u00dcbergange vom Rot zum Weifsrot. Zum Begriffe einer eindimensionalen Reihe geh\u00f6rt nicht blofs das Merkmal, dafs der Grad der \u00c4hnlichkeit zwischen zwei Gliedern um so geringer ist, je gr\u00f6fser ihr Abstand in der Reihe ist, sondern vielmehr das Merkmal, dafs die Richtung des Unterschiedes zwischen den aufeinanderfolgenden Gliedern der Reihe stets dieselbe ist. Die blofse F\u00e4higkeit, \u00c4hnlichkeits-","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Ge&ichtsempfindungen.\n67\ngrade miteinander zu vergleichen, kann uns zwar dar\u00fcber belehren, ob an einer gegebenen Empfindungsreibe das erstere Merkmal vorhanden ist, nicht aber auch dar\u00fcber, wie es mit dem Vorhandensein des zweiten Merkmales steht (dessen Bestehen zugleich das Vorhandensein des ersteren Merkmales einschliefst, w\u00e4hrend das Umgekehrte nicht gilt). Es ist also schon von vornherein ohne weiteres zu behaupten, dafs der Eindruck der Eindimensionalitftt der Tonh\u00f6henreihe nur dadurch zu st\u00e4nde kommen kann, da/s wir die Konstanz der Richtung der in der Reihe stattfindenden qualitativen \u00c4nderung erkennen. Beschr\u00e4nkt man den Begriff einer eindimensionalen Reihe nur auf das erstere der beiden oben angef\u00fchrten Merkmale, so kommt man zu dem absurden Resultate, dafs ebenso wie die Reihe, welche vom Rot durch Weifsrot zum reinen Weife f\u00fchrt, auch die obige Reihe, welche vom Ret durch Weifsrot zum Weifsblau f\u00fchrt, eine eindimensionale Reihe ist, und dafe beide eindimensionalen Reihen trotz ihrer Verschiedenheit die eine H\u00e4lfte ihres Verlaufes gemeinsam haben!\n\u00a7 12. Von der besonderen Stellung, welche die sechs Grundfarben, insbesondere auch\nhinsichtlich der sprachlichen Bezeichnung,\nim Farbensysteme einnehmen.\nMan fafst die inhaltlichen Beziehungen der Gesichtsempfindungen gelegentlich so auf, als bestehe zwischen den Grundfarben der Sechsfarbentheorie und den Mischfarben lediglich der Unterschied, dafs die ersteren Farben aus irgend welchen \u00e4ufseren Gr\u00fcnden im Verlaufe der sprachlichen Entwickelung selbst\u00e4ndige und einfache Bezeichnungen erlangt h\u00e4tten, w\u00e4hrend die \u00fcbrigen Farben im allgemeinen nur zusammengesetzter Bezeichnungen teilhaftig geworden seien, welche, wie die Ausdr\u00fccke gelbrot, violett, orangefarbig, entweder die Bezeichnungen der benachbarten Grundfarben in sich einschliefsen oder an die Namen bestimmter Gegenst\u00e4nde ankn\u00fcpfen, welche charakteristische Tr\u00e4ger der betreffenden \"\u00dcbergangsfarben sind. Hierher geh\u00f6rt z. B. die Darstellung, welche Wundt (Philos. Studien. 4. 1888. S. 323, 342 ff, Grund-z\u00fcge d. physiol. Psychol. 1. 1893. S. 487 f.) \u00fcber die inhaltlichen Beziehungen der Gesichtsempfindungen und die Grundvoraussetzungen der Sechsfarbentheorie giebt. Nach Wundt sollen letzterer Theorie unausgesprochen zwei H\u00fclfss\u00e4tze zu Grunde liegen, von denen der erstere laute : \u201eFundamental verschieden sind solche Lichtqualit\u00e4ten, die in der Sprache einen generisch verschiedenen Ausdruck erhalten haben.u Dieser Satz liefere\n5*","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68\nG. E. M\u00fcller.\nder erw\u00e4hnten Theorie die vier Hauptfarben, Rot, Gelb, Gr\u00fcn und Blau, und die zwei Qualit\u00e4ten des Farblosen, Weifs und Schwarz. Der zweite H\u00fclfssatz laute: \u201eJede Lichtqualit\u00e4t, welche nicht fundamentaler Art ist, besteht aus einer Mischung je zweier einander n\u00e4chstgelegener Fundamentalqualit\u00e4ten.\" Die bevorzugte Stellung, welche die vier Grundfarben hinsichtlich der sprachlichen Bezeichnungsweise im Farbensysteme besitzen, leitet Wundt daraus ab, dafs es, abgesehen vom Weifs und Schwarz, zwei Lichtqualit\u00e4ten gebe, die in der Natur eine bevorzugte Bolle spielen, n\u00e4mlich das Blau des Himmels und das Gr\u00fcn der Vegetation. \u201eNeben ihnen nimmt noch das Rot des Blutes einen vielleicht mehr durch seinen intensiven Gef\u00fchlswert, als durch extensive Verbreitung ausgezeichneten Rang ein.... Auch das Gelb geh\u00f6rt, als Farbe der herbstlichen Vegetation, des W\u00fcsten- und D\u00fcnensandes u. s.w., zu den verbreitetsten F\u00e4rbungen der Natur.\"\nDafs die wirklichen Grundlagen, auf welche eine Ableitung der Sechsfarbentheorie mittelst sogenannter subjektiver Analyse zu gr\u00fcnden ist, von diesen Auslassungen Wundts \u00fcberhaupt nicht ber\u00fchrt werden, bedarf nach dem Bisherigen keiner weiteren Ausf\u00fchrung. Wenn Wundt behauptet, dais dieser Theorie unausgesprochene?weise die beiden oben angef\u00fchrten H\u00fclfss\u00e4tze zu Grunde l\u00e4gen, so ist daran zu erinnern, dafs nicht der mindeste Anlafs f\u00fcr die Behauptung vorliegt, es sei die Existenz der beiden Bezeichnungen Grau und Braun, welche von den \u00fcbrigen Farbenbezeichnungen ebenso \u201egenerisch verschieden\" sind, wie etwa die beiden Bezeichnungen Schwarz und Weifs, den beiden Forschern Mach und Hering ganz entgangen. Es ist aber keinem von beiden eingefallen, wegen der sprachlichen Besonderheit der Ausdr\u00fccke Grau und Braun denselben zwei Grundempfindungen entsprechen zu lassen.\nDer Anschauung gegen\u00fcber, nach welcher eine beliebige Vierzahl gen\u00fcgend weit voneinander abstehender \u00dcbergangsfarben, z. B. das mittlere Gelbrot, Gelbgr\u00fcn, Gr\u00fcnblau und Rotblau, genau dieselbe Rolle, welche jetzt den vier Grundfarben Rot, Gelb, Gr\u00fcn und Blau zukommt, im Farbensystem spielen w\u00fcrden, wenn ihnen das Los zu teil geworden w&re, besondere einfache Bezeichnungen durch die Sprache zu erhalten, dieser nach obigem auch von Wundt geteilten Anschauung gegen\u00fcber d\u00fcrfte es sich empfehlen, hier noch kurz","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophystk der Gesichtsempfindungen.\n69\nauseinander zu setzen, inwiefern jene vier Grundfarben that-s\u00e4chlich eine wesentlich andere Bolle im Farbensystem spielen, als z. B. die genannten vier mittleren \u00dcbergangsfarben, und inwiefern der Umstand, dafs wir gerade f\u00fcr jene vier Grundfarben einfache sprachliche Bezeichnungen haben, ganz wesentlich mit der besonderen Stellung jener Grundfarben zusammenh\u00e4ngt.\nZun\u00e4chst ist hier an den sohon im bisherigen hervorgehobenen Umstand zu erinnern, dafs, wenn wir von einer Grundfarbe durch die entsprechenden Zwischenstufen hindurch zu einer benachbarten Grundfarbe, z. B. vom Bot durch die gelbroten Farbent\u00f6ne hindurch zum Gelb, \u00fcbergehen, wir den Eindruck durchg\u00e4ngiger Geradl\u00e4ufigkeit der qualitativen Empfindungs\u00e4nderung haben. Gehen wir hingegen von einer mittleren \u00dcbergangsfarbe zu einer benachbarten mittleren \u00dcbergangsfarbe, z. B. vom mittleren Gelbrot durch Gelb hin-\n9\ndurch zum mittleren Gelbgr\u00fcn, \u00fcber, so haben wir den Eindruck, dafs die qualitative Empfindungs\u00e4nderung ihre Sichtung wechsle. In einem Systeme von Farbenempfindungen gleicher Weifslichkeit und Schw\u00e4rzlichkeit stellen sich uns also die vier Grundfarben als die Anfangs- und Endglieder, hingegen jene vier \u00dcbergangsfarben als die mittleren Glieder der gegebenen psychischen Qualit\u00e4tenreihen dar. Ebenso erscheinen uns in der Beihe der farblosen Empfindungen das Schwarz und das Weifs als die Endglieder, hingegen die Nuancen des Grau als mittlere Glieder.\nFerner ist hier auf folgendes die Aufmerksamkeit zu richten. Nach der z. B. von Wundt vertretenen Ansicht, welche die ges\u00e4ttigten Farbenempfindungen durch eine Kreislinie darzustellen pflegt, in welcher weder die vier Grundfarben noch sonstige Farben eine besondere Stellung einnehmen, mufs der qualitative Unterschied, der zwischen zwei benachbarten Grundfarben besteht, durchschnittlich von gleicher Gr\u00f6fse sein, wie der Unterschied, der zwischen zwei benachbarten mittleren \u00dcbergangsfarben besteht.1 Diese Konsequenz steht aber in\n1 Nimmt man an, dafs der qualitative Unterschied zwischen zwei benachbarten Grundfarben (z. B. zwischen Rot und Gelb) von konstanter Greise sei, so ist (nach der oben erw\u00e4hnten Ansicht) dem Unterschiede zwischen zwei benachbarten mittleren \u00dcbergangsfarben (z. B. zwischen dem mittleren Gelbrot und dem mittleren Gelbgr\u00fcn) notwendig dieselbe","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"70\nG. E. M\u00fcller.\nschroffem Widerspruche zu der Erfahrung. Man stelle sich mittelst rotierender Scheiben oder auf sonstige Weise in gewissem Abstande voneinander das mittlere Gelbrot und das mittlere Gelbgr\u00fcn und in demselben Abstande voneinander auch noch das reine Bot und das reine Gelb her, und zwar alle vier Farben in m\u00f6glichst gleichen Helligkeiten (Herstellung der Farben von beiden Seiten her, Ber\u00fccksichtigung des Kontrastes, der Baumlage u. s. w.). Alsdann vergleiche man den Unterschied, der zwischen den beiden ersteren Farben (mittleren \u00dcbergangsfarben) besteht, hinsichtlich seiner Gr\u00f6fse mit dem Unterschiede, der zwischen den beiden letzteren Farben (Grundfarben) besteht. Man wird finden, dafs mit voller Sicherheit behauptet werden darf, der letztere Unterschied sei bedeutend gr\u00f6fser, als der erstere. Der Unterschied zwischen dem Bot und dem Gelb erscheint gewissermafsen wie eine weite Kluft in Vergleich zu dem Unterschiede zwischen den beiden ersteren Farben.* Zu dem entsprechenden Besultate gelangt man, wenn man den Unterschied zwischen mittlerem Blaugr\u00fcn und mittlerem Blaurot von gleicher Helligkeit mit dem Unterschiede vergleicht, der zwischen den gleich hellen Nuancen des Urgr\u00fcn und Urblau besteht u. dergl. m. Kurz, so vielen (nicht erst anzuf\u00fchrenden) Schwierigkeiten und Ungenauigkeiten man auch bei Versuchen der hier angedeuteten Art ausgesetzt ist, immer zeigt sich (wenn auch in den verschiedenen F\u00e4llen mit verschiedener Deutlichkeit), dafs der Unterschied zwischen zwei benachbarten Grundfarben gr\u00f6fser ist, als der Unterschied zwischen zwei benachbarten mittleren\nkonstante Gr\u00f6fse zuzuschreiben. Setzt man in \u00dcbereinstimmung mit der ganz unstichhaltigen Darlegung von Wundt (Grundz\u00fcge d, physiol. Psychol. 1898. 1. S. 485 f.) den Unterschied zwischen Gelb und Gr\u00fcn gleich grofs, wie den Unterschied zwischen Gr\u00fcn und Blau, hingegen kleiner als den Unterschied zwischen Blau und Rot, und gr\u00f6fser als den Unterschied zwischen Gelb und Rot an, so f\u00e4llt der Unterschied zwischen mittlerem Blaurot und mittlerem Gelbrot kleiner au\u00bb, als der Unterschied zwischen Rot und Blau, aber gr\u00f6fser als der Unterschied zwischen Rot und Gelb; der Unterschied zwischen mittlerem Gelbrot und mittlerem Gelbgr\u00fcn ist gleichfalls gr\u00f6fser als der Unterschied zwischen Rot und Gelb, u. s. w.\n* Nach Wundts Darstellungen hingegen ist, wie schon oben erw\u00e4hnt, der Unterschied zwischen Rot und Gelb sogar kleiner als der Unterschied zwischen mittlerem Gelbrot und mittlerem Gelbgr\u00fcn !","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Paychophysxk der Geeichtsempfindungen.\n71\n\u00dcb ergangsfarben. Niemals zeigt sich das Gegenteil Dieses Resultat ist mit der oben erw\u00e4hnten, z. B. von W\u00fcndt vertretenen Ansicht v\u00f6llig unvereinbar, hingegen ist es eine selbstverst\u00e4ndliche Konsequenz desjenigen, was wir hinsichtlich der inhaltlichen Beziehungen der Farbenempfindungen und ihrer Gruppierung zu psychischen Qualit\u00e4tenreihen behauptet haben. Denkt man sich die chromatischen vier Grundempfindungen zun\u00e4chst einmal ganz disparat zu einander, so ist nach den in \u00a7 5 von uns gegebenen Entwickelungen die \u00c4hnlichkeit zwischen der reinen Rotempfindung und der reinen Gelbempfindung gleich 0, hingegen die \u00c4hnlichkeit der mittleren Gelbrotempfindung, sowie der mittleren Gelbgr\u00fcnempfindung zur reinen Gelbempfindung gleich \u00a3 zu setzen Und diese mittleren \u00dcbergangsempfindungen, die beide zur reinen Gelbempfindung die \u00c4hnlichkeit \u00a3 besitzen, m\u00fcssen notwendig auch zu einander eine deutliche \u00c4hnlichkeit (deren Grad gleich \u00a3 X \u00a3 zu setzen ist) besitzen. Nun sind allerdings die reinen Farbenempfindungen keineswegs disparat zu einander. Auch ist zu bedenken, dafs jeder der beobachteten Farbenempfindungen noch Weifserregung und Schwarzerregung zu Grunde liegt. Es besitzen also z. B. bei dem oben zuerst erw\u00e4hnten Versuche die hergestellte Rotempfindung und Gelbempfindung noch eine merkbare \u00c4hnlichkeit zu einander. Da nun aber die beiden soeben erw\u00e4hnten Faktoren (die \u00c4hnlichkeit der reinen Farbenempfindungen zu einander und die Beimischung von Weifserregung und Schwarzerregung) auch an den Empfindungen der beiden mittleren \u00dcbergangsfarben (des mittleren Gelbrot und mittleren Gelbgr\u00fcn) sich im Sinne einer Steigerung ihrer gegenseitigen \u00c4hnlichkeit geltend machen, so kann durch dieselben nicht verhindert werden, dafs der Unterschied zwischen letzteren beiden Empfindungen geringer ausf\u00e4llt, als der Unterschied zwischen den Empfindungen des Rot und des Gelb. Wir brauchen diesen Punkt wohl nicht weiter auszuf\u00fchren. Es d\u00fcrfte bereits hinl\u00e4nglich einleuchten, dafs Beobachtungen der oben erw\u00e4hnten Art (nebst Beobachtungen von der auf S. 61) erw\u00e4hnten Art) einen Beweis f\u00fcr die Richtigkeit derjenigen Ansichten liefern, die wir hinsichtlich der inhaltlichen Beziehungen der Farbenempfindungen vertreten haben, und mithin einen Beweis f\u00fcr die Sechsfarbentheorie darbieten.","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72\nG. E. M\u00fcller.\nBemerkenswert ist, dais bei Beobachtungen der oben erw\u00e4hnten Art der Unterschied zwischen den beiden mittleren \u00dcbergangsfarben ganz unmittelbar, d. h. auch ohne vorausgegangene Beflexion, geringer erscheint, als der Unterschied zwischen den beiden Grundfarben. Sind z. B. gegeben mittleres Blaugr\u00fcn und mittleres Botblau einerseits, Blau und Gr\u00fcn andererseits, so erscheint der Unterschied zwischen den beiden ersteren Farben geringer, als der Unterschied zwischen den beiden letzteren Farben, auch wenn man sich dessen gar nicht bewuist geworden ist, dafs die beiden ersteren Farben einen gewissen Grad von Bl\u00e4ulichkeit gemeinsam haben, und die Frage, weshalb diese beiden Farben einander \u00e4hnlicher seien, nicht sofort zu beantworten vermag. Ferner mufs hervorgehoben werden, dafs der h\u00f6here Grad gegenseitiger \u00c4hnlichkeit, den die beiden mittleren \u00dcbergangsfarben in Vergleich zu den beiden Grundfarben besitzen, in besonders deutlichem Grade hervortritt bei dem Versuche, die Helligkeiten der beiden \u00dcbergangsfarben oder Grundfarben miteinander zu vergleichen, bezw. dem Versuche, diese Farben in gleichen Helligkeiten herzustellen. W\u00e4hrend z. B. die HelligkeitsVergleichung von mittlerem Gelbrot und mittlerem Gelbgr\u00fcn keine erheblichen Schwierigkeiten macht, st\u00f6lst die Helligkeitsvergleichung von Bot und Gelb auf grofse Schwierigkeit und Unsicherheit. Es d\u00fcrfte nicht schwer sein, dies durch quantitative Bestimmung der Variabilit\u00e4t des Urteiles in beiden F\u00e4llen ganz objektiv festzustellen. Was endlich den Umstand anbelangt, dafs das oben erw\u00e4hnte Besultat in den verschiedenen m\u00f6glichen F\u00e4llen nicht mit gleicher Deutlichkeit hervortritt, so ist folgendes zu bemerken. Die gegenseitige \u00c4hnlichkeit zwischen zwei Mischempfindungen, deren einer eine Erregung a und eine Erregung b zu Grunde liegen, und deren anderer dieselbe Erregung b und eine Erregung c zu Grunde liegen, h\u00e4ngt nicht blofs davon ab, wie intensiv die in beiden F\u00e4llen vorhandene Erregung b im Verh\u00e4ltnis zu der Erregung a, bezw. c st, sondern bestimmt sich aufserdem auch noch danach, in welchem Grade die beiden Erregungen a und c oder die Empfindungen a und y, welche dieselben, isoliert genommen, hervorrufen w\u00fcrden, einander \u00e4hnlich sind. Je \u00e4hnlicher diese beiden Empfindungen \u00ab und y einander sind, desto \u00e4hnlicher fallen unter sonst gleichen Verh\u00e4ltnissen (bei gleichen Intensit\u00e4ten von a, b und c) die beiden Misohempfindungen aus. Auch der Grad der \u00c4hnlichkeit, welche die Empfindungen a und y zu der Empfindung/? besitzen, die der Erregungsvorgang b} isoliert genommen, hervorrufen w\u00fcrde, kommt in gleichem Sinne in Betracht. Ber\u00fccksichtigt man nun das soeben Bemerkte, so begreift man leicht, weshalb bei gleicher Helligkeit mittleres Gelbrot und mittleres Gelbgr\u00fcn einander verwandter erscheinen, als mittleres Gelbrot und mitteres Blaurot, und weshalb dementsprechend das oben erw\u00e4hnte Versuchsresultat deutlicher hervortritt, wenn man den Unterschied zwischen mittlerem Gelbrot und mittlerem Gelbgr\u00fcn mit dem Unterschiede zwischen Bot und Gelb .vergleicht, als dann, wenn man den Unterschied zwischen mittlerem Blaurot und Gelbrot mit dem Unterschiede zwischen Bot und Blau vergleicht. Die reine Gelbempfindung und die reine Blauempfindung sind eben einander weniger \u00e4hnlich, als die reine Botempfindung und reine Gr\u00fcnempfindung.","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psyehophysik der Gesicktsempfindungen.\n73\nWeiter kann auf diese Dinge Mer nicht eingegangen werden. Man erkennt leicht, dafs sich in dem hier betretenen Gebiete noch mancherlei Anwendungen und Best\u00e4tigungen f\u00fcr die in \u00a7 5 gegebenen Entwickelungen finden lassen werden. Eine kurze und pr\u00e4zise Behandlung aller dieser Dinge d\u00fcrfte aber erst dann m\u00f6glich sein, wenn man sich auf die f\u00fcr die gegenseitigen \u00c4hnlichkeiten der Mischempfindungen aufzustellenden Formeln beziehen kann, deren Entwickelung wir der Baumersparnis halber in dieser Abhandlung unterlassen mufsten.\nWir wenden uns nun noch zur Beantwortung der f\u00fcr den Psychophysiker nicht ganz unwichtigen Frage, wie die besondere Stellung, welche die sechs Grundfarben hinsichtlich der sprachlichen Bezeichnung gegen\u00fcber den \u00fcbrigen Farben auiser Grau und Braun einnehmen, zu erkl\u00e4ren sei.\nDafs dasjenige, was Wundt nach dem oben Angef\u00fchrten in dieser Beziehung vorbringt, unstichhaltig ist, und Argumentationen von der Art der obigen W\u00fcNDTschen Argumentation sich f\u00fcr die Bevorzugung fast jeder beliebigen Vierzahl oder sonstigen Anzahl gen\u00fcgend weit voneinander abstehender Farben Vorbringen liefsen, bedarf kaum besonderer Ausf\u00fchrung. Die Vegetation l\u00e4fst uns vielleicht noch \u00f6fter wie Gr\u00fcn das Gelbgr\u00fcn erblicken. Die herbstliche Vegetation bietet uns neben dem Gelb noch eine ganze Reihe farbiger, z. B. purpurfarbiger, Eindr\u00fccke, die unsere Aufmerksamkeit stark erwecken. Die F\u00e4rbungen der f\u00fcr den Menschen und sein Fortkommen im Kampfe ums Dasein wichtigen Tierarten, Bl\u00fcten, Fr\u00fcchte, Metalle u. dergl., sowie die Farben des Meeres wollen auch bedacht sein.1 Inwieweit die Farbe des D\u00fcnensandes gerade das Gelb und die Farbe des (arteriellen oder ven\u00f6sen!) Blutes gerade das Rot und nicht ebenso auch eine \u00dcbergangs-farbe repr\u00e4sentiere, soll nicht weiter untersucht werden. W\u00e4re f\u00fcr die Bezeichnung der Grundfarben durch einfache Namen der Umstand ma\u00dfgebend gewesen, dafs gewisse Tr\u00e4ger dieser Farben in der Natur eine hervorragende Roll\u00eb spielen, so w\u00e4re zu vermuten, dafs jene einfachen Namen der Grundfarben durch Ankn\u00fcpfung an die Bezeichnungen jener hervorragenden Tr\u00e4ger der Grundfarben entstanden seien, dafs also z. B. blau urspr\u00fcnglich soviel wie himmelfarben bedeutet habe. Mit\n1 Tats\u00e4chlich sind auch zahlreiche Farbenhenennungen von den Namen von Metallen, Fr\u00fcchten u. dergl. sowie von dem Namen des Meeres abgeleitet. Man vergleiche z. B. Grast Allen, Der Farbensinn. Leipzig 1880. S. 241 ff.","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\nG. E. M\u00fcller.\ndieser Vermutung stimmen aber die Resultate der etymologischen Forschung keineswegs \u00fcberein (man vergleiche 0. Weise, Die Farbenbezeichnungen der Indogermanen, in Bezzenbergers Beitr\u00e4gen zur Kunde der indogermanischen Sprachen. 2. 1878. S. 273 ff.).\nWir glauben, dafs man die hier in Rede stehende Frag\u00a9 von einem ganz anderen Gesichtspunkte aus zu behandeln hat. Es ist hier an ein allgemeines Prinzip zu erinnern, welches die Sprache dann befolgt, wenn es sich um eine Reihe koordinierter , allm\u00e4hlich ineinander \u00fcbergehender Eigenschaften handelt, in welcher sich die \u00c4nderung oder der Fortschritt fortw\u00e4hrend in derselben Richtung vollzieht, und in welcher demgem\u00e4fs die Verschiedenheit zweier Glieder um so gr\u00f6fser ist, je weiter sie in der Reihe von einander abstehen. Handelt es sich um eine solche Reihe von Eigenschaften, so pflegt die Sprache in erster Linie besondere einfache Bezeichnungen nur f\u00fcr die beiden Endteile oder Aufsenteile der Reihe zu schaffen, niemals aber etwa den mittleren Teil der Reihe zuerst mit einem einfachen, besonderen Namen zu belegen. Denn nicht das Mittlere, Durchschnittliche fordert in erster Linie eine Benennung heraus, sondern dasjenige, was von dem Mittleren ab weicht und hierdurch in unerwarteter Weise wirkt oder die Aufmerksamkeit besonders fesselt. Die G\u00fcltigkeit des hier angef\u00fchrten Prinzips ergiebt sich hinl\u00e4nglich, wenn wir an Benennungen, wie die folgenden, erinnern: grofs\u2014klein, alt\u2014jung, hart\u2014weich, scharf\u2014stumpf, stark\u2014schwach, dick\u2014d\u00fcnn, lang \u2014kurz, hoch\u2014niedrig u. dergl. m. Indem nun die Sprache das bei der Erschaffung dieser Bezeichnungen befolgte Prinzip auch bei den durch den Gesichtssinn gegebenen Qualit\u00e4tenreihen anwendet, und zwar sparsamerweise nur f\u00fcr diejenigen Qualit\u00e4tenreihen je zwei Bezeichnungen schafft, deren Glieder nicht auch als mittlere Glieder anderer Qualit\u00e4tenreihen Vorkommen und mithin mit H\u00fclfe der f\u00fcr diese anderen Qualit\u00e4tenreihen geschaffenen Bezeichnungen umschrieben werden k\u00f6nnen,1 kommt sie notwendig dazu, die sechs besonderen ein-\n1 Eine Qualit\u00e4tenreihe ist z. B. auch die Beihe, welche vom mittleren Weifsrot zum gleich weifslichen Gelb f\u00fchrt. W\u00fcrde die Sprache auch f\u00fcr die Endteile dieser Qualit\u00e4tenreihe, also f\u00fcr Weifsrot und Weifsgelb, besondere Bezeichnungen schaffen, so w\u00fcrde sie nicht sparsam verfahren, da ja das Weifsrot und Weifsgelb, die \u00fcberdies ihrer geringen S\u00e4ttigung","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychopkysik der Gesicfytsempfindungen.\n75\nfachen Farbenbezeichnungen Schwarz, Weifs, Rot, Gelb, Gr\u00fcn, Blau zu erschaffen.\nDa durch die Schriften von Geigeb, Magnus u. a. und diejenigen Untersuchungen, welche zur Widerlegung der von diesen Forschern ge\u00e4ufserten, irrigen Ansichten \u00fcber die geschichtliche Entwickelung des Farbensinnes gedient haben, das Wissen von einer historischen Entwickelung der Farbenbezeichnungen und ihrer Bedeutungen selbst in ein gr\u00f6fseres Publikum gedrungen ist, so brauchen wir an dieser Stelle nicht noch hervorzuheben, dafs das oben angef\u00fchrte Prinzip nat\u00fcrlich nicht ein Prinzip ist, das die Sprache sozusagen von Anbeginn an schon bei der ersten Erschaffung von Farbenbezeichnungen streng befolgt hat, sondern vielmehr nur ein Prinzip ist, das sich im Laufe der historischen Entwickelung der menschlichen Intelligenz und Beobachtungsgabe immer mehr an der Art und Weise geltend gemacht hat, wie die urspr\u00fcnglich auf ganz primitivem Wege durch Ankn\u00fcpfung an diese oder jene Wurzeln oder Bezeichnungen entstandenen Farbennamen (vergl. 0. Weise, a. a. O.) in ihrer Bedeutung verschoben, eingeengt oder fixiert oder in ihrer Anzahl ver\u00e4ndert wurden, bis eben schliefslich der jetzige Zustand erreicht war.\nDie nach dem obigen Prinzipe erschaffenen Bezeichnungen fur die Endteile einer der oben charakterisierten Reihen von Eigenschaften k\u00f6nnen nat\u00fcrlich den Bed\u00fcrfnissen des praktischen Lebens oder auch der Wissenschaft nicht auf die Dauer gen\u00fcgen. Die Sprache sieht sich vielfach gen\u00f6tigt, den Schatz ihrer Bezeichnungen f\u00fcr die verschiedenen Teile einer solchen Reihe in dieser oder jener Weise zu vermehren. Die aller-\u00e4ufsersten und die mittleren Teile der Reihe werden durch besondere Vorw\u00f6rtchen oder Vorsilben wie \u201esehr\u201c und \u201emittel\u201c (sehr grofs, mittelgrofs) oder durch besondere zusammengesetzte Ausdr\u00fccke (wie Gelbrot und Urrot) gekennzeichnet, oder man kn\u00fcpft auch bei Bezeichnung bestimmter speziellerer Modifikationen der betreffenden Eigenschaft an bestimmte charakteristische Tr\u00e4ger eben dieser Modifikationen an (veilchenblau,\nwegen die Aufmerksamkeit weniger erwecken, auch als mittlere Glieder der beiden vom Weiis zum Rot und Gelb f\u00fchrenden Qualit\u00e4tenreihen Vorkommen und mithin durch die sowieso zu erschaffenden Bezeichnungen f\u00fcr Weifs, Rot und Gelb umschrieben werden k\u00f6nnen.","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nG. E. M\u00fcller.\nrosenrot). Endlich kommt es vor, dafs sich auch noch besondere einfache Bezeichnungen f\u00fcr den mittleren Teil einer solchen Reihe einstellen. Hierf\u00fcr bieten uns die beiden Bezeichnungen grau und braun ein Beispiel.1\nEs ist selbstverst\u00e4ndlich nicht unsere Sache, sondern Aufgabe einer sprachwissenschaftlichen Untersuchung, die im vorstehenden angedeuteten Gesichtspunkte sowohl in ihrer allgemeineren Bedeutung, als auch in speziellerer Anwendung auf die Farbenbezeichnungen n\u00e4her auszuf\u00fchren und zu erg\u00e4nzen. Versuchen wir nach den vorstehenden Bemerkungen die uns hier allein interessierende Frage zu beantworten, welche Bedeutung dem Vorhandensein besonderer einfacher Bezeichnungen f\u00fcr die Qualit\u00e4ten weifs, schwarz, rot gelb, gr\u00fcn, blau in psychophysischer Hinsicht zuzuschreiben sei, so ist kurz folgendes zu sagen.\nDas Vorhandensein dieser Bezeichnungen erkl\u00e4rt sich in v\u00f6llig ungezwungener Weise aus einem Prinzipe, welches die entwickelte Sprache bei ihren Benennungen allgemein befolgt, und dessen allgemeiner Befolgung die sich entwickelnde Sprache sich immer mehr ann\u00e4hert, sobald man davon ausgeht, dafs das System der Farbenempfindungen sich in der auf S. 54 ff. von uns angegebenen Weise in Scharen von Qualit\u00e4tenreihen gliedert. Das Vorhandensein jener Farbenbezeichnungen best\u00e4tigt also in der That in gewissem Mafse unsere Ansicht dar\u00fcber, wie das System der Farbenempfindungen sich zu Qualit\u00e4tenreihen gliedere, d. h. diejenige Ansicht, auf welcher unsere Ableitung der sechs retinalen Grundprozesse fufst.\nEbensowenig, wie die Beziehungen stumpf \u2014 spitz, hart \u2014 weich u. 8. w. nur zur Bezeichnung der betreffenden Extreme (des extrem Harten, extrem Spitzen u. s. w.) dienen, bezeichnen die Farbennamen rot, gelb, gr\u00fcn, blau nur das Urrot, Urgelb,\n1 Je geringer die Verwandtschaft zwischen den beiden Endgliedern einer psychischen Qualit\u00e4tenreihe ist, und je gr\u00f6fser demgem&fs der Abstand des mittleren Gliedes von den beiden Endgliedern ist, desto eher wird die Sprache Veranlassung nehmen, f\u00fcr den mittleren Teil der Reihe eine besondere einfache Bezeichnung zu schaffen. Da nun Weifs und Gelb dem Schwarz weniger verwandt sind als Rot, Gr\u00fcn und Blau, so steht es offenbar auch in einem gewissen Zusammenh\u00e4nge zu den inhaltlichen Beziehungen unserer Gesichtsempfindungen, dafs gerade fQr den mittleren Teil der weifsschwarzen und der gelbschwarzen Reihe zwei besondere einfache Bezeichnungen bestehen.","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n77\nUrgr\u00fcn, Urblau der HERiNGschen Theorie. Das Entsprechende gilt nat\u00fcrlich auch von den Bezeichnungen weifs und schwarz. Diese Farbennamen dienen vielmehr zur Bezeichnung nicht genau ahgrenzbarer Gruppen von Farben, die sich um diejenigen. Farben herumscharen, deren Empfindungen unter allen in unserer Erfahrung vorkommenden Gesichtsempfindungen . den betreffenden Grundempfindungen am n\u00e4chsten stehen. Dafs es aber \u00fcberhaupt m\u00f6glich ist, die Aufgabe einer Bestimmung des Urrot, Urgelb, Urgr\u00fcn oder Urblau zu stellen und mit gewisser (wenn auch wegen der Unvollkommenheit unserer in Betracht kommenden psychischen F\u00e4higkeit nicht vollkommener) Sicherheit zu l\u00f6sen,1 h\u00e4ngt wiederum mit der Art und Weise zusammen, wie sich das System unserer Gesichtsempfindungen zu Qualit\u00e4tenreihen gliedert. Dieser Gliederungsweise gem\u00e4fs ist z. B. unter dem Urrot gar nichts anderes zu verstehen, als dasjenige Bot, welches Anfangsglied (oder Endglied) sowohl der blauroten, als auch der rotgelben Empfindungsreihe ist, in welchem also sowohl die \u00c4hnlichkeit zum Blau, als auch die \u00c4hnlichkeit zum Gelb ein Minimum ist. Geht man hingegen von der Anschauung aus, dafs die \u00c4nderung der Empfindungs-qualit\u00e4t (entsprechend der bekannten Darstellung der Farben\n1 Man vergleiche hierzu z. B. Hering : \u00dcber individuelle Verschieden-beiten des Farbensinnes. 8.153 ff. Dafs nicht bios Hiring und seine Sch\u00fcler der oben erw\u00e4hnten Aufgabe ihren guten Sinn abzugewinnen wissen, zeigen z. B. die Ausf\u00fchrungen von Kirschmann in W\u00fcndts Philos. Studien, 8.1893. S. 211 ff., in denen von dem \u201ereinen Blau\u201c die Rede ist und unter Anderem behauptet wird, dafs dasselbe in der Natur fast gar nicht vorkomme, weder der Farbe des Himmels, noch der Farbe gewisser Blumen u. dergl. ganz gleiche. Vom Standpunkte der WuNDTschen Ansicht aus, nach welcher das Blau seine besondere einfache Benennung \u00fcberhaupt nur dem Umstande verdankt, dais es in der Natur besonders h\u00e4ufig oder hervorragend vertreten ist, mufs diese Auslassung Kirschmanns in h\u00f6chstem Grade anst\u00f6ihig erscheinen. \u2014 Bekanntlich ist Hkring zu dem Resultate gekommen, dafs das Rot des Sonnenspektrums in seiner ganzen Ausdehnung gelblich sei. Diese Behauptung hat Anstofs erweckt, es ist aber in dem ganzen Gebiete der Psychophysik wohl noch keine Behauptung durch die Erfahrung nachtr\u00e4glich gl\u00e4nzender best\u00e4tigt worden, als eben diese Behauptung Herings (es sei denn, dafs man die erfahrungs-m\u00e4feigen Best\u00e4tigungen gewisser anderweiter S\u00e4tze oder Konsequenzen der HERiNGschen Theorie f\u00fcr noch eklatanter ansehe). Denn in dem von von Hifpel (Arch, f. Ophth, 27. 1881. 3. S. 47 ff.) genauer untersuchten Falle einseitiger partieller Farbenblindheit (Rotgr\u00fcnblindheit) hat sich","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\nG. E. MuUer.\ndurch einen Kreis) beim Durchlaufen der rotgelben, gelbgr\u00fcnen u. 8. w. Farben t\u00f6ne fortw\u00e4hrend ihre Sichtung \u00e4ndere, und dafs nur das h\u00e4ufige Vorhandensein gewisser, jetzt nicht mehr ganz sicher festzustellender, farbiger Objekte dazu Veranlassung gegeben habe, gewisse, nicht genau abgrenzbare Gruppen von Farben durch di\u00a9 einfachen Bezeichnungen rot, gelb, gr\u00fcn, blau auszuzeichnen, so entbehrt die Aufgabe der Herstellung des Urrot, Urgelb, Urgr\u00fcn, Urblau einer gen\u00fcgenden Bestimmtheit.\nWill man von den hier angestellten Betrachtungen Anwendung auf die \u00fcbrigen Sinnesgebiete machen und schliefsen, dafs es sich mit den einfachen Qualit\u00e4tsbeziehungen, die daselbst bestehen, \u00e4hnlich verhalten m\u00fcsse, wie mit den einfachen Bezeichnungen der sechs Grundfarben, so ist zu bedenken, dafs erstens, wie die Bezeichnungen grau und braun darthun, gelegentlich auch f\u00fcr die mittleren Teile einer Qualit\u00e4tenreihe besondere einfache Bezeichnungen auftreten. Zweitens \u2014 und dies ist die Hauptsache \u2014 ist zu beachten, dafs unsere Sprache weit entfernt davon sein d\u00fcrfte, diejenige Entwickelungsstufe, welche sie hinsichtlich der Bezeichnung der Farben erreicht hat, auch hinsichtlich der Bezeichnung aller anderen Arten sinnlicher Qualit\u00e4ten schon erreicht zu haben. Ein gewisser\nja gezeigt, dafs der Patient mit dem farbenblinden Auge das Spektralrot ohne \u201eirgend nennenswerte Verk\u00fcrzung des Spektrums am roten Ende\u201c gelb sah. \u201eDer Kranke sieht nicht nur die Kaliumlinie (von ihm gelb genannt), sondern auch noch die Bubidiumlinie y jenseits der pRA\u00fcifHorKRschen Linie A (auf der Spektraltafel yon Bunsen und Kibch-hoff bei 15 gelegen) und bezeichnet sie als schwach gelb.\u201c Die von Hering dem Spektralrot zugeschriebene Gelbvalenz ist hierdurch (sowie auch noch durch andere Beobachtungsthatsachen) nachgewiesen. Wenn bei dem Patienten von Hippels eine unbedeutende Verk\u00fcrzung des Spektrums an dem roten Ende vorhanden war, so erkl\u00e4rt sich dies vollkommen daraus, dafs, wie von Hippel (a. a. O. S. 50) ausdr\u00fccklich konstatiert hat, sowohl die Gelb- und Blauempfindlichkeit, als auch die Weifsempfindlichkeit in dem farbenblinden Auge in Vergleich zu dem farbent\u00fcchtigen Auge etwas herabgesetzt war. Eine Herabsetzung der Gelb- und der Weifserregbarkeit mufs aber f\u00fcr ein rotgr\u00fcnblindes Auge notwendig mit einer Verk\u00fcrzung des roten Spektralendes verbunden sein. Wie von Kries {Die Gesichtsempfindungen. S. 153) es trotzdem, dafs er die neuerliche Mitteilung von Hippels kannte, fertig gebracht hat, zu behaupten, dafs Herings Theorie die in diesem Falle beobachtete Verk\u00fcrzung des Spektrums nicht zu erkl\u00e4ren verm\u00f6ge, bleibt hiernach unerfindlich.","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n79\nheuristischer Wert d\u00fcrfte indessen trotzalledem einer Ber\u00fcck* siehtigung der einfachen Qualit\u00e4tsbezeichnungen, die aufserhalb des Gebiets des Gesichtssinnes Vorkommen, nicht abzusprechen sein.\n\u00a7 13. Die Stetigkeit der psychischen Qualit\u00e4tenreihen.\nZu dem Begriffe der psychischen Qualit\u00e4tenreihe geh\u00f6rt dem Fr\u00fcheren gem\u00e4fs, dafs die qualitative Empfindungs\u00e4nderung nicht blofs geradl\u00e4ufig, sondern auch stetig erfolgt. Hiergegen kann man nun im Sinne ziemlich h\u00e4ufiger Deutungen der Unterschiedssohwelle geltend machen, dafs von einer Stetigkeit der Empfindungs\u00e4nderung nicht geredet werden d\u00fcrfe, weil sich der Thatsaohe der Untersohiedsschwelle gem\u00e4fs die Empfindung bei einer \u00c4nderung der Beizst\u00e4rke oder Beizqualit\u00e4t nur sprungweise \u00e4ndere. Diesem Einwande gegen\u00fcber ist ein- und f\u00fcr allemal kurz folgendes zu bemerken.\nEs stelle in nachstehender Zeichnung die Abscisse die Beizst\u00e4rke, die Ordinate die zugeh\u00f6rige Empfindungsintensit\u00e4t\nund mithin die treppenartige Linie abcdefg im Sinne der soeben erw\u00e4hnten Annahme einer nur sprungweise stattfindenden Empfindungs\u00e4nderung einen Teil der Linie der Empfindungs-intensit\u00e4ten dar. Alsdann m\u00fcfste der Wert der Unterschiedssehwelle ein Maximum sein, wenn die Empfindungsintensit\u00e4t einen der Werte besitzt, welche den Punkten a, c, e, g (mit denen die horizontalen Linienst\u00fccke beginnen) entsprechen, hingegen ein Minimum, wenn die Empfindungsintensit\u00e4t einen derjenigen Werte besitzt, welche den Punkten b, d, f (den Endpunkten der horizontalen Linienst\u00fccke) entsprechen. Es m\u00fcfste","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nG. E. M\u00fcller.\nalso nach der erw\u00e4hnten Deutung der Unterschiedsschwelle der Wert der letzteren trotz aller zuf\u00e4lliger Fehlervorg\u00e4nge sich bei exakten Yersuohen als ein solcher darstellen, der bei wachsender Beizst\u00e4rke periodisch zu einem Minimum absinkt und dann pl\u00f6tzlich wieder zu einem Maximum aufspringt, wovon in Wirklichkeit nicht die Bede sein kann.1\nMan k\u00f6nnte nun vielleicht behaupten, dafs die Vorstellung einer Empfindungsreihe, in welcher sich die Intensit\u00e4t oder Qualit\u00e4t stetig \u00e4ndere, mindestens f\u00fcr das Gebiet des Gesichtssinnes aus folgendem Grunde anzul\u00e4ssig sei. Eine von aufsen erweckte Sehnervenerregung k\u00f6nne nur dadurch an St\u00e4rke gewinnen, dafs die Zahl der Molek\u00fcle oder Gruppen zusammengeratener Molek\u00fcle, welche in der lichtempfindlichen Netzhaut-sohicbt dnroh die Lichtstrahlen chemisch ver\u00e4ndert werden, eine gr\u00f6fsere werde. Da nun die Zahl dieser sich chemisch ver\u00e4ndernden Molek\u00fcle oder Molek\u00fclgruppen nicht stetig zunehmen k\u00f6nne, sondern immer um eine oder mehrere Einheiten anwachsen m\u00fcsse, so k\u00f6nne auch von einer stetigen Erh\u00f6hung der St\u00e4rke der Sehnervenerregung und der Intensit\u00e4t der entsprechenden Gesichtsempfindung keine Bede sein. Sehe man ferner die psychophysischen Prozesse der Sehsubstanz direkt selbst als chemische Vorg\u00e4nge an, deren Intensit\u00e4t sich nach der Zahl der jeweilig sich chemisch ver\u00e4ndernden Molek\u00fcle oder Molek\u00fclgruppen bestimme, so ergebe sich schon hieraus ohne weiteres, dafs im Gebiete des Gesiohtssinnes von einem stetigen Wachstume der Erregungsst\u00e4rke und der Empfindungsintensit\u00e4t\n1 Wenn Ebbinghaus (diese Zeitschrift 1. 1890. S. 476) die Unterschiedsschwelle als \u201eein Analogon der Reibung* auffafst und sie auf einem Tr\u00e4gheitswiderstande beruhen l\u00e4fst, \u201ewelchen die nerv\u00f6se Substanz irgendwo jeder Ab\u00e4nderung der in ihr jeweilig etablierten Prozesse ent-gegensetztu, so scheint uns diese Deutung nicht der Thatsache gerecht zu werden, dafs sich die Unterschiedssohwelle nicht blofs bei Ab\u00e4nderung der Intensit\u00e4t oder Qualit\u00e4t eines gegebenen Reizes zeigt, sondern auch dann, wenn wir zwei hinsichtlich der Intensit\u00e4t oder Qualit\u00e4t nur sehr wenig verschiedene Reize gleichzeitig nebeneinander auf verschiedene Stellen desselben Sinnesorganes einwirken lassen, oder wenn wir zwei Sinnesreize miteinander vergleichen, die durch einen Zeitraum, wo die Erregung unterbrochen ist, voneinander getrennt sind. Es d\u00fcrfte z. B. schwer halten, das Bestehen der Unterschiedsschwelle bei Versuchen mit hintereinander gehobenen Gewichten vom Standpunkte dieser Ebbing-HA\u00fcsschen Ansicht aus befriedigend zu erkl\u00e4ren.","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n81\nauch vom rein prinzipiellen Standpunkte aus nicht gesprochen werden d\u00fcrfe, und mithin auch eine stetige Ver\u00e4nderlichkeit des Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisses zweierpsychophysischer Teilvorg\u00e4nge nicht angenommen werden d\u00fcrfe.\nVorstehender Einwand erledigt sich durch die Bemerkung, dafs auch der chemische Prozefs kein Vorgang ist, der an dem betreffenden Molek\u00fcle oder einer Molek\u00fclgruppe auf einmal mit seiner vollen Intensit\u00e4t vorhanden ist und dann pl\u00f6tzlich ganz verschwindet. Derselbe entwickelt sich vielmehr vom Nullpunkte aus allm\u00e4hlich bis zu einem bestimmten Maximalwerte seiner Intensit\u00e4t und klingt dann allm\u00e4hlich wieder bis zum Nullpunkte ab.1 Nur infolge des Umstandes, dafs wir in Ermangelung bestimmterer Vorstellungen vom Wesen des chemischen Vorganges gewohnt sind, denselben kurz durch den betreffenden Anfangszustand und Endzustand der beteiligten Stoffe zu charakterisieren, haben wir eine Neigung, das allm\u00e4hliche Anklmgen und Abklingen des an einem Molek\u00fcle oder Molek\u00fclaggregate sich abspielenden chemischen Vorganges ganz zu \u00fcbersehen. Ber\u00fccksichtigt man nun aber dieses Anklingen und Abklingen, so ist es nicht schwer, sich eine absolut stetige Ver\u00e4nderlichkeit der Intensit\u00e4t eines (an sehr vielen Molek\u00fclen oder Molek\u00fclgruppen sich abspielenden) photochemischen Netzhautprozesses, sowie auch der Sehnervenerregung und der entsprechenden Empfindung zu konstruieren. Betreffs der Intensit\u00e4t der Sehnervenerregung kommt \u00fcbrigens in dieser Hinsicht noch in Betracht, dafs dieselbe nicht blofs von der Zahl der Molek\u00fcle oder Molek\u00fclgruppen, die in der lichtempfindlichen Netz hautschicht durch das Licht chemisch ver\u00e4ndert werden, und von der Art und Weise abh\u00e4ngt, wie sich in dem betrachteten Zeitelemente die verschiedenen Phasen der chemischen Ver\u00e4nderung auf jene Zahl von Molek\u00fclen oder Molek\u00fclgruppen verteilen, sondern aufserdem auch noch von den (stetig ver\u00e4nderlichen) Abst\u00e4nden abh\u00e4ngig ist, welche jene Molek\u00fcle oder Molek\u00fclgruppen von den durch sie zu er-\n1 Um sich hiervon zu \u00fcberzeugen, denke man sich z. B. den Fall, dafs der betreffende chemische Vorgang im Sinne der Ausf\u00fchrungen, welche neuerdings Roloff (Zeitschr. f. physik. Chemie. 13. 1834. S. 364) \u00fcber das Wesen gewisser photo chemischer Prozesse gegeben hat, darauf beruhe, dafs die elektrische Ladung eines Ion auf ein anderes Atom \u00fcbergehe.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie X.\n6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nG. E. M\u00fc\u00fcer.\nregenden Teilchen nerv\u00f6ser Natur trennen. Zum \u00dcberfl\u00fcsse mag bemerkt werden, dafs, wie leicht zu erkennen, die Triftigkeit unserer fr\u00fcheren Entwickelungen im Grunde gar nicht einmal davon abh\u00e4ngig ist, dais eine absolut stetige Ver\u00e4nderlichkeit der Sehnervenerregungen und Netzhautprozesse konstruierbar sei. Und zum Schl\u00fcsse mag noch daran erinnert werden, dafs eine eingehendere Er\u00f6rterung des soeben abgehandelten Einwandes und vieler anderer psychophysischer Punkte auch noch des Umstandes zu gedenken haben w\u00fcrde, dafs die Intensit\u00e4ten und Qualit\u00e4ten, welche wir den Empfindungen zuschreiben, und hinsichtlioh deren wir dieselben miteinander vergleichen, niemals solche Intensit\u00e4ten und Qualit\u00e4ten sind, welche dieselben w\u00e4hrend eines minimalen Zeitteilchens besitzen, sondern vielmehr solche, welche denselben w\u00e4hrend eines Zeitraumes von endlicher L\u00e4nge gewissermafsen durchschnittlich zukommen.\n(Fortsetzung folgt.)","page":82},{"file":"p0321.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der GesichtsempfinduDgen.\nVon\t/\nG. E. M\u00fcller.\nKapitel 2.\nDer Antagonismus der Netzhautprozesse\u00bb\n\u00a7 \\4. Die Annahme antagonistischer Valenzen und\ndie Komponententheorie des Weifsprozesses.\nSehr auffallend ist die Thatsache, dafs, w\u00e4hrend rotgelbe, gelbgr\u00fcne, gr\u00fcnblaue und blaurote Empfindungen in mannigfaltigen Nuancen und Abstufungen Vorkommen, rotgr\u00fcne und gelbblaue Empfindungen in unserer Erfahrung niemals auftreten. Behufs Erkl\u00e4rung dieses Sachverhaltes und spezieller der Thatsache, dafs zwei Lichtreize, von denen der eine, allein genommen, die Empfindung von Urrot oder Urgelb, der andere die Empfindung von Urgr\u00fcn bezw. Urblau zur Folge hat, bei gleichzeitiger Einwirkung, auf dieselbe Stelle der Netzhaut je nach ihrem Intensit\u00e4tsVerh\u00e4ltnisse entweder eine weifsliche Bot- oder Gr\u00fcn- bezw. Gelb- oder Blauempfindung oder eine farblose Empfindung, aber eben niemals eine rotgr\u00fcne bezw. gelbblaue Empfindung zur Folge haben, nehmen wir Folgendes an.\nJedes farbige Licht besitzt neben seiner chromatischen Yalenz oder seinen beiden chromatischen Valenzen noch eine Weifsvalenz. Nun sind der Botprozefs und der Gr\u00fcnprozefs und ebenso auch der Gelbprozefs und der Blauprozefs1 Vor-\nIM A \u25a0\t.\t\u25a0\t\u2014\t\u25a0\t\u2014\t\u00ab\n\u2666\n1 Es mag hier noch besonders darauf aufmerksam gemacht werden, dafs wir unter einem Weite-, Rot-, Gelb- u. s. w. Prozesse stets nur einen in den lichtempfindlichen Schichten der Netzhaut sich abspielenden chemischen Vorgang, hingegen unter einer Weifs-, Rot-, Gelb- u. s. w. Erregung stets einen durch einen solchen retinalen Prozeis im Sehnerven hervorgerufepen ErregungsVorgang verstehen.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie X.\t21","page":321},{"file":"p0322.txt","language":"de","ocr_de":"322\nG. E. M\u00fcller.\ngange, die in einem Verh\u00e4ltnisse gewissen Gegensatzes zu einander stehen, so dafs ein mit einer Rotvalenz oder Gelbvalenz begabter Reiz als solcher in entgegengesetzter Richtung wirkt, wie ein mit einer Gr\u00fcnvalenz bezw. Blauvalenz begabter Reiz. Wij*kt also rotes und gr\u00fcnes Licht gleichzeitig auf dieselbe Netzhautstelle, so wirken sich beide Lichtreize insofern, als der eine Rotvalenz und der andere Gr\u00fcnvalenz besitzt, entgegen. Hingegen verst\u00e4rken sie sich gegenseitig in ihren Wirkungen insofern, als sie beide Wbifsvalenz besitzen. Demgem\u00e4fs m\u00fcssen sie je nach ihrem Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse neben einem relativ verst\u00e4rkten Weifsprozesse entweder nur einen Rotprozefs oder nur einen Gr\u00fcnprozefs hervorrufen oder, falls sich die beiden antagonistischen Valenzen gegenseitig gerade aufheben, \u00fcberhaupt nur einen Weifsprozefs zur Folge haben. Entsprechendes gilt von dem gleichzeitigen Ein wirken gelben und blauen Lichtes.\nMan kann dieser Auffassung, welche kurz als die Annahme antagonistischer Valenzen bezeichnet werden kann, eine andere, etwa als die Komponententheorie des Weifsprozesses zu bezeichnende Ansicht gegen\u00fcberstellen, nach welcher eine durch gemischtes Licht hervorgerufene Weife-empfindung nicht auf gegenseitiger Hemmung der chromatischen Valenzen der Partiallichter, sondern vielmehr darauf beruht, dafs die chromatischen Valenzen der Partiallichter, die einer besonderen Weifsvalenz \u00fcberhaupt entbehren, irgendwie zu wirklicher Th\u00e4tigkeit und positiver Zusammen Wirkung gelangen.\nDiese Komponententheorie mufs nat\u00fcrlich, wenn sie \u00fcberhaupt in R\u00fccksicht gezogen werden soll, so formuliert werden, dafs sie nicht in Widerspruch zu dem f\u00fcnften unserer psychophysischen Axiome (vergl. \u00a7 5) steht. W\u00fcrde man z. B. sagen, der Weifsempfindung, welche bei gleichzeitiger Einwirkung gelben und blauen Lichtes entstehe, liege ein psychophysischer Mischvorgang zu Grunde, welcher zu gleichen Teilen aus Gelberregung und Blauerregung bestehe, so w\u00fcrde zu erwidern sein, dafs ebenso, wie in dem Falle, wo eine Roterregung und eine gleich intensive Gelberregung gegeben ist, eine rotgelbe Empfindung vorhanden ist, welche sowohl der reinen Rot-empfindung, als auch der reinen Gelbempfindung ausgepr\u00e4gt \u00e4hnlich ist, auch in dem Falle, wo eine Gelberregung und eine gleich intensive Blauerregung gegeben ist, eine gelbblaue, nicht aber eine farblose Empfindung vorhanden sein mufs.","page":322},{"file":"p0323.txt","language":"de","ocr_de":"Zw Psychephysik der Gesichtsempfindungen.\n323\nMan vermeidet den Widerspruch zum f\u00fcnften Axiome, wenn man die Komponententheorie z. B. in folgender Form vortr\u00e4gt. Der Botprozefs und der Orunprozefs \u2014 das Entsprechende gilt von dem Gelbprozesse und Blauprozesse \u2014 sind Prozesse, deren jeder aus zwei aufeinanderfolgenden Teilvorg\u00e4ngen besteht. Bei jedem dieser Prozesse tritt n\u00e4mlich zun\u00e4chst eine Spaltung gewisser komplizierter Molek\u00fcle ein. Hierauf entstehen aus den Produkten dieser chemischen Spaltung neue Molek\u00fcle, welche von anderer Art sind, als die der Spaltung unterlegenen Molek\u00fcle. Nat\u00fcrlich gehen Spaltung und Neubildung an verschiedenen Punkten gleichzeitig nebeneinander her. Der wesentlichere, fur das Verhalten des Sehnerven mafsgebende Teilvorgang ist nicht die Spaltung, sondern dieNeubildung mittelst derSpaltungs-produkte. Wirken nun rotes und gr\u00fcnes Licht gleichzeitig auf dieselbe Netzhautstelle ein, so bewirkt zwar jeder von beiden Lichtreizen den ihm entsprechenden Spaltungsprozefs, an diesen schliefst sich aber nicht der sonst dazu geh\u00f6rige (den wesentlichen Teil des Bot- bezw. Gr\u00fcnprozesses ausmachende) Vorgang chemischer Neubildung an, sondern die durch beide Lichtreize bewirkten Spaltungen fuhren gemeinsam zu einem \u00abganz neuen chemischen Verbindungs vorgange, welcher den Weifsprozefs in seinem wesentlichen Teile darstellt.\nWir f\u00fchren die hier angedeutete Form der Komponententheorie nicht weiter aus, sondern gehen sofort dazu \u00fcber, zu zeigen, dafs eine Komponententheorie des Weifsprozesses, mag man sie nun so oder so gestalten, mit einer Beihe von That-sachen und Gesetzen, deren Erkl\u00e4rung sich vom Standpunkte der Annahme antagonistischer Valenzen aus ganz von selbst ergiebt, teils gar nicht, teils nur mittelst sehr wenig befriedigender, erzwungener H\u00fclfshypothesen in Einklang gebracht werden kann.\n\u00a7 15. Die Komponententheorie ist unvertr\u00e4glich mit dem Satze, dafs die subjektive Gleichheit zweier Lichter von dem Erm\u00fcdungszustande des Sehorgans\nunabh\u00e4ngig ist.\nWir f\u00fchren gleich an erster Stelle dasjenige Argument an, welches, allein genommen, bereits vollst\u00e4ndig zur Beseitigung der Komponententheorie gen\u00fcgt.\nWie von Kries und Hering gezeigt haben, gilt allgemein\n21*","page":323},{"file":"p0324.txt","language":"de","ocr_de":"324\nG. E. M\u00fcller.\nder Satz, dafs zwei Lichter, welche objektiv verschieden sind, dem unerm\u00fcdeten Auge aber gleich erscheinen, dem irgendwie erm\u00fcdeten Auge zwar beide ver\u00e4ndert, stets aber untereinander wieder gleich erscheinen.* 1 Dieser Satz, auf dessen hohe theoretische Bedeutung von Kries aufmerksam gemacht hat, ist nach der Annahme antagonistischer Valenzen ganz selbstverst\u00e4ndlich. Bezeichnen wir mit r, g, e* b den Wert der roten, gr\u00fcnen, gelben, blauen Valenz, welche einem Mischlichte gem\u00e4fs seiner Zusammensetzung aus roten, gelben u. s. w. Lichtstrahlen zuzuschreiben ist, so kommt dasselbe infolge des Antagonismus, der zwischen der roten und gr\u00fcnen Valenz besteht, f\u00fcr die rotgr\u00fcnempfindlichen Substanzen \u00fcberhaupt nur mit der Differenz r\u2014g zur Geltung. Je nach dem Vorzeichen und der absoluten Gr\u00f6fse dieser Differenz wird entweder ein Rotprozefs oder ein Gr\u00fcnprozefs von gr\u00f6fserer oder geringerer Intensit\u00e4t oder (falls r \u2014g \u2014 0 ist) weder ein Rot-, noch ein Gr\u00fcnprozefs durch'* das Licht erweckt werden. Ebenso kommt das letztere f\u00fcr die gelbblauempfindlichen Substanzen nur mit der Differenz e\u2014b zur Geltung, ganz unabh\u00e4ngig davon, wie grofs die absoluten Werte von e und b sind. Bezeichnen wir die Differenzen r\u2014g und e\u2014b kurz als die wirksamen Differenzen der chromatischen Valenzen, so k\u00f6nnen wir also kurz sagen, dafs, wenn zwei Lichter bei gleicher Erregbarkeit der von ihnen betroffenen Netzhautstellen einander gleich erscheinen, ihnen gleiche Werte der Weifsvalenz und der wirksamen Differenzen der chromatischen Valenzen zugeh\u00f6ren. Es\n*\n1 Man vergleiche von Kries im Arch. f. Anal. u. Physiol 1878. S. 603 ff., Die Gesich tsempfind\u00fcngen und ihre Analyse, 8. 109 ff.; Hering, \u00dcber Newtons Gesetz, S. 89 ff., ferner in Pfl\u00fcgers Arch. 41.\t1887.\nS. 41 f. und 42. 1888. 8. 492 ff. Wenn von Kries neuerdings (diese Zeitschrift 9. 1895. 8. 89 ff.) zu dem Besultate kommt, dafs die f\u00fcr hohe Intensit\u00e4ten geltenden Farbengleichungen bei Abschw&chung aller Lichter und Dunkeladaptation in dem Sinne unrichtig werden, dais dasjenige Gemisch, welches die gr\u00f6fsere St\u00e4bchenvalenz besitzt, einen \u00dcberschuss von farbloser Helligkeit erh\u00e4lt, so wird hiermit, streng genommen, eine Abweichung von dem obigen Satze behauptet. Wie leicht zu erkennen, wird indessen hierdurch die G\u00fcltigkeit dieses Satzes in derjenigen Hinsicht, auf die es uns im obigen ankommt, nicht ber\u00fchrt. F\u00fcr das Netzhautzentrum erkennt von Kries den obigen Satz auch jetzt noch als unbedingt giltig an.\n* Das Gelb wird in dieser Abhandlung durch den Buchstaben e repr\u00e4sentiert, weil das g schon durch Gr\u00fcn in Beschlag gelegt ist.","page":324},{"file":"p0325.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsetnpfindungm.\n325\nversteht sich nun ganz von selbst, dais die subjektive Gleichheit beider Lichter erhalten bleibt, wenn die Erregbarkeit der beiden Netzhautstellen, auf welche sie mit ihre\u00fc gleichen Weifsvalenzen und ihren gleichen Differenzen der chromatischen Valenzen wirken, in einer f\u00fcr beide Netzhautstellen gleichen Weise ver\u00e4ndert wird.\nHingegen scheitert eine Komponententheorie der in Hede stehenden Art1 unwiderruflich an dem obigen Erfahrungssatze. Angenommen z. B., wir lassen zun\u00e4chst bei neutraler Stimmung des Auges zwei gleich aussehende, weifse Lichter einwirken, von denen das eine eine Gelbvalenz und Blauvalenz, das andere aber aufserdem noch eine Rotvalenz und Gr\u00fcnvalenz besitzt, und wir erm\u00fcden hierauf das Auge f\u00fcr Bot, so k\u00f6nnen nach der Komponententheorie dem in dieser Weise erm\u00fcdeten Auge die beiden Lichter nicht mehr gleich erscheinen. Denn die Wirkungen, welche die Rotvalenz und die Gr\u00fcnvalenz des zweiten Lichtes naoh der Komponententheorie haben, m\u00fcssen durch die vollzogene Erm\u00fcdung f\u00fcr Rot wesentlich, und zwar im gegenteiligen Sinne, beeinflufst sein, w\u00e4hrend f\u00fcr das erstere Licht eine entsprechende Beeinflussung seiner Wirkungen nicht stattgefunden hat. Nach der Komponententheorie kommt jedes Licht mit allen seinen Valenzen zur positiven Wirksamkeit. Habe ich also zwei gleich aussehende Mischliohter, welche nicht dieselben Valenzen besitzen, und ver\u00e4ndere ich nun die Erregbarkeit f\u00fcr eine Valenz, welche nur dem einen Mischlichte oder beiden Mischlichtem mit verschiedenem Werte zu-kommt, so kann das gleiche Aussehen beider Mischlichter nicht mehr bestehen bleiben. Hingegen kommt nach der Annahme antagonistischer Valenzen jedes der beiden Mischlichter nur mit seiner Weilsvalenz und den Differenzen seiner chromatischen Valenzen zur aktuellen Wirksamkeit. Erm\u00fcde ich das Auge f\u00fcr eine Valenz, welche nur dem einen Mischlichte\n1 D. h. eine Komponententheorie, welche (im Hinblick auf die von uns im ersten Kapitel angef\u00fchrten oder andere Beweisgr\u00fcnde) vier chromatische Grundprozesse der Netzhaut und vier chromatische Yalenzen der Lichter annimmt. Die Youva-HEUfHoi/rzsche Theorie, welche zu dem obigen Satze in Einklang steht, ist gleichfalls eine Komponententheorie des Weifsprozesse8, kommt aber wegen ihrer groben Widerspr\u00fcche zu den psychophysischen Axiomen und zu zahlreichen Erfahrungsthatsachen \u00fcberhaupt nicht in Betraoht.","page":325},{"file":"p0326.txt","language":"de","ocr_de":"326\nG. E. M\u00dcOer.\nzukommt, so bleibt trotzdem das gleiche Aussehen beider Mischlichter erhalten, weil diese Valenz dadurch v\u00f6llig kompensiert und wirkungslos gemacht ist, dafs das Mischlicht, welchem sie zukommt, die ihr entgegengesetzte Valenz in genau derselben St\u00e4rke besitzt. Entsprechendes gilt f\u00fcr den Fall, dafs wir das Auge fur eine Valenz erm\u00fcden, welche den beiden Mischlichtem mit verschiedenen Werten zukommt.\n\u00a7 16. Die Komponententheorie wird dem Eintreten und Verhalten des Weifsprozesses bei Farbenblindheit, insbesondere den beiden Hsssschen S\u00e4tzen,\nnicht gerecht.\nDie Komponententheorie ist ferner nicht in befriedigenden Einklang zu der Thatsache zu bringen, dafs bei (peripherischer oder individueller) totaler Farbenblindheit der Weifsprozefs noch vorhanden ist, w\u00e4hrend die chromatischen Prozesse v\u00f6llig fehlen. Denn, wenn wirklich der Weifsprozefs im Sinne der Komponententheorie durch ein positives Zusammenwirken chromatischer Valenzen zu st\u00e4nde k\u00e4me, so w\u00e4re zu erwarten, dafs in F\u00e4llen, wo die chromatischen Prozesse der Netzhaut nicht mehr hervorgerufen werden k\u00f6nnen, auch der Weifsprozefs g\u00e4nzlich ausbleibe. Ebenso w\u00e4re zu erwarten, dafs in F\u00e4llen, wo nur die roten und gr\u00fcnen (nur die gelben und blauen) Valenzen die ihnen entsprechenden chromatischen Prozesse nicht hervorzurufen verm\u00f6gen, auch die Kombination einer roten und gr\u00fcnen (gelben und blauen) Valenz unf\u00e4hig sei, den Weifsprozefs zu bewirken.\nMan kann meinen, dafs die Komponententheorie dem hier erhobenen Einwande entzogen werden k\u00f6nne, wenn man dieselbe einer, allerdings recht wesentlichen, Modifikation unterwerfe, n\u00e4mlich so gestalte, dafs nach derselben zwei Arten der Erweckung des Weifsprozesses Vorkommen. Man habe anzunehmen, dafs letzterer Prozefs erstens dadurch bewirkt werde, dafs s\u00e4mtliche Lichtreize mittelst einer ihnen in verschiedenem Grade zukommenden Weifsvalenz direkt Weifsprozefs hervor-rufen. Zweites k\u00f6nne aber der Weifsprozefs auch durch ein positives Zusammenwirken der farbigen Valenzen zweier oder mehrerer Lichtreize bewirkt werden. Was speziell das Verhalten der verschiedenen Netzhautzonen anbelange, so trete die zweite Art der Entstehung des Weifsprozesses hinter die","page":326},{"file":"p0327.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen*\n327\nerster\u00a9 um so mehr zur\u00fcck, je weiter man auf der Netzhaut nach der Peripherie hinschreite; entsprechend dem Umstande, dafs die farbigen Valenzen der Lichter bei zunehmendem Abstande von der Fovea immer mehr an Wirkung verlieren. Auf der \u00e4ufsersten Netzhautzone sei eine Erweckung des Weifsprozesses \u00fcberhaupt nur noch auf die erstere Art (mittelst der Weifsvalenzen der Lichter) m\u00f6glich.\nGegen die hier angedeutete Form der Komponententheorie\nist einzuwenden, dafs sie zwei auf das Verhalten der ver-\n* \u2022\nschiedenen Netzhautzonen bez\u00fcglichen, von Hess (Arch. f. Ophthalm. 36. 4. S. 1 ff.) aufgestellten,1 wichtigen S\u00e4tzen nicht in befriedigender Weise gerecht zu werden vermag. Der erstere dieser beiden S\u00e4tze besagt, dafs eine Farbengleichung, welche f\u00fcr die innerste extramakulare Netzhautzone her gestellt worden ist, auf allen \u00fcbrigen extramakularen, farbent\u00fcchtigen und farbenblinden, Netzhautzonen bestehen bleibt.* * Der zweite HESSsche Satz lautet (in der Ausdrucksweise der HBRitfGschen Theorie) dahin, dafs die Weifsvalenzen der farbigen Lichter f\u00fcr die farbent\u00fcchtigen extramakularen Netzhautstellen ganz dieselben Werte besitzen, wie f\u00fcr die farbenschwachen und farbenblinden Netzhautstellen. Man denke sich z. B. folgenden (von Hess ausgef\u00fchrten) Versuch. Es seien ein rotes und ein gr\u00fcnes Licht, deren jedes auf der rotgr\u00fcnblinden Netzhautzone ganz farblos erscheint, mit einem solchen gegenseitigen Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse gegeben, dafs sie bei ihrer Vermischung auf\n1 Auch Hering (Arch. f. Ophthalm. 35. 4. S. 74 und 86.1. S. 264) \u00e4ufsert sich auf Grund seiner experimentellen Erfahrungen best\u00e4tigend zu den von Hess aufgestellten S\u00e4tzen.\n* In leicht erkenntlicher Beziehung zu diesem (von Hess nicht blols mittelst Pigmentfarben, sondern auch mittelst Spektralfarben erwiesenen) Satze steht auch die folgende Beobachtung von Hering (Arch. f. Ophthalm. 36. 3. S. 21 f.) Dieser Forscher untersuchte eine Patientin, deren eines Auge gesund war, und deren anderes Auge sich in seinen zentralen Teilen ganz so verhielt, wie sich eine ann\u00e4hernd rotgrtlnblinde peripherische Zone des normalen Auges verh\u00e4lt. Das kranke Auge war nahezu rotgr\u00fcnblind und besafs einen geschw\u00e4chten Blaugelbsinn. Wurde nun f\u00fcr das Zentrum des gesunden Auges eine Farbengleichung zwischen spektralem Bot und Gelbgr\u00fcn einerseits und spektralem Gelb nebst zugesetztem Weiis andererseits oder zwischen spektralem Violett und Gr\u00fcngelb 'einerseits und weifsem Tageslichte andererseits hergestellt, so galt dann die hergestellte Gleichung auch f\u00fcr das Zentrum des kranken Auges.","page":327},{"file":"p0328.txt","language":"de","ocr_de":"828\nG. E. Muller .\neiner f\u00e4rben t\u00fcchtigen extram akularen Netzh\u00e4ute telle ganz farblos grau erscheinen. Man bestimme nun sowohl f\u00fcr das Kot, als anch f\u00fcr das Gr\u00fcn dasjenige Weifs, dem es anf der rotgr\u00fcnblinden Netzhaatzone v\u00f6llig \u00e4quivalent ist. Dann ist die Summe dieser beiden auf der rotgr\u00fcnblinden Zone bestimmten Weifswerte des roten und gr\u00fcnen Lichtes gleich dem Weifswerte, den man auf einer farbent\u00fcchtigen, extramakularen Netzhautstelle f\u00fcr das au\u00ab dem roten und gr\u00fcnen Lichte zusammengesetzte Grau erh\u00e4lt.\nDafs die Komponententheorie auch in der oben angegebenen Modifikation die G\u00fcltigkeit dieser beiden \u00dcESSschen S\u00e4tze nicht befriedigend zu erkl\u00e4ren vermag, bedarf nicht erst weiterer Ausf\u00fchrung. Wenn der Weifsprozefs in den farbent\u00fcchtigen Netzhautzonen auch nur zu einem Teile seiner Intensit\u00e4t dadurch entsteht, dafs die chromatischen Valenzen der betreffenden Lichter sich thats\u00e4chlich als wirksam erweisen, so ist zu erwarten, dafs jede f\u00fcr eine farbent\u00fcchtige extramakulare Netzhautstelle her gestellte Gleichung zwischen zwei Mischlichtern, von denen das eine Rot- und Gr\u00fcnvalenzen besitzt, das andere aber nicht, oder welche die verschiedenen chromatischen Valenzen in verschiedenen St\u00e4rke Verh\u00e4ltnissen besitzen (also z. B. eine Gleichung zwischen einem aus rotem und blaugr\u00fcnem Spektrallichte bestehenden Weifs einerseits und einem ans rein gelbem und rein blauem Spektrallichte bestehenden Weifs andererseits), zu einer Ungleichung werde, sobald man die Mischlichter auf Netzhautteile ein wirken lasse, wo die Rot- und die Gr\u00fcnvalenzen nachweislich nicht mehr wirksam sind. Es ist also dann nichts weniger als die G\u00fcltigkeit des ersteren der beiden obigen S\u00e4tze zu erwarten. Entsprechendes gilt hinsichtlich des zweiten Satzes. Denn, wenn z. B. ein Rot und ein Gr\u00fcn auf der rotgr\u00fcnblinden Zone der Netzhaut nur mittelst ihrer Weifsvalenzen Weifsprozefs erwecken, auf den mittleren Netzhautteilen hingegen aufserdem noch durch ein positives Zusammenwirken ihrer chromatischen Valenzen Weifsprozeis hervorrufen, so ist nichts weniger als dies zu erwarten, dafs beide Farben bei gleichzeitiger Einwirkung auf eine und die* selbe f\u00e4rbent\u00fcchtige extramakulare Netzhautstelle einen Weifswert ergeben, welcher gleich ist der Summe der Weifswerte, welche beide Farben, einzeln genommen, auf der rotgr\u00fcnblinden Netzhautzone besitzen.","page":328},{"file":"p0329.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychephysik der Gesichtsempfindungen.\n329\nEs erweist sich also die Kompon\u00e9n ten theorie als unf\u00e4hig, die Thatsache in befriedigender Weise zu erkl\u00e4ren, dafs in F\u00e4llen, wo die chromatischen Valenzen wirkungslos sind, dennoch der Weifsprozefs ausgel\u00f6st werden kann. Und unterwirft man die Komponententheorie, um sie diesem Einwande zu entziehen, der oben angegebenen oder anderen \u00e4hnlichen wesentlichen Modifikationen,1 so erweist sie sich immer noch als unf\u00e4hig, der G\u00fcltigkeit der beiden obigen, von Hess festgestellten S\u00e4tze in befriedigender Weise gerecht zu werden. Ganz anders hingegen die Annahme antagonistischer Valenzen! Da nach dieser Annahme der W eifsprozefs \u00fcberhaupt nicht auf einer Wirksamkeit der chromatischen Valenzen beruht, so ist es nach derselben nichts weniger als befremdend, dafs der Weifsprozefs auch noch in solchen F\u00e4llen ausgel\u00f6st werden kann, wo die Wirksamkeit der chromatischen Valenzen versagt. Da ferner nach dieser Annahme jedes Licht nur mit seiner Weifsvalenz und den Differenzen seiner chromatischen Valenzen (den Differenzen r\u2014g und e\u20146) zur Wirksamkeit gelangt, und mithin eine auf einer farbent\u00fcchtigen extramakularen Netzhautstelle hergestellte Gleichung zwischen zwei Mischlichtern darauf beruht, dafs beiden Lichtem die gleiche Weifsvalenz und gleiche Differenzen r\u2014g und e\u2014b zugeh\u00f6ren, so begreift sich ohne weiteres, dafs eine solche Gleichung auch noch dann bestehen bleibt, wenn man beide Lichter auf mehr peripheriew\u00e4rts gelegene Netzhautstellen wirken l\u00e4fst, auf denen die f\u00fcr beide Lichter gleichen Differenzen r\u2014g und e\u2014b nur eine verringerte oder \u00fcberhaupt gar keine Wirksamkeit zu entfalten verm\u00f6gen. Es ist also die G\u00fcltigkeit des ersten HESSschen Satzes nach der Annahme antagonistischer Valenzen ohne weiteres begreiflich. Das Gleiche gilt von dem zweiten HESSschen Satze. Da nach der Annahme antagonistischer Valenzen die Erweckung des Weifsprozesses\n1 Nur der Baumerspamis halber sehen wir davon ab, auch noch an anderen Modifikationen der Komponententheorie zu zeigen, dafs sie durchaus unf\u00e4hig ist, die G\u00fcltigkeit der beiden \u00dcESsschen S\u00e4tze befriedigend zu erkl\u00e4ren. Diese Unf\u00e4higkeit haftet der Komponententheorie in jeder beliebigen Form und bei jeder beliebigen Anzahl angenommener chromatischer Valenzen an. Hinsichtlich der v\u00f6lligen H\u00fclflosigkeit, in\nder sich z. B. auch die YouNG-HELMHOLTzsche Theorie den Thatsachen der\n\u00ab\nperipheren Farbenschw\u00e4che und Farbenblindheit gegen\u00fcber befindet, vergleiche man die Ausf\u00fchrungen von Hering im Arch. f. Ophthalm. 36. 1889. 4. S. 63 ff.","page":329},{"file":"p0330.txt","language":"de","ocr_de":"330\nG. E. M\u00fcller.\ndurch, \u00a9in gegebenes Lieht absolut nicht von einer Wirksamkeit der chromatischen Valenzen abh\u00e4ngt, so begreift es sich ohne weiteres, dafs der Weifswert eines Lichtes auf einer farbenschwachen oder farbenblinden Netzhautstelle derselbe ist, wie\nauf einer farbent\u00fcchtigen extramakularen Netzhautstelle.\nWie bekannt, erscheinen einem f\u00fcr Dunkel adaptierten Auge (Dunkelauge) alle farbigen Lichter bei gen\u00fcgend geringer Intensit\u00e4t farblos, aber in verschiedenen Helligkeiten, die in Beziehung auf die Helligkeit eines unter den gleichen Umst\u00e4nden wahrgenommen en Weifs gemessen werden k\u00f6nnen. Bestimmt man nun nach der auf diesem Verhalten fufsenden zweiten Methode1 * * die Weifswerte mehrerer farbiger Lichter, welche bei gleichzeitiger Einwirkung auf eine und dieselbe Stelle der im gew\u00f6hnlichen Zustande befindlichen (d. h. nicht an Dunkel adaptierten) Netzhaut eine Weifsempfindung zur Folge haben, so gilt der von Hillebrand (Wien. Ber. 98. 1889. HI. S. 116) \u201edurch eine sehr sorg f\u00e4hige Versuchsreihe erwiesene4 (Hering) ganz dem obigen zweiten Hsssschen Satze entsprechende Satz, dafs die Weifsempfindung, weiche eine Kombination farbiger Lichter bei gew\u00f6hnlichem Zustande der Netzhaut hervorruft, gleich ist der Weifsempfindung, welche der Summe der Weifswerte dieser Lichter entspricht. Die Erkl\u00e4rung dieses Satzes und der Thatsache, dafs \u00fcberhaupt dem Dunkelauge die verschiedenen Farben bei gen\u00fcgender Abschw\u00e4chung ganz farblos erscheinen, bereitet der Annahme antagonistischer Valenzen nichts weniger als Schwierigkeiten, *ie hier, wo die Anschauungen Herings als bekannt vorausgesetzt werden, nicht erst ausgef\u00fchrt zu werden braucht. Ganz anders hingegen die Komponententheorie. Schon die einfache Thatsache, dafs dem Dunkel auge die farbigen Lichter bei schwachen Intensit\u00e4ten farblos erscheinen, kann vom Standpunkte dieser Theorie aus nur dann erkl\u00e4rt werden, wenn nrnn dieselbe wesentlich modifiziert, etwa in der oben angegebenen Weise zwei Arten der Erweckung des Weifsprozesses annimmt, erstens ein Entstehen desselben durch positives Zusammenwirken chromatischer Valenzen und zweitens eine Erweckung desselben durch Weilsvalenzen, die den Lichtern neben ihren chromatischen Valenzen noch zukommen. \\fqg man aber auch die Komponententheorie in der soeben angedeuteten oder irgend einer anderen Weise modifizieren, so bleibt sie, wie nicht weiter ausgef\u00fchrt zu werden braucht, dennoch unf\u00e4hig, eine befriedigende einfache Erkl\u00e4rung f\u00fcr die G\u00fcltigkeit des obigen HiLLEBRANDschen Satzes\nzu geben.\nIm vorstehenden ist vorausgesetzt worden, dafs die strenge G\u00fcltig keit des HiLLEBRANDschen Satzes \u00fcber allen Zweifel erhaben sei. Nach den Thatsachen und Gesichtspunkten, welche von Kries (diese Zeitschrift Bd. IX. S. 81 ff.) neuerdings geltend gemacht hat, kann man indessen eine Be vision des auf diesen Satz bez\u00fcglichen Thatbestandes f\u00fcr w\u00fcnschenswert\n1 Die erste Methode der Bestimmung der Weifsvalenzen ist die oben\n(S. 327 f.) erw\u00e4hnte, welche auf der Farbenblindheit der peripherischen\nNetzhautzonen beruht.","page":330},{"file":"p0331.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n331\n\u00ab\nhalten. Auch erscheint die von Hillebrand angewandte Methode einer\n\u2022 \" _\nVersch\u00e4rfung nicht unzug\u00e4nglich. Unter diesen Umst\u00e4nden darf auf den HiLLEBRANDSchen Satz nicht das gleiche Gewicht gelegt werden, wie auf die beiden Hsssschen S\u00e4tze, die (nur f\u00fcr das an das Helle adaptierte Auge aufgestellt und erprobt), wie wir Sp\u00e4ter sehen werden, mit dem wirklich Thats\u00e4chlichen. was von Kries vorgebracht hat, v\u00f6llig vereinbar sind. Es erschien uns aber wichtig, bei dieser Gelegenheit die Bedeutung in Erinnerung zu bringen, welche dem von den Gegnern der Herings ch en Theorie bisher fast ohne Ausnahme und ohne Angabe von Gr\u00fcnden ignorierten HiLLEBBANDschen Satze eventuell zukommt.\n\u00a7 17. Die Annahme antagonistischer Valenzen findet eine St\u00fctze in dem Eintreten der negativen Nachbilder, sowie in dem Bestehen der Hegel, *dafs mit einer Sch\u00e4digung der Rot- oder Gelberregbarkeit eine entsprechende Sch\u00e4digung der Gr\u00fcn- bezw. Blauerregbarkeit verbunden ist, und umgekehrt.\nEin wesentlicher Vorzug der Annahme der antagonistischen Valenzen besteht ferner darin, dafs sie, wie allerdings erst im nachfolgenden (\u00a721 und 27) n\u00e4her gezeigt werden wird, das Eintreten der negativen Nachbilder ohne jede weitere H\u00fclfs-hypothese (lediglich auf Grund der G\u00fcltigkeit des Gesetzes der chemischen Massenwirkung) erkl\u00e4rt und \u00fcberdies auoh als eine zweckm\u00e4fsige Einrichtung erscheinen l\u00e4fst. Von keiner Form der Komponententheorie kann das Gleiche behauptet werden. \u2014\nEndlich bieten die Erscheinungen der Farbenschw\u00e4che und Farbenblindheit noch in einer ganz anderen Weise, als in \u00a7 16 geltend gemacht worden ist, der Annahme antagonistischer Valenzen eine St\u00fctze. Wie bekannt, gilt nicht blofs bei der peripherischen, sondern auch bei der individuellen Farbenblindheit oder Farbenschw\u00e4che die Regel, dafs mit dem Fehlen oder Herabgesetztsein der Roterregbarkeit zugleich ein Fehlen bezw. Herabgesetztsein der Gr\u00fcnerregbarkeit verbunden ist, und umgekehrt, und dafs, wo die Blauerregbarkeit verringert oder ganz aufgehoben ist, sich auch eine entsprechende Sch\u00e4digung der Gelberregbarkeit findet, und umgekehrt. Nach der Annahme antagonistischer Valenzen begreift sich dieses Verhalten ganz ohne weiteres. Denn, wenn wirklich der Rotprozefs und der Gr\u00fcnprozefs \u2014 das Entsprechende gilt von dem Gelb- und dem Blauprozesse \u2014 Vorg\u00e4nge entgegengesetzter Art sind, d. h. Vorg\u00e4nge, die sich an den gleichen Substraten in entgegen-","page":331},{"file":"p0332.txt","language":"de","ocr_de":"332\nG. E. M\u00fcller.\n\ngesetzter Richtung vollziehen, so versteht es sich ganz von selbst, dftfs bei v\u00f6lligem Fehlen oder d\u00fcrftigem Vorhandensein jener Substrate mit der Roterregbarkeit zugleich auch die Gr\u00fcnerregbarkeit ausfallt oder herabgesetzt ist, und umgekehrt. Nun steht es allerdings fest, dafs viele F\u00e4lle von Farbenschw\u00e4che und Farbenblindheit nicht auf einer Funktionsst\u00f6rung der lichtempfindlichen Netzhautschicht, sondern auf einer Sch\u00e4-digung oder Schw\u00e4che des nerv\u00f6sen Teiles des Sehorganes beruhen.1 2 Bedenken wir aber, dafs entgegengesetzten Netzhautprozessen auch entgegengesetzte Wirkungen im Sehnerven entsprechen m\u00fcssen, dafs also ebenso wie der Rotprozefs und Gr\u00fcnprozefs auch die Roterregung und Granerregung Vorg\u00e4nge sind, die an gleichen Substraten durch Kr\u00e4fte entgegengesetzter Art hervorgerufen werden, so begreift es sich leicht, dafs auch in denjenigen F\u00e4llen von St\u00f6rung des Farbensinnes, welche auf Ver\u00e4nderung irgend eines nerv\u00f6sen Teiles des Sehorganes beruhen, die oben erw\u00e4hnte Regel gilt.\nAus der Annahme antagonistischer Valenzen l\u00e4fst sich also das Bestehen der obigen Regel ohne weiteres ableiten. Hingegen gilt nicht das Gleiche von der Komponententheorie. Wie nicht erst weiter ausgefuhrt zu werden braucht, vermag die letztere dem Bestehen obiger Regel nur mittelst besonderer,\nerzwungener H\u00fclfshypothesen gerecht zu werden. \u2014\nF\u00e4lle von Farbenblindheit, welche sich auch bei einer mit voller Sorgfalt und Sachkenntnis angestellten Untersuchung als zu obiger Regel nicht stimmend erweisen, k\u00f6nnen darauf beruhen, dafs der Zutritt gewisser Lichtarten zur lichtempfindlichen Netzhautschicht durch eine abnorm starke Pigmentierung der Macula lutea oder der Augenlinse oder durch pathologische Vorg\u00e4nge, welche in den vor den lichtempfindlichen Apparaten befindlichen Netzhautschichten stattgefunden haben,1 bedeutend erschwert ist. Oder es k\u00f6nnen infolge pathologischer oder sonstiger anomaler Vorg\u00e4nge Stoffe in der lichtempfindlichen Netzhautschicht vorhanden sein, welche die in letzterer ein tretenden Wirkungen (und Nachwirkungen) gewisser Lichtstrahlen beeintr\u00e4chtigen oder modi-\n1\tMan vergleiche hier\u00fcber z. B. die Darlegungen von Stbffan im Arch. f. Ophthalm. 27. 2. S. 1 ff.\n2\tDafs manche der sog. positiven Skotome in pathologisch entstandenen Tr\u00fcbungen der vor den lichtempfindlichen Apparaten befindlichen Netzhautschichten ihren Grund haben, scheint sich in der That aus den Untersuchungen von Treitel (Arch. f. Ophthalm. 31. 1. S. 259 ff.) zu ergeben. Nat\u00fcrlich k\u00f6nnen solche Tr\u00fcbungen je nach ihrer Entstehungsart und Beschaffenheit die Durchl\u00e4ssigkeit der betreffenden Netzhautschichten bald mehr f\u00fcr diese, bald mehr f\u00fcr jene Lichtarten beeintr\u00e4chtigen.","page":332},{"file":"p0333.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n333\nfixieren, oder noch andere derartige leicht konstruierbare Ursachen im Spiele sein. Dafs solche rein zentral bedingte St\u00f6rungen des Farbensinnes, wie sie z. B. bei der Hysterie und in der Hypnose Vorkommen oder vorzukommen scheinen, sich der obigen Regel nicht zu f\u00fcgen brauchen, bedarf nicht erst weiterer Ausf\u00fchrung.\nMan ist indessen bisher, infolge von Nichtbeachtung wichtiger (im wesentlichen in den. Darlegungen Herings enthaltener) Gesichtspunkte, mit der Statuierung von F\u00e4llen von Farbenblindheit, welche zu der obigen Regel nicht in Einklang zu bringen seien, allzuschnell bei der Hand gewesen. Zu den Umst\u00e4nden, welche bei der Deutung der an einem Farbenblinden oder Farbenschwachen erhaltenen Resultate leicht irref\u00fchren k\u00f6nnen, geh\u00f6rt z. B. die Thatsache, dafs die Weifsvalenzen der verschiedenen Spektralfarben sehr verschiedene Werte besitzen. Denkt man sich z. B. ein Individuum, welches gelbblaublind und sehr rotgr\u00fcnschwach, aber von normaler Weifserregbarkeit ist, so erscheint es leicht m\u00f6glich, dafs von demselben das mit einer nur sehr schwachen Weifsvalenz begabte Spektralrot noch mit einer deutlichen Beimischung von Rot gesehen werde, w\u00e4hrend das durch eine starke Weifsvalenz ausgezeichnete Spektralgr\u00fcn gar keine Spur von Gr\u00fcn erkennen l\u00e4fst, weil eben der schwache Grtinprozefs gegen den gleichzeitigen starken Weifsprozefs ganz zur\u00fccktritt. Man hat alsdann einen Fall, wo scheinbar von allen Farbenempf\u00e4nglichkeiten im Gegens\u00e4tze zu obiger Regel nur noch die Roterregbarkeit erhalten ist, w\u00e4hrend in Wirklichkeit der Sachverhalt ganz regul\u00e4rer Art ist und die Gr\u00fcnerregbarkeit noch im gleichen Grade besteht, wie die Roterregbarkeit. Denken wir uns ein Individuum, dessen Rotgr\u00fcnsinn und dessen Gelb lausinn in sehr hohen Graden herabgesetzt sind, so erscheint es leicht m\u00f6glich, dafs dasselbe zwar unter g\u00fcnstigen Umst\u00e4nden noch die Farben Rot, Gelb und Blau wahrnehme, aber Gr\u00fcn wegen seiner hohen Weifsvalenz nicht in seiner Farbe erkenne. Auch dieser Fall ist ein solcher, der nur scheinbar der obigen Regel widerspricht.1 Ganz allgemein ist Folgendes zu sagen: Wenn ein Fall von Farbensohw\u00e4che oder Far benblindheit vorliegt, in welchem der Anschein vorhanden ist, dals die Erregbarkeiten f\u00fcr zwei antagonistische Valenzen nicht in gleichem Grade herabgesetzt seien, so hat man behufs Gewinnung eines sicheren Urteiles dar\u00fcber, ob der Fall regul\u00e4rer oder irregul\u00e4rer Art sei, die verschiedenen Sondervalenzen jeder bei den Versuchen benutzten Farbe sorgf\u00e4ltig in Rechnung zu setzen und zuzusehen, ob jener Anschein nicht lediglich dadurch be.\n1 Von der hier erw\u00e4hnten Art ist z. B. der von Stepp an (Arch. f. Ophthalm. 27. 2. S. 11 ff.) beschriebene und irrt\u00fcmlich als in Widerspruch zu Herings Theorie stehend aufgefafste Fall. Der Farbensinn des Patienten beschr\u00e4nkte sich darauf, dafs Rot, Gelb und Blau erkannt wurden, wenn dieselben entweder auf hellweifsem Grunde oder in grofsen hell beleuchteten Fl\u00e4chen vorgehalten wurden. Der Einflufs des hellweifsen Grundes erkl\u00e4rt sich, beil\u00e4ufig bemerkt, daraus, dafs derselbe durch Kontrastwirkung dazu diente, die WeifsValenzen der beobachteten Farben weniger zur Geltung kommen zu lassen. Aber f\u00fcr Gr\u00fcn blieb die Weilsvalenz auch unter diesen Umst\u00e4nden noch zu \u00fcberm\u00e4chtig im Vergleich zur Gr\u00fcn valenz.","page":333},{"file":"p0334.txt","language":"de","ocr_de":"334\nG. E. M\u00fcller,\nwirkt sei, dafs man jene beiden Valenzen in ungleichen St&rkegraden oder in verschiedener Begleitung durch andere Valenzen hat auf die Netzhaut ein wirken lassen. Hierbei hat man dann unter Umst\u00e4nden auch etwas feinere Fragen zu ber\u00fccksichtigen, z. B. die Frage, ob die Beimischung einer schwachen Bot- oder Gelberregung zu einer Kombination von Weifs- und Schwarzerregung gleich gut erkennbar sei, wie die Beimischung einer gleich intensiven Gr\u00fcn-, bezw. Blauerregung zu der gleichen Kombination von Weifs- und Schwarzerregung.\nL\u00e4fst man sich vollends auf die Benennungen ein, welche die Farbenblinden oder Farbenschwachen den vorgef\u00fchrten Farben zu teil werden lassen, so ist die Zahl der Gesichtspunkte und M\u00f6glichkeiten, die in Betracht kommen, kaum zu ersch\u00f6pfen. Wir begn\u00fcgen uns damit, beispielshalber nur eine dieser M\u00f6glichkeiten zu erw\u00e4hnen. Angenommen, es sei ein Individuum gegeben, dessen Botgr\u00fcnsinn nur schwach ist, w\u00e4hrend der Gelbblausinn in Vergleich dazu noch betr\u00e4chtlich ist, so ist es leicht m\u00f6glich, dafs dasselbe bei Betrachtung des Sonnenspektrums die roten Spektralfarben als gelb, hingegen die Gegend des spektralen Urgr\u00fcn als gr\u00fcn bezeichne, obwohl die vorhandene St\u00f6rung des Farbensinnes von v\u00f6llig regul\u00e4rer Art ist. Denn die roten Spektralfarben erscheinen einem solchen Patienten infolge ihrer Gelbvalenz vorwiegend gelblich und werden daher von demselben (wenn er nicht zuvor dahin erzogen und angewiesen worden ist, zwischen den verschiedenen T\u00f6nen des Gelblichen bei seinen Benennungen scharf zu unterscheiden) ganz naturgem\u00e4fs als gelb bezeichnet. Das spektrale Urgr\u00fcn wird gem\u00e4fs seiner hohen Weifsvalenz von dem Patienten weifslich oder graulich mit einem Stich ins Gr\u00fcnliche gesehen. Da nun aber die Farbigkeit einer Empfindung im allgemeinen die apperzeptive Aufmerksamkeit mehr auf sich zieht, als die Weifslichkeit oder Graulichkeit (wie man sich an stark weifslichen Nuancen verschiedener Farben, z. B. des Lila und Bosa, leicht \u00fcberzeugen kann), so kann es leicht geschehen, dafs der Patient das spektrale Urgr\u00fcn und seine n\u00e4chste Umgebung unbedenklich als gr\u00fcn bezeichnet. Die M\u00f6glichkeit hiervon erscheint noch gr\u00f6fser, wenn wir bedenken, dafs in dem Patie\u00fcten durch den Anblick der \u00fcbrigen, ausgepr\u00e4gter farbig erscheinenden, Teile des Sonnenspektrums (und unter Umst\u00e4nden auch durch seine Kenntnis des normalen Aussehens des Sonnenspektrums und durch noch andere Faktoren) eine mehr oder weniger starke Tendenz erweckt wird, auch den Eindruck der Gegend des spektralen Urgr\u00fcn als einen farbigen und mit einem Farbennamen zu bezeichnenden aufzufassen.1\nDie Vorsicht, die durch die hier angedeuteten Gesichtspunkte bei der Untersuchung von St\u00f6rungen des Farbensinnes und bei der Deutung der bei solchen Untersuchungen erhaltenen Besultate geboten erscheint,\n1 Nat\u00fcrlich wird es gelegentlich auch Vorkommen, dafs ein Patient der oben angegebenen Art die Gegend des spektralen Urgr\u00fcn als grau (oder weifs) Dezeichnet, weil ihm die geringe Farbigkeit desselben (z. B. infolge einer geringen Empf\u00e4nglichkeit f\u00fcr den Gemhlswert der Farben) keinen besonderen Eindruck macht und er \u00fcberhaupt nicht gewohnt ist, zwischen den verschiedenen Arten des Graulichen fein zu unserscheiden.","page":334},{"file":"p0335.txt","language":"de","ocr_de":"Zur P8ychophysik der Gesichtsempfindungen.\n335\nist, wie schon angedeutet, bisher nur allzu oft unterlassen worden. Selbst Ebbinghaus (idiese Zeitsehr. Bd. V. S. 219) ist der Versuchung unterlegen, einen von Hering (Arch. f. Ophthalm. 86. 8. S. 10 ff.) berichteten Fall einseitiger St\u00f6rung des Farbensinnes, in welchem die Patientin mit dem erkrankten Auge in einem Spektrum von m\u00e4fsiger Helligkeit nur die drei Farben Gelb, Gr\u00fcn und Blau zu sehen behauptete, f\u00fcr einen Fall zu erkl\u00e4ren, welcher, vom Standpunkte der HKRiNGsohen Theorie aus betrachtet, irregul\u00e4rer Art sei. Unseres Erachtens liegt aber nicht der geringste Anlafs vor, diesen Fall anders aufzufassen, als ihn der Beobachter des Falles aufgefafst hat, welcher zu dem Resultat kommt, dafs in diesem Falle der Sinn f\u00fcr Rot und der Sinn f\u00fcr Gr\u00fcn in gleichem Grade herabgesetzt seien. Denn, als das Gesichtsfeld eines kleinen, mit einem Spektralapparate verbundenen Fernrohres nacheinander mit verschiedenen homogenen Lichtern erleuchtet wurde, bezeichnete die nur mit dem erkrankten Auge beobachtende Patientin nach den Mitteilungen Herings (8. 16) ein Licht von 630 pp mittlerer Wellenl\u00e4nge als gelbrot oder mennigrot, Licht von 600 pp als orange und Lichter zwischen 600\u2014490 pp (Gegend des Urgr\u00fcn) bald als grau, bald als gr\u00fcnlich grau. Grofse rote Papierfl\u00e4chen wurden laut Herings Mitteilung (S. 16 f.) von dem erkrankten Auge auch bei geringer S\u00e4ttigung noch richtig in ihrer Farbe erkannt, und (S. 19) eine sattrote (keine Gelbvalenz enthaltende) Scheibe wurde von demselben Auge noch in einem Abstande von 12,2\u00b0 vom Fixati on spunk te richtig als rot erkannt.* 1 Wir verm\u00f6gen hiernach nicht zu erkennen, worauf man die Ansicht von einer Irregularit\u00e4t dieses Falles zu st\u00fctzen verm\u00f6ge. Dafs die Behauptung der Versuchsperson, im Spektrum nur Gelb, Gr\u00e4n und Blau wahrzunehmen, eine St\u00fctze f\u00fcr diese Ansicht nicht abzugeben vermag, braucht nach dem oben Ausgef\u00fchrten nicht weiter dargelegt zu werden, zumal da die soeben erw\u00e4hnten Beobach tu ngen, bei denen die verschiedenen Teile des Sonnenspektrums nacheinander zur Einwirkung auf das kranke Auge gebracht und von der Patientin benannt wurden, ganz deutlich zeigen, dafs die gelblich empfundenen roten Spektrallichter genau so mit einem Stich ins R\u00f6tliche empfunden wurden, wie die (zuweilen nur als grau bezeichnete !) graulich erscheinende Gegend des spektralen Urgr\u00fcn einen Stich ins Gr\u00fcnliche besafs.\nEbensowenig, wie den soeben er\u00f6rterten Fall von Farbenblindheit, verm\u00f6gen wir den von Hess (Arch. f. Ophthalm. 86.3. S. 24 ff.) beschriebenen Fall halbseitiger Farbensinnst\u00f6rung und den von Steffan beobachteten, schon auf S. 333 von uns charakterisierten Fall mit Ebbinghaus als solche\nAlsdann wird der Patient behaupten, im Sonnenspektrum nur Gelb, Grau und Blau wahrzun eh men, obwohl sein Rotgr\u00fcn sinn noch keineswegs v\u00f6llig erloschen ist, wie sich z. B. durch Versuche mit einem gar keine Gelbvalenz und eine m\u00f6glichst schwache Weifsvalenz besitzenden Rot leicht nachweisen lassen w\u00fcrde.\n1 Mit diesen Mitteilungen Herings vergleiche man die unglaubliche Behauptung von Wundt (Grundz\u00fcge der physiol. Psychol. 1893. 1. S. 610), dafs in dem hier in Rede stehenden, von Hering beobachteten Falle \u201evollst\u00e4ndige Rotblindheit\u201c bestanden habe, w\u00e4hrend die Empfindlichkeit f\u00fcr Gr\u00fcn nur vermindert gewesen sei.","page":335},{"file":"p0336.txt","language":"de","ocr_de":"336\nG. E. M\u00fcller.\nanzuerkennen, die auf Grund der vorliegenden Mitteilungen f\u00fcr F\u00e4lle irregul\u00e4rer Art zu erkl\u00e4ren seien. Der Raumersparnis halber d\u00fcrfen wir uns wohl nach den vorstehenden Ausf\u00fchrungen von einer besonderen Rechtfertigung dieser Behauptung dispensieren.\nBei Kirschmann (Wundts Philos. Stud. 8. 1893. S. 229) findet sich gleichfalls die Bemerkung, dais gegen die Ansicht Herings, nach welcher das Fehlen einer Qualit\u00e4t in der Empfindungsreihe notwendigerweise auch den Verlust der Komplement\u00e4rfarbe mit sich bringe, auch der von Hering selbst berichtete Fall einseitiger Farbensinnst\u00f6rung spreche, \u00bbwo im Spektrum bei grofser Helligkeit zwar nur die Farben Gelb und Blau, bei geringer Helligkeit aber Gelb, Gr\u00fcn und Blau gesehen wurden\u201c. Die (mehrfach Mifsverst\u00e4ndnis oder Unkenntnis der HsRiKoschen Ausf\u00fchrungen und Anschauungen verratenden) Untersuchungen, welche Kirschmann selbst \u00fcber die individuelle und peripherische Farbenblindheit angestellt hat, zeigen, sowohl in ihrer ganzen Methodik, als auch in der Art des Schl\u00fcsseziehens, nicht im entferntesten eine gen\u00fcgende Ber\u00fccksichtigung der oben angedeuteten und anderer Gesichtspunkte. Es ist daher kein Wunder, dafs Kirschmann zu einer Reihe von S\u00e4tzen gelangt ist, die zu den von Hering und seinen Sch\u00fclern erhaltenen Ergebnissen nicht in Einklang stehen.\n\u00a7 18. Beispiele entgegengesetzter photochemischer Wirklingen verschiedener Lichtarten.\nMit Vorstehendem schliefst unsere Darlegung der gegen die Komponententheorie und f\u00fcr die Annahme antagonistischer Valenzen sprechenden Beweisgr\u00fcnde. Dafs diese Darlegung vollst\u00e4ndig sei, wird hier nicht im mindesten behauptet,1 wohl aber, dafs sie dazu gen\u00fcge, den im Nachstehenden gemachten Versuch einer weiteren Verfolgung der letzteren Annahme als wissenschaftlich geboten erscheinen zu lassen. In erster Linie wird es sich f\u00fcr uns im Nachstehenden darum handeln m\u00fcssen, das Wesen des Gegensatzes, den wir zwischen je zweien der sechs retinalen Grundprozesse und je zweien der vier chromatischen Valenzen annehmen, n\u00e4her zu erl\u00e4utern. Ehe wir\n1 So kann man z. B. unschwer aus dem Inhalte von \u00a7 31 und \u00a7 32 zwei neue Beweisgr\u00fcnde f\u00fcr die Annahme antagonistischer Valenzen ableiten. Ferner kann man daran denken, auch auf den Gesichtspunkt zur\u00fcckzugreifen, der dem Einwande zu Grunde liegt, den Hering auf S. 36f. seiner \u201eKritik einer Abhandlung von Ponders\u201c gegen die Komponententheorie erhoben hat. Eine Ver\u00f6ffentlichung der Versuchsresultate, auf welche Hering in dieser Auslassung hindeutet, erscheint uns durchaus erw\u00fcnscht. Einstweilen soll von einer Verfolgung dieses Gesichtspunktes abgesehen werden.","page":336},{"file":"p0337.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychopkysik der Ghsichtsempfmdungen.\n337\ndazu \u00fcbergehen, mag indessen hier einleitenderweise daran erinnert werden, dafs die Annahme, es k\u00f6nnten die photochemischen W irkungen verschiedener Lichtarten in einem antagonistischen Verh\u00e4ltnisse zu einander stehen, keineswegs etwas Unerh\u00f6rtes, sondern vielmehr eine Annahme ist, f\u00fcr die sich zahlreiche Beispiele aus der Praxis der experimentierenden Naturwissensohaft und Teohnik anf\u00fchren lassen. So berichtet z. B. B. Ed. Liesegang (Photagr. Arch. No. 668. April 1891. S. 117) unter Bezugnahme auf Herings Theorie \u00fcber folgenden Versuch: \u201eEine Silberplatte wurde mit Chlorsilber \u00fcberzogen und dieses am Lichte violett gef\u00e4rbt. Sie wurde mit einer reinen Silberplatte in ein Glasgefafs mit sehr verd\u00fcnnter Schwefels\u00e4ure gestellt, und die beiden Platten durch ein Galvanometer verbunden. Bestrahlte man nun die Silberchlor\u00fcrschicht mit blauem Lichte, so wurde die Platte positiv, bei Bestrahlung mit rotem negativ. Intensives rotes und schwaches blaues Licht, gleichzeitig auf die Platte geworfen, konnte sich in seinen Wirkungen aufheben.\u201c \u00abFerner ist festgestellt, dafs Guajak durch violette Strahlen unter Oxydation gebl\u00e4ut, durch rote unter Reduktion gelb gef\u00e4rbt wird. Und wenn auch die Behauptungen von Chastaing (Ann. de chim. et de phys. S\u00e9rie 5. T. 11. 1877. S. 145 ff.), welcher einen photochemischen Antagonismus zwischen den brechbareren und weniger brechbaren Lichtstrahlen in weitem Umfange nachgewiesen zu haben glaubt, und \u00e4hnliche Ansichten fr\u00fcherer Forscher (z. B. Davy) zum Teil nicht haltbar sind, so l\u00e4fst sich doch \u201eim allgemeinen sagen, dafs das rote Licht auf metallische Verbindungen meistens oxydierend, das violette Licht hingegen meistens reduzierend wirkt4.1 Auch das Ergebnis, zu welchem E. Wiedemann und G. C. Schmidt (Wiedemanns Ann. 56. 1895. S. 225 f.) hinsichtlich der durch infrarote Strahlen bewirkbaren Ausl\u00f6schung der durch Kathoden-, Licht- oder Entladungsstrahlen erzeugten F\u00e4higkeit zu thermo-luminiszieren gelangt sind, mag hier angef\u00fchrt werden : \u201eUnter dem Einfl\u00fcsse der erregenden Strahlen entstehen aus dem urspr\u00fcnglichen K\u00f6rper A andere K\u00f6rper B mit Absorptionsbanden, die von denen des urspr\u00fcnglichen K\u00f6rpers abweichen\n1 Man vergleiche Eder, Am f\u00fchrt Handb. d. Photogr. 2. \u00c2ufl. I. 1. S. 160 ff. (wo mehrfache Beispiele von photochemischem Antagonismus verschiedener Lichtstrahlen an gef\u00fchrt sind) und S. 180; Ostwald, Lehrb. d. a\u00fcgem. Chemie. 1893. 2. 8. 1085; Nernst, Theoretische Chemie. 8. 672.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie X.\t22","page":337},{"file":"p0338.txt","language":"de","ocr_de":"338\nG, E* M\u00fctter.\ntrad im Infrarot liegen; Strahlen, welche den Absorptionsbanden im K\u00f6rper B entsprechen, bedingen die R\u00fcckverwandlung von B in die urspr\u00fcngliche Substanz.u\t.\t>\nWill man in Hinblick auf die Zwei- oder Dreizahl der Sondervalenzen, die wir einer und derselben Lichtart zu\u00bb sohreiben, auch daf\u00fcr Beispiele aus der experimentellen Physik \u2022 oder Technik angef\u00fchrt haben, dafs eine und dieselbe Lichtart bei Einwirkung auf ein aus mehreren Stoffen zusammengesetztes System entsprechend den verschiedenen Bestandteilen dieses Systems gleichzeitig und nebeneinander verschiedene photoohemische Vorg\u00e4nge hervorrufen k\u00f6nne, so vergleiche man Eder, a. a. O. S. 247\u2014260, oder auch H\u00e4nkbls Untersuchungen \u00fcber photoohemische Str\u00f6me [Wiedemanns Ann. 1. 1877. S. 402 ff, insbesondere S. 416 ff).\nWenn wir endlich eine Rotvalenz nicht blofs den roten, sondern auch den violetten Strahlen zusohreiben, so findet auch dies seine Analogie in zahlreichen durch die physikalische und photographische Forschung festgestellten F\u00e4llen, wo diejenigen Strahlen, welche eine bestimmte photochemische Ver\u00e4nderung einer gegebenen Substanz \u00fcberhaupt hervorrufen oder eine solche Ver\u00e4nderung mit maximaler Ausgiebigkeit bewirken, zwei verschiedenen, von einander getrennten Regionen des Sonnenspektrums \" angeh\u00f6ren (Beispiele z. B. bei Eder, a. a. O.S. 168, 161, 268 unten).\n*\t9\nt *\nI\n\u2666 ,\nKapitel 3.\nTheorie der Netzhantprozesse.\n\u2666\nI\t4\t4\n\u00a7 19. Antagonistische Netzhautprozesse als entgegengesetzte chemische Reaktionen.\n\u201eMan war fr\u00fcher wohl h\u00e4ufig der Meinung, dafs die umkehrbaren Reaktionen zu den Ausnahmen geh\u00f6ren, oder dafs man zwei verschiedene Klassen von Reaktionen zu unterscheiden habe, die umkehrbaren und die nicht umkehrbaren; allein eine derartige scharfe Grenze existiert durchaus nicht, und es kann keinem Zweifel unterliegen, dafs es sich bei geeigneter Versuchsanordnung immer wird erreichen lassen, dafs eine Reaktion","page":338},{"file":"p0339.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Pmfchophysik der Gtsichtecmpfindungen.\n339\nbald in der einen, bald in der entgegengesetzten Sichtung vor sich geht, d. h., dafs im Prinzip jede Reaktion umkehrbar ist4 (Nbrnst, a. a. O. S. 342). In Hinblick auf diesen Sachverhalt fassen wir den Antagonismus, der zwischen je zweien der retinalen Grundprozesse besteht, als den Gegensatz auf, der zwischen zwei chemischen Reaktionen besteht, von denen die eine die Umkehrung der anderen ist.\nEs bestehe also z. B. eine W-Reaktion (Weifsreaktion), ganz allgemein ausgedr\u00fcckt, darin, dafs a Molek\u00fcle eines Stoffes A und ft Molek\u00fcle eines Stoffes B und y Molek\u00fcle eines Stoffes G u. s. w. zusammentreten, um a! Molek\u00fcle eines Stoffes A*} ft* Molek\u00fcle eines Stoffes B', y* Molek\u00fcle eines Stoffes G* u. s. w. zu bilden. Alsdann besteht eine ^Reaktion (Schwarzreaktion) darin, dais a* Molek\u00fcle des Stoffes A*, \u00dfi Molek\u00fcle des Stoffes B4 u. 8. w. zusammen treten, um a Molek\u00fcle des Stoffes Ay\u00df Molek\u00fcle des Stoffes B u. s. w. zu bilden. Es gilt also die Reaktionsgleichung .\t.\naA + \u00dfB + yC. .. a* A\u2018 + ft* B* +y* C*.............. (1)\nGeht die Umwandlung im Sinne dieser Reaktionsgleichung von links nach rechts vor sich, so ist eine TP-Reaktion gegeben. Geht sie von rechts nach links vor sich, so handelt es sich um eine. ^-Reaktion.\nt\t* *\n<\t4\t.\t1\t\u00ab I\nGanz dahingestellt bleibt hier, welche Kompliziertheit die W- und die ^-Reaktionen besitzen, wie grofs also die Zahl der Glieder auf der rechten und auf der linken Seite der Gleichung ist, und welche Werte den Koeffizienten a, a\\ ftf ft* u. 8. w. (die selbstverst\u00e4ndlich immer kleine ganze Zahlen sind) zukommen. Die in der betrachteten Schicht vorhanden\u00ebn Molek\u00fcl\u00e8 von den Arten A, B, C... oder A', B', <7. .. sollen z\u00f9sainmen-genommen kurz als das vorhandene IF-Material, bezw. ^-Material bezeichnet werden. Als einzelne betrachtet, werden die Stoffe A, B, C... oder A*} B', C*... als die Komponenten des IF-Materiales, bezw. B-Materiales bezeichnet.\nEs sei nun eine lichtempfindliche Sohicht der Netzhaut gegeben, welche in allen ihren Teilen die gleiche Beschaffenheit besitzt (chemisch homogen ist), und ' in welcher sich \" der TFrProzefs mit einer \u00fcberall gleich hohen Intensit\u00e4t und ebenso auch der &-Prozefs mit \u00fcberall gleicher Intensit\u00e4t abspicjlt. Alsdann kann die Intensit\u00e4t /\u00ab, mit welcher sich der TF-Prozefs 22*","page":339},{"file":"p0340.txt","language":"de","ocr_de":"340\nG, E. M\u00fcller.\nw\u00e4hrend des Zeitelementes dt in dieser Schicht abspielt, offenbar gleich der Zahl von TP- Reaktionen gesetzt werden, welche w\u00e4hrend des Zeitelementes dt in einer Schicht der betrachteten Art stattfinden w\u00fcrden, wenn das Volumen derselben der Volumeneinheit gleich w\u00e4re. Nach dem Gesetze der chemischen Massenwirkung1 gilt dann die Gleichung:\nj___A, . qa. bK ct. .. dt\nva + \u00df + Y.* *.\nHier besitzen a, ftf y... die oben angegebene Bedeutung, v ist das Volumen der Schicht, a, 6, c... sind die in der betrachteten Schicht vorhandenen, in Grammmolekeln ausgedr\u00fcckten Massen der Stoffe A, J?, C..und \u00c6\u00bb ist eine von der Temperatur und anderen Faktoren abh\u00e4ngige Konstante, welche ihrer Bedeutung gem\u00e4fs passend als die Geschwindigkeitskonstante des TP-Prozesses bezeichnet wird und die Zahl der W- Reaktionen darstellt, welche sich w\u00e4hrend der Zeiteinheit in einer Schicht der betrachteten Art vollziehen w\u00fcrden, wenn ihr Volumen gleich der Volumeneinheit und in ihr je eine Grammmolekel von den Stoffen A, B} C... vorhanden w\u00e4re.9\nIn gleicher Weise findet sich ftlr die Intensit\u00e4t J\u00c4, mit welcher sich der 5-Prozefs w\u00e4hrend des Zeitelementes dt in\nder betrachteten Schicht abspielt, die Gleichung:\n\u00bb\nm\tr__*a'tt : ^ : C'T : * : ^\nK)\tv\u00ab'+\u00df' + T'...\nwo a', \u00df\\ y*... die obige Bedeutung besitzen, a', b\\ c*\u00ab.. die in Grammmolekeln ausgedr\u00fcokten, in der Schicht vorhandenen Massen der Stoffe A\\ 2?', O... sind, und K, die Geschwindigkeitskonstante des 5-Prozesses darstellt.\n1 Man vergleiche hierzu eventuell Nernst, a. a. 0. S. 340 ff. Da\u00a3s die lichtempfindlichen Schichten der Netzhaut, streng genommen, sowohl aus physikalischen Gr\u00fcnden (vergl. Nsbnst, a. a. O. S. 579), als auch aus physiologischen Gr\u00fcnden nicht als v\u00f6llig homogene chemische Systeme betrachtet werden d\u00fcrfen, ist f\u00fcr das Wesentliche der obigen Entwickelungen v\u00f6llig gleichg\u00fcltig\u00ab\n* Da es sich hier nur um eine theoretische Betrachtung und nicht um die Aufstellung von Formeln handelt, welche zu genauen quantitativen Pr\u00fcfungen verwandt werden sollen, so braucht man die in einer Schicht","page":340},{"file":"p0341.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Oesichteempfindungen.\n341\nDa im Folgenden eine besondere Ber\u00fccksichtigung einzelner Komponenten des TF- oder \u00df-Materials zun\u00e4chst nicht in Frage kommt, so kann man Gleichung (2) und (3) auch in folgender, abgek\u00fcrzter Form benutzen:\nwo\nIw = JK* . 3MW. dt I, = Kt. Jf, . dt\nM.\naa . W. <?*...\nf^\u00bb + P + T- \u2022 \u2022\nund M,\na'*'. b't' .. ff*' Hb \u00df' + Y' \u25a0 \u2022 \u2022\n(4)\n(5)\nzu setzen ist.\nDie Betrachtungen und Formeln, die wir hinsichtlich des W-Prozesses einerseits und ^-Prozesses andererseits entwickelt haben, gelten nun selbstverst\u00e4ndlich in entsprechender Weise auch f\u00fcr den Rotprozefs und Gr\u00fcnprozefs, Gelbprozefs und Blauprozefs. Um die Formeln zu erhalten, die f\u00fcr die Intensit\u00e4ten der chromatischen Netzhautprozesse gelten, hat man in den vorstehenden Gleichungen (2) bis (5) nur die Indices w und s durch die Indices r und \u00ff, bezw. ef und 6 zu ersetzen. Nat\u00fcrlich hat man mit der M\u00f6glichkeit zu rechnen, dafs die f\u00fcr die drei Paare entgegengesetzter Netzhautprozesse g\u00fcltigen Reaktionsgleichungen verschiedene Grade der Kompliziertheit besitzen, daJDs also in Gleiohung (1) die Werte der Koeffizienten Ar - a\\ \u00df'y / \u2022\u2022 \u2022 und die Zahlen der auf der rechten und linken Seite stehenden Glieder verschiedene sind, je nachdem es sioh um W- und S-Prozefs, Br und G-Prozels oder E- und JB-Prozefs handelt.\nvorhandene Intensit\u00e4t eines Netzhautprozesses nicht durch den in Grammen ausgedr\u00fcckten Stoffumsats der betreffenden Art zu definieren, welcher w\u00e4hrend des betrachteten Zeitelementes in der gegebenen Schicht stattfindet (genauer: welcher w\u00e4hrend der Zeiteinheit innerhalb einer der Volum en einheit gleichen Schicht stattfinden w\u00fcrde, wenn die w\u00e4hrend des betrachteten Zeitelementes in der gegebenen Schicht vorhandenen Umst\u00e4nde w\u00e4hrend der Zeiteinheit unver\u00e4ndert in einer der Volumeneinheit gleichen Schicht andauem w\u00fcrden), sondern kann dieselbe in der obigen Weise auch einfach durch die Zahl der stattfindenden Reaktionen von der betreffenden Art definieren* F\u00fcr die psychophysische Er\u00f6rterung ist die letztere Definition geeigneter.\n* Vergl. die Anmerkung 2 auf S. 324.","page":341},{"file":"p0342.txt","language":"de","ocr_de":"342\nG. K Jf\u00f4Jfer.\n\u00a7 20. Die Netzhautprozesse beim Buhezustande. Die Unterschiede des Farbigen und des Farblosen\nin psychophysischer Hinsicht.\nWir ziehen zun\u00e4chst wiederum nur das Verhalten des TF-Prozesses und S-Prozesses in Betracht, indem wir uns dabei auf die obige Beaktionsgleichung (1) beziehen.\nIst eine lichtempfindliche Netzhautschicht jeglicher Beiz-einWirkung entzogen, so werden dennoch in derselben infolge der W\u00e4rmebewegung fortw\u00e4hrend an verschiedenen Punkten a Molek\u00fcle von der Art A und ft Molek\u00fcle von der Art B u. s. w. in der Weise zusammenstofs\u00e9n und in ihrem Best\u00e4nde gel\u00f6st\nwerden, dafs sie als. Substrat einer TF-Beaktion dienen. Und\n\u2022 \u25a0 *\nebenso werden auch fortw\u00e4hrend an einzelnen Stellen der Schicht a Molek\u00fcle der Art A' und ft* Molek\u00fcle der Art B* u. 8. w. in der Weise Zusammentreffen, dafs sie als Substrat einer N-Beaktion dienen. Es wird also in der Schicht trotz der Femhaltung jeglichen Beizes fortw\u00e4hrend sowohl TF-Prozefs als auch $-Prozefs stattfinden.\nt\nNach Gleichung (4) und (6) ist der Intensit\u00e4tsunterschied, der zwischen dem vorhandenen TP-Prozesse und ^-Prozesse besteht, durch folgende Gleichung bestimmt:\n(6)\tIw-I\u00eaf=(Kw.Mw \u2014 K\u00ea.M.)dt\nDie Sichtung und Gr\u00f6fse dieser Differenz Iw \u2014 I, ist in verschiedener Hinsicht von wesentlicher Bedeutung. Gem\u00e4fs der auf S. 339 dargelegten Beziehung zwischen den TF- und /S-Beaktionen l\u00e4uft jede TF-Beaktion auf die* Bildung von ^-Material und jede N-Beaktion auf die Bildung von TF-Material hinaus. Mithin wird, wenn die Differenz I\u201e \u2014 I, positiv ist, in jedem Zeitelemente mehr TF-Material verbraucht als gebildet, hingegen mehr yS-Material gebildet als verbraucht. Ist \u2014 It negativ, so verh\u00e4lt es sich gerade umgekehrt. Ist endlich Jw \u2014 I, gleich 0, so wird in jedem Zeitteilchen ebensoviel IF-Material und \u00c4-Material gebildet wie verbraucht,\nSetzen wir den Fall, es sei in der sich selbst \u00fcberlassenen\n<\nNetzhautschicht anfangs Iw > J#, so wird infolge des Umstandes, dafs mehr TF-Material verbraucht als gebildet wird, das vorhandene TF-Material abnehmen, hingegen das N-Material zu-","page":342},{"file":"p0343.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Peychophysik der Gesichtsempfindungm.\n343\nnehmen, so d&Ts in obiger Gleichung (6) die Gr\u00f6fse Mm sich verringert, hingegen Mt anw\u00e4chst. Infolge hiervon wird die Differenz I* \u2014 4 immer kleiner werden, bis sie schliefslich dem Werte 0 merkbar gleich wird. Entsprechend muis.es sich verhalten, wenn anfangs 4 < 4 ist. Dann wird in Gleichung (\u00c7) die Gr\u00f6fse Mt immer geringer, hingegen J4 immer gr\u00f6fser, bis sohliefslioh der Punkt erreicht wird, wo 4 merkbar gleich 4 ist. Es strebt also eine sich selbst \u00fcberlassene Netzhautschicht, f\u00fcr welche die Differenz 4\u2014 4 zun\u00e4chst einen positiven oder * negativen, endlichen Wert besitzt, mit immer geringer werdender Geschwindigkeit einem Zustande des Gleichgewichts zwischen W- und ^-Reaktionen zu.\nDas Vorstehende bedarf indessen noch einer wesentlichen Erg\u00e4nzung. Es ist daran zu erinnern, dafs eine irgendwie aus dem Gleichgewichtszust\u00e4nde zwischen Wr und S-Reaktionen verschobene Ne tzhautsohioht nach Entfernung der Ursache dieser Verschiebung niemals nur in der Weise jenem Gleichgewichtszustand e wieder zustrebt, dafs ihr Verhalten lediglich durch das Gesetz der chemischen Massenwirkung bestimmt wird. In Wirklichkeit wird ihr Verhalten zugleich mit durch die Wechselwirkung bestimmt, in welcher sie zu den benachbarten .Netzhautteilen und zu dem Blutstrome steht. Wenn wir uns ferner auch noch so sehr bem\u00fchen, alle Reize von unserer Netzhaut abzuhalten, so bleibt dieselbe doch noch allerhand zuf\u00e4lligen Einfl\u00fcssen ausgesetzt, welche von unseren. Augenbewegungen und anderen, inneren Faktoren herr\u00fchren.\nDie obige Differenz 4 \u2014 4 ist aber nicht nur insofern von-Wichtigkeit, als von ihrem Vorzeichen und absoluten Werte die Wirkung abh\u00e4ngt, welche die nebeneinander, stattfindenden TT- und S-Reaktionen f\u00fcr die vorhandenen Mengen von TV- und von. \u00c4-Material haben, sondern ist aufserdem auch noch in direkt psychophysischer Hinsicht von wesentlicher Bedeutung. Wie n\u00e4mlich schon ohne weiteres einleuchten d\u00fcrfte, k\u00f6nnen entgegengesetzte Netzhautprozesse nur mit der Differenz ihrer Intensit\u00e4ten zur Einwirkung auf den Sehnerven kommen. Je nachdem also 4 \u2014 4 positiv oder negativ ist, wird durch die Einwirkung der Netzhautprozesse die endogene Weifserregung der zentralen Sehsubstanz erh\u00f6ht oder verringert und die endogene Schwarzerregung geschw\u00e4cht oder verst\u00e4rkt","page":343},{"file":"p0344.txt","language":"de","ocr_de":"344\nO, E. M\u00fcller.\n(vergl. \u00a76, S. 31). Ist 1w\u2014J, gleich 0, so wird die endogene Erregung der Sehsubstanz durch die W- und ^-Reaktionen der Netzhaut \u00fcberhaupt nicht beeinflufst.\nWie nicht weiter ausgef\u00fchrt zu werden braucht, gelten die in Beziehung auf den W* und S-Prozefs angestellten, vorstehenden Betrachtungen in entsprechender Weise auch f\u00fcr die beiden anderen Paare entgegengesetzter Netzhautprozesse. Ist die Differenz Ir \u2014 It positiv, so entspringt aus den in der betreffenden Netzhautschicht sich abspielenden R- und G-Reaktionen eine Vermehrung des G-Materials und Verminderung des R-Materials und zugleich eine Beeinflussung des Sehnerven von der Art, dafs Roterregung in demselben entsteht. Ist Ir\u2014I, negativ, so wirken die stattfindenden R- und G-Reaktionen im Sinne einer Vermehrung des R-Materiales und Verringerung des G-Materiales und zugleich im Sinne der Enstehung von Gr\u00fcnerregung in den Sehnervenfasern.\nIm wesentlichen besteht zwischen den Netzhautprozessen und Nervenerregungen, welche den farblosen Empfindungen zu Grunde liegen, einerseits und den chromatischen Netzhautprozessen und Sehnervenerregungen andererseits nur in dreifacher Hinsicht ein Unterschied. Erstens besteht in nutritiver Hinsicht ein allerdings durchgreifender Unterschied, von welchem in \u00a7 22 n\u00e4her gehandelt werden wird. Zweitens besteht der Unterschied, dafs wir die Intensit\u00e4t jedes der vier chromatischen Netzhautprozesse direkt durch einwirkendes Licht steigern k\u00f6nnen, w\u00e4hrend wir die Intensit\u00e4t des 5-Prozesses mittelst keinerlei Lichtart direkt erh\u00f6hen k\u00f6nnen, ' sondern uns behufs einer Steigerung dieses Prozesses des Einflusses des Kontrastes bedienen m\u00fcssen. Endlich drittens besteht der Unterschied, dafs die endogene Erregung der zentralen Sehsubstanz im wesentlichen nur aus Weifserregung und Schwarzerregung zusammengesetzt ist, so dafs uns nicht die gelbblauen und rotgr\u00fcnen, wohl aber die grauen Empfindungen bekannt sind, und jede vorhandene Differenz lw\u2014Ia sich nicht sowohl dahin geltend macht, in der SehsubstanzWeifserregung oder Schwarzerregung zu erwecken, als vielmehr dahin, die in der Sehsubstanz vorhandene Weifeerregung und Schwarzerregung in ihren Intensit\u00e4ten zu ver\u00e4ndern. Nat\u00fcrlich soll die Vermutung, dafs die endogene Erregung der Sehsubstanz im Grunde nicht blofs aus Weile-erregung und Schwarzerregung, sondern aufserdem auch noch","page":344},{"file":"p0345.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n345\naus vier chromatischen Erregungen bestehe, dafs aber diese letzteren vier Komponenten im Vergleich zu den beiden ersteren nur sehr schwach seien, durch das soeben Bemerkte keineswegs ausgeschlossen sein. Nur daran mufs festgehalten werden, dafs (wenigstens unter normalen Verh\u00e4ltnissen) jede der vier chromatischen Komponenten der endogenen Erregung der Seh-substanz wegen des starken \u00dcberwiegens der beiden nichtchromatischen Komponenten ein so geringes Gewicht (vergl. \u00a7 5, S. 18) besitzt, dafs sie den Charakter der Gesichtsempfindung, die bei neutraler Stimmung der Netzhaut1 und Niohtbestehen irgendwelcher innerer (z. B. mechanischer) Beizungen der nerv\u00f6sen Sehbahn vorhanden ist, nicht in sicher erkennbarer Weise zu beeinflussen vermag und mithin bei unseren Untersuchungen, wenigstens bis auf weiteres, ganz vernachl\u00e4ssigt werden kann. W\u00e4re die endogene Erregung der Sehsubstanz in gleichem Mafse wie aus Weifserregung und Schwarzerregung auch noch aus Roterregung und Gr\u00fcnerregung zusammengesetzt, so w\u00fcrde derselben eine deutlich rotgr\u00fcne Grauempfindung entsprechen, und die Einwirkung von rotem (gr\u00fcnem) Lichte w\u00fcrde dazu dienen, die B\u00f6tlichkeit (Gr\u00fcnlichkeit) dieser Empfindung zu steigern und die Gr\u00fcnlichkeit (B\u00f6tlichkeit) derselben zu verringern, ganz ebenso wie thats\u00e4chlich die Einwirkung von weifsem Lichte dazu dient, die Weifslichkeit der Empfindung zu erh\u00f6hen und die Schw\u00e4rzlichkeit derselben zu vermindern.\n\u00a7 21. Die Wirkungen der Lichtreize.\nDie positiven und negativen Nachbilder.\nWir setzen den Fall, es wirke weifses Licht auf eine in neutraler Stimmung befindliche Netzhautschicht ein, und fragen uns, welcher Art der Erfolg dieser Lichtwirkung in der betroffenen lichtempfindlichen Schicht sei. Es liegt nahe, in Beantwortung dieser Frage das Folgende zu sagen.\nDurch die Lichteinwirkung wird die Geschwindigkeits-\n1 Bei neutraler Stimmung der Netzhaut sind die drei Differenzen Iw \u2014 L, Ir \u2014 lg und L \u2014 Ib s\u00e4mtlich gleich 0, so dafs der Sehnerv von der Netzhaut her gar keine Beeinflussung erf\u00e4hrt Dafs diese neutrale Stimmung der Netzhaut wegen der zuf\u00e4lligen und unregelm\u00e4fsigen inneren Einfl\u00fcsse (des Blutstromes u. dergl.), denen die Netzhaut fortw\u00e4hrend ausgesetzt bleibt, niemals v\u00f6llig hergestellt werden kann, zeigt das sog. subjektive Eigenlicht des Dunkelauges.","page":345},{"file":"p0346.txt","language":"de","ocr_de":"346\n. G. 2$. M\u00fcller.,.\nkonstante des IF-Prozesses, die Konstante Klobiger Gl\u00e9ichung (4), erh\u00f6ht,1 hingegen 2T\u201e die Geschwindigkeitskonsta\u00fbte des Prozesses, verringert. Denn Licht, welches eine bestimmte Reaktion (z.B. die Zersetzung von Molek\u00fclen einer bestimmten Art) f\u00f6rdert, mufs gleichzeitig die entgegengesetzte Reaktion (die Neubildung von Molek\u00fclen ebenderselben Art) beeintr\u00e4chtigen. Infolge der durch das Licht bewirkten Erh\u00f6hung v\u00f6n und Verringerung von Kt nimmt gem\u00e4fs obiger Gleichung (6) die Differenz I\u00ab\u2014 deren Wert anf\u00e4nglich gleich 0 war, einen positiven Wert an, und demgem\u00e4fs nimmt die Weifslich-keit der Empfindung zu, hingegen die Sohw\u00e4rzlichkeit der* selben ab, wir nehmen ein mehr oder weniger helles, graues\noder weifses Objekt im Sehfelde wahr.\nDas \u00dcberwiegen der TF-Reaktionen \u00fcber die ^Reaktionen, das w\u00e4hrend der Lichteinwirkung stattfindet, ist (trotz der Mitwirkung des Blutstromes) mit einer Abnahme des TF-Materiales und Zunahme des S-Materiales, einer Verringerung der Gr\u00f6fte Mw und Erh\u00f6hung von Mt verbunden. Wird nun die Lichteinwirkung pl\u00f6tzlich beendet, so kehren die Konstanten Z, und Kb wieder zu ihren anf\u00e4nglichen Werten (ihren Ruhe werten) zur\u00fcck. Aber schon bevor sie dieselben v\u00f6llig wieder erreicht haben, m\u00fcssen infolge der durch die vorherige Lichteinwirkung bewirkten Erh\u00f6hung von M, und V eriingerung von -Jf* die S-Reaktionen \u00fcber die IF-Reaktionen \u00fcberwiegen. Kurze Zeit nach Beendigung der Lichteinwirkung besitzt also die Differenz lw\u2014IB einen negativen Wert, die Empfindung ist zu einer vorwiegend schw\u00e4rzlichen geworden, wir beobachten das negative Nachbild des vorher wahrgenommenen weifsen Objektes. Je l\u00e4nger die Betrachtung des letzteren gedauert hat, und je heller dasselbe war, desto mehr mufs bei Aufh\u00f6ren der Betrachtung desselben das ^-Material vermehrt und das TF-Material verringert sein, desto ausgepr\u00e4gter mufs also das negative .Nachbild ausfallen. Und da mit dem Grade der eingetretenen Vermehrung des /S-Materiales und Verringerung des IF-Materiales zugleich die Zeit zunimmt, welche verfliefsen mufs, damit sich das Gleichgewicht zwischen den TF- und den ^-Reaktionen wi cd erh erst eilt, so wird mit der Dauer der Betrachtung des weifsen Objektes und mit der Helligkeit des letzteren zugleich auch die Dauer des negativen. Nachbildes zunehmen.\n1 Man vergleiche eventuell Nkbnst, a. a. O. S. 579.","page":346},{"file":"p0347.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophyeik der Gesichtsempfindungen.\n347\n; Obwohl die vorstehenden Entwickelungen fur das Eintreten und Verhalten der negativen Nachbilder eine befriedigende Erkl\u00e4rung geben, so k\u00f6nnen wir dieselben doch nicht. als gen\u00fcgend ansehen. Denn sie bieten uns weder f\u00fcr das allm\u00e4hliche Anklingen unserer Gesichtsempfindungen, noch fur das allm\u00e4hliche Abklingen derselben, d. h. die positiven Nachbilder, eine Erkl\u00e4rung. Sucht man dem allm\u00e4hlichen Anklingen und Abklingen unserer Gesichtsempfindungen dad\u00fcrch gerecht zu werden, dafs man sagt, die einem gegebenen Lichtreize entsprechende Erh\u00f6hung von Kw und Verringerung von Ka entwickele sich allm\u00e4hlich und klinge nur allm\u00e4hlich ab, so ist dies nur eine nochmalige, etwas mehr mathematisch gehaltene Erz\u00e4hlung der beiden in Bede stehenden Verhaltungsweisen, nicht aber eine reale Erkl\u00e4rung derselben.\nWir erkl\u00e4ren das bei Einwirkung weiisen Lichtes stattfindende allm\u00e4hliche Anklingen des TV-Prozesses in \u00e4hnlicher Weise, wie man gegenw\u00e4rtig in der physikalischen Chemie die photochemische Induktion, d. h. die Thatsache erkl\u00e4rt, \u201edafs h\u00e4ufig das Licht anf\u00e4nglich nur langsam wirkt und er\u00f6t nach einiger Zeit zur vollen Wirksamkeit gelangt\u201c. Man erkl\u00e4rt letztere Thatsache dadurch, dafs das Licht die seiner Einwirkung ausgesetzten chemischen Stoffe nicht unmittelbar in den zur Beobachtung kommenden Endzustand \u00fcberfuhrt, sondern erst einen gewissen Zwischenzustand bewirkt, von dem aus die \u00dcberf\u00fchrung in jenen Endzustand stattfindet.1 Wir nehmen also an, dafs das weifse Licht zun\u00e4chst auf ein gewisses chemisches Material, welches kurz als das AT-Material (Nebenmaterial) bezeichnet werden m\u00f6ge, ein wirkt. Aus diesem Materiale entsteht durch die Lichteinwirkung das TV-Material oder wenigstens ein Teil der Komponenten des TV-Materiales. Diese chemische Umwandlung ist ohne merkbaren Einflufs auf den Sehnerven. Erst wenn sich das TV-Material in S-Material um wandelt, ist ein TF-Prozefs gegeben, der in der fr\u00fcher angegebenen Weise auf den Sehnerven wirkt. Bezeichnen wir mit Im die Intensit\u00e4t jener Umwandlung von AT-Material in TV-Material oder in gewisse Komponenten des TV-Materiales, mit K* die Geschwindigkeitskonstante dieser Umwandlung, und legen wir der Gr\u00f6fse Mn dieselbe Bedeutung in Beziehung auf\n1 Man vergleiche Nernst, a. a. O. S. 575 f., Ostwald, a. a. O. S. 1060 ff.","page":347},{"file":"p0348.txt","language":"de","ocr_de":"3*8\nG. E. M\u00fcller.\ndas JV-Material bei, welche die Gr\u00f6isen Mw und M4 in Beziehung auf das W- und S-Materi&l besitzen, so tritt also zu unseren beiden obigen Gleichungen (4) und (\u00f6) noch die folgende hinzu:\n(7)\tIn = Kn.Mn. dt\nwo Kn mit der St\u00e4rke des einwirkenden weifsen Lichtes zunimmt.\nEbenso wie sich ^Material in TF-Material verwandelt, wandelt sich, wenigstens beim Buhezustande, infolge der W\u00e4rmebewegung fortw\u00e4hrend TF-Material in ^T-Material um. Hierf\u00fcr gilt die Gleichung:\n8)\tIu \u2014 Ku. Mu . dt.\nwo In die Intensit\u00e4t und Kn die Geschwindigkeitskonstante dieser Umwandlung bedeutet und Mn eine Gr\u00f6fse ist, die (entsprechend der Bedeutung von Mt und Mn) von den Mengen abh\u00e4ngig ist, in denen die Stoffe, die durch die photochemische Zersetzung des -V-Materiales entstehen, und von denen mindestens ein Teil mit der Gesamtheit oder einem Teile der Komponenten des TF-Materiales identisch ist,1 in der lichtempfindlichen Netzhautschicht vorhanden sind.\nAus Gleichung (7) und (8) folgt\n(9)\tI-In = (K . Mn\u2014Kn JQ dt\nJe nachdem diese Differenz In\u2014Iu einen positiven oder negativen Wert besitzt, \u00fcberwiegt die Umwandlung von N-Material in TF-Material \u00fcber den entgegengesetzten Vorgang oder findet das Gegenteil statt.\n1 Nehmen wir beispielshalber an, es seien an dem W'-Prozesse nur drei Stoffe A, Bf C beteiligt, so ist die einfachste Annahme, die hinsichtlich der durch das Licht bewirkten Umwandlung des N-Materiales gemacht werden kann, die Annahme, dafs die bei dieser Umwandlung entstehenden Molek\u00fcle s\u00e4mtlichen drei Stoffarten A, B, C und nicht noch irgend einer anderen Molek\u00fclart angeh\u00f6ren. Es ist aber zweitens auch m\u00f6glich, dafs die photochemische Umwandlung des N-Materiales aufs er solchen Molek\u00fclen, die den Arten A} II, C angeh\u00f6ren, noch eine oder mehrere Arten von Molek\u00fclen liefert, die bei dem IF-Prozesse keinerlei Verwendung finden. Endlich drittens erscheint es m\u00f6glich, dafs an dem TF-Prozesse nicht blofs solche Stoffe beteiligt sind, die durch die photochemische Umwandlung des Materiales geliefert werden, sondern aufserdem auch noch ein oder mehrere Stoffe, die fortw\u00e4hrend in gen\u00fcgender Menge in der lichtempfindlichen Netzhautschicht vorhanden sind, dafs also z. B.","page":348},{"file":"p0349.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Paychophyaik der Gesichtsempfindungen.\n349\nBefindet sich nun die betrachtete Netzhautschicht in v\u00f6llig neutraler Stimmung, so wird zwar fortw\u00e4hrend infolge der W\u00e4rmebewegung 2V-Material in IV-Material und TV-Material in S-Material umgesetzt, und ebenso finden fortw\u00e4hrend die diesen V org\u00e4ngen entgegengesetzten beiden U mwandlungsprozesse statt, aber diese vier chemischen Vorg\u00e4nge vollziehen sich in der Weise, dafs zwischen je zwei einander entgegengesetzten Vorg\u00e4ngen v\u00f6lliges Gleichgewicht besteht, so dais Iw\u20142,=2*\u20142* = 0 ist.\nWirkt jetzt weifses Licht ein, so nimmt R* sofort um einen bestimmten Betrag zu, w\u00e4hrend K\u00bb sich um einen entsprechenden Betrag verringert. Infolge hiervon nimmt das TT-Material zu, der W-Prozefs gewinnt an Intensit\u00e4t, die Differenz 2*\u20142, wird positiv, die WeiXslichkeit der Empfindung beginnt zu steigen: Dieses Stadium der aufsteigenden Beiz Wirkung, w\u00e4hrend dessen das IF-Material und die (positive) Differenz 2.\u2014I, zunimmt, dauert so lange an, bis der Verlust, den die Menge des iV-Materiales infolge des \u00dcberwiegens der IT-Reaktionen \u00fcber die Reaktionen in einem Zeitteilchen erleidet, dem Zuwuchse gleich geworden ist, den dieselbe in dem gleichen Zeitteilchen dadurch erf\u00e4hrt, dafs die Umwandlung des iV-Materiales in TV-Material \u00fcber den umgekehrten Umwandlungsprozefs \u00fcberwiegt. Ist jener Punkt der maximalen Beizwirkung erreicht, so nimmt alsdann 2*\u20142, allm\u00e4hlich wieder ab, weil trotz der Wirksamkeit des Blutstromes das JV'-Material und mithin auch das TT-Material sich verringert, hingegen das\nzwar die Stoffe A und B Stoffe sind, welche, sei es ausschliefslich oder in Verbindung mit noch anderen Molek\u00fclarten, durch die photochemische Umwandlung des AT-Materiales entstehen, hingegen der Stoff C eine Molek\u00fclart darstellt, die fortw\u00e4hrend in gen\u00fcgender Menge vorhanden ist und nicht erst durch die Einwirkung des Lichtes auf das \u00c4T-Material entsteht.\nEs w\u00fcrde nat\u00fcrlich zu grofse Weitl\u00e4ufigkeiten mit sich gebracht haben, wenn wir in unserer Darstellung stets jede der hier erw\u00e4hnten M\u00f6glichkeiten besonders h\u00e4tten ber\u00fccksichtigen wollen. Der K\u00fcrze halber werden wir uns also im Folgenden in der Weise ausdr\u00fcoken, dafs wir sagen, unter dem Einfl\u00fcsse des Lichtes wandle sich JV'-Material in TF-Material um, und nach Beseitigung des Lichtreizes finde eine \u00fcberwiegende Umwandlung von TF-Material in JV'-Material statt, ohne damit behaupten zu wollen, dafs von den im Vorstehenden angef\u00fchrten M\u00f6glichkeiten gerade die erstgenannte die in der Netzhaut verwirklichte sei.","page":349},{"file":"p0350.txt","language":"de","ocr_de":"350\nG. JE. 3\u00a3\u00fcller.\n^Material zunimmt (Stadium der absteigenden Beiz-Wirkung).\nBeendigen wir die Liobtreizung zu irgend einem Zeitpunkte, sei es des Aufstiegs-, sei es des Abstiegsstadiums, so sinken und Ku sofort auf ihre Buhewerte zur\u00fcck, w\u00e4hrend die durch die vorherige Belichtung bewirkte Verschiebung der Mengenverh\u00e4ltnisse des N-, W- und S-Materiales sich nur allm\u00e4hlich ausgleichen kann. Obwohl von dem Momente der Beizunterbrechung ab die Umwandlung von W-Material in N-Material \u00fcber den entgegengesetzten Umwandlungsvorgang \u00fcberwiegt, also In\u2014Iu einen negativen Wert besitzt, so beh\u00e4lt doch Im\u20141, noch eine Zeitlang einen, allerdings fortw\u00e4hrend sinkenden, positiven Wert, d. h. wir beobachten ein positives Nachbild des vorher wahrgenommenen, weifsen objektiven Vorbildes.1 Dieses positive Nachbild dauert so lange an, bis der Punkt der Umkehrung des Nachbildes, bei welchem 2\u00bb\u2014It = 0 ist, erreicht ist. Da bei Erreichung dieses Punktes das Gleichgewicht zwischen der Umwandlung von TV-Material in iV-Material und dem entgegengesetzten Vorg\u00e4nge noch nicht eingetreten ist, sondern IH\u2014Iu noch immer einen negativen Wert besitzt, so nimmt jetzt die Differenz Iw\u2014I, einen negativen Wert an, d. h. das negative Nachbild stellt sich ein.\nVersuchen wir nun weiter, die Konsequenzen zu entwickeln, die sich von dem hier eingenommenen Standpunkte physikalischchemischer Betrachtung aus unter einstweiliger Vernachl\u00e4ssigung der nachher zu erw\u00e4hnenden, sehr stark mit eingreifenden physiologischen Faktoren hinsichtlich der Dauer und des Verlaufes des positiven und negativen Nachbildes ergeben, so zeigt sich Folgendes:\nWird die Lichteinwirkung bereits w\u00e4hrend des Stadiums der aufsteigenden Beizwirkung unterbrochen, so mufs das positive Nachbild um so l\u00e4nger andauem, je gr\u00f6fser die Dauer der Lichtein Wirkung war. Denn die Dauer des positiven Nach-\n1 Wie die Erfahrung zeigt, ist der \u00dcbergang des objektiven Vorbildes in das positive Nachbild ein ganz allm\u00e4hlicher. Demgem\u00e4\u00df! haben wir anzunehmen, dafs die Lichteinwirkung in der oben angegebenen Weise nur die Konstanten Kn und Ku beeinflufst. F\u00e4nde beim \u00dcbergange vom objektiven Vor bilde .zum positiven Nachbilde ein j\u00e4her Absturz statt, so w\u00f6rde man anzunehmen haben, dafs durch die Lichtein Wirkung auch Km erh\u00f6ht und K9 verringert w\u00fcrde.","page":350},{"file":"p0351.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Qesichteempfindungen.\n351\nbilde\u00bb ist unter sonst gleichen Umst\u00e4nden um so gr\u00f6fser, je mehr die Aufspeioherung von TF-Material, die w\u00e4hrend der Lichteinwirkung stattgefunden hat, \u00fcber die w\u00e4hrend derselben Zeit geschehene Aufspeicherung von 5-Material \u00fcberwiegt, je gr\u00f6fser im Momente der Reizunterbrechung die Differenz Z,\u2014 Ia ist. Nun \u00fcberwiegt, wie wir oben gesehen haben, w\u00e4hrend des ganzen Aufstiegsstadiums der Zuwuohs, den das TF-Material durch die vom Lichte gef\u00f6rderte Umwandlung des ^-Materiales w\u00e4hrend eines Zeitteilchens erf\u00e4hrt, \u00fcber die Ein-bufse, welche das TF-M\u00e4terial w\u00e4hrend des gleichen Zeitteilchens dadurch erleidet, dafs die Neubildung von S-Material aus TF-Material \u00fcber den entgegengesetzten Vorgang \u00fcberwiegt. Es nimmt also w\u00e4hrend des ganzen Aufstiegsstadiums das TF-Material schneller zu; als das 5-Material, und demgem\u00e4fs mufs, wenn wir die Reizung in einem Momente dieses Stadiums unterbrechen, die Differenz Z, \u2014 I, im Momente der Reizunterbrechung um so gr\u00f6fser sein und das positive Naohbild um so l\u00e4nger dauernd ausfallen, in einem je sp\u00e4teren Zeitpunkte des Aufstiegsstadiums die Reizunterbrechung stattfindet.1\nFindet die Liohtunterbrechung erst w\u00e4hrend des Stadiums der absteigenden Reizwirkung statt, so mufs offenbar das positive Nachbild um so k\u00fcrzer ausfallen, in einem je sp\u00e4teren Zeitpunkte dieses Abstiegsstadiums die Lichtunterbrechung geschieht. Denn, wie wir wissen, wird im Verlaufe letzteren Stadiums die Menge des ^Materiales immer gr\u00f6fser, hingegen die Menge des N'-Materiales, mithin auch des TF-Materiales immer geringer, so dafs die Differenz Z, \u2014 Z im Momente der Reizunterbrechung um so geringer ist, je sp\u00e4ter die letztere stattfindet.\nDafs die Geschwindigkeit, mit welcher die dem positiven Nachbilde zu Grunde liegende Differenz Z,\u2014 Z abklingt, eine Allm\u00e4hlich abnehmende sein mufs, mag die Reizunterbrechung w\u00e4hrend des Aufstiegs- oder w\u00e4hrend des Abstiegsstadiums stattfinden, braucht nicht erst weiter ausgefiihrt zu werden.\n1 Ganz genau braucht indessen die Dauer der Lichteinwirkung, bei welcher die Dauer des positiven Nachbildes ihr Maximum erreicht, mit der Dauer des Aufstiegsstadiums nicht \u00fcbereinzustimmen, weil im Verlaufe dieses Stadiums mit dem Werte der positiven Differenz 7\u00ab \u2014 I, zugleich der absolute Wert w\u00e4chst, den die negative Differenz I\u00bb \u2014 I\u00ab unmittelbar naoh der Lichtunterbrechung besitzt.","page":351},{"file":"p0352.txt","language":"de","ocr_de":"352\nG. E. M\u00fcller.\nHinsichtlich des negativen Nachbildes ergiebt sich ohne weiteres, dafs dasselbe ganz allgemein um so ausgepr\u00e4gter und l\u00e4nger andauernd ausfallen mufs, je sp\u00e4ter die Beizunterbrechung stattfindet. Die demselben zu Grunde liegende negative Differenz Iw \u2014 1, mufs ihrem absoluten Werte nach mit fortw\u00e4hrend abnehmender Geschwindigkeit anwachsen und hierauf mit gleichfalls fortw\u00e4hrend abnehmender Geschwindigkeit wieder auf den Nullpunkt herabsinken.\nEs ist nicht schwer, von dem hier verfolgten Standpunkte physikalisch-chemischer Betrachtung aus nun auch noch die Abh\u00e4ngigkeit zu er\u00f6rtern, in welcher der Verlauf der Nachbilder zur Beizintensit\u00e4t und anderen derartigen Faktoren stehen mufs. Es scheint uns indessen weit mehr angezeigt zu sein, hier darauf hinzuweisen, da\u00a3s, wenn auch die Thatsaohe, dafs die Weifsempfindung bei Unterbrechung der Beizung nicht sofort schwindet, sondern als sog. positives Nachbild allm\u00e4hlich abklingt, ganz im Sinne der obigen Ausf\u00fchrungen durch die von dem Beize bewirkte Anh\u00e4ufung von W-Material zu erkl\u00e4ren ist und auch die Erkl\u00e4rung der negativen Nachbilder in erster Linie auf den im obigen angedeuteten Gesichtspunkten zu fufsen hat, dennoch eine vollst\u00e4ndige Theorie der Erscheinungen des Anklingen s der Gesichtsempfindungen und der positiven und negativen Nachbilder ohne eine genaue Kenntnis und Ber\u00fccksichtigung zweier bisher hier noch nicht erw\u00e4hnter physiologischer Faktoren nicht gegeben werden kann. Diese Faktoren sind erstens die Wechselwirkung der verschiedenen Netzhautstellen oder die indirekte Beizung der Netzhautstellen (so soll im Folgenden die von einer direkt durch Licht erregten Netzhautstelle durch sog. Kontrastwirkung auf die benachbarten Stellen ausge\u00fcbte Beizung bezeichnet werden), und zweitens die nutritiven Vorg\u00e4nge in der Netzhaut. Auf die letzteren kommen wir im n\u00e4chsten Paragraphen n\u00e4her zu sprechen. Hinsichtlich der Art und Weise, wie hier die Wechselwirkung der Netzhautstellen in Betracht kommt, mag kurz Folgendes bemerkt werden.\nIndem wir hier sogleich an die von Hess angestellten Untersuchungen \u00fcber die bei kurzdauernder Beizung des Sehorganes auftretenden Nachbilder (Pfl\u00fcgers Arch. 49. 1891. S. 190 ff., Arch f. Ophthalm. 40. 2. S. 259 ff.) ankn\u00fcpfen, nehmen wir an, dafs eine Scheibe auf dunklem Grunde nur kurze Zeit","page":352},{"file":"p0353.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n353\n(r\u00e8u Sekunde oder weniger) sichtbar gemacht werde. Alsdann wird w\u00e4hrend der Belichtung, entsprechend dem um die weifse Scheibe herum erscheinenden Dunkelhofe, in der Umgebung derjenigen Netzhautstellen, auf denen sich die weifse Scheibe abbildet\u00bb der S-Prozefs erh\u00f6ht und der W-Prozefs geschw\u00e4cht.1 Verliefen nun nach Beendigung der Belichtung die Netzhautprozesse in den verschiedenen Netzhautstellen ganz unabh\u00e4ngig voneinander, so wurde das prim\u00e4re Bild der weifsen Scheibe von einem positiven Nachbilde gefolgt sein, das dem oben Bemerkten gem\u00e4fs verh\u00e4ltnismftfsig schnell abliefe,1 um einem negativen Nachbilde Platz zu machen. Der Dunkelhof ferner w\u00fcrde sich nach Beendigung der Belichtung mehr oder weniger\n1 Wird in einer Netzhautsteile durch einen indirektein Beiz eine \u00c4nderung der Differenz Iw \u2014 J\u00ab in positiver oder negativer Dichtung bewirkt, so kann diese \u00c4nderung entweder dadurch zu st\u00e4nde kommen, dafs der indirekte Beiz ganz analog wirkt wie ein Lichtreis, d. h. die Konstanten 27\u00ab und 27\u00bb, und zwar die eine in dem entgegengesetzten Sinne, wie die andere, beeinflafst und hierdurch auf mittelbarem Wege auch auf das Mengenverh\u00e4ltnis zwischen den W- und &-Beaktionen wirkt, oder aber der indirekte Beiz beeinflufst letzteres Mengenverh\u00e4ltnis ganz unmittelbar dadurch, dafs er die Werte der Konstanten 27\u00ab und 27* *, und zwar den einen in positiver, den anderen in negativer Biohtung, ver\u00e4ndert. Die nicht unwichtige Frage, auf welchem der beiden hier angedeuteten Wege ein indirekter Beiz seine Wirksamkeit entfalte, soll hier ganz beiseite gelassen werden. F\u00fcr uns gen\u00fcgt hier der Umstand, dais in jedem Falle, wo durch einen indirekten Beiz in einer Netzhautstelle die Differenz 7\u00ab \u2014 I, vom Nullpunkte aus in positiver oder negativer Dichtung verschoben ist, nach Schwinden des indirekten Beizes entweder sofort oder mehr oder weniger bald (je nachdem die Wirksamkeit dieses Beizes auf dem zweiten oder ersteren der soeben angedeuteten Wege zu st\u00e4nde kommt) in ebenderselben Netzhautstelle ein Ausgleichungs-Vorgang eintreten mufs, w\u00e4hrend dessen 7\u00ab \u2014 7\u00ab das entgegengesetzte Vorzeichen besitzt, wie zuvor w\u00e4hrend des Vorhandenseins des indirekten Beizes.\n* Denn die Zeit von Sekunde ist klein im Vergleich zu der zur Erreichung der maximalen Beizwirkung erforderlichen Zeit, die bei den einschlagenden Untersuchungen von Extob (Wien. Ber. 68. 1868. S. 616) je nach der Lichtst\u00e4rke 0,12 bis 0,29 Sekunden betrug. Wie sich aus unseren obigen Entwickelungen leicht ergiebt, verm\u00f6gen wir aus verschiedenen Gr\u00fcnden die Ansicht von Hbss nicht zu teilen, dafs aus der kurzen Dauer, welche das erste positive Nachbild bei den von ihm benutzten, sehr geringen Werten der Beizdauer besais, auf eine \u00e4hnliche K\u00fcrze des ersten positiven Nachbildes bei h\u00f6heren Werten der Beizdauer zu sohlieisen sei.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie X.\n23","page":353},{"file":"p0354.txt","language":"de","ocr_de":"354\nG. E. M\u00fctter.\nschnell aufhellen und einem allm\u00e4hlich wieder abklingenden; Bilde eines Lichthofes. Platz machen. Thats\u00e4chlich findet nun. aber die gegenseitige Beeinflussung der verschiedenen Netzhaut-, Stellen auch noch dann statt, wenn die in denselben sich \u00e4b-r spielenden Prozesse nur auf den Nachwirkungen vorausgegangener direkter oder indirekter Beize beruhen, und zwar h\u00e4ngt die Richtung ; und St\u00e4rke, in welcher sich die der weifsen Scheibet und die dem Dunkelhofe entsprechenden Netzhautstellen w\u00e4hrendr des Ablaufes der positiven und negativen Nachbilder gegenseitig beeinflussen, selbstverst\u00e4ndlich von dem zeitlichen Verlaufe, der nach Schlufs der Belichtung in diesen Netzh\u00e4utstellen sich; abspielenden Netzhautprozesse ab. Nehmen wir z. B. an, dafir nach Schlufs der Belichtung der Lichthof, welcher das negative. Nachbild des vorher wahrgenommenen Dunkelhofes darstellt,\n4\t1\nsich sehr bald und schnell entwickle, so dafs er das Maximum seiner Helligkeit zu einer Zeit besitze, wo das positive Nachbild der weifsen Scheibe, wenn es ganz ungest\u00f6rt h\u00e4tte verlaufen k\u00f6nnen, noch keineswegs ganz abgeklungen w\u00e4re, so werden die dem hellen Lichthofe zu Grunde liegenden Netzhautprozesse durch die von ihnen ausgehenden indirekten Beize das. Nachbild der Soheibe verdunkeln, und diese Verdunkelung wird so lange andauem, als der helle Lichthof deutlioh wahrnehmbar ist. Nach Schwinden des letzteren wird in den der Scheibe entsprechenden Netzhautstellen infolge der Wirkungen,, welche die von dem hellen Lichthofe ausgehenden indirekten Beize auf die Mengenverh\u00e4ltnisse des N-, W- und 5-Materiales ausge\u00fcbt haben, ein Ausgleichungsvorgang eintreten, welchem ein * deutliches zweites positives Nachbild der Scheibe entspricht, * ein Nachbild,, das seinerseits wiederum durch indirekte Reizung das Bild eines umgebenden Dunkelhofes hervorruft. Infolge dieser letzteren Wirkung ist in dem Momente, wo das zweite positive Nachbild der Scheibe abgeklungen ist, in den Netzhautstellen, welche der Umgebung der Scheibe entsprechen, eine solche Verschiebung der Mengenverh\u00e4ltnisse des N-} TT- und\n5-Materiales bewirkt, dafs in diesen Netzhautstellen ein Aus-\n. *\ngleichungsvorgang stattfindet, welchem ein abermaliges Auftreten des Lichthofes, wenn auch mit geringerer Helligkeit, entspricht. Dieser Lichthof bewirkt durch' die von ihm ausgehenden in* direkten Beize wiederum ein zweites negatives Nachbild der Scheibe, dessen Dunkelheit allerdings nicht so. ausgepr\u00e4gt ist.","page":354},{"file":"p0355.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gestehtsempfindungen.\n355\nwie diejenige des ersten negativen Nachbildes der Scheibe war. Dieses zweite negative Nachbild der Scheibe ist infolge der* ihm entsprechenden Verschiebung der Mengenverh\u00e4ltnisse des N-, TP- und /^Materiales notwendig von einem, wenn auch vielleicht nur noch undeutlichen, dritten positiven Nachbilde der Scheibe begleitet u. s. w.\nEs ist ganz unm\u00f6glich, der Kompliziertheit der Verh\u00e4lt\u00ab misse, welche durch die Wechselwirkung der Netzh\u00e4utstellen f\u00fcr den Ablauf der Nachbilder geschaffen werden, init Worten gen\u00fcgend gerecht zu werden. Man mufs sich hier mit un-, vollst\u00e4ndigen Andeutungen dessen, worauf es ankommt, begn\u00fcgen.' Es w\u00fcrde vollends ins Ungemessene f\u00fchren, wenn man auf die Zahl verschiedener M\u00f6glichkeiten, die hier von vornherein in Betracht kommen, n\u00e4her eingehen wollte.1 Das Vorstehende mufs gen\u00fcgen, um zu zeigen, dafs es doch sehr un\u00fcberlegt sein w\u00fcrde, wenn man aus Beobachtungen, bei denen ein wiederholtes Auftreten eines positiven und negativen Nach\u00ab bildes konstatiert wurde, ohne weiteres einen Einwand gegen unsere obigen chemisch-physikalischen Darlegungen ableiten wollte, aus denen zwar ein einmaliges Auftreten eines positiven % und eines negativen Nachbildes in v\u00f6llig zwangloser Weise ; folge, nicht aber ein wiederholtes Auftreten solcher Nachbilder abgeleitet werden k\u00f6nne. Wir sind mehr als weit davon entfernt, zu meinen, dafs sich der Ablauf unserer Netzhautprozesse ohne Mitber\u00fccksichtigung der indirekten Beize und anderer, physiologischer Faktoren vollst\u00e4ndig konstruieren lasse.\t:\nNach monokularer Betrachtung einer Lichtfl\u00e4che wird nat\u00fcrlich der Verlauf der Nachbilder durch den Wettstreit der Sehfelder gest\u00f6rt, wie von Kbies (Analyse der Gesichtsempfindungen. 8.119) hervorgehoben hat\u00ab > Hinsichtlich des vielfach., m\u00fcsverstandenen Einflusses der Augenbewegungen und Lidschl\u00e4ge auf den Verlauf der Nachbilder vergleiche.\n1 So erh\u00e4lt man z. B. ein wiederholtes Auftreten des positiven Nachbildes der Scheibe auch dann, wenn man den hellen Lichthof, welcher das erste. negative Nachbild des Dunkelhofes darstellt, das Maximum seiner Helligkeit in dem Momente erreichen l\u00e4ist, wo das . erste positive Nachbild der Scheibe, wenn es ganz ungest\u00f6rt h\u00e4tte ab-laufen k\u00f6nnen, gerade vollst\u00e4ndig abgeklungen w\u00e4re, u. dergl. m. Nur . der K\u00fcrze halber haben wir ferner im Obigen ganz davon abgesehen, dafs die den verschiedenen Teilen der weifsen Scheibe entsprechenden Netzhautstellen sich niemals s\u00e4mtlich in genau denselben Zust\u00e4nden befinden.\n23*","page":355},{"file":"p0356.txt","language":"de","ocr_de":"366\nG. E. M\u00fctter.\nman Hhbing, diese Zeitsehr. Bd. I. S. 21 und vor allem Arch. f. Ophthakn.\nxxxvn. a. s. i\u00df*.\nBeruht das wiederholte Auftreten der Nachbilder wesentlich auf den indirekten Reizungen, so mufs es sich nat\u00fcrlich hinsichtlich seiner Einzelheiten nach der Intensit&t, Dauer und Ausdehnung der Lichtreizungen bestimmen. Hieran d\u00fcrfte die experimentelle Pr\u00fcfung der obigen Vermutungen, die deshalb, weil sie keine neuen Vorg\u00e4nge zur Erkl\u00e4rung heranziehen, in erster Linie in Betracht kommen, anzukn\u00fcpfen haben. Versuche, bei denen behufs Ausschlief sud g jeglichen Kontrastes in der ganzen Ausdehnung beider Netzh\u00e4ute \u00fcberall die gleichen Netz* hautprozesse hervorgerufen werden, lassen sich leider, wie bekannt, schon aus \u00e4ufseren Gr\u00fcnden kaum effektuieren und stofsen aufserdem auch noch wegen der anatomisch-physiologischen Verschiedenheiten der Netzhautstellen auf Schwierigkeiten.\nEs ist nicht ganz zu billigen, wenn man Versuche, bei denen ein Lichtobjekt sehr kurze Zeit beleuchtet und dann der Wechsel der Nachbilder beobachtet wird, ganz in eine Linie mit Versuchen stellt, bei denen sich ein Lichtobjekt sehr schnell durch das Gesichtsfeld bewegt und das Bild beobachtet wird, das aus den Nachwirkungen entspringt, die das Objekt in den von ihm der Reihe nach direkt gereizten Netzhautstellen hinterl\u00e4fst. Man \u00fcbersieht hierbei, dafs die indirekten Reizungen sich bei beiden Arten von Versuchen anders verhalten, dais insbesondere durch die indirekten Reizungen, welche bei den Versuchen der zweiten Art das sich bewegende Netzhautbild des Lichtobjektes auf die soeben von ihm durchlaufenen und die sogleich von ihm zu durchlaufenden Netzhautstellen aus\u00fcbt, ein wesentlicher Unterschied beider Versuchsarten gegeben ist. Eine andere Fehlerquelle entspringt f\u00fcr Versuche der zweiten Art aus der Zeit, welche die Wanderung der Aufmerksamkeit von einer Netzhautstelle zu einer anderen in Anspruch nimmt (man vergleiche den von Mach anges teilten und in seinen Beitr\u00e4gen sur Analyse der Empfindungen, S. 106 f., mitgeteilten Versuch).\nDer Raumersparnis halber mufs von einer weiteren Er\u00f6rterung der Wechselwirkung der Netzhautstellen, die ja in mancherlei Beziehung einen Untersuchungsgegenstand f\u00fcr sich bildet, hier abgesehen werden.\nEbenso ist es nicht m\u00f6glich, hier auf die Kompliziertheit der Verh\u00e4ltnisse ednzugehen, die in dem Falle, wo das ein wirkende Licht nicht blofs eine, sondern zwei oder drei Valenzen enth\u00e4lt, f\u00fcr den Ablauf unserer Empfindungen und Nachempfindungen daraus entspringt, dais die von den verschiedenen Valenzen in der lichtempfindlichen Netzhautschicht hervorgerufenen Wirkungen und Nachwirkungen einen wesentlich verschiedenen zeitlichen Verlauf nehmen k\u00f6nnen und sich je nach der St\u00e4rke und Dauer der Lichteinwirkung in verschiedener Weise miteinander kombinieren und \u00fcberdies auch die Wirkungen, welche die verschiedenen Valenzen infolge der Wechselwirkung der Netzhautstellen in den der gereizten Netzhautpartie benachbarten Netzhautstellen haben, in entsprechender Weise einen verschiedenen Verlauf nehmen k\u00f6nnen. Zu den aus diesen komplizierten Verh\u00e4ltnissen entspringenden Nachbilderscheinungen geh\u00f6rt das farbige Abklingen der Gesichts-","page":356},{"file":"p0357.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsemp\u00dfidungen.\n357\nempfindungen, welches Licht von angeblich weiiser, thats\u00e4chlich aber doch farbiger Beschaffenheit (Hbeing) hervorruft.\nBei Erkl\u00e4rung der Erscheinungen des successiven Kon* t ras tes hat man selbstverst\u00e4ndlich in erster Linie davon auszugehen, dais Hetzhautstellen, in denen durch einen Lichtreiz direkt oder indirekt die Mengenverh\u00e4ltnisse des N-, W\u00bb und 5-Materiales in Vergleich zu den ihnen bei neutraler Stimmung zukommenden Werten verschoben sind, auf einen zweiten Beiz entsprechend anders reagieren m\u00fcssen, als bei neutraler Stimmung. AuXserdem hat man nach dem Vorg\u00e4nge Hering\u00ab (Zur Lehre vom Lichtsinne. 8. 96 ff.) noch die* hier eine sehr wesentliche Bolle spielende Wechselwirkung der Netzhautstellen zu ber\u00fccksichtigen.1 Eine eingehendere Er\u00f6rterung des successiven Kontrastes f\u00fchrt aller* dings noch zur Verfolgung einer Reihe speziellerer Fragen (z. B. auch der in der Anmerkung 1 zu S. 863 von uns angedeuteten Frage), auf die indessen in dieser Abhandlung nicht eingegangen werden kann. Auch auf eine sp\u00e4tere Gelegenheit m\u00fcssen wir das Eingehen auf eine gelegent* liehe Bemerkung Herings (Pfl\u00fcgers Arch. 41. 1887. 8,83) verschieben, da\u00fcs gewisse positive farbige Nachbilder durch weilses Licht in komple* ment\u00e4r gef\u00e4rbte umgekehrt werden k\u00f6nnten, eine Bemerkung, von der ihrer ganzen Fassung nach nicht sicher zu erkennen ist, ob sie als eine endg\u00fcltige aufgefafst werden soll, die aber (trotz ihrer Eingeschr\u00e4nkt* heit und trotz der Mehrdeutigkeit eines ihr entsprechenden That* best\u00e4nde\u00ab) leicht als St\u00fctze eines Einwandes gegen unsere bisherigen Entwickelungen benutzt werden k\u00f6nnte.\nEs wird Zeit, dafs wir endlich eine Frage beantworten, die der Leser schon l\u00e4ngst im stillen gestellt haben wird, n\u00e4mlich die Frage, wie wir das An- and Abklingen der chromatischen Netzhautprozesse erkl\u00e4ren. Betrachten wir z. B. das An- und Abklingen des BrProzesses, so erkl\u00e4rt sich dasselbe daraus, dafs das rote Licht die Umwandlung eines zu dem B und (r-Materiale zugeh\u00f6rigen Nebenmateriales in B-Material f\u00f6rdert. Infolge dieser Vermehrung des ^-Materiales erlangen die N-Beaktionen das \u00dcbergewicht \u00fcber die G-Beaktionen, die Differenz \u00a3 \u2014 lg nimmt einen positiven Wert an, u. s. w. Nach Unterbrechung der Einwirkung des roten Lichtes besitzt die Differenz Z- \u2014 lg zun\u00e4chst noch einen positiven Wert. Bald aber wird sie negativ, weil nach Schwinden des roten Lichtes\n1 Nachschrift bei der Korrektur: H\u00e4tte ich es f\u00fcr m\u00f6glich gehalten, dais Herings Ausf\u00fchrungen \u00dcber das Zustandekommen der Erscheinungen der simultanen und successiven Lichtinduktion und des successiven Kontrastes auf einen so erstaunlichen Mangel an Verst\u00e4ndnis stolsen k\u00f6nnten, wie in den \u201eBeitr\u00e4gen zur Psychologie und Philosophie\u201c von G\u00f6tz Martius (Leipzig, 1896) hervorgetreten ist, so w\u00fcrde ich vielleicht diese Erscheinungen an dem einen oder anderen Beispiele auf Grund der hier entwickelten Anschauungen n\u00e4her er\u00f6rtert haben.","page":357},{"file":"p0358.txt","language":"de","ocr_de":"358\nG. E. MMer.\ndie Umwandlung von B - Material in Nebenmaterial \u00fcber den entgegengesetzten Vorgang \u00fcberwiegt und infolgedessen das .\u00df-Material sich schnell verringert. Wenn wir in dieser Weise das An- und Abklingen des B - Prozesses ganz nach Analogie des An- und Abklingens des TT-Prozesses erkl\u00e4ren, so erhebt sich indessen die Frage, wie nun im Falle der Einwirkung gr\u00fcnen Lichtes das An- und Abklingen des 6r- Prozesses zu erkl\u00e4ren sei. Diese Frage beantwortet sich sehr einfach in folgender Weise.\nMacht sich die Rotvalenz eines Lichtes dahin geltend, d&fs das zum B- und G-Materiale zugeh\u00f6rige Nebenmaterial (welches nat\u00fcrlich von dem zum W- und $-Materiale zugeh\u00f6rigen Nebenmateriale verschieden ist) sich in reichlicherem Mafse in JB-Material umwandelt, so mufs dem fr\u00fcheren gem\u00e4fs eine Gr\u00fcnvalenz genau die \u25a0entgegengesetzte Wirkung haben, d. h. die Umwandlung von JB-Material in N- Material bef\u00f6rdern. Diese durch das gr\u00fcne Licht bewirkte Verminderung des JB-Materiales hat aber (wenn das Licht die Netzhaut bei neutraler Stimmung trifft) not-wendig zur Folge, dafs die G-Eeaktionen das \u00dcbergewicht \u00dcber die R-Reaktionen gewinnen, also X \u201419 einen negativen Wert \u00abmummt. Der absolute Wert letzterer Differenz und die davon abh\u00e4ngige (r- Erregung des Sehnerven erreichen ihr Maximum, wenn die durch das gr\u00fcne Licht in eine\u00efn Zeitteilchen bewirkte Abnahme des B* Materiales gleich geworden ist dem Zuwachse, den das JR-Material in demselben Zeitteilchen durch das \u00dcbergewicht der G - Reaktionen \u00fcber die B - Reaktionen erf\u00e4hrt. Wird die Einwirkung des gr\u00fcnen Lichtes unterbrochen, so dauert zun\u00e4chst jenes \u00dcbergewicht der G - Reaktionen noch eine Zeitlang an. Es wird aber infolge des Umstandes, dafs jetzt die Umwandlung von JV-Material in \u00c4-Material \u00fcber den Entgegengesetzten Vorgang stark \u00fcberwiegt, immer geringer und schl\u00e4gt schliefslich in ein \u00dcbergewicht der JB-Reaktionen um.1\nEs bleibt also trotz der Hereinziehung der photoohemischen Induktion in den von uns angenommenen Mechanismus der\n1 Es ist nat\u00fcrlich auch m\u00f6glich, dafs sich die Sache hinsichtlich der Br und (^-Reaktionen genau umgekehrt verh\u00e4lt, als wir im Obigen beispielshalber angenommen haben, d. h. es ist auch m\u00f6glich, dafs das .AT-Material durch gr\u00fcnes Licht in ^Material verwandelt wird, und rotes Licht dahin wirkt, das \u00d6-Mate rial in AT-Material zu verwandeln. Aach beim weifsen Lichte ist die entsprechende andere M\u00f6glichkeit vorhanden.","page":358},{"file":"p0359.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n359\nNetzha\u00fctprozesse durchaus bei unseren fr\u00fcheren S\u00e4tzen, dafs eine Bot- und eine Gr\u00fcnvalenz, eine Gelb- und eine Blauvalenz in entgegengesetzter Sichtung auf die betreffenden lichtempfindlichen Substanzen wirken, und dafs ebenso der 22- und Cr-, E-und 22-, S- und TV-Prozefs entgegengesetzte Vorg\u00e4nge; sind.* Das eigent\u00fcmliche, neue Ergebnis der vorstehenden Betracht tungen ist nur die Erkenntnis, dafs die}Einwirkung der Lichtstrahlen auf den Sehnerven nicht durch die chemischen Vor* g\u00e4nge erfolgt, welche die Lichtstrahlen direkt selbst hervor1 rufen, sondern vielmehr dadurch, dafs die vom Lichte bewirkten chemischen Umwandlungen infolge des Gesetzes der chemischen Massenwirkung das Gleichgewicht zwischen solchen chemischen Vorg\u00e4ngen entgegengesetzter Art st\u00f6ren, die nach Mafsgabe des Vorzeichens und des absoluten Wertes ihres Intensit\u00e4tsunterschiedes den Sehnerven zu erregen verm\u00f6gen. Wenn man bedenkt; dafs die Netzhautprozesse, welche den positiven und negativen Nachbildern zu Grunde liegen, unm\u00f6glich Vorg\u00e4nge sein k\u00f6nnen^ welche direkt selbst durch Lichstrahlen hervorgerufen werden,\nund andererseits beachtet, dafs den Prinzipien wissenschaft-\n\u2022 _________ \u2022\nEs ist m\u00f6glich, dafs dasselbe dazu dient, die Umwandlung von ^-Material in ^-Material zu f\u00f6rdern, und hierdurch ein \u00dcberwiegen der TF-Reaktionen\nUber die 5-Reaktionen bewirkt. Doch soll der K\u00fcrze halber im Folgenden\n; , . * * * * *\nstets nur die Annahme zu Grunde gelegt werden, dafs weifses, bezw. rotes Licht dahin wirke, das betreffende N - Material in TT-, bezw. B-Material zu verwandeln.\n1 Y on vornherein ist neben der oben von uns vertretenen *- Auffassung noch eine andere in Betracht zu piehen, nach welcher z. B. den R-Prozefs und der G-Prozefs gleichfalls entgegengesetzte chemische Vorg\u00e4nge sind, die nur gem\u00e4fs der Differenz ihrer Intensit\u00e4ten auf den 8ehnerven wirken, aber die Rotvalenzen und Gr\u00fcn Valenzen nicht als einander direkt entgegengesetzte Kr\u00e4fte bezeichnet werden d\u00fcrfen, insofern eine Rotvalenz die Umwandlung eines bestimmten Nebenmateriales in R-Material f\u00f6rdere, eine Gr\u00fcnvalenz aber die Umwandlung eines bestimmten^ anderen Nebenmateriales in G-Material beschleunige, ohne einer etwa gleichzeitig vorhandenen Rotvalenz in ihrem Einfl\u00fcsse auf die Umwandlung jenes \u00e9tsteren Nei>enmaterials in R-Material direkt entgegenzuwirken, uncT ohne ihrerseits von einer etwa gleichzeitig vorhandenen Rotvalenz in ihrem Einfl\u00fcsse auf die Umwandlung des zweiten Nebenmateriales in G-Material direkt irgendwie behemmt zu werden. Die hiermit angedeutete1 Ansicht scheitert indessen, wie nicht weiter ausgef\u00fchrt zu werden braucht, unwiderruflich an dem bereits in \u00a7 15 angef\u00fchrten vos Kmsssohen Satze, dafs die subjektive Gleichheit zweier Lichter von dem Erm\u00fcdungszustande! des Sehorganes unabh\u00e4ngig ist.","page":359},{"file":"p0360.txt","language":"de","ocr_de":"360\nQ. K M\u00fcller.\nlicher Methodologie gem\u00e4fs unser Bestreben darauf gerichtet sein mufs, wenn es irgend angeht, der gleichen Empfindung und Sehnervenerregung, mag es sich nun um eine einem vorhandenen Lichtreize entsprechende Empfindung oder um ein positives oder negatives Nachbild handeln, stets die gleiche Erregungsursache in der Netzhaut entsprechen zu lassen, so wird man sich einer weiteren vorteilhaften Seite unserer Theorie bewufst werden. Denn nach unserer Theorie beruht eine bestimmte Gesichtsempfindung, mag sie nun einem noch vorhandenen Lichtreize entsprechen oder ein positives oder negatives Nachbild sein, stets nur auf dem Vorhandensein bestimmter Intensit\u00e4tsunterschiede entgegengesetzter Netzhautprozesse, wobei es ganz gleichg\u00fcltig ist, wie die Verschiebungen der Mengenverh\u00e4ltnisse gewisser Stoffe, die diesen Intensit\u00e4tsunterschieden zu Grunde liegen, herbeigef\u00fchrt worden sind, insbesondere auch ganz gleichg\u00fcltig ist, ob der dieselbe bewirkt habende\n* Lichtreiz noch vorhanden ist oder nicht. \u2014\n\u2666\nWird ein chemischer Prozefs durch Licht nicht unmittelbar\u00bb sondern mittelbar auf dem Wege der photochemischen Induktion bewirkt, so mufs eine gewisse, wenn auch vielleicht nur sehr geringe, Zeit nach Beginn der Lichteinwirkung verflieiaeai, bevor der chemische Prozefs in einem f\u00fcr uns merkbaren Grade hervorgerufen ist. Hiernach liegt es nahe, die von S. Fuchs [Pfl\u00fcgers Arch. 56.1894. S.408 ff., Centralbl. f. Physiol. 8. S. 829 ff.) gefundene Thatsache, dafs die pbotoelektrische Schwankung in der Netzhaut erst eine mefsbare Zeit nach Beginn der Licht-einwirknng beginnt, in Zusammenhang zu der Art und Weise zu bringen, wie nach unseren vorstehenden Ausf\u00fchrungen die auf den Sehnerven wirkenden Netzhautprozesse hervorgerufen werden. Man mais indessen hinsichtlich der Frage, in welcher Beziehung die photoelektrischen Schwankungen der Netzhaut zu den auf den Sehnerven ein wirkenden Netzhautprozessen stehen, zur Zeit noch eine etwas zur\u00fcckhaltende Stellung einnehmen, da bei Einwirkung von Licht gar mancherlei in der Netzhaut geschieht und das elektromotorische Verhalten der Netzhaut wegen der Schwierigkeiten, mit denen die betreffenden Versuche zu k\u00e4mpfen haben, noch nicht in gen\u00fcgend vielen Beziehungen erforscht ist,1\n1 Man vergleiche z. B. die Bemerkung von K\u00fchne und Stein er in Heidelb. Unters. (Untersuchungen aus dem physiologischen Institute der Um* versit\u00e4t Heidelberg). 4. S. 137 f.","page":360},{"file":"p0361.txt","language":"de","ocr_de":"ik der Gesichtsempfindungen,\n361\nZur\nund die zur Zeit vorliegenden Resultate \u00fcberhaupt nicht an der Netzhaut des Menschen, sondern an den Netzh\u00e4uten verschiedener Tierarten gewonnen sind, betreffs deren wir eine gen\u00fcgende Kenntnis des Verlaufes und der verschiedenen Arten der in ihnen erweckten Sehnervenerregungen und Gesichtsempfindungen nicht besitzen. Es mag gen\u00fcgen, hier daran zu erinnern, dafs nach den von K\u00fchne und Steiner (a. a. 0.3. S. 375 f.) am Dunkelfrosche angestellten Versuchen bei gen\u00fcgender Langsamkeit der Entstehung eines Lichtreizeg in der Netzhaut \u201ekeine durch die Schwankung bemerkbare Erregung stattfindeta, andererseits aber unsere Gesichtsempfindungen bei gleichen Versuchs\u00bb Bedingungen ein diesem Versuchsresultate ganz entsprechendes Verhalten nicht zeigen.\nDa wir im Vorstehenden angenommen haben, dais die durch Licht in der Netshaut hervorgerufenen chemischen Ver\u00e4nderungen solche sind, die nach Entfernung des Lichtes wieder r\u00fcckg\u00e4ngig werden, hingegen die neueste eingehende Untersuchung der photochemischen Erscheinungen, n\u00e4mlich diejenige von Roloff (Zeitachr. f. phyeik, Chemie. 13.1894. S. 327 ff., insbesondere 8, 365), photoohemisohe Vorg\u00e4nge, welche im Dunkeln r\u00fcck\u00bb g\u00e4ngig gemacht werden k\u00f6nnten, nicht hat konstatieren k\u00f6nnen, so d\u00fcrfte es angezeigt'sein, hier folgenden physikalisch-chemischen Exkurs anzuf\u00fcgen.\nDie Stoffgexnisohe, auf deren chemische Zusammensetzung Licht ver\u00e4ndernd einwirkt, sind von doppelter Art. Die einen befinden sich auch vor der Einwirkung des Lichtes nicht im Zustande chemischen Gleichgewichtes. Doch ist der Unterschied der Geschwindigkeiten, mit denen die entgegengesetzten Reaktionen vor sich gehen, absolut ge\u00bb nommen, sehr gering, so dais die im Dunkeln stattfindende langsame Ver\u00e4nderung der chemischen Zusammensetzung der gew\u00f6hnlichen Beobachtung nur wenig merkbar ist. Wirkt aber geeignetes Licht auf ein solches Gemisch ein, so werden die Gesehwindigkeitskonstanten der ein\u00bb ander entgegengesetzten Reaktionen in der Weise ver\u00e4ndert, dafs die zuvor minimale Geschwindigkeitsdifferenz dieser Reaktionen einen er\u00bb heblichen Wert anmmmt und auch innerhalb einer verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig kurzen Zeit eine merkbare Ver\u00e4nderung der chemischen Zusammen\u00bb Setzung bewirkt wird. Gemische dieser Art nehmen nach Entfernung des Lichtes ihre anf\u00e4ngliche Beschaffenheit nicht wieder an. Denn die Lichteinwirkung hat ja nur dazu gedient, das Gemisch in der Richtung des von ihm auch vor der Lichteinwirkung, wenn auch nur mit sehr geringer Geschwindigkeit, angestrebten chemischen Gleich\u00bb gewichtszustandes zu ver\u00e4ndern. Die lichtempfindlichen Gemische dieser Art sind in gewissem Sinne einem Gemische von Wasserstoff und Sauerstoff vergleichbar, das \u00bbman, wie viele Versuche gezeigt haben, jahrelang im zugesohmolzenen Glasballon aufbewahren kann, ohne da\u00a3s merkliche Wasserbildung eintritt. Trotzdem sind die beiden Gase keineswegs","page":361},{"file":"p0362.txt","language":"de","ocr_de":"362\n. G, & M\u00fcller. ,\nim Gleichgewicht, sondern wir haben alle Gr\u00fcnde zu der Annahme, dais bei gew\u00f6hnlicher Temperatur die Reaktion eben nur zu langsam vor sich geht, um in einem der Beobachtung zug\u00e4nglichen Zeitraum nachgewiesen werden zu k\u00f6nnen\u201c. L&fst man eine h\u00f6be Temperatur auf das Gemenge von Wasserstoff und Sauerstoff Wirken, so findet pl\u00f6tzlich eine schnelle Ver\u00e4nderung in der Richtung des auch bei gew\u00f6hnlicher Temperatur, allerdings nur sehr schwach, ahgestrebten Gleichgewichtszustandes statt, es bildet sich; Wasser, das auch nach Wiederherstellung des anfangs vorhandenen, niederen Temperaturgrades unver\u00e4ndert weiterbesteht.\nZu den lichtempfindlichen Gemischen dieser ersteren Art, deren betreffende chemische Ver\u00e4nderungen in schwachem Grade auob im Dunkeln vor sich gehen und im Dunkeln, nicht r\u00fcckg\u00e4ngig werden, geh\u00f6ren die von Boloff. in obiger Ver\u00f6ffentlichung behandelten oder in Betracht gezogenen Gemische.\nDie lichtempfindlichen Gemische der zweiten Art befinden sich vor Einwirkung des Lichtes wenigstens ann\u00e4hernd im Zustande chemischen Gleichgewichts. Die Einwirkung des Lichtes ver\u00e4ndert die Gesohwindig* keitskonstanten der einander entgegengesetzten Reaktionen und st\u00f6rt so den vorhandenen Gleichgewichtszustand. Sobald aber die Lioht-einWirkung aufh\u00f6rt, nehmen jene Geschwindigkeitskonstanten wieder ihre anf\u00e4nglichen Werte an, und das Gemisch strebt wieder den anf\u00e4ngi liehen Gleichgewichtszustand an, den es nach gewisser Zeit auch wieder erreicht.\nZu den lichtempfindlichen Gemischen dieser Art geh\u00f6ren einige von R. Ed. Liesegang* 1 neuerdings untersuchte Substanzen. Derselbe berichtet z. B. folgendes: \u201eEine halbgef\u00fcllte Flasche Rhodanaluminium (19* R\u00e9) ... f\u00e4rbte sich, als ich sie aus dem Dunkelzimmer ins zerstreute Tageslicht brachte, bald hellrot. Ins Dunkle zur\u00fcckgebracht, verlor sie diese F\u00e4rbung schon nach einer Minute wieder. In der Sonne nahm die Verbindung eine intensive Rotf\u00e4rbung an, welche nach 1 bis 2 Minuten ihr Maximum erreicht hatte. Auch diese intensive F\u00e4rbung verschwand vollkommen nach sp\u00e4testens 2 Minuten dm Dunkeln. Schon beim Beschattender Flasche mit der Hand machte sich eine Verminderung der Intensit\u00e4t bemerkbar. Ich habe den Versuch mit derselben Fl\u00fcssigkeit mehr als zwanzig Male ausgef\u00fchrt, ohne dafs eine Verminderung der Empfindlichkeit eingetreten w\u00e4re.\u201c Auch manche fr\u00fchere Mitteilungen anderer Forscher d\u00fcrften hierher geh\u00f6ren. \u201eMolybd\u00e4ns\u00e4ure, gel\u00f6st in verd\u00fcnnter Schwefels\u00e4ure, soll sich im Sonnenlichte bl\u00e4uen, im Finstern wieder entr f\u00e4rben\u201c (Edeb, a. a. O. I. 1. S. 169)* \u201eChlorsilber, in eine Glasr\u00f6hre eingeschmolzen, wird im Sonnenlichte violett (Dissoziation von Chlor), in der Dunkelheit nimmt es das abgeschiedene Chlor wieder auf und wird weifs\u201c (Eder, ebenda. S. 175) u. a. m.\t' '\u2022 \u2018 *1\nNat\u00fcrlich mufs es auch lichtempfindliche Gemische geben, weiche\n1 Liesegangs Photogr. ArcA 1893.10. Heft. S. 145ff.; 12.Heft. S. 177ff. Auf diese Versuche Liesegangs bin ich duroh Herrn Roloff aufmerksam\ni\ngemacht worden; -\t.\t:","page":362},{"file":"p0363.txt","language":"de","ocr_de":"Zut Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n363\n\u00abinen Obergang zwischen den beiden soeben er\u00f6rterten Gemischarten bilden, insofern sie sich vor der LiehteinWirkung. nicht im Zustande ann\u00e4hernden chemischen Gleichgewichts befinden, andererseits aber durch die Lichteinwirkung (bei gen\u00fcgender St\u00e4rke und Andauer derselben) in dem Grade chemisch ver\u00e4ndert werden, dafs sie nach Wiederherstellung der Dunkelheit eine merkbare partielle R\u00fcckbildung erfahren.\nDafs eine durch Licht bewirkte oder bef\u00f6rderte chemische Reaktion ebenso wie jede andere chemische Reaktion umkehrbar ist, und dafs es also im Grunde stets nur von dem Verh\u00e4ltnisse, in welchem die Masse der bei einer .photochemischen Reaktion entstandenen Reaktionsprodukte zu der Masse der im Sinne dieser Reaktion umwandelbaren, aber thats\u00e4chli\u00f6h nicht umgewandelten Stoffe steht, abh\u00e4ngig ist, ob ein Teil jener Reaktionsprodukte nach Beseitigung des Lichtes zur\u00fcckverwandelt wird oder nicht, ergiebt sich auoh aus der Thatsache der sog. chemischen Sensibilisation, d. h. aus der That-sache, dafs eine dem lichtempfindlichen K\u00f6rper beigemengte Substanz, welche eines der bei der photo chemischen Reaktion entstehenden Produkte bindet, hierdurch die Geschwindigkeit letzterer Reaktion bef\u00f6rdert, indem es eben die: R\u00fcckbildung unm\u00f6glich macht (Nernst, a. a. O. S. 572). Ferner ist hier daran zu erinnern, dafs nach den Untersuchungen von E. Wiedemann und G. C. Schmidt (Wiedemanns Ann. 54.1895. S. 604ff.\n\u25a0\t_\t,\t_ i\tm\nund 56. 1895. 8. 201 ff.) die Erscheinungen der Chemiluminiscenz in einer\n\u00bb\nAnzahl von F\u00e4llen darauf beruhen, dafs die durch Licht (oder Kathodenstrahlen) bewirkte chemische \u00c4nderung nach Beseitigung des Lichtes unter Lichterzeugung r\u00fcckg\u00e4ngig wird. Das Phosphorescenzlicht fester L\u00f6sungen beruht darauf, dafs die durch die auffallenden Strahlen voneinander getrennten Bestandteile (Jonen) gar nicht oder doch nur wenig aus der gegenseitigen Wirkungssph\u00e4re kommen und sich demgem\u00e4fs nach dem Aufh\u00f6ren der Bestrahlung sehr schnell wieder miteinander vereinen. \u00dcberhaupt spielt' nach den Untersuchungen der genannten Forscher bei den Erscheinungen der Luminisoenz die R\u00fcckbildung der durch vorherige Bestrahlung entstandenen Reaktionsprodukte eine grofse Rolle. Auch schon gewisse Beobachtungen von Arrhenius, welche die Leitungsf\u00e4higkeit der Silbersalze w\u00e4hrend und nach der Belichtung betreffen, weisen nach der Ansicht obiger Forscher darauf hin, dafs ^unter dem Einfiufs einer Bestrahlung eine Jonisierung eintreten kann, die nachher wieder zur\u00fcckgeht\u201c.\nA\n\u00a7 22. Die Mitwirkung der nutritiven Vorg\u00e4nge.\nAnatomische, physiologische und pathologische Thatsachen zeigen,1 dafs die normale Funktion der Netzhaut sehr wesent*\n1 Man vergleiche z. B. K\u00fchne in Herinanns Handb. d. Physiol. 8. L 8.287 und in Heidelb. Unters. 2. 8.46ff.; Eener in Pfl\u00fcgers Arch: 16. 1878. S. 407 ff und 20; 1879. 8. 614 ff ; Bechterew im Ncutol. Centralbl. 1894. 8. 802 f.; ferner vor allem die Zusammen Stellung von Eugen Fick und G\u00fcrber im Arch. f. Ophthalm. 36. 2. S. 281 ff.","page":363},{"file":"p0364.txt","language":"de","ocr_de":"364\nG. B. M\u00fctter.\nlieh von der dur oh den Blut- und Lymphstrom vermittelten Ern\u00e4hrung derselben abh\u00e4ngig ist. Nach unserer Theorie\nl\u00e4fst sich dies leicht verstehen.\nNehmen wir an, es sei eine Netzhautstelle w\u00e4hrend der Dauer einer Lichteinwirkung lediglich auf sich selbst und dasjenige Material an Sehstoffen angewiesen, das sich bei Beginn der Lichteinwirkung in ihr befand, so w\u00fcrde der gegebene Lieht-reiz sehr bald ganz unwirksam f\u00fcr den Sehnerven werden. Denn es w\u00fcrde z. B. weifses Licht das JP-Material sehr bald\n9\nfast ganz in TF-Material umgewandelt haben, und das ^-Material w\u00fcrde infolge der Umsetzung von TF-Material sehr bald so stark vermehrt sein, dafs /, \u2014 I, gleich 0 ist. Das Eintreten letzteren Zustandes wird nun dadurch verhindert, dais w\u00e4hrend der LiohteinWirkung fortw\u00e4hrend neues JV-Material oder Stoffe, mittelst deren neues JV-Material bereitet werden kann, nach dem Schauplatze der photochemischen Prozesse hingef\u00fchrt werden (Stoffzufuhr) und zugleich auch ein Teil des neu entstandenen ^-Materiales von dieser St\u00e4tte hinweggefuhrt wird (Stoffabfuhr).1\nSetzen wir also den Fall, dafs weifses Licht von nicht \u00fcber-m\u00e4fsiger, d. h. pathologische Ver\u00e4nderungen bedingender, St\u00e4rke ununterbrochen auf eine und dieselbe Netzhautstelle einwirke, so wird die positive Differenz Iw\u20141\u201e nachdem sie ihren Maximalwert erreicht hat, dem fr\u00fcher S. 349 f. Bemerkten gem\u00e4fs infolge der Verringerung, welche das N-Materi&l und demzufolge auch das TF-Material erleidet, und infolge der Zunahme, welche das S-Material erf\u00e4hrt, zun\u00e4chst immer weiter und weiter abnehmen. Diese Abnahme wird aber durch die Zufuhr von N-Material (oder zur Bildung von JV-Material geeigneten Stoffen) und durch die Abfuhr von ^-Material immer mehr verlangsamt,\n1 Dasjenige, was hier in Beziehung auf den Fall der Einwirkung weifsen Lichtes bemerkt worden ist, l&fst sich unschwer verallgemeinern. Angenommen, es gebe Licht, welches genau entgegengesetzt wirkt wie weifses Licht, also die Umwandlung von W-Material in ^-Material f\u00f6rdert, so w\u00fcrde w\u00e4hrend der Einwirkung solchen Lichtes N\u2019-Materiai abgef\u00fchrt, hingegen \u00c4-Material zugef\u00fchrt werden. Ist an dem ^Prozesse aufser solchen Stoffen, welche durch die photochemiache Umwandlung des ^-Materiales entstehen, auch noch ein anderer, in der lichtempfindlichen Netzhautschicht bereitliegender Stoff beteiligt, so kann sich die Stoffzufuhr w\u00e4hrend der Einwirkung weifsen Lichtes auch noch auf diesen letzteren Stoff erstrecken.","page":364},{"file":"p0365.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophystk der Gmchtsempfindungm.\n365\num so mehr, da wir Grand za der Annahme haben, dafs die Th\u00e4tigkeit der nutritiven Vorg\u00e4nge in den beiden soeben angegebenen Richtungen eine um so lebhaftere ist, je mehr duroh die Lichteinwirkung in der lichtempfindlichen Schicht der betroffenen Netzhaut stelle das iV-Materi&l bereits verringert und das S-Material bereits vermehrt ist.1 Zuletzt muls prinzipiell ein Zustand erreicht werden, wo die Abnahme, die das N-Material dem bestehenden positiven Werte von 2\u00bb\u2014I* entsprechend in einem Zeitteilchen erleidet, dem Zuwachse, den dasselbe durch die Stoffzufuhr erf\u00e4hrt, genau gleich geworden ist, und ebenso die Einbufse, welche das TV-Material dem vorhandenen positiven Werte von 2\u00bb\u2014I, gem&fs erleidet, dem Zuwachse gleich ist, den dasselbe durch die chemische Umsetzung von N-Material erf\u00e4hrt, und endlich auch der Zuwuchs, der dem \u00c4-Material durch die chemische Umwandlung von W-Material zu teil wird, dem Dekremente gleich ist, welches das erstere durch die Stoffabfuhr erleidet. Dieser Zustand des stofflichen Gleichgewichtes, bei welchem die Abnahme der Differenz I9\u2014I, zu Ende gekommen ist, d\u00fcrfte indessen in Wirklichkeit niemals erreicht werden (abgesehen allenfalls von F\u00e4llen, wo es sich um die Adaptation an eine Beleuchtung von minimaler Intensit\u00e4t handelt.)* Der Eintritt von Augen-\n1 Wie wesentlich sich der Verlauf der Gesichtsempfinduag, die einem gegebenen Lichtreize entspricht, nach dem Verhalten der von der Blutzirkulation abh\u00e4ngigen nutritiven Vorg\u00e4nge bestimmt, zeigen am besten Beobachtungen, bei denen die Blutzirkulation im Auge durch Druck auf den Augapfel mehr oder weniger herabgesetzt wird. Man vergleiche Exhzb, a. o. a. O., sowie M. Reich in den KUn. MonaUbL f. Augmhe\u00fckde. 12. 1874. S. 238 ff. Selbstverst\u00e4ndlich werden die nutritiven Vorg\u00e4nge durch die bei Druck des Augapfels ein tretende Hemmung der Blutzirkulation nicht sofort v\u00f6llig sistiert. Denn angenommen selbst, der Abschlufs des Blutstromes sei ein vollst\u00e4ndiger, so ist ja doch in dem Momente, wo der Abschlufs eintritt, in diesen oder jenen Teilen, z. B. im Pigment* epithele der Netzhaut oder in der St\u00e4bchen- und Zapfenschicht selbst, bereits eine gewisse Menge solcher Stoffe abgelagert, die durch gewisse Vorg\u00e4nge in lichtempfindliches Material umgewandelt werden k\u00f6nnen. W\u00e4re man in der Lage, nicht blofs die Blutzirkulation im Auge, sondern auch diese letzteren Umwandlungsvorg\u00e4nge pl\u00f6tzlich v\u00f6llig aufheben zu k\u00f6nnen, so w\u00fcrde sich der Verlauf der Gesichtsempfindungen noch in einem ganz anderen Grade, als thats\u00e4chlich bei Herstellung der Druckblindheit der Fall ist, als von der Mitwirkung der nutritiven Vorg\u00e4nge abh\u00e4ngig erweisen.\n* Die neutrale Stimmung der lichtempfindlichen Netzhautschicht kann als derjenige Zustand der letzteren bezeichnet werden, bei welchem","page":365},{"file":"p0366.txt","language":"de","ocr_de":"366\nG. E. M\u00fcller.\nbewegungen u. dergl. und. der Einflu\u00df* derjenigen Vorg\u00e4nge, welche den Erscheinungen des Simultankontrastes und der simultanen Lichtinduktion zu Grunde liegen, greifen st\u00f6rend oder modifizierend in den Ablauf der Netzhautprozesse ein, die ein gegebener Lichtreiz hervorruft. Trotzdem d\u00fcrfte es angezeigt sein, hier einige S\u00e4tze hervorzuheben, die f\u00fcr diesen Zustand des stofflichen Gleichgewichtes gelten. Denn, wie leicht ersichtlich, l\u00e4fst sich der Inhalt dieser S\u00e4tze auch auf diejenigen F\u00e4lle \u00fcbertragen, wo das Sinken der von einem gegebenen Lichtreize erweckten Erregung zwar noch nicht beendet, wohl aber doch schon bedeutend verlangsamt ist.\nIst der Satz richtig, dafs die nutritiven Vorg\u00e4nge um so lebhafter sind, je intensiver das gegebene Licht (das wir uns der Einfachheit halber wieder als weifses Licht vorstellen wollen) ist, so mufs bei erreichtem stofflichen Gleichgewicht die Differenz Iw\u2014It um so gr\u00f6\u00dfer sein, je intensiver das gegebene Licht ist.\nSind zwei verschiedenartige Valenzen (z. B. eine \u00dfotvalenz und eine Weifsvalenz) gegeben, deren Wirksamkeit in dem Sehepithele (der St\u00e4bchen- und Zapfenschioht) durch die nutritiven Vorg\u00e4nge nicht in gleichem Grade gefordert wird, so mufs bei erreichtem stofflichen Gleichgewichte derjenigen Valenz, welche durch die nutritiven Vorg\u00e4nge mehr beg\u00fcnstigt wird, eine gr\u00f6fsere Wirkung (eine gr\u00f6fsere Intensit\u00e4tsdifferenz zweier entgegengesetzter Netzhautprozesse) in der Netzhaut entsprechen, selbst dann, wenn die St\u00e4rkegrade beider Valenzen so gew\u00e4hlt sind, dafs letztere im ersten Momente ihrer Einwirkung gleich starke Wirkungen im Sehepithele erzielen.\nFinden in zwei verschiedenen Netzhautstellen bei gleichem Beize die nutritiven Vorg\u00e4nge mit verschiedener Lebhaftigkeit statt, so mufs bei erreichtem stofflichen Gleichgewichte dem gleichen Beize in derjenigen Netzhautstelle, welche hinsichtlich der nutritiven Vorg\u00e4nge bevorzugt ist, eine gr\u00f6\u00dfere Wirkung entsprechen, als in der anderen Netzhautstelle.\nOb nach Erreichung des stofflichen Gleichgewichtes bei\nkonstant bleibendem Lichtreize die Stoffzufuhr und Stoffabfuhr\n\u2022 ... . \u25a0. - \u00ab\nauf konstanter H\u00f6he beharren w\u00fcrden, kann sehr bezweifelt werden. Von vornherein kann man denken, dafs allm\u00e4hlich\n\u2022\t\u25a0\t. \u2022\t-i\nein Beiz nicht vorhanden ist und zugleich stoffliches Gleichgewicht besteht.\t.\t\u2022","page":366},{"file":"p0367.txt","language":"de","ocr_de":"Zw PsyckophysiJe der O\u00e9s\u00fcshtsempfindungen.\n367\nein Erlahmen der in so einseitiger Weise ununterbrochen ausge\u00fcbten Ern\u00e4hrungsth\u00e4tigkeit eintrete. Man kann aber auoh an ein Inzugkommen in dieser Hinsicht denken oder es f\u00fcr selbstverst\u00e4ndlich erkl\u00e4ren, dafs die Lebhaftigkeit der nutritiven Vorg\u00e4nge von der Atemth\u00e4tigkeit, der Nahrungsaufnahme u. dergl. abh\u00e4ngige Schwankungen erleide. Man kann die Frage auf werfen, ob die unregelm\u00e4fsig wechselnden, hellen oder dunklen Flecken, Wolken, Nebelballen, welche im Sehfelde des Dunkelauges in so reichem Mafse auftreten, nicht zu einem wesentlichen Teile auf Schwankungen der hier in Hede stehenden nutritiven Vorg\u00e4nge beruhen. Denn nach Erreichung des Zustandes des stofflichen Gleichgewichtes mufs jede eintretende Schwankung der Stoffzufuhr oder Stoffabfuhr von einer Schwankung der Netzhautprozesse und einer \u00c4nderung der Gesichtsempfyidung begleitet sein, mag die Intensit\u00e4t des vorhandenen Lichtreizes gleich 0 sein oder einen endlichen Wert besitzen.1\nEs ist zu beachten, dafs die durch einen Lichtreiz bewirkte Steigerung der nutritiven Vorg\u00e4nge beim Schwinden dieses Reizes nicht mit einem Schlage r\u00fcckg\u00e4ngig werden d\u00fcrfte. Nach Versuchen von Chauveau (a. a. O. S. 362) ist die Blutzirkulation im Muskel am lebhaftesten in der Buhezeit, welche unmittelbar auf vorherige Arbeit des Muskels folgt, und die vasomotorischen Begleiterscheinungen einer l\u00e4ngeren geistigen Anstrengung dauern l\u00e4nger an, als diese Geistesanstrengung (Gley in Arch, de physiol. 13. 1881, S. 754). Nimmt man \u00e4hnliches f\u00fcr die der Funktion des Sehepithels dienliohen nutritiven Vorg\u00e4nge an, so ergiebt sich, dafs diese Vorg\u00e4nge auch den Verlauf der Nachbilder mehr oder weniger mit bestimmen m\u00fcssen und eventuell f\u00fcr die Erkl\u00e4rung dieser oder jener Eigent\u00fcmlichkeit desselben mit in Erw\u00e4gung zu ziehen sind.\nAus dem Vorstehenden und unseren fr\u00fcheren Ent-\n1 Wenn wir beim Blicken auf belle Gegenst\u00e4nde nicht entsprechende Wolken oder Lichthallen auftauchen sehen, wie im Sehfelde des Dunkelauges, so kann man (abgesehen von anderen naheliegenden, z. B. in eine Diskussion des WsBERSchen Gesetzes geh\u00f6rigen Gesichtspunkten) hierin ein Analogon der Thatsache erblicken, dafs die zuf\u00e4lligen Schwankungen der Lebhaftigkeit der im Muskel stattfindenden Blutzirkulation beim Buhezustande des Muskels viel ausgiebiger sind, als bei der Th\u00e4tigkeit desselben. (Chauveau, Le travail musculaire. Paris, 1891. S. 956 ff.).","page":367},{"file":"p0368.txt","language":"de","ocr_de":"868\nG. E. muter.\nWickelungen (S. 350) ergiebt rich, dafs der Wichtigkeit gem\u00e4fs, welche f\u00fcr uns eine schnelle Erholungsf\u00e4higkeit des Sehorganes besitzt, unser Auge die durch einen Lichtreiz in dem Sehepit hei e bewirkten stofflichen Ver\u00e4nderungen in doppelter Weise auszugleichen sucht, erstens durch B\u00fcck-b ildung eines Teiles der Produkte der durch den Beiz direkt und indirekt bewirkten chemischen Beaktionen (welche R\u00fcck-bildung nach Aufh\u00f6ren des Reizes beginnt und dem negativen Nachbilde zu Grunde liegt), und zweitens durch die nutritiven Vorg\u00e4nge, welche schon w\u00e4hrend der Einwirkung des Reizes denjenigen Stoffen, die durch den Einflufs desselben verringert werden, Ersatzmaterial zuf\u00fchren und zugleich von denjenigen Stoffen, welche infolge der Beizwirkung sich im \u00dcbermafs anh\u00e4ufen, einen Teil nach aufsen abf\u00fchren. Sowohl diese letzteren Vorg\u00e4nge, als auch jene R\u00fcckbildung finden mit um so gr\u00f6fserer Lebhaftigkeit statt, je intensiver der betreffende Liohtreiz ist.\nGanz unentschieden k\u00f6nnen wir hier lassen, wo die Herstellung lichtempfindlicher Stoffe mittelst irgendwelcher dem Ern\u00e4hrungsstrome entstammender Substanzen erfolgt, ob z. B die lichtempfindlichen Stoffe bereits in dem Pigmentepithele der Netzhaut bereitet werden und von hier aus durch irgendwelche Kr\u00e4fte in die St\u00e4bchen- und Zapfenschicht gelangen oder etwa erst in letzterer Schicht ihre definitive Formung erfahren. Ferner lassen wir hier ganz dahingestellt, was mit denjenigen Reaktionsprodukten geschieht, die durch die Stoffabfuhr aus der lichtempfindlichen Schicht der betroffenen Netzhautstelle hinweggefiihrt werden. Es ist m\u00f6glich, dafs dieselben oder gewisse Komponenten derselben irgendwo mit H\u00fclfe anderer Substanzen wieder zum Aufbau von lichtempfindlichem Materiale oder solchen Stoffen, die Vorstufen letzteren Materiales sind, verwandt werden.\nWas die oben erw\u00e4hnte Zunahme der nutritiven Vorg\u00e4nge bei steigender Lichtst\u00e4rke anbelangt, so kann dieselbe doppelten Ursprunges sein. Erstens kann dieselbe eine Folge der Steigerung sein, welche die Th\u00e4tigkeit des Sehepithels bei wachsender Lichtst\u00e4rke erf\u00e4hrt. Tritt z. B. (wie zu vermuten, aber unseres Wissens noch nicht nachgewiesen ist) bei einer Lichtverst\u00e4rkung eine Steigerung der retinalen und chorioidealen Blut Zirkulation ein, so entsteht dieselbe infolge der erh\u00f6hten Th\u00e4tigkeit des","page":368},{"file":"p0369.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n369\nSehepithels in \u00e4hnlicher Weise, wie auch sonst eine Erh\u00f6hung der Th\u00e4tigkeit eines Organes eine Steigerung der Elutzirkulation in demselben zur Folge hat. Zweitens kommt hier noch in Betracht, dafs vielleicht das ein wirkende Licht direkt selbst (nicht blofs indirekt durch die von ihm bewirkte Steigerung der Th\u00e4tigkeit des Sehepithels) gewisse f\u00fcr die Schnelligkeit der Ern\u00e4hrung des Sehepithels wichtige Vorg\u00e4nge f\u00f6rdert. Wir erinnern daran, dafs nach den Untersuchungen von K\u00fchne und Mats das Fuscin bei Vorhandensein von Sauerstoff durch Licht direkt zersetzt wird, sowie daran, dafs nach Versuchen von K\u00fchne (Heidelb. Unters. 2. S. 104 f.) die H\u00e4moglobinzersetzung durch Licht beschleunigt wird.\nOb der S\u00e4ftestrom im Auge und die Ern\u00e4hrung des Sehepithels der Annahme von Eugen Fick und G\u00fcbber entsprechend durch Bewegungen des Augapfels und der Augenlider gefordert wird, ist zur Zeit noch nicht entschieden. \u2014\nVergleicht man die drei optischen Spezialsinne hinsichtlioh der Lebhaftigkeit miteinander, mit welcher ihre Th\u00e4tigkeit durch die nutritiven Vorg\u00e4nge unterst\u00fctzt wird, so zeigt sich die wichtige Thatsache, dafs in dieser Beziehung erstens der Weifsschwarzsinn vor den beiden chromatischen Sinnen wesentlich bevorzugt ist, und zweitens unter den beiden letzteren der Gelbblausinn vor dem Kotgr\u00fcnsinne beg\u00fcnstigt ist. Auf ersteres weist, wie nach dem Obigen nicht weiter ausgef\u00fchrt zu werden braucht, die Thatsache hin, dafs die Empfindung eines farbigen Lichtes bei l\u00e4ngerer Einwirkung des letzteren auf eine und dieselbe Netzhautstelle immer unges\u00e4ttigter und weifslicher wird, sowie die Thatsache, dafs alle Farbenempfindungen von gewissen St\u00e4rkegraden des farbigen Lichtes ab sich bei weiterer Steigerung des letzteren immer mehr der reinen Weifsempfindung n\u00e4hern. Dafs ferner der Gelbblausinn in nutritiver Hinsicht vor dem Rotgr\u00fcnsinne bevorzugt ist, folgt in entsprechender Weise aus der Thatsache, dafs rotgelbes und rotblaues Licht bei steigender Intensit\u00e4t oder verl\u00e4ngerter Einwirkungsdauer1\n1 Vorausgesetzt ist hier, dafs die Einwirkungsdauer stets l\u00e4nger ist, als die Zeit, die zur Erreichung der maximalen Beizwirkung erforderlich ist. Die (mit den im Bisherigen entwickelten Anschauungen wohl vereinbaren) \u00c4nderungen, welche die Empfindungen der verschiedenen Farben bei ihrem Anklingen erfahren, sollen innerhalb dieser Abhandlung nicht mit zur Er\u00f6rterung kommen.\nZeitschrift Ar Psychologie X.\n24","page":369},{"file":"p0370.txt","language":"de","ocr_de":"370\nO. E. Muller.\nimmer gelblicher, bezw. bl\u00e4ulicher wird ; erst bei sehr hohen Werten der Lichtst\u00e4rke oder Einwirkungszeit tritt die soeben erw\u00e4hnte Ann\u00e4herung an Weifs in den Vordergrund. Ebenso werden die gr\u00fcnlichen Nuancen, je nachdem sie zum Gelb oder zum Blau hinneigen, bei Steigerung der Intensit\u00e4t oder Einwirkungszeit zun\u00e4chst immer gelblicher bezw. bl\u00e4ulicher, so dafs bei wachsender Lichtst\u00e4rke des Sonnenspektrums das Gelb und Blau sich immer weiter ausbreiten, hingegen das Gr\u00fcn immer mehr eingengt wird.1 Nur Urrot und Urgr\u00fcn gehen bei fortgesetzter Verst\u00e4rkung ohne \u00c4nderung des Parbentones in\nimmer weifslichere Nuancen \u00fcber.\nM\u00f6glicherweise steht mit der soeben besprochenen Reihenfolge, in welcher die drei optischen Spezialsinne in nutritiver Hinsicht rangieren, auch die Thatsache in Zusammenhang\u00bb dais bei fortgesetztem Druck auf den Augapfel alle Farben zun\u00e4chst ganz \u00e4hnliche Ver\u00e4nderungen ihres Aussehens erleiden, wie sie bei Steigerung ihrer Intensit\u00e4t erfahren. Sie gehen s\u00e4mtlich teils direkt (z. B. reines Blau), teils indirekt (z. B. gelbliches Rot und gelbliches Gr\u00fcn durch Gelb hindurch) in Grauweifs \u00fcber, bis schliefslich eine allgemeine An\u00e4sthesie der Netzhaut eintritt und nur noch Finsternis empfunden wird (M. Reich, a. a. O. S. 247 ff., K\u00fchne in Hcidelb. Unters. 2. S. 53 ff.). Endlich liegt es nahe, auch die aus den Erscheinungen sowohl der peripherischen, als auch der individuellen Farbenblindheit sich ergebende verschiedene Leichtigkeit, mit welcher\n1 Bei sehr geringer Lichtst\u00e4rke des Sonnnenspektrums scheinen Rot und Gr\u00fcn unmittelbar aneinanderzustofsen ; je lichtst\u00e4rker das Spektrum gemacht wird, desto deutlicher und ausgebreiteter wird das Gelb. Diese Thatsache ist Obigem gem\u00e4fs in folgender Weise zu deuten. Die Rotvalenzen und Gr\u00fcn Valenzen derjenigen rotgelben und gr\u00fcngelben Spektrallichter, welche dem Urgelb nicht sehr nahe stehen, \u00fcben auf die Geschwindigkeitskonstanten der durch sie direkt beeinflufsbaren Netzhautprozesse einen st\u00e4rkeren Einffufs aus, als die Gelbvalens auf die Geschwindigkeitskonstanten der beiden durch sie direkt beeinflufsbaren, einander entgegengesetzten Netzhautprozesse aus\u00fcbt. Demgem\u00e4fs erscheinen diese Lichter bei geringer Intensit\u00e4t, wo auch der in nutritiver Hinsicht schwache Rotgr\u00fcnsinn den an ihn gestellten Anforderungen gewachsen ist, vorwiegend rot bezw. gr\u00fcn. Wird jedoch die Lichtst\u00e4rke gesteigert, so macht sich immer mehr der Umstand geltend, dafs die Farbe, in welcher uns ein bestimmter Theil des Spektrums unter gew\u00f6hnlichen Bedingungen der Beobachtung (d. h. bei nicht blofs momentaner Einwirkung des Spektrums) erscheint, sich nach der Beschaffenheit bestimmt, welche die durch die Farbe erweckten Netzhautprozesse in einem Stadium besitzen, wo sie den Punkt der maximalen Reizwirkung bereits l\u00e4ngst hinter sich haben und bereits wesentlich von der ihr weiteres Abfallen verlangsamenden Mitwirkung der nutritiven Vorg\u00e4nge abh\u00e4ngen, und dafs eben diese nutritiven Vorg\u00e4nge hin-","page":370},{"file":"p0371.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindujigen.\n371\ndie drei optischen Spezialsinne Schw\u00e4chungen erfahren oder gar ganz in Wegfall kommen, hier anzuf\u00fchren. Man kann meinen, es sei selbstverst\u00e4ndlich, dafs bei Erschwerungen oder Mangelhaftigkeiten der Stoffzufuhr oder Stoffbereitung im Sehorgane oder wenigstens gewissen Teilen desselben im allgemeinen derjenige Spezialsinn (der Rotgr\u00fcnsinn) am ehesten und meisten geschw\u00e4cht werde, f\u00fcr dessen Unterhaltung die nutritiven V org\u00e4nge \u00fcberhaupt am wenigsten lebhaft eintreten, hingegen derjenige Spezialsinn (der Weifsschwarzsinn) am wenigsten beeintr\u00e4chtigt werde, f\u00fcr dessen Unterhaltung der normale Organismus das reichlichste Material zu beschaffen verm\u00f6ge. Die Thats&che, dafs man beim \u00dcbergange vom Zentrum der Netzhaut zur Peripherie ganz dieselben Ver\u00e4nderungen der Farbenempfindlichkeit konstatieren kann, die man im Zentrum durch fortgesetzten Druck auf den Augapfel, also Erzeugung von Blutleere, erzeugen kann, hat M. Reich (a. a. O. S. 251 f.) zu der Bemerkung veranlagt, dafs die peripheren Netzhautteile \u201eimmer ver-h\u00e4ltnism\u00e4fsig arm an Blut\u201c seien. Indessen ist hier einige Zur\u00fcckhaltung, zum mindesten gewisse Einschr\u00e4nkung oder Erg\u00e4nzung geboten. Denn, dafs viele F\u00e4lle von Farbenschw\u00e4che und Farbenblindheit in Affektionen des Sehnerven oder noch zentralerer Teile ihren Ursprung haben, ist sicher. Auch kann die Annahme, dafs die totale Farbenblindheit, soweit sie nicht durch Affektionen des Sehnerven oder zentralerer Teile bedingt sei, einfach auf einem Wegfalle der Funktion der Zapfen beruhe, als ausgeschlossen nicht gelten. \u2014\nZum Schl\u00fcsse mag hier noch der Frage gedacht werden, ob die Steigerung nutritiver Vorg\u00e4nge, welche durch erh\u00f6hte Th\u00e4tigkeit eines der drei optischen Spezialsinne bewirkt ist, die beiden anderen Spezial-\nsichtlich der Unterhaltung des Gelbprozesses weit leistungsf\u00e4higer sind, als hinsichtlich des Rot- und Gr\u00fcnprozesses. Infolge letzteren Verhaltens mufs bei Steigerung der Lichtst\u00e4rke des Sonnenspektrums der von einer rotgelben oder gr\u00fcngelben Farbe erweckte Gelbproze\u00fcs, soweit er f\u00fcr das Aussehen der Farbe mafsgebend ist, im Vergleich zu dem von derselben Farbe hervorgerufenen Rot- bezw. Gr\u00fcnprozesse immer st\u00e4rker werden, mithin das Gelb im Spektrum immer deutlicher und ausgebreiteter werden. Man darf also nicht den Einwand erheben (vergl. Ebbinghaus, d\u00fcse Zeitschrift Bd. V. S. 179 f.), dafs nach den hier vertretenen Anschauungen die bei steigender Lichtst\u00e4rke des Spektrums stattfindende Zunahme der Deutlichkeit und Ausdehnung des Gelb nur dadurch erkl\u00e4rt werden k\u00f6nne, dafs \u201eganz entgegengesetzt allem, was sonst bekannt ist\u201c, die Einwirkung auf ein gewisses lichtempfindliches Material, die sich bei schwachem Lichte schon bis zu einer gewissen Grenze (Wellenl\u00e4nge des Lichtes) erstreckt habe, bei Verst\u00e4rkung des Lichtes sich etwas von dieser Grenze zur\u00fcckgezogen habe. Dafs sich Erscheinungen, die der hier er\u00f6rterten Erscheinung analog sind, an photographischen Platten nicht beobachten lassen, ist nicht za verwundern. Denn die hier er\u00f6rterte Erscheinung ist eben durch eine Eigent\u00fcmlichkeit der organisierten Substanzen, n\u00e4mlich die Ern\u00e4hrung, bedingt*\n24*","page":371},{"file":"p0372.txt","language":"de","ocr_de":"372\nG. E. M\u00fcller.\nsinne ganz unbeeinflu\u00dft lasse. Wenn z. B. wei\u00dfes Liebt l\u00e4ngere Zeit bindureb auf die Netzbaut einwirkt, lassen dann die hierdurch gesteigerten nutritiven Vorg\u00e4nge die Sehstoffe der beiden chromatischen Spezialsinne ganz unver\u00e4ndert?\n\u00a7 23. Die retinalen Anpassnngsvorg\u00e4nge.\nNeben der Ver\u00e4nderlichkeit der Pupillenweite bestehen noch in der Netzhaut selbst Einrichtungen, welche dazu dienen, die Wirkungsf\u00e4higkeit, welche gegebenes Licht den Sehstoffen gegen\u00fcber besitzt, nach Mafsgabe der St\u00e4rke des Lichtes zu modifizieren. Vorg\u00e4nge in der Netzhaut, welche letztere Wirkung haben, sollen kurz als retinale Anpassungs-Vorg\u00e4nge bezeichnet werden. Dieselben sind von den er\u00f6rterten nutritiven Vorg\u00e4ngen wohl zu unterscheiden. Denn letztere betreffen nicht die Wirkungsf\u00e4higkeit, welche gegebenes Licht in Beziehung auf die Sehstoffe besitzt, sondern die Mengen, in denen das Licht diese Stoffe vorfindet.\nRetinale Anpassungsvorg\u00e4nge im soeben angegebenen Sinne sind schon mehrfach angenommen worden. So vertritt z. B. Kunkel (.Pfl\u00fcgers Arch. 15. 1877. S. 38 f.) die Ansicht, dais die Netzhaut \u00fcber Schutzvorrichtungen verf\u00fcge, durch welche sie sich vor tiefergehenden Ver\u00e4nderungen durch ein wirkendes Licht sch\u00fctze. Er glaubt, dafs in den vor dem Sehepithele gelegenen Schichten der Retina bei Einwirkung von Licht \u201echemische Ver\u00e4nderungen, und zwar Tr\u00fcbungen der vorher pelluciden Substanz, zu st\u00e4nde kommen, die nat\u00fcrlich das Durchdringen von Licht bis zur letzten empfindlichen Schicht erschwerena. K\u00fchne bemerkt gelegentlich [Hermanns Handb. d. Physiol. 3. S. 328), dafs die eminente Lichtempfindlichkeit des Sehpurpurs denselben keineswegs vor dem Verdachte bewahre, \u201enur ein f\u00fcr hinreichend intensives Licht ver\u00e4nderlicher Farbenschirm zu sein, was f\u00fcr mit ihm gemischte, ebenfalls in den St\u00e4bchencylindern befindliche, wirkliche Sehstoffe die gr\u00f6fste Bedeutung haben k\u00f6nnteu. In Anschlufs an diese Bemerkung K\u00fchner mag sogleich daran erinnert werden, dafs der gelbe Farbstoff der Macula lutea nach den Untersuchungen desselben Forschers (ebenda. S. 291. 327. Heidelb. Unters. 2. S. 128) \u201evon nicht geringer Lichtempfindlichkeitw, also ein Farbenschirm ist, dessen Einflufs nicht ohne weiteres ^ls von","page":372},{"file":"p0373.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n373\nder Datier, St\u00e4rke und Beschaffenheit der vorausgegangenen Lichtreizungen ganz unabh\u00e4ngig vorgestellt werden darf.\nVon verschiedenen Forschem ist die photo trope Reaktion des Pigmentepitheles als ein retinaler Anpassungsvorgang angesehen worden (man vergleiche z. B. Schirmer im Arch. f. Ophthalm. 36. 4. S. 141 ff). In der That l\u00e4fst es die physikalische Betrachtung nicht zweifelhaft erscheinen, dafs dieser von der St\u00e4rke und Dauer der Lichteinwirkung abh\u00e4ngige Vorgang \u201edie Ausbreitung und Reflexion des Lichtes in der musivischen Schicht der Netzhaut beschr\u00e4nke\u201c (Helmholtz). Auf eine solche Bedeutung der Pigmentwanderung weist insbesondere auch der Umstand hin, dafs sich das Pigment bei Einwirkung hinl\u00e4nglich starken Lichtes auch hinter der Endfl\u00e4che der St\u00e4bchen ausbreitet und durch Bedeckung derselben die Menge des Lichtes verringert, das von der Chorioidea und Skierotika her reflektiert werden kann. Macht man hingegen die von vornherein sich ebenfalls darbietende Annahme einer wesentlichen nutritiven Bedeutung der Pigmentwanderung, so erscheint nicht recht begreiflich, wie die Sehorgane albinotischer Individuen denjenigen noch recht betr\u00e4chtlichen Grad von Leistungsf\u00e4higkeit besitzen k\u00f6nnen, den sie thats\u00e4chlich bekunden, wie z. B. derartige Individuen \u201ebei mittlerer Beleuchtung oder bei Lampenlicht stundenlang ohne Beschwerden arbeiten\u201c k\u00f6nnen (Schirmer, a. a. O. S. 145). Derartige Leistungen erscheinen um so beachtenswerter, weil ja die Netzhaut der Albinos infolge des Fehlens oder wenigstens Mangelhaftseins der Pigmentierung der Iris und der Chorioidea bei gleichen Beleuchtungsverh\u00e4ltnissen von bedeutend mehr einfallendem Lichte und von bedeutend mehr von der Chorioidea und Skierotika her reflektiertem Lichte getroffen wird als die Netzhaut der Normalen. Es erscheint also in der That nicht gut m\u00f6glich, die thats\u00e4chliche Leistungsf\u00e4higkeit des albinotischen Auges mit der Annahme in Einklang zu bringen, dafs die Ern\u00e4hrung des Sehepitheles von der Pigmentwanderung wesentlich abh\u00e4ngig sei. Hingegen erkl\u00e4rt sich die Lichtscheu der Albinos und der Umstand, dafs ihr Sehorgan schon bei einer f\u00fcr das normale Auge noch gut ertr\u00e4glichen Andauer oder St\u00e4rke der Beleuchtung nachteilig affiziert wird, in vollkommen befriedigender Weise, wenn man bedenkt, dafs die Netzhaut der Albinos nicht blofs wegen des soeben erw\u00e4hnten","page":373},{"file":"p0374.txt","language":"de","ocr_de":"374\nG. E. M\u00fcller.\nFehlens oder Unzul\u00e4ngliohseins des Iris- und des Chorioidea-pigmentes unter gleichen Verh\u00e4ltnissen st\u00e4rker gereizt wird als die Netzhaut des normalen Auges, sondern auch deshalb, weil ihr das Pigment des Pigmentepitheles und der in der Wanderung dieses Pigmentes bestehende AnpassungsVorgang fehlt. Wenn nach den Beobachtungen von A. Eugen Fick [Arch. f. Ophthalm. 37. 2. S. 11 ff.) die mittleren und unteren Teile der Fr\u00f6schnetzhaut reicher mit Fuscin ausgestattet sind und eine st\u00e4rkere Neigung zur Innenstellung dieses Pigmentes zeigen als die oberen Teile, so begreift sich dies nach der hier vertretenen Ansicht unschwer daraus, dafs jene Teile der Netzhaut der Einwirkung starken Lichtes mehr ausgesetzt sind als diese.1 Die von demselben Forscher (a. a. O. S. 8 ff.) gefundene Thatsache ferner, dafs \u201enach kurzer Belichtung die Innenstellung im Dunkeln sich weiter, bezw. \u00fcberhaupt erst entwickelt\u201c, scheint uns nicht im mindesten gegen die hier vertretene Ansicht von der Bedeutung der Pigmentwanderung zu sprechen. Denn wenn ein retinaler Anpassungsvorgang von der Dauer der Beleuchtung abh\u00e4ngig sein soll, so dafs er sich um so mehr entwickelt, je l\u00e4nger eine st\u00e4rkere Beleuchtung andauert, so mufs der jeweilig vorhandene Entwickelungsgrad des Vorganges eine Funktion nicht blofs der vorhandenen, sondern auch der vorausgegangenen Beleuchtungen sein. Nur dadurch, dafs sich die Nachwirkungen der vorausgegangenen Beleuchtungen mit der Wirkung der vorhandenen Beleuchtung summieren, ist es m\u00f6glich, dafs sich der Vorgang (bis zu einer gewissen Grenze) um so mehr entwickelt, je l\u00e4nger eine Beleuchtung andauert. Die von A. Eugen Fick gefundene Thatsache, dafs eine Belichtung der Netzhaut in Beziehung auf die Pigmentstellung noch in dem der Belichtung nachfolgenden Zeitabschnitte nachwirkt, ist also ganz einfach eine notwendige Bedingung daf\u00fcr, dafs die Pigmentstellung von der Zeitdauer der Belichtung abh\u00e4ngig sei. Zum Schl\u00fcsse mag hier noch daran erinnert werden, dafs nach den Untersuchungen Exnebs\n1 Wenn ferner nach demselben Forscher bei behinderter Atmung des Frosches regelm\u00e4\u00dfig st\u00e4rkste Innenstellung des Pigmentes eintritt, so ist dies offenbar einfach dahin zu deuten, dafs sich der Organismus bei behinderter Atmung gegen jeden durch Licht, sei es direkt oder indirekt, bewirkbaren Verbrauch von Sauerstoff m\u00f6glichst zu sch\u00fctzen sucht.","page":374},{"file":"p0375.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n375\ngewissen Pigmentverschiebungen, die in zusammengesetzten Augen bei Lichteinwirkung stattfinden und im Dunkeln r\u00fcckg\u00e4ngig werden, eine ganz \u00e4hnliche Bedeutung zukommt, als wir hier der phototropen Reaktion des Pigmentepitheles zugeschrieben haben.1\nWir kommen nun zu einem zweiten retinalen Anpassungs-Vorgang e. Nach den Beobachtungen von Ewald und K\u00fchne und den genauen Messungen von von Hornbostel {Heidelb. Unters. 1. S. 409 ff.) bewirkt Licht \u201eeine sehr auff\u00e4llige Ver\u00e4nderung an der Form der St\u00e4bchen, welche sich kurz dahin zusammenfassen l\u00e4fst, d&fs kr\u00e4ftige Belichtung von gen\u00fcgender Dauer sie verdickt, quellen macht, Dunkelheit sie wieder zum Schrumpfen bringt und im Querdurchmesser sie wieder verkleinert\u201c. Wie eine Volumenzunahme eines St\u00e4bchens auf die St\u00e4rke eines in demselben hervorzurufenden Netzhautprozesses, z. B. TV-Pro-zesses, wirken mufs, l\u00e4fst sich an der Hand unserer Formel (2) auf S. 340 leicht erkennen. Die Gesamtst\u00e4rke eines in einem St\u00e4bchen sich abspielenden TK-Prozesses (die Gesamtzahl der in demselben stattfindenden TT-Reaktionen) ist offenbar gleich v X J. zu setzen, wo v das Volumen des St\u00e4bchens oder vielmehr des in Betraoht kommenden Abschnittes desselben (Aulsengliedes) und Iw dem fr\u00fcheren entsprechend die in dem St\u00e4bchen bestehende Geschwindigkeit des TV-Prozesses bedeutet. Setzt man nun in dem Produkt v X I* * f\u00fcr den auf der rechten Seite der Gleichung (2) auf S. 340 stehenden Ausdruck ein, so zeigt sich, dafs die Gesamtst\u00e4rke des in einem St\u00e4bchen stattfindenden TF-Prozesses bei gleichem Werte der Geschwindigkeitskonstanten if* und bei gleichem Gehalte des St\u00e4bchens an TF-Material sich umgekehrt verh\u00e4lt wie der Wert v\u00ab+P+t\u2022\u2022\u2022-\u00bb. Ist also die TF-Reaktion eine unimolekulare Reaktion, mithin a \u2014 1, hingegen \u00df = y ...= 0 zu setzen, so wird die Gesamtst\u00e4rke des IF-Prozesses von einer Volumen\u00e4nderung (Quellung, oder Schrumpfung) des betreffenden St\u00e4bchens nicht ber\u00fchrt.* Sind aber zwei oder mehr Molek\u00fcle an einer TF-Reaktion beteiligt, ist also er + \u00c6 + / \u2022 \u2022 \u2022 > 1, so nimmt die Zahl der\n1 Man vergleiche S. Exneb in Wien. Ber. 98. 1889. 3. Abtl. 8. 143 ff., 8. Fuchs, diese Zeitschr. 4. 1893. S. 360.\n* Abgesehen ist hier von den wegen ihrer Geringf\u00fcgigkeit zu vernachl\u00e4ssigenden , rein physikalischen (die Lichtabsorption u. dergl. betreffenden) Wirkungen, welche eine Volumen&nderung eines St\u00e4bchens hat.","page":375},{"file":"p0376.txt","language":"de","ocr_de":"376\nCr. E. M\u00fcller.\nTF-Beaktionen, die sich in einem St\u00e4bchen bei gleichem Werte von A* und gleichem Gehalte an TF-Material vollziehen, bei einer Volumenzunahme des St\u00e4bchens ab, und zwar mufs, falls die TF-Beaktion einigermafsen komplizierter Art ist, einer nur geringen Volumenzunahme des St\u00e4bchens schon eine sehr bedeutende Abnahme der St\u00e4rke des TF-Prozesses entsprechen.1 Ebenso wie die Umwandlung von TF-Material in ^-Material mufs auch die Umwandlung von Ar-Material in TF-Material durch eine Volumenzunahme der St\u00e4bchen verlangsamt werden, falls es sich dabei um eine Beaktion handelt, an der zwei oder mehr Molek\u00fcle beteiligt sind. Nun mufs die Gesamtst\u00e4rke des TF-Prozesses, der einem gegebenen Lichtreize in einem St\u00e4bchen entspricht, durch eine Volumenzunahme des letzteren sowohl dann beeintr\u00e4chtigt werden, wenn durch letztere die Geschwindigkeit verringert wird, mit welcher sich das N\u2019-Material unter dem Einfl\u00fcsse des Lichtes in TF-Material umwandelt, als auch dann, wenn durch die Volumenzunahme des St\u00e4bchens direkt die Geschwindigkeit vermindert wird, mit welcher die Unwandlung von TF-Material in ^-Material vor sich geht. Es ist aber \u00e4ujfeerst unwahrscheinlich, dafs beide soeben erw\u00e4hnte Umwandlungsvorg\u00e4nge unimolekulare Beaktionen seien und mithin durch eine Volumen\u00e4nderung des St\u00e4bchens nicht ber\u00fchrt werden. Es d\u00fcrfte sehr schwer fallen, einen die Erscheinungen der photochemischen Induktion darbietenden photochemischen Prozefs ausfindig zu machen, der aus zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden unimolekularen Beaktionen (Zersetzung und nochmaliger Zersetzung der einen Art von Zersetzungsprodukten) besteht. Folglich erscheint die Annahme gegeben, dafs die Volumenzunahme eines St\u00e4bchens mit einer Abnahme der Gesamtst\u00e4rke des TF-Prozesses (oder etwaigen sonstigenNetzhaut-prozesses) verbunden ist, der einem gegebenen Lichtreize in\n1 Das Entsprechende gilt nat\u00fcrlich von dem ^-Prozesse. Der Einflufs, den bei gegebenem Lichtreize eine Volumenzunahme des St\u00e4bchens auf die Differenz zwischen der St\u00e4rke des TF-Prozesses und derjenigen des S-Prozesses aus\u00fcbt, bestimmt sich des n\u00e4heren nach den Kompliziertheitsgraden der in Betracht kommenden chemischen Beaktionen (Umwandlung von N-Material in TF-Material, von TF-Material in ^-Material und umgekehrt). Wir halten es f\u00fcr \u00fcberfl\u00fcssig, die aus unseren fr\u00fcheren Formeln leicht ableitbaren Folgen einer Volumen\u00e4nderung der St\u00e4bchen hier s\u00e4mtlich zu erw\u00e4hnen.","page":376},{"file":"p0377.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psgchqphysik der Gesichtsempfindungen.\n377\ndem St\u00e4bchen entspricht, dafs also die bei zunehmender Beleuchtungsst\u00e4rke eintretende Anschwellung der St\u00e4bchen dazu dient, bei starker Beleuchtung einen zu reichlichen Verbrauch der Sehstoffe in den St\u00e4bchen zu verhindern, und in entsprechender Weise die bei herabgesetzter Beleuchtung vor sich gehende Schrumpfung der St\u00e4bchen dazu dient, die Beizbarkeit der St\u00e4bchen gegen\u00fcber einwirkendem Lichte zu erh\u00f6hen.\nEs fragt sich nun, wie der in einer \u00c4nderung des Quellungs-grades der St\u00e4bchen bestehende retinale Anpassungsvorgang zu st\u00e4nde kommt. Welcher Stoff l\u00e4fst bei ein wirkendem starken Lichte durch seine Zersetzung und die osmotische Wirkung der Produkte dieser Zersetzung die St\u00e4bchen anschwellen? Man wird nicht geneigt sein, diese Funktion einem Sehstoffe zuzuschreiben; denn es empfiehlt sich nicht, anzunehmen, dafs die St\u00e4bchen einen Sehstoff enthalten, der sich nicht auch in den Zapfen vorfinde, deren Aufsenglieder nach dem zur Zeit vorliegenden bei Einwirkung starken Lichtes eine Anschwellung nicht erfahren. Wir werden vielmehr diese Funktion einem solchen Stoffe zuschreiben, den wir Anlafs haben, nicht f\u00fcr einen Sehstoff anzusehen, und der aufserdem die Eigent\u00fcmlichkeit besitzt, zwar in den St\u00e4bchen, nicht aber auch in den Zapfen vorzukommen. Ein solcher Stoff ist der Sehpurpur, der sich bekanntlich nur in den Aufsengliedern der St\u00e4bchen, nicht aber auch der Zapfen vorfindet, und hinsichtlich dessen aus verschiedenen Gr\u00fcnden zu schliefsen ist, dafs er nicht als Sehstoff fungiert.\nZun\u00e4chst ist in dieser Beziehung Folgendes anzuf\u00fchren. Wie K\u00fchne (Heiddb. Unters. 2. S. 51 f.) gelegentlich hervorhebt, ist vom Sehpurpur \u201edie vollkommene Unabh\u00e4ngigkeit sowohl des Bestandes, wie der Zersetzung durch Licht, von allen sog. Lebensbedingungen, ja in gewissem Grade und innerhalb der hier (d. h. bei Versuchen \u00fcber Druckblindheit) in Betracht kommenden kurzen Zeit sogar die Begeneration ohne Blutzufuhr zum Betinaepithel beim S\u00e4uger nachgewiesen. Ich habe mich auch zum \u00dcberfl\u00fcsse \u00fcberzeugt, dafs der Sehpurpur im Auge lebender Kaninchen durch Druck ohne Licht in l\u00e4ngerer Zeit nicht schwindet, und selbst bei Beleuchtungen von der Intensit\u00e4t und Dauer, wie ich sie zu den Druck-versuchen an meinem Auge benutzte, keine Ver\u00e4nderung erkennen l\u00e4fstu. Es verh\u00e4lt sich also der Sehpurpur bei Druck","page":377},{"file":"p0378.txt","language":"de","ocr_de":"378\nG. K M\u00fcller.\nauf den Augapfel und \u00fcberhaupt hinsichtlieh seiner Abh\u00e4ngigkeit vom Blutstrome ganz anders, als die Sehstoffe,1 * * * * * * was allein gen\u00fcgt, die Vermutung, der Sehpurpur sei ein Sehstoff, zu einer unannehmbaren zu machen.\nDiese Vermutung wird nun zweitens nicht empfehlenswerter durch die Thatsache, dafs sioh der Sehpurpur that-s\u00e4chlich nicht in allen St\u00e4bchen vorfindet.9 1st der Sehpurpur ein Stoff, auf dessen Zersetzung die Einwirkungen der St\u00e4bchen auf den Sehnerven oder wenigstens eine gewisse Art dieser Einwirkungen beruhen, so erscheint die Thatsache, dafs der Sehpurpur in den St\u00e4bchen mancher Tierarten ganz fehlt, mindestens befremdend. Hingegen erscheint diese Thatsache leicht begreiflich, wenn man dem Sehpurpur nur die Bolle zuschreibt, als Vermittler eines retinalen Anpassungsvorganges zu dienen. Denn der Wegfall eines solchen Vorganges kann durch eine vollkommenere Entwickelung der \u00fcbrigen Einrichtungen, welche der sog. Adaptation des Auges an die verschiedenen Helligkeiten dienen, sowie durch eine bestimmte Art der Lebensbedingungen oder Lebensf\u00fchrung leicht ausgeglichen werden. Wenn z. B. auoh bei solchen Tierarten, deren St\u00e4bchen im allgemeinen purpurhaltig sind, die im Umkreise der Ora serrata befindlichen St\u00e4bchen des Sehpurpurs ganz entbehren, so versteht sich dies unschwer daraus, dafs letztere St\u00e4bchen aus leicht ersichtlichem Grunde \u00fcberhaupt nur die Einwirkung schwacher Lichtreizungen erfahren und mithin der auf dem Sehpurpur beruhenden Anpassungseinrichtung gar nicht bed\u00fcrfen.8\nEndlich drittens ist hier noch daran zu erinnern, dafs das thats\u00e4chliche Verhalten des Sehpurpurs nicht zu demjenigen stimmt, was die Erscheinungen des simultanen Kontrastes und der simultanen und successiven Lichtinduktion \u00fcberdas Verhalten der Sehstoffe lehren, falls man von der (z. B. auch von Ebbinghaus\n1 Man beachte den von Einer in Pfl\u00fcgers Arch. 20. 1879. S. 626\ngeltend gemachten Versuch, der uns durchaus zu beweisen soheint, daia\nbei der Druckblindheit eine Ersch\u00f6pfung der Sehstoffe eintritt.\n*\tMan vergleiche K\u00fchne in Heidelb. Unters. 1. S. 28 f. und 4. S. 282 f.,\nsowie in Hermanns Handb. d. Physiol. 3. 1. S. 329.\n*\tEs ist hervorzuheben, dafs sich die die Anschwellung der St\u00e4bchen\nbei Lichteinwirkung betreffenden Angaben von von Hornbostel nur auf\ndie St\u00e4bchen \u201edes Centrum retinae\u201c beziehen.","page":378},{"file":"p0379.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesich tsempfindungen.\n879\ngeteilten) Annahme ausgeht , dale die soeben erw\u00e4hnten Er-soheinungen peripherischen Ursprunges seien. W\u00e4re der Seh-purpnr ein Sehstoff, so m\u00fcfste diesen Erscheinungen entsprechend eine in einer begrenzten Netzhautstelle durch Licht angeregte Zersetzung des Sehpurpurs auf das Verhalten des in den benachbarten Netzhautstellen befindlichen Sehpurpurs einen deutlich erkennbaren Einflufs aus\u00fcben. Falls z. B. die Zersetzung des Sehpurpurs den in den St\u00e4bchen sich abspielenden TF-Prozefs darstellte, so m\u00fcfste in dem Falle, wo sich ein auf einem weifsen Grunde befindliches schwarzes Feld geraume Zeit hindurch auf einer st\u00e4bchenhaltigen Netzhautstelle abbildet, in dem dem schwarzen Felde entsprechenden Netzhautbezirke zun\u00e4ohst eine Erschwerung der Zersetzung des Sehpurpurs und eine F\u00f6rderung der Neubildung oder Begeneration1 desselben eintreten (entsprechend dem Stadium, wo das schwarze Feld durch sog. Kontrastwirkung verdunkelt ist). Hierauf m\u00fcfste nach kurzer Zeit ein Stadium folgen, wo (entsprechend der Aufhellung jenes Feldes durch die simultane Lichtinduktion) in ebendemselben Netzhautbezirke eine merkbare Zersetzung von Sehpurpur stattfindet, eine Zersetzung, die sehr bald dieselbe Lebhaftigkeit besitzt, mit welcher die Sehpurpurzersetzung in den dem weifsen Grunde entsprechenden Netzhaut teilen stattfindet. In dem Momente endlich, wo das Auge der Lichteinwirkung entzogen wird, m\u00fcfste (der 8ucce8siven Lichtinduktion entsprechend) in dem dem schwarzen Felde entsprechenden Netzhaut bezirke eine erhebliche Steigerung der bereits vorhandenen Sehpurpurzersetzung eintreten \u2014 und es ist nicht abzusehen, wie es m\u00f6glich sein sollte, mittelst des Sehpurpurs ein Optogramm auf der Netzhaut zu erhalten, das uns die Form des schwarzen Feldes\n1 Genau genommen, m\u00fcfste der durch den Kontrast\u00bbbewirkten Verdunkelung des schwarzen Feldes eine F\u00f6rderung der R\u00fcckbildung der Zersetzungsprodukte des Sehpurpurs entsprechen. Eine .R\u00fcckbildung letzterer Zersetzungsprodukte, wie eine solche auch zur Erkl\u00e4rung des negativen Nachbildes anzunehmen sein w\u00fcrde, ist aber \u00fcberhaupt bisher nicht konstatiert ! Denn die anagenetische Regeneration des Sehpurpurs ist nicht eine einfache R\u00fcckbildung von Zersetzungsprodukten, sondern ein Vorgang, bei welchem zur Herstellung von Sehpurpur au&er gewissen Zersetzungsprodukten desselben auch noch solche Stoffe verwandt werden, die von dem Pigmentepithele her geliefert werden (K\u00fchxb in Hermann\u00bb Handh. d. Physiol 3. 1. S. 317ff).\nv","page":379},{"file":"p0380.txt","language":"de","ocr_de":"380\nG. E. M\u00fcller.\ndeutlich wiedererkennen l\u00e4fst ! Allgemeiner ausgedr\u00fcckt, w\u00e4re der Sehpurpur ein Sehstoff, so w\u00fcrde es wegen der Wechselwirkung, in welcher die Sehstoffe benachbarter Netzhautstellen zu einander stehen, nicht m\u00f6glich sein, durch die Einwirkung des Lichtes auf den Sehpurpur Optogramme zu erhalten, die uns die Formen und Konturen der Gesichtsobjekte so deutlich wiedergeben, wie dies durch die in geeigneter Weise hergestellten Optogramme thats\u00e4chlich geschieht.\nWir kommen also zu dem Resultate, dafs der Sehpurpur nicht ein Sehstoff, sondern ein solcher Stoff (Adaptationsstoff) ist, welcher der Adaptation des Auges dient, indem er den Quellungsgrad der Aufsengli eder1 der St\u00e4bchen von der St\u00e4rke und Dauer der Beleuchtung abh\u00e4ngig macht. Diese Auffassung steht in einem bemerkenswerten Einkl\u00e4nge zu der Thatsache, dafs nach den Beobachtungen von von Hornbostel erstens gr\u00fcndlich besonnte Fr\u00f6sche den kleinen St\u00e4bchendurchmesser der Dunkelfr\u00f6sche nicht eher wieder zeigen, als bis der Sehpurpur vollst\u00e4ndig regeneriert ist, und zweitens in einer Netzhaut, welche lange unter rotem Lichte gehalten worden ist, eine Zunahme des St\u00e4bchenquerschnittes nur dann bemerkbar ist, wenn durch das rote Licht eine Bleichung des Sehpurpurs erzielt worden ist. Ob schon das unmittelbare Zei> Setzungsprodukt des Sehpurpurs, das Sehgelb, oder erst das mittelbare Zersetzungsprodukt desselben, das Sehweifs, auf das Volumen der St\u00e4bchen ver\u00e4ndernd einwirkt, kann hier dahingestellt bleiben.\nWenn also wirklich, wie neuerdings geltend gemacht worden ist, die St\u00e4bchen einen Apparat darstellen, der durch seine F\u00e4higkeit zur Adaptation an geringe Helligkeiten zum Sehen bei schwacher Beleuchtung besonders dienlich ist, so d\u00fcrfte dies, wenigstens zu einem Teile, darauf beruhen, dafs den St\u00e4bchen in dem Sehpurpur und dem Einfl\u00fcsse, den der Zersetzungsgrad desselben auf das St\u00e4bchenvolumen aus\u00fcbt, eine Einrichtung gegeben ist, mittelst deren sie die in ihnen angeh\u00e4uften Sehstoffe bei starker Beleuchtung vor einer reich-\n1 Die erw\u00e4hnten Beobachtungen von von Hornbostel ergeben nur, dafs bei Belichtung die Aufsenglieder der St\u00e4bchen (in denen sich bekanntlich der Sehpurpur befindet) anschwellen. \u00dcber das Verhalten der Innenglieder geben diese Beobachtungen keine Auskunft.","page":380},{"file":"p0381.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n381\nH\u00f6heren Inanspruchnahme durch das Licht bewahren, bei schwacher Beleuchtung hingegen dem Einfl\u00fcsse des Lichtes zug\u00e4ngHcher machen k\u00f6nnen.1 * * * S. * * Der hier angedeuteten Aufgabe wird nat\u00fcrlich der Sehpurpur noch besser gen\u00fcgen, wenn er zugleich als ein SensibiUsator f\u00fcr in den St\u00e4bchen vorhandene Sehstoffe dient. Denn alsdann wird er bei andauernder starker Beleuchtung entsprechend der Herabsetzung, welche seine Menge erfahren hat, seine sensibilisatorische Wirkung verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig weit schw\u00e4cher entfalten als bei schwacher Beleuchtung, wo er in reicher Menge in den St\u00e4bchen vorhanden ist. Wir kommen auf diesen Punkt weiterhin (\u00a7 26) n\u00e4her zu sprechen.\nDafs es neben den beiden im Vorstehenden er\u00f6rterten Anpassungseinrichtungen nicht noch andere Einrichtungen gleichen Zweckes in der Retina gebe, wird hier keineswegs behauptet. Welche Bedeutung die bei Lichteinwirkung eintretende, anscheinend ohne eine Volumen\u00e4nderung vor sich gehende Kontraktion der Zapfenmyoide besitze,8 lassen wir indessen hier dahingestellt. Wir gehen dazu \u00fcber, nun zum Schl\u00fcsse noch kurz anzudeuten, in welchen Beziehungen die psychophysische Betrachtung der Gesichtsempflndungen das Stattfinden der retinalen AnpassungsVorg\u00e4nge wohl zu ber\u00fccksichtigen hat.\n1 Wenn die Zapfen des gelben Fleckes durch das vorgelagerte gelbe Pigment einen gewissen Schutz gegen starkes Licht besitzen, so scheint dies als ein gewisser, allerdings nur sehr unvollkommener, Ersatz f\u00fcr dasjenige angesehen werden zu m\u00fcssen, was den St\u00e4bchen der Netzhautperipherie in dem Sehpurpur verliehen ist. \u2014 \u00dcber die St\u00e4rke des Einflusses, den die \u00c4nderungen des St\u00e4chenvolumens auf die St\u00e4bchenreizbarkeit aus\u00fcben, l\u00e4fst sich zur Zeit nicht sicher urteilen, weil wir erstens die Kompliziertheit der in Betracht kommenden chemischen Reaktionen nicht kennen, und weil es zweitens nicht auf die direkt zur Beobachtung kommende Volumen\u00e4nderung des gesamten St\u00e4bchenaulsengliedes ankommt, sondern auf die Volumen\u00e4nderung, welche die die Seh-\nstoffe des St\u00e4bchens enthaltende L\u00f6sung erf\u00e4hrt. Letztere Volumen-\n\u00e4nderung kann weit gr\u00f6fser sein als erstere.\n\u2022 Die Abhandlung von van Gendbren Stobt (Arch. f. Ophthahn. 33. 3.\nS. 229 ff.), die hinsichtlioh des Verhaltens der St\u00e4bchen bei Lichteinwirkung\nnur unabgesch lossenes bietet, sowie die daran sich anschliefsenden Mit-\nteilungen von Enoblmann (Congr\u00e8s d. sc. m\u00e9d.f Copenhagen. 1884. I;\nPfl\u00fcgers Arch. 35. 1885. S. 498 ff.) lassen eine Ber\u00fccksichtigung, ja auch nur Erw\u00e4hnung der von den oben genannten Forschem gegebenen Mitteilungen \u00fcber St\u00e4bchenanschwellung bei Lichteinwirkung stark vermissen.","page":381},{"file":"p0382.txt","language":"de","ocr_de":"382\nG, E M\u00fcller,\nIn erster Linie kommen diese Vorg\u00e4nge bei allen sog. Adaptationserseheinungen des Sehorganes in Betracht. Wenn sich das Auge einer gegebenen Beleuchtung adaptiert, so besteht diese Adaptation nicht blofs darin, dafs die Pupille ihre Weite ver\u00e4ndert und die lichtempfindliche Netzhautschicht in der fr\u00fcher (S. 364 f.) er\u00f6rterten Weise dem Zustande des stofflichen Gleichgewichtes zustrebt, sondern vor allem auch . in dem Stattfinden der retinalen Anpassungsvorg\u00e4nge. Hierbei ist zu beachten, dafs bei einer Lichteinwirkung, die nur einen beschr\u00e4nkten Teil der Netzhaut trifft, auch die retinalen Anpassungsvorg\u00e4nge nur auf diesen Netzhautteil beschr\u00e4nkt sind,1 w\u00e4hrend eine Ver\u00e4nderung der Weite der Pupille (und der Lidspalte) immer alle Teile der Netzhaut zugleich betrifft.\nFerner hat man bei allen Erscheinungen, die sich zun\u00e4chst als Erm\u00fcdungserscheinungen darstellen, damit zu rechnen, dafs die retinalen Anpassungsvorg\u00e4nge nach Aufh\u00f6ren der betreffenden Lichtreizung nur allm\u00e4hlich r\u00fcckg\u00e4ngig werden. Hat Licht irgendwelcher Art l\u00e4ngere Zeit hindurch auf eine Netzhautstelle gewirkt, so wird auch nach Entfernung dieses Lichtes die durch die retinalen Anpassungsvorg\u00e4nge gesetzte Minder-empfanglichkeit der betreffenden Netzhautstelle noch geraume Zeit hindurch, wenn auch in allm\u00e4hlich abnehmendem Mafse, fortdauern. Und diese Minderempfanglichkeit wird nicht blofs gegen\u00fcber einer erneuten Einwirkung desselben Lichtes, sondern auch gegen\u00fcber der Einwirkung jedes beliebigen andersbeschaffenen Lichtes bestehen, allerdings in einem von der Weilenl\u00e4nge oder Zusammensetzung des Lichtes nicht ganz unabh\u00e4ngigen Grade. Denn z. B. eine durch weifses Licht bewirkte Pigmentverschiebung mufs die Empfanglichkeit nicht blofs f\u00fcr weifses, sondern auch f\u00fcr jedes beliebige andere Licht verringern. Hieraus erkl\u00e4ren sich gewisse Beobachtungen von von Kkie8 ( \u00dcber den Einflu\u00df der Adaptation auf Licht- und Farbenempfindungen, S. 4 f.), nach denen eine l\u00e4ngere Einwirkung von weifsem Lichte nicht blofs f\u00fcr dieses, sondern auch f\u00fcr beliebiges farbiges Licht eine verminderte Empfanglichkeit hinterl\u00e4fst.\nBekanntlich hat Engelmann auf Grund von Beobachtungen\n1 Das Entsprechende gilt, wie Exner (Wien, Ber, 98. 1889. 3. Abt. S. 160) hervorgehoben hat, von den Pigmentverschiebungen, die bei Liohteinwirkung im Insektenauge eintreten.","page":382},{"file":"p0383.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n383\nden Satz anfgestellt,1 dafs die phototrope Epithelreaktion nnd die Kontraktion der Zapfenmyoide (beim Frosch) auoh bei Reizung des anderen Auges eintrete. In der That ist es eine nicht unwichtige Frage, ob die retinalen Anpassungsvorg\u00e4nge des einen Auges von dem Zustande des anderen Auges mit abh\u00e4ngig sind, etwa durch eine gleichzeitige Heizung des letzteren merkbar an Ausgiebigkeit gewinnen. Ist letzteres der Fall, so hat man auch bei Er\u00f6rterung von mancherlei die Wechselwirkung der beiden Sehorgane betreffenden Erscheinungen (z. B. von Fbchnbbs paradoxem Versuche) neben den anderen in Betracht kommenden Faktoren das Verhalten der retinalen Anpassungsvorg\u00e4nge nicht ganz aufser Auge zu lassen.\nWir d\u00fcrften das Ergebnis hier im Gange befindlicher Untersuchungen antizipieren, wenn wir endlich noch darauf hinweisen, dafs ein Teil der retinalen Anpassungsvorg\u00e4nge (z. B. die Pigmentwanderung) die indirekten Reizungen der betreffenden Netzhautbezirke nat\u00fcrlich nicht ebenso beeinflusst, wie die direkten Reizungen, und hierdurch Anlafs zu einer Reihe interessanter Erscheinungen giebt.\n\u00a7 24. Ableitung des TALBOTschen Gesetzes und eines\nverwandten Satzes.\nDafs sich eine psychophysische Gesetzm\u00e4fsigkeit unserer Gesichtsempfindungen ganz glatt auf eine physikalisch-chemische Gesetzm\u00e4fsigkeit der Netzhautprozesse zurtickf\u00eeihren lasse, ist nach dem bisherigen nur dann zu erwarten, wenn die erstere Gesetzm\u00e4fsigkeit unter Bedingungen zu Tage tritt, wo sich die indirekten Reizungen, die nutritiven Prozesse und die retinalen Anpassungsvorg\u00e4nge merkbar konstant verhalten, mithin die physikalisch-chemische Gesetzm\u00e4fsigkeit der Netzhautprozesse durch ein Eingreifen letzterer drei Faktoren nicht verdeckt werden kann. Dies ist z. B. der Fall, wenn wir eine aus einem weifsen und einem (als ganz lichtlos zu betrachtenden) schwarzen Sektor bestehende, sehr schnell rotierende Scheibe, deren weifser Sektor die Lichtst\u00e4rke i und eine Winkelbreite von a Graden\n1 Man vergleiche die beiden in der Anmerkung 2 auf S. 381 angef\u00fchrten Abhandlungen von Engelmaiw, sowie Beitr\u00e4ge z. Psychol u. Physiol der Sinnesorgane, Festschrift f. Helmholtz, S. 197 ff. Widersprechen hat der Behauptung Engblmahns, soweit sie die Pigmentwanderung betrifft, A. Eugbh Fick im Arch, f, Ophthalm. 37. 2. S. 1 ff.","page":383},{"file":"p0384.txt","language":"de","ocr_de":"384\nG. E. M\u00fcller.\nbesitzt, mit einer anderen derartigen Scheibe von gleich schneller Rotation vergleichen, deren weifser Sektor die Lichtst\u00e4rke ni\nand die Winkelbreite - besitzt, wo \u00bb > oder < 1 ist. In diesem\nFalle gilt bekanntlich der TALBOTsche Satz ; die beiden Scheiben erscheinen uns gleich hell. Der TALBOTsche Satz kann in diesem und allen anderen F\u00e4llen seiner G\u00fcltigkeit unm\u00f6glich auf einer besonderen Wirksamkeit der indirekten Beizungen, der nutritiven Prozesse oder der retinalen Anpassungsvorg\u00e4nge beruhen. Diese Faktoren sind vielmehr f\u00fcr schnell rotierende Scheiben, die uns bei gleichen Bedingungen der Beobachtung trotz der verschiedenen Winkel breiten und Helligkeiten ihrer weifsen, grauen oder sch warzen Sektoren gleich hell erscheinen, als gleich anzusetzen. Mithin mufs sich,wenn unsere Behandlungsweise dieser Gegenst\u00e4nde richtig ist, die G\u00fcltigkeit des TALBOTschen Satzes auf ein einfaches physikalisch-chemisches Gesetz zur\u00fcckf\u00fchren lassen. Dies ist in der That der Fall.\nWir kn\u00fcpfen an das soeben angef\u00fchrte Beispiel zweier gleich schnell rotierender, aus einem weifsen und einem lichtlosen Sektor bestehender Scheiben an. Der weifse Sektor der einen Scheibe besitze die Lichtst\u00e4rke i und die Winkel breite a. Der weifse Sektor der anderen Scheibe besitze die Lichtst\u00e4rke n i. Und es soll nun die Frage beantwortet werden, welche Winkelbreite derselbe erhalten mufs, damit beide Scheiben gleich hell erscheinen.\nNach unseren fr\u00fcheren Ausf\u00fchrungen haben wir anzunehmen, dafs beide Scheiben gleich hell erscheinen, wenn die von beiden Scheiben ausgehenden Lichtstrahlen in den betroffenen Netzhautstellen w\u00e4hrend jeder Rotation der Scheiben die gleiche Menge von iV-Material in TF-Material umwandeln. Nun ist durch zahlreiche Beobachtungen festgestellt,1 dafs Licht bestimmter Art, wenn es w\u00e4hrend der Zeit t mit der Intensit\u00e4t i ein wirkt, von einer gegebenen lichtempfindlichen Substanz die gleiche Menge chemisch ver\u00e4ndert, wie dann, wenn es w\u00e4hrend\nt\nder Zeit \u2014 mit der Intensit\u00e4t n.i einwirkt, wo n > oder < 1 sein\n1 Ostwald, a. a. O. S. 1046 ff.; Nernst, a. a. 0. S. 678;ff.; Eder, a. a. O. I. 1. S. 290 f. und II. S. 25 f., wo auch die gelegentlich zur Beobachtung kommenden Abweichungen von ] dieser sog\u00ab photographischen Reoiprocit\u00e4tsregel n\u00e4her behandelt sind.","page":384},{"file":"p0385.txt","language":"de","ocr_de":"Zur PsycJiophyaik der Gesich tsempfindungen.\n385\nkann. Folglich wird bei einer Rotation beider Scheiben durch den weiGsen Sektor von der Lichtst\u00e4rke i und der Winkelbreite a die gleiche Menge von A-Material in TF-Material umgewandelt werden wie durch den weifsen Sektor von der Lichtst\u00e4rke n.i, wenn sich bei einer Rotation die Zeit, w\u00e4hrend welcher der letztere Sektor auf eine Netzhautstelle wirkt, zu der entsprechenden Einwirkungszeit des ersteren Sektors verh\u00e4lt wie 1 : ft, d. h. es muis das Produkt von Winkelbreite und Lichtst\u00e4rke des weifsen Sektors f\u00fcr beide Scheiben gleich sein, wenn sie gleich hell erscheinen sollen.\nEs d\u00fcrfte nicht n\u00f6tig sein, den Nachweis, dafs das Talbot-sche Gesetz aus dem oben angef\u00fchrten photochemischen Grundgesetze in einfacher Weise ableitbar sei, noch in gr\u00f6fserer Allgemeinheit (Bezugnahme auf die thats\u00e4chliche Lichtausstrahlung schwarzer Sektoren, Annahme einer Mehrzahl weifser und schwarzerSektoren, ver^chiedenerRotationsgeschwindigkeiten der Scheiben u. dergl. m.) zu f\u00fchren. Erscheinen uns Scheiben von gleicher Rotationsgeschwindigkeit, aber verschiedener Winkelbreite und Lichtst\u00e4rke ihrer Sektoren gleich hell, so sind nat\u00fcrlich die Auf- und Abschwankungen, welche das W-Material und die St\u00e4rke des W-Prozesses w\u00e4hrend der Dauer -einer Rotation erf\u00e4hrt, f\u00fcr die verschiedenen Scheiben von verschiedener Steilheit und H\u00f6he. Diese Auf- und Ab-\u00abchwankungen und ihre Verschiedenheiten entziehen sich aber infolge der Unvollkommenheit unseres in Betracht kommenden UnterscheidungsVerm\u00f6gens unserer Wahrnehmung. Auf eine kritische Er\u00f6rterung der Betrachtungen, die bisher, namentlich von A. Fick, an das TALBOTsche Gesetz angekn\u00fcpft worden sind, m\u00fcssen wir der Raumersparnis halber verzichten. \u2014\nWir nehmen an, dafs weifse Lichter von verschiedener Intensit\u00e4t, welche gleich grofse Netzhautstellen von gleicher Erregbarkeit treffen, hinsichtlich ihrer sehr kleinen (d. h. nur geringe Bruchteile der zur Erzielung der maximalen Reizwirkung erforderlichen Zeiten darstellenden) Wirkungszeiten so bemessen sind, dais die Produkte aus Lichtst\u00e4rke und Wirkungszeit einen und denselben Wert besitzen. Alsdann werden diese verschiedenen Lichtintensit\u00e4ten nach dem obigen photochemischen Grundgesetze am Schl\u00fcsse ihrer Wirkungszeiten gleiche Mengen von iV-Material in W-Material umgewandelt haben. Es wird\n\u2022also alsdann allen Lichtintensit\u00e4ten bei Aufh\u00f6ren ihrer Ein-\n\u00bb\n25\nZeitschrift f\u00fcr Pajehelogie X.","page":385},{"file":"p0386.txt","language":"de","ocr_de":"386\nG. E. M\u00fcller.\nWirkung auf die Netzhaut die gleiche Menge vorhandenen W-Materials,1 derselbe Wert der Differenz I9\u2014I\u00ea und derselbe Verlauf des positiven Naohbildes entsprechen. Und da nun die Empfindungen sehr kurzdauernder Lichtreize uns gleich erscheinen, wenn sie in dem der Beizbeendigung folgenden Stadium (als positive Nachbilder) einen merkbar gleichen Verlauf nehmen \u2014 denn das Verhalten der Empfindungen w\u00e4hrend des Stadiums ihres Anklingens entzieht sich unserer inneren Wahrnehmung so folgt, dafs infolge der G\u00fcltigkeit des oben erw\u00e4hnten photo-chemischen Grundgesetzes Empfindungen, welche von kurzdauernden, gleichartigen Lichtreizen verschiedener St\u00e4rke hervorgerufen werden, einander gleich erscheinen m\u00fcssen, wenn das Produkt aus Lichtst\u00e4rke und Wirkungszeit konstant ist. Dieser Satz kann sich aber, wie bereits angedeutet, nur bis zu gewissen Grenzen hin als merkbar g\u00fcltig erweisen. Werden die Wirkungszeiten der Lichtreize gr\u00f6fser, so macht sich die Wirksamkeit der nutritiven Prozesse und der retinalen Anpassungsvorg\u00e4nge merkbar. Die nutritiven Vorg\u00e4nge, welche Zeit zu ihrer vollen Entwickelung bed\u00fcrfen, werden sich vermutlich w\u00e4hrend der Einwirkung eines Beizes, welcher st\u00e4rker ist, als ein anderer gleichartiger Beiz, dessen Wirkungszeit aber in entsprechendem Verh\u00e4ltnisse k\u00fcrzer ist, als die Wirkungszeit dieses schw\u00e4cheren Beizes, weniger geltend machen, als w\u00e4hrend der l\u00e4ngeren Einwirkungszeit dieses schw\u00e4cheren Beizes. Und von den retinalen Anpassungsvorg\u00e4ngen ist mit Sicherheit zu behaupten, dafs sie die Wirkungsf\u00e4higkeit des st\u00e4rkeren Beizes mehr\n1 Die Menge von TF-Material, die im Momente der Beendigung eines Beizes vorhanden ist, bestimmt sich allerdings nicht blofs nach dem Quantum von ^-Material, das w\u00e4hrend der Beizeinwirkung in TF-Material verwandelt worden ist, sondern auch noch nach dem Quantum von W-Material, das w\u00e4hrend derselben Zeit in ^-Material umgewandelt worden ist. Wie sich indessen n\u00e4her zeigen l\u00e4fst, ist f\u00fcr verschiedene weifse Lichter, f\u00fcr welche das Produkt aus Wirkungszeit und Lichtst\u00e4rke konstant ist und mithin das erstere hier genannte Quantum den gleichen Wert besitzt, auch das zweitgenannte Quantum (der Verlust, den das TF-Material w\u00e4hrend der Beizeinwirkung durch die Umwandlung in S-Material erleidet) merkbar konstant, falls nur die Wirkungszeiten s\u00e4mtlicher Lichter hinl\u00e4nglich kurz genommen werden. Um Weitl\u00e4ufigkeiten zu vermeiden, mufsten wir im Obigen (sowie auch bei der Ableitung des TaLBOTschen Satzes) auf eine in alle Details gehende mathematisch gehaltene Entwickelung verzichten und uns auf eina Hervorhebung der wichtigsten Punkte beschr\u00e4nken.","page":386},{"file":"p0387.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Pbychophysik der Gesichtsempfindungen.\n387\nbeeintr\u00e4chtigen, als diejenige des schw\u00e4cheren Reizes. Mithin steht zn vermuten, dafs, wenn man die Wirkungszeiten der hinsichtlich ihrer Intensit\u00e4t verschiedenen Reize nioht mehr sehr klein nimmt, behufs Erzielung gleich erscheinender Empfindungen die Wirkungszeiten der Reize so bemessen sein m\u00fcssen, dafs das Produkt aus Lichtst\u00e4rke und Wirkungszeit um so gr\u00f6fser ist, je intensiver der Reiz ist.\nWir gelangen also zu folgendem Resultate. Um mittelst verschieden intensiver, kurzdauernder Lichtreize gi eich erscheinende Empfindungen zu erzielen, m\u00fcssen die Wirkungszeiten dieser Reize so bemessen werden, dafs das Produkt aus Lichtst\u00e4rke und Wirkungszeit im allgemeinen um so geringer ist, je schw\u00e4cher der Lichtreiz ist. Je kleiner aber die Wirkungszeiten der anscheinend gleiche Empfindungen bewirkenden Reize sind, in desto geringerem Grade zeigt sich der Wert.des Produktes aus Lichtst\u00e4rke und Wirkungszeit von der Liohtintensit\u00e4t abh\u00e4ngig; und bei sehr kleinen Wirkungszeiten kann als hinl\u00e4nglich g\u00fcltig der Satz angesehen werden, dafs gleich erscheinenden Empfindungen gleiche Werte jenes Produktes entsprechen.\nMit Vorstehendem stehen nun die thats\u00e4chlichen Ergebnisse der einschlagenden Experimentaluntersuchungen in vollem Einkl\u00e4nge. In erster Linie ist hier Kukkels Untersuchung \u201e\u00fcber die Erregung der Netzhaut\u201c (Pfl\u00fcgers Arch. 15. 1877. S. 27 ff.) zu erw\u00e4hnen, welcher zu dem Resultate kommt: die Erregung\nder Netzhaut ist eine Funktion des Produktes aus Reiz und\n\u00ab\nZeitdauer der Einwirkung desselben, vorausgesetzt, dafs die Wirkungszeiten der Beize nur kurz sind. Ist letztere Bedingung nicht erf\u00fcllt, so entspricht nach Kunkels Versuchen der gleichen Empfindung ein um so gr\u00f6fserer Wert des Produktes aus Liohtst\u00e4rke und Wirkungszeit, je intensiver der Lichtreiz ist. Der (um 0,03 Sekunden herum liegende) Grenzwert der Wirkungszeit, jenseits dessen der obige Satz nicht mehr g\u00fcltig war, zeigte sich von der St\u00e4rke der benutzten Liohter nicht ganz unabh\u00e4ngig, insofern er bei gr\u00f6fserer St\u00e4rke der letzteren etwas tiefer lag, als bei geringerer, was sich nach unseren obigen Ausf\u00fchrungen leicht begreift. Auch sohon aus einer fr\u00fcheren Abhandlung Kunkels (Pfl\u00fcgers Arch. 9. 1874.\n26*","page":387},{"file":"p0388.txt","language":"de","ocr_de":"388\n\u00d6. JE\u00bb M\u00fcller.\nS. 197 ff., insbesondere S. 211 und 217) lassen sich einige (mit farbigen Lichtem erhaltene) Versuchsergebnisse anfuhren, die su den vorstehend erw\u00e4hnten Resultaten der sp\u00e4teren Untersuchung dieses Forschers stimmen.\nFerner ist hier der Versuche zu gedenken, welche Exneb (Wim. Ber. 58. 1868. 2. Abt. S. 623ff.) \u00fcber die Abh\u00e4ngigkeit anstellte, in welcher die zur Wahrnehmung eines Lichtreizes erforderliche Zeit zur St\u00e4rke und Wirkungszeit des Reizes steht. Die vorliegenden Resultate dieser Versuche stimmen durchaus zu der Behauptung, dafs das Produkt aus Lichtst\u00e4rke und L\u00e4nge der zur W ahrnehmung des Lichtes erforderlichen Zeit konstant ist, solange die Wirkungszeiten der Reize sehr klein sind (z. B. zwischen 0,005 und 0,017 Sekunden liegen), hingegen bei l\u00e4ngeren Wirkungszeiten um so gr\u00f6fser ist, je intensiver der Lichtreiz ist.\nEndlich hat auch Bloch (nach Angabe von Chabpentieb) den Satz, dafs einem konstanten Werte des Produktes aus Lichtst\u00e4rke und Wirkungszeit stets die gleiche Gesichtsempfindung entspricht, f\u00fcr Wirkungszeiten von 0,00173 bis 0,058 Sekunden best\u00e4tigt gefunden. Dasselbe fand Chabpentieb (Arch, de physiol. 1890. S. 262 ff.) f\u00fcr Zeiten von 0,002 bis 0,125 Sekunden.\n\u00a7 25. Allgemeines \u00fcber die mit chemischen Vorg\u00e4ngen\nreagierend en erregbaren Systeme.\nBesteht der Erregungsprozefs eines erregbaren Syst\u00e8mes in einem chemischen Vorg\u00e4nge bestimmter Art, so ist den von uns fr\u00fcher (S. 340f.) aufgestellten Formeln entsprechend die Gesamtst\u00e4rke (S. 375) dieses Erregungsprozesses von drei Faktoren abh\u00e4ngig, erstens von dem jeweiligen Werte R der Geschwindigkeitskonstante des Erregungsprozesses, zweitens von den Mengen, in denen die verschiedenen Komponenten des erregbaren Materiales vorhanden sind, und (falls an dem Erregungsprozesse nicht blofs eine Molek\u00fclart beteiligt ist) drittens auch noch von dem Volumen v, in welchem sich diese Stoffmengen enthalten finden.\nDie Abh\u00e4ngigkeit des Erregungsprozesses von den vorhandenen Mengen der Komponenten des erregbaren Materiales pflegt man dadurch auszudr\u00fccken, dafs man von einer wechselnden Erregbarkeit des Syst\u00e8mes redet. Ist an dem Erregungsprozesse nicht blofs eine Molek\u00fclart, sondern mehrere Molek\u00fcl-","page":388},{"file":"p0389.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n389\narten beteiligt, so kann, wie leicht ersichtlich, eine und dieselbe \u00c4nderung der Erregbarkeit (eine und dieselbe \u00c4nderung des Wertes des Produktes aa .b* . & .... S. 340) auf verschiedenen Wegen zu st\u00e4nde kommen.\nVorg\u00e4nge, welche den Wert von K beeinflussen, werden als Beize bezeichnet. Dieselben sind positiv oder negativ, je nachdem sie K im positiven oder negativen Sinne ver\u00e4ndern. Dasjenige, wonach der Beizwert eines Vorganges bemessen werden mufs, ist also die durch denselben bewirkte Ver-\u00e4ndenmg yon K.\nWenn sich der Zustand eines erregbaren Gebildes in der Weise \u00e4ndert, dais ein und derselbe Beizvorgang bei gleicher Erregbarkeit (gleichem Werte des Produktes aa . b? .\t...) eine\nverschiedene Gesamtst\u00e4rke des Erregungsprozesses zur Folge hat, so reden wir von einer \u00c4nderung der Beizbark eit des Gebildes. Die Beizbarkeit eines Gebildes kann sich bei konstant bleibender Erregbarkeit dadurch \u00e4ndern, dafs sich das Volumen des Gebildes \u00e4ndert, wie wir fr\u00fcher (S. 376ff.) an einem konkreten Beispiele gezeigt haben, oder dadurch, dafs durch gewisse andere Ver\u00e4nderungen des Gebildes (Temperatur\u00e4nderung, Einf\u00fchrung von Substanzen, welche die Lebhaftigkeit des Erregungsprozesses durch katalytische Wirkung beeinflussen, u. dergl. m.) ein Zustand desselben geschaffen wird, bei welchem einem gegebenen Beize eine andere Ver\u00e4nderung von K entspricht, als zuvor. Wie leioht ersichtlich, unterscheidet sich eine Erh\u00f6hung der Beizbarkeit von einer entsprechenden Steigerung der Erregbarkeit wesentlich dadurch, dafs sie unter sonst gleichen Umst\u00e4nden schneller zur Ersch\u00f6pfung des Gebildes f\u00fchrt. Erh\u00f6hte Beizbarkeit stellt also immer einen Zustand \u201ereizbarer Schw\u00e4che\u201c dar. Das Umgekehrte gilt v\u00f6n der verringerten Beizbarkeit.\nVon den erregbaren Systemen der hier er\u00f6rterten Art sollen uns im Folgenden zwei wichtige, wesentlich voneinander verschiedene Hauptarten interessieren. Ein System der ersten Art ist dazu bestimmt, bei Gelegenheit einer Beizeinwirkung eine Energiemenge nach aufsen abzugeben, welche die Energiemenge, die dem Systeme bei der Beizeinwirkung zugef\u00fchrt worden ist, weit \u00fcbertrifft. Ein System dieser Art (Arbeitssystem) ist also durch die Haupteigent\u00fcmlichkeit charakterisiert, dafs sich der Energieinhalt des Syst\u00e8mes bei Statt-","page":389},{"file":"p0390.txt","language":"de","ocr_de":"390\nG. E. M\u00fctter.\nfinden des Erregungsprozesses betr\u00e4chtlich verringert, oder anders ansgedr\u00fcckt, der Energieinhalt des erregbaren Materiales ist bedeutend gr\u00f6\u00dfer, als der Energieinhalt der Erregungsprodukte.\nDie soeben erw\u00e4hnte Eigent\u00fcmlichkeit bringt es nun mit sich, dafs schon beim Ruhezust\u00e4nde die Geschwindigkeitskonstante der R\u00fcckbildung der Erregungsprodukte in erregbares Material im Vergleich zu der Geschwindigkeitskonstante des Erregungsprozesses einen sehr geringen Wert besitzt,1 so dafs in Systemen dieser Art die unmittelbare R\u00fcckbildung der Erregungsprodukte \u00fcberhaupt gar keine Rolle spielt. Arbeitssysteme ersetzen Verluste an erregbarem Materiale dadurch, dafs sie sich von aufsen chemische Energievorr\u00e4te zuf\u00fchren lassen. Es werden dem betreffenden Gebilde Stoffe zugef\u00fchrt, die entweder bereits selbst erregbares Material darstellen oder erst innerhalb des Gebildes, sei es unter Mitverwendung von Erregungsprodukten, sei es ohne solche, zum Aufbau von erregbarem Material verwandt werden. Soweit die Erregungsprodukte nicht die soeben angedeutete Verwendung finden, werden sie aus dem Gebilde abgef\u00fchrt. Die infolge der beschr\u00e4nkten Geschwindigkeit dieser Stoffabfuhr bei andauernder oder schnell wiederholter Reizung stattfindende Anh\u00e4ufung von Erregungsprodukten in dem Gebilde dient zweckm\u00e4fsiger-weise dazu, den weiteren Verbrauch von erregbarem Materiale in dem geschw\u00e4chten Organe einzuschr\u00e4nken, indem die Menge angesammelter Erregungsprodukte durch katalytische Wirkung die Geschwindigkeitskonstante des Erregungsprozesses auf niederen Werten erh\u00e4lt, also zu der verringerten Erregbarkeit auch eine verminderte Reizbarkeit hinzuf\u00fcgt (hemmende Wirkung der Erm\u00fcdungsstoffe auf die Muskelth&tigkeit).* *\nAus dem V orstehenden ergiebt sich, dafs in Systemen der hier\n1 Die schon ohne weiteres plausible Behauptung, dafs in einem Systeme der hier angedeuteten Art die Geschwindigkeitskonstante der B\u00fcckbildung der Erregungsprodukte einen relativ nur sehr geringen Wert besitzen k\u00f6nne, l&fst sich \u00fcbrigens aus der von Nxrnst, a. a. 0. S. 511 aufgestellten Gleichung f\u00fcr die bei einem chemischen Vorg\u00e4nge zu gewinnende maximale Arbeit streng ableiten..\n* Nimmt man im Sinne wiederholt ge\u00e4ufserter Ansichten an, dafs der Erregungsprozefs im Muskel mit H\u00fclfe eines Fermentes vor sich gehe, so hat man nach den Untersuchungen von Tammakh (Ze\u00fcschr. f. physiol Chemie. 16. 1892. S. 271 ff) zu sagen, dafs die Anh\u00e4ufung der Er*","page":390},{"file":"p0391.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Bsychophysik der Gesichtsempfindungen.\n391\nin Bede stehenden Art niemals Gleichgewicht zwischen dem Erregungsprozesse und der R\u00fcckbildung der Erregungsprodukte besteht, sondern stets der erstere Vorgang weit \u00fcberwiegt. Allerdings ist beim Buhezustande die Lebhaftigkeit des Er-regungsprozes808 nur gering, weil die Geschwindigkeitskonstante dieses Prozesses beim Buhezustande zwar grofs in Vergleich zur Geschwindigkeitskonstante der R\u00fcckbildung der Erregungsprodukte, aber absolut genommen nur klein ist. Ein System dieser Art verh\u00e4lt sich also \u00e4hnlich wie ein Gemisch von Wasserstoff und Sauerstoff bei gew\u00f6hnlicher Temperatur (S. 361 f.). Es stellt ein System dar, welches ohne Zufuhr fremder Energie ein gewisses Quantum \u00e4ufserer Arbeit zu leisten vermag. Bei fehlender Einwirkung von Beizen k\u00f6nnte es jedoch dieses Arbeitsquantum nur innerhalb \u00e4u&erst langer Zeit und blofs in der Weise leisten, dafs die Arbeitsleistung zu jeder Zeit nur minimal w\u00e4re. Die einwirkenden Beize dienen dazu, die Umsetzung der Energie, welche das System abzugeben vermag, zu beschleunigen und das System zu bef\u00e4higen, in kurzen Zeiten merkbare \u00e4ufsere Arbeit zu leisten.\nEndlich entspringt aus der oben angegebenen Haupteigent\u00fcmlichkeit dieser Arbeitssysteme, zu denen in erster Linie der Muskel als kontraktiles Organ* 1 geh\u00f6rt, noch die Eigenschaft, dafs sie nur in einer Weise th\u00e4tig sein k\u00f6nnen, n\u00e4mlich nur durch solche Beize erregt werden, welche den Umsatz des erregbaren Materiales von hohem Energieinhalt in Erregungsprodukt von geringem Energieinhalt f\u00f6rdern. Beize, welche diesen ausl\u00f6senden Beizen genau entgegengesetzt sind, k\u00f6nnen zwar, wenn sie mit den ausl\u00f6senden Beizen zugleich gegeben sind, nach Mafsgabe ihrer St\u00e4rke die Wirksamkeit der ausl\u00f6senden Beize hemmen, sind aber (bei den \u00fcberhaupt in Betracht kommenden St\u00e4rkegraden) nicht selbst im st\u00e4nde, eine merkbare chemische Wirkung im Systeme zu haben, d. h. eine\nregungsprodukte dahin wirkt, das Ferment in eine unwirksame Modifikation umzuwandeln, aus der es durch die Fortschaffung der Erregungsprodukte wieder in die wirksame Modifikation zur\u00fcckgebracht wird.\n1 D. h. insofern, als sich in ihm ein Vorgang abspielt, bei welchem chemische Energie in mechanische umgesetzt wird. Nimmt man neben diesem Vorg\u00e4nge noch einen \u201eReizleitungsprozefs\u201c im Muskel an, so hat man den Muskel noch als Sitz eines anderweiten erregbaren Syst\u00e8mes (ron nicht n\u00e4her bekannter Natur) anzusehen.","page":391},{"file":"p0392.txt","language":"de","ocr_de":"392\nO. E. M\u00fcller,\nmerkbare Menge von Erregungsprodukten in erregbares Material umzu wandeln.1\nGanz anders verhalten sich die Systeme der zweiten Art. Dieselben dienen dazu, einen Reiz, welcher seiner Beschaffen\u00ab heit gem\u00e4fs einen Sinnesnerven (oder ein sonstiges Organ) nicht direkt zu erregen vermag, so umzuformen, dafs eine Erregung in diesem Nerven hervorgerufen wird. Dieselben sind also nicht Arbeite-, sondern Umformungssysteme. Da der Organismus nicht unn\u00f6tig grofse Energievorr\u00e4te verbrauchen l\u00e4fst, so \u00e4ndert sich der Energieinhalt eines Umformungssystem es nur wenig, wenn in ihm infolge eines Reizes ein Erregung8prozefs stattfindet. Denn nur um Erzielung einer bestimmten Qualit\u00e4t des Erregungsprozesses, nicht nm Erzielung einer grofsen Energieabgabe handelt es sich bei der Umformung, welche ein \u00e4ufserer Reizvorgang in einem Systeme dieser Art erf\u00e4hrt. Und es wird der Erregungsprozefs eines solchen Syst\u00e8mes vielfach ein Vorgang sein, bei welchem der Energieinhalt des Syst\u00e8mes infolge der Reizeinwirkung zunimmt*\nAus dieser Eigent\u00fcmlichkeit der Umformungssysteme, bei ein tretendem Erregungsprozesse eine nur geringe \u00c4nderung des Energieinhaltes zu erfahren, folgt nun dem oben Bemerkten gem\u00e4fs ohne weiteres, dafs die Geschwindigkeitskonstante des Erregungsprozesses und die Geschwindigkeitskonstante der R\u00fcckbildung der Erregungsprodukte beim Ruhezust\u00e4nde nicht erheblich verschiedene Werte besitzen\u00ab Mithin besteht in einem Umformungssysteme, das seit l\u00e4ngerer Zeit sich selbst \u00fcberlassen ist, Gleichgewicht zwischen dem Erregungsprozesse und der R\u00fcckbildung der Erregungsprodukte. Und nach beendeter Reizeinwirkung spielt dem Gesetze der chemischen Massenwirkung gem\u00e4fs die R\u00fcckbildung der Erregungsprodukte eine wesentliche Rolle ; das System erholt sich zweckm\u00e4fsigerweise nicht blofs durch Stoffzufuhr, sondern auch durch unmittelbare R\u00fcckbildung eines Teiles der Erregungsprodukte.\nEndlich unterscheiden sich die Umformungssysteme auch\n1 Eine aktive Elongation eines Muskels ist also nicht anders m\u00f6glich, als so, dafs der dieselbe bewirkende Reiz einen Ausl\u00f6sungsreiz hemmt, der bislang einen Kontrakt]onszustand des Muskels bewirkte, oder so, dafs der Muskel zwei Arbeitssysteme im obigen Sinne enthalt, von denen das eine bei seiner Erregung Kontraktion, das andere aber Elongation des Muskels bewirkt.","page":392},{"file":"p0393.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichteempfindungen.\n393\nnoch dadurch von den Arbeitssystemen, dafs es Umformungs-systeme von doppelter Beizempf\u00e4nglichkeit geben kann, d. h. Systeme, in denen diejenigen Stoffe, die f\u00fcr eine Art von Beizen und einen Erregungsprozefs das Erregungsprodukt darstellen, zugleich f\u00fcr eine andere Art von Beizen das erregbare Material bilden, das durch einen dem erster en Erregungsprozesse genau entgegengesetzten Prozeis in diejenigen Stoffe verwandelt wird, die f\u00fcr die Beize der ersteren Art das erregbare Material bilden. Durch solche Umformungssysteme von doppelter Beizempf\u00e4nglichkeit wird mit dem geringsten stofflichen Aufwand\u00a9 erreicht, dafs in einem Sinnesgebiete verschiedenen Beizarten mehrere Arten von Erregungsprozessen entsprechen und mithin eine h\u00f6here Unterscheidungsf\u00e4higkeit f\u00fcr die verschiedenen Arten von Sinnesreizen besteht. Denn da mit dem Vorhandenseineines erregbaren Materiales in einem Gebilde immer zugleich das Vorhandensein einer gewissen Menge der zugeh\u00f6rigen Erregungsprodukte verbunden ist, so wird offenbar mit dem geringsten Aufwande von stofflichen Mitteln z. B. eine vierfache Beizempf\u00e4nglichkeit, eine Vierzahl m\u00f6glicher Erregungsprozesse erzielt, wenn in dem betreffenden Gebilde zwei Umformungssysteme von doppelter Beizempf\u00e4nglichkeit (wie z. B. der Botgr\u00fcnsinn und der Gelbblausinn solche darstellen) vorhanden sind. W\u00e4ren in jeder farbent\u00fcchtigen Stelle unserer Netzhaut nur drei erregbare Systeme von einfacher Beizempf\u00e4nglichkeit vorhanden, so w\u00fcrde es nicht sechs, sondern nur drei verschiedene Arten von Netzhautprozessen geben, und unsere F\u00e4higkeit, Gesichtsobjekte auf Grund ihrer verschiedenen F\u00e4rbungen voneinander zu unterscheiden, w\u00fcrde zu unserem Nachteile eine viel geringere sein. Ein System von doppelter Beizempf\u00e4nglichkeit ist insofern unvollkommen, als es in gar keinen Erregungszustand versetzt wird, wenn ein Beiz gleichzeitig mit einem anderen Beize gegeben ist, der gleich stark, aber im entgegengesetzten Sinne auf das System wirkt. Diesem Mangel ist im Gebiete unseres Gesichtssinnes dadurch abgeholfen, dafs jedes farbige Licht neben seinen chromatischen Valenzen noch eine Weifsvalenz besitzt, so dafs in allen F\u00e4llen, wo sich farbige Valenzen gegenseitig kompensieren, immerhin noch ein mehr oder weniger intensiver Beiz f\u00fcr das W-Material resultiert.\nDas Vorstehende bedarf freilich in mancherlei Hinsicht","page":393},{"file":"p0394.txt","language":"de","ocr_de":"394\nQ. E. M\u00fcller.\nnoch der Erg\u00e4nzung, wie schon ein R\u00fcckblick auf dasjenige zeigt, was wir im Bisherigen hinsichtlich der Netzhautprozesse zu bemerken hatten (Zusammensetzung jedes durch einen Lichtreiz in der Netzhaut ausgel\u00f6sten Vorganges aus zwei sucoessiven Teilprozessen u. a. m.), und wie auch der Umstand darthut, dafs es neben den beiden hier er\u00f6rterten Hauptarten noch andere Arten solcher erregbarer Systeme giebt, die mit chemischen Vorg\u00e4ngen reagieren (wir erinnern an den Apparat der Kohlenstoffassimilation in den gr\u00fcnen Pflanzen). Trotz ihrer Un Vollst\u00e4ndigkeit d\u00fcrfte indessen die vorstehende Skizze ihren Zweck erreicht, n\u00e4mlich zum BewuXstsein gebracht haben, dafs die h\u00e4ufig gemachte Voraussetzung, die Lichtreize erlangten die F\u00e4higkeit, auf den Sehnerven zu wirken, durch Ausl\u00f6sung relativ bedeutender, in der Netzhaut an geh\u00e4ufter chemischer Spannkr\u00e4fte, eine Voraussetzung ist, die weder auf eine allgemeine physikalisch-ohemische Betrachtung der mit chemischen Vorg\u00e4ngen reagierenden erregbaren Systeme noch auf biologische Erw\u00e4gungen gest\u00fctzt werden kann. Man hat dasjenige, was von den Muskeln und anderen zur Abgabe angesammelter Energievorr\u00e4te bestimmten Gebilden gilt, ohne die geringste Berechtigung auf Gebilde von ganz anderer Bedeutung, n\u00e4mlich solche, die nur zur Umformung von Reizvorg\u00e4ngen dienen, \u00fcbertragen. In keinem Sinnesgebiete ist auch nur eine Spur eines Beweises daf\u00fcr gebracht, dafs die Sinnesreize \u2014 man denke z. B. auch an die Geh\u00f6rsreize! \u2014 unsparsamerweise erst durch Ausl\u00f6sung betr\u00e4chtlicher Spannkr\u00e4fte die F\u00e4higkeit erlangen, die Sinnesnerven zu erregen. Es gen\u00fcgt, dafs die Nervenerregungen da, wo es sich wirklich um Energieabgaben handelt, im Muskel, im elektrischen Organe u. dergl., chemische Spannkr\u00e4fte' ausl\u00f6sen. Es h\u00e4tte aber gar keinen Zweck, wenn diese nur ausl\u00f6senden und mithin einer besonderen St\u00e4rke keineswegs bed\u00fcrftigen Nervenerregungen auch ihrerseits selbst erst durch einen betr\u00e4chtlichen Verbrauch von Energieinhalten hervorgerufen w\u00fcrden.\n\u00a7 26. Die optischen Valenzen und ihre Konstanz.\nDen vorstehenden Darlegungen gem\u00e4fs ist der Reizwert, den ein einwirkender Vorgang f\u00fcr einen unserer drei optischen Spezialsinne besitzt, nach den \u00c4nderungen zu bemessen, die er an den beiden durch Licht beeinflufsbaren Geschwindigkeits-","page":394},{"file":"p0395.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Geeichteempfindungen.\n395\nkonstanten dieses Spezialsinnes zu bewirken strebt und, falls nicht ein in entgegengesetztem Sinne wirkender anderer Vorgang gleichzeitig gegeben ist, in der That auch bewirkt. Ein blaues Licht besitzt unter gegebenen Umst\u00e4nden dieselbe Weifsvalenz, wie ein bestimmtes weifses Licht, wenn es unter eben diesen Umst\u00e4nden dieselbe Ver\u00e4nderung der Konstanten JE* (vergl. S. 348) und mithin (da der Wert von JE* eine eindeutige Funktion von JE\u00bb ist) auch dieselbe Ver\u00e4nderung der Konstanten JE\u00bb bewirkt, wie das weifse Licht. Nat\u00fcrlich hat die Bestimmung der Weifsvalenz oder sonstigen Valenz eines gegebenen Lichtes nur dann einen h\u00f6heren Wert, wenn diese Bestimmung nicht blofs f\u00fcr die Umst\u00e4nde, unter denen die Bestimmung stattgefunden hat, sondern auch noch f\u00fcr andere Versuchsbedingungen gilt. Ob oder inwieweit ein solches Verhalten nach den im Bisherigen entwickelten Anschauungen zu erwarten sei, soll im Folgenden kurz er\u00f6rtert werden.\nWir sehen zun\u00e4chst von den thats\u00e4chlichen oder m\u00f6glichen anatomisch - physiologischen Komplikationen ganz ab und nehmen an, dafs auch in rein physikalisch-chemischer Hinsicht die Verh\u00e4ltnisse ganz einfach*l\u00e4gen, dafs also photochemische Nebenwirkungen der Lichtreize in der lichtempfindlichen Netzhautschicht, welche von Einflufs auf die eigentlichen Netzhautprozesse seien, sowie gegenseitige Beeinflussungen einander nioht entgegengesetzter Netzhautprozesse (z. B. des TT-Prozesses und des JWProzesses) in merkbarem Grade nicht vork\u00e4men.\nAlsdann ist zu sagen, dafs zwei verschiedene Lichter, welche bei einer bestimmten Erregbarkeit eines der drei optischen Spezialsinne die gleichen \u00c4nderungen der betreffenden Geschwindigkeitskonstanten dieses Spezialsinnes bewirken, auch bei jeder beliebigen anderen Erregbarkeit desselben gleiche Wirkungen auf jene Gesohwindigkeitskonstanten aus\u00fcben m\u00fcssen. Es ist also alsdann der Satz aufzustellen, dafs die Valenzen eines gegebenen Lichtes von den vorhandenen Erregbarkeiten der betreffenden optischen Spezialsinne unabh\u00e4ngig sind. Ferner ergiebt sich ohne weiteres, dafs diese Valenzen auch unabh\u00e4ngig sind von dem jeweiligen Volumen des betroffenen lichtempfindlichen Gebildes. Hingegen l\u00e4fst sich nichts Sicheres dar\u00fcber sagen, ob zwei verschiedene Lichter, welche unter gegebenen Umst\u00e4nden die betreffenden","page":395},{"file":"p0396.txt","language":"de","ocr_de":"396\nG. E. M\u00fcller.\nGeschwindigkeitskonstanten eines optischen Spezialsinnes in v\u00f6llig gleicher Weise beeinflussen, sich in Beziehung auf diesen Spezialsinn auch noch dann als v\u00f6llig \u00e4quivalent erweisen w\u00fcrden, wenn man die Reizbarkeit des betreffenden Gebildes auf anderem Wege als durch \u00c4nderung des Volumens \u00e4ndern w\u00fcrde, z. B. durch Erh\u00f6hung der Temperatur oder durch Einf\u00fchrung katalytisch wirksamer Substanzen. Doch hat diese Frage kein aktuelles Interesse.\nWeit wichtiger ist die Frage, wie sich die Valenzen eines Lichtes bei einer Intensit\u00e4ts\u00e4nderung des letzteren oder bei Hinzuf\u00fcgung eines anderen Lichtes verhalten. Wenn zwei hinsichtlich ihrer Beschaffenheit oder Zusammensetzung verschiedene Lichter in dem Falle, dafs jedes ganz allein auf die betreffende N etzhautr egion ein wirkt, sich als v\u00f6llig \u00e4quivalent erweisen, mufs dann diese \u00c4quivalenz auch noch dann bestehen, wenn wir jedem der beiden Lichter ein und dasselbe dritte Licht hinzuf\u00fcgen ? Wird ferner die \u00c4quivalenz beider Lichter auch noch dann fortbestehen, wenn wir die Intensit\u00e4ten beider in gleichem Verh\u00e4ltnisse erh\u00f6hen oder verringern? Ist es endlich von vornherein als v\u00f6llig ausgeschlossen anzusehen, dafs sich die Valenzen eines Lichtes bei einer Intensit\u00e4ts\u00e4nderung des letzteren ihrer Zahl oder ihrer Qualit\u00e4t nach \u00e4ndern, z. B. die Gelbvalenz eines Lichtes bei einer Intensit\u00e4tssteigerung des letzteren schliefslich in eine Blauvalenz \u00fcbergehe, oder ein mit nur einer optischen Valenz begabtes Licht bei Erh\u00f6hung seiner Intensit\u00e4t noch eine zweite (mit der bereits vorhandenen Valenz vertr\u00e4gliche) Valenz erlange ? Auf diese Fragen l\u00e4fst sich durch blofse theoretische \u00dcberlegung eine sichere Antwort nicht gewinnen. Die theoretische Erw\u00e4gung l\u00e4fst hier die verschiedensten F\u00e4lle m\u00f6glich erscheinen, z. B. auch den Fall, dafs die Valenzen der Lichter komplizierte, mit der Beschaffenheit des Lichtes sich \u00e4ndernde Funktionen der Lichtst\u00e4rke seien, von der Axt, dafs auch Zahl und Qualit\u00e4t der Valenzen eines Lichtes bei zunehmender Intensit\u00e4t des letzteren sich \u00e4ndern. Anders stellt sich die Sachlage dar, wenn wir die vorliegenden Ergebnisse der experimentellen Forschung ins Auge fassen. Bei zahlreichen Versuchsreihen hat sich ergeben, dafs die durch Licht von konstanter Qualit\u00e4t bewirkte \u00c4nderung der Geschwindigkeitskonstanten einer chemischen Umsetzung der Lichtst\u00e4rke pro-","page":396},{"file":"p0397.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n397\nportional geht1 (Ostwald, a. a. O. S. 1034 ff., S. 1046 ff, Nernst, a. a. 0. S. 579); und, soweit dieses Gesetz gilt, m\u00fcssen Lichter verschiedener Art, die bei gegebenen Intensit\u00e4ten hinsichtlich einer oder mehrerer Valenzen genau miteinander \u00fcbereinstimmen, diese \u00c4quivalenz auch noch dann zeigen, wenn sie in gleichem Verh\u00e4ltnisse verst\u00e4rkt oder geschw\u00e4cht werden. Was ferner das Verhalten der Valenzen eines Lichtes bei Hinzufugung eines zweiten (einfachen oder zusammengesetzten) Lichtes anbelangt, so kommt z. B. nach den Untersuchungen von Pfeffer (Arb. d. bot. Inst. z. W\u00fcrzburg. 1. 1871. S. 41 ff) jeder Spektralfarbe \u201eeine spezifische Zersetzungskrafb f\u00fcr Kohlens\u00e4ure zu, die dieselbe bleibt, gleichviel, ob die betreffenden Strahlen f\u00fcr sich oder mit anderen kombiniert auf assimilationsf\u00e4hige Bl\u00e4tter ein wirken\u201c. Und Ewald und K\u00fchne (Heidetb. Unters. 1. S. 198 ff.) stellen auf Grund ihrer Versuche den Satz auf, \u201edafs die Wirkung einer gemischten Farbe auf den Sehpurpur nur abh\u00e4ngig ist von der Summe der Wirkungen der Spektralfarben, welche sie zusammensetzen\u201c.\nNach Vorstehendem ist zu erwarten, dafs auch in unserem\n*\nGebiete eine Konstanz der optischen V alenzen bestehe, d. h. dafs die optischen Valenzen eines Lichtes erstens unabh\u00e4ngig seien von den vorhandenen Erregbarkeiten der betreffenden optischen Spezialsinne und zweitens unabh\u00e4ngig\n1 Bei diesen Versuchsreihen handelte es sich um lichtempfindliche Gemische, welche der ersten der beiden auf S. 361 ff. er\u00f6rterten Hauptarten solcher Gemische angeh\u00f6rten, bei denen also die Geschwindigkeits-konstante der R\u00fcckbildung der photochemischen Reaktionsprodukte wegen ihrer Geringf\u00fcgigkeit Oberhaupt nicht in Betracht kam. Handelt es sich um ein photochemisches Gemisch der zweiten Hauptart, also um ein solches, das sich vor der Lichteinwirkung in chemischem Gleichgewichte befindet, so kann nur die \u00c4nderung derjenigen Geschwindigkeitskonstanten, deren Wert durch das gegebene Licht eine Zunahme erf\u00e4hrt, innerhalb weiterer Grenzen der Lichtst\u00e4rke proportional gehen, nicht aber auch die \u00c4nderung der anderen Geschwindigkeitskonstanten, deren Wert sich bei steigender Lichtst\u00e4rke immer mehr der Null n\u00e4hert. Man wird indessen in der Regel schon bei m\u00e4fsigen Lichtst\u00e4rken von den \u00c4nderungen dieser zweiten Konstanten ganz absehen k\u00f6nnen. Vor allem aber kommt hier der Satz in Betracht, dafs in allen F\u00e4llen, wo jene erstere Konstante einen und denselben Wert besitzt, das Gleiche auch von dieser zweiten Konstante gelten mufs, die eine eindeutige Funktion jener ersteren ist.","page":397},{"file":"p0398.txt","language":"de","ocr_de":"398\nG. E. M\u00fcller.\nseien von den etwa gleichzeitig ein wirkenden anderen Lichtem.1 Eine absolute Sicherheit daf\u00fcr, dafs der zweite Teil dieses Satzes von der Konstanz der Valenzen G\u00fcltigkeit besitze, k\u00f6nnen uns allerdings die oben erw\u00e4hnten Versuchsthatsachen nicht gew\u00e4hren. Denn die Zahl der photochemischen Reaktionen, die in den uns hier interessierenden Beziehungen bisher untersucht sind, ist im Vergleich zu der Zahl der bislang noch nicht untersuchten nur gering. Es ist z. B. von denjenigen lichtempfindlichen Gemischen, die durch die kurzwelligen Strahlen des Sonnenspektrums in entgegengesetztem Sinne chemisch ver\u00e4ndert werden, als durch die langwelligen Strahlen, noch kein einziges daraufhin untersucht, ob die sog. neutrale Region des Spektrums, welche das Gemisch ganz unbeeinflufst lafst, bei zunehmender Lichtst\u00e4rke hinsichtlich ihrer Lage und Ausdehnung ganz unver\u00e4ndert bleibt, oder nicht.\nIm Vorstehenden ist die Voraussetzung gemacht worden, dafs Netzhautprozesse, die einander nicht entgegengesetzt sind und in einer und derselben Netzhautstelle sich abspielen, ganz unabh\u00e4ngig voneinander verliefen. Diese Voraussetzung darf aber nicht ohne weiteres zu Grunde gelegt werden. Setzen wir z. B. den Fall, dafs eine Molek\u00fclart, welche durch den .R-Prozefs entsteht und mithin eine Komponente des G-Materiales bildet, zugleich eine Komponente des TV-Materiales sei, so mufs nach dem Gesetze der chemischen Massenwirkung der einer gegebenen Weifsvalenz entsprechende TP-Prozefs gefordert\n1 In dem zweiten Teile dieses Satzes ist offenbar schon der Satz enthalten, dafs die optischen Valenzen eines Lichtes bei einer Intensit\u00e4ts-zunahme des letzteren hinsichtlich ihrer Zahl und Qualit\u00e4t sich nicht \u00e4ndern, wohl aber in ihrer St\u00e4rke der Lichtintensit\u00e4t proportional gehen, so dafs zwei hinsichtlich einer oder mehrerer Valenzen miteinander \u00fcbereinstimmende Lichter diese \u00dcbereinstimmung auch dann noch zeigen, wenn sie in gleichem Verh\u00e4ltnisse verst\u00e4rkt oder geschw\u00e4cht werden. Denn, wenn z. B. an die Stelle eines gegebenen Lichtes ein anderes Licht von v\u00f6llig gleicher Qualit\u00e4t, aber der n-fachen Intensit\u00e4t tritt, wo n > 1 und eine ganze Zahl ist, so denke man sich das zweite Licht in n Lichter von der St\u00e4rke des ersteren zerlegt und wende auf jedes von diesen n gleichartigen und gleichstarken Partiallichtern den Satz an, dafs die Valenzen eines Lichtes von den gleichzeitig einwirkenden anderen Lichtern unabh\u00e4ngig seien. Alsdann ergiebt sich ohne weiteres, dafs sich bei Verst\u00e4rkung des ersteren Lichtes auf das n-fache die optischen Valenzen hinsichtlich ihrer Qualit\u00e4t und Zahl nicht \u00e4ndern, wohl aber hinsichtlich ihrer St\u00e4rke auf das n-fache erh\u00f6hen.","page":398},{"file":"p0399.txt","language":"de","ocr_de":"Zwr Psyckophysik der Gesichtsempfindungm.\n899\nwerden, wenn gleichzeitig eine Rotvalenz einwirkt, hingegen geschw\u00e4cht werden, wenn gleichzeitig eine Gr\u00fcnv&lenz sich geltend macht. Ist eine Komponente des W-Materiales zugleich eine Komponente des B-Materiales, so mufs der TT-Prozefs gef\u00f6rdert werden durch einen gleichzeitigen JE-Prozefs, beeintr\u00e4chtigt werden durch einen gleichzeitigen -B-Prozefs. Wie man sieht, kann man von vornherein die Frage aufwerfen, ob die Erscheinungen der spezifischen Helligkeit nicht zu einem Teile auch darin ihren Grund h\u00e4tten, dafs die chromatischen Prozesse einerseits und der TF-Prozefs andererseits nicht ganz unabh\u00e4ngig voneinander verliefen.* 1 * * * * * * Wie der Kundige unschwer erkennt, kann man sich (zumal, wenn man bedenkt, dafs nach unseren fr\u00fcheren Ausf\u00fchrungen jeder durch eine optische Valenz ausgel\u00f6ste Netzhautvorgang aus zwei successiven Teilprozessen besteht) von vornherein noch auf die verschiedenste Weise ein gegenseitiges Abh\u00e4ngigkeitsVerh\u00e4ltnis einander nicht entgegengesetzter Netzhautprozesse konstruieren, indem man z. B. aus den Reaktionsprodukten zweier oder mehrerer Netzhautprozesse sekund\u00e4re Reaktionen, die nicht direkt auf den Sehnerven einzuwirken verm\u00f6gen, hervorgehen l\u00e4fst oder andere derartige Annahmen einf\u00fchrt.8 Besondere Ber\u00fccksichtigung m\u00f6gen hier nur noch die W\u00e4rme Wirkungen der Netzhautprozesse finden. Wenn auch den Ausf\u00fchrungen des vorigen Paragraphen gem\u00e4fs die (positiven oder negativen) W\u00e4rmet\u00f6nungen der verschiedenen Netzh\u00e4utprozesse nur unbetr\u00e4chtlich sein k\u00f6nnen, so ist doch nicht anzunehmen, dafs alle seohs retinalen Grundprozesse ganz ohne (positive oder negative) W\u00e4rmebildung verlaufen und in ihrem Verlaufe von der vorhandenen Temperatur ganz unabh\u00e4ngig sind. Findet also z. B. ein Netzhautprozefs, der mit positiver W\u00e4rmebildung verbunden ist, in einer bestimmten Netzhautstelle statt, so kann derselbe einen anderen an derselben Stelle sich abspielenden Netzhautprozefs nicht absolut unbeeinflufst lassen, sondern mufs denselben f\u00f6rdern oder beeintr\u00e4chtigen,\n4\n1 Wie man leicht erkennt, mufs im Falle einer solchen Ver-\nursachung jener Erscheinungen auch noch der Satz gelten, dafs durch\neinen gleichzeitigen TF-Prozefs die Differenz Ir \u2014 lg oder J# \u2014 A in\npositivem Sinne gef\u00f6rdert wird. Ferner mufs der <S\u00bb-Prozefs zu den\nchromatischen Netzhautprozessen in genau der entgegengesetzten Wechsel-\nbeziehung stehen, wie der TF-Prozefs.\n* Man vergleiche hierzu Nzrnst, a. a. O. S. 451 ff.","page":399},{"file":"p0400.txt","language":"de","ocr_de":"400\nG. E. M\u00fcller.\nje nachdem derselbe mit negativer oder positiver W\u00e4rmeentwickelung verbunden ist. Prinzipiell mufs es also eine \u00bb gewisse gegenseitige Beeinflussung der Netzhautprozesse geben, die auf den W\u00e4rme Wirkungen derselben beruht. Es ist nur sehr fraglich, ob dieselbe von merkbarer Gr\u00f6lse ist.\nWir brauchen nicht weiter auszuf\u00fchren, wie sehr sich dann, wenn eine gegenseitige Beeinflussung der in einer und derselben Netzhautstelle sich abspielenden, einander nicht entgegengesetzten Prozesse in merkbarem Grade stattfindet, die Dinge weit komplizierter gestalten, als bei Zugrundelegung des Satzes von der Konstanz der Valenzen zun\u00e4chst zu erwarten ist. Denn alsdann h\u00e4ngt das Verhalten, welches die Reizbarkeit oder die Erregbarkeit eines optischen Spezialsinnes w\u00e4hrend der Einwirkung einer auf diesen Spezialsinn wirkenden optischen Valenz zeigt, von der Intensit\u00e4t und Art der gleichzeitigen Reizungen der beiden anderen optischen Spezialsinne ab.\nEine \u00e4hnliche Kompliziertheit der Verh\u00e4ltnisse ist ferner auch f\u00fcr den Fall zu erwarten, dafs in der lichtempfindlichen Netzhautschicht durch Lichteinwirkung aufser den eigentlichen Netzhautprozessen noch eine Nebenwirkung hervorgerufen wird, welche die St\u00e4rke jener Prozesse irgendwie zu beeinflussen vermag. Wir er\u00f6rtern diesen Fall sogleich an einem konkreten Beispiele, indem wir uns auf die optische Sensibilisation1 beziehen. Man nehme an, dafs die Erweckung des TF-Prozesses in den St\u00e4bchen hinsichtlich ihrer Ausgiebigkeit sehr wesentlich von der vorhandenen Menge des Sehpurpurs, welcher als optischer Sensibilisator wirke, abh\u00e4ngig sei. Die Rolle, welche der Sehpurpur dem fr\u00fcher (S. 380 f.) Bemerkten gem\u00e4fs als Adaptationsstoff spielt, sei dadurch vervollst\u00e4ndigt, dafs ein und dasselbe Licht, wenn es auf purpurarme St\u00e4bchen wirkt, in denselben eine nur m\u00e4fsige Zunahme der Geschwindigkeitskonstanten Km bewirkt, hingegen eine bedeutende Zunahme von K* in den St\u00e4bchen zur Folge hat, wenn dieselben reichlichen Sehpurpur enthalten. Alsdann wird, gem\u00e4fs den Ver\u00e4nderungen, welche die optischen Sensibilisatoren an der spektralen Verteilung der Lichtempfindlichkeiten der chemischen Gemische, denen sie\n1 Man vergleiche \u00fcber dieselbe Eder, a. a* O. I. 1. S. 251 fl. und II. S. 37 ff.","page":400},{"file":"p0401.txt","language":"de","ocr_de":"Zwr Pdychophysik der Qesichteemp/indungen.\t401\nzugef\u00fcgt sind, zu bewirken pflegen, die spektrale Verteilung der f\u00fcr die St\u00e4bchen bestehenden Weifsvalenzen je nach dem Purpurgehalte der St\u00e4bchen etwas verschieden sein. Stellen wir also zwei Lichter von verschiedener Wellenl\u00e4nge in solchen Intensit\u00e4ten her, dafs sie bei geringem Purpurgehalte der St\u00e4bchen in diesen gleich intensive TP-Prozesse her vorrufen, so werden beide Lichter eine v\u00f6llige Gleichheit ihrer St\u00e4bchenwirkungen nicht mehr erkennen lassen, wenn wir sie auf die Netzhaut bei reichem Purpurgehalt der St\u00e4bchen, d. h. bei vollendeter Adaptation an das Dunkel, ein wirken lassen. Ist die Netzhaut an betr\u00e4chtliche Helligkeit adaptiert, ist also der Purpurgehalt der St\u00e4bchen nur gering und von unmerkbarem Einfl\u00fcsse auf die St\u00e4bchenvalenzen der verschiedenen Lichter,1 und bewegen sich die Intensit\u00e4ts\u00e4nderungen der Lichter bei unseren Versuchen innerhalb solcher Grenzen, dafs der Adaptationszustand der Netzhaut nicht wesentlich ver\u00e4ndert wird, so kann die Gleichheit zwischen den TF-Prozessen, die zwei verschiedenartige Lichter in den St\u00e4bchen hervorrufen, bei einer in gleichem Verh\u00e4ltnisse stattflndenden Erh\u00f6hung oder Schw\u00e4chung beider Lichter bestehen bleiben, falls eben der Satz von der Konstanz der Valenzen, ebenso wie f\u00fcr die Zapfen, auch f\u00fcr die St\u00e4bchen, soweit ihre Beaktionsweise nicht durch die sensibilisatorische Wirkung des Sehpurpurs beeinflufst ist, gilt. Macht man ferner die zun\u00e4chst gegebene Annahme, dafs das N-, TT- und ^-Material in den St\u00e4bchen von genau derselben Art sei, wie in den Zapfen, und dafs demgem\u00e4fs die Weifsvalenzen der verschiedenen Lichtarten f\u00fcr die St\u00e4bchen, soweit die Th\u00e4tigkeit der letzteren nicht durch die soeben erw\u00e4hnte Wirksamkeit des Sehpurpurs modifiziert werde, dieselben seien wie f\u00fcr die Zapfen, so kommt man zu dem Resultate, dafs zwar nicht f\u00fcr die an das Dunkel oder nur schwache Helligkeiten adaptierte Netzhaut, wohl aber f\u00fcr die an gr\u00f6fsere Helligkeit adaptierte Netzhaut die beiden fr\u00fcher (S. 327 ff.) er\u00f6rterten Hzssschen S\u00e4tze g\u00fcltig sein m\u00fcssen.\n1 Es ist zu beachten, dafs die optischen Sensibilisatoren die Lichtempfindlichkeiten der betreffenden Gemische bereits dann nur nooh unwesentlich beeinflussen, wenn die Mengen, in denen sie den letzteren beigemischt sind, noch keineswegs minimal sind. Es ist also, um den Einflufs des Sehpurpurs auf die St\u00e4bchenvalenzen auszusohlie\u00fcsen, keineswegs eine vollst\u00e4ndige Bleichung desselben n\u00f6tig.\nZeitschrift Ar Psychologie X.\n26","page":401},{"file":"p0402.txt","language":"de","ocr_de":"402\nG. E. M\u00fcller.\nMit der vorstehenden Darlegung haben wir bereits den Standpunkt rein physikalisch-chemischer Betrachtung verlassen und sind in eine Ber\u00fccksichtigung der anatomisch-physiologischen Komplikationen eingetreten. Die retinalen Anpassungsvorg\u00e4nge, zu denen auch die von der Intensit\u00e4t und Dauer der Lichteinwirkung abh\u00e4ngigen \u00c4nderungen der St\u00e4rke der sensibi\u00fcsatorischen Wirksamkeit des Sehpurpurs zu rechnen sein w\u00fcrden, k\u00f6nnen in doppelter Weise bewirken, dads eine Konstanz der optischen Valenzen, die ohne das Eingreifen derselben zu Tage treten w\u00fcrde, nicht voll zur Beobachtung gelangt. Denn werden zwei physikalisch verschiedenartige, aber bei den zun\u00e4chst vorhandenen Intensit\u00e4ten gleich erscheinende Lichter in gleichem Verh\u00e4ltnisse verst\u00e4rkt? so werden die retinalen Anpassungseinrichtungen (z. B. das Pigment des Pigmentepitheles und der Sehpurpur), welche hinsichtlich der St\u00e4rke ihrer Wirksamkeit auch von der physikalischen Qualit\u00e4t des einfallenden Lichtes abh\u00e4ngig sind,1 durch die Verst\u00e4rkung des einen der beiden Lichter im allgemeinen nicht in v\u00f6llig gleichem Mafse beeinflufst werden, wie durch die Verst\u00e4rkung des anderen Lichtes. Nehmen wir ferner an, es riefen zwei physikalisch verschiedenartige Liohter bei einem gegebenen retinalen Anpassungszustande ganz dieselben Netzhautprozesse hervor, so werden dieselben dann, wenn wir auf irgend einem Wege einen wesentlich anderen retinalen Anpassungszustand hergestellt haben, nicht mehr v\u00f6llig gleiche Netzhautprozesse\nbewirken, weil physikalisch verschiedene Lichter von einer und\n\u2022\u2022\nderselben \u00c4nderung des retinalen Anpassungszustandes nicht in v\u00f6llig gleichem Mafse betroffen werden. So wird z. B. der\n1 Auch die phototrope Epithelreaktion mufs von der physikalischen Beschaffenheit des einwirkenden Lichtes und nicht von der Ait und St\u00e4rke der durch das Licht erweckten Netzhautprozesse abh\u00e4ngen, wenn sie durch das Licht direkt und nicht erst durch Vermittelung der Netzhautprozesse erweckt wird. Dafs die phototrope Epithelreaktion direkt durch das Licht hervorgerufen wird, folgt aber unseres Erachtens aua der Herstellbarkeit epithelialer Optogramme (K\u00fchne in Hermanns Handb, d. Physiol 3. I. S. 338). W\u00fcrde diese Epithelreaktion erst durch die Netzhautprozesse hervorgerufen, so m\u00fcsfte sie auch durch die auf nur indirekter Beizung beruhenden, den Erscheinungen des simultanen Kontrastes, der simultanen und successiven Lichtinduktion zu Grunde liegenden Netzhautprozesse erweckt werden, und eine Erzeugung auch nur einigermafsen deutlicher epithelialer Optogramme w\u00e4re unm\u00f6glich.","page":402},{"file":"p0403.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophyaik der Oeaichtsempfindxtngen.\n403\n_\n\u00dcbergang der Fuscink\u00f6rperchen ans einer Stellung in eine andere die Einwirkung zweier physikalisch verschiedener Lichter (f\u00fcr welche die Absorption innerhalb des Pigmentes nicht v\u00f6llig dieselbe sein wird) nicht in absolut gleichem Mafse beeinflussen, m\u00f6gen uns die beiden Lichter bei der ersteren Stellung des Pigmentes noch so sehr als v\u00f6llig gleich erschienen sein. Ein noch besseres Beispiel f\u00fcr das soeben Bemerkte bietet uns der Umstand, dafs (wenn der Sehpurpur die oben angedeutete sensibilisatorische Bolle spielt) ein und dieselbe ausgiebige \u00c4nderung des Purpurgehaltes der St\u00e4bchen die St\u00e4bchenvalenzen zweier physikalisch verschiedenartiger, aber anf\u00e4nglich gleich erscheinender Lichter im allgemeinen nicht in v\u00f6llig gleichem Mafse ver\u00e4ndern kann.\n\u00dcben die verschiedenen Liohter im Sinne des auf S. 869 Bemerkten direkt einen gewissen Einflufs auf die der Funktion des Sehepithels dienenden nutritiven Vorg\u00e4nge aus, so kommt dieser Einfluls hier in \u00e4hnlicher Weise in Betracht, wie der Einflufs der verschiedenen Lichter auf die retinalen Anpassungs-apparats. Wie fr\u00fcher gesehen, bestimmt sich unser Urteil \u00fcber die Gleichheit oder Ungleichheit zweier Empfindungen nach der Beschaffenheit und St\u00e4rke, welche diese Empfindungen und die ihnen zu Grunde liegenden Netzhautprozesse in einem Stadium besitzen, wo bereits die nutritiven Vorg\u00e4nge merkbar mit im Spiele sind. Werden also zwei physikalisch verschiedenartige, aber subjektiv gleiche Lichter in gleichem Verh\u00e4ltnisse verst\u00e4rkt, so k\u00f6nnen sie nach dieser Verst\u00e4rkung nur dann noch v\u00f6llig gleich erscheinen, wenn die Verst\u00e4rkung d\u00e8s einen Lichtes die nutritiven Vorg\u00e4nge in v\u00f6llig gleichem Mafse ber\u00fchrt, wie die Verst\u00e4rkung des anderen Lichtes, was nicht ohne weiteres von vornherein angenommen werden darf.\nEndlich ist hier auch noch an das Eingreifen der Fluor\u00e9scenz der Augenmedien und der Netzhaut zu erinnern. Nach den Ausf\u00fchrungen von K\u00fchne (Hermanns Handb. d. Physiol 3. 1. S. 287 ff.) beruht die weifslichgr\u00fcne Fluorescenz der Netzhaut im \u00fcbervioletten (und vielleicht auch violetten) Lichte auf der Anwesenheit des Sehweifs. Je reichlicher die vorhandene Menge von Sehweifs ist, desto intensiver f\u00e4llt jene Fluorescenz aus. Nun denke man sich zwei Mischlichter, von denen das eine \u00fcberviolettes und violettes Licht enth\u00e4lt, das andere aber nicht, und welche beide bei einem Zustande der Netzhaut, wo\n26*","page":403},{"file":"p0404.txt","language":"de","ocr_de":"404\nG. E. M\u00fbUer.\nsehr wenig Sehweifs vorhanden ist, v\u00f6llig gleiche Netzhautprozesse zur Folge haben. Es ist klar, dafs beide Lichter bei unver\u00e4nderter oder in gleichem Verh\u00e4ltnisse ge\u00e4nderter Intensit\u00e4t nicht mehr ganz dieselben Netzhautprozesse hervor-rufen k\u00f6nnen, wenn sie auf die Netzhaut bei einem Zustande wirken, wo sehr viel Sehweifs vorhanden ist.1\nAus den bisherigen Entwickelungen dieses Paragraphen ergiebt sich hinl\u00e4nglich, wie unsagbar weit man fehlgreifen wurde, wenn man meinen wurde, dais die in dieser Abhandlung vertretenen Anschauungen Schwierigkeiten an Versuchsresultaten f\u00e4nden, nach denen zwei physikalisch verschiedenartige, zun\u00e4chst subjektiv gleiche Lichter nach einer in gleichem __ \u2022\u2022 ____________________________________\nVerh\u00e4ltnisse vollzogenen \u00c4nderung ihrer Intensit\u00e4t oder nach einer bestimmten \u00c4nderung des retinalen Anpassungszustandes nicht mehr gleich erscheinen oder sonstige Abweichungen von dem Satze von der Konstanz der Valenzen hervorzutreten scheinen. Von den Gesichtspunkten, die wir im Vorstehenden behufs Erkl\u00e4rung etwaiger Abweichungen von diesem Satze entwickelt haben, sind allerdings manche nur gewisser theoretischer Vollst\u00e4ndigkeit halber erw\u00e4hnt worden und um zu zeigen, dafs man vom Standpunkte der in dieser Abhandlung vertretenen Anschauungen aus noch ganz anderen anscheinenden Abweichungen von jenem Satze gerecht werden k\u00f6nnte, als thats\u00e4chlich vorzuliegen scheinen. \u00dcberblickt man die gesamten zur Zeit vorliegenden Versuchsresultate, welche sich auf die Frage der Konstanz der Valenzen beziehen, zumal in der Beleuchtung, in welche sie neuerdings durch von Kries ger\u00fcckt worden sind, so hat man unseres Erachtens keinen Grund, von folgender Anschauung abzugehen:\nDie verschiedenen Arten der Netzhautprozesse vollziehen sich in allen Zapfen oder St\u00e4bchen, in denen sie sich \u00fcberhaupt abspielen, an ganz demselben chemischen Materiale, sind ihrem Wesen nach in allen Netzhautteilen dieselben. Befindet sich, wie zu vermuten ist, in den St\u00e4bchen nur JV-, TT- und \u00c4-Material, so sind doch diese Stoffe ihrem Wesen nach v\u00f6llig identisch mit dem in den Zapfen befindlichen 2V-, TV- und N-Mateiiale.\n1 An den Einflufs, den die Eluorescenz der Augenmedien und der Netzhaut auf die Valenzen der Lichter aus\u00fcben mufs, hat bereits Hjsbing (\u00dcber Newtons Gesetz der \u00efarbenmischung. 8. 46) erinnert.","page":404},{"file":"p0405.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen.\n405\nDenkt man sich die Sehstoffe der Netzhaut ohne alle anatomisch-physiologischen Komplikationen der Einwirkung der verschiedenen Lichtarten ausgesetzt, so gilt f\u00fcr dieselben, wie vom physikalisch-chemischen Standpunkte aus zu erwarten ist, der Satz von der Konstanz der Valenzfh.\nAlle zur Zeit bekannten anscheinenden Abweichungen von diesem Satze lassen sich aus der Mitwirkung physiologischer Faktoren, in erster Linie der retinalen Anpassungseinrichtungen, erkl\u00e4ren.\t,\nSind die hier in Betracht kommenden Anpassungseinrioh-tungen und sonstigen physiologischen Faktoren an die Zapfen und St\u00e4bchen in verschiedener Weise verteilt, so ist zu erwarten, dais auch die anscheinenden Abweichungen vom Satze der konstanten Valenzen f\u00fcr beide Arten von Gebilden in verschiedenem Grade bestehen.\nDie beiden HESsschen S\u00e4tze k\u00f6nnen nur insoweit g\u00fcltig sein, als von den soeben erw\u00e4hnten physiologischen Faktoren und Einrichtungen und ihrer verschiedenen Verteilung auf der Netzhaut abgesehen werden kann. Dies ist nach den Versuchsresultaten von Hess bei an das Helle adaptierter Netzhaut der F\u00e4ll. Solange der Adaptationszustand der an das Helle\nmp\nadaptierten Netzhaut keine wesentlichen \u00c4nderungen erleidet, erweisen sich die optischen Valenzen der Lichtei: auf allen Teilen der extramakularen1 Netzhaut als dieselben, und gleichzeitig zeigt sich eine zwischen zwei physikalisch verschiedenen Lichtem hergestellte Gleichung auch noch nach einer in gleichem Verh\u00e4ltnisse vollzogenen Intensit\u00e4ts\u00e4nderung beider Lichter als g\u00fcltig. Es tritt also dann die Konstanz der optischen Vedenzen, nicht verdeckt durch physiologische Komplikationen, deutlich in die Beobachtung.\n\u00a7 27. Biologische Gesamtbetraohtung. *\nWir wollen hier noch in kurzer, zusammenfassender Weise zeigen, wie diejenigen Einrichtungen des Sehorganes, zu deren Annahme uns die bisherigen Betrachtungen gef\u00fchrt haben,\n1 Da die Pigmentierung des gelben Fleckes dem fr\u00fcher (S. 381) Bemerkten gem\u00e4is als eine, allerdings nur unvollkommene, Schutzvorrichtung aufgefafst werden kann, so ist auch die Th&tsache, dafs im allgemeinen eine f\u00fcr eine extramakulare Netzhautstelle hergestellte Farben-","page":405},{"file":"p0406.txt","language":"de","ocr_de":"406\nG. E. M\u00fcller\u00bb\ndem Zwecke des Sehorganes entsprechen und geeignet sind, uns im Kampfe ums Dasein zu f\u00f6rdern.\n1. Es ist zweckm\u00e4fsig, dafs Gesichtsobjekte, die sich durch die Beschaffenheit des von ihnen ausgestrahlten Lichtes unterscheiden, sich auch durch die Netzhautprozesse unterscheiden, die sie in unserem Auge hervorrufen. Dieser Anforderung wird um so besser entsprochen, je gr\u00f6fser die Zahl der retinalen Grundprozesse ist. Es ist mithin sehr zweckm\u00e4fsig, dafs in der Netzhaut dieselben Stoffe, die bei Ausl\u00f6sung eines chromatischen Netzhautprozesses als unmittelbare Produkte der Lichteinwirkung entstehen, zugleich anderen Lichtstrahlen gegen\u00fcber als erregbares Material fungieren. Der Organismus erzielt auf solchem Wege mittelst des geringsten stofflichen Aufwandes \u2014 denn wo ein erregbares Material vorhanden ist, ist das Mitvorhandensein der zugeh\u00f6rigen Erregungsprodukte ganz von selbst gegeben \u2014, dafs die Netzhaut mit vier verschiedenen chromatischen Grundprozessen auf die Lichtstrahlen zu reagieren vermag.\nDa Lichtstrahlen, die mit antagonistischen chromatischen Valenzen begabt sind, sich bei gleichzeitiger Einwirkung auf die chromatischen Sehstoffe gegenseitig hemmen und unter Umst\u00e4nden v\u00f6llig kompensieren, so ist es zweckm\u00e4fsig, dafs neben den chromatischen Sehstoffen noch das erregbare Material des Weifsschwarzsinnes in der Netzhaut vorhanden ist, und dafs alle Lichtstrahlen neben ihren chromatischen Valenzen noch eine Weifsvalenz besitzen. Infolge dieser Einrichtung k\u00f6nnen solche Lichtgemische, welche infolge von Antagonismus zwischen den chromatischen Valenzen der Partiallichter f\u00fcr die chromatischen Sehstoffe wirkungslos sind, immerhin nooh durch Erweckung von TV-Prozessen uns merkbar werden (vergl. S. 393.)\n2* Es ist zweckm\u00e4fsig, dafs sich das Sehorgan nach jeder Inanspruchnahme m\u00f6glichst schnell erhole. Dieser Anforderung gen\u00fcgt die Netzhaut nicht blofs dadurch, dafs in ihr, \u00e4hnlich wie in anderen Organen, eine nach den jeweiligen Bed\u00fcrfnissen regulierte Stoffzufuhr und Stoffabfuhr stattfindet, sondern\ngleich ung nicht zugleich f\u00fcr eine intramakulare Stelle gilt, darauf zur\u00fcck-zuf\u00fchren, dafs eine einem bestimmten Zweoke dienliche, physiologische Einrichtung nicht allen Netxhautstellen erteilt ist.","page":406},{"file":"p0407.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychopkysik der Gesichtsempfindungen.\n407\n\u2022auch dadurch, dafs in ihr nach Schwinden eines Beizes ein Teil der durch den Beiz geschaffenen Erregungsprodukte unmittelbar zur\u00fcckgebildet wird. Diese (dem negativen Nachbilde zu Grunde liegende) B\u00fcckbildung der Erregungsprodukte ist eine einfache Folge des Gesetzes der chemischen Massenwirkung.\n3. Diese B\u00fcckbildung wird nun aber \u00fcberdies zweokm\u00e4fsiger-weise noch durch die indirekte Netzhautreizung gefordert. Aufserdem dient die indirekte Netzhautreizung auch noch dazu, die Erregbarkeit der zentraleren Netzhautstellen f\u00fcr die Einwirkung eines bei einer Blickbewegung bevorstehenden Lichtreizes gut vorzubereiten.\nUnser Sehorgan ist nicht dazu da, in das Sehfeld hineinzustarren, sondern dazu, durch eine geeignete Wanderung des Blickes die einzelnen Gesichtsobjekte in ihren Besonderheiten und Beziehungen n\u00e4her zu erfassen. Angenommen nun z. B., wir wenden unseren Blick einem seitlich von uns auf grauem Grunde sich befindenden, gelben Objekte zu, so wird in der Umgebung der jeweilig von dem gelben Objekte betroffenen Netzhautstelle durch indirekte Beizung der Blauprozefs, d. h. die Bildung von Gelbmaterial gef\u00f6rdert. Es dient also die indirekte Beizung einerseits dazu, in denjenigen Netzhautstellen, welche bei der Blickbewegung soeben durch das gelbe Objekt gereizt worden sind, die B\u00fcckbildung der durch diese Beizung entstandenen Erregungsprodukte in Gelbmaterial zu f\u00f6rdern, und andererseits dazu, in denjenigen Netzhautsteilen, denen die Beizung durch das gelbe Licht bevorsteht, die Menge des hierbei in Anspruch zu nehmenden Gelbmateriales zu steigern (man vergleiche Hering, Zur Lehre vom Licktsinn. S. 91f.).\nSteht man nicht auf dem Standpunkte der Theorie der Gegen, f\u00e4rben, so kommen die vorstehende angedeuteten Gesichtspunkte f\u00fcr eine biologische Verst\u00e4ndlichmachung des Simultankontrastes und der den negativen (komplement\u00e4r gef\u00e4rbten) Nachbildern zu Grunde liegenden Vorg\u00e4nge ganz in Wegfall. Wenn z. B. Dondebs annimmt, dafs bei Stattfinden eines chromatischen Erregungsprozesses eine partielle Dissoziation der beteiligten Molek\u00fcle stattfinde, und dafs hierauf die bei diesem Vorg\u00e4nge entstandenen Bestmolek\u00fcle gleichfalls noch der Dissoziation verfielen (welch unn\u00fctze Ausgabe chemischer Spannkr\u00e4fte!), welch letzterer Vorgang dem komplement\u00e4r gef\u00e4rbten Nachbilde zu","page":407},{"file":"p0408.txt","language":"de","ocr_de":"408\nG. E. M\u00fcller,\nGrunde liege, so ist nach dieser Annahme der Vorgang, der dem genannten Nachbilde zu Grunde liegt, nichts weniger als zweckm\u00e4fsig.\nWie bereits Mach und Hering hervorgehoben haben, dient der dem Simultankontraste zu Grunde liegende Mechanismus auch noch dazu, die an und f\u00fcr sich sch\u00e4dlichen Wirkungen des im Auge zerstreuten Lichtes zu kompensieren, und wirkt auch unmittelbar dahin, die Helligkeitsunterschiede benachbarter Lichtfl\u00e4chen deutlicher hervortreten zu lassen.1\n4. Trotz der Einrichtungen, welche einer schnellen Erholung der Netzhaut dienen, ist es zweckm\u00e4fsig, dafs intensive Lichter bei ihrer Einwirkung auf das Auge Schutzvorg\u00e4nge hervorrufen, welche die Wirksamkeit derselben auf die lichtempfindliche Netzhautschicht verringern. Andererseits ist es zweckm\u00e4fsig, dafs bei andauernder stark herabgesetzter Beleuchtung die Wirkungsf\u00e4higkeit, welche die Lichtstrahlen f\u00fcr die lichtempfindliche Netzhautschicht besitzen, erh\u00f6ht werde. Diesen beiden Zwecken dienen neben anderen Einrichtungen (der Variabilit\u00e4t der Pupillenweite und des Augenlidspaltes) die\n1 Nach der Theorie der Gegenfarben i\u00dft der Prozeis, der in einer Netzhautstelle durch direkte Reizung entsteht, mit dem Prozesse, der in der Umgebung dieser Stelle durch indirekte Reizung entsteht, durch\neine einfache Beziehung verkn\u00fcpft : sie sind antagonistische Vorg\u00e4nge.\n> % \u2022\nDie physiologische Theorie des Zustandekommens des Simultankontrastes hat hiernach nur die einfache Frage zu beantworten: auf welche Weise oder nach Analogie welcher anderen physiologischen Erscheinungen hat man die Thatsache zu erkl\u00e4ren, dafs das Auftreten eines Netzhautprozesses in einer Netzhautstelle in den benachbarten Netzhautstellen den genau entgegengesetzten Netzhautprozeis hervorruft? Hingegen besteht nach denjenigen Ansichten, die sich nicht auf dem Boden der Theorie der Gegenfarben bewegen, zwischen einem chromatischen Prozesse und dem ihm komplement\u00e4ren Prozesse im wesentlichen .nur die Beziehung, dafs beide Prozesse bei ihrem gleichzeitigen Gegebensein in bestimmtem Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltni sse die Empfindung von Weifs zur Folge haben. Zwischen der Weifserregung und der Schwarzerregung oder dem Weifsprozesse und dem Schwarzprozesse besteht nach diesen Ansichten gar keine n\u00e4here Beziehung. Die meisten Vertreter der letzteren schweigen sich \u00fcberhaupt \u00fcber die Schwarzempfindung ganz aus oder sehen in. seliger Unbefangenheit die Schwarzempfindung als eine sehr wenig intensive Weifsempfindung an. Man kann zweifeln, ob auf solche Anschauungen jemals eine physiologische Theorie der Kontrasterscheinungen werde aufgebaut werden k\u00f6nnen.","page":408},{"file":"p0409.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophysik der Geatchteempfindungen.\n409\n\u2014...\t9 \"\nretinalen Anpassungsvorg\u00e4nge (die Pigmentwanderung, die\nBolle des Sehpurpurs).\n5. Es ist zweokm\u00e4fsig, dafs wir Gesichtsobjekte, die wir fr\u00fcher' wahrgenommen und hinsichtlich ihrer Eigenschaften und Wirkungen kennen gelernt haben, ohne weiteres auch dann wiedererkennen, wenn sie uns bei anderer Beleuchtungsst\u00e4rke, anderen Entfernungen von uns oder bei in sonstiger Beziehung ver\u00e4nderten Beobachtungsbedingungen wieder entgegentreten (Prinzip der leiohtesten Wiedererkennung). \u00ab Diesem Zwecke dienen diejenigen (hier nicht zu untersuchenden) Einrichtungen, auf denen die ann\u00e4hernde G\u00fcltigkeit des WBBSKschen Gesetzes und des Parallelgesetzes im Gebiete des Gesichtssinnes beruht, sowie diejenigen Einrichtungen, auf denen es beruht, dafs die subjektive Helligkeit eines Gesichtsobjektes bei monokularer und binokularer Betrachtung nahezu dieselbe ist.1 Soll der hier erw\u00e4hnte Zweck vollst\u00e4ndig erreicht sein, so d\u00fcrfen sich ferner die Qualit\u00e4ten und qualitativen Unt\u00ebrschiede der Gesichtsempfindungen, welche gegebene Gesichtsobjekte oder Teile solcher Objekte erwecken, nicht wesentlich \u00e4ndern, wenn sich die Beleuchtungsst\u00e4rke \u00e4ndert. Es w\u00e4re nichts weniger als zweckm\u00e4fsig, wenn sich z. B. ein teils rotes, teils blaues Objekt bei Verst\u00e4rkung der Beleuchtung in ein teils gelbes, teils gr\u00fcnes Objekt verwandelte. Eine\nEinrichtung, welche an und f\u00fcr sich im Sinne der soeben er-\n0\nw\u00e4hnten Anforderung wirkt, ist die Konstanz der optischen Valenzen. Allein, wie auch sonst dem obigen Prinzipe der leichtesten Wiedererkennung nur ann\u00e4hernd und innerhalb gewisser mittlerer Grenzen entsprochen wird, so auch hinsichtlich der soeben erw\u00e4hnten, aus demselben entspringenden Anforderung. Trotz der Konstanz der optischen Valenzen wird letzterer Anforderung nur innerhalb gewisser Grenzen der Beleuchtungsst\u00e4rke hinl\u00e4nglich gen\u00fcgt, und zwar hat diese .Unvollkommenheit in verschiedenen Umst\u00e4nden, zum Teil in Kollisionen mit anderen N\u00fctzlichkeitsprinzipien, ihren Grund. In erster Linie sind hier zu nennen der schon fr\u00fcher (S. 369 f.) n\u00e4her er\u00f6rterte Umstand, dafs die drei optischen Spezialsinne bei ihrer Th\u00e4tigkeit in verschiedenen Graden durch die nutritiven\n1 Man vergleiche hierzu meine Schrift \u201eZur Grundlegung der Psychophysik\u201c, S. 407.","page":409},{"file":"p0410.txt","language":"de","ocr_de":"410\nO. E. Mu\u00fcer,\nVorg\u00e4nge unterst\u00fctzt werden, ferner die endogene Erregung der zentralen Sehsubstanz und die Vorg\u00e4nge, welche bei eintretender Adaptation an das Dunkel die Weifs Valenzen im Vergleich zu den chromatischen Valenzen immer wirksamer werden lassen.\nEine weitere Konsequenz des obigen Prinzipes der leichtesten Wiedererkennung ist folgende : Soll es uns \u00fcberhaupt m\u00f6glioh sein, Gesichtsobjekte, die wir fr\u00fcher bei Tagesbeleuohtung wahrgenommen haben, zu anderdh Zeiten bei Tagesbeleuchtung ohne weiteres wiederzuerkennen, so darf die Tagesbeleuchtung, soweit sie f\u00fcr unser Sehorgan wirksam wird, hinsichtlich ihrer Zusammensetzung aus Strahlen verschiedener Wellenl\u00e4nge nicht sehr ver\u00e4nderlich sein ; denn sonst w\u00fcrde uns ein und dasselbe Objekt je nach der Tages- oder Jahreszeit oder je nach der geographischen Lage des Ortes, wo wir uns befinden, in wesentlich verschiedenen F\u00e4rbungen erscheinen und bei wiederholtem Auftauchen nur schwer und selten wiedererkennbar\nsein. Nun \u00e4ndert sich die Intensit\u00e4t der uns treffenden ultra-\n\u00bb\nvioletten Strahlen mit dem Zustande der Atmosph\u00e4re und der H\u00f6he der Sonne \u00fcber dem Horizonte weit mehr, als die Intensit\u00e4t der eigentlichen Lichtstrahlen.* 1 * * * * * Es w\u00fcrde daher, wenn wir f\u00fcr Ultraviolett stark empf\u00e4nglich w\u00e4ren, die Beschaffenheit der Tagesbeleuchtung und die F\u00e4rbung, in welcher uns ein und dasselbe Objekt erscheint, je nach dem Zustande der Atmosph\u00e4re und je nach dem Stande der Sonne eine sehr verschiedene sein und mithin dem obigen Prinzipe der leichtesten Wiedererkennung zu wenig entsprochen werden. Es l\u00e4fet sich also aus letzterem Prinzipe auch unsere (ann\u00e4hernde) Unempfindlichkeit f\u00fcr Ultraviolett ableiten.9\n1 Man vergleiche z. B. Eder, a. a. O. I. 1. S. 338 ff.; B. Spitaler in Eder8 Jahrb. f Photogr. 1888. S. 377 ff.; Abnby, ebenda. 1893. S. 376. Dafs die ultravioletten Strahlen je nach Jahreszeit und Tagesstunde betr\u00e4chtliche Unterschiede nicht blofs quantitativer, sondern auch qualitativer Art zeigen, haben schon Bunsen und Boscob festgestellt (Poggendorfs Ann. 101. 1867. 8. 263).\n1 Einen zweiten Gesichtspunkt hat in dieser Hinsicht A Fick\n(Hermanns Handb. d. Physiol. 3.1. S. 182) geltend gemacht. Er weist darauf\nhin, dafs der Brechungsindex im Bereiche der ultravioletten Strahlen\nsehr rasch mit der Schwingungszahl zunimmt, und dafs mithin im Falle\neiner erheblichen Empfindlichkeit f\u00fcr Ultraviolett die Deutlichkeit\nunserer Bilder durch die chromatische Abweichung des brechenden","page":410},{"file":"p0411.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophydik der Gesichtsempfindungen.\n411\nWie bekannt, ist die Zusammensetzung des Tageslichtes aus den roten, gelben, gr\u00fcnen u. s. w. Lichtstrahlen zwar 'weniger schwankend, als die St\u00e4rke und Beschaffenheit des ultravioletten Lichtes, aber immerhin keineswegs konstant (man vergleiche z. B. H. W. Vogel in Eders Jahrb. f. Photogr. 1890. S. 197 ff.). Die Erw\u00e4gung dieser Thatsache l\u00e4\u00fcst uns auch\ndem Umstande, dafs die beiden chromatischen Sinne hinsichtlich\nr %\nder Erregbarkeit so sehr hinter dem Weifsschwarzsinne zur\u00fcckstehen, eine zweckm\u00e4fsige Seite abgewinnen. W\u00e4re letzterer Sinn schwach, w\u00e4hrend die beiden chromatischen Sinne sich so hinsichtlich ihrer Erregbarkeit verhielten, wie sich that-s\u00e4chlich der Weilsschwarzsinn verh\u00e4lt, so w\u00fcrde uns z. B. ein und dasselbe Objekt zu der einen Tagesstunde gelb mit einem nur geringen Stich ins Weifsliche, zu einer anderen Tagesstunde vorwiegend bl\u00e4ulich und zu anderen Stunden in noch anderen F\u00e4rbungen erscheinen, was dem obigen Prinzipe der leichtesten Wiedererkennung direkt widerspr\u00e4che. Das that-s\u00e4chliche St\u00e4rkeverh\u00e4ltnis zwischen dem Weifsschwarzsinn und den beiden chromatischen Sinnen ist zweckm\u00e4fsigerweise so bemessen, dafs uns zwar solche Gesichtsobjekte, welche vorwiegend nur aus einer beschr\u00e4nkten Spektralregion Lichtstrahlen aussenden, durch die Besonderheit ihrer F\u00e4rbung erkennbar und wiedererkennbar werden, hingegen die zuf\u00e4lligen Schwankungen der Beschaffenheit des Tageslichtes das Aussehen der Gesichtsobjekte nicht wesentlich zu ver\u00e4ndern verm\u00f6gen.\n6. Die biologische Bedeutung der endogenen Erregung der Sehsubstanz: Angenommen, es w\u00e4re in denjenigen Teilen der zentralen Sehsubstanz, welche in Verbindung zu Netzhautstellen stehen, die gegenw\u00e4rtig gerade von keinem oder nur einem minimalen Reize getroffen werden, ein psychophysischer Prozefs\nApparates merkbar beeintr\u00e4chtigt sein w\u00fcrde. F\u00fcr Tierarten, welche hinsichtlich der Wahrnehmung der f\u00fcr sie wichtigen Objekte (infolge sch\u00e4rferen Geruchssinnes u. dergl.) nicht in so wesentlichem Grade wie die Menschen auf den Gesichtssinn angewiesen sind, kommt nat\u00fcrlich der obige Gesichtspunkt weniger in Betracht. Inwieweit die manchen niederen Tierarten zugeschriebene feinere Empfindlichkeit f\u00fcr atmosph\u00e4rische Ver\u00e4nderungen einfach auf die bei solchen Tierarten nach-gewiesenerma\u00fcsen vielfach vorhandene h\u00f6here Empfindlichkeit f\u00fcr die von den Zust\u00e4nden der Atmosph\u00e4re stark abh\u00e4ngigen ultravioletten Strahlen zur\u00fcckzuf\u00fchren ist, bleibt noch zu untersuchen.","page":411},{"file":"p0412.txt","language":"de","ocr_de":"412\nO. E. M\u00fcller.\n\u00fcberhaupt nicht vorhanden, so w\u00fcrden dunkle Gegenst\u00e4nde des Sehfeldes Gefahr laufen, ebenso wie diejenigen Gegenst\u00e4nde, deren Bilder auf den blinden Fleck fallen, in unserer Wahrnehmung ganz auszufallen.1 Da nun aber die Wahrnehmung des Daseins und der Bewegung oder Buhe der nur wenig Licht ausstrahlenden Gegenst\u00e4nde durchaus in unserem Interesse liegt, so besteht in jeder von der Netzhaut her nicht gereizten Partie der zentralen Sehsubstanz eine 5- und W-Erregung, welche bewirken, dafs die entsprechenden Stellen des Sehfeldes uns in einer grauen Nuance erscheinen. Sind in den betreffenden Netzhautstellen die Differenzen I*\u2014I\u201e4\u2014Ig und Ih merkbar von Null verschieden, so wird die Erregung der zentralen Sehsubstanz in der fr\u00fcher (S. 343 f.) angegebenen Weise durch die Th\u00e4tigkeit der Netzhaut modifiziert.\nInwieweit die endogene Erregung der Sehsubstanz auch f\u00fcr die Entwickelung der Baumanschauung des Gesichtssinnes von Bedeutung ist, soll hier nicht in \u00dcberlegung gezogen werden.\n7. Was endlich die biologische Bedeutung des Umstandes betrifft, dafs die auf den Sehnerven einwirkenden Netzhautprozesse auf dem Wege der photochemischen Induktion hervorgerufen werden und infolgedessen nicht sofort mit ihrer vollen Intensit\u00e4t auftreten und pl\u00f6tzlich wieder schwinden, sondern allm\u00e4hlich anklingen und abklingen, so ist hier an die Bolle zu erinnern, welche die positiven Nachbilder bei unserer Bewegungswahrnehmung spielen (man vergleiche W. Stern in dieser Zeitschrift, 7. 1894. S. 363 ff.). Zweitens ist daran zu erinnern, dafs eine intermittierende Beizung der Sinnesnerven, insbesondere auch des Sehnerven, falls die Intermissionen einander schnell folgen, uns unangenehm und anscheinend auch sch\u00e4dlich ist. Falls nun die Netzhautprozesse im Momente\n1 Erhebt man den Ein wand, dafs, ganz abgesehen von der Licht-Zerstreuung im Auge, auch ein sehr dunkles Objekt noch eine gewisse Menge von Licht ausstrahle, so \u00fcbersieht man, dafs der Einfiufs, den ein dunkles Objekt auf die entsprechende Netzhautstelle aus\u00fcbt, durch die in entgegengesetztem Sinne sich geltend machende indirekte Beizung', welche von benachbarten helleren Objekten ausgeht, leicht v\u00f6llig kompensiert werden kann, so dafs trotz der that\u00e4chlicben Lichtausstrahlung des dunklen Objektes. an der entsprechenden Netzhautstelle\nIw\u2014h\u2014 I\u2014lg \u2014 I\u2014Ib \u2014 0 iSt.","page":412},{"file":"p0413.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychophyeik der Geeichteeifipfindukgen.\n413\ndes Auftretens der betreffenden Beize ganz pl\u00f6tzlich in ihrer vollen St\u00e4rke erst\u00fcnden und im Momente des Aufh\u00f6rens der Beizung ebenso pl\u00f6tzlich wieder herabs\u00e4nken, so w\u00fcrden wir in vielen F\u00e4llen schon bei einer m\u00e4fsig schnellen Wanderung des Blickes \u00fcber eine Beihe verschiedener Gegenst\u00e4nde hin eine Beizung von schroff intermittierender Art erfahren, was nichts weniger als zu Blickbewegungen auffordemd und zweok-m\u00e4fsig sein w\u00fcrde.\nHiermit m\u00f6ge diese biologische Betrachtung beendet sein. Wir haben nicht Anlais, auch noch andere Einrichtungen des Sehorganei, die in keiner Beziehung zu den hier behandelten psychophysischen Fragen stehen, etwa ausschliefslich der r\u00e4um* liehen Wahrnehmung dienen, in gleicher Hinsicht zu er\u00f6rtern.1\n1 Auf die biologische Bedeutung des zwischen dem Netzhautzentrum und der Netzhautperipherie bestehenden Erregbarkeitsunterschiedes sind wir nicht eingegangen, weil dieselbe schon von Anderen hinl\u00e4nglich er\u00f6rtert worden ist. Man vergleiche z. B. Kibschmann in Wundts Philos. Stud., 5. & 490 f.\n(Schlufs folgt.)","page":413}],"identifier":"lit29843","issued":"1896","language":"de","pages":"1-82, 321-413","startpages":"1","title":"Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen [Kapitel 1, 2-3]","type":"Journal Article","volume":"10"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:03:13.958216+00:00"}