Open Access
{"created":"2022-01-31T14:43:06.395536+00:00","id":"lit29861","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Cohn, J.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 10: 140-143","fulltext":[{"file":"p0140.txt","language":"de","ocr_de":"140\nLitteraturbericht.\nmeist kalt empfunden) W\u00e4rmeempfindung ausl\u00f6sen.a ln der Kollmann-schen Poliklinik konnte Verfasser diese Beobachtung an 13 Versuchspersonen in zehn F\u00e4llen mit positivem Resultate nachpr\u00fcfen. \u201eReizung der Druckpunkte des Gliedes kann mit woll\u00fcstigen Empfindungen verkn\u00fcpft sein.\" Je nachdem die besprochenen \u201eSinnespunkte\" auf der K\u00f6rperoberfl\u00e4che vereinzelt oder in Kombinationen Vorkommen, unterscheidet Verfasser Unionen, Binionen und Temionen. Die Union bezeichnet ausschliefslich schmerzempfindende Orte (Cornea, Z\u00e4hne), zu den Binionen geh\u00f6ren sowohl Orte mit Schmerz- und Temperaturempfindung (Bandteil der Cornea, Conjunctiva, Glans penis), als auch solche mit Druck- und Temperatursinn (Mundh\u00f6hle mit wesentlichen Einschr\u00e4nkungen). Das Terni on (Temperatur-, Druck- und Schmerzempfindung) findet sich auf allen \u00fcbrigen Gebieten der K\u00f6rperoberfl\u00e4che.\nIndem Verfasser am Schl\u00fcsse der Abhandlung noch die Frage erw\u00e4gt, welches die noch g\u00e4nzlich unbekannten Organe der Temperaturempfindungen sein k\u00f6nnten, gelangt er auf Grund histologischer Untersuchungen dazu, die letzteren zu den sog. KRAussschen Endkolben und den von Ruffini beschriebenen K\u00f6rperchen in Beziehung zu setzen. Danach sind die Endkolben \u201ewahrscheinlich die Organe der Kaltempfindung.\" Ebenso scheint dem Verfasser \u201eeine Beziehung der Endigungen R\u00fcffinis zum W\u00e4rmesinn einigermafsen wahrscheinlich.\" Doch will Verfasser diese Mitteilung nur als eine vorl\u00e4ufige Vermutung auf-gefafst wissen und macht die letzte Entscheidung dieser Frage von weiteren Untersuchungen abh\u00e4ngig, mit denen er gegenw\u00e4rtig noch besch\u00e4ftigt ist.\tFriede. Kiesqw (Leipzig).\nHerbert Nichols. Our notions of number and space. Boston. Ginn & Comp. 1894. VI u. 201 S.\nNichols macht eine grofse Anzahl von Experimenten auf dem Gebiete des Tastsinns. Er l\u00e4fst bei in gerader Linie angeordneten Spitzen die Zahl der Punkte und ihre Entfernung, bei in Dreiecken und Quadraten angeordneten aufserdem noch die Figur beurteilen. Die Gr\u00f6fse der geraden Linien war 1\u2014B (beim Unterleib \u20145) cm, die Zahl der Spitzen 2\u20145 (beim Unterleib \u20147), bei den Figuren war die Seitenl\u00e4nge so gro\u00fcs wie diese Distanzen, die Punktzahlen bei Dreiecken 3, 4, 6, 7, bei Quadraten 4, \u00f6, 8, 9. Daneben machte er Versuche mit Kanten, hohlen und massiven Dreiecken, Quadraten und Kreisen. Es wurden vier Versuchspersonen an Zunge, Stirn, Unterarm und Unterleib untersucht. Die Apparate wurden meist auf der Haut hin- und hergeschoben; nur in einigen Reihen wurden sie dreimal auf dieselbe Stelle aufgesetzt. Ferner wurden auch Figuren durch einen bewegten Stift auf die Haut gezeichnet und dabei Druckst\u00e4rke und Schnelligkeit der Bewegung in allerdings nicht genau kontrollierter Weise ver\u00e4ndert.\nLeider scheint die Verteilung der Versuche auf die einzelnen Tage nicht in der sonst (seit Fecherr) \u00fcblichen Weise reguliert worden zu sein. Daher sind die Einfl\u00fcsse der \u00dcbung, Erm\u00fcdung, Einstellung nicht","page":140},{"file":"p0141.txt","language":"de","ocr_de":"Li tteraturbericht.\n141\nzu beurteilen. Die zur Kontrolle der \u00dcbung Angestellte Wiederholung einer Versuchsreihe kann daf\u00fcr nicht entsch\u00e4digen. Zu bedauern ist auch, d&fs die individuellen Differenzen der Beobachter und ihre Selbstwahrnehmungen w\u00e4hrend der Versuche nicht ber\u00fccksichtigt worden sind. Bei der Berechnung der Versuchsergebnisse ist ein etwas sonderbares Verfahren eingeschlagen worden. Es wird jedesmal die Zahl der auf 100 kommenden richtigen F\u00e4lle und die procentual berechnete Fehler-gr\u00f6fse (nach algebraischer Summe, also der konstante Fehler) mitgeteilt. Die mittlere Variation wird nirgends angegeben, von genaueren Mitteilungen \u00fcber Fehlerverteilung etc. ist erst recht keine Bede. Es fehlt also vollst\u00e4ndig an einem Mafsstabe f\u00fcr die Genauigkeit der Urteile. Denn die Zahl der richtigen F\u00e4lle kann als solcher Mafsstab nur dienen, falls als Antwort lediglich \u201eja\u201c oder \u201enein\u201c, resp. \u201egr\u00f6fser\u201c, \u201ekleiner\u201c, \u201egleich\u201c gefordert wird, nicht aber, wie hier, eine Zahlangabe. Zu allen diesen Mifsst\u00e4nden gesellt sich bei der Beurteilung der Distanzen noch ein anderer, dessen der Verfasser nirgends Erw\u00e4hnung thut. Er l\u00e4\u00dft die Distanzen in Centimetern absch\u00e4tzen. Nun sind wir an Distanzsch\u00e4tzungen auf der Haut gar nicht, am wenigsten aber in exaktem Ma\u00dfe gewohnt. Es mufs also hier eine Dressur der Versuchspersonen stattgefunden haben; eine solche ist an sich gewifs nicht verwerflich, mufs aber jedenfalls nach Art, Ausdehnung und Wirkung genau mitgeteilt und kontrolliert werden. Dies unterbleibt hier v\u00f6llig. Von den methodologischen Bedenken gegen Distanzurteile in exaktem Maise \u00fcberhaupt sei hierbei abgesehen.\nTrotz alledem ergeben sich aus den Tabellen eine Anzahl von interessanten Beziehungen. Die wichtigsten derselben sind:\nJe l\u00e4nger die Distanz, desto genauer sind die Urteile. Es ist dabei nicht zu \u00fcbersehen, in wie engen Grenzen der Verfasser dieses Gesetz erwiesen hat. Bei gr\u00f6sseren Distanzen w\u00fcrde es wohl Umschl\u00e4gen.\nBei kleineren Distanzen wird die Zahl der Punkte st\u00e4rker \u00fcbersch\u00e4tzt. Nichols schiebt dies darauf, da\u00df die Unsicherheit vergr\u00f6\u00dfert, daher eine Tendenz zu allen m\u00f6glichen Urteilen, auch zu solchen, die, wie der Beobachter weifs, nicht m\u00f6glich sind, hevorgerufen wird. Dies bedingt die Tendenz zu den h\u00f6chsten m\u00f6glichen Urteilen. Mir scheint diese Erkl\u00e4rung gek\u00fcnstelt. Sollte es sich nicht vielleicht einfach darum handeln, dafs der Eindruck dem kontinuierlichen gen\u00e4hert erscheint, also die Punktzahl h\u00f6her gesch\u00e4tzt wird?\nJe gr\u00f6fser die Zahl der Spitzen ist, um so h\u00f6her wird die Distanz gesch\u00e4tzt. Die Zahl der Punkte wird bei Dreiecken und Quadraten besser gesch\u00e4tzt, als bei geraden Linien. Dreiecke werden kleiner als Kreise, diese kleiner als Quadrate beurteilt. Bei mit einem Stifte auf die Haut gezeichneten Figuren sind die Urteile bei leichter und schneller F\u00fchrung k\u00fcrzer, als bei schwerer und langsamer.\nAm Schl\u00fcsse des Buches (S. 156\u2014176) werden noch zwei Experimentalreihen mitgeteilt. In der einen werden stets zwei Nadeln in wechselndem (von sehr kleinem ansteigenden) Abstande angewendet; dazwischen dann gelegentlich eine einzelne Nadel, von deren Vorhandensein der Beobachter keine Kenntnis hat. Er glaubt nun statt einer Nadel zwei zu","page":141},{"file":"p0142.txt","language":"de","ocr_de":"142\nIAtteraiurbericht\nempfinden, und giebt denselben bestimmte Richtung und Entfernung Die Entfernung wechselt mit der Hautstelle und entspricht etwa dem Schwellenwerte. Es handelt sich hier um einen Fall von Suggestionswirkung. Wichtiger erscheint der letzte Versuch, der leider nicht gen\u00fcgend durchgef\u00fchrt ist. Es handelt sich um Ein\u00fcbung falscher Raumvorstellungen auf der Haut des Unterleibs. Durch einen geschickt erdachten Apparat wird der Beobachter in die T\u00e4uschung versetzt, dsfs ein gereizter Punkt auf der Verbindungslinie zweier anderer liegt, w\u00e4hrend er sich in Wahrheit 3 cm von derselben entfernt befindet. . Die T\u00e4uschung gelang gut. Leider sind die Distanzen im Vergleich zu den Schwellenwerten zu klein, als dafs der Versuch beweiskr\u00e4ftig sein k\u00f6nnte.\nDer Verfasser hat sich nun aber nicht damit begn\u00fcgt, die Resultate seiner Versuche mitzuteilen, er benutzt dieselben vielmehr als Beleg einer umfassenden Theorie. Diese Seite der Arbeit ist es, welche den allgemein gehaltenen Titel rechtfertigt. Es erscheint von vornherein als ein verfehltes Unternehmen, eine Theorie der Zahl- und Distanzsch\u00e4tzung auf Versuche mit passiv empfangenen Hauteindr\u00fccken zu begr\u00fcnden. Wie unklar auch dies ganze Qebiet noch sein mag, daran jedenfalls zweifelt kein Urteilsf\u00e4higer mehr, dafs Wahrnehmungen von Entfernungen auf der Hautoberfi\u00e4che eine ungemein geringe und sekund\u00e4re Rolle spielen. F\u00fcr den Sehenden ist dies eigentlich selbstverst\u00e4ndlich. F\u00fcr die Blinden sei auf die Forschungen Hellebs verwiesen. (Philos. Stud. 11. Bd.) Nach denselben tastet der Blinde fast durchweg mit be-wegter Hand, und wenn er beim sog. synthetischen Tasten das ruhende Glied benutzt, so scheinen ihn mehr die Gelenk-, als die Hautempfindungen zu leiten. Da es also keinen Sinn hat, \u00fcber unsere Begriffe von Raum und Zahl durch die trotz aller M\u00e4ngel verdienstlichen Versuche des Verfassers etwas entscheiden zu wollen, kann man sich bei der Besprechung der Theorie kurz fassen. Die Grundvoraussetzung derselben ist, dafs alle gleichzeitigen Eindr\u00fccke ununterscheidbar zusammenfliefsen, wenn sie nicht bereits vorher zeitlich getrennt erfahren worden sind. Diese vielverbreitete Ansicht empfiehlt sich durch ihre Einfachheit, ist aber ganz willk\u00fcrlich. Zeitlich getrennte Reize geben nun die Vorstellung der Zahl, zeitlich kontinuierlich verlaufende die der Distanz. Diese eigentlich zeitlich aufeinanderfolgenden Reizen entnommenen Kategorien werden dann auf gleichzeitige \u00fcbertragen. Wenn zwei Punkte h\u00e4ufig getrennt nacheinander gereizt worden sind, erweckt ihre gleichzeitige Reizung die Vorstellung der Zweiheit. Alle Sch\u00e4tzung von Distanzen auf der Haut ist eigentlich eine Sch\u00e4tzung von Bewegungszeiten, wobei aber dies Mittelglied nicht benutzt ist. Dafs bei Reizung von zwei isolierten Punkten die grade Verbindungslinie gesch\u00e4tzt wird, beruht darauf, dais weitaus am h\u00e4ufigsten entlang dieser Linie die Bewegung verlief. Voraussetzung dieser ganzen Konstruktion ist, dafs die Strecke zwischen zwei beliebigen Punkten, z, B. der Stirn oder des Unterleibs, sehr h\u00e4ufig mit voller Aufmerksamkeit auf die Bewegungszeit zurtickgelegt worden ist. Wenn Nichols dies an sich erfahren (nicht etwa seiner Theorie wegen konstruiert) hat, so w\u00e4re er eine psychologische Merkw\u00fcrdigkeit.\nDie einzelnen Versuchsergebnisse werden nun nach dieser Theorie","page":142},{"file":"p0143.txt","language":"de","ocr_de":"Li tteraturberich t\n143\nerkl\u00e4rt. Dais sie sich mit mehr oder weniger Zwang mit derselben vereinigen lassen, mag zugegeben werden. Beweisend w\u00fcrden sie nur dann sein, wenn ihre Unvereinbarkeit mit jeder anderen Theorie nachgewiesen w\u00e4re, oder wenn wenigstens gezeigt w\u00fcrde, dais nach der angenommenen Theorie gerade nur diese Ergebnisse zu erwarten w\u00e4ren. Im letzteren Falle k\u00f6nnte man wenigstens von einer wahrscheinlichen und zweckm\u00e4\u00dfigen Hypothese reden. Beides ist hier unterlassen.\nJ. Cohn (Berlin).\nA. Binbt. Reverse Illusions of Orientation. (Le renversement de l\u2019orientation.) Feychol Bev. I, 4. S. 837\u2014860. (1894.)\nDer Artikel liefert einen Beitrag zur Psychologie der r\u00e4umlichen Orientierung, indem er T\u00e4uschungen, die bei derselben bisweilen auf-treten, mitteilt und einer kurzen Besprechung unterzieht.\nDer Verfasser h\u00e4lt n\u00e4mlich drei verschiedene Orientierungszust\u00e4nde auseinander: 1. Jemand ist im Besitze eines Orientierungssystems; neu sich dar bietende Anhaltspunkte best\u00e4tigen und befestigen es. 2. Jemand ist \u00fcber die Lage verschiedener ihm bekannter, aber gegenw\u00e4rtig seiner Wahrnehmung entzogener Objekte augenblicklich ganz im unklaren; ein etwa sich darbietender Anhaltspunkt wird aufgegriffen und f\u00fchrt v\u00f6llige Orientierung herbei. 3. Jemand nimmt einen Anhaltspunkt wahr und findet ihn im Widerspruch mit seinem bisher festgehaltenen Orientierungssystem. Aber das falsche System, obwohl als solches erkannt, behauptet sich noch einige Zeit mit mehr oder weniger Hartn\u00e4ckigkeit.\nDiesen letzten Fall, den eigentlichen Gegenstand des Artikels, glaubt nun der Verfasser f\u00fcr einen besonders merkw\u00fcrdigen psychischen That-bestand halten zu m\u00fcssen. Er hat bei an wissenschaftliche Beobachtung gew\u00f6hnten M\u00e4nnern nach derartigen Erfahrungen Umfrage gehalten und teilt nun eine ziemliche Reihe solcher F\u00e4lle von \u201erenversement\u201c, \u201ereversal of orientation\u201c ausf\u00fchrlich mit. So erz\u00e4hlt er z. B. von einem seiner h\u00e4ufigen Kreuz- und Querg\u00e4nge in den S\u00e4len und Halleh des Louvre : \u201e... Ich n\u00e4herte mich dem Fenster in der Absicht, einen Augenblick auf den Quai zu sehen, und da hatte ich pl\u00f6tzlich das Gef\u00fchl von \u201ereversal\u201c. Ich sah die Seine vor mir von links nach rechts fliefsen ; aber das schien mir ganz verkehrt, denn in der Stellung, in der ich mich selbst befand, sollte die Seine, wie ich dachte, in der entgegengesetzten Richtung fliefsen : die Landschaft schien umgedreht zu sein.\u201c Dabei stellte sich \u2014 auch nach dem Zeugnisse der meisten anderen Berichterstatter \u2014 ein h\u00f6chst peinliches Gef\u00fchl ein, man sei ganz verwirrt, k\u00f6nne sich kaum zurechtfinden und die doch greifbare Wahrnehmung nur schwer verstehen. Beaunis teilt mit, dafs er gelegentlich seiner wiederholten Eisenbahnfahrten von Paris nach Nancy bei der Ann\u00e4herung an letztere Station jedesmal pl\u00f6tzlich die Empfindung hatte, als m\u00fcsse sich die Fahrtrichtung in die entgegengesetzte ge\u00e4ndert haben. Ein anderer Gew\u00e4hrsmann besteigt das Dampf boot, um \u00fcach Auteuil zu fahren, und ist nun \u00fcber die Richtung, in der an ihm \u2014 das Boot hatte sich, ohne dafs er daran dachte, gewendet \u2014 die Geb\u00e4ude am Ufer","page":143}],"identifier":"lit29861","issued":"1896","language":"de","pages":"140-143","startpages":"140","title":"Herbert Nichols: Our notions of number and space. Boston. Ginn & Comp. 1894. VI u. 201 S.","type":"Journal Article","volume":"10"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:43:06.395542+00:00"}