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{"created":"2022-01-31T14:35:59.295868+00:00","id":"lit29876","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Hennig, Richard","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 10: 183-222","fulltext":[{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Synopsien.\nVon\nRichard Hennig in Berlin.\nMit 7 Figuren Im Text.\nEinleitung.\nUnter \u201eSyn\u00e4sthesie\u201c versteht man die \u201eMitempfindungen\u201c eines nicht gereizten Sinnes bei \u00e4uJfeeren Einwirkungen, welche dem Empfindungsgebiete eines anderen Sinnes angeh\u00f6ren. Bei weitem die h\u00e4ufigste von allen Syn\u00e4sthesien ist die sogenannte \u201eSynopsie\u201c, die Erregung des Gesichtssinnes bei Schall-, Gef\u00fchls-, Geruchs- oder Geschmacksreizen, ferner aber auch bei Vorstellung abstrakter Gegenst\u00e4nde. Mit diesen Synopsien hat sich am eingehendsten Flournoy besch\u00e4ftigt in seinem Buch: \u201eDes ph\u00e9nom\u00e8nes de synopsie\u201c. In diesem Werke werden die sehr mannigfaltigen Erscheinungen der Synopsie besprochen und systematisch in Untergruppen eingeteilt.\nDie wichtigste Einteilung der synoptischen Erscheinungen ist die in Farben- und Baumempfindungen, und zwar bestehen diese Baumempfindungen in der Wahrnehmung von Linien, Kurven, Diagrammen etc. und finden sich mit wenigen Ausnahmen nur bei Vorstellung abstrakter Gegenst\u00e4nde (selten bei akustischen, nur einmal bei Geruchs-, nie bei Geschmacksreizen beobachtet), w\u00e4hrend Farbenempfindungen schon bei allen Arten der Sinneseindr\u00fccke wahrgenommen sind, doch sind auch hier Geschmacks-, Gef\u00fchls- und Geruchssinn am seltensten durch Synopsien vertreten. Auf das Vorkommen der chromatischen Synopsien hat schon Fechnbr 1876 hingewiesen, ebenso Nuss-baumbr in mehreren kleineren Arbeiten der 70er Jahre, und Blbulek und Lehmann haben sich 1881 in einem ausf\u00fchrlicheren Werke: \u201eZwangsm\u00e4\u00dfige Lichtempfindungen durch SchaUu sehr ein-","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184\nBichard Hcnnig.\ngehend mit diesen Erscheinungen besch\u00e4ftigt ; den Diagrammen und den verwandten Ph\u00e4nomenen hat sich hingegen erst 1883 Galton zugewandt in seinem Buch :\t\u201eInquiries into human\nfacultyu.\nEs fragt sich nun, wie derartige Vorstellungen, die ebenso unbekannt und wenig beachtet, wie h\u00e4ufig vorkommend sind, entstehen. F\u00fcr die chromatischen Synopsien (Photismen) ist diese Frage durch Bleuler und Lehmann einerseits, durch Flournoy andererseits grofsenteils beantwortet worden. Man k\u00f6nnte die chromatischen Synopsien vielleicht in zwei grofise Untergruppen teilen: in physiologische und in psychologische Synopsien. Unter den ersteren verstehe ich solohe, welche durch physiologische Prozesse bedingt sind und im eigentlichsten Sinne des Wortes \u201ezwangsm\u00e4lsiga sind, so dafs sie auch ohne Zuthun der \u00dcberlegung zu st\u00e4nde kommen w\u00fcrden, unter den anderen solche, welche durch eine urteils-m\u00e4fsig entstandene, aber sehr enge und untrennbare Verkn\u00fcpfung einer Farben Vorstellung mit einem nicht-visuellen Begriff bedingt werden.\nI. Die chromatischen Synopsien.\n1. Die \u201ephy siologischen44 Photismen.\nDie physiologischen Synopsien m\u00fcssen darauf beruhen, dafs die Sehnerven bei gewissen Schalleindr\u00fccken in Mit-erregung geraten. Schon Bleuler und Lehmann haben diese Erkl\u00e4rung gegeben und weisen auf andere F\u00e4lle von Mitschwingungen nicht gereizter Nerven hin (a. a. O. S. 58, Anm.): \u201eSo wird der Kitzel in der Nase heim Blick in die Sonne, der Zahnschmerz oder das Fr\u00f6steln beim Anh\u00f6ren gewisser T\u00f6ne durch \u00dcbergang eines Seizes vom Opticus-, resp. Acusticus-Zentrum auf das Zentrum des Trigeminus erkl\u00e4rt.u Dais derartige Mit*\nempfindungen sich in sehr intensiver Weise in ganz bestimmten,\nleicht reizbaren Nerven geltend machen k\u00f6nnen, beweist eine von Billroth an sich selbst gemachte Beobachtung, welche in einem seiner in der \u201eDeutschen Bundschauu (Oktober 1894) ver\u00f6ffentlichten Aufs\u00e4tze aus seinem Nachlafs: \u201e Wer ist musikalisch?u als Erl\u00e4uterung f\u00fcr synoptische Erscheinungen mitgeteilt ist.1\n1 Diese wertvolle Arbeit ist auch selbst\u00e4ndig im Verlag von Gebr\u00fcder Paetel in Berlin erschienen.","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Synopsien.\n185\nBillkoth erz\u00e4hlt, er habe einet, als in einem Konzert eine S\u00e4ngerin mit grofeer Sicherheit das zweigestrichene b um einen vollen viertel Ton zu tief einsetzte, einen heftigen Schmerz in einem Zahn empfunden, welcher ihm bis dahin v\u00f6llig intakt zu sein schien. Als er den Zahn aber daraufhin untersuchen liefs, zeigte es sich, dafs er kari\u00f6s geworden war.\nNur selten freilich sind die Mitschwingungen des nervus opticus bei nicht-visuellen Beizen so stark, dafs es zu that-s\u00e4chlichen Gesichtsempfindungen, gleichsam Halluzinationen, kommt, doch sind auch solche F\u00e4lle schon mehrfach berichtet worden. Hierher geh\u00f6rt z. B. der von Gbuber mitgeteilte und von Flournoy zitierte Fall eines rum\u00e4nischen Professors: dieser hatte sehr komplizierte und merkw\u00fcrdige Farbenempfindungen beim Nennen von Zahlen, welche in wunderbarster Weise mathematisch angeordnet waren, und so scharf, dafs ihre Gr\u00f6lsenverh\u00e4ltnisse bis auf Millimeter genau gemessen werden konnten. Bemerkenswert ist auch das Beispiel jenes Engl\u00e4nders, welcher beim H\u00f6ren eines bestimmten, akustisch wirkungsvollen Wortes (three) eine rote Fl\u00e4che so deutlich vor sich sah, dafs eine thats\u00e4chlich vorhandene gelbe Fl\u00e4che sioh f\u00fcr ihn orange f\u00e4rbte.\nMeist aber werden die Mitschwingungen des nervus opticus nur so geringf\u00fcgig sein, dafs nur eine Tendenz besteht, einen nicht-visuellen Beiz in die Sprache des Gesichts zu \u00fcbersetzen, ohne dafs damit irgend eine Direktive f\u00fcr die Einzelheiten der Synopsien gegeben ist. In manchen Familien neigt jedes Individuum in ausgesprochenster Weise zu Synopsien, in anderen kein einziges ; nie aberzeigt es sich, dafs die Formen der Synopsien sich bei mehreren Mitgliedern einer Familie dermafsen \u00e4hneln, dafs man eine Vererbung derselben annehmen m\u00fcfste. Nur die Tendenz zur Synopsie kann daher vererbbar sein, hier aber ist der Einflufs der Vererbung auch unverkennbar und unzweifelhaft; am deutlichsten tritt er in den ersten sechs von Bleuler und Lehmann beschriebenen F\u00e4llen hervor, welche alle an Personen derselben Familie beobachtet wurden. Zu genau demselben Besultat hinsichtlich der Vererbungsfrage ist Flournoy gekommen, welcher auf Seite 204 seines Werkes sagt: \u201eF\u00fcr den Augenblick neige ich zu der Ansicht, dafs die Vererbung, welche allm\u00e4chtig in Bezug auf die allgemeine Veranlagung ist, gew\u00f6hnlich wenig Einflufs auf","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"186\nBichard ffennig.\ndie konkreten Einzelheiten hat.a Die Tendenz zur Synopsie beruht eben auf angeborenen physiologischen Eigenschaften irgend welcher Art, die Details hingegen bilden sich erst allm\u00e4hlich im Laufe des individuellen Lebens aus und beruhen gr\u00f6fstenteils auf Verstandesurteilen. Erworbene Eigenschaften aber sind nach der Lehre August Weismanns nicht vererbbar oder, wenn man sich selbst nicht auf den extremen Standpunkt Wbismanns stellen will, doch mindestens nur in verschwindend wenigen F\u00e4llen vererbbar; am allerwenigsten wird man also eine Vererbung der erworbenen Synopsien erwarten k\u00f6nnen, welche nicht nur ganz bedeutungslos f\u00fcr die Existenzf\u00e4higkeit des Individuums sind, sondern sogar den meisten Personen niemals deutlich zum Bewusstsein kommen.\nIn die durch rein physiologische Prozesse bedingten chromatischen Synopsien ist schon eine gewisse Gesetzm\u00e4fsig-keit hineingebracht worden. Jede Statistik \u00fcber Farbenempfindungen bei Vokalen zeigt aufs deutlichste, dafs den \u201edumpfen\u201c Vokalen die dunkelsten, den \u201ehellen\u201c Vokalen auch die hellsten Farben mit Vorliebe entsprechen, so dafs die Farben immer heller werden, je weiter man in der akustisch geordneten Reihenfolge der Vokale uf o, a, e, i fortschreitet. Allerdings mufs bemerkt werden, dafs immerhin im einzelnen recht zahlreiche Ausnahmen von dieser Regel Vorkommen, dennoch aber ergiebt sich mit Sicherheit das Gesetz: je zahlreichere und lautere Obert\u00f6ne ein akustischer Reiz enth\u00e4lt, um so intensiver und heller ist zumeist die begleitende Farbenempfindung. Schmetternde oder gar schrille T\u00f6ne, Ger\u00e4usche und Schreie, wie z. B. der Klang der Piccolofl\u00f6te, das Pfeifen einer Lokomotive, das Kr\u00e4hen des Hahnes, der Schrei des Pfauen, rufen wohl fast ausnahmslos rote oder gelbe Photismen von meist betr\u00e4chtlicher Intensit\u00e4t hervor. Auch der sehr charakteristische Klang der Trompete, in welchem Instrument die Obert\u00f6ne am sch\u00e4rfsten n\u00e4chst der Piccolofl\u00f6te hervor treten, erweckte ausschliefslich rote und gelbe Farbenempfindungen, ebenso wie der Vokal, welcher dem strahlenden Klange der Trompete am n\u00e4chsten kommt, das a (mit \u201etraterata\u201c sucht man ja den Trompetenklang am genauesten zu reproduzieren) gern als rot angegeben wird. Die tieferen Blechinstrumente, Posaunen und Tuben, geben zwar auch nach","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Synopsien.\n187\nden vorliegenden Angaben meist einen roten Klang von sich, jedoch schon mit einem starken Stich ins Violette, bezw. Schwarze (korrespondierende Vokale : o, ou, u). Der sanfte Ton der Fl\u00f6te, welcher eine nur geringe Anzahl von Obert\u00f6nen enth\u00e4lt, wird vorzugsweise mit der beruhigenden blauen Farbe identifiziert (Vokal: \u00f6 bis \u00fc). Die T\u00f6ne der Orgel und des Fagots (Vokal: ou, bezw. das schwedische \u00e2 oder die Aussprache des a im englischen Wort small) entsprechen d\u00fcsteren, farblosen Gesichtseindr\u00fccken, schwarz oder grau. Nebenbei sei darauf hingewiesen, dafs die betonte Silbe, zumal der betonte Vokal, im Namen eines musikalischen Instrumentes, in den meisten F\u00e4llen den charakteristischen Klang desselben schildert.\nDie Angaben verschiedener Individuen \u00fcber ihre Farbenempfindungen variieren zwar beim gleichen akustischen Objekt sehr stark, und gerade bei den einfachsten akustischen Beizen, den Vokalen, finden sich die allerst\u00e4rksten Differenzen in den Synopsien,1 nichtsdestoweniger wird ein und dasselbe Individuum allen Kl\u00e4ngen, deren physiologische Wirkung eine \u00e4hnliche sein mufs, auch eine mehr oder weniger \u00fcbereinstimmende Farbe zuschreiben. Der eine empfindet z. B. Vokale und Kl\u00e4nge mit scharfen Obert\u00f6nen stets als rot oder gelb, der andere jedoch durchweg als gr\u00fcn. Wo derartige Differenzen Vorkommen, da wird man im allgemeinen beobachten k\u00f6nnen, dafs alle Schalleindr\u00fccke von einem Individuum um eine Nuance dunkler, bezw. heller empfunden werden, als vom anderen. Derartige durchg\u00e4ngige Differenzen w\u00fcrden gerade um so mehr auf eine physiologische Entstehung der betreffenden chromatischen Synopsien schliefsen lassen, da sich bei einer psychologischen Entstehungsursache, also einer mehr oder weniger willk\u00fcrlichen Auffassung der akustischen Beize, schwerlich gleichm\u00e4fsige Differenzen f\u00fcr alle Sch\u00e4lle ergeben und erkl\u00e4ren w\u00fcrden.\nEines der interessantesten Kapitel aus dem Gebiete der physiologischen Synopsien, die Farbenempfindungen bei bestimmten Tonarten, welche es zuweilen zu gestatten scheinen, lediglich an der ins Bewufstsein tretenden Farbe die jeweilige\n1 Der Grund daf\u00fcr wird darin liegen, dafs bei dem einen der nervus opticus leichter miterregt werden kann, als beim anderen. Auch ein Schlag aufs Auge ruft bei einigen Individuen stets gelbe, bei anderen stets rote Farbenempfindungen hervor.","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188\nRichard Herwig.\nTonart zu erkennen, m\u00f6chte ich hier \u00fcbergehen, erstens, weil noch zu wenig Material dar\u00fcber vorliegt, und weil ich selbst bisher erst sehr wenig derartige Angaben sammeln konnte, zweitens aber auch, weil ich hoffe, in einer beabsichtigten Untersuchung \u00fcber Tonarten-Charakteristik darauf eingehend zur\u00fcckzukommen. Ich m\u00f6chte aber an dieser Stelle die Bitte aussprechen, dafs alle Leser, welche Mitteilungen \u00fcber derartige, sehr seltene Erscheinungen zu machen im st\u00e4nde sind, sie mir durch die g\u00fctige Vermittelung der Redaktion dieser Zeitschrift zukommen lassen.\nDen Schlufs dieser Betrachtungen \u00fcber die physiologischen Photismen m\u00f6gen zwei Bemerkungen bilden, welche sich in dem Werke von Bleuler und Lehmann (S. 50 und 51) finden: \u201eEs ist also nicht auszuschliefsen.........., dafs die Doppel-\nempfindungen in der Anlage bei jedem Menschen vorhanden sind, dafs sie aber bei der Mehrzahl durch die \u00fcbrigen Eindr\u00fccke des Lebens mit der Zeit verwischt werden, resp. nicht zum Bewufstsein kommen k\u00f6nnen.\u201c \u201eDafs eine gewisse Anlage zu Sekund\u00e4rempfindungen bei allen Menschen vorhanden ist, scheint ferner die Allgemeinverst\u00e4ndlichkeit der Ausdr\u00fccke: \u201eHelle T\u00f6ne\u201c, \u201espitze T\u00f6ne\u201c, \u201escharfes Zischen\u201c, \u201edumpfe Kl\u00e4nge\u201c, \u201edumpfe Gef\u00fchle\u201c, \u201escharfe Ger\u00fcche und Geschm\u00e4cke\u201c, \u201eschreiende Farben\u201c anzudeuten.\u201c (Die Bezeichnungen \u201eFarbenton\u201c und \u201eTonfarbe\u201c geh\u00f6ren hingegen nicht hierher.) Diese Bezeichnungen sind keineswegs konventionell, sondern basieren auf v\u00f6llig vorurteilslosen Empfindungen, welche gerade die physiologische Herkunft mancher Synopsien deutlich zu be-\nm\nweisen scheinen. Stumpf erz\u00e4hlt z. B. in seiner \u201e Tonpsychologie\u201c (Bd. II, S. 531), dafs sein 4V\u00abj\u00e4hriges S\u00f6hnchen, als es eine von zwei Kindertrompeten geschenkt erhalten sollte, diejenige w\u00e4hlte, welche einen Ton tiefer als die andere gestimmt war, mit den Worten: \u201eIch will die dunklere haben.\u201c\n2. Die \u201epsychologischen\u201c Photismen.\nWenden wir uns nun den psychologischen Photismen zu! W\u00e4hrend bei den physiologischen Synopsien der Farbeneindruck die unmittelbare, notwendige Folge des akustischen Reizes war, sind die psychologischen Synopsien unwillk\u00fcrlich erfunden, um einem Gehirn, welches sich rein abstrakte Gegenst\u00e4nde schlecht vorstellen kann, ein gewissermafsen konkretes Anschauungs-","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Synopsien.\n189'\nmittel zu gew\u00e4hren. Ich habe daher auch gefunden, dafs Leute, die sich viel mit abstrakten Gegenst\u00e4nden besch\u00e4ftigen,\"zumal Mathematiker, am wenigsten und seltensten zu Synopsien neigen.\nDie Entstehung der psychologischen Synopsien im allgemeinen beruht, wie gesagt, auf Urteils\u00fcbertragungen, auf \u201eAssoziationen\u201c, um einen Ausdruck Flournoys zu gebrauchen. Flournoy unterscheidet insgesamt drei Arten der Assoziationen, die \u201eGef\u00fchlsideenassoziation\u201c, die \u201egew\u00f6hnliche Assoziation\u201c und die \u201eprivilegierte Assoziation\u201c. \u201eDie Gef\u00fchlsassoziation ist diejenige, welche zwei Wahrnehmungen unter sich verkn\u00fcpft, nicht infolge von qualitativer \u00c4hnlichkeit, noch verm\u00f6ge ihres regelm\u00e4\u00dfigen oder h\u00e4ufigen Zusammentreffens im Bewusstsein, sondern durch die Analogie ihres aufsergew\u00f6hnlichen Charakters.\u201c Wenn man die von mir gemachte Einteilung in physiologische und psychologische festh\u00e4lt, so sind die Synopsien durch Gef\u00fchlsassoziation, f\u00fcr die sich im vorigen Abschnitte zahlreiche Beispiele finden, wohl durchweg solche physiologischer Art. \u201eDie habituelle Assoziation ist diejenige, durch welche zwei Dinge, welche sich best\u00e4ndig oder gew\u00f6hnlich vereinigt zeigen, im Geiste schliefslich verbinden und ein unl\u00f6sliches Ganzes bilden......Die privilegierte Assoziation ist\ndiejenige, durch welche in unseren Gedanken gewisse Dinge eng verbunden sind, nur weil einmal, vielleicht nur ein einziges Mal, ihre Verbindung uns lebhaft getroffen und eine unzerst\u00f6rbare Spur in unserem Nervensystem zur\u00fcckgelassen hat.\u201c\nF\u00fcr diese beiden letzten Assoziationen sei zun\u00e4chst je ein Beispiel gegeben. Das Wesen der habituellen Assoziation wird am klarsten dargelegt durch die Synopsien einer von Flournoy befragten Dame, welche den Klang des Klaviers als schwarz und weifs empfand, den der Violine als holzbraun, den der Blechinstrumente als gelb. Die Bedeutung der privilegierten Assoziation hingegen zeigt sich recht deutlich in den Angaben eines Herrn im BLEULER-LEHMANNschen Werk (laufende No. 58). Dieser erkl\u00e4rte, bei dem Gedanken an Sonntag eine blaue, an Mittwoch eine weifse Farbe zu empfinden, und bemerkte dazu: \u201eIch erinnere mich ganz bestimmt, dafs ich als kleiner Knabe sonntags lange Zeit sch\u00f6n k\u00f6nigsblau gekleidet war ..... Als ich einst mit meiner Mutter reiste, fragte ich dieselbe, was f\u00fcr einen Tag wir h\u00e4tten. Es hiefs \u201eMittwoch\u201c, und in demselben Augenblick fuhren wir an einem weifsen Hause","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190\nRichard Hcnnig.\nvorbei, an dessen Ecke eine Rolle (etwa zum Aufziehen einer Laterne) befestigt war. Seitdem erweckte mir der Mittwoch noch lange Zeit, wor\u00fcber meine Mutter oft lachte, die Vorstellung eines weifsen Hauses mit einer Rolle daran, die sp\u00e4ter allm\u00e4hlich einfach zu weifs verblafste.\u201c (A. a. O. S. 33.)\nSowohl die habituellen, wie die privilegierten Assoziationen f\u00fchren nat\u00fcrlich ausschliefslich zu psychologischen Synopsien. Als habituelle Assoziationen mufs man auch die nicht seltenen Erscheinungen betrachten, dafs Farbenbezeichnungen auf den in ihnen vorkommenden Vokal bestimmend einwirken, dafs a aus diesem Grunde z. B. als schwarz empfunden wird, e als gelb, o als rot u. s. w. Besonders bei statistischen Untersuchungen \u00fcber die H\u00e4ufigkeit der einzelnen Farben bei den verschiedenen Vokalen und Diphtongen mufs dieser Faktor sehr ber\u00fccksichtigt werden, da er leicht das Resultat betr\u00e4chtlich tr\u00fcben kann.\nEine interessante habituelle Assoziation bei bestimmten, sehr eindrucksvollen und charakteristischen Musikst\u00fccken wird von Bleuler und Lehmann angegeben: Ein 22j\u00e4hriger, sehr musikalischer Studiosus der Philosophie empfindet den Gesang der Rheint\u00f6chter zu Beginn des \u201eRheingoldtt (Klavierauszug S. 5, Zeile 4 und 5) als blafsgr\u00fcn, offenbar, weil der Gedanke an den gr\u00fcnen Rhein, bezw. die charakteristisch gr\u00fcne Beleuchtung der B\u00fchne in diesem Moment am st\u00e4rksten wirken. Die Musik zu Beginn des \u201eFeuerzaubers\u201c (Walk\u00fcre, Klavierauszug, S. 269, Zeile 3 bis S. 270, Zeile 1), zumal der letzte Takt der Zeile 4 und 6 auf S. 269, rufen die Empfindung grellrot hervor. Die zweite Zeile auf S. 266 der \u201eWalk\u00fcre\u201c vom f\u00fcnften Takt an wird als gl\u00e4nzend hellgrau angegeben; es handelt sich um jene wunderbaren, unendlich ergreifenden, absteigenden Harmoniefolgen, welche erklingen, w\u00e4hrend Wotan die Walk\u00fcre in Schlaf k\u00fcfst. Der Gedanke an das Fallen in Schlaf, das Verge\u00dfsen aller Seelenpein, das in un\u00fcbertrefflicher Weise durch jene genialen Akkordfolgen wiedergegeben wird, kann allerdings bei musikalisch und synoptisch empf\u00e4nglichen Personen den Gedanken an Grau jedesmal her vorruf en. Im \u00fcbrigen aber sind die habituellen Assoziationen nat\u00fcrlich relativ selten und bedeutungslos, die privilegierten sind es daher allein, welche uns im folgenden noch besch\u00e4ftigen werden. Selbstverst\u00e4ndlich sind die Wirkungen der verschiedenen Assoziationen nicht","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Synopsien.\n191\nimmer ohne weiteres zu erkennen, und oft wird man im Zweifel sein, ob man es mit einer privilegierten oder Gef\u00fchlsassoziation, einer psychologischen oder physiologischen Synopsie zu thun hat. Nur gar zu leicht verblassen die Vorstellungen, welche auf die Farbenempfindung bestimmend einwirkten, und man ist nicht mehr im st\u00e4nde, sich zu erinnern, welche privilegierte Assoziation, und ob \u00fcberhaupt eine solohe vorliegt. Blbuler und Lehmann meinen zwar, dafs Farbenempfindungen bei Buchstaben z. B., welche durch Eigent\u00fcmlichkeiten des ABC-Buches hervorgerufen wurden (sie kennen nur zwei solche F\u00e4lle) sich charakteristisch von anderen Photismen unterscheiden, doch bin ich pers\u00f6nlich nicht geneigt, mich dieser Ansicht anzuschliefsen. Man findet zu oft F\u00e4lle, in denen Personen zweifelhaft sind, ob sie die Farben ihrer Photismen auf irgend ein fr\u00fcheres Erlebnis, eine bestimmte privilegierte Assoziation zur\u00fcckf\u00fchren d\u00fcrfen oder nicht ; auch ist mir noch nie von Personen, welche einige ihrer Farbenphotismen mit Sicherheit analysieren konnten (B\u00f6te des Sonntags durch die gew\u00f6hnlich rote F\u00e4rbung der betreffenden Baten am Kalender, B\u00f6te des A durch ein Buchsta benspiel, in dem der Buchstabe \u00c2 von roten Bosen umgeben war, Z gestreift wegen des Wortes \u201eZebra\u201c u. s. w.) die Angabe gemacht worden, dafs diese Photismen sich von zahlreichen anderen unterschieden, welche bei ihnen sicherlich physiologischen Ursprungs sind.\nEs ist auch nur zu nat\u00fcrlich, dafs die Erinnerung an die Veranlassung zu den jeweiligen psychologischen Synopsien bald erlischt, da die Photismen zumeist erst dann beachtet werden, wenn von anderer Seite darauf hingewiesen wird. Ein guter Freund von mir hat fr\u00fcher l\u00e4ngere Zeit den Ton der Klarinette als blau empfunden, weil ihn einmal eine Stelle zu Beginn der ScHUBBRTschen H-moll Symphonie, wo die Klarinette allein hoch \u00fcber den anderen Instrumenten schwebt, an den klaren, blauen Himmel erinnert hatte, der sich \u00fcber der Erde ausspannt. Wie leicht h\u00e4tte die Erinnerung an die Ursache dieses Photipmas verloren gehen k\u00f6nnen ! Und \u00e4hnlich wird ,es mit zahllosen anderen psychologischen Synopsien sich verhalten.\nEhe wir die chromatischen Synopsien verlassen, mufs noch auf eine sekund\u00e4re M\u00f6glichkeit ihrer Entstehung hingewiesen werden, welche sich keiner der drei FLO\u00fcRNOYschen Assoziationen zuz\u00e4hlen l\u00e4fst. Es ist m\u00f6glich, dafs ein besonders intensiver","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192\nRichard Hennig.\nFarbeneindruck von einem Buchstaben oder einer Zahl auf andere Gegenst\u00e4nde \u00fcbertragen wird, welche in irgend einer, wenn auch noch so geringf\u00fcgigen Beziehung dazu stehen. Einen besonders anschaulichen und eigenartigen Beleg hierf\u00fcr bietet mein j\u00fcngerer Bruder Bruno, welcher gegenw\u00e4rtig 15 Jahre alt ist: Die Zahl 7 erscheint ihm gr\u00fcn; dieser Umstand bewirkt, dafs auch alle Vielfachen von 7 gr\u00fcn gef\u00e4rbt oder doch mit Gr\u00fcn gemischt sind. 14 giebt er als gr\u00fcn an, 21 als gr\u00fcn und gelb (gelb, weil ihm die Zahl 31 gelb bis hellbraun erscheint), 28 als rot und gr\u00fcn (8 empfindet er rot), 35 als etwas gr\u00fcn (5 ist farblos), 42 als gr\u00fcn und braun (61 ist braun), 49 als gr\u00fcn und blau (9 h\u00e4lt er f\u00fcr blau), 56 als gr\u00fcn und rot (rot wegen der 81), 68 als etwas braun (das Braun \u00fcberwiegt hier wohl, weil sowohl der 3, wie der 6 diese Farbe zu eigen ist), 70\u201479 als gr\u00fcn. Aufserdem aber legt er auch dem September und der Septima eine gr\u00fcne Farbe bei wegen des darin enthaltenen septem. Dieses letzte Beispiel beweist auch, dafs sich zuweilen die chromatischen Synopsien noch recht sp\u00e4t, in diesem Falle in der Sexta oder Quinta entwickeln,* * Auch dem April legt er eine gr\u00fcnliche F\u00e4rbung bei aus einem sicherlich sehr komplizierten Grunde. Ein anderer Bruder von mir hat n\u00e4mlich am 27. April Geburtstag, jener wurde deshalb fr\u00fcher durch das Wort April zun\u00e4chst an den 27. dieses Monats erinnert, und da ihm diese Zahl wegen der darin vorkommenden 7 gr\u00fcn erschien, \u00fcbertrug er die F\u00e4rbung auf den ganzen Monat.\nIn so ausgepr\u00e4gter, sonderbarer Weise werden sich die \u00dcbertragungen nur selten geltend machen, gew\u00f6hnlich sind sie einfacherer Natur, etwa derart, dafs ein bestimmter Buchstabe oder mehrere dem ganzen Worte eine Farbe verleihen. Z. B. giebt mir mein eben erw\u00e4hnter Bruder Bruno an, der Name Ernst sei f\u00fcr ihn gr\u00fcn gef\u00e4rbt, weil er dem r und dem t diese Farbe beilege.\n1 21 = 3. 7, 42 = 6. 7, 56 = 8. 7.\n* So giebt mir auch mein 19j\u00e4hriger Bruder Ernst an, dafs die \u201eklare, wasserblaue\u201c Farbe, welche er dem Buchstaben a beilegt, erst seit etwa 4 Jahren f\u00fcr ihn existiere; zur\u00fcckzuf\u00fchren sei sie wahrscheinlich auf den \u201eWagalaweia\u201c-Gesang der Rheint\u00f6chter im \u201eRheingold\u201c, welchen er im September 1891 kennen lernte.","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung uttd Bedeutung der Synopsien.\n193\nII. Die Diagramm-Synopsien.\n9\nWenden wir uns nunmehr zu dem weit reichhaltigeren Thema der geometrischen1 * * * * * * * Synopsien, speziell der Diagramme! Das Wesen der Diagramme fur Zahlen (Galtons \u201enumber forms\u201c), der wichtigsten dieser Art, beschreibt Flournoy sehr gut folgender-mafsen: \u201eJedesmal, wenn die Person, welche diese Eigent\u00fcmlichkeit besitzt, an eine Zahl denkt, sieht sie pl\u00f6tzlich und automatisch im Felde ihres geistigen Gesichtsfeldes eine bestimmte und unver\u00e4nderte Stelle, auf welcher jede Zahl eine bestimmte Stellung einnimmt. Diese Stelle kann in einer Linie bestehen oder in einer Reihe von Ziffern, die in einer gewissen Stellung angeordnet sind oder in einer Art von besonderer Farbe.tt Nicht nur f\u00fcr die Zahlen giebt es Diagramme, sondern auch f\u00fcr Buchstaben, Wochentage, Monate, Tagesstunden, Jahreszahlen u. s. w.\nUm solchen Personen, welche derartige Diagramme nicht kennen \u2014 Bleuler und Lehmann nennen sie \u201eNegative\u201c \u2014 und welche nur gar zu oft in unberechtigter Weise \u00fcber solche Vorstellungen spotten, das Wesen und die Entstehung derselben verst\u00e4ndlich zu machen, sei es mir gestattet, an folgendes zu erinnern: Jedesmal, wenn uns von einer Person oder ainem Gegenst\u00e4nde gesprochen wird, sehen wir das Objekt in allerdings sehr unbestimmten Umrissen vor unserem geistigen Auge. Fast niemals kommt uns dieser Prozeis zum Bewu\u00dftsein, und doch ist es, wenn man die Bedeutung des Wortes Baum z. B. verstehen will, unumg\u00e4nglich notwendig, dafs man ein derartiges Objekt oder doch einen Teil desselben sich geistig reproduziert9. Wir sehen hier das Lokalisationsbed\u00fcrfnis im ersten Stadium vor uns.\nSelbst Ans\u00e4tze zu Diagrammen wird man wohl bei den meisten Menschen finden: speziell beim Gedanken an Gedrucktes\n1 Es handelt sich bei diesen nat\u00fcrlich ausschliefslich um psycho-\nlogische Synopsien. Oberhaupt ist Mer die Bezeichnung \u201eSynopsie\u201c nur\nberechtigt, wenn man jede Obersetzung in die Sprache des Gesichts als\nsolche definiert.\n* Blindgeborene werden sich vermutlich, um die Bedeutung eines\nWortes zu erfassen, vorstellen m\u00fcssen, wie der bezeichnete Gegenstand\nanzuf\u00fchlen ist. Ob bei ihnen die Vorstellung abstrakter Gegenst\u00e4nde\nunter Umst\u00e4nden Prozesse bedingt (im Tastsinn), welche den Synopsien analog sind, vermag ich nicht zu sagen.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie X.\n13","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"194\nRichard Herwig.\noder Geschriebenes, mit dem man oft zu thun hat und das man immer in gleicher Weise angeordnet vorfindet,1 etwa weil man immer dasselbe Exemplar benutzt, wird die bestimmte Raumempfindung der aufgeschlagenen Buchseite mit der jeweiligen bekannten Lokalisation des Schriftst\u00fcckes vor sch weben. So sehe ich beim Gedanken an eine griechische Verbalform stets die Stelle der KR\u00fc\u00f6BRschen griechischen Grammatik vor mir, an welcher die entsprechende Form des Paradigmas kvw steht. Das Aktiv nimmt die rechte Seite des vorgestellten aufgeschlagenen Buches ein, das Passiv die R\u00fcckseite dieses Blattes und das Medium den dritten Teil der n\u00e4chstfolgenden Seite, alles genau in der Anordnung, wie ich sie beim Lernen der Formen von Xvm mir eingepr\u00e4gt habe. Ebenso sehe ich viele lateinische Formen und Regeln, ebenso HoRAzische Oden in Gedanken immer da, wo ich sie gedruckt bezw. geschrieben so oft gesehen habe. Es ist mir absolut unm\u00f6glich, die betreffende Verbalform etc. getrennt von ihrer bestimmten Lokalisationsempfindung mir vorzustellen. Selbstverst\u00e4ndlich gen\u00fcgt auch zur Entstehung der Lokalisationsformen unter Umst\u00e4nden ein einziger erster Eindruck statt des oft wiederholten. Sp\u00e4tere abweichende Empfindungen k\u00f6nnen die erste, wenn diese sich fest eingepr\u00e4gt hat, nicht mehr beeinflussen.\nDiese einfacheLokalisationsempfindung steigert sich nun sehr h\u00e4ufig zu Diagrammformen, in welchen auch abstrakte Begriffe verschiedenster Art angeordnet erscheinen. Es kann von vornherein kaum einem Zweifel unterliegen, dafs die Diagramme ihre Gestalt ausschliefslich und unter allen Umst\u00e4nden pers\u00f6nlichen Erlebnissen ihres Besitzers, zumeist aus fr\u00fcher Kindeszeit, verdanken, dennoch ist es fast nie m\u00f6glich, sich \u00fcber die Ursachen, welche den Diagrammen ihre Gestalt geben, Rechenschaft abzulegen. Unter den Hunderten von Diagrammen, welche Flournoy studiert hat, fand sich nur ein einziges (ein Zahlendiagramm), dessen Entstehung sich mit Sicherheit angeben liefs, indem sein Besitzer es auf einen Traum zur\u00fcckzuf\u00fchren im st\u00e4nde war. Eine Reihe anderer Diagramme konnte nur vermutungsweise, die \u00fcberwiegende Mehrzahl aber gar nicht auf bestimmte Ursachen reduziert werden. Es darf\n1 Beim Gedanken an L\u00e4nder pflegt man, da andere Anhaltspunkte fehlen, die betreffende geographische Karte vor seinem geistigen Auge zu sehen.","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Synopsien.\n195\ndaher nicht wunder nehmen, wenn manche, die mit Weismanns Lehren nicht vertraut waren, an ein Angeborensein bezw. eine Vererbung der Diagrammformen glaubten.\nGalton f\u00fchrt in seinem W erke eine gr\u00f6fsere Anzahl von Beispielen und Abbildungen vor, welche nach seinem Daf\u00fcrhalten den Einflufs derVererbung von Diagrammformen beweisen. Wenn man sich aber seine Beispiele betrachtet, so sind es eigentlich nur zwei (Figg. 55 und 56 einerseits, 59 und 60 andererseits), bei welchen die \u00c4hnlichkeiten die Un\u00e4hnlichkeiten dermafsen \u00fcber-wiegen, dafs man einen blofsen Zufall wohl ausschliefsen mufs. Ist man deshalb aber gezwungen, bei diesen F\u00e4llen von einer Vererbung zu sprechen, zumal es sich nur um eine \u00c4hnlichkeit,\nnicht im entferntesten aber um eine Identit\u00e4t handelt? Im\n\u2022\u2022 _____\neinen Fall besteht die \u00c4hnlichkeit zwischen Vater und Sohn, im anderen zwischen Bruder und Schwester. Schon Flournoy, der nur die Tendenz zur Synopsie f\u00fcr vererbbar h\u00e4lt und selbst niemals einen Fall beobachtet hat, welcher in derselben Familie so starke \u00dcbereinstimmungen aufgewiesen h\u00e4tte, wie sie in den GALTON8chen Beispielen sich finden, warnt vor \u00fcbereilten Schl\u00fcssen hinsichtlich der Vererbung der Synopsien. Er spricht schon auf Seite 204 von den \u201eWirkungen derselben Umgebung, der Nachahmung u. s. w.u, ohne aber diesen wichtigen Punkt gen\u00fcgend stark zu betonen. Der Hauptgrund f\u00fcr \u00c4hnlichkeiten in den Synopsien derselben Familie ist nat\u00fcrlich in den \u201eWirkungen derselben Umgebung\u201c zu suchen. Die gleichen Lehrb\u00fccher, welche die Bonder benutzen, die gleiche Landschaft, bezw. der gleiche Stadtteil, wo die Kinder aufwachsen u. s. w., m\u00fcssen nat\u00fcrlich zuweilen \u00c4hnlichkeiten inner-\n\u00bb\nhalb derselben Familie bedingen, die \u00dcbereinstimmungen zwischen Geschwistern sind daher auch auffallender und h\u00e4ufiger, als die zwischen Eltern und Kindern. Auch zwischen meinen Synopsien und denen meiner Geschwister bestehen einige recht auffallende \u00c4hnlichkeiten. Da ich nun in der gl\u00fccklichen Lage bin, eine relativ grofse Anzahl dieser Synopsien, zum Teil sogar die erw\u00e4hnten \u00dcbereinstimmungen, auf bestimmte Ursachen zur\u00fcck-zuf&hren, so sei es mir gestattet, im folgenden mich eingehender \u00fcber eine Reihe von Synopsien in meiner Familie zu verbreiten.\nIch selbst neige, ebenso wie meine Geschwister, in selten starkem Mafse zu Diagrammempfindungen. Flournoy kennt Diagramme f\u00fcr das Alphabet, die Zahlen, die Monate, die\n13*","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"196\nRichard Hentity.\nWochentage, die Tagesstunden und die Weltgeschichte, und es scheint, als ob ein gleichzeitiges Auftreten von mehr als vier derartigen Diagrammen zu den Seltenheiten geh\u00f6rt. loh nun habe f\u00fcr alle sechs aufgez\u00e4hlten Objekte je ein charakteristisches Diagramm, aulserdem noch f\u00fcr die griechischen Verbalformen und die Schulklassen, einer meiner Br\u00fcder auch f\u00fcr die B\u00fccher des alten Testaments. Farbeneindr\u00fccke, chromatische Syn-opsien, kenne ich merkw\u00fcrdiger weise gar nicht, w\u00e4hrend meine Geschwister auch dazu in hohem Grade disponiert sind. Wohl aber sehe ich meine Diagramme ausnahmslos in verschiedenen Tagesbeleuchtungen, vom grellsten Sonnenlicht bis zum tiefsten Schatten, bezw. zur n\u00e4chtlichen Dunkelheit.\nDie Entstehung meines alphabetischen Diagramms kann ich mit v\u00f6lligster Sicherheit angeben, ohne auch nur im geringsten mit Vermutungen zu operieren. Ich sehe das Alphabet in grofsen lateinischen Buchstaben vor meinem geistigen Auge in folgender Anordnung und Gr\u00f6fse:\nABCDEFG\nHIJKLMN\nOPPST\nUVWX\u00ceZ\nDie erste Reihe scheint mir im Schatten zu liegen, gegen Sohlufs wie von einer Art Reflexlicht der zweiten, von leicht abgeblendetem Sonnenlicht ziemlich hell erleuchteten Reihe getroffen, in der dritten herrscht wieder tiefer Schatten, der, immer mehr zunehmend, bei den Buchstaben R bis T ein Maximum der Dunkelheit hervorruft ; die letzte Reihe ist etwas heller, wird aber durch den Schatten der oberen Reihe von dem Sonnenlichte nicht getroffen. Dafs die beiden letzten Reihen einen Buchstaben weniger haben, als die beiden ersten, entgeht mir v\u00f6llig; da ich nur allenfalls gleichzeitig mit einem","page":196},{"file":"p0197.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Synopsien.\n197\nBuchstaben die in derselben Reihe liegenden bemerke, nicht die darunter- und dar\u00fcberstehenden, so scheint mir jede Reihe gleich viel Buchstaben zu besitzen. Ich sehe das Diagramm nicht vertikal, sondern horizontal vor mir ausgebreitet und f\u00fchle mich beim Gedanken an einen bestimmten Buchstaben gleichsam dar\u00fcber schwebend, den Blick nach unten gewandt.\nIch entsinne mich nun mit Bestimmtheit, dais sich in einer Reihe von einfachen Zeichenvorlagen, die ich als etwa vierj\u00e4hriger Junge besafs, ein Alphabet vorfand, welches genau mit der Anordnung meines jetzigen Diagramms in allen Einzelheiten \u00fcbereinstimmte, und es kann gar keinem Zweifel unterliegen, dafs mein Diagramm, das ich vom ersten Augenblick meines Lesens an besessen zu haben glaube, in jener Zeichenvorlage, nach der ich noch dazu die Buchstaben des Alphabets lernte, ihre Entstehungsursache findet. Daraus erkl\u00e4rt sich auch in \u00fcberraschender Weise der Umstand, dafs ich mir das Diagramm liegend und mich dar\u00fcber schwebend vorstelle. Woher freilich die bedeutenden Verschiedenheiten der Beleuchtungseffekte stammen, vermag ich nicht anzugeben.\nSchwieriger ist eine Diskussion meines Zahlendiagramms, welche aber insofern wertvoll ist, als ich hier auch den Grund der verschiedenartigen Helligkeiten angeben kann. Die Anordnung der Zahlen ist ungef\u00e4hr derart, wie sie untenstehende Figuren la und b veranschaulichen, allerdings nur sehr ungef\u00e4hr, denn es finden sich noch zahlreiche kleine Kr\u00fcmmungen und Biegungen, die ich mit geistigem Auge sehe, ohne sie doch bei einem raschen \u00dcberblick \u00fcber die ganze Zahlenreihe, wie er zur Reproduktion der Figur n\u00f6tig ist, wiedergeben zu k\u00f6nnen. Die Einzelheiten der Hunderte, der Tausende etc. sind genau dieselben, wie des ersten Hunderts, Tausends etc. Beim Gedanken an ein bestimmtes Hundert (Tausend) erscheint mir die Entfernung bis zum n\u00e4chsten zuerst durchaus nicht gr\u00f6fser, als die der entsprechenden Einer, Zehner etc. ; die Entfernung von 2000 bis 3000 z. B. ist nur wenig gr\u00f6fser, als die von 20 bis 30, erst bei ein wenig l\u00e4ngerem Denken an die Zahl \u2014 sagen wir z. B. 2347 \u2014 sehe ich die Einzelheiten des ersten Hunderts zwischen 2300 und 2400 hervortreten. Es ist, als ob ich durch ein Mikroskop schaue und nun den Zwischenraum von 2300 bis 2400 pl\u00f6tzlich mit hundert neuen, genau gleich grofsen1, gleich angeordneten und analog beleuchteten\n1 Die Gr\u00f6fse jede* einzelnen Zahl ist etwa 1\u20142 cm.","page":197},{"file":"p0198.txt","language":"de","ocr_de":"198\nRichard Herwig.\nZahlen erf\u00fcllt sehe, die mir nur ein wenig entfernter und unter einem etwas schr\u00e4geren Gesichtswinkel zu stehen scheinen, als die Zahlen des ersten Hunderts. Nichtsdestoweniger erscheint mir die Entfernung von 2300 bis 2400 kaum wesentlich ge\u00e4ndert gegen vorher. Die Beleuchtung wird von 100 bis 10000 in erster Linie durch die Helligkeit der ersten, bezw. beiden ersten Zahlen, in zweiter durch die der beiden letzten bestimmt, von 10000 bis 100000 nur durch die Helligkeit der\nMein Zahlen-Urdiagramm.\nDas Auge schwebt \u00fcber dem langsam ansteigenden Diagramm und nimmt\nnur die n\u00e4chste Umgebung einer Zahl wahr.\nFig. la.\nbeiden ersten Ziffern, w\u00e4hrend \u00fcber 100000 deutliche Helligkeitseindr\u00fccke fehlen. Nur 100 bis 1000 erscheint ausnahmsweise wesentlich dunkler als 1 bis 10, 1000 bis 2000 betr\u00e4chtlich heller als 10 bis 20 (beides verursacht durch Eindr\u00fccke der Weltgeschichte), von 2000 bis 10000 und andererseits von 10000 bis 100000 entspricht die Beleuchtung der beiden ersten Stellen stets derjenigen der entsprechenden zweistelligen Zahl des ersten","page":198},{"file":"p0199.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Sgnopsien.\n199\nHunderts. Die Zahlen steigen langsam aber stetig in einer Spirale aufw\u00e4rts.\nSchon aus dem Gesagten ergiebt sieh mit gen\u00fcgender Deutlichkeit, dafs die Anordnung und Beleuchtung des ganzen Diagramms lediglich auf der Beschaffenheit der ersten hundert Zahlen beruht, welche in den h\u00f6heren Zahlen nur immer reproduziert und kombiniert werden. Es kommt also nur darauf an, die Entstehung\n10000\n7000\n100 .\nzooo\nMein vollst\u00e4ndiges Zahlendiagramm in (sehr ungef\u00e4hren) Umrissen. Die Einzelheiten des Urdi&gramms wiederholen sich in jedem einzelnen Jahrhundert. Die Spirale mu\u00a3s als aufsteigend gedacht werden. That-s\u00e4chlich sehe ich das Diagramm nicht in seiner Gesamtheit, wie es hier aufgezeichnet wurde, da ich nur die n\u00e4here Umgebung einer Zahl bemerke, w\u00e4hrend alles \u00fcbrige dem Gesichtskreis entschwindet.\nFig. lb.\ndieses Urdiagramms f\u00fcr die Zahlen 1\u2014100 zu bestimmen, und ich glaube, daf\u00fcr die Ursachen nachweisen zu k\u00f6nnen:\nAls ich zwei Jahre alt war, zogen meine Eltern nach der Potsdamerstrafse 67 in Berlin. F\u00fcr den, der die Berliner","page":199},{"file":"p0200.txt","language":"de","ocr_de":"200\nRichard Hennig.\nLokalit\u00e4ten kennt, f\u00fcge ich hinzu, dafs dieses Haus zwischen der B\u00fclow- und der heutigen Winterfeldstrafse liegt, welche letztere damals noch v\u00f6llig unbebaut war. Schon in meinem dritten Lebensjahre nun besch\u00e4ftigte ich mich, wie die Tagebuchaufzeichnungen meiner Mutter aus jener Zeit ergeben, viel und gern, ja leidenschaftlich gern mit Zahlen, eine Liebhaberei, die mir zum Teil noch heute anhaftet. Auf m\u00e9inen h\u00e4ufigen Spazierg\u00e4ngen jener Zeit nun, die sich zumeist auf der westlichen Seite der Potsdamerstrafse zwischen dem botanischen Garten und der L\u00fctzowstrafse bewegten, waren mir nach den Berichten meiner Mutter die Hausnummern am wichtigsten. Der Eindruck, den die einzelnen H\u00e4user auf mich machten, ihr helles oder dunkles \u00c4ufsere, hat nun die charakteristischen Eigent\u00fcmlichkeiten meines Zahlendiagrammes bedingt.\nBevor ich den Beweis f\u00fcr diese Behauptung erbringe, mufs ich noch \u00fcber die Beleuchtung meines Diagramms ein paar Worte sprechen. Die Zahlen von 1 bis 10 scheinen mir in m\u00e4fsigem Schatten zu liegen, der *sich jenseits der 10 sehr verst\u00e4rkt, um von 15 bis 19 noch einmal einer etwas gr\u00f6sseren Helligkeit Platz zu machen. Von 20 bis 26 herrscht Schatten, der von 27 an einer starken Beleuchtung langsam zu weichen beginnt, deren Ursprung in dem hellen Sonnenlicht zu suchen ist, welches die erste H\u00e4lfte der Dreifsiger mit einem Maximum bei 33 \u00fcberflutet. Dann nimmt die Helligkeit ab, um einem Schatten Platz zu machen, der sich bis 56 erstreckt. Von 57 an ist abermals der Widerschein des intensiv hellen Sonnenlichtes zu bemerken, welches dann die Sechziger kennzeichnet mit einem Maximum zwischen 65 und 67. Auf diese st\u00e4rkste Helligkeit folgt dann mit dem Knick der Kurve bei 70 tiefes Dunkel, das bei 77 bis 79 fast ebenso stark wird, wie bei den d\u00fcstersten Stellen zwischen 10 bis 13 und bei 55. Die Achtziger erscheinen mir in der Mittagsbeleuchtung eines mit leichter Wolkendecke \u00fcberzogenen Winter-himmels, von 90 an nimmt die Helligkeit bis zur 100 wieder ab. Innerhalb der Hunderte und der Tausende wiederholen sich die Beleuchtungen ebenso genau wie die Form der Kurven, nur gewinnen auch die Zahlen, welche die Hunderte, bezw. Tausende bezeichnen, Einflufs auf den Gesamteindruck, und das erste Jahrtausend erscheint ausnahmsweise betr\u00e4chtlich","page":200},{"file":"p0201.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Synopsien.\n201\ndunkler als das ganze zweite. Das Maximum der Helligkeit innerhalb der beiden ersten Jahrtausende liegt bei 1666 u. s. w.\nWoher kommt nun diese scharf ausgepr\u00e4gte Beleuchtung und die originelle Kurvenform ? Ich glaube, diese Frage v\u00f6llig beantworten zu k\u00f6nnen: Nummer 1 der Potsdamerstrafse liegt am Potsdamer Platz; bei einem Gang durch die Potsdamerstrafse hat man bei den ersten H\u00e4usern noch das Gef\u00fchl, den hellen Platz hinter sich zu haben, infolgedessen sehe ich meine ersten Zahlen nur in leichtem, langsam zunehmenden Schatten; allm\u00e4hlich aber wird die Strafse relativ dunkel durch B\u00e4ume und (damals) dunkle H\u00e4userfarben, gegen\u00fcber von No. 18 und 19 m\u00fcndet die Eichhomstrafse ein, wodurch wohl der etwas hellere Eindruck an dieser Stelle des Diagramms zu erkl\u00e4ren ist. Nun w\u00e4re freilich zu erwarten, dafs der breite, helle Zwischenraum, welcher zwischen den H\u00e4usern 23 und 24 durch den Landwehrkanal und die Potsdamer Br\u00fccke geschaffen wird, sich im Diagramm durch sehr grofse Helligkeit geltend gemacht h\u00e4tte, eine Voraussetzung, die nicht erf\u00fcllt ist. Diese einzige Differenz in den analogen Beleuchtungsverh\u00e4ltnissen erkl\u00e4rt sich nun aber wohl einmal daher, dafs man beim Gang \u00fcber die Br\u00fccke den Zusammenhang zwischen den Hausnummern zu vergessen pflegt, zweitens daher, dafs mein Diagramm zwischen 1 und 30 nicht so scharf ausgebildet ist, wie zwischen 30 und 70, aus dem Grunde, weil meine fr\u00fchesten Spazierg\u00e4nge als Kind sich verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig selten \u00fcber Potsdamerstrafse 30 hinaus erstreckten.\nDie grofse Helligkeit in der ersten H\u00e4lfte der Dreifsiger mufs bedingt sein durch das Einm\u00fcnden der sehr hellen L\u00fctzow-strafse zwischen No. 33 und 34. Schon bei No. 28 etwa bemerkt man die Strafse, daher erstreckt sich der Reflex der Helligkeit im Diagramm bis etwa zu dieser Zahl. Der Grund, weshalb sich die Helligkeit bei 33 mir dermafsen eingepr\u00e4gt hat, r\u00fchrt wohl daher, dafs ich damals recht h\u00e4ufig im Hause No. 33 zu verkehren pflegte\u00ab Die n\u00e4chsten Querstrafsen, die Steglitzer- und Kurf\u00fcrstenstrafse, machten bei weitem nicht einen so hellen Eindruck, wie die L\u00fctzowstrafse, haupts\u00e4chlich, weil sie von dunkel gef\u00e4rbten H\u00e4usern umgeben waren, ihr Einflufs macht sich daher auoh in einer etwas helleren F\u00e4rbung um die 48 herum geltend. Von No. 56 an aber bemerkt man die ungew\u00f6hnlich breite und helle B\u00fclowstrafse, welche die","page":201},{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"202\nRichard Herwig.\nH\u00e4user No. 58 und 59 trennt ; daher das Ansteigen der Helligkeit! Die n\u00e4chstfolgenden H\u00e4user von 62 bis 66 zeigten zu meiner Zeit grofsenteils einen villenartigen Charakter, waren durch ziemlich grofse Zwischenr\u00e4ume voneinander getrennt und von freundlicher Helligkeit. Daher r\u00fchrt die gleichm\u00e4\u00dfige Helligkeit \u00fcber die gesamten Sechziger, das Maximum liegt nat\u00fcrlicherweise in der N\u00e4he der 67, da ich in dieser Gegend wohnte und sie am h\u00e4ufigsten bei Sonnenschein zu sehen Gelegenheit hatte. Bei No. 74 nun unterbricht der dunkle botanische Garten die Zahlenreihe, welche dann auf der anderen (Ost-) Seite der Strafse r\u00fcckl\u00e4ufig wieder einsetzt. Aus diesem Umstande erkl\u00e4rt sich der merkw\u00fcrdige, sehr scharfe Knick bei 70 des Diagramms, welcher fast einen vollen Hechten betr\u00e4gt.1 Dafs der Knick nicht bei 74 zu finden, sondern auf Zehner abgerundet ist, ist nicht auffallend. Die hellere Beleuchtung der Achtziger, zumal bei 87 bis 89, erkl\u00e4rt sich daraus, dafs meiner Wohnung schr\u00e4g gegen\u00fcber No. 88, damals ein kleines, sehr helles Haus, noch obendrein an der Ecke der Alvensleben-strafse, lag. Die \u00fcbrigen H\u00e4usernummern, von 90 an, beachtete ich als Kind kaum, da sie auf der von mir seltener frequentierten anderen Seite der Stra\u00dfe sich befanden,\nEs w\u00e4re \u00fcberaus sonderbar, wenn die \u00dcbereinstimmungen meines Diagramms mit der genannten Beschaffenheit der Stra\u00dfe rein zuf\u00e4lliger Art sein sollten. Da mir die meisten meiner Zahlen au\u00dferdem noch einen bestimmten Charakterausdruck zu haben scheinen, konnte ich daran k\u00fcrzlich die \u00dcbereinstimmung bestimmter Zahlen mit dem Eindruck, welchen die betreffenden H\u00e4user auf mich als Kind gemacht haben,1 kontrollieren, und ich war selbst \u00fcberrascht von der fast v\u00f6lligen Identit\u00e4t.\nWenn trotzdem an der Bedeutung der Stra\u00dfe f\u00fcr die Entstehung des Diagramms doch Zweifel bestehen sollten, da ich den Zusammenhang v\u00f6llig vergessen hatte und mir erst k\u00fcrzlich w\u00e4hrend der Besch\u00e4ftigung mit der Synopsie wieder klar dar-\n1 D&fs der Knick ungef\u00e4hr einen rechten Winkel betr\u00e4gt, erkl\u00e4rt sioh wohl daher, dafs man, um mit der Zahlenreihe fortzuschreiten, an dieser Stelle senkrecht zur bisherigen Richtung den Damm \u00fcberschreiten m\u00fcfste.\n* Als Kind ist man ja f\u00fcr die geringsten derartigen Eindr\u00fccke in der hervorragendsten Weise empf\u00e4nglich.","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Sgnopsien.\n203\n\u00fcber geworden bin, wenn also trotzdem noch Zweifel bestehen, so m\u00fcssen auch diese schwinden, da mein um zwei Jahre j\u00fcngerer Bruder Emst, der seine Kinderzeit ebenfalls in der Potsdamerstrafse verlebte, unabh\u00e4ngig von mir erkl\u00e4rt h\u00e4t, die Thatsache, dafs in seinem Zahlendiagramm 30 bis 70 in einer geraden Linie liegen, w\u00e4hrend sich bei 70 ein auffallender Knick befindet, glaube er auf Einfl\u00fcsse der Potsdamerstrafse zur\u00fcckfuhren zu m\u00fcssen.\nDas Diagramm meines dritten Bruders Bruno, der seine ersten Kinder jahre nicht mehr in der Potsdamerstrafse verbrachte, weist derartige Z\u00fcge nicht auf. Wir waren bald nach seiner Geburt in die N\u00fcrnbergerstrafse in unmittelbare N\u00e4he des zoologischen Gartens gezogen, den wir sehr oft, fast t\u00e4glich besuchten, und er giebt mir nun an, dafs sein Zahlendiagramm den G\u00e4ngen des zoologischen Gartens folgte. Besonders hervortretend sei ein Knick zwischen den Zahlen 28 bis 32; diese f\u00fcnf Zahlen seien halbkreisf\u00f6rmig angeordnet, der Grund daf\u00fcr sei zweifellos in der Beschaffenheit des K\u00e4nguruhhauses zu suchen, welches mit den genannten Ziffern versehen gewesen sei, und um welches der Promenadenweg kreisf\u00f6rmig herumlaufe.\nNach diesen Angaben kann es wohl kaum noch einem Zweifel unterliegen, dafs es unbedingt Eindr\u00fccke der ersten Kindheit sein m\u00fcssen, welche bei jedem Menschen die Form seiner Diagramme bedingen. Es w\u00e4re ja auch \u00fcberaus abgeschmackt, sich die Formen als angeboren und vererbbar vorzustellen ; aber alles Psychische, \u00fcber dessen Entstehung man im unklaren ist, pflegt man ja leider stets ohne weiteres als angeborene F\u00e4higkeit zu betrachten.\nF\u00fcr alle, welche mit Diagrammen begabt sind und welche eventuell den Yersuoh machen, sie auf Erlebnisse der ersten Kinderzeit zur\u00fcckzuf\u00fchren, mufs ich bemerken, dafs ein solcher Versuch ungleich schwieriger ist, als man vermuten sollte.1 Gerade, weil man so viele Jahre und Jahrzehnte seine Diagramme gar nicht beachtet und \u00fcber die Zeit und Art der\n1 Es ist dies ja auch nicht wunderbar, da die Eindr\u00fccke der Diagramme zu unbestimmt und zu wenig fafsbar, ich m\u00f6chte sagen, schemenhaft sind. Es ist mir z. B. unm\u00f6glich, anzugeben, ob ich in meinen Diagrammen, mit Ausnahme des Buchstabendiagramms, die Zahlen, Namen der Monate, Wochentage etc. gedruckt sehe, oder ob ich blois","page":203},{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204\nRichard Hennig.\nEntstehung v\u00f6llig im unklaren ist, ist es vielfach ganz unm\u00f6glich, Anhaltspunkte f\u00fcr eine Erkl\u00e4rung zu finden. Mein sehr viel gebrauchtes und ungemein deuthohes Monatsdiagramm, ebenso mein Diagramm f\u00fcr die Tagesstunden ist mir trotz angestrengten Nachdenkens wochen-, ja monatelang hindurch r\u00e4tselhaft geblieben; erst ganz k\u00fcrzlich gelang es mir, sie als etwas modifizierte, zum Teil pr\u00e4zisiertere Abarten meines Zahlendiagramms zu erkennen. Und die Entstehung meines Wochendiagramms ist mir trotz seiner Einfachheit erst klar geworden, als diese Arbeit fast beendet war.\nEinige beachtenswerte Einzelheiten in meinen Diagrammen m\u00f6chte ich noch anf\u00fchren, da sie manchen Einblick in jene eigenartigen Verh\u00e4ltnisse gestatten:\nMein Zahlendiagramm leistet mir noch mannigfache andere Dienste: ich sehe alle Ereignisse der Geschichte in derselben Weise nach ihren Jahreszahlen angeordnet, wobei mir die Jahre vor Christi Geburt ebenso wie die negativen Zahlen vom Nullpunkte aus nach \u2022 der entgegengesetzten Seite in genau derselben Anordnung zu verlaufen scheinen, wie die positiven, nur dafs die Zahlen \u2014 1 bis \u201410 eine Kr\u00fcmmung in entgegengesetztem Sinne aufweisen, so dafs sie ein Spiegelbild der entsprechenden positiven Zahlen sind.* 1\nFerner sehe ich sowohl wie mein Bruder Ernst Geldst\u00fccke und Geldwerte nach der Anzahl in Pfennigen, die Gewichte nach der Anzahl der Pfunde auf dem gleichen Diagramm, ferner ich allein die Berge nach ihrer H\u00f6he in Metern, wobei mir dann das Zahlendiagramm seltsamerweise immer gerade ihre Spitzen zu ber\u00fchren scheint, denn ich erw\u00e4hnte schon, dafs das Zahlendiagramm nicht horizontal liegt, sondern in weitem Bogen allm\u00e4hlich, aber stetig aufsteigt.\ndie Stellen wahrnehme, in welche sie lokalisiert werden. Auch die Photismen sind zuweilen ganz unbestimmt : mein Bruder Edwin (13 Jahre), der viele Angaben mit grofser Bestimmtheit machte, erkl\u00e4rte, i sei \u201eblau oder gr\u00fcn oder silbern\u201c.\n1 Auch meinem Bruder Ernst erscheinen die negativen Zahlen in der gleichen Kr\u00fcmmung, wie seine positiven, nur die ersten 30 haben eine entgegengesetzte Kr\u00fcmmung und sind ein Spiegelbild der positiven. Bei meinen anderen beiden Br\u00fcdern sind die negativen Zahlen abweichend von den positiven und gr\u00f6fstenteils v\u00f6llig unbestimmt und verwaschen, w\u00e4hrend sie bei mir v\u00f6llig identisch sind und mit genau den gleichen Beletichtungseffekten wie die positiven versehen sind.","page":204},{"file":"p0205.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Synopaien.\n205\nDie Anordnung der Monate (Fig. 2)L und Tagesstunden (Fig. 3) bezeichnet eine ungef\u00e4hre Reproduktion der zw\u00f6lf\nMein Monatsdiagramm. Fig. 2a.\nersten Zahlen des Zahlendiagramms, nur ist die Kr\u00fcmmung weit soh&rfer ausgepr\u00e4gt, zumal wegen eines Knickes zwisohen\n1 Fig. 2a veranschaulicht das Monatsdiagramm in grobem Umriis, 2b die sekund\u00e4ren Kurven innerhalb jedes einzelnen Monats. Wie ich erat w\u00e4hrend des Zeichnens von Fig. 2b nach Beendigung der ganzen Arbeit bemerke, sind auch die Daten im Monat ganz genau wie die Zahlen im Zahlendiagramm angeordnet.","page":205},{"file":"p0206.txt","language":"de","ocr_de":"206\nRichard Herwig.\n9 und 10 (September und Oktober, bezw. 9 und 10 Uhr), der im Zahlendiagramm nur angedeutet ist. Die Beleuchtung der Monate weicht v\u00f6llig ab von der des Zahlendiagramms. Die Wintermonate erscheinen (wohl infolge des Gedankens an Schnee) relativ heller, als die Sommermonate. Im Januar bis M\u00e4rz herrscht (abgesehen von den Helligkeitsunterschieden innerhalb der Monate, wo mir stets die zweite Dekade relativ hell, die dritte relativ dunkel vorkommt) die Beleuchtung eines tr\u00fcben Wintermittags. Der April wird recht dunkel (etwa infolge einer Erinnerung an Regenwolken?); der Mai wird etwas heller und hat entschiedene Sommerbeleuchtung, er erweckt eine Idee von Sonnenstrahlen, welche durch dichtes Laub abgeblendet werden, so dafs er einen sehr schwachen gr\u00fcnlichen Schimmer erh\u00e4lt. Der Juni wird noch heller, und der Juli erscheint dann von vollster Sommersonnenglut \u00fcbergossen, in\nseiner Mitte liegt das Helligkeitsmaximum, der August bringt betr\u00e4chtlich dunklere F\u00e4rbung und noch mehr der September, welcher dasselbe Aussehen wie der April hat. Nach dem scharfen Knick um einen Winkel von etwa 60\u201470\u00b0, welcher zwischen dem 30. September und dem 1. Oktober liegt, bringt der Oktober wieder volle Winterbeleuchtung, die aber wesentlich heller als die der ersten Monate ist. Die folgenden Monate verdunkeln sich mehr und mehr, und die letzten acht Tage des Dezember bringen das gr\u00f6fste Dunkel (wahrscheinlich, weil sie mit Vorliebe als \u201edunkelste Zeit des Jahres44 bezeichnet werden), gleichsam, als ob das Weihnachtsfest und der Jahres-schlufs sie wie Mauern vor jeder Beleuchtung sch\u00fctzen. Das Diagramm l\u00e4uft nicht in sich zur\u00fcck, wahrscheinlich, weil die seiner Zeit viel von mir betrachteten Abreifskalender in jedem Jahre ihr Aussehen wechselten, vielmehr bilden mehrere Jahre hintereinander eine periodisch verlaufende Kurve, welche bei fl\u00fcchtigem \u00dcberblick eine entfernte \u00c4hnlichkeit mit einer Sinuskurve hat.\nDas Diagramm f\u00fcr die Tagesstunden ist einzig in seiner Art. Erstens steht es schr\u00e4g aufrecht mit der Zeit von etwa 10\u201411 Uhr vormittags als Basis. Zweitens l\u00e4uft es in sich zur\u00fcck, da es sich aus zwei genau zu einander passenden, ann\u00e4hernd gleichen St\u00fccken zusammensetzt. Oft betrachte ich es auch von unten aus, indem ich vor seiner Basis zu stehen\nf3\u00f6\nt20\n\\io\nFig. 2.b","page":206},{"file":"p0207.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Synopsien.\n207\nglaube, w\u00e4hrend ich bei den bisher genannten mehr oder weniger horizontalen Diagrammen stets dar\u00fcber zu schweben schien. Von 10\u20144 Uhr herrscht die der jeweiligen Tagesstunde entsprechende Sommersonnenbeleuchtung mit einem Maximum der Helligkeit zwischen 2 und 3 Uhr. Von 4 Uhr an wird es bedeutend dunkler, doch zeigt zumal die Zeit zwischen 7 und 8 Uhr noch die charakteristisch helle Sommerabend-\nDieserTheil ist so \u00e0wzk\u00e9L, dass er tust schwer zw\nMein Diagramm f\u00fcr die Tagesstunden.\nFig. 3.\nbeleuchtung. Erst von 9 Uhr an fangt das Dunkel der Nacht an, 10 Uhr ruft einen deutlichen Schimmer von Laternenlicht hervor, 10\u201412 Uhr wird dann so dunkel, dafs sie sich dem Bliok fast ganz entziehen. Sehr langsam wird es heller, um 4 Uhr morgens tritt ein ganz schwacher Schimmer auf, der aber nur wenig zunimmt bis 6 Uhr. 6\u20147 Uhr ist mit einem Male wieder fast ganz dunkel, und erst gegen 9 Uhr","page":207},{"file":"p0208.txt","language":"de","ocr_de":"208\nRichard Hcnnig.\nmacht d&8 allm\u00e4hlich abnehmende Dunkel der richtigen Tages-beleuchtung Platz. Man sieht, wie die einzelnen Tagesstunden durch die jeweilig charakteristischen Jahreszeiten beeinflusst sind. In den Morgenstunden ist die winterliche Beleuchtung, in den Mittag- und Abendstunden die sommerliche am eindrucksvollsten. Aus der Form des Diagramms l\u00e4fst sich mit ziemlicher Sicherheit der Schlufs ziehen, dafs es entstanden sein mufs, bevor ich die Uhr kennen lernte, da sonst deren Beschaffenheit wohl ausschlaggebend auf die Form des Diagramms gewirkt h\u00e4tte. In manchen Diagrammen, nicht nur f\u00fcr Tagesstunden, sondern auch f\u00fcr Zahlen, ist \u00fcbrigens der Einfiuis des Ziffernblattes auf die Anfangsgestalt des Diagramms un-\nMein Wochentagsdiagramm.\nDie Dunkelheit nimmt von Montag an stetig ab, bis der Sonntag das\nMaximum der Helligkeit bietet.\nFig 4.\nverkennbar (so z. B. in den von Galton angef\u00fchrten F\u00e4llen No. 20, 36 und 37).\nDie Wochentage (Fig. 4) endlich liegen horizontal und nebeneinander vor mir auf einer leicht gekr\u00fcmmten Linie, wie die beigegebene Figur zeigt. Von Montag bis Donnerstag herrscht starkes Dunkel, dann wird es* heller, der Sonntag erstrahlt im sch\u00f6nsten Sonnenschein und sticht gewaltig gegen den Montag ab. Zweier privilegierter Assoziationen sei dabei noch Erw\u00e4hnung gethan. Der Montag erinnert mich zuweilen an ein Bild, das ich als kleiner Knabe besafs, ein J\u00e4gerhaus in einem dunklen Walde (vielleicht r\u00fchrt daher die besonders dunkle F\u00e4rbung des Tages ?) ; der Grund daf\u00fcr liegt darin, dafs unter dem Giebel jenes F\u00f6rsterhauses eine kreisrunde Dach-","page":208},{"file":"p0209.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Synopsien,\n209\nlake abgebildet war, welche mich, wie ich noch genau weile, an den Vollmond erinnerte. Beim Sonnabend hingegen kommt mir manchmal der Gedanke an rote W\u00f6lkchen in Abend-beleuchtong, und ich entsinne mich, dafs ein Eiinderbuch die Ursache davon ist, in welchem es hiefs, die Engel m\u00fcfsten des Sonnabends alles, was am Bimmel ist, zum Sonntag putzen ; der Text war obendrein durch ein entsprechendes Bild erl\u00e4utert, auf welchem rote W\u00f6lkchen abgebildet waren. Das Urbild des Diagramms m\u00fcssen die \u00fcblichen Stundenpl\u00e4ne in den Aufgabe-b\u00fcohem sein, wie ich sie von der untersten Vorschulklasse an benutzte. Und zwar war den Tagen Montag bis Mittwoch die linke, den Tagen Donnerstag bis Sonnabend die rechte Seite des aufgeschlagenen Buches angewiesen. Da nun ferner das Tageslicht, wenn man schreibt, zumeist von der linken Seite kommt und die linke Seite im ersten Teil eines kartonierten Buches gew\u00f6hnlich etwas emporsteht, so dafs sie weniger vom Licht getroffen wird, als die rechte, ist es zu erkl\u00e4ren, dafs Montag bis Mittwoch oder Donnerstag weit dunkler erscheinen, als die \u00fcbrigen Tage. Dieser Umstand, dafs die linke Seite beim Schreiben stets etwas weniger Licht empf\u00e4ngt, als die rechte, hat in mir \u00fcbrigens ein f\u00fcr allemal die Vorstellung erweokt, die linke Seite in Schreibheften (charakteristischerweise aber nicht in gedruckten B\u00fcchern) sei dunkel, die rechte hell. Da aufserdem die sechs in einer Linie gedruckten Wochentage, sobald die eine Seite sich etwas erhebt, eine leicht gekr\u00fcmmte Kurve zu bilden scheinen, d\u00fcrfte auch die Kr\u00fcmmung meiner Woohentagskurve zu erkl\u00e4ren sein. Die Einordnung des Sonntags und die Verkn\u00fcpfung der Wochen untereinander ist nat\u00fcrlich willk\u00fcrliche Erfindung und Zuthat. Um so plausibler ist mir diese Erkl\u00e4rung, als meine Schwester Erna ein genau gleioh angeordnetes und gekr\u00fcmmtes, freilich noch farbig (Montag schwarz, Dienstag gelblich, Mittwoch schw\u00e4rzlich, Donnerstag braun, Freitag gelblich, Sonnabend rosa bis braun, Sonntag infolge von Eindr\u00fccken des Abreifskalenders rot) ausgeschm\u00fccktes Wochentagsdiagramm hat, w\u00e4hrend der Sonntag hier unter der Mitte der anderen Tage liegt und so ein in sich selbst zur\u00fccklaufendes Diagramm verursacht.\nMein j\u00fcngster Bruder Edwin und meine noch etwas j\u00fcngere Schwester Erna haben beide merkw\u00fcrdigerweise f\u00fcr die Woche\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie X.\t14","page":209},{"file":"p0210.txt","language":"de","ocr_de":"210\nRichard Hmmg.\nsowohl, wie f\u00fcr das Jahr Diagramme, welche den meinen sehr \u00e4hneln. Nor in dem Hauptpunkt weichen beide gerade ab, sie laufen pl\u00f6tzlich in sich zur\u00fcck, der Sonntag, bezw. die letzte Woche des Jahres m\u00fcssen den grofsen Zwischenraum zwischen den Enden ausf\u00fcllen. Untereinander sind ihre Diagramme ungemein \u00e4hnlich, wenngleich ich ausdr\u00fccklich hervorheben mufs, dafs sie durchaus noch nicht identisch sind, auch in den begleitenden chromatischen Synopsien weichen sie ab. Meine Schwester hat merkw\u00fcrdigerweise aufser den Farbenempfindungen noch genau dieselben Sonnenlicht- und Schatteneindr\u00fccke in mehreren Diagrammen, wie ich. Es ist dies um so auffallender, als derartige Beleuchtungseffekte nur sehr selten auftreten, Flournoy kennt nur wenige F\u00e4lle, Galton nur einen (No. 42). Nichtsdestoweniger kann auch diese \u00dcbereinstimmung nur auf einem Zufall beruhen, da die Beleuchtungen der Details v\u00f6llig voneinander abweichen.\nVon sonstigen bemerkenswerten Diagrammen, die mir bei meinen Nachforschungen aufgestofsen sind, seien nur noch die interessantesten hervorgehoben, soweit sie weitere Schl\u00fcsse gestatten oder ganz einzigartig sind: Galtons Fig. 65 stellt ein Diagramm dar, auf welchem Gras und B\u00e4ume gesehen werden ; dafs hier bestimmte Jugendeindr\u00fccke mitspielen m\u00fcssen, kann wohl kaum einem Zweifel unterliegen, ebenso bei verschiedenen anderen, im selben Werke angef\u00fchrten Beispielen, von denen ich nur noch Fig. 67 erw\u00e4hnen will, welche die ersten 12 Zahlen als 12 hohe Bergspitzen darstellt.\nSehr merkw\u00fcrdig ist die Angabe eines meiner Bekannten, dafs er alle Diagramme gleichzeitig sieht ; die Zahlen verlaufen vertikal und ganz geradlinig nach oben1, die Woche, die Buchstaben und mit etwas nach rechts verschobenem Anfangspunkt auch die Monate horizontal nach rechts, die Tagesstunden endlich vertikal nach unten, so dafs die gesamten Diagramme eine Art Koordinatensystem bilden, in dessen Nullpunkt sich der Beschauer befindet. Da diese Art, sich Diagramme vorzustellen, v\u00f6llig vereinzelt dasteht, m\u00f6chte ich es nicht unterlassen, die ungef\u00e4hre Abbildung dieser sonderbaren Vorstellung\n1 Die negativen Zahlen dagegen verlaufen (infolge einer entsprechenden, einmaligen Darstellung an der Schultafel) horizontal in derselben Richtung wie Wochentage, Buchstaben und Monate.","page":210},{"file":"p0211.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Synopsim.\n21 i\nbeizufhgen (Fig 5). In allen anderen F\u00e4llen, die ich kennen gelernt habe, waren ausnahmslos alle Diagramme aufs sch\u00e4rfste von einandergesondert, auch die n\u00e4chst verwandten, wie Jahreszahlen, Monate, Wochentage u. s. w., ja es war sogar unm\u00f6glich, bei dem Gedanken an ein Diagramm gleichzeitig an ein anderes zu denken.\nMein schon mehrfaoh erw\u00e4hnter Bruder Emst sieht in seinem Tagesstunden-Diagramm, welches ann\u00e4hernd elliptische\n\u00ab\n\nBitchstcCberv\nWoche\nMonate\nFig 5.\nForm hat, die Windrose angeordnet, wie er auch sonst beim Vorstellen irgend welcher Gegenden gern die Himmelsrichtungen sich hinzudenkt. Er schreibt mir dar\u00fcber: \u201eNoch mache ich Dich darauf aufmerksam, dafs ich bei jeder \u00f6rtlichen Vorstellung, z. B. beim Lesen von Romanen, Dichtungen etc., stets die Lage der Himmelsrichtungen mit hinzudenke, und dafs es mich aufserordentlich st\u00f6rt, wenn der Dichter in ein nach Osten gelegenes Zimmer die Abendsonne scheinen l\u00e4fst u. s. w. Mufs ich mich mit den vom Dichter\n14*","page":211},{"file":"p0212.txt","language":"de","ocr_de":"212\nRichard Herwig.\ngedachten Himmelsrichtungen auss\u00f6hnen, so r\u00fccke ich entweder die Bonne, den Mond etc., oder ich mufs das ganze bisherige Bild zerst\u00f6ren und mir ein neues ausdenken. Es giebt wenige Geschichten, wo ioh nicht zu solchem Ortswechsel gen\u00f6tigt bin, am schlimmsten war es im zweiten Teil von \u00bbSoll und Haben\u201c, wo ich das Schlofs des Baron Bothsattel mit der gr\u00f6fsten M\u00fche um 180\u00b0 drehen mufste u. s. w. Auch mein Tagesstunden-Diagramm hat seine Himmelsrichtungen, nur daCs sonderbarerweise Mitternacht nach S\u00fcden liegt.1 Sehe ich dje Morgenstunden an, so sehe ich die Sonne, die im 0 aufgeht, die Vormittags-, Mittags- und Nachmittagsstunden \u00fcber sehe ioh sie nicht, aber wohl bei den Abendstunden von 6 bis etwa 8, die von den roten Strahlen der im W untergehenden Sonne getroffen werden.\u201c\nAls eine weitere Eigent\u00fcmlichkeit will ich noch erw\u00e4hnen, dafs mein Bruder Emst die Reisen, welche er als Sch\u00fcler in jedem Jahre w\u00e4hrend der grofsen Ferien unternahm, nicht, wie es wohl die meisten thun w\u00fcrden, in sein Jahreszahlen-Diagramm einordnet, sondern in sein Diagramm f\u00fcr die Schulklassen.\nBevor ich mich nun zum wichtigsten Teile dieser Arbeit, dfer Bedeutung der Synopsien, wende, m\u00f6chte ich noch auf eine besondere Art der Synopsien hinweisen, welche bisher fast ganz \u00fcbersehen ist, auf welche auch ich nur insoweit ein-gehen will, als sie in mein Thema pafst, und die \u00fcberhaupt noch einer gr\u00fcndlichen Durchforschung bedarf. Ich meine die Erscheinung, dafs man sich manche abstrakte, besonders philosophische Begriffe, zuweilen auch bestimmte Sammelbegriffe f\u00fcr konkrete Gegenst\u00e4nde (Mensch), solange kein anderer Anhaltspunkt gegeben ist, in einer festliegenden konkreten Form vorstellt. Auch hier kann es Vorkommen, dafs die Form der Vorstellung durch Fortfallen einer Reihe von Zwischengliedern der Ideenassoziation gar keine Beziehung zu dem Vorzustellenden zu haben soheint. Floubnoy berichtet, dafs er selbst bei dem Gedanken an das Wort Seele ein Dreieck oder einen Kegel sieht, welcher K\u00f6rper mit nach vom gerichteter Spitze im leeren Raume emporzufliegen scheint. Der Grund dieser seltsamen Gedankenassoziation war ihm, wie er\n1 Und zwar sind es die Breitseiten der Ellipse, welche nach Nord und S\u00fcd gerichtet sind.","page":212},{"file":"p0213.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Synopsien.\n213\nberichtet, trotz angestrengten Nachdenkens lange Zeit unklar, bis er schliefslioh bemerkte, dafs der Accent circonflexe auf dem ersten Buchstaben des franz\u00f6sischen Wortes \u00e2me die Ursache seiner Vorstellung sei. Meine Mutter denkt beim Worte Gott an eine helle Wolke, ich selbst an ein freundliches Vollmondsgesicht auf einem menschlichen K\u00f6rper, das auf die Erde herabschaut; bei mir ist der Grund dieser Personifikation wieder in einem meiner ersten Kinderb\u00fccher zu suchen, wo der Mond personifiziert gedacht und dementsprechend auf den Wolken thronend abgebildet war. Einem meiner Bekannten, Herrn stud. med. Pollack, ruft der Gedanke an die Erhaltung der Kraft die Erinnerung an eine K\u00fcchenuhr wach, weil an\nihren Pendeln ihm zuerst das Wesen jenes Naturgesetzes klar\n\u2014 \u2022\ngemacht wurde.\nDen Montag stellt er sich \u201evoll4 vor, offenbar, weil ihm das Wort Vollmond vorschwebt, den Dienstag \u201emager, wie eine Lanze4, w\u00e4hrend der Donnerstag ihm den Eindruck eines Tbore8 erweckt. Die letzten beiden Vorstellungen entstammen nat\u00fcrlich Einfl\u00fcssen der germanischen Mythologie, die freilich in der seltsamsten Weise vom Unterbewufstsein umgeformt worden sind: der Dienstag ist bekanntlich dem Kriegsgott (daher die Lanzen) Ziu, der Donnerstag dem Thor geweiht.\nWie deutlich solche Vorstellungen werden k\u00f6nnen, zeigt die Angabe desselben Herrn, dafs das Wort Mensch ihm die Vorstellung eines vierzigj\u00e4hrigen Mannes mit grofsem Filzhut erwecke, dessen Krempe rechts hoch steht, links niedergebogen ist.\nDoch nicht nur privilegierte Assoziationen, wie sie in den bisherigen Beispielen wirkten, k\u00f6nnen bei derartigen Synopsien im Spiele sein, sondern auch habituelle. Als eine solche ist z. B. die Vorstellung der Fabeldrachen als Papierdraohen mit entsprechendem Gesicht eto. zu betrachten, vielleicht auch die Vorstellung des Zweckes als Bindfaden, wie sie derselbe Herr Pollack empfindet.\nIch will mioh nicht weiter in diese Materie vertiefen, welche einer eingehenden Sonderuntersuohung w\u00fcrdig ist. M\u00f6ge es hiermit genug sein mit den Betrachtungen \u00fcber die Entstehung der Synopsien, und wenden wir uns nunmehr ihrer Bedeutung zu.","page":213},{"file":"p0214.txt","language":"de","ocr_de":"214\nRichard Hornig.\nIII. Bedeutung der Synopsien.\nWenn wir von einer Bedeutung der Synopsien sprechen, so ist dabei nicht etwa an pathologische Erscheinungen zu denken, denn schon Bleuler und Lehmann haben mit Bestimmtheit behauptet und statistisch nachgewiesen, dafs in degenerierten Familien die Synopsien genau ebenso h\u00e4ufig Vorkommen, wie in anderen, und dafs ihnen eine psychopathische Bedeutung nicht zukommt. Auch Flournoy kommt zu demselben Resultat und fafst sein Urteil in die folgenden Worte zusammen: \u201eWenn man will, ist die Erscheinung anormal im Sinne von selten und ausnahmsweise, vollkommen normal im Sinne von nicht pathologisch, harmlos und begr\u00fcndet auf ganz und gar physiologischen Vorg\u00e4ngen, gerade so wie die schlaferzeugenden Halluzinationen, die Mehr-Fingerigkeit, die F\u00e4higkeit, die Ohren willk\u00fcrlich zu bewegen, und andere auffallende Anomalien.\u201c Alle Urteile, * welche im Vorkommen von Synopsien eine Anlage zu Geisteskrankheiten etc. sehen wollen, sind vollst\u00e4ndig laienhaft und beruhen auf absoluter Unkenntnis der Thatsachen, ganz abgesehen davon, dafs sonst reichlich die H\u00e4lfte der Kulturmenschheit psychopathisch belastet w\u00e4re. Wenn ich hier also von einer Bedeutung der Synopsien rede, so habe ich einen praktischen Nutzen derselben im Auge.\nSicherlich werden alle \u201eNegativen\u201c, ja sogar der gr\u00f6fste Teil der \u201ePositiven\u201c sehr verwundert sein, dafs ein solcher praktischer Nutzen der Synopsien bestehen soll. Im allgemeinen werden sie der Ansicht sein, soweit nicht rein wissenschaftliches Interesse vorliege, sei es v\u00f6llig zwecklos, sich mit den Synopsien zu besch\u00e4ftigen. Keine der bisherigen Untersuchungen hat einen wesentlichen Nutzen der Synopsien hervorgehoben oder auch nur gew\u00fcrdigt, ich glaube aber, an einem bestimmten Beispiele beweisen zu k\u00f6nnen, dafs sie nicht nur f\u00fcr mnemotechnische Zwecke von einem ganz unsch\u00e4tzbaren Werte sein k\u00f6nnen, sondern dafs sie sogar geeignet sind, mittelbar auf die Geistesentwickelung und -besch\u00e4ftigung nachhaltig einzuwirken.\nDen chromatischen Synopsien wird freilich nur ausnahmsweise eine Bedeutung der angegebenen Art zuzusprechen sein.","page":214},{"file":"p0215.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Synopsien.\n215\nGalton berichtet von einer Dame, welche sich ihrer Photismen bediente, um die richtige Orthographie mancher Worte zu finden. Floubnoy erz\u00e4hlt von einem Maler, welcher seiner Violine Tone entlockte, um passende Farben f\u00fcr seine Gem\u00e4lde zu finden. Gruber teilt mit, dafs ein Bariton die feinsten Nuancierungen seiner Stimme nach seinen Chromatismen bestimmte.1 Doch wenn man noch das schon erw\u00e4hnte Erkennen von Tonarten durch Farben eindr\u00fccke hinzurechnet, sind hiermit meines Wissens alle F\u00e4lle ersch\u00f6pft, in denen ein wesentlicher Nutzen chromatischer Synopsien nachgewiesen wurde. Im Gegensatz hierzu berichtet Flournoy auch von betr\u00e4chtlichen Bel\u00e4stigungen infolge lebhafter chromatisoher Synopsien: eine Dame wurde durch das mannigfache Farbengeflimmer beim Lesen begreiflicherweise aufserordentlich gest\u00f6rt. Wenn derartige Bel\u00e4stigungen nicht die Regel bilden, sondern vielmehr nur in diesem einzigen Falle bisher beobachtet sind, so liegt dies wohl daran, dafs die Farbenempfindungen meist erst bei l\u00e4ngerer Dauer akustischer Reize oder bei intensiverer Aufmerksamkeit auf die Buchstaben, Zahlen etc. ins Bewufstsein treten, bei fl\u00fcchtigem Lesen oder H\u00f6ren aber latent bleiben.\nDafs dagegen die Diagrammempfindungen, in welchen alle wissenswerten Zahlen- etc. Angaben des Ged\u00e4chtnisses lokalisiert und systematisch eingeordnet sind, eine wesentliche mnemotechnische H\u00fclfe darbieten m\u00fcssen, wird selbst den Negativen nicht unwahrscheinlich d\u00fcnken. Flournoy, der selbst zu den Negativen geh\u00f6rt, erkennt sogar, allein durch sein logisches Gef\u00fchl, nicht durch bestimmte Erfahrungen geleitet, schon fast die ganze hohe Bedeutung der geometrischen Synopsien und thut auf S. 193 den bemerkenswerten Ausspruch : \u201eIch beneide eine solohe F\u00e4higkeit, welche einzigartig helfen mufs, um die Zeitr\u00e4ume zu \u00fcberfliegen und Ordnung in die Dinge zu bringen, ln \u00e4hnlicher Weise ist der Besitz eines chronologischen Diagrammes, selbst wenn es nur angedeutet ist, von nicht geringer H\u00fclfe f\u00fcr das Ged\u00e4chtnis an Ereignisse.\u201c\nIch m\u00f6chte z. B. aus Beobachtungen, die ich gemacht habe, schliefsen, dafs die Besitzer von Zahlendiagrammen im allgemeinen nicht nur ein besseres Zahlenged\u00e4chtnis haben, sondern\n1 Die beiden letzten F\u00e4lle sind \u00fcbrigens gl\u00e4nzende Beweise f\u00fcr die Feinheit und Bestimmtheit, mit welcher optische Prozesse auf akustische Beize folgen.","page":215},{"file":"p0216.txt","language":"de","ocr_de":"216\nRichard Hornig,\nauch weit bessere Kopfrechner zu sein pflegen, als die Negativen. Schon oben hatte ich Gelegenheit, darauf hinzuweisen, d&fs Mathematiker, welche viel mit abstrakten Gegenst\u00e4nden zu thun haben, relativ selten Diagramme besitzen. Sollte sich nicht daraus vielleicht die bekannte Thatsache erkl\u00e4ren lassen, dafs gute Mathematiker \u00fcberraschend oft die denkbar schlechtesten Kopfrechner sind?\nWenn man schon nach dem bisher G \u00a9sagten einen g\u00fcnstigen Einflufs der Diagramme auf das Geistesleben kaum wird bezweifeln d\u00fcrfen, so er\u00f6ffnet der im folgenden zu berichtende Fall ganz ungeahnte Einblicke in die Entstehung mancher scheinbarer hervorragenden \u201eBegabungen\u201c. Es handelt sich um einen nahen Verwandten und sehr guten Bekannten von mir, welcher f\u00fcr Zahlen ein ungew\u00f6hnliches, f\u00fcr Daten ein ganz abnorm ausgebildetes Ged\u00e4chtnis besitzt. Von den unwichtigsten Ereignissen der Geschichte oder, besser noch, seines eigenen Lebens kann er zuweilen mit einer solchen Bestimmtheit und Treffsicherheit Datum und Jahreszahl angeben, dafs er selbst nicht selten dar\u00fcber erstaunt. Von den wichtigeren Ereignissen der Weltgeschichte, soweit sie sich genau datieren lassen, d\u00fcrften relativ wenige zu finden sein, zumal unter den kriegerischen (mit diesen besch\u00e4ftigte er sich als Knabe am liebsten und h\u00e4ufigsten), deren Daten und Jahre er nicht \u201eauf Anhieb\u201c angeben kann. Geburts- und Todestage ber\u00fchmter Pers\u00f6nlichkeiten pflegt er ebenfalls mit \u00fcberraschender Pr\u00e4zisit\u00e4t anzugeben, er konnte mir z. B. ohne jede Vorbereitung die Todestage und -jahre der gesamten deutschen Herrscher von Friedrich I. Barbarossa bis zu Ludwig dem Baiern fehlerlos angeben, selbst die von Otto IV. und Friedrich dem Sch\u00f6nen mit einziger Ausnahme Konrads IV., ferner die Tage aller ber\u00fchmteren Schlachten dieser Epoche (Legnano, Bouvines, Cortenuova, Wahlstatt, Fossalta, Benevent, Tagliacozzo, Marchfeld, G\u00f6llheim, Lucka, M\u00fchldorf) u. s. w. Es ist dies nur eine Stichprobe, und es mufs ausdr\u00fccklich betont werden, dafs er in anderen Epoohen der Weltgesohiohte ebenso bezw. doch fast ebenso bewandert ist. Die s\u00e4mtlichen Schlachten Friedrichs des Grofsen oder die Napoleons des Grofsen seit seinem Zuge nach \u00c4gypten aufzuz\u00e4hlen nach Jahr und Tag, ist thats\u00e4chlich eine Kleinigkeit f\u00fcr ihn, ebenso leicht aber wufste er bei einer Probe, der er sich unterzog, auch die Geburts* und Sterbetage","page":216},{"file":"p0217.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Synopsten.\n217\nund -jahre folgender ber\u00fchmter Personen, welche nicht Staats* m&nner oder Feldherren waren, fehlerlos anzugeben: Coper* nie ns, Luther, Tasso, Bacon, Shakespeare, Galilei, Kepler, Paul Gerhard, Newton, Joh. Seb. Bach, Voltaire\u00bb Kant, Lessing, Moses Mendelssohn, Wieland, Herder, Goethe, Schiller, der beiden Humboldts, Mozart, Bee* thoven, Tegn\u00e9r, Meyerbeer, Carl Loewe, H. v. Kleist, Schubert, Heine, Felix Mendelssohn, Lenau, Darwin, Wagner, Freiligrath, Geibel, Scheffel, Helmholtz, Heinr. Hertz und vieler Anderer.\n\u00dcber diese merkw\u00fcrdige F\u00e4higkeit hat er sich selbst folgendermafsen schriftlich ge\u00e4ufsert: \u201eAuf der Schule zeichnete ich mich im Kopfrechnen und in der Mathematik nicht gerade auffallend aus, trotzdem ich wohl von mir behaupten kann, das Durchsohnittsmafs stets \u00fcberragt zu haben. Ich glaube auch, bei etwas mehr Fleifs und weniger Unaufmerksamkeit h\u00e4tte ich ein sehr t\u00fcchtiger Mathematiker werden k\u00f6nnen. Der ungew\u00f6hnliche Gang der Entwickelung erstreckte sich nach wie vor auf das Ged\u00e4ehtnis f\u00fcr Zahlen. Der Geschichts* unterricht des Gymnasiums reizte mich ganz besonders, und schon in der Quinta und Quarta war ich bei manchen meiner Lehrer daf\u00fcr bekannt, alle wichtigen Geschichtszahlen zu wissen. Gesohichtswerke, besonders solche, in denen recht viele Zahlen vorkamen,verschlang ich mit nicht weniger Begierde, als Indianer* b\u00fbcher. Dabei war es bemerkenswert, dafs es eigentlich nur die Zahlen waren, die mich so sehr interessierten; f\u00fcr den Zusammenhang der einzelnen Ereignisse, Verfassungsgeschichte etc. zeigte ich durchaus nicht viel mehr Verst\u00e4ndnis, als man es gew\u00f6hnlich findet. Dagegen behielt ich Jahreszahl und Datum auch von solchen Ereignissen, die mich gar nichts weiter an* gingen und bo unbedeutend wie nur m\u00f6glich waren. Nur selten kam es vor, dafs ich eine schon gewufste Zahl wieder vergafs oder verwechselte. Dennoch habe ich mich w\u00e4hrend meiner Schulzeit auch nicht einen Augenblick hingesetzt, um Geschichtszahlen zu \u201eochsen\u201c, nur sehr selten brauchte ich mir \u00fcberhaupt erst vorzunehmen, eine Zahl behalten zu wollen, und in den noch selteneren F\u00e4llen, wo ich unter den zum Lernen aufgegebenen Zahlen eine fand, die ich noch nicht wuiste, gen\u00fcgte ein einziger Blick darauf, um sie dauernd mir einzupr\u00e4gen. So ist es denn gekommen, dafs ich von fast","page":217},{"file":"p0218.txt","language":"de","ocr_de":"218\nBichard Hennig.\nollen wichtigen und einer grofsen Menge unwichtiger, jo nebens\u00e4chlicher Ereignisse Jahreszahl und Datum ohne weiteres sofort angeben kann.\u201c\nDen Grund f\u00fcr dieses seltene Zahlenged\u00e4chtnis sucht mein Gew\u00e4hrsmann einzig und allein in der Form se iner Diagramme (er besitzt solche f\u00fcr Zahlen, Monate, Wochentage, Tagesstunden und Buchstaben). Chromatische Synopsien kennt er nicht. Der Hauptgrund f\u00fcr die leichte Unterscheidbarkeit der zahllosen Daten der Weltgeschichte liegt aber seiner Meinung nach in gewissen Charakterz\u00fcgen, bezw. Gesichtseindr\u00fccken, welohe ihm die einfachen wie die zweistelligen Zahlen und Daten zu haben scheinen. Es handelt sich hier also um eine Art von Personifikation bezw. Charakterisierung der Zahlen, wie sie zuweilen bei verschiedenen Individuen vorkommt. Flournoy f\u00fchrt mehrere diesbez\u00fcgliche F\u00e4lle an ; bei einer von ihm befragten Dame ging diese Erscheinung so weit, dafs sie nicht nur die Zahlen in m\u00e4nnliche und weibliche teilte, sondern u. a. auch angab, 9 sei der Ehemann der 8, er liebe es, alle m\u00f6glichen Arzneien einzunehmen, und mache ganz den Eindruck eines eingebildeten Kranken u. s. w. Auch bei dem von mir schon mehrfach erw\u00e4hnten Herrn Pollack zeigen sich solche Eigent\u00fcmlichkeiten: 1 und 5 sind m\u00e4nnlich,\n2,\t4, 8 und 9 weiblich, 1 ist ein Kind, 3 ein \u201efrecher Junge\u201c,* 1 * * 6 macht ihm einen weichlichen Eindruck. Schon Galton war mit dieser Erscheinung vertraut, denn er sagt auf S. 144 von den Ziffern: \u201eSie werden oft von Kindern personifiziert und ihnen Charaktere beigelegt (dramatised), vielleicht wegen eines Grundes, der im Einmaleins mitspielt, vielleicht auch infolge einer eigent\u00fcmlichen Assoziation mit ihrem Aussehen oder ihrem Klang.u\nAuch mein Gew\u00e4hrsmann erinnert sich, da\u00fcs ihm einige einstellige Ziffern8 sohon in der ersten Zeit, wo er sich mit Zahlen besch\u00e4ftigte, einen Charakter zu haben schienen, so die\n3,\t5, 6 und 9 einen heiteren, w\u00e4hrend ihm die 4 etwas furcht-einfl\u00f6fsend aussah, weil ihr erster Strich den Gedanken an eine drohend emporgehobene Keule erweckte. Der Charakter-\n\u2022 \u2022\n1 Vielleicht wegen der \u00c4hnlichkeit mit dem Worte \u201edreist\u201c?\n* Nur die Zahlzeichen. R\u00f6mische Ziffern erwecken den Eindruck\nnicht.","page":218},{"file":"p0219.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Synopsien.\n219\nemdruck der Zahlzeichen hat sich im Laufe der Jahre kaum merklich ver\u00e4ndert, nur ist er verblafst, w\u00e4hrend derjenige der Monatsdaten an Intensit\u00e4t betr\u00e4chtlich zugenommen hat. \u00dcber den Eindruck der Zahlen schreibt mein Gew\u00e4hrsmann folgendes : \u201eMir scheint ein jedes Zahlzeichen einen bestimmten Gesichtsausdruck zu besitzen: die 1 einen gleichg\u00fcltigen, die 2 einen ernsten, die 3 einen heiteren, die 4 einen energischen, die & einen stillvergn\u00fcgten, die 6 einen schelmischen,1 die 7 einen zornigen, die 8 einen eingebildeten, die 9 einen klug \u00fcberlegenden, die 0 einen verschlossenen Gesichtsausdruck.2\n\u201eDa es in psychologischer Hinsicht w\u00fcnschenswert sein d\u00fcrfte, noch weiteres derartiges Material zu sammeln, will ich noch erw\u00e4hnen, dafs auch viele zweistellige Zahlen, besonders, soweit sie im Datum noch Anwendung finden, wieder einen ganz eigenartigen Eindruck auf mich aus\u00fcben, so besonders die 14 (selbstbewufst), die 18 (heroisch, wohl wegen der zahlreichen Siege, die in der preufsischen Geschichte an Daten mit dieser Zahl erfochten wurden), die 19 (schwerm\u00fctig), die 20 ist mir geradezu verhafst (wegen mehrerer schwerer Ungl\u00fccksfalle, die mich an solchen Tagen trafen), auch die 24 und 28 sind mir \u2014 wenn ich so sagen darf \u2014 unsympathisch (aus \u00e4hnlichem Grunde), die 81 scheint mir besonders anheimelnd zu sein (mein Geburts- und Lieblingshaus tr\u00e4gt diese Nummer), und so k\u00f6nnte ich noch manche andere Beispiele anfuhren, f\u00fcr die ich teilweise auch die Begr\u00fcndung anzugeben weifs. \u00dcbrigens will ich bemerken, dafs die charakteristischen Eigent\u00fcmlichkeiten nichts fest Gegebenes sind, sondern dafs sie sich selbst jetzt noch manchmal in geringen Grenzen \u00e4ndern/\nDiese letzte Bemerkung bezieht sich nach einer sp\u00e4teren Erkl\u00e4rung nur auf die Daten, deren Ausdruck durch jedes wichtige neue Erlebnis beeinflufst werden kann. Fr\u00fcher (vor\n1 Diesen Eindruck schreibt er dem Umstande zu, dafs die 6 im Gegensatz zu allen anderen Zahlen eine nach rechts ge\u00f6ffnete Kurve hat.\n* Eine Unterscheidung in m\u00e4nnliche und weibliche Individuen kennt er nicht, doch meint er, wenn er sich zu einer Entscheidung zwinge, so k\u00f6nnte er alle Ziffern nur f\u00fcr m\u00e4nnlich halten. \u00dcbrigens teilt mir mein Bruder Ernst mit, dafs die Italiener ihren Buchstaben verschiedene Geschlechter beilegen, \u201ewobei teils provinzielle, teils individuelle Unterscheidungen mafsgebend sind: die Einen betrachten sie alle als m\u00e4nnlich; die Anderen alle als weiblich, und wieder Andere machen Unterschiede nach dem Endvokale des Buchstabennamens w","page":219},{"file":"p0220.txt","language":"de","ocr_de":"220\nRichard Hcnmg.\nsechs bis sieben Jahren ungef\u00e4hr) waren seine liebsten Monatstage der 4., 7., 14., 19. und 26., heut sind ihm der 1., 8., 13., 18., 22. und 27. mindestens ebenso lieb. Doch sind ihm in einigen Monaten einzelne dieser Tage weit lieber, als in anderen. Er erkl\u00e4rt, vielen Daten mit einer geradezu heftigen Sympathie bezw. Antipathie gegen\u00fcberzustehen, anderen hinwiederum gleichg\u00fcltiger, aber jedes Datum macht einen bestimmten, unverkennbaren Eindruck, der im wesentlichen bestimmt werden kann durch hervorragendere Ereignisse, welche an diesem Tage stattfanden. Vor Jahresfrist (Juli 1894) schrieb er dar\u00fcber: \u201eMein Lieblingsmonat ist der Dezember (nat\u00fcrlich wegen der Weihnachtszeit), mein Lieblingsdatum augenblicklich der 1. November1 (aus hier nicht n\u00e4her zu er\u00f6rternden Gr\u00fcnden). Ich empfinde f\u00fcr die Daten Sympathie, Antipathie oder Gleichg\u00fcltigkeit, wie Menschen gegen\u00fcber. Wenn von Caesar berichtet wird, das Lesen in der Grammatik, eine Besch\u00e4ftigung, die von anderen Menschen als etwas Unangenehmes, oder doch mindestens nicht als etwas W\u00fcnschenswertes empfunden wird, habe ihm ein besonderes Vergn\u00fcgen bereitet, so kann ich von mir behaupten, dafs ich eine eigent\u00fcmliche Freude daran empfinde, ganze Tafeln von Zahlen, etwa von Logarithmen, oder noch lieber von Daten zu \u2014 studieren.\u201c\nEs mufs dazu noch bemerkt werden, dafs das Ged\u00e4chtnis meines Gew\u00e4hrsmannes f\u00fcr andere Gegenst\u00e4nde durchaus von der gew\u00f6hnlichen Art ist, es ist also ganz einseitig entwickelt; um so deutlicher beweist dies, dafs lediglich in der originellen Form der Synopsien der Grund jener, \u201eBegabung\u201c gesucht werden kann. Es mufs ausdr\u00fccklich hervorgehoben werden, dafs Ereignisse, welche an sympathischen Daten eintraten, ungleich leichter behalten werden, als andere.\nSeine ganze Geistesentwickelung ist wesentlich von jener merkw\u00fcrdigen F\u00e4higkeit beeinflufst worden. Da er von Beruf Meteorologe ist, so besch\u00e4ftigt er sich am liebsten mit historisch-statistischen Gegenst\u00e4nden dieses Gebietes, aber auch jede andere Datumangabe auf Jahr und Tag genau ist ihm stets willkommen, da sie stets nicht nur seinen Verstand, sondern auch sein Gem\u00fct besch\u00e4ftigt.\n1 Jetzt, im Jali 1895, m\u00f6chte er diese Aussage nicht mehr mit solcher Bestimmtheit machen, ln fr\u00fcheren Zeiten (1888) war der 19. Dezember sein Lieblingsdatum.","page":220},{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"Entstehung und Bedeutung der Sgnopsien.\n221\nSonderbar ist es, dafs bei ihm die Diagramme f\u00fcr Daten, Jahreszahlen etc., trotz ihrer so engen Beziehungen zu einander, immer als v\u00f6llig gesondert empfunden werden. Wenn ein Ereignis nach Jahreszahl und Datum angegeben wird, so wird es doppelt lokalisiert, im Jahres- und im Monatsdiagramm. Wenn er z. B. von der Schlacht bei Gravelingen (13. Juli 1668) h\u00f6rt \u2014 bei diesem Datum bemerkte er zuerst die Trennung der Diagramme \u2014 so sieht er etwa in seinem Zahlendiagramm die Stelle zwischen 1558 und 1559, dann scheint dies Diagramm zur\u00fcckzutreten und zu verschwinden, daf\u00fcr erscheint an genau derselben Stelle das Datendiagramm im Gesichtsfelde mit dem 13. Juli im Vordergr\u00fcnde. Wird hingegen ein Ereignis auf Wochentag und Tageszeit genau angegeben, z. B. Friedrich der Grofse starb Donnerstag den 17. August 1786, morgens 2h 20', so erscheint etwa nach dem Jahreszahlen- und Datendiagramm ganz unabh\u00e4ngig von ihnen das Wochentags-, und dann abermals gesondert das Tageszeitdiagramm.\nNicht immer geht der Prozefs in dieser Weise von statten, es kommen Variationen vor, zumal wenn ein Bestandteil der genauen Zeitangabe (meist handelt es sich j\u00df, nur um Jahr und Datum) besonders hervortritt. Manchmal aber, wenn anfangs das Ged\u00e4chtnis zu versagen scheint, ist auch der Eindruck vorhanden, als ob pl\u00f6tzlich eine innere Stimme das Fehlende zufl\u00fcsterte. So erz\u00e4hlt er z. B., dafs er k\u00fcrzlich des Morgens wach im Bette liegend an Moses Mendelssohn dachte. Er wufste seinen Todestag und, dafs er im selben Jahre wie Lessing geboren sei; auf den genauen Geburtstag aber konnte er sich trotz l\u00e4ngeren Nachdenkens nicht besinnen. Da mit einem Male, blitzartig, durchzuckte ihn der Gedanke : m6. Septemberu, als ob er einen Anderen diese Worte aussprechen h\u00f6rte, und im selben Moment war er auch \u00fcber die [Richtigkeit dieser Angabe nicht mehr im geringsten im Zweifel. \u00c4hnliche Beispiele hat er oft an sich beobaohtet.\nDieser von mir ausf\u00fchrlich mitgeteilte Fall kann als typisches Beispiel f\u00fcr die hohe Bedeutung angesehen werden, welche zuweilen den Synopsien zukommt. Er d\u00fcrfte zur Gen\u00fcge beweisen, dafs diese seltsamen Erscheinungen ernster Beachtung wert sind, und dafs sie nioht nur als wissenschaftliche Spielerei und als interessante Unterhaltung angesehen werden d\u00fcrfen. Vielleicht k\u00f6nnen weitere Selbstbeobachtungen","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"222\nRichard Hennig.\nder zahllosen \u201ePositiven\u201c neues, wichtiges Material sowohl \u00fcber die Entstehung wie \u00fcber die Bedeutung der Synopeien herbeischaffen. Ich m\u00f6chte glauben, dafs man dadurch manchen beachtenswerten Einblick in das noch so unbekannte Wesen der psychischen Funktionen und die Entwickelung so mancher scheinbar angeborener F\u00e4higkeiten erh\u00e4lt.","page":222}],"identifier":"lit29876","issued":"1896","language":"de","pages":"183-222","startpages":"183","title":"Entstehung und Bedeutung der Synopsien","type":"Journal Article","volume":"10"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:35:59.295874+00:00"}