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{"created":"2022-01-31T14:37:16.534699+00:00","id":"lit29883","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Bruchmann, K.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 10: 246-247","fulltext":[{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246\nLitteraturbericht.\nDas sehr ausf\u00fchrliche Sachregister hat der Sohn des Verfassers, dessen erste geistige Entwickelung in den Jahren 1877\u201480 vorzugsweise in diesem Buche beschrieben wurde, angefertigt.\nDie chronologische \u00dcbersicht der psychogenetisoh wichtigen That-Sachen ('S. 418\u2014445), welche nicht allein M\u00fctter, sondern auch Kinder\u00e4rzte sehr n\u00fctzlich gefunden haben, wurde deshalb beibehalten und mit B\u00fccksicht auf die neue Paginierung genau revidiert. Wer dieselbe aber zu eigenen Beobachtungen benutzen will, wird wesentliche Erg\u00e4nzungen in des Verfassers \u201eAnleitung zur F\u00fchrung eines Tagebuches \u00fcber die geistige Entwickelung kleiner Kinder von der Geburt anu (S. 139\u2014201 der vorhin erw\u00e4hnten Schrift) finden.\nB\u00fcdolf Lehmann. Sohopevhator. Bin Beitrag sur Psychologie der Metaphysik. Berlin, Weidmannsche Buchhandlung. 1894.\t200 S\n4 Jk\nPsychologie der Metaphysik ist die Methode, eine Metaphysik psychologisch aus der Eigenart ihres Sch\u00f6pfers und aus seiner Zeit zu erkl\u00e4ren. Jeder Metaphysiker ist ein kulturgeschichtliches und psychologisches Problem, und es l\u00e4flst sich mit Beoht erwarten, dafs dies an einem Denker (wie hier an Schopenhauer) gel\u00f6ste Problem durch Inhalt und Methode der Untersuchung auch anderen F\u00e4llen zu gute kommt. Untersuchungen dieser Art sind ein Zeichen, dafs die etwas hypnotisierte Sch\u00e4tzung des \u201emilieu\u201c bei der geschichtlichen Erkenntnis der richtigeren Methode Platz zu machen beginnt, welche der Eigenart bedeutender Menschen wieder mehr Gewicht beilegt, um ihre Wirksamkeit zu erkl\u00e4ren. Und selbst wenn sich heraussteilen sollte, dafs wir immer noch mehr begreifen, wie solche Menschen wirken, als dafs sie auftreten mufsten, so haben wir doch durch diese Psychologie der Methaphysik alles gethan, was bei der approximativen Natur des geschichtlichen Erkennen* m\u00f6glich ist. W\u00e4hrend eine Klasse von Philosophen wesentlich zur Forschung durch einen Zweifel, eine Frage angeregt wird, geh\u00f6rt Sch. zu den anderen, welche, von einer genialen Anschauung ausgehend, diese zu einem philosophischen Weltbilde zu gestalten suchen. Um ihn zu verstehen, haben wir zun\u00e4chst zu fragen, wie sich Charakter und Leben in seiner Lehre spiegeln. Sein wildes, heftiges, egoistisches, unruhig gequ\u00e4ltes Temperament dr\u00e4ngte ihn, in der Gedankenstille der Kontemplation jene Welt, die ihm unangenehmes Beizmittel und Schrecknis war, in die reinen Formen der Abstraktion aufzul\u00f6sen und eine brennende Begierde, wie z. B. den Ehrgeiz, durch die \u00dcberlegung zu beschwichtigen, dafs nicht eigentlich der Ruhm, sondern das, wodurch man ihn verdient, das Wertvolle sei. Da aber, wie der Verfasser \u00fcberzeugend darlegt, nicht der \u00e4sthetische, sondern der moralische Gedanke das Zentrum des Systems von Sch. bildet, so mufste er sich mit dem Gegensatz von Gut und B\u00f6se abfinden. Die psychologische Methode fragt nun hier wieder: was ist der selbstgedaohte, selbsterlebte Inhalt mit dem der Philosoph die beiden Begriffe erf\u00fcllt? Seine eigene Er-fahrung gab ihm die Antwort, dafs b\u00f6se im Grunde ein \u00fcberaus heftiger f weit \u00fcber die Bejahung des eigenen Lebens liinausgehender Wille zum","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht\n247\nLeben ist. Bas Gute wird also zun\u00e4chst Beruhigung dieses Willens durch Kontemplation sein. Da wir aber durch Erfahrung und \u201ePhan* tasie\u201c auch fremdes Leid zu w\u00fcrdigen verstehen, so wandeln sich alle erkannten Qualen leicht in empfundene. Folglich ist blolse Kon* templation kein gen\u00fcgendes Heilmittel gegen die Welt; das ethische Ziel wird vielmehr eine Linderung fremder Leiden, eine F\u00f6rderung fremden Wohles aus Mitleid sein. Noch besser freilich w\u00e4re es, wenn das Mit* leid durch Beseitigung alles Wollens gegenstandslos w\u00fcrde. Kurz: die Schopenhauers Philosophie im tiefsten Grunde bestimmende Triebfeder ist das Streben nach Befreiung von starken und peinigenden Instinkten. \u00dcber Sch. hinaus ist es aber ferner f\u00fcr das Wesen des metaphysischen Denkens \u00fcberhaupt belehrend, dafs die erkenntnistheoretischen und psychologischen Begriffe und Gedankenz\u00fcge der Vernunftkritik ins Metaphysische hin\u00fcbergezogen und umgedeutet werden, so dais er das kritisch Negative Kants in ein positiv Metaphysisches verwandelt. Als allgemeinsten Trieb daf\u00fcr werden wir die Neigung jedes rechtschaffenen Metaphysikers ansehen m\u00fcssen, das Problem des Wandels und Vergehens, alle Erscheinungen der Welt bis zu einem letzten Grunde zu verfolgen, bei dem wir Anker werfen k\u00f6nnen. Da auch Sch. die Welt aus dem menschlichen Geiste verstehen will und ihm das Selbstbewusstsein Quelle metaphysischer Welterkl\u00e4rung ist, so darf es nicht wunder nehmen, dafs er rein psychologischen Erkenntnissen Geltung \u00fcber die Erfahrung hinaus giebt, und dafs bei ihm Psychologie und Metaphysik ineinander ver-fliefsen. Endlich kommen f\u00fcr Erkl\u00e4rung seiner Philosophie geschichtliche Verh\u00e4ltnisse in Betracht, wie der Kampf zwischen Romantik und Rationalismus. Wer den Willen als das B\u00f6se betrachtet, hat an sich Neigung f\u00fcr den Pessimismus; \u00fcber diese pers\u00f6nliche Anschauung hinaus war aber nach Ansicht des Verfassers der Pessimismus eine geschichtliche Notwendigkeit, eine Reaktion der moralischen gegen die \u00e4sthetische Weltanschauung, ein Widerspruch gegen eine allzu freundliche und einseitig das Helle hervorhebende Betrachtungsweise.\nDie, wie mir scheint, wohldurchdachte und anziehende Darstellung des Verfassers zerf\u00e4llt aufser einer Einf\u00fchrung in die vier Kapitel: 1. Pers\u00f6nlichkeit und Philosophie, 2. Romantik und Rationalismus| 3. Monismus und Ethik, 4. die Methode Schopenhauers, so dafs der erste und vierte Abschnitt haupts\u00e4chlich zur psychologischen Erkl\u00e4rung dieser Metaphysik beitr\u00e4gt. Zu der auch vom Verfasser abgelehnten Behauptung, Sch. habe das Wesen der Musik zu erleuchten gewufst, wie keiner vor ihm, kann man den Verfasser S. 171 f. und den Aufsatz \u201e\u00dcber Schopenhauers Theorie von der Musikw in Gottschalls Zeitschrift Unsere Zeit 1880. S. 730\u2014748, vergleichen.\tK. Bruchmann.\nE. Kraepelin. Psychologische Arbeiten. Bd. 1. Heftl. Leipzig, W. Engelmann. 1805. 208 S.\nDas vorliegende erste Heft enth\u00e4lt einen Aufsatz Kraepelins und zwei Arbeiten seiner Sch\u00fcler. Erster er ist betitelt: \u201eDer psychologische Versuch in der Psychiatrie.\u201c Die Zweckm\u00e4fsigkeit der Einf\u00fchrung des psychologischen Versuches in die Psychiatrie ist unbestreitbar. Dagegen ist","page":247}],"identifier":"lit29883","issued":"1896","language":"de","pages":"246-247","startpages":"246","title":"Rudolf Lehmann: Schopenhauer. Ein Beitrag zur Psychologie der Metaphysik. Berlin, Weidmannsche Buchhandlung. 1894. 200 S.","type":"Journal Article","volume":"10"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:37:16.534705+00:00"}