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{"created":"2022-01-31T14:51:01.344523+00:00","id":"lit30001","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Schroeder, F.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 11: 74-77","fulltext":[{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\nLitter a turbericht.\nausgerotteten Stammes von den Weibern. Dieser soziale Bilinguismus erscheint \u00fcbrigens z. B. bei den Engl\u00e4ndern nach der normannischen Einwanderung als Vorstufe der Hybridit\u00e4t; es ist, wie ich meine, interessant genug, dafs noch Scott im Ivanhoe unter alleiniger Verwendung moderner Elemente die Sprache des Siegers als normannisch, die des Besiegten als angels\u00e4chsisch charakterisieren kann. Auch hier \u00fcbrigens wird vom Verfasser auf das eigentliche psychologische Problem, wieso dem Sprachgenossen gegen\u00fcber sich ebenso sicher und richtig immer die Standessprache einstellt, wie anderen gegen\u00fcber die Gemeinsprache, nicht weiter eingegangen.\nM\u00f6chte doch die moderne Psychologie dieser und \u00e4hnlicher Fragen der Linguistik sich einmal annehmenI\tP. Skutsch (Breslau).\nA. Marty. \u00dcber subjektlose S\u00e4tze und das Verh\u00e4ltnis der Grammatik zu Logik und Psychologie. Sieben Artikel. Vierteljahr sehr. f. wiss. Phil. Art. 1: Bd. VIII. S. 56-94. Art. 2: ebenda S. 161\u2014192. Art. 3: ebenda S. 292\u2014340. Art. 4: Bd. XVIII. S. 320\u2014356. Art. 5: ebenda S. 421\u2014471. Art. 6: Bd. XIX. S. 19\u201487. Art. 7: ebenda S. 263\u2014334.\nIm Gegens\u00e4tze zu der durch ihr Alter geheiligten Lehre, dafs das Urteilen im Beziehen zweier Vorstellungen aufeinander bestehe und vom Vorstellen nicht wesentlich verschieden sei, hat Brentano die Ansicht aufgestellt und begr\u00fcndet, dafs Urteilen soviel sei, wie Anerkennen und Verwerfen, und dafs zwar der Gegenstand eines Urteils eine Vorstellung, das Urteilen selbst aber vom Vorstellen toto genere verschieden und neben diesem und den Gef\u00fchlen als ein nicht weiter ableitbares Verhalten der Seele zu betrachten sei. Er st\u00fctzt sich in seiner Begr\u00fcndung besonders auf das Impersonale und den Existentialsatz, in denen ja von einer Beziehung zweier Vorstellungen aufeinander nicht die Bede sein k\u00f6nne. Diese Lehre hat viel Widerspruch gefunden, aber auch Zustimmung. Von sprachwissenschaftlicher Seite ist zu Brentano ein besonders willkommener Bundesgenosse gestofsen, der bekannte Slavist Miklosich, der in seiner kleinen, aber inhaltsreichen Schrift \u201e Subjektlose S\u00e4tze, 2.1883\u201c sich ganz auf den Standpunkt der Brentano-schen Urteilstheorie stellt, nachdem er dargelegt, dafs keine andere Erkl\u00e4rung die eigenartige Erscheinung der Impersonalien verst\u00e4ndlich zu machen verm\u00f6ge. Im Anschlufs an Miklosichs Schrift hat es nun Marty bereits im Jahre 1884 unternommen, die Frage der Impersonalien bis in ihre letzten Gr\u00fcnde zu verfolgen, und so ist aus einer Abhandlung \u00fcber die sog. subjektlosen S\u00e4tze eine Untersuchung \u00fcber das Verh\u00e4ltnis des sprachlichen Ausdruckes zu dem ausgedr\u00fcckten Gedanken geworden. Die im Jahre 1884 begonnene Artikelreihe ist aber erst im Jahre 1894 fortgesetzt worden und vor kurzem zum Abschlufs gekommen, nachdem sich in der langen Zwischenzeit von allen Seiten Stimmen gegen seine Auffassung, welche im wesentlichen mit der Miklosichs \u00fcbereinstimmt, erhoben hatten. Der Gang der Untersuchung Martys ist folgender:\nEhe er an die Frage nach der Bedeutung der unpers\u00f6nlichen S\u00e4tze herantritt, weist er irrige Ansichten \u00fcber das Verh\u00e4ltnis von Denken und Sprechen zur\u00fcck und erkl\u00e4rt es im Gegens\u00e4tze zu einer","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Litter a turbericht.\n75\nReihe geachteter Forscher f\u00fcr geboten, die Bedeutung des Gedankens aufzusuchen, ohne sich durch die R\u00fccksicht auf das sprachliche Gewand, in dem er erscheint, bestimmen zu lassen. Die mannigfachen Deutungen der Impersonalien, die man vom Standpunkte der gew\u00f6hnlichen Urteilstheorie versucht hat, werden s\u00e4mtlich abgewiesen; auch diejenigen, welche nach dem Erscheinen der ersten drei Artikel ver\u00f6ffentlicht worden sind, haben kein besseres Schicksal: in einem Nachtrage, dem vierten und f\u00fcnften Artikel, sowie Artikel 6 bis Seite 51 sucht Marty sie eingehend zu widerlegen. Das Ergebnis ist: Wer nicht zu einer gezwungenen Deutung greifen will, mufs zugeben, wie das ja schon von manchen Forschern geschehen ist : die Bedeutung des unpers\u00f6nlichen Satzes ist ein Setzen oder Leugnen eines Vorganges schlechtweg. Da es nun aber nicht angeht, in derartigen Urteilen Ausnahmen zu sehen, so gilt es, eine Urteilstheorie zu suchen, die diesen subjektlosen so gut gerecht wird, wie den aus Subjekt und Pr\u00e4dikat bestehenden. Als solche bietet sich einzig und allein die von Brentano, der \u00fcbrigens schon mehrere Logiker, Mill, \u00dcberweg und Sigwart, nahe gekommen sind. Brentanos Lehre wird dann ausf\u00fchrlich erl\u00e4utert und nun die Frage gestellt, die als die Kernfrage der ganzen Untersuchung anzusehen ist: wie ist der Schein, dafs Impersonale und Existentialsatz Subjekt und Pr\u00e4dikat haben, entstanden? Wer hierauf die rechte Antwort geben will, f\u00fcr den ist es erstes Erfordernis, \u00fcber das Wesen der inneren Sprachform ins klare zu kommen, das von unseren angesehensten Forschern immer noch in verh\u00e4ngnisvoller Weise verkannt wird. W\u00e4hrend Wundt, Steinthal u. A. diese f\u00fcr die Bedeutung selbst halten, weist Marty \u00fcberzeugend nach, dafs sie vielmehr nur eine Nebenvorstellung ist. Wenn es galt, einen neuen Gedanken sprachlich auszudr\u00fccken, so wurde stets der Weg eingeschlagen, dafs man einem bereits vorhandenen sprachlichen Ausdrucke einen neuen, zweiten Wert beilegte. Die gew\u00f6hnliche, bisherige Bedeutung des betreffenden Ausdruckes (z. B. Vorstellen, Begreifen, Grund, Erschrecken eigentlich soviel, wie Aufspringen) mufste und sollte nat\u00fcrlich ebenfalls, und zwar zun\u00e4chst, ins Bewufstsein des H\u00f6renden treten; aber sie spielte nur die Rolle einer H\u00fclfsvorstellung, welche auf den Hauptgedanken, die wirklich gemeinte neue Bedeutung, hinzuf\u00fchren bestimmt war. Der inneren Sprachform, so f\u00fchrt Marty weiter aus, begegnen wir nun auch auf dem Gebiete der Syntax und insbesondere bei dem subjektlosen und dem Existentialsatze. Ein urspr\u00fcnglich sinnvolles Verbum (ist) wurde als blofses Zeichen der Anerkennung verwandt und ein urspr\u00fcnglich sinnvolles Pronomen (es) oder auch blofs die auf den Tr\u00e4ger einer Handlung hinweisende Personalendung bei der Behauptuug eines blofsen Vorganges. Um nachzuweisen, wie es kommen konnte, dafs auch diese einfachen Urteile in dem Gew\u00e4nde zweigliedriger S\u00e4tze erscheinen, untersucht Marty die Natur des kategorischen, d. h. zweigliedrigen Urteils. Er sieht darin mit Brentano ein Doppelurteil, in welchem auf ein einfaches anerkennendes Urteil, das als Subjekt erscheint, ein zweites aufgebaut ist, und zeigt nun, welche grofse Bedeutung die Pr\u00e4dikation f\u00fcr unser Denken gehabt hat und noch hat, insofern gerade sie es erm\u00f6glichte, die durch Analyse eines Anschauungsganzen","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nLitteraturbericht.\ngewonnenen Teile synthetisch auf das Ganze zu beziehen und auch \u00fcber das Gebiet der einheitlichen Anschauungen und weiter des Anschaulichen \u00fcberhaupt hinaus Synthesen vorzunehmen, worauf denn alle unsere Dingvorstellungen zur\u00fcckgehen. Dann wird auch nach der inneren Form dieser kategorischen Aussagen gefragt, und es ergiebt sich, dafs die gew\u00f6hnliche Auffassung, als handle es sich hei der Beziehung des Pr\u00e4dikates zum Subjekte \u00fcberall um das Verh\u00e4ltnis von Accidens und Substanz, auf einer T\u00e4uschung beruht, dafs vielmehr dieses Verh\u00e4ltnis und speziell das Thun und Leiden einer Person in der Entwickelung unserer indogermanischen Sprachen nur eine \u00fcberwiegende Bedeutung gewonnen hat und dann zur inneren Form f\u00fcr ganz anders geartete Verh\u00e4ltnisse in kategorischen Urteilen, die Subsumtion, den kontinuierlichen Zusammenhang und die kollektive Zusammengeh\u00f6rigkeit, geworden ist. Ein weiterer Abschnitt, \u00fcberschrieben \u201eVom Ausdruck einfacher Urteile\u201c, zeigt, dafs die so ausgebildete kategorische Form auf Urteile \u00fcbertragen wurde, die gar nicht kategorisch sind, und zwar nicht nur auf solche, deren Materie zusammengesetzt ist (einige Menschen sind kupferrot = es giebt kupferrote Menschen ; kupferrote Menschen ist die zusammengesetzte Urteilsmaterie, es giebt Zeichen der Setzung), sondern auch auf Urteile mit einfacher Materie, d. h. diejenigen Existentialurteile, die in der Gestalt des Existentialsatzes und des Impersonale erscheinen. Die subjektlosen S\u00e4tze sind also, was vielfach, u. A. auch von Miklosich, bestritten worden ist, erst aus subjektischen hervorgegangen. Dann werden die verschiedenen Klassen der thetischen Aussagen, d. h. aller derjenigen, die eine blofse Setzung enthalten, voneinander gesondert und die Grenzen zwischen subjektivischer und subjektloser Aussage, d. h. zwischen scheinbarem und wirklichem Impersonale, gezogen. Ein Schlufswort handelt von der Beziehung zwischen Grammatik, Logik und Psychologie. Jeder dieser Wissenschaften wird ihr Hecht. Es zeigt sich, dafs Becker im Fehler war, wenn er die Grammatik auf die Logik aufbaute, aber ebensowohl Steinthal, wenn er sie ganz von ihr trennte, und andererseits die Mehrzahl unserer neueren Logiker, wenn sie sich von dem sprachlichen Ausdrucke nicht frei und unabh\u00e4ngig machen und zwischen innerer Sprachform und Bedeutung nicht unterscheiden k\u00f6nnen.\nIm ganzen darf der Nachweis, dafs die gew\u00f6hnliche Lehre vom Urteile unrichtig, dafs also die sog. subjektlosen S\u00e4tze Ausdr\u00fccke wahrhaft Subjekt- und pr\u00e4dikatloser Urteile sind, und dais jener Irrtum auf einer Verkennung des Wesens der inneren Sprachform beruht, als erbracht gelten. Im einzelnen wird die weitere Forschung vielleicht zu anderen Ergebnissen f\u00fchren. Jedenfalls gilt von den Urteilen, die Marty kategoroid nennt, d. h. von den thetischen Urteilen mit zusammengesetzter Materie, von den modifizierenden Pr\u00e4dikaten u. a., dafs da noch vieles strittig ist. Ist doch auch in den sp\u00e4teren Artikeln Martys ein Unterschied gegen\u00fcber den \u00e4lteren bemerkbar. Die Lehre vom Doppelurteil und von der Pr\u00e4dikation bringt in voller Klarheit und Sch\u00e4rfe erst der sechste Artikel. In dem zweiten Artikel erscheint sie nur erst angedeutet. Was aber bei Marty besonders dankbare Anerkennung ver-","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht.\n77\ndient, das ist seine Art der Widerlegung. Wie nahe lag es, als den schlagendsten Beweis f\u00fcr die Unhaltbarkeit der alten Urteilstheorie und der von ihrem Standpunkte aus versuchten Deutungen der subjektlosen S\u00e4tze gerade die Vielheit und Mannigfaltigkeit dieser Deutungen selbst und die oft recht verzweifelten Versuche, sich mit den Impersonalien abzufinden, zu bezeichnen! Marty verzichtet auf solche Art Beweisf\u00fchrung. Jede gegnerische Ansicht wird auf das eingehendste gepr\u00fcft, und \u00fcberall zeigt Marty das aufrichtige Bem\u00fchen, den Gegner zu verstehen und sich auf seinen Standpunkt zu versetzen. Die Widerlegung nimmt dadurch einen sehr breiten Baum ein, aber sie ist um so zwingender ; auch bleibt sie nicht ohne positiven Gewinn. Dahin geh\u00f6ren die Bestimmung der Begriffe Existenz und Realit\u00e4t, die Er\u00f6rterungen \u00fcber Humes und Kants Lehre vom Existentialsatze u. a. Dafs die Artikel Martys den Erfolg haben, die Gegner zu \u00fcberzeugen, ist freilich zun\u00e4chst nicht zu hoffen. Wb hl aber darf die Erwartung ausgesprochen werden, dafs sie der Lehre der BRENTANOschen Schule allm\u00e4hlich immer mehr Anh\u00e4nger zuf\u00fchren werden.\nF. Schroeder (Schlettstadt).\nW. Preyer. Zur Psychologie des Schreibens. Hamburg und Leipzig, Leopold Voss. 1895. 230 S.\nIn vorliegendem Werke giebt uns der bekannte Gelehrte die Resul-tate seiner Studien \u00fcber die individuellen V erschiedenheiten der Handschriften und ihre Ursachen. Neun dem Buche beigegebene Tafeln und zweihundert in den Text verflochtene (vorz\u00fcglich faksimilierte) Schriftproben \u2014 zum Teil \u00e4ufserst instruktive und interessante Beispiele \u2014 illustrieren die klare, lebendige Darstellung, von deren Gang und Ergebnissen im Folgenden eine kurze \u00dcbersicht gegeben sei.\nNachdem der Verfasser in der Einleitung diejenigen Eigent\u00fcmlichkeiten der Schrift, welche mehr kollektiver Natur, d. h. auf Rechnung der Nationalit\u00e4t, des Alters, des Berufes u. dergl. zu setzen sind, kurz ber\u00fchrt hat, wendet er sich den individuellen Verschiedenheiten zu, welche nun ausschliefslich den Gegenstand der Untersuchung bilden. Im ersten Abschnitt stellt Preyer die Merkmale zusammen, welche die Mannigfaltigkeit des Charakters der verschiedenen Handschriften bedingen. Dem allgemeinen Eindr\u00fccke nach beurteilt, ist eine Schrift sch\u00f6n, leserlich, gleichm\u00e4fsig, sicher, nat\u00fcrlich oder das Gegenteil. Geht man auf das Detail ein, so kommen im wesentlichen folgende Momente in Betracht: 1. Die Form der Schriftzeichen und ihrer Zuthaten (\u00dcberwiegen von Kurven oder geraden Linien und spitzen Winkeln). 2. Die Kontinuit\u00e4t der zusammengeh\u00f6rigen Schriftzeichen (Verh\u00e4ltnis der Verbindungen und L\u00fccken zwischen den Buchstaben innerhalb der W\u00f6rter). 3. Die Vollst\u00e4ndigkeit der Schrift. (Hierzu m\u00f6chte Referent bemerken, dafs das Fehlen resp. unrichtige Verdoppeln von Buchstaben, welches der Verfasser f\u00fcr diesen Punkt in Betracht zieht und z. B. zur Beurteilung der Bildungsstufe des Schreibers verwertet, nicht den Charakter der","page":77}],"identifier":"lit30001","issued":"1896","language":"de","pages":"74-77","startpages":"74","title":"A. Marty: \u00dcber subjektlose S\u00e4tze und das Verh\u00e4ltnis der Grammatik zu Logik und Psychologie. Sieben Artikel. Vierteljahrschr. f. wiss. Phil. Art. 1: Bd. VIII. S. 56-94. Art. 2: ebenda S. 161-192. Art. 3: ebenda S. 292-340. Art. 4: Bd. XVIII. S. 320-356. Art. 5: ebenda S. 421-471. Art. 6: Bd. XIX. S. 19-87. Art. 7: ebenda S. 263-334","type":"Journal Article","volume":"11"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:51:01.344528+00:00"}