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{"created":"2022-01-31T14:51:40.690105+00:00","id":"lit30016","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler, M.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 11: 158-161","fulltext":[{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"158\nLit ter a turbericli t.\nletztere ist ferner die auch von Ewald in seinen Taubenversuchen beobachtete leichte Erm\u00fcdbarkeit der Muskeln. Die reiche Kasuistik und die \u00fcbrigen Einzelheiten sind im Original nachzulesen.\nSchaefer (Rostock).\nY. Egger. La dur\u00e9e apparente du r\u00eave. Bev. philos. Bd. 40. S. 41\u201459,\nJuli 1895.\nJ. le Lorrain. Le r\u00eave. Ebda. S. 59\u201469.\nL ... D ... A propos de l\u2019appr\u00e9ciation du temps dans le r\u00eave. Ebda. S. 69\u201472.\nAlle drei Abhandlungen schliefsen sich an den ber\u00fchmten Traum von Maury an, welcher lange Szenen aus der franz\u00f6sischen Revolutionszeit getr\u00e4umt hatte, von denen er behauptete, dafs sie im Augenblicke des Herunterfallens der Bettstange entstanden seien. Es handelt sich nach Egger dabei um zwei Punkte: erstens um die rapide Eolge der Bilder, zweitens um den retroaktiven oder retrospektiven Effekt der Empfindung, welcher diese Bilderfolge hervorgerufen hatte. E. glaubt, dafs M. sich in beiden Punkten get\u00e4uscht hat. M. erlebte diesen Traum als J\u00fcngling von 20 Jahren. Er mufste damals seiner Mutter abends vorlesen und verfiel dabei bisweilen in Schlaf, wachte aber so rasch wieder auf, dafs seine Mutter nichts davon merkte. W\u00e4hrend eines solchen kurzen Schlummers tr\u00e4umte er den Traum von der Revolution.\nWas den ersten Punkt betrifft, so ist es nach E. unm\u00f6glich, dafs eine pl\u00f6tzliche und sehr intensive Empfindung anfangs absolut unbewufst bleibt, und dafs sie, statt das Bewufstsein unmittelbar zu ergreifen, zuerst eine logische Reihe von vorhergehenden Ergebnissen wachruft, indem sie sich\u2019s aufspart, zu erscheinen, sobald diese Reihe abgelaufen ist. Dies kann auch nicht stattfinden, wenn das Ablaufen der Bilder mit grofser Geschwindigkeit erfolgt. Auch ist ja diese Geschwindigkeit, obwohl sie im Traume eine bedeutendere H\u00f6he erreicht als im Wachen (aufser in krankhaften Zust\u00e4nden), nie so grofs, dafs man sie sich im Wachen nicht vorstellen k\u00f6nnte.\nHieran schliefsen sich einige Er\u00f6rterungen \u00fcber das Messen der Zeit im Traume : Wenn man die Zeitdauer im Traume messen will, so mufs man sich mehr an die Worte als an die Gesichtsbilder halten. Letztere k\u00f6nnen leicht vergr\u00f6fsert, reduziert und vereinfacht werden, nach Form und Farbe. Sie lassen sich lange betrachten oder passieren das Bewufstsein wie der Blitz. Dagegen kann das menschliche Wort jenseits bestimmter Grenzen weder \u201eausgedehnt\u201c noch \u201ezusammengedr\u00fcckt\u201c werden. Allerdings ist dabei zu ber\u00fccksichtigen, dafs das innere Wort rascher von statten gehen kann als das \u00e4ufsere, weil man nicht zu artikulieren braucht. Auch werden im Traume die Worte nicht vollst\u00e4ndig ausgesprochen.\nDie Dauer des Traumes steht f\u00fcr den Tr\u00e4umenden im direkten Verh\u00e4ltnis zu der Zeit, welche verfliefsen w\u00fcrde, wenn die Bilder wirkliche Empfindungen w\u00e4ren, getrennt durch Zeit- und Raumintervalle, welche","page":158},{"file":"p0159.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht.\n159\ndie Gesetze der realen Welt erfordern. Der Tr\u00e4umende z\u00e4hlt in Gedanken die Intervalle zwischen den einzelnen Bildern und bestimmt diese Intervalle r\u00e4umlich und zeitlich. Nach Cardan kommt einem die Zeit im Traume l\u00e4nger vor, z. B. die Zeit zum Besuchen verschiedener \u00d6rter, weil die Arbeit des K\u00f6rpers, welche zu diesen Operationen n\u00f6tig gewesen w\u00e4re, in Anrechnung gebracht wird.\nEine dritte Ansicht \u00fcber die Zeitdauer der Tr\u00e4ume macht geltend, dafs Angst die Zeit l\u00e4nger erscheinen l\u00e4fst. Das vergebliche Warten auf eine gew\u00fcnschte Sache hat denselben Effekt, aber in einem geringeren Grade. Das geschw\u00e4chte Denken des Tr\u00e4umenden ist geneigt, die Zeit in denjenigen F\u00e4llen lang zu finden, in denen die Ereignisse zu langsam gehen und in uns Ungeduld hervorrufen. Bei den Opiumtrinkern, welche innerhalb weniger Minuten ein Leben von mehreren Jahren zu durchleben meinen, erkl\u00e4rt sich dies daraus, dafs das Opium Gef\u00fchlstr\u00e4ume verursacht, und dafs diese nach Art der Gewohnheiten vom wachen Leben interpretiert werden. Eine Dame, welche dem Ertrinken nahe war, sah in einem Augenblick ihr ganzes Leben, welches \u201ewie in einem Spiegel gleichzeitig vor ihr rangiert\u201c war. Die Idee des drohenden Todes kann ein sehr lebhaftes Gef\u00fchl des Ich, welches im Begriff ist, aufser sich zu gehen, hervorrufen. Nun ist das individuelle Ich ein augenblickliches Konzept, welches eine Folge res\u00fcmiert, aber kein Zusammen von nebeneinandergesetzten Gesichtsbildern, kein Panorama. Deshalb ist die Beobachtung dieser Dame wahrscheinlich falsch.\nGehen wir zum zweiten Punkte \u00fcber. In den F\u00e4llen, in welchen manche Traumpsychologen annehmen, dafs die Phantasie im Momente einer erfolgten empfindlichen \u00e4ufseren Einwirkung retrospektiv die Traumbilder nachtr\u00e4glich konstruiert, nimmt Egger an, dafs die Phantasie beim Auftreten der Empfindung nicht sogleich das ganze Bild liefert, sondern dafs sie bei nebenliegenden Dingen und bei Analogien stehen bleibt, bevor sie das Bild liefert.\nDie inneren Empfindungen verursachen sehr feine Ph\u00e4nomene. Bevor gewisse Empfindungen gef\u00fchlt werden als das, was sie sind, sei es w\u00e4hrend des Verlaufes des Traumes, sei es nach dem Wiedererwachen, welches sie hervorrufen, indem sie sich verschlimmern, bringen sie einen Zustand von unbestimmtem Mifsbehagen hervor, welcher im Bewufstsein des Schl\u00e4fers als Gef\u00fchl der Angst, Furcht, des Hindernisses, als Bilder von Krieg, Zuf\u00e4llen, Explosionen auftritt. Sp\u00e4ter, beim Erwachen, giebt man sich Rechenschaft, dafs die Verwirrung die \u00dcbertragung eines physischen Schmerzes in Bildern darstellte.\nWir kommen also zu folgendem Schl\u00fcsse: \u00bbEin innerer Schmerz hat keine retroaktive Wirkung auf die Tr\u00e4ume. Aber wenn er schwach beginnt, \u00fcbt er auf die augenblicklichen Tr\u00e4ume eine unmittelbare Wirkung aus, so dafs sp\u00e4ter, wenn dieselbe anw\u00e4chst bis zu dem Punkte, wo dieselbe evident wird, man sich erinnert, dafs sie vorhergesehen worden war.\u201c\nNach le Lorrain hat Maury im Anschlufs an eine Erz\u00e4hlung oder Unterhaltung \u00fcber die Revolution mit Affekt getr\u00e4umt, und am Ende dieser in historischer Folge verlaufenden Bilderreihe ist der bekannte","page":159},{"file":"p0160.txt","language":"de","ocr_de":"160\nLi it\u00e9ra turberich t.\nVorfall geschehen. Sogleich hat M. jene Exekutionsszene geschaffen und das Ganze auf den Vorfall bezogen. Man mufs annehmen, dafs entweder das Ereignis eine r\u00fcckl\u00e4ufige Aktion von der Guillotinenszene nach dem Erscheinen vor dem Tribunal, oder dafs es die Anfangsszene hervorgerufen hatte, indem es die Bilder in normaler Ordnung sich abwickeln liefs. Aber in letzterem Falle begreift man nicht die Beziehung, welche zwischen dem erhaltenen Schlage und dem einfachen Erscheinen vor Gericht besteht.\nVon diesen Erw\u00e4gungen aus kommt Le Lorrain auf den Traum im allgemeinen zu sprechen. Er schildert einen seiner Tr\u00e4ume und zeigt daran den Hang zum Kolossalen; ferner zeigt er, dafs die psychische Zersetzung auf halbem Wege stehen bleibt, und dafs gl\u00fcckliche Versuche von fragmentarischer Systematisierung Vorkommen.\nAls spezielle Eigent\u00fcmlichkeit von sich erw\u00e4hnt der Verfasser, dafs er ein Visueller ist, sofern er nie einen Ton, ein Ger\u00e4usch in seinen Tr\u00e4umen h\u00f6rt. Aufserdem erkennt er manche Figuren, ohne sie genau zu sehen, obwohl ihnen die Augen fehlen oder das ganze Gesicht einnehmen, obwohl die Nase fehlt oder furchtbar lang ist, so dafs sie jedes menschliche Gepr\u00e4ge verliert, obwohl die Individuen fadend\u00fcnn oder dick wie Bierf\u00e4sser werden. \u2014 Im Traume schl\u00e4ft die Aktivit\u00e4t der oberen Systeme und besonders des inhibitorischen Systems. Die sinnliche Aktivit\u00e4t des Schlafes operiert nur noch mit Erinnerungen und am h\u00e4ufigsten mit unbestimmten Eindr\u00fccken, welche bunt durcheinander aufgespeichert sind. \u2014 Im Traume mangelt auch die Kritik nicht g\u00e4nzlich. Bisweilen erkennt man die Absurdit\u00e4t gewisser Bilder. Die Organe des vegetativen Lebens man\u00f6vrieren ohne die Willensth\u00e4tigkeit. Das Gehirn hat noch nicht die Kraft, es kann nicht allein marschieren, oder doch wenigstens nicht lange, es ist noch nicht zum Automatismus gelangt. \u2014 Eine Eigent\u00fcmlichkeit unserer Tr\u00e4ume besteht in dem Beize bestimmter Bilder. Man ist gl\u00fccklich im Traume, weil die menschliche Pers\u00f6nlichkeit sich dort vergr\u00f6fsert bis jenseits des M\u00f6glichen. Jeder gl\u00fcckliche Zustand wird bestimmt durch eine Vergr\u00f6fserung der Aktivit\u00e4t, durch eine Erweiterung des Wesens. \u2014 Die Eindr\u00fccke werden als Ganzes aufgenommen, ohne Pr\u00fcfung. Es sind die Eindr\u00fccke des Wilden und des Kindes. Aus diesem Grunde kann man behaupten, dafs der Traum ein Ph\u00e4nomen des B\u00fcckschritts bezeichnet. \u2014 Eine andere Eigenheit besteht darin, dafs die Gebilde miteinander verschmolzen werden.\nAuch L .. . D . . . nimmt auf den Traum Maurys Bezug. Die Bilder sind im Traume nebeneinandergestellt, nicht verbunden. Wenn man versucht, einen Traum zu verstehen, so ger\u00e4t man in Versuchung, eine hypothetische Ordnung unter den Bildern herzustellen. Die Bilder, welche das spontane Bewufstsein in der Beihenfolge A, B, C bringt, setzt das nachdenkende Bewufstsein in der Beihenfolge C, B, A. Die wirkliche Dauer des Traumes erstreckt sich nicht zwischen dem pr\u00e4zisen Moment, in welchem die Empfindung erfolgt, welche das Erwachen zur Folge hatte, und dem Erwachen selbst, oder, wenn man will, zwischen der Erregung und der Empfindung, sondern sie erstreckt sich viel vor die Empfindung. Sie kann ebensolang sein wie der Schlaf, welcher der","page":160},{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n161\nEmpfindung vorausgellt, \u2014 Es ist nat\u00fcrlich vorauszusetzen, dafs die Seele w\u00e4hrend des Schlafes an Schnelligkeit gewinnt, was sie im Wachen durch die \u201elogische Z\u00fcgelung\u201c der Bilder einb\u00fcfst. \u2014 Was den vorliegenden Traum anbetrifft, so existiert der eigentliche Traum vor der Empfindung. Sobald die Empfindung erschien, absorbierte er dieselbe zu seinem Vorteil. \u2014 Es giebt zwei Ged\u00e4chtnisse : ein affektives und ein intellektuelles, welche verschieden funktionieren und ihre eigent\u00fcmliche Art, die Zeit zu sch\u00e4tzen, besitzen. Das affektive Ged\u00e4chtnis existiert allein im Traume und t\u00e4uscht sich \u00fcber die Beurteilung der Zeit. \u2014 \u2014\nWenn ich hierzu meine eigene Ansicht \u00e4ufsern darf, so glaube ich, dafs der Verlauf des Traumes von M. anfangs unabh\u00e4ngig von der sp\u00e4ter auftretenden Empfindung erfolgt ist, dafs aber die allerletzten Bilder retrospektiv im Moment der Empfindung selbst im Sinne der vorangegangenen Traumbilder fertiggestellt worden sind. Denn unm\u00f6glich kann eine so lange Beihe auf Grund einer Empfindung retrospektiv \"ablaufen, wohl aber k\u00f6nnen einige entsprechende Bilder retrospektiv im Anschlufs an eine bestimmte Empfindung erzeugt werden. Auch ist die Zeitdauer der vorliegenden Empfindung viel zu kurz, als dafs gleichzeitig parallel eine so lange Beihe von Bildern sich abspielen k\u00f6nnte, auch nicht mit dem Maximum der Traumgeschwindigkeit. \u2014 Was die Feststellung der Zeitdauer im Traume betrifft, so halte ich dieselbe mittelst der uns gegenw\u00e4rtig zu Gebote stehenden H\u00fclfsmittel f\u00fcr unm\u00f6glich, denn man kann nicht feststellen, in welchem Momente des Schlafes vor dem Erwachen der Traum begonnen hat. Auch kennt man nicht das Verh\u00e4ltnis der verschiedenen Traumgeschwindigkeiten zu den Geschwindigkeiten beim Denken in wachen Zust\u00e4nden.\nDie Untersuchungen von Egger \u00fcber die Feststellung der Zeitdauer bringen viel Klarheit in dieses Problem. Jedoch kann ich seiner Behauptung, dafs das Problem der Erinnerung an Tr\u00e4ume unl\u00f6sbar sei, nicht beipflichten. Sehr wohl kann man sich eines vorhergehenden Traumes cc w\u00e4hrend des folgenden Traumes \u00df entsinnen, ohne dais man w\u00e4hrend der zwischenliegenden Periode des Wachseins einen Gedanken an \u00ab hat. Die physiologische Konstellation des Organismus kann w\u00e4hrend zweier folgenden Tr\u00e4ume a und \u00df, etwa in Folge der Buhe gewisser K\u00f6rperprovinzen, dem Auftreten bestimmter Vorstellungskomplexe g\u00fcnstig sein, welche beim Wiederaufleben s\u00e4mtlicher K\u00f6rperprovinzen im Wachen durch andere Vorstellungskomplexe in den Hintergrund gedr\u00e4ngt werden. Traum \u00df zeigt in diesem Falle denselben Vorstellungskomplex, wie und zwar entweder in seiner Wiederholung oder in seiner weiteren Verarbeitung.\nDie Bemerkungen von Le Lorrain \u00fcber den Traum sind interessant, aber teilweise schon bekannt.\tM. Giessler (Erfurt).\nHavelock Ellis. On dreaming of the Dead. Psychol Bev. Vol. II. No. 5. S. 458\u2014461. 1895.\nDer Verfasser berichtet drei F\u00e4lle von Tr\u00e4umen, in welchen Verstorbene als lebend erschienen und der Widerspruch, welcher aus der auch dem Traume nicht fehlenden Erinnerung an den wirklichen Tod\n11\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XI.","page":161}],"identifier":"lit30016","issued":"1896","language":"de","pages":"158-161","startpages":"158","title":"V. Egger: La dur\u00e9e apparente du r\u00eave. Rev. philos. Bd. 40. S. 41-59. Juli 1895 / J. Le Lorrain: Le r\u00eave. Ebda. S. 59-69 / L... D...: A propos de l'appr\u00e9ciation du temps dans le r\u00eave. Ebda. S. 69-72","type":"Journal Article","volume":"11"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:51:40.690110+00:00"}