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{"created":"2022-01-31T14:55:01.292076+00:00","id":"lit30034","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Wreschner, Arthur","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 11: 291-293","fulltext":[{"file":"p0291.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\nK. Avenarius. Bemerkungen zum Begriff des Gegenstandes der Psychologie.\tVierteljahr ss ehr. f. wiss. Philos. XVIII. S. 137-161 u. 400-420;\nXIX. S. 1\u201418 u. 129\u2014145. 1894 u. 1895.\nIn der Entwickelung, welche die Bestimmung des Gegenstandes der Psychologie genommen hat, lassen sich nach dem Verfasser im grofsen und ganzen drei Phasen unterscheiden: a) die naiv-empirische, h) die naiv-kritische, c) die empirio-kritische. In der ersten ist die Seele als Substanz Gegenstand der Psychologie. Da jedoch eine derartige Seele kein Erfahrungsobjekt ist, so f\u00fchrt die zweite Phase eine Psychologie ohne Seele ein, welche die psychischen Ph\u00e4nomene oder die Thatsachen des Bewufstseins oder das Innere untersucht. Irgend ein vern\u00fcnftiger Sinn kann nach des Verfassers Meinung h\u00f6chstens der zuletzt genannten Definition noch zuerkannt werden, da mit Aufgehung des Begriffs \u201eSeele\u201c auch der Begriff des \u201ePsychischen\u201c alle Bedeutung verloren hat und auch das \u201eBewusstsein\u201c nur eine \u201eVerk\u00fcmmerungserscheinung\u201c des alten Seelenbegriffs ist. \u2014 Das Wesen der dritten Phase liegt in der Elimination der Introjektion. Geht man n\u00e4mlich vom nat\u00fcrlichen Weltbegriff aus, so zeigt sich als thats\u00e4chlich Vorgefundenes das Ich (Leib, Gedanken, Gef\u00fchle etc.) und die Umgebung. Beide stehen zu einander in konstanter Beziehung (empiri o-kritische Prinzipialkoordination mit dem Ich als Zentral- und der Umgebung als Gegenglied). Als Hypothese geht in den nat\u00fcrlichen Weltbegriff die Annahme ein, dafs die mitmenschlichen Bewegungen, wie die meinigen, neben der mechanischen noch eine mehr-als-mechanische, eine amechanische Bedeutung (Beziehung zu Gef\u00fchlen, Gedanken etc.) haben. Wird nun das Innere als Gegenstand der Psychologie hin-bestellt, so wird vermittelst der Introj ektion das Amechanische der menschlichen Bewegungen zu einer Empfindung in uns gemacht, was schon prinzipiell etwas anderes als das angef\u00fchrte Hypothetische im nat\u00fcrlichen Weltbegriff ist, insofern dieses sich engstens an das thats\u00e4chlich Vorgefundene und in der Prinzipialkoordination Ausgedr\u00fcckte h\u00e4lt. Hieraus folgt aber schon, dafs die introjektionistische Annahme auch ein Fehlschlufs ist, da die empirische Psychologie von der Vorgefundenen amechanischen Bedeutung der eigenen Bewegung auf eine prinzipeil andere amechanische Bedeutung der mitmenschlichen und dann der menschlichen Bewegungen \u00fcberhaupt schliefst. Endlich f\u00e4lscht aber auch die Introjektion die Bestimmung des Gegenstandes\n19*","page":291},{"file":"p0292.txt","language":"de","ocr_de":"292\nLitter aturberichi.\nder Psychologie, insofern das Innere entweder von dem \u201e\u00c4ufseren\u201c r\u00e4umlich getrennt sein mufs oder gar keinen Sinn hat.\nEs ist also vor allem n\u00f6tig, die Introjektion auszuschalten, und dann wird zum Gegenst\u00e4nde der Psychologie die Erfahrung, d. h. das Vorgefundene. Da nun bei einer in vollem Sinne konkreten Erfahrung auf das Ich und die Umgehung mit all ihren Teilbestimmungen R\u00fccksicht genommen werden mufs, so handelt es sich in der Psychologie um partielle konkrete Erfahrungen, n\u00e4mlich um Erfahrungen, welche abh\u00e4ngig sind von dem erfahrenden Individuum oder von dem System C (Gehirn). Diese psychologische Abh\u00e4ngigkeit ist wie die physikalische und mathematische etwas Vorgefundenes und dr\u00fcckt nur die Thatsache aus, dafs die \u00c4nderung des einen Gliedes eine solche des anderen zur Folge hat.\nNach diesen Ausf\u00fchrungen sucht Verfasser die Haltlosigkeit des metaphysischen Dualismus und seine Unbrauchbarkeit f\u00fcr die Bestimmung des Gegenstandes der Psychologie nachzuweisen. Zun\u00e4chst errichtet dieser eine un\u00fcberbr\u00fcckbare Kluft zwischen dem K\u00f6rperlichen und Nichtk\u00f6rperlichen, w\u00e4hrend in Wirklichkeit z. B. der Baum als k\u00f6rperliches Ding und der Baum als nicht-k\u00f6rperlicher Gedanke im Verh\u00e4ltnis des Nach- oder Wiedererscheinens zu einander stehen. Sodann aber kann nicht der Unterschied des Empfindenden und Empfindungslosen als St\u00fctze herangezogen werden, da die Frag\u00a9 nach einem solchen Unterschiede keinen logisch berechtigten Sinn hat. Denn soll diese Unterscheidung nur eine negative Bedeutung haben, so besagt dies, dafs das Empfindungslose nicht Zentralglied einer Prin-zipialkoordination werden kann, also mit dem Empfindenden auf Grund der im nat\u00fcrlichen Weltbegriff enthaltenen Hypothese nicht zu vergleichen ist. Soll aber die erw\u00e4hnte Unterscheidung einen positiven Sinn haben und das Empfindungslose etwa dem Ich im Schlafe oder in der Narkose etc. gleichgesetzt werden, dann schwindet der Unterschied zwischen Physischem und Psychischem \u00fcberhaupt. Noch ungl\u00fccklicher w\u00fcrde der Versuch sein, das Innere des Empfindungslosen dem des \u201eIch\u201c entgegenzustellen. Auch dadurch l\u00e4fst sich nicht der metaphysische Dualismus retten, dafs man nach dem Grunde der Empfindung oder des Psychischen fragt. Denn dieser ist vern\u00fcnftigerweise nur in der Abh\u00e4ngigkeit einer partiellen Erfahrung von dem Systeme C (Gehirn), nicht in einem metaphysischen Dualismus zu finden. Mit diesem zugleich wird aber auch der psychophysische Parallelismus hinf\u00e4llig, um einem\u2019 zwiefachen empirischen Parallelismus Platz zu machen, n\u00e4mlich a) der mechanischen und amechanischen Bedeutung aller menschlichen Bewegungen, b) bestimmter \u00c4nderungen des Systems C als logische Bedingungen einerseits, Elemente und Charaktere (d. i. Gedanken und Gef\u00fchle) andererseits.\nZum Schlufs bestimmt Verfasser noch den Umfang der im nat\u00fcrlichen Weltbegriff enthaltenen Hypothese und kommt zu dem Ergebnis: \u201eWenn einemGegengliede der Wert, bestimmte \u00c4nderung des Systems G, substituiert werden kann, ist dasselbe auch zugleich als Zentralglied anzunehmen.\u201c (XIX. Jahrg. S. 134.) Indem dann noch zwischen poten-","page":292},{"file":"p0293.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n293\ntiellen und aktuellen Zentralgliedern unterschieden wird, wird jene Bedingung als erf\u00fcllt angesehen, sobald irgend ein Umgebungsbestandteil zum Systeme C werden kann.\nAll\u2019 diese Ausf\u00fchrungen h\u00e4ngen engstens mit dem ganzen philosophischen Systeme Avenarius\u2019 zusammen und sollen nach den eigenen Angaben des Verfassers nur den empirio-kritischen Standpunkt in R\u00fccksicht auf die Psychologie darlegen. Da hier nun nicht der Ort ist, die Ergebnisse der \u201eKritik der reinen Erfahrung\u201c auf ihre Halt- und Fruchtbarkeit hin zu pr\u00fcfen, so ist auch keine M\u00f6glichkeit gegeben, obige S\u00e4tze einer eingehenden Kritik zu unterwerfen. Arthur Wreschner (Berlin).\nFr. Paulhan. Les Caract\u00e8res. Paris, F. Alcan. 1894. 237 S.\n\u201eLe caract\u00e8re d\u2019une personne, c\u2019est, en somme, ce qui la caract\u00e9rise.\u201c Nach diesem, an der Spitze obigen Werkes stehenden Satze m\u00fcfste es nichts weniger enthalten, als eine Psychologie der Individualit\u00e4t. Doch hiervon ist es noch weit entfernt; dagegen darf man wohl sagen, dafs es einen enger umschriebenen Zweck wohl erf\u00fcllt. Man kann P.\u2019s Ausf\u00fchrungen betrachten als Prolegomena zu einer k\u00fcnftigen Charakterologie, und zwar insofern, als sie das Material f\u00fcr eine solche beibringen, sichten und beschreiben. Eine F\u00fclle der verschiedensten Charakter typ en zieht an unserem Auge vor\u00fcber; meist sind sie gut beschrieben, zum Teil mit anschaulichen Beispielen aus G-eschichte und Litteratur, insbesondere der franz\u00f6sischen, belegt. Doch die eigentlich psychologische Begr\u00fcndung und Ergr\u00fcndung ist sp\u00e4rlich und selten zum Kern vordringend. Zwei ganz allgemeine abstrakte Gesetze, das der systematischen Assoziation und das der systematischen Hemmung, machen ihm das innerste Wesen des psychischen Geschehens aus und werden fast als die einzigen kausalen Momente herangezogen. Das Streben, die unendliche Mannigfaltigkeit von individuellen Differenzen aus diesen Abstractis zu deduzieren, bringt einen \u2014 wenig erquicklichen \u2014 Schematismus in die Arbeit, der den Schein, aber auch nur den Schein der Vollst\u00e4ndigkeit erweckt. So manche tieferliegenden charakterisierenden Merkmale, die freilich nicht leicht sichtbar zu Tage treten, aber gerade dem Psychologen in ihrer Bedeutung bekannt sein m\u00fcfsten (ich erinnere an die bedeutsamen, bei Ged\u00e4chtnisuntersuchungen hervorgetretenen individuellen Differenzen), fehlen; die wichtige Frage der Charakterentwickelung wird nur ganz en passant abgehandelt.\nDie beiden ersten Teile des Buches besch\u00e4ftigen sich mit der Beschreibung der Charakter ty p en. Die Typen teilt Verf. ein in zwei Gruppen, die wir als \u201eformale Typen\u201c und \u201emateriale Typen\u201c bezeichnen wollen.\nDie formalen Typen werden einerseits bestimmt durch das Vorwalten gewisser Assoziations-, bezw. Hemmungsformen \u2014 so kommt die systematische Assoziation rein zum Ausdruck in den ausgeglichenen (\u00e9quilibr\u00e9s) und einheitlichen (unifi\u00e9s) Charakteren, die Hemmung in den Typen der Selbstbeherrschung und Bed\u00e4chtigkeit \u2014 andererseits von gewissen Eigenschaften der geistigen Tendenzen, ihrem Umfange (z. B. Beschr\u00e4nktheit), ihrer Reinheit, St\u00e4rke (z. B. Leidenschaftlichkeit), Dauer (Beharrlichkeit) u. s. w.","page":293}],"identifier":"lit30034","issued":"1896","language":"de","pages":"291-293","startpages":"291","title":"K. Avenarius: Bemerkungen zum Begriff des Gegenstandes der Psychologie. Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. XVIII. S. 137-161 u. 400-420; XIX. S. 1-18 u. 129-145. 1894 u. 1895","type":"Journal Article","volume":"11"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:55:01.292082+00:00"}