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{"created":"2022-01-31T15:04:28.925103+00:00","id":"lit30059","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Wreschner, Arthur","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 11: 435-436","fulltext":[{"file":"p0435.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\nW. Schuppe. Begriff und Grenzen der Psychologie. Zeitsehr. f. immanente Philos. Bd. I. S. 37\u201476. 1895.\nDas eigentliclie Ziel dieser Abhandlung ist der Nachweis, dafs es neben der Psychologie auch noch andere Wissenschaften geben kann und mufs. Ein solcher Nachweis ist deshalb n\u00f6tig, weil die Psychologie die Wissenschaft vom individuellen Subjekt ist, und das erste absolut unbezweifelbare Sein das des individuellen Bewufstseins ist. Verfasser l\u00f6st nun seine Aufgabe damit, dafs er von dem individu elle n Bewufst-sein noch das Bewufstsein \u00fcberhaupt unterscheidet. Denkt man n\u00e4mlich von dem Ich des individuellen Bewufstseins alle Bestimmtheit weg, so erh\u00e4lt man das absolut unteilbare und einheitliche Subjekt x\u00abtV|o;^V, dem nur noch die allgemeine Vorstellung irgend welcher Bestimmtheit anhaftet. Es ist wie jeder Gattungsbegriff in allen einzelnen individuellen Subjekten das eine und selbe und ist an und f\u00fcr sich genommen nur eine Abstraktion, da es in Wirklichkeit nur individuelle Bewufstseine giebt und nur innerhalb dieser sich Bestandteile unterscheiden lassen, welche zum Bewufstsein \u00fcberhaupt geh\u00f6ren, und solche, welche den Charakter der Individualit\u00e4t an sich haben. Geht man daher vom individuellen Bewufstsein aus, so findet sich zun\u00e4chst in ihm Denken und Erkennen \u2014 Thatsachen, deren Analyse zu dem Begriff der einen und selben Wirklichkeit und Wahrheit, unabh\u00e4ngig von allem Individuellen f\u00fchrt. Es entsteht so die allen Individuen gemeinschaftliche obj ekti ve Welt, deren Bestimmtheiten logischer Natur und an das Bewufstsein \u00fcberhaupt gekn\u00fcpft sind. Die so von dem Ganzen des individuellen Bewufstseins getrennte Logik und Erkenntnistheorie darf jedoch von diesem bei ihrem Wahrheits- und Wirklichkeitsbegriff insofern nicht v\u00f6llig abstrahieren, als nur in dem Subjektiven das Objektive vorkommt und die wahre Erkenntnis in Beziehung bleibt zum Werden, d. h. zu all\u2019 den einzelnen Wahrnehmungen, Erinnerungen etc., welche die Individualit\u00e4t ausmachen. Andererseits setzt die Psychologie die Erkenntnistheorie und Logik voraus, da alles Individuelle nur Determination eines zu Grunde liegenden gemeinschaftlichen Gattungsm\u00e4fsigen ist. \u2014 In gleichem Verh\u00e4ltnis steht die Psychologie zur Ethik und Rechtsphilosophie. Beide setzen die Kenntnis des Seelenlebens mit seinen Gesetzen bis zu einem bestimmten Grade voraus, aber der Begriff der\n28*","page":435},{"file":"p0436.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht.\n436\nPflicht und Verbindlichkeit selbst weist in seiner objektiven G\u00fcltigkeit auf das Bewufstsein \u00fcberhaupt hin. \u2014 Auf gleiche Weise l\u00f6st sich die \u00c4sthetik von der Psychologie ab.\nSchwieriger ist die Objektivit\u00e4t der r\u00e4umli ch-zeitlichen Sinnenwelt zu erkennen. Der ganze Raum und die ganze Zeit setzt n\u00e4mlich immer schon einen bestimmten r\u00e4umlichen und zeitlichen Standpunkt voraus. Aber diese beiden Arten von Raum oder Zeit stehen nicht zu einander im Verh\u00e4ltnis des Gattungsm\u00e4fsigen zum Individuellen, sondern geh\u00f6ren nur zu dem Bewufstsein \u00fcberhaupt. Dieses nimmt einen bestimmten Punkt in Raum und Zeit ein und hat auch zugleich den ganzen Raum und die ganze Zeit zum Inhalte. Raum und Zeit sind somit Bestimmtheiten des reinen Subjekts, durch welche es erst zum individuellen Ich wird. Diese Unabh\u00e4ngigkeit des Raumes und der Zeit von dem Individuellen erkennt man am besten daran, dafs trotz der Abh\u00e4ngigkeit des jedesmaligen Wahrnehmungsbildes in seinen Grenzen und in der Anordnungseiner Teile von der Individualit\u00e4t des Wahrnehmenden, doch bei einer Ortsver\u00e4nderung des letzteren die Wahrnehmungsbilder nach einer festen und genau berechenbaren Gesetzm\u00e4fsigkeit in den Grenzen und in der Anordnung sich \u00e4ndern. Es l\u00f6st sich also der Raum von dem zuf\u00e4lligen Standorte des Subjektes los und ist von ihm unabh\u00e4ngig. \u2014 Auch die den Raum und die Zeit erf\u00fcllenden Sinnesqualit\u00e4ten sind objektiver Natur, da sie einem vom individuellen Standpunkte unabh\u00e4ngigen Gesetze des Zusammen und Nacheinander folgen.\nNach all dem kann die Psychologie nicht als Grundwissenschaft aufgefafst werden, wenn sie auch das Wichtigste ist, auf das alles schliefslich hinauskommt. Ihr Objekt ist das individuelle Subjekt, welches im Gegensatz zu dem reinen Subjekt wohl das gleiche, aber nie das eine und selbe in vielen Exemplaren sein kann. \u2014 Wenn auch das Individuelle von den leiblichen Vorg\u00e4ngen und Beschaffenheiten vielfach abh\u00e4ngig ist, so kann doch jenes nie aus diesen erkannt werden; auch giebt es viele seelische Zusammenh\u00e4nge, die nur unmittelbar aus sich selbst zu begreifen sind.\nDafs diese Ausf\u00fchrungen des Verfassers irgend welche neue Ergebnisse br\u00e4chten, kann man kaum behaupten. Trotzdem bietet die Art der Fragestellung und die Form ihrer L\u00f6sung mancherlei Interessantes. Vor allem er\u00f6ffnet die Unterscheidung des Bewufstseins \u00fcberhaupt von dem individuellen Bewufstsein und die Beziehung beider zu einander nach dem logischen Prinzipe des Gattungsbegriffes und des Individuellen mancherlei neue Ausblicke, namentlich f\u00fcr den Erkenntnistheoretiker. Weniger gl\u00fccklich scheint mir oft die Art der Beweisf\u00fchrung, welche in vielen Punkten nichts anderes besagt, als dafs irgend eine Erscheinung im individuellen Bewufstsein auf das Bewufstsein \u00fcberhaupt sich beziehen mufs, weil sie zum Gegenst\u00e4nde einer objektiven Wissenschaft geworden ist. Auch w\u00e4re es w\u00fcnschenswert, wenn Verfasser die That-sache, dafs die Psychologie, obwohl die Wissenschaft des individuellen Subjektes, doch allgemeing\u00fcltige Gesetze auf stellt, in n\u00e4hereren Zusammenhang mit seinem erkenntnistheoretischen Standpunkte gebracht h\u00e4tte.\tArthur Wreschner (Berlin).","page":436}],"identifier":"lit30059","issued":"1896","language":"de","pages":"435-436","startpages":"435","title":"W. Schuppe: Begriff und Grenzen der Psychologie. Zeitschr. f. immanente Philos. Bd. I. S. 37-76. 1895","type":"Journal Article","volume":"11"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:04:28.925109+00:00"}