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{"created":"2022-01-31T15:15:56.855049+00:00","id":"lit30087","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Groos, Karl","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 11: 471-473","fulltext":[{"file":"p0471.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht\n471\nW. Ostermann. Das Interesse. Eine psychologische Untersuchung mit p\u00e4dagogischen Nutzanwendungen* Oldenburg und Leipzig. 1895. Schulze\u2019sche Hofbuchhandlung. IV u. 92 S.\nDas kleine, namentlich f\u00fcr p\u00e4dagogische Kreise empfehlenswerte Schriftchen bringt in seinem ersten Teile eine psychologische Er\u00f6rterung des Interesses, die zwar nicht viel des Neuen bietet, aber in ansprechender Form ein klares Bild der wichtigsten beim Interesse in Frage kommenden psychischen Ph\u00e4nomene entwirft. L Interesse ist entweder selbst G-ef\u00fchl oder erw\u00e4chst aus dem Gef\u00fchl, indem es als Werterinnerung oder Werturteil auftritt. II. Interesse hat hohe Bedeutung f\u00fcr das intellektuelle Leben, indem es die Aufmerksamkeit bestimmt und dauernde Vorstellungsverbindungen stiftet. III. Auf Interesse beruhen stets die Motive unseres Handelns. \u2014 Der zweite Teil zieht aus dem Vorhergehenden die p\u00e4dagogischen Konsequenzen, indem als eine Fundamentalforderung an den Unterricht hingestellt wird, Interesse zu erwecken, und zwar allseitiges, nicht nur intellektuelles, sondern auch religi\u00f6s-ethisches, patriotisches, \u00e4sthetisches. Verfasser zeigt dann, wie diese Forderung in den einzelnen Schulf\u00e4chern zu erf\u00fcllen sei. W. Stern (Berlin).\nMario Pilo. La psychologie du beau et de l\u2019art. Traduit de ITtalien par Auguste Dietrich. Paris, F\u00e9lix Alcan. 1895. 180 S. Frs. 2.50.\nEs giebt wohl nur wenige B\u00fccher, die ein so vollkommener Ausdruck der positivistischen Denkart, und zwar speziell des franz\u00f6sischen Positivismus, sind, wie dieses. Etwas von dem echt franz\u00f6sischen Talent Comtes\u2019, von seinem architektonischen Trieb, ein ungeheures Thatsachen-material durch einige \u201eFundamentalgesetze\u201c \u00fcbersichtlich zu machen und bis ins einzelnste zu klassifizieren, scheint hier auf italienischem Boden neu erstanden zu sein.\nDas Buch Pilos zerf\u00e4llt in zwei Hauptteile, von denen der erste die Impression des Sch\u00f6nen (den \u00e4sthetischen Genufs), der zweite seine Expression (die Kunst) behandelt. In beiden Teilen wird zwischen den objektiven und den subjektiven Faktoren des Problems unterschieden; in beiden gliedern sich die objektiven Faktoren wieder in sinnliche und geistige, die subjektiven in innere und \u00e4ufsere. \u2014 Der Ausgangspunkt des ersten Teiles ist (wie bei Kant) der Satz: sch\u00f6n ist, was gef\u00e4llt. Dieses Lustgef\u00fchl ist verschiedenartig, weil der menschliche Charakter sich aus verschiedenen Bestandteilen zusammensetzt. Wir erhalten n\u00e4mlich folgendes Schema:\nCharakter\tLust\tUnlust\n1. Das Sinnliche\t\t\tSch\u00f6n\tH\u00e4fslich\n2. Das Geistige: a)\tDie Gef\u00fchlsseite (Le sentiment) b)\tDas Intellektuelle \t\t c)\tDas Ideale\t\tGut Wahr Heilig\tB\u00f6se Falsch Sakrileg","page":471},{"file":"p0472.txt","language":"de","ocr_de":"472\nLitter a turberich t.\nDas Sch\u00f6ne ist demnach in erster Linie das, was den Sinnen gef\u00e4llt es ist aber, sofern nur die Beziehung auf das Sinnliche nicht verloren geht, auch das, was dem Geist, also dem \u201esentiment11, dem Intellekt und der Idealit\u00e4t gef\u00e4llt (5). Wir m\u00fcssen also vier Hauptarten des Sch\u00f6nen unterscheiden: das Sinnlich-Sch\u00f6ne (das Sch\u00f6ne im engeren Sinn), das Gef\u00fchls-Sch\u00f6ne, das Intellektuell-Sch\u00f6ne und das Ideal-Sch\u00f6ne. Bei jeder dieser Arten geht Pilo bis ins einzelne v\u00f6llig gleiclim\u00e4fsig vor; er giebt jedesmal zun\u00e4chst einen \u00dcberblick \u00fcber das betreffende Gebiet (so wird z. B. bei den Gef\u00fchlen zwischen egoistischen, ego-altruistischen und altruistischen Regungen unterschieden), wendet sich dann den mancherlei assoziativen und suggestiven Verschmelzungen im \u00e4sthetischen Gen\u00fcsse zu, behandelt die Modifikationen des Anmutigen, Grandiosen und Erhabenen (das Erhabene soll sich dadurch vom Grandiosen unterscheiden, dafs bei ihm die Idee des Unendlichen hinzutritt), bespricht die Wirkungen von Harmonie und Kontrast und schliefst mit der Verbindung des Sch\u00f6nen und H\u00e4fslichen, wobei auch die Modifikation des Komischen ihre Erledigung findet. Nachdem so die objektiven Faktoren des \u00e4sthetischen Genusses festgestellt sind, untersucht der Verfasser die subjektiven Faktoren, wobei es sich um die Eigent\u00fcmlichkeiten des \u00e4sthetischen Geschmackes handelt. Bei den mehr innerlichen Bedingungen des Geschmackes sind besonders die Wirkungen der Vererbung und der psychophysischen Entwickelung, wie sie sich an der Rasse, am Volk, an der sozialen Klasse, am Individuum zeigen, h\u00fcbsch zusammengestellt. Ebenso h\u00fcbsch ist die Darstellung der \u201efacteurs extrins\u00e8ques11, der Einwirkungen des Milieus. Dabei zeigt sich der echt positivistische Optimismus des Verfassers sehr deutlich. Der Wilde hat fast nur Sinn f\u00fcr das Sinnlich-Sch\u00f6ne, dem Halbwilden erschliefst sich das Gef\u00fchls-Sch\u00f6ne, der Zivilisierte kann auch das Intellektuell-Sch\u00f6ne geniefsen, aber erst der Zukunftsmensch wird v\u00f6llig f\u00fcr das Ideal-Sch\u00f6ne organisiert sein (49f.). Wir gehen einer kosmopolitischen, idealen Menschheit entgegen, in der alle Abirrungen geheilt oder ausgeschaltet, alle Quellen des Wissens und des Genusses vereinigt sein werden, \u201eet la th\u00e9orie de l\u2019\u00e9volution nous fera pressentir et go\u00fbter par avance les beaut\u00e9s futures11 (76 f.).\nDas Kunstwerk ist die bewufste oder unbewufste, unver\u00e4nderte oder umgearbeitete Reproduktion eines urspr\u00fcnglich durch \u00e4ufsere Reize entstandenen inneren Bildes (83). Wir wenden uns zun\u00e4chst den objektiven Faktoren der Kunst zu. Wie bei der Impression des Sch\u00f6nen, haben wir auch bei seiner Expression durch den K\u00fcnstler zu unterscheiden: 1. die sinnliche, 2. die geistige Seite der Kunst, und innerhalb der geistigen Seite: a) die gef\u00fchlsm\u00e4fsige, b) die intellektuelle, c) die ideale Kunst. Jede dieser vier Kunstgattungen wird durch vier Stufen verfolgt: zuunterst stehen blofs reflexm\u00e4fsige \u00c4ufserungen, dann kommt die nachahmende, dann die kritische und endlich die sch\u00f6pferische Kunst. Dem Abschnitt \u00fcber die sinnlichen Faktoren ist auch eine Einteilung der K\u00fcnste beigef\u00fcgt, wobei man (wie \u00fcberall) eine R\u00fccksichtnahme auf die Versuche deutscher \u00c4sthetiker (ich nenne nur Schasler, v. Hartmann, Alt) vermifst. Pilos System zeigt folgende, auch in Deutschland h\u00e4ufig vertretene, aber nicht ganz unbedenkliche Anordnung:","page":472},{"file":"p0473.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht.\n473\nR\u00e4umlich\tArchitektur\tPlastik\tMalerei\nZeitlich\tMusik\t\u201eDanse mimique\u201c\tPoesie\nVon den subjektiven Faktoren der Kunst beziehen sieb die \u201efacteurs intrins\u00e8ques\u201c wieder haupts\u00e4chlich auf den Geschmack der K\u00fcnstler, wie er sich in dem durch ererbte und pers\u00f6nliche Eigenschaften bestimmten Stil \u00e4ufsert, w\u00e4hrend die \u201efacteurs extrins\u00e8ques\u201c im wesentlichen die Wirkungen des Milieus auf die K\u00fcnstler darstellen. Den Schlufs bildet abermals das optimistische Zukunftsbild des Positivismus. An Stelle der dem Unterg\u00e4nge geweihten Religion wird als etwas H\u00f6heres, Reicheres, Befriedigenderes der Kultus des Sch\u00f6nen treten. \u201eGloire \u00e0 l\u2019art! gloire \u00e0 l\u2019art! Il est la foi, il est le culte, il est la religion de l\u2019avenir\u201c (177).\nIch glaube hiermit, soweit es sich in einem kurzen Referat thun l\u00e4fst, dem Leser einen Einblick in die streng symmetrische Anlage des Buches erm\u00f6glicht zu haben. Wer sich noch wenig mit \u00c4sthetik besch\u00e4ftigt hat, wird durch das architektonische Meisterst\u00fcck Pilos leicht den Eindruck erhalten, als sei hier das Geb\u00e4ude dieser Wissenschaft in allen wesentlichen Teilen vollendet ; wer aber genauer nachpr\u00fcft, wird mehr und mehr zu der Erkenntnis kommen, dafs in diesem scheinbar so fest gef\u00fcgten System doch viel Bedenkliches und Unsicheres vorhanden ist. Geht es z. B. an, das sinnlich Angenehme als solches schon sch\u00f6n zu nennen bis hinab zu den angenehmen Visceralempfindungen? (Warum haben wir dann \u00fcberhaupt das Wort \u201esch\u00f6n\u201c?) Ist es erlaubt, zu sagen, dafs eine Person, die recht gesund und vergn\u00fcgt lebt und infolgedessen sich selbst und anderen Vergn\u00fcgen macht, dadurch \u201eune v\u00e9ritable oeuvre d\u2019art\u201c (85) hervorbringe? Ist es eine Kunstleistung, wenn man durch die lebhafte \u00c4ufserung seiner Gef\u00fchle unabsichtlich eine ansteckende Wirkung aus\u00fcbt? (117). Kann die Kritik, soweit sie kritisch ist, eine Kunst genannt werden; ist es z. B. Kunst, wenn der kritische Geist aufsteigt \u201ejusqu\u2019aux plus s\u00e9v\u00e8res et plus menues disquisitions d\u2019art technique\u201c (89)? Darf der \u00fcberzeugte Positivist annehmen, dafs erst die Zukunftsmenschheit, die doch h\u00f6chstens sich selbst anbeten soll, vollkommen f\u00fcr das Ideal-Sch\u00f6ne organisiert sein wird? Ist es konsequent, zu lehren, dafs uns die ganze griechische Kunst (\u201el\u2019art grec tout entier\u201c), die doch gewifs einen Gipfelpunkt der Kultur darstellt, \u201ebeaut\u00e9s souveraines, mais presque purement et froidement sensorielles\u201c (52) biete, wenn nach Pilos eigener Theorie die Beschr\u00e4nkung auf das Sinnlich-Sch\u00f6ne dem Standpunkte des Wilden entsprechen soll (49)?\nTrotz aller dieser Bedenken m\u00f6chte ich doch den Wunsch nach einer deutschen \u00dcbersetzung dieses Buches aussprechen. Ich glaube, dafs die deutschen \u00c4sthetiker zum Teil viel tiefer in die Grundprobleme eingedrungen sind, als Pilo. Was aber die Eleganz der Sprache, die Klarheit der Einteilung, den Reichtum des Inhaltes auf so kleinem Raume betrifft, so m\u00f6chte ich mich dem Urteil von Bernard Peeez \u00fcber Pilos Werk anschliefsen : \u201eil n\u2019a pas sans doute encore son \u00e9quivalent chez nous\u201c.\nKarl Groos (GiefserA","page":473}],"identifier":"lit30087","issued":"1896","language":"de","pages":"471-473","startpages":"471","title":"Mario Pilo: La psychologie du beau et de l'art. Traduit de l'Italien par Auguste Dietrich. Paris, F\u00e9lix Alcan. 1895. 180 S.","type":"Journal Article","volume":"11"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:15:56.855054+00:00"}