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{"created":"2022-01-31T12:27:36.351534+00:00","id":"lit30158","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Siethoff, E. G. A. ten","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 14: 375-380","fulltext":[{"file":"p0375.txt","language":"de","ocr_de":"A\nDie Erkl\u00e4rung des ZEEMANsehen entoptischen\nPh\u00e4nomens.\nVon\nE. GL A. ten Siethoff in Deventer (Holland).\nMit gro\u00dfem Interesse habe ich die kurze Mitteilung von P. Zeeman (Leiden) \u201e\u00dcber eine subjektive Erscheinung im Auge0 (in dieser Zeitschr. Bd. VI) gelesen. Beim Versuche, diese Erscheinung selber zu beobachten, fand ich, dafs es am besten gelingt, die blau-violetten gebogenen Lichtlinien zu sehen, wenn man im Dunkeln durch einen Spalt in einem schwarzen St\u00fcck (Karton) Papier eine nicht zu intensive Lichtquelle beobachtet. Am sch\u00f6nsten gelingt es, wenn man Aa-Licht verwendet (ich beobachtete die duroh BrNa gef\u00e4rbte Bunsen-sche Flamme). Wenn man pl\u00f6tzlich den Spalt vor die Flamme bringt und zugleich durch den Spalt blickt, so sieht man, wie Zeemann sagt, \u201enamentlich in den ernten Momenten, nicht nur den hell erleuchteten Spalt, sondern auch eine blau-violette Lichtlinie. Sie gleicht dem Umrifs einer Birne, deren Achse senkrecht zur Spaltmitte steht. Dem, rechten Auge erscheint der spitzige Teil der Lichtlinie, also der Stiel der Birne, rechts vom, Spalte, der gekr\u00fcmmte Teil kommt ein wenig1 jenseit des Spaltes. Mit dem linken Auge sieht man die der beschriebenen symmetrischen Figur.a \u201eDer von der Lichtlinie ums\u00e4umte Teil des Feldes ist meistens dunkel.u Von diesen Lichtlinien m\u00f6chte ich noch Folgendes sagen: Wenn man den Kopf aufrecht h\u00e4lt und den Spalt vertikal (f\u00fcr mich z. B. einen Spalt von 2 mm Breite und 2 cm L\u00e4nge auf 37 cm Entfernung vom Auge), dann beobachtet man, dafs von dem oberen und dem unteren Ende des beleuchteten Spaltes zwei gebogene elliptische Streifen","page":375},{"file":"p0376.txt","language":"de","ocr_de":"von schwach violettem Lichte ausgehen, die ungef\u00e4hr symmetrisch verlaufen \u00fcber und unter einer hypothetischen Linie, die senkrecht auf der Mitte des Spaltes steht. Bringt man den Spalt dem Auge n\u00e4her, so wird die von den Lichtlinien ums\u00e4umte Figur kleiner, bleibt jedoch in der Form der erst gesehenen gleich. Man sieht dann die Lichtstreifen, unabh\u00e4ngig von den Enden des Spaltes, auf zwei anderen Punkten austreten, symmetrisch von der hypothetischen Achse, die senkrecht auf dem Spalte steht (die Unabh\u00e4ngigkeit von der Spalt-gr\u00f6fse ist ebenfalls zu konstatieren bei Beobachtung eines l\u00e4ngeren Spaltes auf die Entfernung von 37 cm). Die beiden Enden dieser elliptischen, violetten Lichtstreifen ber\u00fchren sich jedoch nicht, obgleich sie einander am Ende deutlich n\u00e4her r\u00fccken. Sie sind n\u00e4mlich in der N\u00e4he des Spaltes am breitesten und werden mit der Entfernung vom Spalte schm\u00e4ler und lichtschw\u00e4cher, schliefslich f\u00fcr mich nicht mehr wahrnehmbar. Dabei ist es unm\u00f6glich, den Punkt zu fixieren, wo die beiden Lichtlinien Zusammenkommen w\u00fcrden, \u2014 wie wir sehen werden, liegt hier der blinde Fleck. Deshalb mufs es auch unm\u00f6glich sein, das Zusammentreffen der Lichtlinien zu beobachten. Wenn wir zum Beispiel die Erscheinung nehmen, wie sie sich dem rechten Auge zeigt, so sieht man den hell und gelb leuchtenden Spalt ; temporalw\u00e4rts von diesem, d. h. nach aufsen, nach rechts, die von Zeeman bimf\u00f6rmig genannte Figur (vielleicht besser: zugespitzt eif\u00f6rmig, weil die umrahmenden Liohtstreifen eine scharfe, mehr oder weniger elliptische Form haben). An der linken Seite des Spaltes, nasalw\u00e4rts, sieht man die beiden leuchtenden Streifen in einander \u00fcbergehen, wobei sie ungef\u00e4hr einen Eireisbogen bilden. Dieser Bogen entfernt sich nicht weit vom Spalte. Bemerkenswert ist ferner, da\u00a3s man die Erscheinung nicht sieht, wenn man gerade durch den Spalt blickt. Wenn man mit dem rechten Auge beobachtet, mufs man einen Punkt fixieren, der etwa 2 bis 3 mm nach rechts vom Spalt liegt; wenn man mit dem linken Auge beobachtet, einen symmetrischen Punkt links. Pl\u00f6tzlich kommt dann die violette Figur zum Vorschein. Glanz dunkel ist jedoch nach meiner Beobachtung der von der Liohtlinie ums\u00e4umte Teil des Feldes nicht. Es besteht ein, wenn auch schwacher, violettgrauer Ton. Zeeman betont besonders, \u201ed&fs nicht nur gelbes Licht, sondern alle Spektralfarben die violette","page":376},{"file":"p0377.txt","language":"de","ocr_de":"Die Erkl\u00e4rung des Zeemarischen entoptischen Ph\u00e4nomens.\n377\nLinie erzeugen. Es gelingt sogar bei jeder der drei Wasserstofflinien. Mit der roten Linie gelingt es leicht, mit den anderen sehr schwer. Mit gelbem oder weifsem Lichte ist die Beobachtung der Erscheinung leicht.u Im Anfang schon meinte ich, wir h\u00e4tten hier mit einem Nachbilde zu thun, deg Umstandes wegen, dafs, wenn man die Erscheinung beobachtet, den Kopf und das Auge fixiert, und das schwarze Papier (mit dem Spalte) pl\u00f6tzlich bewegt, die ganze Figur absolut ruhig bleibt und vom Spalte unabh\u00e4ngig wird. Ein gew\u00f6hnliches Nachbild konnte es jedoch nicht sein, denn das Nachbild des Spaltes m\u00fcfste eine Linie sein. Eine andere Beobachtung ist die, dafs, wenn man den Kopf schief h\u00e4lt nach links und dann mit dem rechten Auge durch den vertikalen Spalt blickt (immer unter der Bedingung, dafs man nicht den Spalt fixiert, sondern das Bild eines Punktes rechts vom Spalte auf die Fovea centralis retinae fallen l\u00e4fst), man dieselbe grau-violette, spitzeiformige, von hellen violetten R\u00e4ndern ums\u00e4umte Figur sieht, jedoch mit dem zugespitzten Ende nach rechts und oben verschoben. Bei Beobachtung mit dem linken Auge, und den Kopf schief nach rechts (wieder unter der Bedingung, dafs man einen Punkt links vom Spalt fixiert), sieht man die Spitze der Figur nach links oben verschoben. Diese zwei Beobachtungen beweisen, dafs es ein irgendwie in der Retina festgelegtes Bild sein mufs, \u2014 ein entoptisches Nachbild. Meines Erachtens ist es h\u00f6chst wahrscheinlich, dafs die Figur das Bild der nach aufsen projizierten, in Erregung versetzten Macula lutea und Umgebung ist. Wollte man es noch besser umschreiben, so k\u00f6nnt\u00a9 man sagen: die Erscheinung ist ein entoptisches komplement\u00e4res Nachbild, verursacht durch die Erregung der hinter der Umgebung der Macula lutea gelegenen, perzipierenden Elemente \u2014 (Sehzellen). Dafs dieses kompli-ment\u00e4re Nachbild immer bei jeder Beleuchtung violett ist, ist dadurch zu erkl\u00e4ren, dafs in der Umgebung der Macula infolge der elektiven Absorption des gelben Farbstoffes immer mehr oder weniger gelbes Licht herrscht.\nDaf\u00fcr sprechen die folgenden \u00dcberlegungen :\n1. Wenn man das schwarze Papier mit dem Spalte z. B. 15 cm vom Auge entfernt h\u00e4lt, kann man mit einem Bleistifte so ungef\u00e4hr angeben, wie weit die violetten Lichtstreifen sich erstrecken, und an welchem Punkte sie sich ungef\u00e4hr schneiden","page":377},{"file":"p0378.txt","language":"de","ocr_de":"378\nE\nw\u00fcrden. Wenn man auf ein weifses St\u00fcck Papier zwei Punkte oder Kreise markiert, in derselben Entfernung von einander, wie der horizontale L\u00e4ngsdurohmesser der violetten Figur, und wenn man nun (das Auge in derselben Entfernung von 15 cm vom Papier) den einen Punkt fixiert, so verschwindet der andere. Von diesen Punkten oder Kreuzen liegt deshalb in diesem Falle das Bild des einen in der Fovea centralis, das des anderen im blinden Fleck.\n2. Die von Zeeman gemachte Beobachtung, dafs die Figur immer violett erscheint, ob man gelbes, weifses oder anderes Licht gebraucht. Es ist ja bekannt, dafs die Macula lutea ihren Namen empfangen hat, weil sie durch ihre ges\u00e4ttigt gelbe Farbe gekennzeichnet ist. Weilses Licht mufs deshalb ein violettes Nachbild erzeugen. Dafs gelbes Licht die Farbe der Erscheinung am sch\u00f6nsten hervorruft, kann uns nicht wundern. Dafs alle nicht vollkommen rein roten, blauen oder anderen Spektralfarben die Erscheinung erzeugen, jedoch weit schw\u00e4cher, ist begreiflich. Dafs es mit dem reinen Spektralblau noch hervorzurufen w\u00e4re, w\u00fcrde schwer begreiflich sein. W\u00e4hrend diese Beobachtungen es wahrscheinlich machen, dais die Macula lutea und speziell ihre gelbe Farbe die Erkl\u00e4rung der Erscheinung geben kann, zumal da die Form der Licht-Streifenfigur, das zugespitzt eif\u00f6rmige, und der horizontale Stand ihres gr\u00f6fsten Durchmessers genau \u00fcbereinstimmt mit der Form und dem Stande der Macula lutea, und die Figur, mit Beibehaltung ihrer Form, ihren Stand bei Beobachtung mit schiefem Kopfe in gleicher Weise \u00e4ndert, wie die durch die Kopfdrehung mitbewegte Macula lutea, deutet die unter 1 genannte Beobachtung auf noch kompliziertere Verh\u00e4ltnisse. Wissen wir doch, dafs die Macula lutea sich nicht bis zum blinden Fleck erstreckt. Was k\u00f6nnte dann die Umgrenzung der Figur verursachen?\nBekanntlich beobachtete Bergmann zwei den gelben Fleck oben und unten umfassende Randw\u00fclste, gebildet durch die in einem Bogen herumlaufenden Nervenb\u00fcndel. Blessig hat dieser Beobachtung zwar widersprochen, aber nach ihm haben Andere den Befund Bergmanns best\u00e4tigt, und Krause sah die W\u00e4lle in der unmittelbar nach dem Tode untersuchten Retina eines Enthaupteten ebenfalls.\nWir wissen ferner, dafs die gelbe F\u00e4rbung der Macula","page":378},{"file":"p0379.txt","language":"de","ocr_de":"Die Erkl\u00e4rung des Zeemanschm mtopimhm Ph\u00e4nomens.\n379\nlutea von einem diffusen gelben Farbstoff herr\u00fchrt, der alle vor den Sehzellen gelegenen Netzhautschichten der Macula durchtr\u00e4nkt, den Sehzellen aber fehlt ; er fehlt darum auch dem Grunde der Fovea centralis. Es ist sehr wahrscheinlich, dafs auch in der unmittelbaren N\u00e4he der Macula der gelbe Farbstoff vorhanden ist und die Bandw\u00fclste f\u00e4rbt.\nDie elliptischen Lichtlinien k\u00f6nnen deshalb diesen Bandw\u00fclsten ihr Entstehen zu verdanken haben und durch die an diesen auftretende Zerstreuung des Lichtes gerade besonders deutlich zur Beobachtung kommen. Zum Zustandekommen dieser Erscheinung haben wir n\u00f6tig ziemlich starke (nicht zu starke) diffuse, periphere Beleuchtung der Macula. Im Anfang haben wir schon gesagt, dafs man nicht die Flamme oder den Spalt selbst fixieren soll, aber \u00a9inen Punkt nach rechts, resp. nach links vom Spalte gelegen. Wenn man den Spalt vertikal h\u00e4lt und den Kopf aufrecht, steht die Achse der spitzeif\u00f6rmigen Lichtfigur senkrecht auf dem Spalte. H\u00e4lt man den Spalt nicht vertikal, jedoch schief, dann bleibt die Form und der Stand der Lichtfigur g\u00e4nzlich unver\u00e4ndert. Je mehr der Stand des Spaltes jedoch dem horizontalen Stande nahe kommt, desto schwerer wird die Beobachtung der Lichterscheinung. Steht der Spalt horizontal (oder nahezu horizontal), so ist es nicht m\u00f6glich, etwas von der Erscheinung zu sehen. Die Erkl\u00e4rung hierf\u00fcr ist die folgende: Der Durchmesser sowohl der Macula lutea als ihrer unmittelbaren N\u00e4he (der Teil der Betina durch die Bandw\u00fclste begrenzt) ist in vertikaler Bichtung viel kleiner als in horizontaler. Die Erscheinung dauert so kurz, dafs man sie theoretisch unmittelbar nach, praktisch jedoch w\u00e4hrend der Beobachtung1 erhaschen mufs. Eine zentrale Beleuchtung w\u00fcrde das \u00c4uge blenden und andererseits, weil in der Fovea centralis kein Farbstoff vorhanden ist, die violette Lichtfigur nicht erzeugen. Besonders ung\u00fcnstig w\u00fcrde es sein, wenn das linienf\u00f6rmige Lichtbild des Spaltes in den L\u00e4ngsdurchmesser der Macula und Umgebung fiel (dies geschieht bei horizontalem Stand des Spaltes). Damit das starke Licht bei zentraler Beleuchtung die Beobachtung der lichtschw\u00e4cheren violetten Lichtfigur nicht beeintr\u00e4chtige, ist periphere Beleuchtung not-wendig. Da nun die Macula lutea temporalw\u00e4rts vom Eintritt des Nervus opticus im Auge gelegen ist und die Bandw\u00fclste sich nasalw\u00e4rts von der Macula erstrecken, m\u00fcssen wir sorgen,","page":379},{"file":"p0380.txt","language":"de","ocr_de":"380\ndaJGs das einfallende Lieht temporalw\u00e4rts von der Macula lutea die Retina trifft, und deshalb den leuchtenden Spalt nasalw\u00e4rts vom Fixierpunkt (2 mm vom Spaltrande) halten. Die unmittelbare N\u00e4he der Macula wird deshalb das st\u00e4rkste diffuse Licht empfangen und auch am deutlichsten das violette Licht erzeugen. Je mehr man der Papilla nervi optici nahe kommt, desto lichtschw\u00e4cher wird die Erscheinung. Wenn man f\u00fcr periphere Beleuchtung der Macula auf die oben beschriebene Weise Sorge tr\u00e4gt, kann man auch ohne Spalt durch eine kleine runde \u00d6ffnung die Lichterscheinung erzeugen, wenn auch viel undeutlicher.\nZum Schl\u00fcsse habe ich noch versucht, die Erscheinung zu beobachten bei momentaner Beleuchtung des Spaltes durch oinen einzelnen elektrischen Funken. Ich fand, dais ein einzelner elektrischer Funke nicht gen\u00fcgte, die Lichtfigur zum Vorschein zu bringen. Erst bei nahezu kontinuer Beleuchtung durch eine Reihe \u00fcberspringender Funken gelang es mir, die Lichtfigur zu sehen. Der Spalt mufs dabei so eng sein, dais er ganz leuchtend erscheint. Die elektrischen Funken erhielt ich durch eine Influenzmaschine von Wimshttbst mit vier drehbaren Scheiben von 52 cm Durchmesser.\nDiese Beobachtung von Zeeman ist darum von hohem physiologischen Interesse, weil sie beweist, dafs die h\u00f6chste lichtperzipierende F\u00e4higkeit an bestimmte Teile der Retina gebunden ist, und dafs die hinter der gelbgef\u00e4rbten Region der Nervenfaser- und anderen Netzhautschichten gelegenen St\u00e4bchen und Zapfen, in diesem Falle speziell die Zapfen, ein Bild jener wichtigen Region zur Wahrnehmung bringen k\u00f6nnen und dadurch zugleich beweisen, dafs sie eigentlich die per-zipierenden Elemente sind.","page":380}],"identifier":"lit30158","issued":"1897","language":"de","pages":"375-380","startpages":"375","title":"Die Erkl\u00e4rung des Zeemanschen entoptischen Ph\u00e4nomens","type":"Journal Article","volume":"14"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:27:36.351540+00:00"}