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{"created":"2022-01-31T12:28:04.939215+00:00","id":"lit30200","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Nagel, Wilibald A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 15: 82-101","fulltext":[{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber Mischger\u00fcclie und die Komponentengliederung\ndes Geruchssinnes.\nVon\nDr. Wilibald A. Nagel in Freiburg i. Br.\nZur Entscheidung der Frage, ob die grofse Zahl der m\u00f6glichen Farbenempfindungen sich auf die wechselnde Beteiligung von bestimmten, wenig zahlreichen Komponenten in der Funktion des Sehapparates zur\u00fcckf\u00fchren lasse, und zur Feststellung der Zahl und der Eigenschaften dieser Komponenten hat man mit gutem Erfolge planm\u00e4fsige Versuche mit Mischungen verschiedenfarbiger Lichter herangezogen. Das Vorkommen partieller Defekte im Farbensinn gab ein weiteres wichtiges H\u00fclfs-mittel in der Untersuchung der genannten Frage. Es lag nahe, nach \u00e4hnlichen Methoden f\u00fcr die Untersuchung desjenigen Sinnes zu suchen, welcher der Gliederung in einigermafsen greifbare Komponenten bisher am meisten Schwierigkeiten entgegensetzt, des Geruchssinnes n\u00e4mlich.\nZweck der folgenden Zeilen ist es, auf Grund eigener Versuche und mit kritischer Verwertung fremder Ergebnisse zu er\u00f6rtern, welcherlei Aufschl\u00fcsse uns die bis jetzt bekannten Erfahrungen \u00fcber partielle Geruchssinnsdefekte und \u00fcber die Mischger\u00fcche hinsichtlich der Kompenentengliede-rung des Greruchssinnes zu geben imstande sind.\nDafs es im Riechnerven so viele verschiedene Arten von Fasern und Endapparaten gebe, wie es qualitativ verschiedene Ger\u00fcche giebt, ist durchaus unwahrscheinlich und meines Wissens auch nie behauptet worden. Ebenso unwahrscheinlich ist es, dafs die Riechnervenfasern samt ihren Endapparaten zwar alle von einerlei Art seien, dafs aber in ihnen so viele","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber Mischger\u00fcche und die Komponentengliederung des Geruchssinnes. 83\nverschiedene Sinnessubstanzen existierten, wie es Ger\u00fcche giebt. Die Zahl der qualitativ unterscheidbaren Ger\u00fcche ist f\u00fcr derartige Annahmen zu grofs.\nSoll die Hypothese von der spezifischen Energie des Riechnerven in \u00e4hnlicher \"Weise ausgebaut werden, wie dies hinsichtlich der \u00fcbrigen Sinnesnerven geschehen ist, so mufs die Existenz von gewissen Elementargeruchsempfindungen nachgewiesen werden, aus deren Mischung alle \u00fcbrigen Geruchsempfindungen resultieren. Hach Analogie der f\u00fcr die anderen Sinnesorgane gemachten Annahme mufs dann jeder Elementargeruchsempfindung entweder ein morphologisch differenzierter spezifischer Apparat entsprechen, sagen wir beispielsweise eine besondere Fasergattung (oder besondere Gattung von Biech-zellen), oder (wahrscheinlicher) eine besondere Sinnessubstanz, deren Beeinflussung durch jeden f\u00fcr sie \u00fcberhaupt wirksamen Heiz jene bestimmte Geruchsempfindung ausl\u00f6st. Die einzelnen Komponenten, bezw. die ihnen entsprechenden Elementarger\u00fcche brauchten nicht so offenkundig auf der Hand zu liegen und sich so direkt unterscheiden zu lassen, wie es beispielsweise im Gebiete des Geschmackssinnes, des Geh\u00f6rs und des Temperatursinnes der Fall ist: sie k\u00f6nnten versteckt sein und sich nur durch sorgf\u00e4ltige methodische Analyse herausfinden lassen, wie beim Farbensinn.\nEs ergeben sich hiernach zwei Hauptfragen als Gegenstand der Untersuchung, n\u00e4mlich erstens, ob wir f\u00fcr die Komponentengliederung des Geruchssinnes eine thats\u00e4chliche Grundlage finden k\u00f6nnen, und zweitens, ob sich durch Mischung von Ger\u00fcchen, d. h. durch gleichzeitige Einwirkung von zwei oder mehreren Geruchsreizen der Qualit\u00e4t nach neue und sich dem Bewufstsein als einheitlich darstellende Geruchseindr\u00fccke erzeugen lassen.\nDie erste dieser Fragen darf, wie ich glaube, im Hinblick auf Beobachtungen von Aronsohn und Zwaardemaker, die ich best\u00e4tigen kann, mit ja beantwortet werden; es giebt Anhaltspunkte f\u00fcr die Annahme, dafs das Biechorgan in seinen einzelnen perzipierenden Elementen an bestimmte Geruchsreize spezifisch angepafst sei. Yon einer Kenntnis der thats\u00e4chlichen Elementargeruchsempfindungen freilich und \u00fcberhaupt von einer genaueren Einsicht in das Wesen der Komponentengliederung des Geruchssinnes ist bis jetzt noch nicht zu reden.\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\nWil\u00efhald A. Nagel.\nAronsohn1 2 erm\u00fcdete das Riecborgan durch l\u00e4ngeres Riechen an einer bestimmten Substanz und konnte feststellen, dafs, wenn Unempfindlichkeit f\u00fcr diese Qualit\u00e4t eingetreten war, damit auch zugleich gewisse andere Ger\u00fcche nicht mehr oder nur noch schwach wahrgenommen werden konnten, w\u00e4hrend f\u00fcr eine weitere Anzahl von Ger\u00fcchen die Wahrnehmbarkeit nicht oder nur wenig gesch\u00e4digt war. Das Riechorgan war also nicht \u00fcberhaupt ersch\u00f6pft, sondern hatte nur einen (vor\u00fcbergehenden) partiellen Defekt erlitten.\nDiese Beobachtung ist leicht zu best\u00e4tigen. Besonders \u00fcberzeugend ist die folgende Yersuchsanordnung : Man mischt zwei Riechstoffe, z. B. Cumarin und Vanillin in ihren w\u00e4sserigen L\u00f6sungen in solchem Verh\u00e4ltnis, dafs nur der Vanillingeruch wahrnehmbar ist. Nun erm\u00fcdet man durch l\u00e4ngeres Riechen an reiner Vanillinl\u00f6sung das Riechorgan bis zur Unempfindlichkeit f\u00fcr diese Qualit\u00e4t und riecht nun wieder an jener Mischung. Diese, die vorhin nur nach Vanillin roch, wird jetzt nur nach Cumarin riechen.\nZwaardemaker, 2 dem wir die eingehendste Bearbeitung der Physiologie des Geruchs nebst einer Menge wichtiger Einzelergebnisse verdanken, hat die Versuche Aronsohns aufgenommen und theoretisch verwertet, um erstens seine auf anderem Wege abgeleitete Klassifikation der Ger\u00fcche zu st\u00fctzen und zweitens eine Hypothese \u00fcber die mutmafslichen verschiedenen \u201espezifischen Energien44 des Riechnerven aufzustellen.3\n1\tEd. Aronsohn. Untersuchungen zur Physiologie des G-eruchs. Arch, f. Physiol. 1886.\n2\tH. Zwaardemaker. Die Physiologie des Geruchs. Nach dem Manuskript \u00fcbersetzt von Dr. A. Junker von Langegg. Leipzig. Engelmann. 1895.\n3\tZwaardemaker nimmt, im allgemeinen an \u00e4ltere Autoren (besonders Linn\u00e9) sich anschliefsend, neun Geruchsklassen an, denen neun verschiedene f\u00fcr die Perzeption dieser Geruchsarten spezifisch disponierte Regionen der Riechschleimhaut, hintereinander in der Richtung des Atemstromes angeordnet, entsprechen. Der Riechnerv hat somit neun verschiedene spezifische Energien. Da nun aber die Zahl der unterscheidbaren Ger\u00fcche weit gr\u00f6fser ist als neun, nimmt Zwaardemaker innerhalb der einzelnen \u201eEnergiezone\u201c noch eine \u201eskalenbildende Schattierung\u201c der Ger\u00fcche an, d. h. eine skalenartige Folge von verwandten, zu einer gemeinsamen Geruchsreihe geh\u00f6rigen Qualit\u00e4ten, deren Perzeptionsorgane innerhalb der einzelnen Energiezone von unten nach oben oder senkrecht zur Richtung des Atemstromes angeordnet sind.","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber Mischger\u00fcche und die Komponentengliederung des Geruchssinnes. 85\nIch habe mich schon vor dem Erscheinen der Zwaar-DEMAKERschen \u201ePhysiologie des Geruchs\u201c und auch in den letzten Jahren ebenfalls vielfach mit der Frage der Komponentengliederung des Geruchssinnes und eines auf diese zu gr\u00fcndenden nat\u00fcrlichen Systems der Ger\u00fcche besch\u00e4ftigt. Ich kann mich jedoch mit der Lehre Zwaardemakers (deren wichtigsten Punkt ich in der Anmerkung angef\u00fchrt habe) nicht befreunden. Es ist nicht meine Absicht, hier eine Kritik derselben zu geben, um so weniger, da der Autor selbst seine Theorie mit allem Vorbehalt aufstellt und nicht verkennt, dafs Beweise f\u00fcr sie fehlen. Die lokalisatorische Theorie Zwaardemakers mit allen an sie ankn\u00fcpfenden Er\u00f6rterungen d\u00fcrfte denn auch thats\u00e4chlich wenig Beifall finden, da ihre Begr\u00fcndung nicht \u00fcberzeugend ist und sie bei konsequenter \u00dcberlegung in leicht ersichtlicher Weise auf unl\u00f6sbare Widerspr\u00fcche f\u00fchrt.\nIch beziehe mich daher auf Zwaardemakers Werk nur hinsichtlich der thats\u00e4chlichen Beobachtungen, welche der Autor teils selbst angestellt, teils aus der \u00e4lteren Litteratur gesammelt hat.\nWie oben bemerkt, kann ich die Angabe Aronsohes best\u00e4tigen, dafs das Kiechorgan bei Erm\u00fcdung f\u00fcr einen bestimmten Geruch f\u00fcr andere Ger\u00fcche nahezu normale Empfindlichkeit besitzen kann.\nAuf gewisse theoretisch interessante Beobachtungen, die ich bei derartigen Versuchen machte, werde ich weiter unten bei Besprechung der Mischger\u00fcche hinweisen.\nSo gewifs nun diese ARONSOHNschen Beobachtungen \u00fcber partielle Erm\u00fcdung des Geruchssinnes f\u00fcr eine Komponentengliederung sprechen, so wenig sind wir meiner Meinung nach\nDie neun Geruchsklassen Zwaardemakers sind folgende:\nI.\t\u00c4therische Ger\u00fcche,\nII.\tAromatische Ger\u00fcche,\nIII.\tBalsamische Ger\u00fcche,\nIV.\tAmber-Moschus-Ger\u00fcche,\nV.\tAllyl-Kakodyl-Ger\u00fcche,\nVI.\tBrenzliche Ger\u00fcche,\nVII.\tCapryl-Ger\u00fcche,\nVII. Widerliche Ger\u00fcche,\nIX. Ekelhafte Ger\u00fcche.","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\nWilibald A. Nagel.\nbei dem gegenw\u00e4rtigen Stande der Dinge in der Lage, auf Grund dieser Versuche die einzelnen Komponenten aufzufinden und somit \u201eElementarger\u00fcche\u201c aufzustellen. Ich m\u00f6chte mich trotz meiner zahlreichen Versuche auf diesem Gebiete nicht getrauen, \u00fcber die Komponentengliederung irgendwelche speziellere Angaben zu machen (z. B. welche der bekannten Ger\u00fcche etwa als Elementarger\u00fcche aufgefafst werden k\u00f6nnten) \u00f6der gar auf sie eine Klassifikation der Ger\u00fcche basieren zu wollen. Jene Versuche geben bis jetzt nur ganz ungef\u00e4hre Anhaltspunkte f\u00fcr Aufstellung differenter \u201eEnergien\u201c und Geruchsklassen (Zusammengeh\u00f6rigkeit der Brom-Jod-Ger\u00fcche mit den Schwefelwasserstoff-Ger\u00fcchen beispielsweise, nach Aronsohn). Auch wenn sie an einem sehr grofsen Materiale von Riechstoffen wiederholt werden sollten, werden die dabei gefundenen Gruppen zusammengeh\u00f6riger Ger\u00fcche nicht scharf gegeneinander abgrenzbar sein. Es liegt das daran, dafs bei Erm\u00fcdung f\u00fcr einen bestimmten Geruch die \u00fcbrigen Ger\u00fcche eben nicht schlechtweg in noch riechbare und nicht mehr riechbare zerfallen, sondern dafs alle Stufen der Abschw\u00e4chung sich zwischen diese Extreme einschieben. Auch geben sich bei derartigen Versuchen manche sonst einfach erscheinende Ger\u00fcche als Mischger\u00fcche zu erkennen, deren einer Bestandteil zu den von der Erm\u00fcdung betroffenen geh\u00f6ren kann, w\u00e4hrend der andere, als einer anderen Geruchsklasse angeh\u00f6rig, f\u00fcr das partiell erm\u00fcdete Riechorgan noch wahrnehmbar ist.\nEs fragt sich, ob man hinsichtlich der Komponentengliederung und Klassifikation der Ger\u00fcche nicht weiter kommt, Wenn man neben den Versuchen mit partieller Erm\u00fcdung noch andere Untersuchungsmethoden und andere Gesichtspunkte f\u00fcr die Gruppierung der Ger\u00fcche heranzieht. Die Ordnung der Ger\u00fcche nach der \u00c4hnlichkeit der subjektiven Geruchseindr\u00fccke w\u00e4re naheliegend, ist aber der Willk\u00fcr und dem individuellen Urteil zu sehr unterworfen, um \u00fcberzeugend wirken zu k\u00f6nnen. Die Ordnung nach der chemischen Verwandtschaft der riechenden Stoffe, genauer gesagt, nach dem Vorkommen bestimmter, \u201egeruchgebender Atomgruppierungen\u201c steht bis jetzt noch auf sehr schwankem Boden, d\u00fcrfte aber insofern eine Zukunft haben, als es auf diesem Wege vielleicht m\u00f6glich sein wird, die Riechstoffe nach einer objektiven Eigenschaft zu klassifizieren. F\u00fcr die Frage der Komponentengliederung des Ge-","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"Uber Mischger\u00fcche und die Komponentengliederung des Geruchssinnes. 87\nruchssinnes wird jedoch auf diesem Wege schwerlich etwas zu gewinnen sein.\nVon pathologischen Zust\u00e4nden des Riechorganes einige Aufkl\u00e4rung zu erwarten, liegt nahe, seit sich das Studium der Farbensinnsanomalien als so fruchtbar f\u00fcr die Farbentheorie erwiesen hat. Doch scheinen nach den bis jetzt vorliegenden Erfahrungen solche typische Anomalien, wie die Farbenblindheit sie bietet, im Gebiete des Geruchs (und Geschmacks) nicht oder wenigstens nicht h\u00e4ufig vorzukommen, und es ist daher mit dem, was man \u00fcber Parosmien und partielle Anosmien festgestellt hat, recht wenig anzufangen. Zwaardemaker spricht zwar von derartigen Geruchssinnsst\u00f6rungen, welche die Qualit\u00e4ten :\nReseda-Vanille,\nSchwefel-Bromger\u00fcche,\nBrandige Ger\u00fcche,\nF\u00e4kalgest\u00e4nke\nbetreffen und findet hierdurch vier seiner Geruchsklassen best\u00e4tigt. Allein erstens sind die mitgeteilten Beobachtungen zu wenig zahlreich, um irgendwie weitergehende Schl\u00fcsse zu gestatten, sie sind zweitens zum Teil gelegentliche Beobachtungen aus \u00e4lterer Zeit, die ohne Kenntnis der theoretisclien Bedeutung der Sache und wohl auch ohne Sorgfalt f\u00fcr Aus-schliefsung der Fehlerquellen angestellt wurden. Endlich sind sie zum Teil anderer Deutung f\u00e4hig. Dieses letztere gilt z. B. schon f\u00fcr den mehrfach zitierten Fall der \u201eResedaanosmiea Joe. M\u00fcllers, die mir recht zweifelhaft erscheint. So wie M\u00fcller die Sache mitteilt, ist durchaus kein Grund vorhanden, jene Anosmie bei ihm anzunehmen. Er spricht (S. 488 des II. Bandes seines Handbuches der Physiologie, 4. Aufi.) davon, \u201edafs Gestank und Geruch in der Tierwelt relativ sindu und dafs dies auch f\u00fcr die einzelnen Menschen gilt. \u201eManche Wohlger\u00fcche sind einigen unausstehlich, gebranntes Horn riecht manchen \u00fcbel, anderen gut, ohne dafs einer im letzteren Falle hysterisch zu sein braucht. Mehreren riecht Reseda nicht sehr sublim und mehr krautartig, wie Blumenbach anf\u00fchrt, und auch ich bin in diesem Falle.a\nAlso rein um das subjektive Wohlgefallen an dem Ger\u00fcche, um dessen affektive Wirkung handelt es sich. Ich mufs sagen, dafs ich, obgleich ich sicher keine Resedaanosmie","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\nWilibald A. Nagel.\nhabe, sondern den charakteristischen Besedageruch leicht wahrnehme, ebenfalls finde, dafs bei dieser Pflanze neben dem feinen Dufte, den Besedabeete oft weithin verbreiten, ein gras- oder krautartiger Geruch sich beim direkten Beriechen ziemlich stark vordr\u00e4ngt (\u00e4hnlich dem der Beseda lutea), der den Gesamteindruck f\u00fcr mich beeintr\u00e4chtigt. Es ist das einfach \u201eGeschmackssache\u201c.\nYon den in der Litteratur verzeichneten F\u00e4llen partieller Anosmie ist \u00fcbrigens, wie mir scheint, bei keinem einzigen die Untersuchung in solcher Weise durchgef\u00fchrt, dafs der Fall f\u00fcr unsere Zwecke theoretisch verwertbar w\u00e4re. Wenn mitgeteilt wird, dafs ein Mensch \u201ef\u00fcr alle Ger\u00fcche, das Benzoeharz ausgenommen, eine normale Biechsch\u00e4rfe besafs\u201c (Zwaardemaker 1. c.), so dr\u00e4ngt sich die Frage auf, ob diese Angabe w\u00f6rtlich zu nehmen ist, ob also gerade nur diese eine Geruchsqualit\u00e4t bei dem Patienten ausfiel. Im Sinne jeder Theorie, welche die Vielheit der Ger\u00fcche durch Mischung von wenigen Komponenten erkl\u00e4ren will (also auch der Zwaarde-MAKERschen Theorie), w\u00e4re zu erwarten, dafs die Perzeption f\u00fcr eine ganze Klasse von Ger\u00fcchen, nicht blofs f\u00fcr einen einzelnen Geruch gesch\u00e4digt sei. Doch wird davon nichts berichtet. Auch bei einer etwaigen Besedaanosmie m\u00fcfste neben dem Besedaduft noch eine ganze Anzahl anderer \u00e4hnlicher Ger\u00fcche ebenfalls nicht oder nur unvollkommen wahrgenommen werden, wenn der Geruchsdefekt der Theorie von der Komponentengliederung des Geruchssinnes zur St\u00fctze dienen sollte. So, wie die F\u00e4lle mitgeteilt sind, k\u00f6nnen sie eine solche St\u00fctze nicht abgeben, freilich k\u00f6nnen sie auch nicht zur Widerlegung dienen, weil eben auf den theoretisch wichtigsten Punkt, wie bemerkt, in der Untersuchung keine B\u00fccksicht genommen ist. Sie beweisen in unserer Frage gar nichts.\nNicht besser steht es mit den Parosmien und Geruchshalluzinationen, die nach Zwaardemaker gleichfalls Best\u00e4tigungen seiner Geruchsklassen liefern sollen. Wenn ein Mensch bestimmte Geruchseindr\u00fccke empfindet, ohne dafs das Vorhandensein eines entsprechenden Biechstoffes in seiner Umgebung nachgewiesen werden kann, so ist doch in vielen F\u00e4llen nicht mit Sicherheit auszuschliefsen, dafs diese scheinbare Halluzination durch objektiv vorhandene, etwa im Nasenrachenraum sich bildende","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"liber Mischger\u00fcche und die Komponentengliederung des Geruchssinnes. 89\n.Riechstoffe vorget\u00e4uscht werde. Das gilt z. B. f\u00fcr die F\u00e4lle, die Abonsohn (1. c. p. 354) mitteilt. Das Carcinom, das den Tractus olfactorius des einen Patienten zerst\u00f6rte, mag zu wirklichen objektiven Riechstoffentwickelungen Anlafs gegeben haben, und bei dem Kranken mit Nasenlues, der nach l\u00e4ngeren Riechversuchen, die man ihn hatte anstellen lassen, durch einige Zeit hindurch Terpentingeruch wahrnahm, k\u00f6nnen leicht Terpentin\u00f6lteilchen in der Nase h\u00e4ngen geblieben sein. Wie fest ein solcher Riechstoff namentlich in einer etwas katarrhalischen Schleimhaut haften kann, weifs jeder, der den Pr\u00e4pariersaal besucht hat. \u00dcbrigens ist mir auch speziell der Terpentingeruch als ein nach Erm\u00fcdungsversuchen lange haftender bekannt.\nAndererseits ist es ja zweifellos, dafs Geruchshalluzinationen nicht nur in pathologischen F\u00e4llen, sondern auch bei Gesunden h\u00e4ufig auftreten, letzterenfalls freilich stets ganz vor\u00fcbergehend. W\u00e4hrend ich g\u00e4nzlich aufser st\u00e4nde bin, mir willk\u00fcrlich einen Geruchseindruck aus der Erinnerung zu reproduzieren, treten bei mir nicht selten pr\u00e4gnante subjektive Geruchsempfindungen auf einige Sekunden ein, stets Ger\u00fcche, die mir wohlbekannt sind, mit denen ich aber unter Umst\u00e4nden seit Tagen oder Wochen nicht zu thun hatte, und die gleichwohl an meinem augenblicklichen Aufenthaltsorte objektiv nicht vorhanden sein konnten. \u00c4hnliches kommt auch bei anderen Personen vor, wie ich wiederholt erfahren habe. Vielleicht wird sie jeder bemerken, der einmal darauf aufmerksam geworden ist. Da diese subjektiven Ger\u00fcche doch wohl zentralen Ursprungs sind, da sie ferner sich keineswegs an bestimmte Geruchsklassen halten, sondern ganz regellos bald in dieser, bald in jener Qualit\u00e4t auftreten, sind sie offenbar ebensowenig geeignet, uns Aufschl\u00fcsse \u00fcber die Komponentengliederung des Geruchssinnes zu geben, wie Gesichtshalluzinationen \u00fcber die spezifische Sonderung der Elemente des Sehapparates zum Zwecke der Farbenunterscheidung.\n\u00dcberblicken wir die in den vorstehenden Erw\u00e4gungen gewonnenen Resultate, so k\u00f6nnen wir sagen, dafs Anhaltspunkte f\u00fcr die Annahme einer Komponentengliederung des Geruchssinnes entschieden gegeben sind, und zwar durch die","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nWilibald A. Nagel.\nA\u00dfONsOHNschen Versuche mit k\u00fcnstlicher Erzeugung eines partiellen Geruchssinnsdefektes durch partielle Erm\u00fcdung des E-iechorgans. Pathologische Anosmien und Parosmien haben dagegen nichts F\u00f6rderndes ergeben.\nUm nun \u00fcbrigens die Erkl\u00e4rung der Vielheit der existierenden Geruchsqualit\u00e4ten aus der wechselnden Beteiligung einer kleineren Anzahl von Komponenten plausibel zu machen, bedarf es, wie schon oben angedeutet, noch des Nachweises, dass sich Geruchseindr\u00fccke in der Weise vereinigen k\u00f6nnen, dafs dadurch neue Qualit\u00e4ten entstehen.\nMit Aronsohn und Zwaardemaker stimme ich darin \u00fcberein, dafs ich wie sie die Existenz von Mischger\u00fcchen finde. Im weiteren aber ergeben sich mehrfache Differenzen. Es wird sich empfehlen, zun\u00e4chst den Begriff des Mischgeruches etwas pr\u00e4ziser festzulegen, als es bisher von seiten der diese Frage ber\u00fchrenden Autoren geschehen ist. Nach Analogie der Mischempfindungen in anderen Sinnesgebieten k\u00f6nnte man a priori unter einem Mischgeruch zweierlei verstehen:\n1.\tEine Geruchsqualit\u00e4t, welche durch gleichzeitige Einwirkung von zwei oder mehreren Ger\u00fcchen entstanden ist, mit keinem derselben der Qualit\u00e4t nach identisch erscheint, vielmehr den Eindruck einer neuen Qualit\u00e4t macht, deren Ursprung aus einer Mischung \u2014 mit anderen Worten \u2014 deren Zusammengesetztheit sich jedoch nicht direkt erkennen l\u00e4fst.\n2.\tEine zusammengesetzte Empfindung, in welcher die beiden Komponenten gleichzeitig empfunden werden k\u00f6nnen, welche also auch direkt als zusammengesetzt erkannt werden kann.\nIch verstehe unter einem Mischgeruch im folgenden stets eine Empfindung, wie sie unter 1. definiert wurde, und zwar deshalb, weil ich f\u00fcr die Existenz von Mischger\u00fcchen im Sinne von 2. keinen Beweis kenne.1 Meinem Eindruck nach vollzieht\n1 Ich kann allerdings auch nicht beweisen, dafs es keine komplexe Mischempfindungen nach Analogie derjenigen des Geh\u00f6rsinnes im Gebiete des Geruchssinnes gebe. Es ist mein subjektiver Eindruck, dafs sich die Mischung von Ger\u00fcchen in der oben ausgef\u00fchrten Weise vollziehe. Es wird von Interesse sein, zu h\u00f6ren, ob andere Beobachter zum gleichen Resultate kommen. Die Hauptschwierigkeit der Beurteilung liegt in dem bei vielen Mischger\u00fcchen so rasch sich vollziehenden Wechsel der Empfindungsqualit\u00e4t (s. u.).","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber Mischger\u00fcche und die Komponentengliederung des Geruchssinnes. 91\nsich, somit die Mischung von Geruchsempfindungen eher nach dem Schema des Farbensinnes als des Geh\u00f6rsinnes. Doch auch gegen den Farbensinn bestehen Unterschiede erheblicher Art, wie aus den unten mitgeteilten Beobachtungen hervorgehen wird.\nValentin,1 meines Wissens der erste Autor, der die gleichzeitige Einwirkung zweier Riechreize untersuchte, schreibt folgendes:\n\u201eHalten wir uns zweierlei mit verschiedener Intensit\u00e4t riechende Substanzen vor beide Nasenl\u00f6cher, so besiegt bald der st\u00e4rkere Eindruck den schw\u00e4cheren. Wenn sich z. B. an einer Nasen\u00f6ffnung HoEEMANNsche Tropfen, an der anderen eine kleine Schachtel mit schwach riechenden Schwefel- oder chemischen Z\u00fcndh\u00f6lzchen befindet, so nimmt man h\u00e4ufig nur den Geruch des Schwefel\u00e4thers war. Sind dagegen beiderlei Ger\u00fcche stark, so kann mau sie bei besonderer Aufmerksamkeit zusammen oder selbst momentan je nach dem Einfl\u00fcsse des Willens vereinzelt auffassen. Solche Versuche gelangen mir z. B. mit Schwefel\u00e4ther und peruanischem Balsam. Es existiert also auch hier ein Wettstreit zwischen den beiden seitlichen Sinneswerkzeugen.a\nEs ist hieraus nicht mit Sicherheit zu entnehmen, ob Valentin, wenn er die zwei Ger\u00fcche \u201ezusammen auffassen konnte,u einen Mischgeruch mit neuer Qualit\u00e4t empfand, oder ob er sie wie die Komponenten eines Akkordes nebeneinander wahrzunehmen glaubte. Der Wortlaut spricht mehr f\u00fcr das letztere.\nAronsohn schreibt (1. c.):\n\u201eBeim gleichzeitigen Riechen an zwei verschiedenen K\u00f6rpern soll nach Valentin kein Mischgeruch entstehen, sondern gleichsam ein Wettstreit zwischen den Ger\u00fcchen stattfinden. Dieser Satz mufs sicherlich eine Einschr\u00e4nkung erhalten; denn es ist nicht einzusehen (!), warum nicht \u00e4hnliche Ger\u00fcche einen Mischgeruch geben sollten. Das Experiment lehrt, dafs folgende K\u00f6rper einen Mischgeruch geben, wenn sie gleichzeitig gerochen werden:\nOleum Juniperi und Oleum Carvi,\nEau de Cologne (selbst schon ein kompliziertes Gemisch) und Pomeranzen\u00f6l,\n1 Valentin, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 1844. Bd. II, S. 545.","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nWilibald A. Nagel.\nEau de Cologne und Citronen\u00f6l (Stud. jur. H.), Jodtinktur und Ol. Pimpinelli,\nOleum de Bergamo und Pomeranzen\u00f6l (ein sehr angenehmer Mischgeruch).\nDagegen herrschte beim gleichzeitigen Riechen an: Campher und Zwiebel,\nCampher und Ol. Juniperi,\nCampher und Eau de Cologne,\nCampher und Petroleum\nder Geruch von Zwiebel, Ol. Juniperi, Eau de Coiogne und Petroleum vor, und erst nach einer Weile traten die einzelnen Mischger\u00fcche hervor. Der sogenannte Wettstreit der Ger\u00fcche findet aber statt beim gleichzeitigen Riechen an Campher und Citronen\u00f6l. Riecht man an mehreren Substanzen gleichzeitig, so erh\u00e4lt man immer einen Mischgeruch und es stellt sich sehr schnell die Erm\u00fcdung f\u00fcr diese Ger\u00fcche ein.u\nDas Seltsame, was in diesem Ergebnisse der Versuche Aro^ Sohns liegt, kann ich mir nur dadurch erkl\u00e4ren, dafs ich vermute, der Autor habe sich von den genannten Riechstoffpaaren nur je eine Mischung hergestellt und an dieser gerochen; es kann doch sicherlich nicht behauptet werden, dafs der Geruch der Zwiebel, des Ol. Juniperi etc. in Mischung mit Camphergeruch \u00fcber diesen letzteren immer \u00fcber wiege. Viel Zwiebel mit wenig Campher giebt Zwiebelgeruch, viel Campher mit wenig Zwiebel aber ebenso sicher Camphergeruch. Bei denjenigen Riechstoffpaaren, die nach Aronsohn einen Mischgeruch geben, gilt dies nat\u00fcrlich auch nur bei richtigem Verh\u00e4ltnis der Intensit\u00e4t beider Qualit\u00e4ten, und durch andere Mischungsverh\u00e4ltnisse kann man nach Belieben die eine oder andere Qualit\u00e4t vorherrschen lassen. Die Versuche sind also in der Form, wie sie mitgeteilt sind, zur theoretischen Verwertung \u00fcberhaupt nicht geeignet, zumal da nicht gesagt ist, was unter einem Mischgeruch verstanden wird.\nZwaardemaker nimmt (1. c. S. 280) die Bemerkung Aronsohns, dafs \u201e\u00e4hnliche Ger\u00fcche\u201c miteinander einen Mischgeruch geben, insofern auf, als er sagt, nur die Vertreter einer und derselben Geruchsklasse oder sehr nahe verwandter Unterklassen geben miteinander Mischger\u00fcche, w\u00e4hrend Ger\u00fcche, die sich in seinem Systeme fern stehen, sich kompensieren. Diese vermeintliche Thatsache deutet Zwaardemaker nun im","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fcber Mischger\u00fcche and die Komponentengliederung des Geruchssinnes. 93\nSinne seiner Hypothese \u00fcber die r\u00e4umliche Verteilung der Geruchsqualit\u00e4ten auf der Riechschleimhaut, indem er dabei eine von ihm als \u201eIrradiation der Riechreize\u201c bezeichnete (hypothetische) Erscheinung heranzieht. Ich lasse eine Kritik dieser mir wenig plausibel erscheinenden Erkl\u00e4rung und der Konstruktion des resultierenden Mischungseffektes hier ganz beiseite, weil ich schon die hierdurch zu erkl\u00e4renden thats\u00e4chlichen Angaben nicht anerkennen kann. Es ist gar nicht richtig, dafs nur nahe verwandte, \u00e4hnliche, in der ZwAARDEMAKERschen Klassifikation sich nahe stehende Ger\u00fcche Mischger\u00fcche geben.\nZwaardemaker hat merkw\u00fcrdigerweise nicht den Versuch gemacht, auch nur mit einer einzigen eigenen Beobachtungsreihe den Beweis daf\u00fcr zu liefern, dafs nur verwandte Ger\u00fcche sich mischen, fernstehende nicht. Hie Beobachtungen, auf die er sich st\u00fctzt, sind vielmehr die wenigen, und wie oben gezeigt, f\u00fcr die Entscheidung der vorliegenden Frage unbrauchbaren Versuche Aronsohns, sodann Erfahrungen aus der Parfumerie. Er giebt eine Zusammenstellung einiger Blumenger\u00fcche, welche die Parfumeriefabrikanten durch geeignete Mischung von gewissen anderen Blumend\u00fcften mit etlichen Hroguen nachzuahmen wissen. Zugleich wird durch Ziffern und Buchstaben angegeben, welchen Klassen und Unterklassen die einzelnen Komponenten angeh\u00f6ren. So entsteht beispielsweise Veilchengeruch aus der Mischung von\nAkazie\t(III\tb)\nRosen\t(II\td)\nIris florentina (III b)\nTuberose\t(III\tb)\nMandel\t(II\te).\n\u00c4hnlich sind die Verh\u00e4ltnisse bei anderen Blumend\u00fcften. Das sind nun allerdings lauter der Klassenzahl nach nahestehende Ger\u00fcche. Sollte sich dieses scheinbare Gesetz aber nicht anders erkl\u00e4ren? Ich meine, es ist selbstverst\u00e4ndlich, dafs in solchen Parfums die Geruchsklassen V\u2014IX keine Verwendung finden k\u00f6nnen ; Allyl-Kakodyl-Ger\u00fcche, brenzliche, widerliche und ekelhafte Ger\u00fcche und Bocksgest\u00e4nke zu verwenden, hat der Parfumeriefabrikant keinen Anlafs. Die Klassen sind eben von vorneherein so gew\u00e4hlt, dais nur in II und III,","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nW\u00fcibald A. Nagel.\nallenfalls noch in I und IY sich zu Parf\u00fcmerien geeignete Stoffe finden k\u00f6nnen.1\nMischt man jedoch zu Versuchszwecken sich solche ungleichartige Stoffe zusammen, so findet man, dafs sie ebensowohl Mischger\u00fcche geben, wie naheverwandte Ger\u00fcche. H\u00f6chst pr\u00e4gnante Mischger\u00fcche geben z. B. die folgenden Kombinationen (bei welchen wiederum die Klassenbezeichnungen nach Zwaardemaker beigef\u00fcgt sind):\nVanillin\tIII\tc\nSchwefelammonium V a\nVanillin\tIII\tc\nBrom (Jod)\tV\tc\nEssig\u00e4ther\tI\ta\nKnoblauch\u00f6l\tV\ta\nI Menthol\tII\tc\n\\ ranziges Knochen\u00f6l VII a\n{Terpentin\tII\ta\nPropions\u00e4ure\tVII\ta\n{Terpentin\tII\ta\nXylol\tVI\tb\n{Amylacetat\tI\tc\nJod\tVc\n{Nitrobenzol\tII\te\nJod\tVc\nBei diesen Versuchen verfuhr ich in der Weise, dafs ich ein kleines Bechergl\u00e4schen in ein etwas gr\u00f6fseres stellte, und den einen Geruch gebenden Stoff ins innere, den anderen ins \u00e4ufsere Glas brachte. Waren die Riechstoffe von sehr un-\n1 Ganz ebenso ist es mit der Kompensation der Ger\u00fcche. Dafs man in der Pharmazeutik und im t\u00e4glichen Leben widerliche Ger\u00fcche nicht mit Angeh\u00f6rigen der gleichen oder n\u00e4chststehenden Klassen zu kompensieren sucht, also wiederum mit widerlichen, ekelhaften und Bocksgest\u00e4nken, ist begreiflich, und man braucht darum noch nicht den Satz aufzustellen, dafs nur solche Ger\u00fcche sich kompensieren, die sich im System fernstehen. Zwaardemaker teilt nun zwar auch eine Reihe von Kompensationen mit, die er experimentell erzeugen konnte, und bei welchen die Komponenten in der That meistens ziemlich von einander verschieden waren. Er giebt jedoch nicht den Beweis daf\u00fcr, dafs es mit im System sich n\u00e4herstehenden Ger\u00fcchen unm\u00f6glich w\u00e4re, Kompensationen zu erhalten. Diese Frage ist somit noch offen.","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber Mischger\u00fcche und die Komponentengliederung des Geruchssinnes. 95\ngleicher Intensit\u00e4t, so brachte ich den schw\u00e4cher riechenden in gr\u00f6fserer Menge auf den Boden eines Kochfl\u00e4schchens, von dem st\u00e4rkeren einen Tropfen in den Hals desselben Gef\u00e4fses. Indem ich die Menge des Riechstoffes und dessen Ber\u00fchrungsfl\u00e4che mit der Luft variierte, war es leicht, die zur Erzielung des Mischgeruches notwendige Kombination herzustellen. In einzelnen F\u00e4llen mischte ich auch die riechenden Substanzen direkt miteinander.\nIn den oben angef\u00fchrten Beispielen sind weit auseinanderliegende, zum Teil sehr un\u00e4hnliche Ger\u00fcche miteinander zu Mischger\u00fcchen vereinigt. Ich habe \u00fcberhaupt noch kein Paar von Riechstoffen gefunden, welches nicht bei geeigneter Intensit\u00e4tsbemessung einen Mischgeruch gegeben h\u00e4tte. Ich m\u00f6chte demnach die Vermutung aussprechen, dafs je zwei beliebige Ger\u00fcche sich zu einem Mischgeruch vereinigen lassen.\nAllerdings ist es \u2014 im Gegens\u00e4tze zu den Mischungen im Gebiete des Farbensinnes \u2014 bei den einzelnen Riechstoffpaaren sehr ungleich leicht, das richtige Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnis zu finden, und aufserdem sind die Mischger\u00fcche von ungleicher Best\u00e4ndigkeit ; bei manchen Mischungen tritt der Mischgeruch nur ganz vor\u00fcbergehend, f\u00fcr Augenblicke, auf, um dann alsbald dem einen oder anderen der beiden Einzelger\u00fcche zu weichen. In anderen F\u00e4llen erh\u00e4lt man einen sehr dauerhaften Mischgeruch, so z. B. von Vanillin und Brom, Vanillin und Schwefelammonium. Indem man an solchen Mischungen im Laufe l\u00e4ngerer Zeit (etwa eines Tages) wiederholt riecht, gewinnt man erst ein sicheres Urteil \u00fcber die neue Qualit\u00e4t. Man erkennt dann mit Sicherheit, dafs der neue Geruch keiner der beiden Komponenten gleicht, aber jeder von beiden \u00e4hnlich ist. Der an und f\u00fcr sich etwas fade, weiche, s\u00fcfsliche Vanillingeruch erh\u00e4lt durch die genannten Beimischungen einen kr\u00e4ftigeren, volleren Charakter, ebenso Amylacetat durch Jod.\nDie Thatsache, dafs manche Mischger\u00fcche dauernd, andere nur f\u00fcr kurze Zeit auftreten, erkl\u00e4rt sich, wie ich glaube, zum Teil aus der sehr ungleichen Fl\u00fcchtigkeit der Riechstoffe, welche praktisch die Herstellung konstant bleibender Mischungen erschwert, sowie namentlich aus der ungleich raschen Erm\u00fcdbarkeit des Riechnerven gegen\u00fcber den verschiedenen Ger\u00fcchen. So tritt rascher Erm\u00fcdung f\u00fcr den Geruch des Cumarin ein, als f\u00fcr den des Vanillin (beide Stoffe in ges\u00e4ttigter w\u00e4ssriger","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nW\u00eflibald A, Nagel.\nL\u00f6sung), weit langsamer als f\u00fcr diese beiden f\u00fcr den Geruch des Terpentin\u00f6les und des Amylacetat.\nDiese ungleiche Erm\u00fcdung beeinflufst auch in interessanter Weise den Eindruck, den die zahlreichen Mischger\u00fcche erzeugen, welche nicht experimenti causa erst hergestellt werden m\u00fcssen, sondern fertig vorgefunden werden. Eiecht man z. B. an einem nicht mehr v\u00f6llig frischen Veilchenstraufse, so hat der reine Veilchengeruch, wie ihn gute Parfums wiedergeben, einen unangenehmen, aber sehr charakteristischen Beiklang, den Geruch welkender Blumen Im ersten Augenblicke sind beide Ger\u00fcche vollkommen einheitlich zu einem Mischgeruch verschmolzen, der sich aber schon nach wenigen Atemz\u00fcgen auf l\u00f6st. Gew\u00f6hnlich \u00fcberdauert der Verwelkungsgeruch den V eilehenduft.1\nDer spezifische Duft des Waldmeisters, wenn ich nicht irre, auf der Gegenwart von Cumarin beruhend, hat in der frisch gepfl\u00fcckten Pflanze einen anderen Beiklang, als in der welkenden, wieder einen anderen in der getrockneten Pflanze (der letztere sehr \u00e4hlich dem des Weichselholzes). Alle drei enthalten den Cumaringeruch mit verschiedenen anderen Komponenten zu einheitlichen Mischger\u00fcchen verschmolzen.\nAber nicht nur in solchen F\u00e4llen, wo vermutlich zweierlei oder mehrere riechende Substanzen thats\u00e4chlich gemischt vorhanden sind, beobachtet man Mischger\u00fcche, welche sich durch die ungleiche Erm\u00fcdbarkeit des Eiechorgans f\u00fcr die einzelnen Individuen gewissermafsen analysieren lassen.2 Auch bei chemischen Individuen kommen solche Mischger\u00fcche h\u00e4ufig vor. So hat Propions\u00e4ure den Geruch der Essigs\u00e4ure und der h\u00f6heren Fetts\u00e4uren (etwa der Butters\u00e4ure) gleichzeitig; f\u00fcr ersteren\n1\tIm Harn nach Terpentin\u00f6lgenufs (oder Einatmung von dessen Dampf) ist der Veilchengeruch mit dem Harngeruch zu einem charakteristischen Mischgeruch verbunden.\n2\tJ. Passy (Sur l\u2019analyse d\u2019une odeur complexe. Compt. rend, de la soc. de hiol. 1892. S. 854\u2014855) hat eine Methode zur Analyse von Mischger\u00fcchen angegeben, bei welcher er die Thatsache verwertet, dafs bei successiver Verd\u00fcnnung eines Stoffes, der einen Mischgeruch giebt, die einzelnen Komponenten im allgemeinen nicht gleichzeitig, sondern nacheinander verschwinden. Mir scheint, man kann auf diese Weise wohl nachweisen, dafs ein bestimmter Geruch ein Mischgeruch ist, nicht aber sich die einzelnen Komponenten zur Anschauung bringen. Nur bei der zuletzt verschwindenden ist das denkbar.","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber Mischger\u00fcche und die Komponentengliederung des Geruchssinnes. 97\nGeruch, tritt aber rascher Erm\u00fcdung ein, und wenn man daher\nan einer kleinen Spur Propions\u00e4ure riecht, verschwindet schon\nnach wenigen Atemz\u00fcgen der Essigs\u00e4uregeruch und es bleibt\nnur der widerliche Eetts\u00e4uregeruch. \u00c4hnliches gilt f\u00fcr die\nPropyl- und Butylalkohole, bei denen der Geruch mindestens\n\u2022\u2022 ^\nzwei Komponenten enth\u00e4lt, die in reinem \u00c4thyl- und Amylalkohol ann\u00e4hernd isoliert sich finden.\nBenzoylchlorid hat (wenn es in sehr kleiner Menge verdampft, wobei der heftige sensible Beiz wegf\u00e4llt) einen sehr eigent\u00fcmlichen, an manche Blumend\u00fcfte erinnernden Geruch. Ich bemerke in demselben nach einigen Sekunden einen deutlichen Bittermandelgeruch; der Geruch mufs \u00fcberhaupt ein komplizierter Mischgeruch sein, denn er schwankt seiner Qualit\u00e4t nach bei l\u00e4ngerem Riechen sehr merklich. Nicht zu vergessen ist \u00fcbrigens, dafs Benzoylchlorid ein sich leicht zersetzender Stoff ist, der namentlich im Moment der Ber\u00fchrung mit der feuchten Schleimhaut leicht objektiven Spaltungen unterliegen k\u00f6nnte, was auf den Geruch von Einflufs sein mag.\n\u00c4hnlich schwankende Ger\u00fcche sind f\u00fcr mich der des Chlorphenol und des Nitrobenzol. Letzteres hat anfangs einen intensiven Bittermandelgeruch, doch mit einem eigent\u00fcmlichen, schwer zu beschreibenden Beiklang. Nach vier bis f\u00fcnf tiefen Atemz\u00fcgen l\u00f6st sich der bis dahin einheitliche Geruch dadurch auf, dafs der Mandelgeruch vollst\u00e4ndig verschwindet, und nur noch f\u00fcr eine Zeitlang jener ganz anders geartete Geruch \u00fcbrig bleibt, den ich am ehesten mit dem Ger\u00fcche grauer Gummischl\u00e4uche vergleichen m\u00f6chte.\nManche Mischger\u00fcche, welche zun\u00e4chst den Eindruck einfacher Ger\u00fcche machen, geben sich bei Gelegenheit der Erm\u00fcdungsversuche als gemischt zu erkennen. Dies gilt z. B. f\u00fcr den Geruch des Cedern\u00f6les. Erm\u00fcde ich den Geruchssinn durch Nelken\u00f6l, so ist Cedern\u00f6l f\u00fcr mich nun nicht geruchlos, sondern hat einen sehr deutlichen, von seinem sonstigen stark abweichenden Geruch. Ebenso Bittermandelwasser nach Nitrobenzolerm\u00fcdung (und umgekehrt); die Beispiele k\u00f6nnten noch erheblich vermehrt werden.\nEines Umstandes, der mir nicht unwichtig erscheint, mufs ich noch Erw\u00e4hnung thun. F\u00fcr die Analyse von Mischger\u00fcchen durch den Geruchssinn ist es von Bedeutung, ob die Komponenten der Mischung, oder wenigstens eine derselben dem\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XV.\t7","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\nWilibald A. Nagel.\nExperimentierenden der Qualit\u00e4t nach bekannt sind, d. h.? ob er schon \u00f6fters Gelegenheit gehabt hat, diesen Geruch isoliert wahrzunehmen und sich einzupr\u00e4gen. In dem angef\u00fchrten Beispiele von dem Benzoylchlorid ist mir die eine Komponente dieses Mischgeruches, der Bittermandelgeruch, genau bekannt, und da sie, offenbar infolge der ungleich raschen Erm\u00fcdung des Riechorganes f\u00fcr die verschiedenen Komponenten, bald etwas hervortritt, kann ich sie leicht erkennen und gewisser-mafsen die Aufmerksamkeit auf sie heften. Wie erw\u00e4hnt, ver\u00e4ndert sich jener Geruch bei l\u00e4ngerem Geruch noch mehrfach, ohne dafs aber dabei Komponenten in den Vordergrund tr\u00e4ten, die ich diagnostizieren k\u00f6nnte.\nKompliziert werden die Vorg\u00e4nge bei der Analyse eines Mischgeruches dadurch, dafs die Empfindlichkeit f\u00fcr jede einzelne Komponente und damit auch die Beteiligung derselben am Totalreizeffekt nicht bei l\u00e4ngerem Riechen gleichm\u00e4fsig, kontinuierlich abnimmt, sondern dafs h\u00e4ufig eine Art Oscillieren zwischen st\u00e4rkerem und schw\u00e4cherem Geruchseindruck eintritt, ehe die v\u00f6llige Erm\u00fcdung f\u00fcr diese Qualit\u00e4t erfolgt. Da die einzelnen Atemz\u00fcge wohl nie ganz gleich stark und demgem\u00e4fs die Luftbewegungen in der K\u00e4se nach St\u00e4rke und Form verschieden sein werden, kann es kommen, dafs das scheinbar schon erm\u00fcdete Riechorgan bei einer etwas st\u00e4rkeren Einatmung pl\u00f6tzlich wieder etwas von dem Ger\u00fcche wahrnimmt. Auch Schwankungen der Aufmerksamkeit scheinen nicht belanglos zu sein. Die durch diese Umst\u00e4nde bedingte Ungleich -m\u00e4fsigkeit in der Reizwirkung eines Geruches mufs bei Mischger\u00fcchen eine Erscheinung beg\u00fcnstigen, die man wohl als Wettstreit der Ger\u00fcche bezeichnen kann. Wenn man z. B. Cumarin, Vanillin und Naphthalin in w\u00e4ssrigen L\u00f6sungen so gemischt hat, dafs beim ersten Beriechen der Eindruck eines Geruches von neuer Qualit\u00e4t entsteht, so tritt bei l\u00e4ngerem Riechen sehr bald das Schwanken der Qualit\u00e4t ein, ein Hervortreten bald dieser bald jener Komponente, bis dann erst die eine Qualit\u00e4t (f\u00fcr mich gew\u00f6hnlich Cumarin oder Naphthalin) verschwindet, dann die zweite und schliefslich nur noch Vanillingeruch \u00fcbrigbleibt.\nBei Parf\u00fcms scheint meistens mit Erfolg darauf hingewirkt zu sein, dafs der Mischgeruch ein m\u00f6glichst dauernder und somit das Schwanken der Qualit\u00e4t verhindert sei. Bei dem","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber Mischger\u00fcche und die Komponentengliederung des Geruchssinnes. 99\nbekannten Parf\u00fcm \u201eParmaveilchen\u201c kann ich, wenn es in kleiner Menge verdampft, keine Komponenten unterscheiden, obgleich der Geruch sicherlich ein Mischgeruch ist. Nur wenn man unmittelbar an der Flasche riecht, tritt aus dem Misch-geruche leicht der Alkoholgeruch hervor, wie bei den meisten Parf\u00fcms.\nBeg\u00fcnstigend f\u00fcr die Entstehung eines pr\u00e4gnanten und dauerhaften Mischgeruches ist, abgesehen von den bisher genannten Umst\u00e4nden, eine gr\u00f6fsere Zahl von Komponenten. Das Schwanken der Qualit\u00e4t und der vor\u00fcbergehende Wettstreit der Komponenten tritt schon bei drei Komponenten weit weniger stark auf als bei zweien, noch weniger bei komplizierteren Mischungen. Auch diese Thatsache benutzen die Parf\u00fcmeure, indem sie ihre Mischungen nie aus zwei oder drei, sondern stets aus mehreren Bestandteilen zusammensetzen, wobei noch in vielen F\u00e4llen die einzelnen Bestandteile selbst als Mischger\u00fcche im physiologischen Sinne aufzufassen sein werden.\nAus den mitgeteilten Beobachtungen ziehe ich die folgenden Schl\u00fcsse :\n1.\tEs k\u00f6nnen sich je zwei beliebige Ger\u00fcche zu einem Mischgeruch vereinigen, der mindestens f\u00fcr einen Augenblick den Eindruck eines einfachen Geruches von neuer Qualit\u00e4t macht,\n2.\tOb ein dauernder oder nur vor\u00fcbergehender Mischgeruch auftritt, h\u00e4ngt vor allem davon ab, ob die Erm\u00fcdbarkeit des Kiechorgans f\u00fcr alle Komponenten ann\u00e4hernd gleich grofs ist oder nicht.\n3.\tBei Mischung von mehr als zwei Komponenten sind die Bedingungen f\u00fcr Entstehung eines dauerhaften und pr\u00e4gnanten Mischgeruches g\u00fcnstiger, als bei Mischung von nur zwei Ger\u00fcchen.\n4.\tDer Mischgeruch hat mit jeder der in ihn eingehenden Komponenten der Qualit\u00e4t nach \u00c4hnlichkeit, ohne ihr doch gleich zu sein.\n5.\tEin Mischgeruch, von dem der Beobachter von vornherein nicht weifs, ob er ein einfacher oder ein Mischgeruch ist, wird durch das Geruchsorgan nur dann leicht als Mischgeruch erkannt, wenn mindestens eine der Komponenten dem Beobachter von fr\u00fcher her dem Ger\u00fcche nach wohlbekannt\n7*","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\nWilibald A. Nagel.\nist, und aufserdem die Erm\u00fcdbarkeit des Bdechorganes f\u00fcr die einzelnen Komponenten es mit sich bringt, dafs jene bekannte Komponente zu irgend einem Zeitpunkte w\u00e4hrend des Biech-versuches aus der Mischung deutlich hervortritt. Ist die erstere Bedingung nicht erf\u00fcllt, so kann bei aufmerksamer Beobachtung der Mischgeruch als solcher noch an dem Wechsel der Qualit\u00e4t bei l\u00e4ngerem Bieehen erkannt werden. Ist jedoch die Erm\u00fcdbarkeit allen Komponenten gegen\u00fcber gleich grofs, so kann das Biechorgan die Mischung \u00fcberhaupt nicht erkennen, wenn nicht eine besondere Versuchsanordnung zu diesem Zwecke getroffen wird (vorherige partielle Erm\u00fcdung des Kiechorgans f\u00fcr eine Komponente oder Passys Methode der successiven Verd\u00fcnnung).\nAlles in allem genommen, scheinen mir sonach die Beobachtungen \u00fcber Mischger\u00fcche der Annahme durchaus g\u00fcnstig zu sein, dafs ein grofser Teil der bekannten Ger\u00fcche als gemischte Eindr\u00fccke aufzufassen seien. Damit wird dann weiterhin indirekt die Annahme der Komponentengliederung des Geruchssinnes gest\u00fctzt. Nicht nur ergab sich die M\u00f6glichkeit, aus beliebigen Ger\u00fcchen experimentell Mischger\u00fcche zu erzeugen, sondern es zeigte sich auch, dafs wahre Mischger\u00fcche in der Natur sehr verbreitet Vorkommen, selbst bei chemisch einfachen K\u00f6rpern. Diese Mischger\u00fcche sind in einem Teile der F\u00e4lle durch den Charakter der Empfindung, die sie erzeugen, gar nicht als Mischeindr\u00fccke zu erkennen, es bedarf besonderer Mafsnahmen, um ihre zusammengesetzte Natur zu beweisen. In einem anderen Teile der F\u00e4lle giebt uns zwar der Wechsel der Empfindungsqualit\u00e4t bei l\u00e4ngerer Einwirkung des Mischgeruches einen Anhaltspunkt f\u00fcr das Erkennen der gemischten Beschaffenheit des Geruches ; das hindert aber nicht, dafs auch Ger\u00fcche der letzteren Art, wo wir ihnen begegnen, uns zun\u00e4chst als einfache Qualit\u00e4ten erscheinen und somit die Zahl der existierenden Geruchsarten vermehren. L\u00e4ngeres aufmerksames Beobachten eines Geruches wird eben nicht h\u00e4ufig ge\u00fcbt, und wo es ge\u00fcbt wird, wie etwa beim B\u00e4uchen, beim Weinkosten, etc., geschieht es meistens ohne die Tendenz, die Einfachheit oder Zusammengesetztheit des Sinneseindruckes zu konstatieren, sondern zum Zwecke der Beurteilung des affektiven Charakters des Sinneseindruckes.","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber Mischger\u00fcche und die Komponentengliederung des Geruchssinnes, 101\nIn den verstellenden Er\u00f6rterungen habe ich einen Punkt mit Absicht unber\u00fccksichtigt gelassen, n\u00e4mlich die Intensit\u00e4t der k\u00fcnstlich erzeugten Mischger\u00fcche und die sich damit ber\u00fchrende Frage der Kompensation im Gebiete des Geruchssinnes. Wie stark der aus Mischung von zwei Ger\u00fcchen entstehende neue Geruchseindruck ist, ist ja wieder eine Frage f\u00fcr sich, unabh\u00e4ngig von der Qualit\u00e4t der Mischempfindung, loh m\u00f6chte jedoch nicht unterlassen, zu erw\u00e4hnen, dafs ich Zwaardemakers Beobachtung best\u00e4tigen kann, dafs bei Mischung von mehreren Ger\u00fcchen, auf welche Art sie auch erfolgt sein mag, im allgemeinen die resultierende Empfindung nicht nur nicht st\u00e4rker ist als die jeder einzelnen Komponente der Mischung entsprechende, sondern sehr h\u00e4ufig sogar merklich schw\u00e4cher. Auch habe ich Kombinationen von Ger\u00fcchen gefunden, die sich nahezu kompensierten, d. h. eine fast geruchlose Mischung ergaben. Y\u00f6llige Kompensation habe ich nie beobachtet, will aber ihre M\u00f6glichkeit durchaus nicht bestreiten.","page":101}],"identifier":"lit30200","issued":"1897","language":"de","pages":"82-101","startpages":"82","title":"\u00dcber Mischger\u00fcche und die Komponentengliederung des Geruchssinnes","type":"Journal Article","volume":"15"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:28:04.939221+00:00"}