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{"created":"2022-01-31T12:27:40.032221+00:00","id":"lit30237","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Pelman","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 15: 240-241","fulltext":[{"file":"p0240.txt","language":"de","ocr_de":"240\nLitteraturbericht.\ndes Wollens, welche sich durch den Charakter eines abnormen Zwanges auszeichnen, welche also nicht durch normale Ideenassoziation motiviert sind, ohne bewufsten Willen und selbst gegen den Willen des Ichs zwangsweise sich vollziehen, auch nicht emotiver, triebartiger Natur, auch keine Reflexaktionen sind. Dahin geh\u00f6rt z. B. die Fragesucht, Zwangsvorstellungen, die antagonistischen und kontr\u00e4ren Zwangsbewegungen. Meschede bezeichnet diese Vorg\u00e4nge als phrenoleptische.\nUmpfenbach (Bonn).\nHavelock Ellis und J. A. Symonds. Das kontr\u00e4re Geschlechtsgef\u00fchl. Deutsche Original-Ausgabe, besorgt unter Mitwirkung von Dr. Hans Kurella. Leipzig. Gr. H. Wigand. 1896. 308 S. (Bibliothek f\u00fcr Sozialwissenschaft. 7. Band.) M>. 6.\u2014.\nDas vorliegende Werk spricht aus verschiedenen Gr\u00fcnden unser Interesse an und nicht zum wenigsten darum, weil es von Engl\u00e4ndern verfafst und geschrieben, dennoch zuerst in deutscher Sprache erscheinen mufste. Denn in England hat, wie Ellis bemerkt, die sexuelle Inversion zwar stets sehr gebl\u00fcht, ein wissenschaftliches Werk dar\u00fcber ist aber bisher nicht verlegt worden. Es gilt als anst\u00f6fsig, den Gegenstand zu er\u00f6rtern, und der englische Verleger ziehe sich in der Regel sofort zur\u00fcck, sobald eine derartige Arbeit genannt werde.\nEs ist die alte Pr\u00fcderie, die alte Scheinheiligkeit, und die Theorie vom Vogel Btraufs, dem nur leider allzuh\u00e4ufig, und dann mit einer geradezu erschreckenden Brutalit\u00e4t durch diese oder jene Skandalgeschichte der Kopf aus dem Sande gezogen wird. In dem vorliegenden Falle m\u00fcfsten wir dieser Scheinheiligkeit eigentlich Dank wissen, da unsere Litteratur dadurch um einen wertvollen Beitrag bereichert wurde, den man, und das will bei derartigen B\u00fcchern etwas besagen, nicht ohne Anregung aus der Hand legen wird.\nGanz besonders gilt das mit Bezug auf das von J. A. Symonds ausgearbeitete dritte Kapitel, die Homosexualit\u00e4t in Griechenland betreffend, dessen historische Bedeutung nicht hoch genug anzuschlagen ist und das uns einige ganz neue Gesichtspunkte er\u00f6ffnet.\nAuch Ellis ist mehr als Psychologe denn als Arzt an die Frage herangetreten, und er baut seine Schl\u00fcsse auf eine Reihe von bestimmten Thatsachen auf, die er ermittelt hat. Es ist hier nicht der Ort, um ihm auf seinen verschiedenen Wegen zu folgen, und es soll nur kurz auf die von Ellis ermittelten Schl\u00fcsse hingewiesen werden.\nEllis betrachtet die sexuelle Inversion als einen im wesentlichen angeborenen Zustand, bei dem die Umgebung allerdings von grofsem Einflufs sei, im wesentlichen aber doch nur die Rolle der Ausl\u00f6sung einer angeborenen Anomalie spielen k\u00f6nne, ln dieser Weise wirken Schule, Verf\u00fchrung und get\u00e4uschte Liebe.\nAls angeborene Anomalie kann sie unter Umst\u00e4nden ein Teil eines Zustandes sein, der als degenerativ bezeichnet werden darf. In den g\u00fcnstigsten F\u00e4llen bedeutet eine derartige Anomalie eine Anlage zur Inversion. M\u00f6glicherweise gehen viele Menschen mit einer angeborenen Pr\u00e4disposition dieser Art durch das Leben, die immer latent und ruhend","page":240},{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht.\n241\nbleibt; bei anderen ist der Trieb so stark, dafs er trotz aller Hindernisse zum Durchbruch kommt; in anderen F\u00e4llen ist schliefslich die Anlage geringer und die Gelegenheitsursachen spielen die erste Rolle.\nWas Ellis \u00fcber Verhinderung und Bestrafung sagt, verdient unsere volle Aufmerksamkeit. Wohl niemand, der sich eingehender mit diesen Zust\u00e4nden besch\u00e4ftigt, wird sich eines peinlichen Eindruckes erwehren k\u00f6nnen, wenn er einen Einblick in Umfang und Ausdehnung dieser Abnormit\u00e4t gewinnt, von denen er bisher keine Ahnung hatte.\nNicht zu allen Zeiten hat man der Homosexualit\u00e4t mit dem Widerwillen, dem Abscheu gegen\u00fcbergestanden, wie wir dies heute thun, und erst im sechsten Jahrhundert unserer Zeitrechnung fand die entschiedene moderne Opposition gegen widernat\u00fcrliche Geschlechtshandlungen ihre Formulierung in der Gesetzgebung. Dann allerdings entschieden genug, da die Strafen bis zur Verurteilung zum Tode und zur Verbannung gingen.\nDie franz\u00f6sische Revolution brachte auch hierin einen Wandel, und unter dem politischen Einfl\u00fcsse Frankreichs verbreitete sich eine andere Auffassung \u00fcber den gr\u00f6fsten Teil Europas. Der Gesetzgeber sah seine Aufgabe nicht mehr in der Verfolgung des Lasters, und er liefs homosexuelle Praktiken, die unter erwachsenen Personen bei beiderseitiger Zustimmung und nicht \u00f6ffentlich geschahen, v\u00f6llig straffrei.\nIn Deutschland, \u00d6sterreich, England und Rufsland ist dies bis jetzt nicht der Fall, und alle Bestrebungen nach einer Ab\u00e4nderung der be_ stehenden Gesetzgebung sind erfolglos geblieben. So viel steht fest, dafs es in Frankreich und den anderen L\u00e4ndern auch ohne Strafe geht, und nach der Anschauung von Ellis w\u00e4re die Anomalie in Deutschland und England wahrscheinlich sogar viel h\u00e4ufiger als in Frankreich. Von einem g\u00fcnstigen Einflufs der Strafgesetze kann man demnach nicht viel reden, und wir k\u00f6nnen ihm nur zustimmen, wenn er der Ansicht ist, dafs diese \u00dcberreste einer veralteten Anschauung besser aus dem Strafgesetzbuche entfernt w\u00fcrden,\nHomosexuelle Handlungen sind ekelhaft und abscheulich, aber aus solchen Gef\u00fchlen heraus sollte man keine Strafgesetze machen, um so mehr, als die \u00f6ffentliche Meinung ausreicht, um mit derartigen Ausw\u00fcchsen fertig zu werden.\nIn einem Anh\u00e4nge finden wir einige recht wertvolle Angaben \u00fcber Homosexualit\u00e4t unter Vagabunden, \u00fcber Soldatenliebe und Verwandtes.\nJosiah Flynt, der, um das Leben der Vagabunden kennen zu lernen, acht Monate mit ihnen zusammenlebte und sie w\u00e4hrend fast zehn Jahre beobachtete, sch\u00e4tzt ihre Zahl in den Vereinigten Staaten auf 50\u201460 000, von denen etwa 5\u20146000 dem homosexuellen Verkehre ergeben seien und sich zu diesem Zwecke von Knaben begleiten liefsen.\nKurella, der die deutsche Ausgabe besorgt hat und der \u00dcbersetzung wohl nicht ganz ferne steht, hat in der Auswahl des Werkes wieder einmal seine gl\u00fcckliche Hand bewiesen und die Bibliothek der Sozialwissenschaft um einen weiteren wertvollen Beitrag bereichert.\nPelman.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XY.\n16","page":241}],"identifier":"lit30237","issued":"1897","language":"de","pages":"240-241","startpages":"240","title":"Havelock Ellis und J. 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