Open Access
{"created":"2022-01-31T12:29:53.989420+00:00","id":"lit30254","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Sachs, M.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 15: 314-316","fulltext":[{"file":"p0314.txt","language":"de","ocr_de":"Litter a turberich t.\nApparat eine angeborene\" ist, wird gest\u00fctzt durch die Befunde an Schielenden, wo die vikariierende Macula nicht zum Ausgangspunkt der Orientierung, nicht zum Nullpunkt des okulomotorischen Apparates wird. Dafs die sogenannte vikariierende Macula diese wichtigen Eigenschaften nicht erwirbt, bildet ein Hindernis f\u00fcr die Entwickelung einer neuen Korrespondenz der gegeneinander verschobenen Netzh\u00e4ute. Der Schielende sieht mit beiden Augen einfach, weil in den einzelnen Gesichtsfeldteilen immer nur mit einem oder dem andern Auge gesehen wird. Daher fehlt auch jeder Wettstreit; derselbe ist eben in den einzelnen Teilen des Gesichtsfeldes zu gunsten des einen oder andern Auges entschieden. Ein Versuch, die Widerspr\u00fcche mit der Identit\u00e4tslehre zu beseitigen, m\u00f6ge im Original nachgelesen werden. Ausdr\u00fccklich wird betont, dafs die nativistische Theorie das Sehen bei habituell abnormer Augenstellung nicht weiter pr\u00e4judiziert, im Gegensatz zur empiristischen Theorie, nach welcher die Schielstellung ganz belanglos f\u00fcr die Entwickelung des binokularen Sehens sein m\u00fcfste \u2014 was, wie gezeigt werden konnte, den Thatsachen nicht entspricht. \u2014\nA Graefe. Das Sehen der Schielenden. Eine ophthalmologisch-physiologische Studie. 41 S. mit 4 Fig. u. 1 Taf. Wiesbaden bei J. F. Bergmann. 1897.\nGraefe, der wie wenige andre die Kenntnis und das Verst\u00e4ndnis des Schielens, dieses komplizierten, problemenreichen Krankheitsbildes gef\u00f6rdert hat, bringt in der vorliegenden Schrift eine zusammenfassende Darstellung seiner Auffassung von der Art des Sehens der Schielenden. Die fehlerhafte Stellung des schielenden Auges, die nach Graefe\u2019s Auffassung \u201edurch eine Spannungsvermehrung der die Schieirichtung vermittelnden Augenmuskeln\u201c zustande kommt, m\u00fcfste einerseits eine Verlagerung des Gesichtsfeldes des schielenden Auges nach der der herbeigef\u00fchrten Stellungsver\u00e4nderung des Auges entgegengesetzten Seite nach sich ziehen, andrerseits Doppeltsehen zufolge haben. Es gelang Graefe wiederholt, bei Schielenden die falsche Gesichtsfeldprojektion durch den Tastversuch nachzuweisen. Desgleichen konnte er bei Schielenden unter Anwendung verschiedener Hilfsmittel oft genug Doppeltsehen im Sinne der fehlerhaften Augenstellung hervorrufen.\nGraefe geht nun \u00fcber auf die Besprechung der durch den Strabismus herbeigef\u00fchrten \u201eSt\u00f6rungen und Umformungen des binokularen Sehens\u201c. Hierbei ist zu beachten, dafs Gr. den Ausdruck \u201ebinokulares Sehen\u201c im weitesten Sinne des Wortes fafst, und darunter nicht blofs das stereoskopische Sehen, sondern ganz allgemein die F\u00e4higkeit, die Eindr\u00fccke beider Augen zu verwerten, versteht. Zun\u00e4chst werden die durch das Schielen herbeigef\u00fchrten Ver\u00e4nderungen des Gesichtsfeldes erw\u00e4hnt. Bei Strabismus convergens fallen die Aufsengrenzen des summarischen Gesichtsfeldes nicht wie de norma mit den temporalen Aufsengrenzen der beiden monokularen Gesichtsfelder zusammen, sondern werden nach beiden Seiten hin durch die Gesichtsfeldaufsengrenzen des jeweils fixierenden Auges bestimmt. Bei Strabismus divergens fallen wieder wie beim normalen die Aufsengrenzen des summarischen Gesichtsfeldes mit den temporalen Grenzen der monokularen Gesichtsfelder zusammen. Das summarische","page":314},{"file":"p0315.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht.\n315\nGesichtsfeld \u00fcberragt aber das summarische des normalen nach der Seite des nach aufsen schielenden Auges um einen durch den Schieiwinkel be* stimmten Sektor. Das binokulare Gesichtsfeld hat in diesem Falle um ebensoviel an Ausdehnung verloren, als das summarische gewonnen hat.\nDie Frage nach der Beteiligung des schielenden Auges am \u201ebinokularen\u201c Sehen wird an der Hand eines Falles von Strabismus convergens mit beiderseits guter Sehsch\u00e4rfe er\u00f6rtert. Das rechte normalstehende Auge fixiere einen Gegenstand; das linke schielende werde mit einem farbigen Glas bedeckt. Durchwandert man nun das Gesichtsfeld mit einer Kerzenflamme, so erscheint dieselbe in der Gegend der Visio directa des schielenden Auges gef\u00e4rbt, wird also von diesem Auge wahrgenommen. Daraus, dafs die Kerzenflamme stets einfach erscheint, folgt nach Graefe unmittelbar, dafs sie immer nur von einem Auge gesehen wird. Das Einfachsehen des fixierten Objektes soll dadurch zustande kommen, dafs die exzentrischen Netzhauterregungen des abgewichenen Auges nicht zur Perzeption gelangen, \u201edafs sie exkludiert werden, also funktionell latent bleiben.\u201c Diese Exklusion soll sich nach Graeee aus dem Doppeltsehen, das urspr\u00fcnglich durch die Schieistellung gegeben sein mufs, dadurch entwickeln, dafs mit Hilfe des Tastsinns die Erkenntnis gef\u00f6rdert wird, dafs der doppelt erscheinende Gegenstand in Wirklichkeit doch nur einmal vorhanden ist. (Freilich ist dies, wie auch Gr. zugiebt, nicht viel mehr als eine Umschreibung der Thatsachen.) Die Exklusion ist eine region\u00e4re auf beide Augen verteilte, denn, wie erw\u00e4hnt, wrerden Objekte, die entsprechend der Macula des schielenden Auges zur Abbildung gelangen, vom fixierenden Auge nicht wahrgenommen.\nNun kann aber nach Graefe das Einfachsehen der Schielenden noch in andrer Weise als \u201edurch Entwickelung und Bet\u00e4tigung der Exklusion\u201c zustande kommen, n\u00e4mlich durch Ausbildung eines neuen Identit\u00e4tsverh\u00e4ltnisses. Dafs ein solches zur Entwickelung gekommen ist, kann dann angenommen werden,\n1.\twenn durch Prismen mit der Basis nach oben oder unten, vor ein Auge gehalten, h\u00f6hendistante Doppelbilder hervorgerufen werden k\u00f6nnen, die genau \u00dcbereinanderstehen oder nur eine geringe der Schielstellung nicht entsprechende Lateraldistanz zeigen.\n2.\twenn im Stereoskop aufser dem dem zentral fixierenden Auge zugeh\u00f6rigen deutlichen Bild gleichzeitig auch ein anderes verblafstes bemerkt wird. Wie Graefe ausdr\u00fccklich hervorhebt, schwankt dieses Bild in seiner Lage, wird bald an derselben Stelle gesehen, wie das zentral fixierte Bild,, bald weicht es nach der einen oder andern Seite ab, bald gelangt es \u00fcberhaupt nicht zur Wahrnehmung. Graefe vermutet, dafs ein ganz regelrechtes Sammelbild schon deshalb nicht erwartet werden kann, \u201eweil die schw\u00e4cher empfindende mit der Macula des zentral fixierenden Auges hier identisch gewordene Netzhautregion des andern weniger energisch als eine maculare zu einer festgeschlossenen Einstellung dr\u00e4ngt.\u201c Auch mache sicli in der Mehrzahl dieser F\u00e4lle gleichzeitig eine gewisse Neigung zu region\u00e4rer Exklusion bemerkbar, und verhindere die Wahrnehmung eines typischen Sammelbildes.","page":315},{"file":"p0316.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht\n3. wenn nach einer Tenotomie, die den Strabismus convergens mehr oder weniger beseitigt hat, gekreuzte (sog. paradoxe) Doppelbilder auftreten (selbstverst\u00e4ndlich mufs von jenen F\u00e4llen abgesehen werden, wo durch Operation Strabismus divergens erzeugt worden ist).\nAus einem Wettstreit zwischen den vor der Entwickelung des Strabismus bestehenden \u201enoch einigermafsen im Ged\u00e4chtnis fortlebenden normalen Identit\u00e4tsverh\u00e4ltnissen\u201c und jenem in der Bildung begriffenen neuen, sucht Graefe die F\u00e4lle zu erkl\u00e4ren, wo operierte Schielende, die doppelt sehen, gelegentlich aufser st\u00e4nde sind, zu sagen, welches der Bilder rechts und welches sich links befindet. [Ref. m\u00f6chte diese ungeheuerlichen Lokalisationsfehler darauf zur\u00fcckf\u00fchren, dafs die Bilder beider Augen nicht streng gleichzeitig perzipiert werden, und den obigen Befund im Gegensatz zu Graefe als Beweis ansehen f\u00fcr das Fehlen einer durch Verschmelzung der Eindr\u00fccke beider Augen charakterisierten Sehth\u00e4tigkeit.]\nGraefe\u2019s Ausf\u00fchrungen gipfeln in dem Satze, dafs das Sehen der Schielenden auf Exklusion, oder auf Bildung neuer Identit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse oder auf einer Kombination dieser beiden Vorg\u00e4nge beruht.\nIn aller K\u00fcrze wird die schiefe Kopfhaltung der Schielenden besprochen; die Kopfdrehung soll besonders in jenen F\u00e4llen zur Entwickelung kommen, wo monolaterales (nicht alternierendes) Schielen besteht, und soll immer nach der Seite hin gerichtet sein, nach welcher das schielende Auge abgelenkt ist. Die Veranlassung zur Ausbildung der schiefen Kopfhaltung m\u00f6chte Graefe darin erblicken, dafs bei dieser Kopfhaltung das fixierende Auge in eine Stellung r\u00fccken kann, die ihm mit R\u00fccksicht auf die auch im Internus dieses Auges bestehende h\u00f6here Spannung \u201ebequemer\u201c ist.\nIm letzten Kapitel wTendet sich Graefe gegen die Annahme einer Amblyopia ex anopsia (dafs die oft bestehende Schwachsichtigkeit am schielenden Auge eine Folge des Schielens sei). Die wiederholt beobachtete angebliche Besserung des Sehverm\u00f6gens nach Strabotomie ist nach der Ansicht Graefe\u2019s auf mangelhafte Sehpr\u00fcfung vor der Operation zur\u00fcckzuf\u00fchren. Bei hohen Graden von Strabismus ist es dem Untersuchten oft nicht m\u00f6glich, das Auge in die Mitte der Lidspalte zu bringen und die Macula f\u00fcr die vorgehaltene Sehprobe einzustellen. Dies wird dann nach Durchschneidung des Schieimuskels m\u00f6glich, so dafs jetzt bei Wiederholung der Pr\u00fcfung des Sehverm\u00f6gens dasselbe gebessert erscheinen kann.\nGraefe leitet seine Studie mit einer Darstellung der Projektionslehre ein, an der er auffallenderweise noch immer festh\u00e4lt. Es ist zwar sehr zu bedauern, dafs er diese gewifs mit Recht verlassene Theorie seinen Ausf\u00fchrungen zu Grunde gelegt hat, die Bedeutung der interessanten Beobachtungen und Funde, die in dieser Arbeit niedergelegt sind, wird jedoch dadurch nicht verringert.\tM. Sachs (Wien).","page":316}],"identifier":"lit30254","issued":"1897","language":"de","pages":"314-316","startpages":"314","title":"A. Graefe: Das Sehen der Schielenden. Eine ophthalmologisch-physiologische Studie. 41 S. mit 4 Fig. u. 1 Taf. Wiesbaden bei J. F. Bergmann. 1897","type":"Journal Article","volume":"15"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:29:53.989426+00:00"}