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{"created":"2022-01-31T12:35:37.154406+00:00","id":"lit30262","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Simmel, G.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 15: 321","fulltext":[{"file":"p0321.txt","language":"de","ocr_de":"Li tteraturberich t\n321\nKarl B\u00fccher. Arbeit fl. Rhythmus. Abhandlungen der philologisch-historischen\nKlasse der S\u00e4chsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Bd. XVII, Nr. V. Leipzig, Hirzel, 1896. 130 S.\nDiese Studie des ber\u00fchmten National\u00f6konomen ist ein klassisches Beispiel der vergleichend-historischen Methode f\u00fcr das Verst\u00e4ndnis \u00e4sthetischer Ph\u00e4nomene. Es wird nachgewiesen, dafs die rhythmische Gestaltung der Arbeit eine aufserordentlich zweckm\u00e4fsige und kraftsparende ist, und zwar sowohl infolge ihrer technischen, wie ihrer physisch-psychischen Bedingungen. Die Einzelarbeit nicht weniger als die gemeinsame Arbeit Mehrerer geht am leichtesten im regelm\u00e4fsigen Takte vor sich \u2014 in einem Takte, der einerseits an dem Ger\u00e4usch der Arbeit selbst verk\u00f6rpert, andrerseits durch begleitenden Gesang markiert und verst\u00e4rkt wird. Daraus ergeben sich zwei Folgerungen von grofser Wichtigkeit. Zun\u00e4chst die sozialisierende Bedeutung des Rhythmus : indem die gemeinsame Arbeit in rhythmischer Form erfolgt \u2014 im Gleichtakt oder im Wechseltakt \u2014 wird sie gleichsam organisiert, die Willk\u00fcr des Einzelnen wird einer festen Ordnung und Regel unterstellt. End was der Rhythmus so der Arbeit leistet, giebt, zweitens, die Arbeit dem Rhythmus zur\u00fcck. Die technische Zweckm\u00e4fsig-keit ihrer rhythmischen Gestaltung pr\u00e4gt den Rhythmus tief und energisch ein und macht ihn gleichsam zu einem Lebenselemente. In der rhythmisch geformten Arbeit haben wir den einheitlichen historischen Quellpunkt, aus dem die blofse Arbeit im heutigen Sinn, die Musik und die Dichtung in langsamen Differenzierungsprozessen zu selbst\u00e4ndigen Gebilden aufgewachsen sind. Die Arbeit aber erscheint hierin gleichsam als das primum movens. Es liegt um so n\u00e4her, anzunehmen, \u201edafs rhythmisch gegliederte Arbeitsbewegungen der bildsamen Rede das Gesetz ihres Verlaufs mitgeteilt haben, als es einer allgemeinen Neigung des Menschen entspricht, die Bewegungen bei schwerer Arbeit mit Sprechlauten zu begleiten\u201c. Erst mit der modernen Arbeit, die den nat\u00fcrlichen Rhythmus unsres Thuns unterdr\u00fcckt, indem sie dieses einem unpers\u00f6nlichen Mechanismus einf\u00fcgt, verschwindet der Arbeitsgesang. Allein mit solcher Divergenz im Fortschreiten kann die Einheit des Ursprungs sehr wohl bestehen. Dieser hypothetische Entwickelungsgang wird durch eine \u00fcberraschende F\u00fclle ethnographischer Beispiele belegt. \u2014 Sicher w\u00e4re es eine T\u00e4uschung, das Gesamtproblem der \u00e4sthetischen Ph\u00e4nomene durch derartige genetische Untersuchungen f\u00fcr l\u00f6sbar zu halten. Neben der Frage nach ihrem Werden steht als Frage andrer Ordnung die nach ihrem Sein, die nur durch sachlich - psychologische Analyse ihres Inhalts, ihrer Bedeutung, ihres Empfundenwerdens zu beantworten ist. Immerhin ist die Grenze zwischen beiden Fragestellungen eine sch\u00e4rfere, als die zwischen den Wegen zu ihrer thats\u00e4eh-lichen Beantwortung. Denn wie einerseits eine gewisse Erkenntnis des Seins vorangehen mufs, damit man nach dem Werden fragen k\u00f6nne, und diese Erkenntnis gewifsermafsen als a priori in aller genetischen Forschung enthalten ist, so mag andrerseits der Werdegang der Ph\u00e4nomene uns auf die Momente hinf\u00fchren, die unsrer Betrachtung ihres gleichsam zeitlosen Inhaltes und Sinnes sonst verdeckt oder unentwirrbar w\u00e4ren.\nG. Simmel (Berlin).","page":321}],"identifier":"lit30262","issued":"1897","language":"de","pages":"321","startpages":"321","title":"Karl B\u00fccher: Arbeit u. Rhythmus. Abhandlungen der philologisch-historischen Klasse der S\u00e4chsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Bd. XVII, Nr. V. Leipzig, Hirzel, 1896. 130 S.","type":"Journal Article","volume":"15"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:35:37.154411+00:00"}