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{"created":"2022-01-31T12:35:05.999348+00:00","id":"lit30296","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Riemann, Hugo","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 16: 208-213","fulltext":[{"file":"p0208.txt","language":"de","ocr_de":"208\nBesprechungen.\nvon der Giltigkeit des allgemeinen Kausalgesetzes, nicht mehr der Psychologie, sondern bereits der Metaphysik zugeh\u00f6rt. \u2014 Ein Paragraph von gleichm\u00e4ssig psychologischem wie ethischem Interesse, \u00fcber die Entwickelung eines sittlichen* Charakters, bringt das Buch zu w\u00fcrdigem Abschluss. Es sind zum Theil schon jenseits der Grenze wissenschaftlicher Strenge stehende Gesinnungselemente, die da bisweilen mitsprechen, und so ist es wohl vorauszusehen, dass die Schlussgedanken nicht in Jedermanns Brust sympathischen Widerhall wecken werden ; Achtung aber m\u00fcssen sie Jedem abn\u00f6thigen, der sittlichen Ernst zu sch\u00e4tzen weiss. \u2014\nUeberblicken wir somit den Inhalt des Buches, so finden wir ihn vor Allem dadurch ausgezeichnet, dass er eine ziemliche Menge neuer, f\u00fcr die Grundfragen der Psychologie wichtiger Gesichtspunkte und Forschungsergebnisse zum ersten Male einer zusammenh\u00e4ngenden Darstellung des Seelenlebens einf\u00fcgt. Es f\u00fcllt dadurch eine geradezu empfindliche L\u00fccke der psychologischen Literatur aus, freilich so, dass man auch nun von den \u00fcbrigen als brauchbar anerkannten Gesammtdarstellungen der Psychologie kaum eine wird missen wollen.\tWitasek (Graz).\nCarl Stumpf. Geschichte des Konsonanzbegriffes. Erster Theil. Abhandlungen der k. bayr. \u00c4kad. der Wissensch. I. Kl. XXI. Bd. 1. Abth. M\u00fcnchen 1897. In Kommission des G. Franz\u2019schen Verlags (J. Both). 78 S. 4\u00b0.\nCarl Stumpf. Die pseudo-aristotelischen Probleme \u00fcber Musik. Abhandlungen der k, preuss. Akademie der Wissensch. zu Berlin v. J. 1896. Berlin 1897. In Kommission bei Georg Beimer. 85 S. 4 \u00b0.\nNachdem Stumpf bereits mit seiner Tonpsychologie (Bd. I\u2014II, 1883, 1890) als F\u00fchrer auf neuen Bahnen in die vorderste Beihe der Vertreter der Musikwissenschaft getreten, stellt er sich mit den beiden vorliegenden Arbeiten nunmehr auch unter die Musikhistoriker, speziell unter die Forscher auf dem Gebiete der Musik der alten Griechen. Wie er dazu gekommen, berichtet er selbst (Gesch. d. K. S. 3): \u201eDie vorliegende Untersuchung wurde in erster Linie nicht aus historischem, sondern aus sachlichem Interesse unternommen, zu welchem das historische sich freilich bald gesellte. Man ist heute, nachdem Helmholtz\u2019 Erkl\u00e4rung der Konsonanz mehr als zweifelhaft geworden, mit der alten Frage aufs neue besch\u00e4ftigt. Ein Merkmal scheint Eingang zu finden, das der Verfasser ohne noch etwas von der altgriechischen Theorie zu wissen, bei langj\u00e4hriger Vertiefung in die Erscheinungen des Tongebietes als wesentlich zu erkennen glaubte, n\u00e4mlich die Unterschiede in den Verschmelzungsstufen oder in der Einheitlichkeit des Eindrucks beim Zusammenklange der T\u00f6ne. Da ist es nun lehrreich zu sehen, wie die scharfe Beobachtungsgabe der Griechen dieses Merkmal der sinnlichen Erscheinung bereits erfasste . . . Erst mit dem Beginn der christlichen Musikepoche traten mehr und mehr Unterschiede in der Annehmlichkeit des Zusammenklanges in den Vordergrund, die man dann auf allerlei Wegen, zuletzt durch den Hinweis","page":208},{"file":"p0209.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n209\nauf die Schwebungen und Ober t\u00f6ne, weiter zu erkl\u00e4ren suchte . . . Die historische Untersuchung vermag die sachliche ganz wesentlich zu unterst\u00fctzen und die D\u00fcckkehr zur Definition der Alten beg\u00fcnstigen.\u201c\nDiese wenigen Zeilen enthalten zugleich eine Art Programm f\u00fcr die Arbeit und geben den Gesichtswinkel an, unter welchem Stumpf das ge-sammte begangene Gebiet betrachtet. Eine charakteristische Physiognomie erh\u00e4lt Stumpf\u2019s Studie durch Festhalten der allm\u00e4hlich gewonnenen Ueber-zeugung, dass die Alten, obgleich f\u00fcr ihre praktische Musik\u00fcbung Zusammenkl\u00e4nge im Sinne unserer heutigen akkordischen Musik nur ausnahmsweise und sehr in zweiter Linie in Frage kamen, doch die Erkl\u00e4rungen des verschiedenen \u00e4sthetischen Werthes der einzelnen Intervalle aus der Verschiedenheit des Grades ihrer Verschmelzung bei gleichzeitigem Erklingen ableiteten. Wenn ich auch in keiner Weise Stumpf\u2019s vollste Objektivit\u00e4t im einzelnen anzweifle, geschweige gar eine \u201ePressung des geschichtlichen Materials nach irgend einer Dichtung\u201c ihm vorwerfen m\u00f6chte (wogegen er sich ausdr\u00fccklich verwahrt), so sieht aber doch eine Geschichtsschreibung, die urspr\u00fcnglich nicht aus historischem sondern aus \u201esachlichem\u201c Interesse unternommen wurde, invito autore eben ein wenig \u2014 pragmatisch aus. Z. B. d\u00fcrfte doch wohl dem Umstande, dass erst bei den sp\u00e4tem Musikschriftstellern des Alterthums die gr\u00f6ssere oder geringere \u201eAnnehmlichkeit\u201c des Zusammenklangs in den Definitionen der Konsonanz und Dissonanz eine Dolle spielt, kein besonderes Gewicht beizulegen sein, obgleich ja die allm\u00e4hliche Ann\u00e4herung an die Epoche, in welcher die effektive Mehrstimmigkeit entstand, dies wohl erkl\u00e4rlich machte. Denn die ausdr\u00fcckliche Bezugnahme darauf stellt doch wieder die Dichtigkeit der Annahme in Frage, dass auch schon die vorchristlichen Musikschriftsteller die Konsonanzen als Zusammenkl\u00e4nge beurtheilten ; da aber letzteres durch zahlreiche Stellen erweisbar ist, so vermag ich in jenen Abweichungen der Sp\u00e4teren keine Fortentwickelung zu erblicken, sondern h\u00f6chstens eine minder philosophische Ausdrucksweise. Und selbst das kaum. Aristoteles de sensu cap. 3:\n/uhv y\u00f9o ev \u00e0gid'gotq evloyiorois yocouara xad'arcsg \u00e8xeZ r\u00e0s ovgycovia\u00e7 r\u00e0 rj Star a rc\u00e0v %\u00e7(o/u<xtov slvai spricht doch auch unzweideutig von der gr\u00f6sseren Annehmlichkeit der den einfacheren Zahlenverh\u00e4ltnissen entsprechenden Konsonanzen. Ueberhaupt ist aber doch in dem Nachweise der einfacheren mathematisch-physikalischen Verh\u00e4ltnisse der Konsonanzen gegen\u00fcber denen der Dissonanzen nichts anderes zu sehen als der Versuch, das sinnlich wohlgef\u00e4llige der si\u2019coois, xg\u00e4ais der Konsonanzen gegen\u00fcber der agi^ia der Dissonanzen zu erkl\u00e4ren. Andererseits l\u00e4sst sich Stumpf\u2019s Annahme anfechten, dass ag/LiovLa bei den Altpythagoreern ebenso wie sp\u00e4ter wieder bis heute den Sinn von Konsonanz habe, w\u00e4hrend es bekanntlich bei Plato, Aristoteles, Aristoxenes etc. den Sinn von Skala (Oktavengattung) hat; ich sehe den Grund solcher Annahme nicht ein, da unter Deutung des Wortes im Sinne der klassischen Zeit (= Skala) alle in Betracht kommenden Stellen wohlverst\u00e4ndlich, zum Theil besser verst\u00e4ndlich sind, als bei der andern Deutung. So scheint mir das r\u00e4thselhafte Cit\u00e2t in dem pseudohippokratischen tteot Sicdxrjs sich vielmehr auf die Verwandtschaftsverh\u00e4ltnisse der Trans-\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XYI.\t^","page":209},{"file":"p0210.txt","language":"de","ocr_de":"210\nBesprechungen.\npositionsskalen zu beziehen, d. h. auf Herstellung derselben aguovim in anderer Tonlage {ovy ai avml \u00e8x rov o&os xa\u00ef \u00dfaoeos), wobei dieselben Namen (z. B. vTz\u00e4rrj rt]s ScogioTi) auf ganz andere T\u00f6ne fallen (ovopan uhv buo'nnv, ep&oyycp de ov% ouo'uov). Das r\u00e0 Ttletora \u00f4c\u00e2epopa fc\u00e2Xiora \u00c7v^up\u00e9oec bedeutet dann ganz einfach, dass die am weitesten der Tonlage nach von einander abstehenden Tonarten sich am besten mit einander verbinden, n\u00e4mlich z. B. das Dorische mit dem eine Quarte tiefer liegenden Hypodorischen und dem eine Quarte h\u00f6her liegenden Mixolydischen, den ihm thats\u00e4chlich n\u00e4chstverwandten Tonarten. Die der Tonh\u00f6he nach n\u00e4her liegenden (Phrygisch [einen Ton h\u00f6her], Lydisch [eine grosse Terz h\u00f6her], Hypo-phrygisch [eine kleine Terz tiefer] und Hypolydisch [einen Halbton tiefer]) sind s\u00e4mmtlich entferntere Verwandte des Dorischen, d. h. bedingen eine gr\u00f6ssere Zahl chromatisch zu ver\u00e4ndernder T\u00f6ne. Jedenfalls ist auch das Ttolv/iuy\u00e9cov svcoois und noXX\u00e9\u00f4v ev\u0153oi\u00e7 viel einleuchtender f\u00fcr eine vern\u00fcnftig geordnete Skala als f\u00fcr ein einzelnes konsonantes Intervall.\nStumpf geht in der Geschichte des Konsonanzbegriffs die einzelnen Autoren in chronologischer Ordnung durch von Philolaos bis zu Martianus Capella (5. Jahrh. nach Chr.) und exzerpirt auch einige Kirchenv\u00e4ter; f\u00fcr die Spezialmaterie ist deshalb der vorliegende 1. Theil ein wahrhafter F\u00fchrer durch die Literatur geworden, und es w\u00e4re sehr zu w\u00fcnschen, dass Stumpf wenigstens auch noch durch das Mittelalter hindurch diese Form der Darstellung festhielte und seinen Vorsatz (S. 5), die weitere Literatur nur kursorisch zu ber\u00fccksichtigen, .nicht allzu buchst\u00e4blich wahr machte. Schon jetzt ist seiner Arbeit der Platz in der Handbibliothek jedes Musikhistorikers sicher.\nDie Erl\u00e4uterung der pseudo-aristotelischen Probleme \u00fcber Musik ist aus der \u201eGeschichte des Konsonanzbegriffs\u201c herausgewachsen; offenbar h\u00e4ufte sich das Material bei eingehender Beleuchtung dieses merkw\u00fcrdigen Katechismus derart, dass der Verfasser sich kurz entschloss, sich dort auf wenige Andeutungen (2% Seite) zu beschr\u00e4nken und eine ausf\u00fchrlichere Sonderdarstellung sich vorzubehalten. Dass daraus f\u00fcr die Musikliteratur ein grosser Gewinn erwuchs, ist nat\u00fcrlich. Mit Recht finden die Probleme in neuerer Zeit besondere Beachtung (Ruelle 1891, d\u2019EiCHTHAL und Rei-nach 1892, v. Jax 1895, in Sicht: Gevaekt). Aehnlieh wie Reinach giebt Stumpf nicht eine kommentirte Textausgabe, sondern eine gruppenweise Ordnung und Besprechung nach dem Inhalte. Ein Register (S. 84) weist aber f\u00fcr die einzelnen Probleme der Sektion XIX sowie auch f\u00fcr einzelne mit in die Besprechung gezogene der Sektionen XI und II (Bussemakek) die Stellen nach, wo sie zur Er\u00f6rterung oder Anf\u00fchrung gelangt sind. Die vier Gruppen sind: I. Von den Eigenschaften des Oktavenintervalls, II. Von den Leitern und den Ges\u00e4ngen, III. Gef\u00fchlswirkungen der Musik, IV. Heber physikalische Eigenschaften des Schalls.\nEs gelingt Stumpf, eine Reihe verdorbener Stellen mit grosser Wahrscheinlichkeit zu rekonstruiren, so vor Allem (S. 9) in Problem 14 das \u00e8v zcp tpoivix'up xa\u00ef \u00e8v rep avd'oojjtcp (al. arpoTtap), wof\u00fcr anschliessend an Aristoteles de sensu cap. 3 : \u00e8v rep (poivixc'p xa\u00ef \u00e8v rep akovpycp substituirt wird. Die lediglich aus dieser \u00ab Stelle heraus konstruirten Musikinstrumente cpoevixiov und arporcos werden damit aus der Literatur ein f\u00fcr allemal getilgt. Manche andere Auslegungen","page":210},{"file":"p0211.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n211\nbleiben aber doch fraglich. Problem 21 verstehe ich: \u201eWarum fallen beim Singen eines Chors zn tief singende mehr auf als zu hoch singende und zu langsam singende mehr als zu schnell singende? Vielleicht weil das tiefere langsamer ist und das langsamere bequemer aufgefasst werden kann?\u201c In Stumpf\u2019s Auslegung (dass n\u00e4mlich Intonationsfehler bei tiefen Stimmen leichter als bei hohen und rhythmische Fehler in langsamem Tempo mehr als in schnellem bemerkt w\u00fcrden) widerspr\u00e4che die Fragestellung auffallend dem effektiven Sachverhalt. Auch Probl. 26 und 46 m\u00fcssen wohl aus demselben Grunde anders ausgelegt werden, da thats\u00e4chlich mehr zu tief als zu hoch gesungen wird ; ich verstehe : \u201eWarum kommen in hoher Lage die meisten Intonationsfehler vor? Doch nicht etwa, weil h\u00f6her singen leichter ist? jedenfalls lieben es alle S\u00e4nger, ihre hohe Lage vorzuf\u00fchren und detoniren dann !\u201c Beil\u00e4ufig sei noch angemerkt, dass der alt\u00fcbliche Terminus cV oteuiv (Philolaos) f\u00fcr die Quinte wohl besser nicht mit Mcomaehus als \u201enach oben erweiterte Quarte\u201c sondern als das Intervall der beiden oberen Grenzt\u00f6ne zweier disjuncten Tetrachord\u00eb d. h. in\n1\u2014V\u2014'\t^\ne\u00e4ch || a g f e\nder Pete e und Mese a zu verstehen ist. Die ovlla\u00dfd (das Tetrachord) ist doch der eigentliche Grundbegriff der \u00e4lteren Theoretiker.\nAm bedenklichsten aber scheinen mir die von Stumpe auf unzul\u00e4nglicher Unterlage erbauten Theorien der Antistrophie und Antiphonie, welche einen erheblichen Theil der Arbeit f\u00fcllen. Das Wort \u00e0vripcovov bedeutet bei Plato (Leg. VII 15) noch s. v. w. dissonant (Gegensatz von ovpycovov), und wie Stumpf zuerst \u00fcberzeugend nachweist, erst seit dem 1.\u20142. Jahrh. nach Chr. s. v. w. \u201ein Oktavabstand\u201c. Solange man annahm, dass die Probleme von Aristoteles selbst herr\u00fchrten, musste es freilich unbemerkt bleiben, dass die klassische Zeit der griechischen Theorie diesen Sinn des Terminus nicht kennt ; indem nun aber Stumpf mit Prantl, Pose, Usener, v. Jan u. a. dem Aristoteles die Verfasserschaft abspricht (er setzt ihre Entstehung in das Zeitalter Plutarchs), f\u00fchrt ihn die chronologische Ordnung der Autoren (in der Gesch. d. Kons.) ganz von selbst zu der. Er-kenntniss, dass keiner der \u00e4lteren Schriftsteller von dem \u201eantiphonen\u201c Oktavintervall etwas weiss. Doch bedarf es f\u00fcr die Erkl\u00e4rung des neuen Terminus nicht der Bezugnahme auf die Therapeuten oder die ersten Christengemeinden, da ein wechselndes Singen derselben Melodie von M\u00e4nnern und Frauen oder von J\u00fcnglingen und M\u00e4dchen, auch ein Zusammensingen derselben in Oktaven, wenn auch nicht beim Tempeldienst so doch sicher bei der Arbeit, beim M\u00e4hen oder bei der Weinlese etc. schwerlich den Griechen auch der klassischen Zeit fremd gewesen sein wird. Stumpf glaubt aber das Wesen der \u201eAntiphonie\u201c speziell dahin spezialisiren zu m\u00fcssen, dass eine Melodie zuerst in Oktaven gesungen und dann von der tieferen der beiden Stimmgattungen allein wiederholt wurde, worauf er die Auslegung einiger der Problemstellungen bezw. Antworten basirt. Daf\u00fcr aber vermag ich einen plausiblen Grund nicht zu erkennen. Es gen\u00fcgt f\u00fcr das Verst\u00e4ndniss der in Frage stehenden Stellen vollkommen, dvripcovos in der Bedeutung von \u201eim Oktavabstand*\nzu verstehen, wie es seit lange \u00fcblich ist. Aus Problem 16 vermag\n14*","page":211},{"file":"p0212.txt","language":"de","ocr_de":"212\nBesprechungen.\nich nur herauszulesen, dass der Wechselgesang in Oktaven reizvoller ist als das Zusammensingen in Oktaven; Problem 18 erkl\u00e4rt die M\u00f6glichkeit des Singens in Oktaven durch den Wechselgesang in Oktaven (weil n\u00e4mlich hohe Stimmen dasselbe zu thun scheinen und meinem wie tiefe, wenn sie eine Oktave h\u00f6her als diese singen). Pr. 7 bemerkt sehr h\u00fcbsch, dass die Wiederholung in der tieferen Oktave wirksamer ist, einen st\u00e4rkeren Kontrast giebt, als die Wiederholung in der h\u00f6heren Oktave (weil der tiefere Ton den Oktavton enth\u00e4lt, tr\u00e4gt ,io%vei(). Am verh\u00e4ngnisvollsten ist aber f\u00fcr Stumpf\u2019s Darlegungen Problem 17, da dasselbe seine Theorie der \u201eAntistrophie\u201c geradezu negirt: Bia ri dianivTs ovx d\u00f6ovoiv dvrigcova ; Antwort: die Beantwortung in der Quinte oder Quarte w\u00fcrde nicht als dasselbe erscheinen. Stumpf\u2019s Theorie der Antistrophie w\u00e4chst n\u00e4mlich einzig und allein aus Problem 30 heraus, das auf die Frage: \u201eWarum kommen das Hypodorische und Hypophrygische nicht als Tonarten von Chorges\u00e4ngen in der Trag\u00f6die zur Anwendung?\u201c antwortet: rj ort ovx eyet, avriargopov ; all' arcd axgvfjg, /uiiirjTixrj ydg. Aus diesem r\u00e4thselhaften dvrloxgocpov folgert Stumpf, dass in der Gegenstrophe die Melodie mehr oder minder getreu (er denkt aber sogar auch an Umkehrungen einzelner Motive !) in der Oberquinte nachgebildet worden sei \u201ewie in unseren Fugen\u201c (S. 49 \u201eohne dass wir \u00fcbrigens die Vergleichung weiterf\u00fchren wollen\u201c). F\u00fcr Strophe und Antistrophe nimmt er dabei eine Vertheilung an verschiedene Halbch\u00f6re (wohl B\u00e4sse und Ten\u00f6re) an. Er versteht n\u00e4mlich das ,ovx eyei \u00e4vzLoryoyov6 dahin, dass die hypodorische und hypophrygische Oktavengattung nicht aus zwei gleichgebauten Tetrachorden gebildet seien, welche eine derartige intervallgetreue Wiederholung in der Quinte gestatteten:\ndorisch: edch\\\\agfe phrygisch: dcha\\gfed lydisch: chag\\\\fedc\nI___I i----i\ti----1 I----1\tI____I I____I\ndagegen :\nhypodorisch : agfe\\\\dcha und hypophry gisch : g f e d || c h a g.\nDiese Motivirung ist sicher hinf\u00e4llig, da es keinem Griechen eingefallen sein w\u00fcrde, in den Hypo-Tonarten andere Tetrachorde zu suchen als in den zugeh\u00f6rigen Haupttonarten, n\u00e4mlich:\nhypodorisch : agfedch\\\\ a hypophrygisch : gfedcha\\\\g\n\u00ab--_ji---1\ti___,i___i\nErz\u00e4hlt doch Plutarch (de musica), dass Lamprokles das rechte Ver-st\u00e4ndniss der mixolydischen Tonart erschlossen habe, indem er nachwies, dass dieselbe die Diazeuxis zwischen den beiden h\u00f6chsten T\u00f6nen habe:\nh\\\\agfedch\ni\ti1>\nSo wenig daher Stumpf Recht haben wird, wenn er die mixolydische Tonart als f\u00fcr die Antistrophie darum gar nicht in Frage kommend ansieht, weil sie aus zwei ungleichen Tetrachorden bestehe, deren eines sogar der Tritonus begrenze [hagf || e d ch), ebensowenig wird eine solche Begr\u00fcn-\nTritonus\ndung f\u00fcr das Hypophrygische und Hypodorische gelten k\u00f6nnen. Handelte es sich nur um getreue Melodiewiederholungen im Abstand der Quinte (oder Quarte [Probl. 17]), so w\u00fcrde die Antistrophie keiner der antiken Oktavengattungen versagt sein. Die ganz anders gewendete Beantwortung","page":212},{"file":"p0213.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n213\nder in Problem 30 gestellten gleichen Frage, welche Probl. 48 gieht, kann aber vielleicht auch die in Probl. 30 formulirte Antwort dem Verst\u00e4ndnis n\u00e4her r\u00fccken. Dieselbe handelt haupts\u00e4chlich von dem verschiedenen \u00e4sthetischen Werthe hoher und tiefer Tonlage, nennt das Hypodorische und Hypo-phrygische ungeeignet f\u00fcr den Chorgesang der Trag\u00f6die, weil sie zu wenig fi\u00e9Xos haben, d. h. weil ihnen der vollsaftige Klang der h\u00f6heren T\u00f6ne fehlt ; f\u00fcr den mehr rezitirenden Vortrag der agirenden Solisten sei das That-kr\u00e4ftige (&\u00e7axTix6v)} W\u00fcrdige (ueyaXoTi genes) und Bestimmte (oraoiuov) dieser tiefer liegenden Tonarten sehr geeignet, w\u00e4hrend der nur betrachtende Chor f\u00fcr seine klagenden (yoso\u00f6v) oder lyrisch-kontemplativen Weisen (povytov) h\u00f6herer Tonlagen bed\u00fcrfe. St\u00e4nde nicht Problem 17 im Wege, welches einen Wechselgesang in Quarten- und Quintenabstand zu deutlich verneint, so m\u00f6chte man wohl daran denken, dass das avrlargocpov vielmehr die Versetzung in die Hypo-Tonart gewesen w\u00e4re, welche nat\u00fcrlich den Hypo-Tonarten selbst versagt w\u00e4re. Vielleicht hat aber das }dvrlorgopop( des Probl. 30 mit der ylvrlorgogo^ des Problem 15 gar nichts zu thun und weist vielmehr nur darauf hin, dass den Hypo-Tonarten die freie Bewegung nach beiden Seiten der Mese versagt sei, weil sie oben durch die Mese selbst begrenzt werden (sogar im Sinne der g\u00e9arj \u00d6coolov w\u00e4re eine \u00e4hnliche Auffassung haltbar). Dann w\u00e4re man \u00fcberhaupt nicht gen\u00f6tigt, f\u00fcr die Gegenstrophen der Ch\u00f6re eine von der der Strophen abweichende Melodiebildung anzunehmen ; eigentlich weist ja doch Problem 15 ziemlich unzweideutig auf die Uebereinstimmung beider hin Sh dvrloTQOcpos drtXovv' zls y\u00e0g gvd'fios ycai &v\\ uergelrai).\nWas schliesslich den Tritonus des Misolydischen anlangt (s. oben), so widerspricht doch der Hymnus des Mesomedes an Helios durch seine vielen gerade den verp\u00f6nten Tritonusumfang einhaltenden Melodieglieder, sogar mit Versende gerade auf dem den Tritonus in der H\u00f6he begrenzenden Tone, in h\u00f6chst auffallender Weise dem vermeinten Verbot (vgl. Gesch. d. K. S. 73 mit Probl. S. 45 Anm.). Stumpf ist \u00fcbrigens der Ansicht, dass Gaudentius den Tritonus neben die grosse Terz als Paraphonie stellte, weil die verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig grosse Verschmelzbarkeit der im Verh\u00e4ltniss 5:7 stehenden T\u00f6ne seiner sinnlichen Wahrnehmung auf gegangen sei (?). Ich m\u00f6chte dazu nur erg\u00e4nzend bemerken, dass ausser Kirnberger und vor Kirnberger G. Tartini Versuche der praktischen Einf\u00fchrung der nat\u00fcrlichen Septime gemacht hat (Trattato [1754], S. 169). Jedenfalls ist die Musikwissenschaft Stumpf f\u00fcr seine beiden hochinteressanten Arbeiten Dank schuldig, der durch die angedeuteten Zweifel nicht geschm\u00e4lert werden soll.\nHugo Kiemann (Leipzig).","page":213}],"identifier":"lit30296","issued":"1898","language":"de","pages":"208-213","startpages":"208","title":"Carl Stumpf: Geschichte des Konsonanzbegriffes. Erster Theil. Abhandlungen der k. bayr. Akad. der Wissensch. I. Kl. XXI. Bd. 1. Abth. M\u00fcnchen 1897. In Kommission des G. 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