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{"created":"2022-01-31T12:28:08.758271+00:00","id":"lit30311","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Stern, W.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 16: 229-231","fulltext":[{"file":"p0229.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n229\nmit der gegenw\u00e4rtigen Wahrnehmung progressiv zu materialisiren\u201c (une tension plus ou moins haute de la conscience, qui va chercher dans la m\u00e9moire pure les souvenirs purs, pour les mat\u00e9rialiser progressivement au contact de la perception pr\u00e9sente). Die reine Erinnerung ist ein geistiger Vorgang (une manifestation spirituelle). Die gew\u00f6hnliche Wahrnehmung ist stets eine Synthese der reinen Erinnerung und der reinen Wahrnehmung, und da Verf. erstere mit dem Geist, letztere mit der Materie identifizirt, so stellt sich ihm das Problem des Zusammenhangs von Seele und K\u00f6rper von einer ganz neuen Seite dar. Die Gegens\u00e4tze zwischen beiden glaubt Verf, durch seine Hypothese bezw. auf dem Boden derselben befriedigend aufl\u00f6sen zu k\u00f6nnen.\nSehr erfreulich ist an dem Buch der allenthalben hervortretende Versuch zu erkenntnisstheoretischer Vertiefung, deren totale Abwesenheit so sehr charakteristisch ist f\u00fcr die neueren und neuesten Arbeiten und Vortr\u00e4ge \u00fcber den Zusammenhang des Materiellen bezw. des Gehirns und des Psychischen. Unklare metaphysische Spekulationen nehmen leider bei Bergson oft \u00fcberhand. Die psychologische Beobachtung wird nur hinterher als best\u00e4tigende Dienerin gelegentlich zugezogen.\nZiehen (Jena).\nV. et C. Henri. Enqu\u00eate sur les premiers souvenirs de Penfance. L'ann\u00e9e psychol. III. S. 184\u2014198. (1897.)\nDie Verfasser hatten es unternommen, durch Umfragen, die in einigen franz\u00f6sischen und englischen Fachzeitschriften ver\u00f6ffentlicht worden waren, und die die fr\u00fchesten Kindheitserinnerungen betrafen, Material \u00fcber diesen Gegenstand zu sammeln und versuchten es nun, die (von 123 Personen) eingelaufenen Angaben zu sichten und daraus die Psychologie des Ged\u00e4chtnisses zu bereichern. Aber das Unternehmen ist, wie die Verfasser selbst sagen, nur ein erster Versuch (vergl. \u00fcbrigens C. Miles, A Study of Individual Psychology, Amer. Journ. of Psych. VI. 555.1Se/*. diese Zeiischr. Bd. X. S. 446 f.) dessen Hauptwerth darin besteht, dass er eine Reihe von Fingerzeigen zu k\u00fcnftigem Bessermachen giebt. Der Inhalt der Antworten ist zu konkret und zu abstrakt zugleich, um eine f\u00fcr wissenschaftliche Verwerthung er-spriessliche Analyse zu gestatten. \u2014 Von den Ergebnissen scheint mit-theilenswerth, dass der geschlossene Strom der Erinnerungen immer ungef\u00e4hr drei Jahre nach der \u00e4ltesten Einzel-Erinnerung einsetzt, ferner, dass die \u00e4ltesten, aus den ersten Lebensjahren stammenden Erinnerungen ihre Best\u00e4ndigkeit durchaus nicht immer einer besonderen Gef\u00fchls- oder Aufmerksamkeits-Betonung zu verdanken haben, dann dass Gesichtseindr\u00fccke besser haften als Geh\u00f6rseindr\u00fccke und schliesslich, dass die zeitliche Lokalisation so fr\u00fcher Erinnerungen immer nur indirekt nach \u00e4usseren Anhaltspunkten m\u00f6glich ist.\tWitasek (Graz).\nJean Philippe. Sur les Transformations de nos images mentales. Rev. philos.\nBd. 43, S. 481\u2014493. 1897. Nr. 5.\nDas Vorstellungsbild ist nicht ein starrer, fisirter Seeleninhalt, sondern lebendig, beweglich, fortw\u00e4hrenden Transformationen unterworfen. Von diesen Wandlungen wissen wir im Allgemeinen nichts, da ja das Ver-","page":229},{"file":"p0230.txt","language":"de","ocr_de":"230\nLi teraturberich t.\ngleichungsobjekt fehlt, durch dessen Vermittelung wir die eingetretenen Differenzen konstatiren k\u00f6nnten. Ph. stellt sich nun die recht interessante Aufgabe, diesem Umgestaltungsprozess experimentell auf die Spur zu kommen, und die so formulirte Problemstellung ist es vor Allem, die dem Artikel seinen Werth verleiht.\nDie von Ph. angewandte Methode dagegen ist, wie mir scheint, nicht durchaus einwandfrei, zudem unn\u00f6thig komplizirt. Er l\u00e4sst die Versuchsperson bei geschlossenem Auge einen einfachen Gegenstand (Kravatten-nadel, japanische Maske etc.) betasten, zun\u00e4chst bei ruhender Hand vermittelst einfachen Auflegens, sodann durch beliebige Tastbewegungen. Beidemal muss die Person nach der Tastpr\u00fcfung versuchen, den gewonnenen Eindruck aufzuzeichnen. Sodann wird ihr das Objekt gezeigt und der Versuch gilt scheinbar als beendet. Nach einigen Wochen l\u00e4sst man nun die Zeichnung, so gut es geht, aus dem Ged\u00e4chtniss wiederholen, mehrere Monate sp\u00e4ter wiederum u. s. w.; nach jedem Male wird der Versuchsperson der Glaube beigebracht, dass nunmehr die Sache erledigt sei. Die so gewonnene Reihe von Zeichnungen giebt nach Ph. ein Bild der allm\u00e4hlichen Transformation, die das V\u00f6rstellungsbild im Individuum erlebt hat.\nHier m\u00f6chte ich zun\u00e4chst fragen : Wozu der Umweg \u00fcber die Tasteindr\u00fccke (zumal da nachher doch der Gegenstand dem Auge dargeboten wurde) ? W\u00e4re es nicht einfacher gewesen, den optischen Eindruck selbst recht genau sich einpr\u00e4gen zu lassen und das so gewonnene Vorstellungsbild in seinen Variationen dann durch wiederholte Zeichnungen zu kontrolliren ? Die Komplikation, die durch die Umwandlung des Tastbildes in ein Gesichtsbild nothwendig wird, h\u00e4tte sich vermeiden lassen. \u2014 Der Hauptmangel der Versuche liegt aber wohl darin, dass die Zeichenfertigkeit des Individuums die Ergebnisse in unbestimmbarer Weise beeinflusst. Die meisten Personen sind ja gar nicht im Stande, ihre Vorstellungsbilder korrekt in einer Zeichnung niederzulegen. Nun hat zwar die Versuchsperson nur Zeichnungen zu wiederholen, die sie selbst schon einmal angefertigt hat und die Uebereinstimmungen dieser Kunstprodukte unter sich kommen vor Allem in Frage; aber zwischen den Vorstellungen und den Zeichnungen, die sie wiedergeben sollen, besteht nicht nur keine Gleichheit, sondern nicht einmal Proportionalit\u00e4t; bald gl\u00fcckt eine Reproduktion mehr, bald weniger, und somit ist der Schluss von den objektiven Abbildern auf die subjektiven Urbilder immerhin recht unsicher. (Man lass\u00e9 eine im Zeichnen nicht sehr gewandte Person an verschiedenen Tagen dieselbe Vorlage abzeichnen und man wird ziemliche Differenzen finden. Nur Individuen, bei welchen diese Probeversuche g\u00fcnstig ausfallen, d. h. grosse Uebereinstim-mung zeigen, d\u00fcrfen zu den eigentlichen Versuchen verwandt werden. Ref.) Im Allgemeinen d\u00fcrfte sich wohl eine Methode mehr empfehlen, bei welcher die Versuchsperson Wochen oder Monate, nachdem es sich einen Gegenstand visuell eingepr\u00e4gt hat, aus einer Reihe \u00e4hnlicher Bilder dasjenige aussucht, das der jeweiligen Erinnerungsvorstellung am Besten entspricht.\nAuf einen andern Fehler hat endlich Bourdon bereits in der Diskussion auf dem Psychologenkongress aufmerksam gemacht, darauf n\u00e4mlich, dass jede Wiederholung der Zeichnung wieder eine neue Erinnerung schaffe und dass sich die folgende Reproduktion an diese viel mehr als an das Original-","page":230},{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n231\nbild halte. Haben innerhalb eines Jahres n Wiederholungen stattgefunden, so wird das letzte Bild anders anssehen, als wenn in der ganzen Zwischenzeit der urspr\u00fcngliche Eindruck sich ungehindert h\u00e4tte entwickeln und transformiren k\u00f6nnen. \u2014\nDa der Artikel die Wiedergabe des Kongressvortrages ist; so werden die Ergebnisse der Versuche mehr in Bausch und Bogen mitgetheilt und nur an wenigen speziellen Beispielen illustrirt. Mehr Einzelheiten und vor Allem recht ausgiebige Darbietung der Zeichnungsserien d\u00fcrfen wir wohl von sp\u00e4teren Publikationen erhoffen, da dieselben, trotz aller oben ausgesprochener Bedenken, doch nach vielen Bichtungen hin lehrreich zu sein scheinen. Ph. theilt die m\u00f6glichen Transformationen der Vorstellungsbilder in drei Hauptgruppen ein; bald hat das Bild eine Tendenz zu verschwinden (sei es, dass es so matt und wirr wird, dass eine zeichnerische Wiedergabe immer schwerer m\u00f6glich wird, sei es, dafs es mehr und mehr an Details verliert und sich schematisirt) ; bald wechselt es, nimmt neue Details auf und geht schliesslich in einen ganz andern Typus \u00fcber; bald n\u00e4hert es sich einem generellen Typus, welcher die Gruppe, der der Gegenstand angeh\u00f6rt, repr\u00e4sentirt. Die drei Gruppen werden freilich nur schwer auseinanderzuhalten sein. Merkw\u00fcrdiger Weise erw\u00e4hnt Verf. gar nicht den Einfluss, den die begleitende Wortvorstellung auf die Umwandlung des Vorstellungsbildes hat ; die F\u00e4lle, wo sie stark mitwirkt, w\u00fcrden dann wohl in die dritte Gruppe zu rechnen sein. Denn da mit dem Wort \u201eMaske\u201c, \u201eKnopf\u201c etc. bereits eine auf zahlreiche Einzelerfahrungen aufgebaute undeutliche Gesichtsvorstellung verbunden ist, so kann sich diese, falls die Erinnerung an den gezeigten Gegenstand sich wesentlich an das Wort kn\u00fcpft, leicht f\u00fcr das spezifische optische Erinnerungsbild gerade dieser Maske, dieses Knopfes einschleichen.\nEs w\u00e4re erfreulich, wenn die PH.\u2019sche Anregung, die Lebendigkeit und Entwickelungsf\u00e4higkeit des Vorstellungsbildes zu untersuchen, auf fruchtbaren Boden fiele. Gegen jene mythologischen Vorstellungen von der Vorstellung, die diese f\u00fcr ein stabiles Ding halten und sie erledigt zu haben glauben, wenn sie sie in irgend eine Erinnerungszelle eingeschachtelt haben, werden Forschungen dieser Art ein gutes Kampfmittel sein.\nW. Steen (Breslau).\nH. Bickert. Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. Eine\nlogische Einleitung in die historischen Wissenschaften. Erste H\u00e4lfte.\nFreiburg i. B. und Leipzig. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr. 1896. 304 S.\nUnzufrieden mit der bisherigen seit J. St. Mill angenommenen Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaften und ihrer Begr\u00fcndung will der Verfasser ein neues Merkmal der Eintheilung der Wissenschaften finden. Und zwar bietet ihm ein solches nicht die Verschiedenheit des Objekts, sondern, indem er einen von W. Windelband in seiner Bektorats-rede von 1894 ausgesprochenen Gedanken weiter ausf\u00fchrt, die Verschiedenheit der Methode der Betrachtung. Die naturwissenschaftliche Betrachtung sucht nach B. die Unendlichkeit der Einzeldinge (die extensive Unendlichkeit) und die Unendlichkeit der Merkmale eines Dinges (die intensive Un-","page":231}],"identifier":"lit30311","issued":"1898","language":"de","pages":"229-231","startpages":"229","title":"Jean Philippe: Sur les Transformations de nos images mentales. Rev. philos. Bd. 43, S. 481-493. 1897. 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