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{"created":"2022-01-31T12:27:32.592201+00:00","id":"lit30314","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Ebbinghaus","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 16: 235-237","fulltext":[{"file":"p0235.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n235\nschiedenen Verh\u00e4ltnissen entwickelt, hat, wie im Gegensatz zu Souriait nachgewiesen wird, nicht ihren Grund im Streben nach Sch\u00f6nheit. Sie ist eine Eigenschaft derartiger Bewegungen, die unter erleichterten Lebensbedingungen als Ausdr\u00fccke freier und froher Gef\u00fchle auftreten. Demnach haben wir im Lustgef\u00fchle die Grundbedingungen der Anmuth zu suchen. Alle zusammengesetzte Emotionen, in welchen eine volle, reine und un-reflektirte Lust als Element besteht, werden mit relativ anmuthigen Bewegungen ausgedr\u00fcckt. Wenn man, wie Schiller, die Bedingungen der Anmuth in der geistigen Freiheit sucht, oder wie Guyau die Anmuth als einen Ausdruck des Wohlwollens und der Liebe auffasst, hat man einen Theil mit dem Ganzen verwechselt.\nIn seiner Zusammenfassung versucht Verf. zu beweisen, dass derselbe Trieb, starke Gef\u00fchle durch steigernden und befreienden Ausdruck auszul\u00f6sen, welche den sog. Kunst\u00e4usserungen der Thiere vorausgeht, noch in der h\u00f6chst entwickelten Kunstproduktion als treibende Ursache wirkt. Der Taktsinn ist, wie Wallaschek\u2019s Untersuchungen beweisen, zu seiner hohen Entwickelung gelangt, weil er eine gemeinsame Aktion erm\u00f6glicht. Das einfachste formale Element in den primitivsten T\u00e4nzen hat sich demnach als ein Mittel, gemeinsame Aktion und Gef\u00fchlsgemeinschaft zwischen verschiedenen Individuen herzustellen, entwickelt. Der Trieb, ein Gef\u00fchl m\u00f6glichst weit zu verbreiten, um dadurch Reizung von Anderen, welche das eigene, urspr\u00fcngliche Gef\u00fchl sympathisch wiederholen, zu gewinnen, ist aber nur ein Spezialfall des allgemeinen Ausdruckstriebes. Dieser besondere Fall gewinnt aber Bedeutung dadurch, dass er die Menschen zwingt, die Aneignung ihrer Gef\u00fchle so leicht wie m\u00f6glich zu machen, ihnen ein sinnliches Vehikel, welches leicht auf gefasst und zur Aufmerksamkeit lockt, zu schaffen. Auf diesem Wege geht das Ausdrucksbed\u00fcrfniss zum Kunsttrieb \u00fcber.\nMit fortschreitender Entwickelung wird dieser Trieb mehr und mehr vermittelt. Der K\u00fcnstler ist nicht zufrieden mit der R\u00fcckwirkung, die das zuf\u00e4llige Publikum in seiner Umgebung leisten kann. Er schafft, d. h. er dr\u00fcckt sich aus f\u00fcr einen ideellen, fingirten Zuschauer, f\u00fcr \u201esich selbst\u201c oder f\u00fcr die Nachwelt. F\u00fcr die fl\u00fcchtigen Gef\u00fchlszust\u00e4nde, die ihn beherrschen, sucht er eine Form, die ihre Wiederholung unter allen Zeiten und bei allen V\u00f6lkern erm\u00f6glicht. Auf ihren niedrigsten Stufen vermag die Kunst ein Gef\u00fchl nur zu verbreiten, auf ihren h\u00f6chsten kann sie es verewigen.\nLochte. Beitrag zur Kenntniss des Vorkommens und der Bedentung der\nSpiegelschrift. Arch. f. Psychiatrie 28 (2), 379\u2014310. 1896.\nWenn man verschiedene Personen auffordert, mit der linken Hand, so gut es gehe, ihren Namen, ihr Alter oder sonst etwas zu schreiben, so st\u00f6sst man bisweilen auf Jemanden, der der Forderung nicht in gew\u00f6hnlicher rechtsl\u00e4ufiger Schrift, sondern in deren symmetrischen Z\u00fcgen nachkommt, der also ein Spiegelbild des Verlangten liefert. lieber diese Erscheinung hat Lochte ausgedehnte Untersuchungen an Kindern und Erwachsenen, Gesunden und Kranken angestellt, u. A. an mehr als 3000 normalen Schul-","page":235},{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236\nLiteraturbericht.\nkindern. Seine Ergebnisse best\u00e4tigen im Ganzen die Befunde fr\u00fcherer Beobachter. Die Neigung, in Spiegelschrift zu verfallen, ist besonders stark bei j\u00fcngeren Schulkindern, die erst 1\u20142 Jahre Schreibunterricht gemessen. Sie ist entschieden ausgepr\u00e4gter bei M\u00e4dchen als bei Knaben (dort 15, hier ll\u00b0/0 unter je 400 Kindern), eine besondere Bevorzugung der Schrift durch linksh\u00e4ndige Kinder besteht dagegen nicht. Gr\u00f6ssere Schulkinder liefern nur mehr selten Spiegelschrift; bei Erwachsenen dagegen nimmt die Neigung zu ihr wieder zu, und zwar tritt sie auch hier wieder betr\u00e4chtlich st\u00e4rker beim weiblichen als beim m\u00e4nnlichen Geschlecht hervor. Relativ hohe Prozentzahlen von Spiegelschriftlern finden sich unter den Taubstummen und namentlich unter den Idioten (hier \u00fcber 50%). Dass auch funktionelle Nervenkrankheiten zu Spiegelschrift pr\u00e4disponiren, will Lochte, im Gegensatz zu Soltmann (s. diese Zeitschr. II, 414), nicht finden, allein seine Zahlen f\u00fcr Erwachsene zeigen, dass doch etwas an der Sache ist, w\u00e4hrend sie bei Kindern zu klein sind.\nIn seiner Erkl\u00e4rung der Erscheinung scheint mir der Verf. ganz das Richtige zu treffen, wobei erw\u00e4hnt sei, dass die Hauptsache auch bereits durch Goldscheider in seinen Bemerkungen zu der SoLTMANN\u2019schen Arbeit (diese Zeitschr. II, 416) angedeutet wird. Es handelt sich um einen Kampf zwischen kin\u00e4sthetisch-motorischen und optischen Vorstellungen bei der Regulirung der Handbewegungen. Bei dem gew\u00f6hnlichen Schreiben sind beide in einer gewissen stets gleichen Weise mit einander assoziirt worden ; durch die Aufforderung zum linksh\u00e4ndigen Schreiben entsteht dagegen ein Widerstreit zwischen ihnen. Die kin\u00e4sthetischen Vorstellungen verlangen das symmetrische Bild der rechtsh\u00e4ndigen Schriftz\u00fcge, die optischen Vorstellungen das gleiche Bild. Da nun aber die weitere Bedeutung des Buchstabens doch in seiner Form liegt, darin wie er aussieht, und nicht in der Art, wie er gemacht wird, so siegt hierbei ganz \u00fcberwiegend der Gesichtssinn: der verlangte optische Eindruck zwingt die Hand zu Bewegungen, die ihr eigentlich widerstreben. Aber unter besonderen Umst\u00e4nden entstehen Ausnahmen. Z. B. wenn die Kunst, einen Buchstaben zu machen und zu malen, noch sehr stark im Vordergr\u00fcnde des Interesses steht, wie bei Kindern, die ,noch nicht lange schreiben gelernt haben. Oder bei besonderer Pflege manueller Fertigkeiten, wfie bei M\u00e4dchen und Frauen. Ferner bei sehr fl\u00fcchtigem Schreiben, wenn man fast ohne hinzusehen die Hand nahezu sich selbst \u00fcberl\u00e4sst (daher die Zunahme von Spiegelschrift bei Erwachsenen). Endlich auch bei einer allgemeinen Einschr\u00e4nkung der geistigen F\u00e4higkeiten, wie bei Idioten, von denen die verlangte Aufgabe der Unterdr\u00fcckung starker motorischer Tendenzen und ihrer Ersetzung durch ganz ungewohnte Bewegungskombinationen wegen ihrer Schwierigkeit nicht mehr geleistet werden kann.\nEine vortreffliche Best\u00e4tigung erf\u00e4hrt diese Deutung noch durch das Verhalten der Blinden. Blindgeborene oder fr\u00fch erblindete Individuen zeigten keine besonders starke Neigung, ihre Punktschrift mit der linken Hand in Spiegelbildern wiederzugeben ; sie schrieben entsprechend den Forderungen ihres Tastsinnes. Personen dagegen, die erst nach Erlernen der Kurrentschrift erblindet waren und nun diese seit l\u00e4ngerer Zeit nicht mehr ge\u00fcbt hatten, schrieben sie linksh\u00e4ndig in auffallend grosser Anzahl","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n237\nin Spiegelschrift. Der sinnliche optische Eindruck fehlt hier, und die blossen Erinnerungsbilder des Aussehens der Buchstaben sind offenbar vielfach schon zu schwach geworden zu der entsprechenden Regulirung der Handbewegungen.\tEbbinghaus.\nr. v. Krafft-Ebing. Lehrbuch der Psychiatrie auf klinischer Grundlage f\u00fcr praktische Aerzte und Studirende. Sechste vermehrte und verbesserte Auflage. Stuttgart. F. Enke- 1897. XII u. 634 S.\nWenn in unserer an psychiatrischen Lehrb\u00fcchern reichgesegneten Zeit von einem der umfangreichsten dieser Werke in Zwischenr\u00e4umen von wenigen Jahren (vergl. diese Zeitschr. Bd. VII, S. 236) stets eine neue Auflage n\u00f6thig wird, so sind wir damit der weiteren Empfehlung \u00fcberhoben. Es ist dem Verfasser gelungen, in der verwirrenden Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, wie sie die Klinik der \u201eKrankheiten der Person\u201c aufweist, sowohl die Gesetzm\u00e4ssigkeiten wie auch empirisch klare Krankheitsbilder heraustreten zu lassen.\tArthur K\u00f6nig.\nK. Heilbronner. Ueber Asymholie. Psychiatr. Abhandlungen. Hgg. v. Prof. C. Wernicke. Heft 3/4. Breslau. Schletter\u2019sche Buchhandlung. 1897. 60 S.\nUnter Asymbolie versteht H. das, was Freud \u201eAgnosie\u201c genannt hat: Das Mehterkennen von Gegenst\u00e4nden trotz erhaltener Sinnesfunktion in pr\u00fcfbarem Bewusstseinszustande.\nEr berichtet ausf\u00fchrlich \u00fcber 3 solcher F\u00e4lle, in denen organische, d. h. grobanatomische Gehirnerkrankungen Vorlagen, was bei allen aus den klinischen Erscheinungen hervorging, bei Fall II und III noch durch die Autopsie best\u00e4tigt wurde.\nDie drei Patienten wissen mit vielen Gegenst\u00e4nden, die ihnen gereicht werden, entweder gar nichts anzufangen, oder gebrauchen sie in verkehrter Weise.\nI will in ein St\u00fcck Seife heissen, verh\u00e4lt sich g\u00e4nzlich ver-st\u00e4ndnisslos gegen\u00fcber den ihm zum Anziehen dargebotenen Str\u00fcmpfen, desgl. Cigarre und Z\u00fcndholz gegen\u00fcber, bis ihm erstere in den Mund gesteckt wird.\nBei Pat. II' findet sich dasselbe in noch h\u00f6herem Grade, er beisst in viele ungeniessbare Dinge (Thermometer, Licht), k\u00fcsst Besen, Stiefel, B\u00fcrste u. s. w.\nDer III. Fall ist \u00fcberhaupt tief benommen, reagirt sehr wenig und dann falsch.\nAlle Drei haben daneben Sprachst\u00f6rungen. III ist total aphasisch (sowohl Sprache, wie Verstehen erloschen), II sensorisch aphasisch, I zeigte eine komplizirtere unvollst\u00e4ndige Sprachst\u00f6rung, die sich vor Allem in Paraphasie kundgab.\nDie Sektion ergab bei II beiderseitige Erweichungsherde in Folge von Gef\u00e4ssverstopfung und zwar, rechts : wesentlich II. Schl\u00e4fen Windung und Marklager des Schl\u00e4fenhinterhauptslappen befallen. Links : geringerer,","page":237}],"identifier":"lit30314","issued":"1898","language":"de","pages":"235-237","startpages":"235","title":"Lochte: Beitrag zur Kentniss des Vorkommens und der Bedeutung der Spiegelschrift. Arch. f. Psychiatrie 28 (2), 379-310. 1896","type":"Journal Article","volume":"16"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:27:32.592206+00:00"}