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{"created":"2022-01-31T14:52:35.998138+00:00","id":"lit30339","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Meyer, Max","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 16: 352-372","fulltext":[{"file":"p0352.txt","language":"de","ocr_de":"(Aus dem Psychologischen Seminar der Universit\u00e4t Berlin.)\nUeber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen\nnebst einigen Bemerkungen \u00fcber die Methode der Minimal\u00e4nderungen.\nVon\nMax Meyer.\nI. Die Unterschiedsempfindliclikeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\nDie Ermittelung der Empfindlichkeit des menschlichen Ohres f\u00fcr kleine Tonh\u00f6henunterschiede kann nach verschiedenen Richtungen hin von Interesse werden. Die physiologische Theorie des H\u00f6rens wird immer damit zu rechnen haben, sei es, dass man die Zahl der unterscheidbaren T\u00f6ne mit der Zahl der Fasern im Geh\u00f6rorgan vergleicht, die nach Helmholtz durch T\u00f6ne in Mitschwingung versetzt werden, sei es, dass man in anderer Weise Verifikationen oder Erl\u00e4uterungen der aufgestellten Hypothesen daraus herleitet. F\u00fcr die psychologische Theorie der Tonwahrnehmungen ist es nicht ohne Bedeutung, die Feinheit des Urtheils \u00fcber Tonh\u00f6henunterschiede mit der \u00fcber die Reinheit von Intervallen zu vergleichen. Den Psychophysikern endlich waren diese Untersuchungen l\u00e4ngere Zeit darum wichtig, weil es galt, das WEBER-FECHXER\u2019sehe Gesetz der Konstanz der relativen Unterschiedsempfindlichkeit auf dem Gebiete der Tonh\u00f6hen zu pr\u00fcfen, wo es von seinen Urhebern als zweifellos g\u00fcltig vorgestellt worden war. Dieses Gesetz ist nun mehr und mehr wankend geworden. Aber die zu seiner Pr\u00fcfung angewandten \u201epsychophysischen Maassmethoden\u201c haben als bestimmte Fragestellungen \u00fcber das Verh\u00e4ltniss der Sinnesempfindungen zu einander eine selbstst\u00e4ndige Bedeutung gewonnen.","page":352},{"file":"p0353.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\n353\nWenn es sich um kleinste, eben merkliche Empfindungs-Unterschiede handelt, kann entweder gefragt werden, ob ein Unterschied in bestimmter Hinsicht \u00fcberhaupt bemerkt wird {Methode der eben merklichen Unterschiede oder der Minimal\u00e4nderungen), oder ausserdem noch, in welcher Richtung der Unterschied liegt, hier also, ob der zweite Ton h\u00f6her oder tiefer ist (Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle). Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse sind vermittelst der zweiten Methode gewonnen. Die Nachtheile der ersteren gegen\u00fcber der zweiten werden nach dem Bericht \u00fcber die sachlichen Ergebnisse dargelegt werden.\nHauptversuchsperson war Professor Stumpf. Die Versuche mit dem Tone 600 wurden ausserdem noch mit einer Anzahl anderer, s\u00e4mr\u00f6tlich hervorragend musikalischer Personen gemacht. Dass die Versuchspersonen musikalisch waren, bedarf kaum der Rechtfertigung. Solche Personen bringen bereits eine erhebliche Uebung mit, die andere im Verlauf der Versuche sich erst erwarben m\u00fcssen, und man darf zugleich bei Musikalischen eine gr\u00f6ssere F\u00e4higkeit der Vertiefung, der Konzentration und des dauernden Interesses an so langwierigen Versuchsreihen \u00fcber feinste Unterschiede im Tongebiet voraussetzen -\u2014 auch hier nat\u00fcrlich nur dann, wenn zugleich Interesse und Begabung in nilgemein wissenschaftlicher Hinsicht mit den musikalischen F\u00e4higkeiten verkn\u00fcpft ist.\nZur Tonerzeugung wurden Stimmgabeln benutzt. Die Tonh\u00f6hen\u00e4nderung der Gabeln wurde nicht durch Verschiebung von Laufgewichten bewirkt, da es darauf ankam, die Gabeln auf die angewandten Verstimmungen m\u00f6glichst genau einzustellen. Die eine Zinke jeder ver\u00e4nderlichen Gabel wurde \u2014 je nach der Gr\u00f6sse der Gabel \u2014 1,5 bis 3,5 cm tief angebohrt und eine entsprechend lange, durch eine Gegenmutter feststellbare Stahlschraube eingesetzt, die bei der Gabel 1200 hohl, bei den \u00fcbrigen massiv war und bei 100 einen schweren, bei 200 einen etwas leichteren Messingkopf als Belastung trug. Durch Einstellung der Schraube auf einen bestimmten Punkt Hess sich die jedesmal gew\u00fcnschte Tonh\u00f6he ohne grosse M\u00fche mit hinreichender Genauigkeit hersteilen.\nUm den Nullpunkt zu bestimmen, darf man sich nicht mit dem Fortfall bemerkbarer Schwebungen begn\u00fcgen, sondern muss auch um gleichviel (etwa 3 Windungen der Schraube) nach der\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XVI.\t23","page":353},{"file":"p0354.txt","language":"de","ocr_de":"354\nMax Meyer.\nH\u00f6he und nach der Tiefe zu verstimmen, wo dann die Schwebungen gleich schnell sein m\u00fcssen. Man kann so den Null* punkt recht gut feststellen. Doch ist die zweite Dezimale im Allgemeinen bereits mit einem Fehler behaftet. Ich habe mich daher auch mit Bestimmung zweier Dezimalstellen begn\u00fcgt. Wie Schischmanow 1 die Angabe einer dritten Dezimale rechtfertigen kann, sehe ich nicht recht ein. Luft 2 hat bei seinen Versuchen sich mit der Bestimmung zweier Dezimalstellen begn\u00fcgt, wie aus seiner ersten Tabelle der Rohversuche hervorgeht. Die Mittel-werthe aus diesen urspr\u00fcnglichen Zahlen berechnet er jedoch bis auf die dritte Dezimale, was ich nicht billigen kann, da es doch nur den Schein einer Genauigkeit erweckt, die in Wirklichkeit nicht besteht. Ich gebe daher sp\u00e4ter Luft\u2019s Ergebnisse zweistellig wieder.\nJe kleiner die Gabeln sind, um so empfindlicher zeigen sie sich gegen Temperaturwechsel. Es wurde daher namentlich bei den h\u00f6heren Gabeln vermieden, sie mit der warmen Hand direkt zu ber\u00fchren.\nDie Gabeln 400, 600 und 1200 waren auf ihren Resonanzk\u00e4sten befestigt und wurden, um m\u00f6glichst gleich starke T\u00f6ne zu erzielen, durch Federkraft vermittelst h\u00f6lzerner H\u00e4mmer angeschlagen, die hei den Gabeln 400 und 600 mit Gummi, bei 1200 mit Tuch bekleidet waren. Die Gabeln 100 und 200 wurden durch kr\u00e4ftiges Aufschlagen auf die Tischplatte bezw. eine Tuchunterlage in Schwingung versetzt und dann vor die Oeffnung des betreffenden Resonanzkastens gehalten, aus dem ein etwa 2 m langer Schlauch zum Ohre des Beobachters f\u00fchrte. Die Intensit\u00e4ten habe ich bei diesem Verfahren dadurch gleich zu machen gesucht, dass ich die schwingenden Gabeln bald mehr,, bald weniger nahe an die Oeffnung des Resonanzkastens brachte, je nachdem es mir hei gleichzeitiger aufmerksamer Beobachtung der Intensit\u00e4ten erforderlich schien. Man erlangt hierin bald ziemliche Uebung.\nJeder Einzelversuch wurde dreimal, und wenn einer der Beobachter es w\u00fcnschte, noch \u00f6fter wiederholt, bevor das Urtheil \u201ezweiter Ton h\u00f6her\u201c oder \u201ezweiter Ton tiefer\u201c abgegeben wurde..\n1\tWundt\u2019s Philosophische Studien, Bd. 5.\n2\tWundt\u2019s Studien, Bd. 4.","page":354},{"file":"p0355.txt","language":"de","ocr_de":"lieber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\n355\nMan erreicht hierdurch, dass nicht nur im Gesammtergebniss, sondern vielfach schon in einem Einzelfalle kleine Unregelm\u00e4ssigkeiten des Anschlagger\u00e4usches, der Intensit\u00e4t der zu vergleichenden T\u00f6ne sowie der zwischen der Beobachtung dieser beiden T\u00f6ne liegenden Zwischenzeit sich ausgleichen. Die Beobachter selbst kontrollirten insbesondere auch die Gleichheit der Intensit\u00e4t und liessen jedes Mal, wenn diese nicht v\u00f6llig erreicht schien, den Versuch nochmals wiederholen. Ebenso bei Schwankungen der Aufmerksamkeit, soweit sie ihnen selbst zum Bewusstsein kamen. Daher ist das Ergebniss als das einer m\u00f6glichst maximalen, nicht etwa durchschnittlichen Aufmerksamkeit entsprechende anzusehen.\nBei den T\u00f6nen 400, 600 und 1200 gingen die Versuche in folgender Weise vor sich. Die Federn der H\u00e4mmer wurden gespannt, die Normalgabel angeschlagen und nach kurzer Zeit ged\u00e4mpft, dann die Vergleichsgabel angeschlagen und nach gleicher oder ein wenig l\u00e4ngerer Zeit ged\u00e4mpft. Hierauf wurden wieder die Federn gespannt u. s. w. Durch letztere Manipulation entstand zwischen den wiederholten Einz elver suchen eine kleine Pause. Bei 100 war diese Pause etwas k\u00fcrzer, da das Anschl\u00e4gen der beiden Gabeln nicht ganz so viel Zeit erforderte, als das Spannen der Federn. Bei 200 war diese Zwischenpause ebenso lang als die Pause zwischen dem Normal- und dem Vergleichston. Da n\u00e4mlich diese beiden Gabeln nach einmaligem Anschlag sehr lange kr\u00e4ftig in Schwingung blieben, so konnten drei Einzelversuche hinter einander gemacht werden, ohne dass die Gabeln inzwischen angeschlagen zu werden brauchten. (Eine geringe Abnahme der Schwingungsintensit\u00e4t wurde, soweit es n\u00f6thig war, durch gr\u00f6ssere Ann\u00e4herung an die Oeffnung des Resonanzkastens ausgeglichen). Da es nun m\u00f6glicher Weise die Zuverl\u00e4ssigkeit des Urtheils beg\u00fcnstigt, wenn bald, nachdem etwa der zweite Ton f\u00fcr h\u00f6her gehalten worden ist, wieder gepr\u00fcft werden kann, ob der erste wirklich tiefer ist, so k\u00f6nnte vielleicht das Ergebniss f\u00fcr den Ton 200, weniger das f\u00fcr den Ton 100, um ein geringes besser ausgefallen sein, als es im Vergleich zu den \u00fcbrigen T\u00f6nen in Wirklichkeit sein d\u00fcrfte.\nZu bemerken ist noch, dass der Ton der Normalgabel bei jedem Einzelversuche vor dem ver\u00e4nderlichen der Vergleichsgabel angegeben wurde.\n23*","page":355},{"file":"p0356.txt","language":"de","ocr_de":"356\nMax Meyer.\n4\u201c *+* O JD \"05 *05 \u00c7\u00a9 to\t\t\u2014 0,38\t\u2014 0,69\t100\nCO\tto\tto\tCO\t\nH\tcn\tto.\too\t\u2022\nH CO\too\tH H\tCn\tHa\n.+ +\t\t1\t|\tto\no\to\to\tO\t\n*05\t*05\t*05\t05\to\n05\t-d\t00\t05\t\nto\tto\tto\t05\t\noo\t-d\t00\tto\t\nOi\t05\tcn\tH\tHa\n+ +\t\tI\t1\t\no\tO\to\tO\t\n*05\t*05\t*05\t05\to\nH\tH\t\tH\t\n05\tto\tto\t05\t\nH\tCO\tH-\to\t\u2022\nCO\t\tCD\t05\tHa\n+ +\t\t1\t1\t05\no 05\t<D *05\tG> *05\tO *05\t8\n05\t\u2022*3\t\u2022o\tCO\t\nCO\t05\t05\tto\t\n-3\tH\tH\t05\t\u2022\n05\t05\t<35\t05\tHa\n+ +\t\t1\t1\tH\nO\tO\tO\to\tto o\n-d\t05\t05\t\u2022d\to\nH\tCJi\tc*\tH\t\nto\tCO\tto\tCO\t\nH-\tCO\to*\tC?\u00bb\t\u2022\nH\tH\tH\tH\thb\nH\t05\to\tO\t\nCj\nh\nC+-\np\"\nCD\nCD\n<1\nO\nP\nhj\nH\nO\nHa\n\u2022\nrji\nH3\ng\nHd\nN\nHa\np\u00ef\nH\nP^ h>\u00ab CD\nO:\nP\nCD\nO\n\u00a9\ntND\nO\no\nw#\nO\nO\n>*\u25a0\n05\no\no\ns#\nto\no\no\n_j\u2014j\u2014{_ H O CD *0 *05 *03 Q< 05 HI\t\t\t\u2014 0,37\ti o *05 to\t1 j-j- *H\tStimmung\t\u00a9 1 H\tij 1 t\n!\t1\t05\t\u00dc1\ti\t1\tH\tw \u25a0 2 i\n1\t1\tH\trf*\t1\t1\tHa\t\u00ab \u00ab d d d\ti w\n1\t1\tto\tH\t1\t1\tN\t\n14\t19\t10\tCD\t| 19\tH H\tH\tM d\nM-\t05\t05\t05\t05\tH\tHa\tS3 d d g\nH\tO\to\tH\tO\tH\tS3\ttf\t1 \u00ab \u00ab\t!\nto\t-d\t05\t05\tCD\t\tH\tW o H H d w i> d ;\no\t\u2022d\t05\t\t\tO\tHa\t\nCO\tH\t05\tCO\tCO\to\tS3\tXJ1 a\n14 i I\t\tGO\t05\t16\t13\tH\ti\nH\t\tO\tH\tto\tto\tHa \u2022\t\u00ab d d\nH\t-d\tH\t05\t\tH\tts\t\nOO\t\tI\t1\t-d\t\u2022o\tH\tt\u201c* k d\nO\tO\t1\t1\tCO\tH\tHa\tW CO\t1 2\t!\n\tCO\t!\t1\to\tH\tS3\tw\t! d\t! CO\tj\n00\tH H\t10\t-d\tH H\t00\tH\tLoewenfeld\no\tH\tCO\t\t05\tH\tHa\t\nH\tto\tCO\t\tO\tO\tS\t\n46 | 1\t55\t40\t30\t62 !\t46\tH\tU2\nCO\th*\u25a0 Ox\tCD\t16\t14\t\u00dc*\tHa\tH B B\n05\t12\tCD\t14\t05\t05\tN\tM CD\n85\t67\t70 1\t50\t76\t85\tH\t>-d H\n\t00\t16\t27\t17\tCD\tHa\to \u00bb \u00a9\n11\t15\t14\t23\t-o\t05\tN \u2022\t{3 et-\nw\no\nI\u2014'\nCD\nft\nH\u201c\nb* \u2022 < < CD H C\u00df\nP\nCD\nHH\nI-'\nCD\nHa\np:\nH\nP^\nCD\nP\nH\no\nP\nCD\no\no","page":356},{"file":"p0357.txt","language":"de","ocr_de":"lieber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\n357\nIn den Tabellen bedeutet \u2014, dass der zweite, also der Ton der ver\u00e4nderlichen Gabel, tiefer als der erste, der der Normal-gabel, war; + bedeutet, dass der zweite Ton h\u00f6her war. Es wurden sowohl nach der Tiefe, wie nach der H\u00f6he zu zwei Verstimmungen von etwa 0,35 und 0,65 Schwingungen angewandt. Die kleinen Abweichungen von diesen Zahlen erkl\u00e4ren sich daraus, dass die benutzten Verstimmungen bei den einzelnen Gabeln leicht hergestellt werden konnten, weil sie gerade einem ganzzahligen Vielfachen einer Schraubenwindung entsprachen. Aus demselben Grunde stimmt auch die dritte, nur bei den Kollektivversuchen angewandte Verstimmung nach der H\u00f6he und nach der Tiefe zu nicht ganz \u00fcberein.\nDie einzelnen Personen bei den Kollektivversuchen zeigen, wie man aus der Tabelle sieht, zwar nicht genau die gleiche Unterschiedsemp\u00fcndlichkeit (wobei man auch die ziemlich kleinen Zahlen in Betracht ziehen muss), aber auch nicht besonders auff\u00e4llige Verschiedenheiten. Die Summe giebt uns einen Ueber-blick \u00fcber die durchschnittliche Empfindlichkeit musikalischer Personen.\nLuft meinte aus seinen Versuchen schliessen zu k\u00f6nnen, dass das Urtheil vielleicht etwas sicherer sei, wenn der zweite Ton h\u00f6her sei. Ich habe das nicht best\u00e4tigt gefunden. Die meisten Versuchspersonen erkl\u00e4rten, sich in beiden F\u00e4llen gleich zu verhalten, einige dagegen, dass es ihnen leichter erscheine zu urtheilen, wenn der zweite Ton tiefer sei. Sehen wir uns nun die Tabelle darauf hin an.\nIn den Kollektivversuchen ist bei der gr\u00f6ssten Verstimmung kein bemerkenswerther Unterschied ersichtlich, bei der kleineren Verstimmung ist Vertiefung ein wenig besser beurtheilt worden als Erh\u00f6hung, bei der kleinsten Verstimmung Erh\u00f6hung etwas besser als Vertiefung. Im Ganzen zeigt sich also kaum ein Vorzug der Verstimmung nach einer von beiden Seiten.\nIn Stumpf\u2019s Urtheilen ist bei 600 die Sicherheit nach beiden Seiten hin gleich ; bei 100, 200 und 1200 hat Vertiefung einen geringen Vorzug, bei 400 ist Erh\u00f6hung besser beurtheilt worden. Man wird unter diesen Umst\u00e4nden wohl annehmen m\u00fcssen, dass es f\u00fcr die Sicherheit des Urtheils im Allgemeinen gleichg\u00fcltig ist, ob der zu beurtheilende Ton h\u00f6her oder tiefer als der Normalton ist.\nDiese Annahme berechtigt uns dazu, die Urtheile \u00fcber","page":357},{"file":"p0358.txt","language":"de","ocr_de":"358\nMax Meyer.\ngleichviel (oder nahezu gleichviel) nach der H\u00f6he und nach der Tiefe zu verstimmte T\u00f6ne zusammenzurechnen. Man erh\u00e4lt so aus den Kollektivversuchen und den Versuchen Stumpf\u2019s mit dem Tone 600 folgende Prozentzahlen:\nVer- stimmung\tKollektiv- versuche\t\t\tStumpf\t\n600 +\tr.\tf.\tz.\tr.\tf.\n0,37\t60\t21\t19\t84\t16\n0,63\t71\t18\t11\t90\t10\n1,10\t85\t6\t9\t\u2014\t\u2014\nDass die Urtheile Stumpf\u2019s eine so erheblich gr\u00f6ssere Sicherheit aufweisen, ist sowohl eine Folge der gr\u00f6sseren Uebung als auch des Umstandes, dass die T\u00f6ne zweier Tonquellen in Folge der Reflexionen an den W\u00e4nden \u00f6fters f\u00fcr den Beobachter ein verschiedenes St\u00e4rkeverh\u00e4ltniss haben, auch wenn sie f\u00fcr den Experimentator gleich sind, was bei Stumpf\u2019s Urtheilen nur in geringem Maasse st\u00f6rend wirkte, da hier die Differenz durch den Experimentator oder durch Platzwechsel des Beobachters leichter ausgeglichen werden konnte, w\u00e4hrend bei mehreren Beobachtern die Schwierigkeit entsteht, dass der eine den einen, der andere den anderen Ton verst\u00e4rkt w\u00fcnscht. So erkl\u00e4rt sich die gr\u00f6ssere Fehlerzahl bei den Kollektivversuchen und theilweise vielleicht auch die Abgabe von zweifelhaften Urtheilen.\nAus der Tabelle von Prof. Stumpf\u2019s Urtheilen erh\u00e4lt man f\u00fcr die beiden (als mittlere Werthe angegebenen) Verstimmungen folgende Prozentzahlen richtiger F\u00e4lle:\nVer- stimmung\t100\t200\t400\t600\t1200\n0,35\t71\t83\t80\t84\t67\n0,65\t74\t91\t92\t90\t70\nMan sieht daraus, dass eine Tonh\u00f6henverschiedenheit von ungef\u00e4hr gleichen Schwingungszahldifferenzen bei 200, 400 und 600 mit gleicher, bei 100 und 1200 mit geringerer, aber ebenfalls","page":358},{"file":"p0359.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\nziemlich gleicher Sicherheit erkannt wird. Die Differenzen in diesen F\u00e4llen sind so klein, dass sie als zuf\u00e4llig betrachtet werden k\u00f6nnen. Dass die Sicherheit des Urtheils bei noch h\u00f6heren und noch tieferen T\u00f6nen weiterhin abnimmt, erscheint selbstverst\u00e4ndlich.\nEin Uebungseinfluss machte sich in der Weise geltend, dass die falschen F\u00e4lle gegen das Ende der mit einem einzelnen Tone angestellten Versuche stets stark abnahmen, sodass in mittlerer Lage zuletzt fast v\u00f6llige Sicherheit eintrat.\nLuft kam bei seinen Versuchen zu folgendem Ergebniss :\nSchwingnngszalil\t64\t128\t256\t512\t1024\t2048\nUnterscliiedsschwelle\t0,15\t0,16\t0,23\t0,25\t0,22\t0,36\nDiese Tabelle stimmt mit der vorhergehenden insofern gut \u00fcberein, als die Empfindlichkeit f\u00fcr gleiche Schwingungszahldifferenzen innerhalb des mittleren Tonbereichs ziemlich unabh\u00e4ngig von der Tonh\u00f6he ist. Nur dass die Unterschiedsschwelle nach Luft bei 64 kleiner als in mittlerer Lage ist, l\u00e4sst sich nicht mit unserem Ergebniss vereinigen und d\u00fcrfte eine Folge der M\u00e4ngel von Luft\u2019s Methode sein, die wir demn\u00e4chst noch kritisch beleuchten werden.\nII. Kann man einen Unterschied der Tonh\u00f6he bemerken, ohne zn erkennen, welcher Ton der h\u00f6here ist?\nEinige Beobachter machten die Aussage, sie pflegten zuerst die Verschiedenheit der beiden vorgelegten T\u00f6ne zu bemerken und dann festzustellen, welcher Ton der h\u00f6here sei.\nNun ist es gewiss m\u00f6glich, zwei T\u00f6ne als verschieden zu beurtheilen, ohne dar\u00fcber Auskunft geben zu k\u00f6nnen, worin die Verschiedenheit besteht. Der eine Ton kann etwas st\u00e4rker sein, ur kann eine andere Klangfarbe haben, ihm k\u00f6nnen irgendwelche Ger\u00e4usche beigemischt sein, er kann eine andere H\u00f6he haben und dergl. mehr. In solchen F\u00e4llen kann wohl Jemand die Verschiedenheit bemerken, ohne \u00fcber ihre besondere Art vor \u2022einer genauen Analyse Rechenschaft ablegen zu k\u00f6nnen. Auch dies ist nicht ganz undenkbar, dass Jemand bereits bemerkt hat, dieser Ton ist h\u00f6her als jener, dass er aber noch vor der Ur-theilsabgabe die Richtung bereits wieder vergessen hat und sich nur noch bewusst ist, eine Tonh\u00f6henverschiedenheit \u00fcberhaupt","page":359},{"file":"p0360.txt","language":"de","ocr_de":"360\nMax Meyer.\nbemerkt zu haben. Anders aber ist es, wenn jemand eine Ton* h\u00f6henverschiedenheit im Allgemeinen erkannt haben will, bevor er bemerkt hat, welcher der beiden T\u00f6ne h\u00f6her ist. Dass eine erkannte Verschiedenheit in der That eine Tom h\u00f6hen-undkeine andere Verschiedenheit sei, daf\u00fcr giebt es meines Erachtens kein anderes Kriterium, als dass man eben erkannt hat, dieser Ton ist h\u00f6her a 1 s j e n e r. Habe ich letzteres nicht erkannt, so weiss ich nicht, mit welchem Rechte ich behaupten kann, die von mir erkannte Verschiedenheit derT\u00f6ne sei eineH\u00f6henverschiedenheit, es sei denn, dass Jemand bestimmte Arten einer bisher unbekannten \u201eVerschiedenheitsempfindung\u201c annehmen wollte, durch die wir zu einem derartigen Urtheile gelangten. Analoge F\u00e4lle aus anderen Sinnesgebieten werden dies noch klarer machen. Wenn ich zwei graue Scheiben am Farbenkreisel als verschieden erkannt habe, so kann ich nur dann mit Recht diese Verschiedenheit als eine solche der Helligkeit bezeichnen, wenn ich die eine als heller, die andere als dunkler erkannt habe. Anderenfalls kann ich nicht wissen, ob mein Verschiedenheitsurtheil nicht durch etwas Anderes als die Helligkeit, z. B. durch eine farbige T\u00f6nung der einen Scheibe hervorgerufen ist. Oder wenn ich zwei Fl\u00fcssigkeiten beim Trinken f\u00fcr verschieden warm erkl\u00e4re, so muss ich die eine als w\u00e4rmer, die andere als k\u00e4lter erkannt haben; anderenfalls kann ich nicht behaupten, dass mein Urtheil in der That durch die Verschiedenheit der Temperatur hervorgerufen ist.\nNun sind Verschiedenheiten von Nebenumst\u00e4nden niemals vollkommen auszuschliessen. Die St\u00e4rke des Anschlags ist selbst bei mechanischem Anschlag nie mit absoluter Genauigkeit dieselbe. Das Anschlagger\u00e4usch kann etwas variirt haben und dergleichen. Solches mag bei den Beobachtern ein Urtheil auf Verschiedenheit hevorgerufen haben, die dann f\u00e4lschlich als eine Tonh\u00f6henverschiedenheit auf gefasst worden ist. Anders vermag ich mir die erw\u00e4hnten Aussagen nicht zu erkl\u00e4ren.\nAuf analoge Weise kann man derartige Aussagen bei Versuchen \u00fcber Reinheit musikalischer Intervalle deuten. Auch hierbei behaupteten einige Beobachter fr\u00fcher die Unreinheit des Intervalls bemerkt zu haben, als die Richtung der Verstimmung, d. h. ob das Intervall zu gross oder zu klein war. Bei den Intervallen k\u00f6nnten solche Urtheile vielleicht auf folgende Weise \u00bb","page":360},{"file":"p0361.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\t361\nzu Stande kommen. Es w\u00e4re m\u00f6glich, dass mit dem H\u00f6ren eines reinen Intervalls ein Lust-, mit dem eines unreinen ein Unlustgef\u00fchl verkn\u00fcpft w\u00e4re, und dass auf diese Weise ein indirektes Urtheil \u00fcber Reinheit oder Verstimmung zu Stande k\u00e4me. In der Regel d\u00fcrfte freilich bei Intervallen das Urtheil auf Verstimmung erst dadurch entstehen, dass das Intervall als zu gross oder als zu klein erkannt wird. Hierf\u00fcr spricht, dass nach den Aussagen der meisten Beobachter das Int er vallurtheil so geschieht, dass der Beobachter sich den zweiten Ton zun\u00e4chst vorstellt und dann beurtheilt, ob der wirklich geh\u00f6rte h\u00f6her oder tiefer als der vorgestellte ist. Um diese Vorstellung zu Stande kommen zu lassen, muss man stets zwischen den beiden vorgelegten Intervallt\u00f6nen etwa eine Sekunde Pause machen. Thut man dies nicht, so wird das Urtheil erschwert. Doch mag \u2014 namentlich beim Zusammenklange der Intervallt\u00f6ne \u2014 das Ur-theii h\u00e4ufig auch durch ein Unlustgef\u00fchl mitbestimmt werden. Ein Unlustgef\u00fchl kann aber auch durch unvermeidliche st\u00f6rende Neben um st\u00e4nde hervorgerufen werden, ohne dass sich der Beobachter ihrer deutlich bewusst zu sein braucht. Er wird dann f\u00fcr die gef\u00fchlte Unlust eine \u2014 eventuell gar nicht vorhandene \u2014 Verstimmung des Intervalls verantwortlich zu machen geneigt sein, bevor er noch hat entscheiden k\u00f6nnen, ob es zu gross oder zu klein sei.\nIII. Die Methode der Mmimal\u00e4ndexumgen.\nEhe ich die vorstehend beschriebenen Versuche \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen sowie andere \u00fcber die Empfindlichkeit f\u00fcr Verstimmungen der musikalischen Intervalle nach der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle anstellte, versuchte ich es mit der von Wundt1 2 vielfach empfohlenen und von Luft - und Schischmanow 3 zu gleichen bezw. \u00e4hnlichen Zwecken in Anwendung gebrachten Methode der Minimal* \u00e4nderungen (der eben merklichen Unterschiede). Ich musste diese Methode jedoch aufgeben, da sie \u2014 bei ihrer Anwendung auf Tonqualit\u00e4ten wenigstens \u2014 gar zu viele Fehlerquellen enth\u00e4lt\n1\tSiehe hierzu den Anhang am Ende dieser Abhandlung.\n2\tWundt\u2019s Studien, Bd. 4, S. 511 fl.\n1 Wundt\u2019s Studien, Bd. 5, S. 558 ff.","page":361},{"file":"p0362.txt","language":"de","ocr_de":"362\nMax Meyer.\nund an Brauchbarkeit, wie ich mich \u00fcberzeugte, von der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle entschieden \u00fcbertroffen wird.\nVon vorn herein scheint der Vorzug der Methode der Minimal\u00e4nderungen darin zu bestehen, dass man mit geringerer M\u00fche, weil mit einer kleineren Zahl von Einzelbeobachtungen zum Ziele gelangt, als bei der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle. Dieser Vorzug der Methode der Minimal\u00e4nderungen besteht jedoch in Wirklichkeit nicht. Man kann sich, wenn man nicht auf Eleganz, sondern nur auf Brauchbarkeit der Tabellen sieht, hei der Anwendung richtiger und falscher F\u00e4lle mit einer ziemlich kleinen Zahl von Einzelbeobachtungen begn\u00fcgen, die durchaus nicht gr\u00f6sser ist, als die f\u00fcr die Methode der Minimal\u00e4nderungen erforderliche, falls man diese so in Anwendung bringt, dass sie \u00fcberhaupt den Namen einer wissenschaftlichen Methode verdient.1\nWenn wir das Verhalten der Unterschiedsempfindlichkeit in verschiedenen Tonlagen feststellen wollen, so m\u00fcssen wir die Wahrscheinlichkeit haben, dass die vermittelst der angewandten Methode f\u00fcr verschiedene Tonlagen gewonnenen Zahlen m\u00f6glichst rein die Wirkung derjenigen Empfindungsunterschiede darstellen, deren Beurtheilung wir uns als Zweck gesetzt haben, in unserem Falle also die Wirkung der Tonh\u00f6henunterschiede, und dass andere Momente, die das Urtheil beeinflussen k\u00f6nnten, entweder \u00fcberhaupt nicht vorhanden sind oder doch in den verschiedenen Tonlagen in gleicher Weise zur Wirkung kommen, so dass die Vergleichbarkeit der Zahlen nicht beeintr\u00e4chtigt wird. Diese Bedingung nun scheint mir bei der Methode der Minimal\u00e4nderungen keineswegs erf\u00fcllt zu sein.\nBei Luft\u2019s Versuchen wurde vom Nullpunkte ausgegangen. Vor der Versuchsreihe wurde dem Beobachter gesagt, ob die Vergleichsgabel tiefer oder h\u00f6her gestimmt werde. Der Beobachter hatte dann anzugeben, wann er eine Verschiedenheit der T\u00f6ne bemerkte. Wie wir nun im vorigen Abschnitte sahen, behaupten manche Beobachter fr\u00fcher zu bemerken, ob die T\u00f6ne verschieden sind, als, welcher h\u00f6her und welcher tiefer ist; und dies bei der Fragestellung : \u201ewelcher Ton h\u00f6her?\u201c. Wir\n1 Zu derselben Ansicht gelangt auch Y. Henri in seinem soeben erschienenen Buch: Ueber die Raumwahrnehmung des Tastsinnes, Berlin, 1898, S. 9\u201412.","page":362},{"file":"p0363.txt","language":"de","ocr_de":"lieber die Unterschiedsemjpfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\n36B\n\u00fcberzeugten uns, dass dieses Urtheil auf \u201everschieden\u201c, bevor der H\u00f6henunterschied wirklich erkannt ist, durch kleine Verschiedenheiten von anderer Art als H\u00f6henunterschiede hervorgetrieben sein m\u00fcsse, welche Verschiedenheiten dann f\u00e4lschlich als solche der Tonh\u00f6he aufgefasst werden. Wenn aber von vornherein gesagt wird, dass der Vergleichston h\u00f6her bezw. tiefer werde, und der Beobachter unter diesen Umst\u00e4nden nur angewiesen wdrd auszusagen, wann er eine Verschiedenheit der T\u00f6ne bemerkt habe, so ist jener f\u00e4lschlichen Beurtheilung andersartiger Verschiedenheiten als Tonh\u00f6henunterschiede Th\u00fcr und Thor ge\u00f6ffnet. Es ist also wahrscheinlich, dass dann beim Ausgehen vom Gleichheitspunkte das Urtheil auf \u201everschieden\u201c in vielen F\u00e4llen bereits bei einer so geringen Verstimmung abgegeben wird, dass der H\u00f6henunterschied als solcher hierbei noch nicht deutlich bemerkt wird.\nNun ist man vielleicht zu der Annahme geneigt, dass diese Beeinflussung des Urtheils durch andere als Tonh\u00f6hen-Unter-schiede in verschiedenen Tonlagen sich in gleicher Weise geltend machen wird, falls man in jeder Lage eine grosse Zahl von Versuchsreihen macht. Aber diese Annahme hat doch ihre grossen Bedenken, da bei verschieden hohen Gabeln die das Urtheil beeinflussenden Nebenumst\u00e4nde sehr verschieden zahlreich und wirksam sein k\u00f6nnen. Z. B. pflegen bei tieferen Gabeln beim Anschl\u00e4ge leichter hohe unharmonische Longitudinalt\u00f6ne zu entstehen als bei h\u00f6heren Gabeln. Wenn man aber wirklich glaubt, diese Beeinflussung des Urtheils durch unbeabsichtigte Nebenumst\u00e4nde f\u00fcr alle Tonlagen dadurch gleich-m\u00e4ssig gestalten zu k\u00f6nnen, dass man eine sehr grosse Zahl von Versuchsreihen in jeder H\u00f6henlage macht, so wird die Methode der Minimal\u00e4nderungen so ungeheuer m\u00fchsam, dass ihr jeder, der nicht nur am Schreibtisch mit ihr arbeitet, jede andere Methode vorziehen wird; es sei denn, dass man sich die Sache so leicht macht wie Luft, der nach seiner Angabe jede Reihe aus nur 4 bis 8 Einzelversuchen bestehen liess, wor\u00fcber ich im Folgenden noch einige Bemerkungen zu machen habe.\nWenn von der Gleichheit zur Verschiedenheit \u00fcbergegangen wird, so kann durch die erw\u00e4hnten Nebenumst\u00e4nde das Urtheil auf \u201everschieden\u201c zu fr\u00fch hervorgerufen werden. Aus denselben Gr\u00fcnden kann beim Uebergange von objektiver Verschiedenheit zur Gleichheit das Urtheil auf \u201egleich\u201c zu sp\u00e4t eintreten. Dass","page":363},{"file":"p0364.txt","language":"de","ocr_de":"364\nMax Meyer.\nLetzteres wirklich oft geschieht, daf\u00fcr liegen nun klare Beweise vor. Wie Luft berichtet, wurde beim LTebergange von objektiver Verschiedenheit zur Gleichheit zuweilen noch Verschiedenheit konstatirt, wenn der Gleichheitspunkt bereits \u00fcberschritten war ; der Ton der Vergleichsgabel wurde also beispielsweise noch f\u00fcr zu hoch erkl\u00e4rt, w\u00e4hrend er schon zu tief war. Wir haben hier den merkw\u00fcrdigen Fall, dass das Urtheil von Verschiedenheit zu Gleichheit \u00fcbergeht, w\u00e4hrend in Wirklichkeit eine Vergr\u00f6sserung der Verschiedenheit stattfindet. Da ist gar kein Zweifel, dass irgendwelche an sich nicht auff\u00e4lligen andersartigen als H\u00f6hen-Unterschiede der T\u00f6ne noch das Urtheil \u201everschieden\u201c hervortrieben, obwohl der objektive Gleichheitspunkt bereits erreicht, ja schon \u00fcberschritten war. Luft freilich will diese merkw\u00fcrdigen Urtheile anders erkl\u00e4ren: \u201eUnser Bewusstsein scheint eben geneigt, aufeinander folgende qualitativ unmerklich verschiedene Eindr\u00fccke einander zu assimiliren und also mit einer gewissen Tr\u00e4gheit an den einmal empfangenen Empfindungen fest zu halten.\u201c Diese Erkl\u00e4rung scheint mir insofern ihr Ziel zu verfehlen, als ja die T\u00f6ne der Vergleichsgabel gar nicht unmittelbar aufeinander folgten, sondern mit den stets gleich bleibenden T\u00f6nen der Normalgabel ab wechselten. Man sollte also annehmen, dass die T\u00f6ne der ver\u00e4nderlichen Gabel, sobald sie von dem der Normalgabel qualitativ unmerklich verschieden geworden waren, dem gleich bleibenden Tone sich assimilirten, wodurch dann gerade bewirkt werden musste, dass das Urtheil auf \u201egleich\u201c stets vor dem objektiven Gleichheitspunkte eintrat. Sollte es aber wirklich so sein, dass die T\u00f6ne der Normalgabel ohne diese Wirkung blieben und nur die T\u00f6ne der ver\u00e4nderlichen Gabel sich assimilirten, so w\u00e4re damit die Unbrauchbarkeit einer Methode bewiesen, bei der das Festhalten an einmal empfangenen Empfindungen dadurch k\u00fcnstlich gen\u00e4hrt wird, dass die einander folgenden Eindr\u00fccke (der Vergleichsgabel) stets qualitativ unmerklich verschieden sind.\nBei Luft\u2019s Versuchen \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen wurde nach 4 bis 8 Einzelversuchen stets die Schwelle erreicht. Man kann nun leicht einsehen, dass Luft unter diesen Umst\u00e4nden zu seinen Ergebnissen auch dann gelangt w\u00e4re, wenn der Beobachter gar nicht auf die H\u00f6henunterschiede geachtet, sondern einfach bei jedem sechsten oder durchschnittlich beim sech-","page":364},{"file":"p0365.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\nsten Male behauptet h\u00e4tte, einen Unterschied konst atiren zu k\u00f6nnen. Es besteht, was leicht verst\u00e4ndlich ist, eine gewisse Versuchung, nach einer solchen Zahl von F\u00e4llen, nach denen \u2014 wie die Versuchsperson bei Luft sehr wohl weiss \u2014 ungef\u00e4hr der Schwellenwerth erreicht sein muss, ein darauf bez\u00fcgliches Urtheil abzugeben. Dass man aber dieser Versuchung erliegt, dazu k\u00f6nnen jene kleinen Verschiedenheiten der Nebenumst\u00e4nde beitragen, die als solche der H\u00f6he aufgefasst werden. Wenn also die Versuchsperson in der Hegel ungef\u00e4hr beim sechsten Male eine Verschiedenheit konstatirte und Versuchsreihen mit gr\u00f6sseren und solche mit kleineren Stufen ungef\u00e4hr gleich oft vorkamen, so h\u00e4tte Luft ziemlich dieselben Schwellenwerthe erhalten m\u00fcssen, die er thats\u00e4chlich erhalten hat.\nSehen wir uns nun die einzige von Luft angegebene Tabelle der Rohversuche an, so finden wir in der That so sehr schwankende Zahlenwerthe, dass es gar keine Schwierigkeit hat, die Ergebnisse auf die Weise zu erkl\u00e4ren, dass die Versuchsperson ziemlich regelm\u00e4ssig beim sechsten Versuche das erwartete Urtheil abgegeben hat. Dass ich die Versuchsperson hiermit nicht einer absichtlichen T\u00e4uschung beschuldige, brauche ich wohl nicht erst hervorzuheben. Ich will auch durchaus nicht so weit gehen, zu behaupten, dass Luft\u2019s Versuche absolut werthlos seien. Belten ist eine Methode so schlecht, dass die Wirklichkeit sich in den vermittelst dieser Methode gewonnenen Ergebnissen nicht irgendwie auspr\u00e4gte. Aber empfehlenswerth erscheint ein Verfahren doch gewiss nicht, das den Beobachter dazu verf\u00fchren kann, sich f\u00fcr den f\u00fcnften oder sechsten Fall einen merklichen Unterschied zu suggeriren. Wie leicht Letzteres m\u00f6glich ist, zeigen die Aussagen der Versuchspersonen, dass man jeden Ton willk\u00fcrlich etwas h\u00f6her oder tiefer h\u00f6ren, die Tonempfindung gewissermaassen in die H\u00f6he oder in die Tiefe treiben k\u00f6nne.\nDie Gr\u00f6sse der Schwankungen der ermittelten Differenzen spricht auch nicht zu Gunsten der Methode der Minimal\u00e4nderungen. F\u00fcr einen Schwellenwerth von 0,20 betr\u00e4gt bei Luft die mittlere Variation 0,06, beinahe ein Drittel des Schwellen-werthes. Luft meint, dies habe nicht viel zu sagen, \u201ewenn man bedenkt, dass die einzelnen Gr\u00f6ssen nur Bruchtheile einer Schwingung bedeuten, dass sie also selbst einen sehr kleinen Werth ausmachen im Verh\u00e4ltniss zu der Schwingungszahl des Tones, f\u00fcr den sie gefunden sind.\u201c Leider hat er es vers\u00e4umt,","page":365},{"file":"p0366.txt","language":"de","ocr_de":"366\nMax Meyer.\ndiese seine Ansicht n\u00e4her zu begr\u00fcnden. Ich muss gestehen, dass sie mir unverst\u00e4ndlich ist.\nNach alledem m\u00f6chte ich nun auch eigene Erfahrungen mit der Methode der Minimal\u00e4nderungen mittheilen. Ich habe sie freilich nicht so angewandt, wie Luft, der nach 4 bis 8 Stufen stets die Schwelle erreicht sein liess, was der Versuchsperson bekannt war. Bei meinen Versuchen hatte die Versuchsperson keine Ahnung von der Zahl der Stufen, die zum Gleichheitspunkte f\u00fchrten. Dies erschwert freilich die Beurtheilung bedeutend; und wenn Luft sagt, dass es nach seinem Verfahren dem Beobachter ,,verh\u00e4ltnissm\u00e4ssig leicht werden musste, den Punkt des Grenz\u00fcberganges einigermaassen genau zu bestimmen\u201c, so hat er damit gewiss recht, dass es leicht ist, unter so wenigen F\u00e4llen einen auszuw\u00e4hlen ; aber wie es mit der Genauigkeit steht, sieht man an den Versuchsreihen, in denen sich ein negativer Schwellenwerth herausstellte, und so scheint die Leichtigkeit doch zu theuer bezahlt zu werden. Ferner wurde bei meinen Versuchen nicht vom Nullpunkte ausgegangen, sondern von einer unzweifelhaft bemerkten Verstimmung. Diese wurde immer mehr verringert und ohne Anhalten wurde \u00fcber den Nullpunkt hinweg nach der anderen Seite \u00fcbergegangen. Sobald die Versuchsperson 3 bis 4 aufeinander folgende Urtheile auf Verstimmung nach der entgegengesetzten Seite auf-geschrieben hatte, sagte sie es, und die Versuchsreihe wurde abgebrochen. Um die sichere Beurtheilung einer jeden Verstimmungsstufe zu erm\u00f6glichen und die Wirkung von augenblicklichen Schwankungen der Aufmerksamkeit auszuschliessen, wurde jede Verstimmung dreimal angegeben, und wenn ein Beobachter es im Einzelfalle w\u00fcnschte, noch \u00f6fter. Die Beobachter wurden angewiesen, nur dann ein Urtheil auf Verstimmung abzugeben, wenn sie eine solche deutlich bemerkt hatten. Die T\u00f6ne wurden durch schwach angeblasene und daher keine \u00fcberm\u00e4ssig scharfe Klangfarbe erzeugende Zungen hervorgebracht. Die benutzten Zungen differirten ungef\u00e4hr um je 1/10 Schwingung. In den k\u00fcrzeren Reihen wurden die Stufen durch Auslassen von Zungen zum Theil gr\u00f6sser als 1j10 genommen. Vor diesen Versuchen wurde eine f\u00fcr die folgende Tabelle nicht mitbenutzte Reihe zur Vor\u00fcbung gemacht.","page":366},{"file":"p0367.txt","language":"de","ocr_de":"lieber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\n367\nUnterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr 600 Schwingungen.\nNoch\tSchon\tNoch\tSchon\nf\u00fcr zu tief\tf\u00fcr zu hoch\tf\u00fcr zu hoch\tf\u00fcr zu tief\ngehalten\tgehalten\tgehalten\tgehalten\n599,80\n600,20\n600,02\n600,02\n600,02 600,40 599,50 600,27\nBei diesen Versuchen wurde die Schwelle einmal in 15, ein andermal in 5, ein andermal in noch anderer Zahl Stufen erreicht, wor\u00fcber der Beobachter vorher ganz im Ungewissen war. Man sollte nun meinen, dass unter diesen Umst\u00e4nden, wenn die Zahl der Einzelversuche, nach denen die Schwelle erreicht wird, den Beobachtern g\u00e4nzlich unbekannt ist, wenn die Beobachter ferner angewiesen sind, nur dann ein Urtheil auf Verschiedenheit abzugehen, wenn sie eine Verschiedenheit der Tonh\u00f6he deutlich erkannt haben, wenn ihnen endlich, um \u00fcbereilte Ur-theile auszuschliessen, jeder Einzelversuch so oft wiederholt wird, als sie es w\u00fcnschen, dass es dann unm\u00f6glich sein m\u00fcsse, beim Uebergang von tieferen zu h\u00f6heren T\u00f6nen 600,38 noch als zu tief oder 599,80 schon als zu hoch, beim Uehergange von h\u00f6heren zu tieferen T\u00f6nen 600,40 schon als zu tief deutlich zu erkennen. Und doch geschah dies scheinbar Unm\u00f6gliche. Aus derartigen Werthen nun das Mittel zu berechnen und dieses als Schwellenwerth zu definiren, kann wohl kaum als ein berechtigtes wissenschaftliches Verfahren gelten.\nMan k\u00f6nnte vielleicht f\u00fcr die Seltsamkeit der Ergebnisse den Umstand verantwortlich machen, dass Zungen, selbst wenn sie sehr schwach angeblasen werden, doch starke Ungleichheiten in der Klangfarbe zeigen. Es geh\u00f6rt ganz ausserordentliche\nHk.\nHff.\n599,80\t600,25\t600,25\n599,60\t599,90\t600,30\n600,88\t601,01\t600,27\n599,50\t600,27\t600,39\n599,60\n599,60\n600,14\n600,02\n600,25\n599,80\n600,88\n600,27\n600,50\n600,70\n600,02\n600,50","page":367},{"file":"p0368.txt","language":"de","ocr_de":"368\nMax Meyer.\nUebung dazu, sich nicht verleiten zu lassen, T\u00f6ne von gleicher H\u00f6he f\u00fcr h\u00f6her zu erkl\u00e4ren, wenn die Klangfarbe scharf, f\u00fcr tiefer, wenn sie milde ist. Die beiden Beobachter besassen hierin keine Uebung und waren \u2014 bei durchaus normalem Geh\u00f6r \u2014 nicht besonders musikalisch. Es ist m\u00f6glich, dass die Methode der Minimal\u00e4nderungen sich bei Versuchspersonen besser bew\u00e4hrt, die durch langj\u00e4hrige Uebung gelernt haben sich dem Einfl\u00fcsse st\u00f6render Nebenumst\u00e4nde zu entziehen. Aber derartige Versuchspersonen stehen nur ganz ausnahmsweise zu Gebote. Bei Luft, der nicht mit Zungen, sondern mit Gabeln gearbeitet hat, fallen allerdings die Klangfarbenunterschiede in der Hauptsache fort ; aber kleine Intensit\u00e4tsunterschiede sind bei ihm zweifellos nicht ausgeschlossen gewesen und haben eine \u00e4hnliche Wirkung. So begreifen sich Luft\u2019s oben erw\u00e4hnte Ergebnisse ebenso wie die zuletzt beschriebenen.\nVersuche, die ich nach der Methode der Minimal\u00e4nderungen .auf genau dieselbe Weise ohne Ausgang vom Nullpunkte zur Bestimmung der Empfindlichkeit f\u00fcr Abweichungen des Intervalls der Grossen Terz vom Verh\u00e4ltnis 4:5 machte, hatten folgendes Ergebniss :\nUrtheile \u00fcber das Intervall 480:600, aufsteigend, mit ver\u00e4nderlichem h\u00f6heren Tone.\nIntervall noch zu klein\t\tIntervall schon z\u00fc gross\tIntervall noch zn gross\tIntervall schon zu klein\nI\t599,7\t600,9\t600,9\t600,2\nHb.\t600,3\t601,4\t601,2\t600,6\ni\t600,2\t601,8\t601,0\t600,4\n\t598,8\t599,3\t600,7\t599,9\nHff. \u2022\t599,0\t599,7\t600,6\t599,8\n\t599,9\t601,4\t600,8\t599,9\n\t!\t598,4\t599,3\t600,6\t599,6\nHo.\t599,7\t600,6\t600,6\t600,2\n- 1\t[\t599,8\t600,8\t600,8\t600,5","page":368},{"file":"p0369.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Unterschiedsempfindlichkeil f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\n369\nDie erste Versuchsreihe gestaltete sich folgendermaassen. Eine der Versuchspersonen fragte vor dem Versuche, wie lange es dauern und wieviel Versuche die Reihe ungef\u00e4hr enthalten werde. Zur Beruhigung sagte ich, dass die Reihe nicht 200 oder 300 Einzelversuche umfassen werde; doch k\u00f6nnten es immerhin 30 werden. Zwei der Versuchspersonen h\u00f6rten darauf heim 17. Einzelversuch das Intervall 480: 599,3 bereits deutlich als zu gross, was um so auff\u00e4lliger ist, als im Allgemeinen zu kleine Intervalle leicht als zu klein erkannt werden. Ich halte es f\u00fcr ziemlich wahrscheinlich, dass sich hier die Ueberschreitung der H\u00e4lfte von 30, wenn auch unbewusst, geltend gemacht hat. Die Beobachter bestritten nat\u00fcrlich durchaus, sich irgendwie nach der vorher erw\u00e4hnten Zahl 30 gerichtet zu haben. Auch der dritte an den Versuchen theilnehmende Beobachter (Hr.) scheint nicht ganz unbeeinflusst gebheben zu sein, da er bei keiner anderen Reihe zu einem gleich tief liegenden Reinheitsgebiete gelangte. Nun werden sich nicht immer so starke Einfl\u00fcsse geltend machen. Man hat aber nicht die geringste Sicherheit, dass sich nicht \u00e4hnliche, wenn auch geringer wirkende Zuf\u00e4lligkeiten einstellen, die man nicht nachzuweisen im Stande ist.\nIm Ganzen deuten die Ergebnisse darauf hin, dass ein zu kleines Terzenintervall leichter als verstimmt erkannt wird, als ein um ebensoviel zu grosses. Dies habe ich nun bei Anwendung der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle best\u00e4tigt gefunden, h\u00e4tte es aber aus dem Ergebniss der Methode der Minimal\u00e4nderungen nicht mit Bestimmtheit zu erschliessen gewagt. Denn die Schwankungen der Grenzwerthe sind ganz ausserordentlich gross und weisen deutlich genug darauf hin, dass hier, wie wohl stets, wenn die Methode der Minimal\u00e4nderungen auf Tonqualit\u00e4ten angewandt wird, das Ergebniss eine Folge ist nicht nur der zu beurtheilenden Empfindungsunterschiede, sondern noch zahlreicher anderer Momente, deren Einfluss mit Sicherheit oder auch nur Wahrscheinlichkeit festzustellen ein Ding der Unm\u00f6glichkeit ist.\nAnhangsweise m\u00f6chte ich einige Worte \u00fcber die Stellung Wundt\u2019s zu den beiden Methoden beif\u00fcgen. Seine Werthsch\u00e4tzung der Methode der Minimal\u00e4nderungen scheint stark\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XVI.\t^","page":369},{"file":"p0370.txt","language":"de","ocr_de":"370\nMax Meyer.\ngewechselt zu haben. In den Philosophischen Studien, Bd. I, 1883, S. 12f. sagt er: Auf Lichtst\u00e4rken, Tonh\u00f6henunterschiede, Temperaturempfindungen habe man bis dahin immer nur die Methode der eben merklichen Unterschiede angewandt, \u201eweil die Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle hier \u00fcberhaupt unbrauchbar wird.\u201c \u201eUnser Empfindungsmaass ist hier (bei Lichtintensit\u00e4ten) ein so sicheres, dass wir mit gr\u00f6sster Bestimmtheit den Moment anzugeben verm\u00f6gen, wo die beiden miteinander verglichenen Schatten ungleich werden; vorher erscheinen sie uns gleich, und zu einer Registrierung richtiger und falscher F\u00e4lle bietet sich daher gar keine Gelegenheit.\u201c \u201eAehnlich d\u00fcrfte es sich mit der Unterscheidung von Tonh\u00f6hen, wenigstens in den mittleren Lagen der musikalischen Skala, verhalten.\u201c\nDie Methode der eben merklichen Unterschiede nennt Wundt hier \u201eviel genauer als man vorauszusetzen scheint\u201c. In den Vorlesungen \u00fcber die Menschen- und Thierseele, 2. Aufl. 1892, Vorwort, nennt er dieselbe Methode \u201edie unvollkommenste,\u201c \u2014 \u201eso dass sie heute in Untersuchungen, die dem Anspruch an Exaktheit gen\u00fcgen wollen, \u00fcberhaupt nicht mehr zur Anwendung kommt.\u201c Dieses strenge Urtheil w\u00fcrde offenbar auch Luft\u2019s und Schisch-manow\u2019s Versuche und \u00fcberhaupt einen gr\u00f6sseren Theil der in den Philosophischen Studien niedergelegten experimentellen Untersuchungen treffen. In der ein Jahr sp\u00e4ter erschienenen 4. Aufl. der Physiologischen Psychologie finden wir jedoch (Bd. I, S. 344) von einer solchen Verurtheilung nichts. Die Methode hat hier nur den Einen Mangel, dass bei ihr ein Erwartungsfehler auftritt, der aber durch eine geschickte Anordnung der Versuche eliminirt werden kann.\nWas zun\u00e4chst von Wundt fr\u00fcher betonten Mangel der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle betrifft, so besteht dieser wohl kaum. In Wirklichkeit kann man die Tonh\u00f6he von Gabeln, falls man nur die M\u00fche nicht scheut, mit so grosser Genauigkeit bestimmen, dass unser Ohr auch nicht im entferntesten nachzukommen vermag. Wenn also Wundt die Methode der Minimal\u00e4nderungen deshalb glaubt empfehlen zu m\u00fcssen (a. a. O., S. 8), \u201eweil es Untersuchungsgebiete giebt, wo verm\u00f6ge der speziellen Bedingungen der Empfindlichkeit die beiden anderen Methoden gar nicht anwendbar sind\u201c, so ist er jedenfalls insofern durchaus im Irrthum, als er die Tonh\u00f6hen zu diesen Untersuchungsgebieten rechnet.","page":370},{"file":"p0371.txt","language":"de","ocr_de":"Ueher die Untersehiedsempfindlichheit f\u00fcr Tonh\u00f6hen.\n371\nDer Mangel aber, den Wundt in der Methode der Minimal\u00e4nderungen findet und durch die Art der Versuchsordnung vermeiden will, ist nicht recht verst\u00e4ndlich. Der Erwartungsfehler kommt nach Wundt dadurch zu Stande, dass die Versuchsperson geneigt ist, \u201eum so leichter eine Empfindungsdifferenz anzunehmen, je h\u00e4ufiger schon in einer bestimmten Richtung ein Reizunterschied ver\u00e4ndert worden ist.u Hierzu giebt Wundt auf S. 357 folgende Erl\u00e4uterung: \u201eBei der Methode der Minimal\u00e4nderungen besteht, wenn der Vergleichsreiz r* gegen den Normab reiz r verst\u00e4rkt wird, ein Erwartungsfehler von negativer Gr\u00f6sse, d. h. der Unterschied r \u2014 r, bei welchem r* > r erscheint, ist zu klein ; geht man nun umgekehrt zu dem Punkte zur\u00fcck, wo r* \u2014 r erscheint, so entsteht ein umgekehrter, positiver Fehler, d. h. die Differenz r\u2018 \u2014 r ist f\u00fcr diesen Punkt wegen der voraus eilenden Erwartung zu gross. Beide Fehler k\u00f6nnen sich ausgleichen, wenn man sich bem\u00fcht, die Abstufungen immer m\u00f6glichst gleichf\u00f6rmig vorzunehmen.11\nEs ist jedoch nicht einzusehen, woraus Wundt die Berechtigung zu seiner ganz allgemein gehaltenen Behauptung ableiten will, beim Ausgange vom Nullpunkte bestehe ein Erwartungsfehler von negativer Gr\u00f6sse. Vielmehr ist es ganz selbstverst\u00e4ndlich, dass der Erwartungsfehler bald positiv, bald negativ sein wird, je nach dem die Versuchsperson sich einbildet, die Schwelle werde erst nach einer gr\u00f6sseren oder bereits nach einer kleineren Zahl von Stufen erreicht werden, als es thats\u00e4chlich geschieht. Oder mit anderen Worten: Die Erwartung wird theils Zur\u00fcckbleiben, theils vorauseilen, je nach dem die Versuchsperson von der einen oder von der anderen falschen Meinung \u00fcber die Einrichtung der Versuche beherrscht wird.\nEin analoges Verhalten wird die Versuchsperson bei der R\u00fcckkehr zur Gleichheit zeigen, Auch hier kann unm\u00f6glich allgemein ein positiver Erwartungsfehler bestehen. Er wird vielmehr bald positiv, bald negativ sein, je nach den Umst\u00e4nden.\nDie \u201evorauseilende\u201c Erwartung Wundt\u2019s mag vielleicht bei solchen Versuchspersonen Vorkommen, die bei einer einzigen Versuchsreihe ungeduldig werden und den lebhaften Wunsch haben, baldigst damit fertig zu sein. Derartige Personen k\u00f6nnen aber nicht als normale Versuchspersonen gelten, sondern sind zu psychologischen Versuchen g\u00e4nzlich ungeeignet.\nEs kann auch geschehen, dass ein sonst g\u00fcnstiges Subjekt\n24*","page":371},{"file":"p0372.txt","language":"de","ocr_de":"372\nMax Meyer.\nlieber fr\u00fcher als sp\u00e4ter angiebt, einen Unterschied zn vernehmen, um durch besonders feine Unterschiedsempfindlichkeit zu gl\u00e4nzen, wobei freilich bei der umgekehrten Richtung (R\u00fcckkehr zur Gleichheit) auch der Versuchsfehler in umgekehrtem Sinne als ungeb\u00fchrliche Verz\u00f6gerung des Gleichheitsurtheils Platz greifen w\u00fcrde und die beiden Fehler nicht zu eliminiren w\u00e4ren.\nDies und vieles Andere ist m\u00f6glich1, nicht aber der von Wundt behauptete Erwartungsfehler. Die bei normalen Versuchspersonen in Wirklichkeit eintretende Erwartung, die von der Meinung der Versuchsperson \u00fcber die zur Schwelle hinf\u00fchrende Stufenzahl abh\u00e4ngt, wird von Wundt \u00fcberhaupt nicht erw\u00e4hnt. Diese Erwartung l\u00e4sst sich h\u00f6chstens dadurch beseitigen, dass man der Versuchsperson von vorn herein sagt, die Stufenzahl werde bald 5, bald 10, 20, 30, 40 oder auch noch mehr sein, und dass man die Versuche auch thats\u00e4chlich dementsprechend einrichtet. Wenn f\u00fcr die Versuchsperson jede Zahl gleiche Wahrscheinlichkeit hat, so wird sie nicht durch eine bestimmte Zahl (bezw. durch Ablauf einer gewissen Zeit) zu einer bestimmten Erwartung veranlasst werden. Thats\u00e4chlich d\u00fcrfte es jedoch ausgeschlossen sein, der Versuchsperson in jedem Augenblicke alle M\u00f6glichkeiten genau gleich wahrscheinlich zu machen und so diese Erwartung zu verhindern. Das scheint einer der am schwersten wiegenden M\u00e4ngel der Methode der Minimal\u00e4nderungen zu sein.\n1 Die Ohren\u00e4rzte wissen, dass eine vom Ohr allm\u00e4hlich entfernte Stimmgabel noch hei geringerer Intensit\u00e4t vernommen wird als eine dem Ohre allm\u00e4hlich gen\u00e4herte. Ein analoges Verhalten w\u00e4re auch hei der Unter schiedsschwelle nicht undenkbar, wenn man hier mit M\u00f6glichkeiten rechnen will. Dies w\u00fcrde^aber dem W\u00fcNDT\u2019schen Erwartungsfehler gerade entgegengesetzt sein.\nBerlin, den 29. November 1897.","page":372}],"identifier":"lit30339","issued":"1898","language":"de","pages":"352-372","startpages":"352","title":"Ueber die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Tonh\u00f6hen nebst einigen Bemerkungen \u00fcber die Methode der Minimal\u00e4nderungen","type":"Journal Article","volume":"16"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:52:35.998144+00:00"}