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{"created":"2022-01-31T13:53:54.783027+00:00","id":"lit3034","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Exner, Sigmund","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 1: 47-51","fulltext":[{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Das Verschwinden der Nachbilder bei Augenbewegungen.\nVon\nSigmund Exner.\nJedem, der sich mit Nachbildversuchen, besch\u00e4ftigt hat, ist die Thatsache gel\u00e4ufig, dafs Nachbilder sich am besten bei starrem Blicke entwickeln, und dafs sie bei Augenbewegungen zu verschwinden pflegen, um bei neuerlicher Fixation wieder aufzutauchen. Ich habe es immer f\u00fcr ziemlich selbstverst\u00e4ndlich gehalten, dafs die Ursache dieser Erscheinung in dem ungleichen Verhalten der subjektiven und objektiven Eindr\u00fccke bei Bewegungen des Bulbus liege, habe diese Deutung auch schon vor Jahren gelegentlich in einer Anmerkung erw\u00e4hnt 1 und sie erst k\u00fcrzlich im Verlaufe einer Diskussion in der Gesellschaft der \u00c4rzte zu Wien in folgender Form ausgesprochen:2 ......\u201eIch mufs daran erinnern, dafs subjektive\nGesichtserscheinungen, deren Ursprung in der Netzhaut gelegen ist, z. B. Nachbilder, PuRKiNJEsche Aderfigur, oder die in Rede stehende Kreislauferscheinung, fast nur gesehen werden, wenn das Auge starr nach einem Punkte gerichtet ist; sowie man eine Blickbewegung ausf\u00fchrt, verschwinden die subjektiven Erscheinungen. Es h\u00e4ngt das offenbar damit zusammen, dafs objektive und subjektive Eindr\u00fccke nicht als solche zu unterscheiden sind, so lange das Auge ruht, dafs sie aber sogleich voneinander unterschieden werden, wenn eine\n1\tDie mangelhafte Erregbarkeit der Netzhaut f\u00fcr Licht von abnormer Einfallsrichtung. Sitzungsber. der Wiener AJcad. d. Wiss. LXXXVIII. Abt. HI. 1883.\n2\tProtokoll d. k. k. Gesellsch. d. \u00c4rzte in Wien. 10. J\u00e4nner 1890. Wiener klin. Wochenschr. 16. J\u00e4nner.","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nSigm. Exner.\nBlickbewegung ausgef\u00fchrt wird, denn dann gehen die subjektiven Erscheinungen mit der Blickbewegung, die objektiven verharren an ihrem Orte. Da in unsrem Leben im allgemeinen nur die gesehenen \u00e4ufseren Objekte, nicht die subjektiven Erscheinungen ein Interesse haben, letztere uns vielmehr in der Verwendung des Sinnesorganes hinderlich sind, so ignorieren wir diese, sobald sie sich \u00fcberhaupt als solche durch die Blickbewegung kenntlich gemacht haben. Dieses Ignorieren der subjektiven Erscheinungen geschieht aber nicht durch einen bewufsten Willensakt, geschieht vielmehr durch einen centralen Mechanismus,1 der, einer Reflexhemmung nicht ganz un\u00e4hnlich, ohne unser Zuthun, ja ohne unser Wissen die betreffenden Eindr\u00fccke dem Bewufstsein entr\u00fcckt\u201c........\nSeitdem sah ich, dafs diese Deutung doch wohl nicht so selbstverst\u00e4ndlich ist, wie ich geglaubt hatte. Es haben n\u00e4mlich die Hrn. Eug. Eick und A. G\u00fcrber, angeregt durch Hrn. A. Fick, in einer Abhandlung \u00fcber Netzhauterholung2 die Ansicht ausgesprochen, dafs das Verschwinden der Nachbilder bei Bliekbewegungen auf einer pl\u00f6tzlichen, wenn auch kurzdauernden Erholung der Netzhaut beruhe, diese Erholung aber dadurch zu st\u00e4nde komme, dafs der Zug der Augenmuskeln den intraokul\u00e4ren Druck \u00e4ndere und dadurch die Zirkulation im Auge beg\u00fcnstige. \u00c4hnlich wie Blickbewegungen wirken Lidschlag und Wechsel der Accomodation. Eine Anzahl von Versuchen werden zur Erh\u00e4rtung dieser Erkl\u00e4rung mitgeteilt.\nEine genauere Erw\u00e4gung der beiden Deutungsarten, von denen die letztgenannte jedenfalls den grofsen Vorzug h\u00e4tte, konkretere und anschaulichere Vorstellungen zu enthalten, liefsen mir aber doch keinen Zweifel, dafs die erstere vorzuziehen ist, und da diese Frage, meines Wissens, \u00fcberhaupt noch nicht eingehend diskutiert worden ist, erlaube ich mir einiges von den Gr\u00fcnden, die f\u00fcr mich bestimmend sind, und die mich zu meiner Auffassung f\u00fchrten, hier vorzubringen.\nDas Verschwinden der Nachbilder bei Blickbewegungen ist ein specieller Fall der allgemeineren Regel, dafs subjek-\n1\tEs mag hier dahingestellt bleiben, ob sich derselbe phylogenetisch oder ontogenetisch als zweckm\u00e4fsiger Apparat entwickelt hat.\n2\tBericht d. OpMhalmolog. Gesellsch. in Heidelberg. 1889.","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"Das Verschwinden der Nachbilder bei Augenbewegungen.\n49\ntive Erscheinungen \u00fcberhaupt bei Blickbewegungen verschwinden, also auch jene, bei welchen die Erholung der Netzhaut, die Fick und G\u00fckbeb, zur Erkl\u00e4rung des Verschwindens der Nachbilder heranziehen, gar nicht in Betracht kommt. Die HAiDiN\u00dfERschen Polarisationsb\u00fcschel, die Eoveafigur,1 die Netzhautzirkulation, wie sie bei Anstarren des blauen Himmels gesehen wird, der MAXWELLsche Fleck und der L\u00f6WEsche King, die ich jeden Morgen beim Aufschlagen der Augen an der Zimmerdecke sehe, in gewissen F\u00e4llen die P\u00fcKKiNJEsche Aderfigur u. s. w., sie alle verschwinden bei Blickbewegungen, und doch kann man nicht behaupten, dafs es sich hier um Erm\u00fcdung der Netzhaut handele, die zum Schwinden gebracht werden mufs, um die Erscheinung zu zerst\u00f6ren. Diese Erscheinungen haben mit der Erm\u00fcdung nichts zu thun. Ja selbst die mouches volantes sind beim starren Blick am besten zu sehen und verschwinden bei bewegtem Blicke zum Teile. Sofern sie nicht verschwinden, gehen sie eben nicht genau mit dem Blicke, sondern bleiben in bekannter Weise etwas zur\u00fcck oder sind im Flusse. Es wird eben alles ignoriert, was die Blickbewegung genau mitmacht, denn es verr\u00e4t sich dadurch als subjektiv, und es werden alle Gesichtseindr\u00fccke wie jene der \u00e4ufseren Objekte bemerkt, welche nicht Gelegenheit gehabt haben, sich in dieser Weise als subjektive zu kennzeichnen.\nAuf diesem letzteren Umstande beruht es, dafs das'Zitterlicht eines der .vorz\u00fcglichsten Mittel ist, subjektive Erscheinungen zu beobachten. Sei es, dafs man durch die Speichen eines rotierenden Bades, oder zwischen den rasch hin- und herbewegten gespreizten Fingern hindurchsieht, oder nur sehr rasch hintereinander blinzelt, so sieht man Aderfigur, Foveafigur, die Polarisationsb\u00fcschel ohne Zuh\u00fclfenahme eines Nikols an den betreffenden Teilen des Himmels u. s. w. Man sieht unter diesen Umst\u00e4nden auch die Nachbilder in der vorz\u00fcglichsten Weise, ja ich ben\u00fctzte schon vor Jahren das Zitterlicht, das durch Blinzeln erzeugt wird, geradezu als Mittel, die letzten Beste eines Nachbildes noch sichtbar zu machen. Nach der Erholungstheorie sollte man erwarten, dafs man unter\n1 Um sich von dem Verschwinden dieser beiden Erscheinungen zu \u00fcberzeugen, ist es gut, denselben durch Zuh\u00fclfenahme eines Kobaltglases mehr Stabilit\u00e4t zu geben.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie.\n4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nSigm. Exner.\ndiesen Umst\u00e4nden gerade die Nachbilder am wenigsten zu sehen bekomme. Die Ursache aber, ans welcher man die subjektiven Erscheinungen hei Zitterlicht so gut sieht, ist die, dafs in dem Bruchteil einer Sekunde, durch welche die Objekte jedesmal gesehen werden, nicht Gelegenheit ist, durch Augenbewegungen Subjektives von Objektivem zu unterscheiden, es ist also wesentlich dieselbe Ursache, wie beim Fixieren.\nIn derselben Weise erkl\u00e4rt es sich, dafs man so h\u00e4ufig subjektive Erscheinungen, besonders auch Nachbilder, in dem ersten Momente zu sehen bekommt, wenn man von einer Fixation rasch in eine andre \u00fcbergegangen ist. Sie blitzen nur f\u00fcr kurze Zeit auf. In diesem ersten Momente ist eben Objektives und Subjektives noch nicht getrennt. So haben Hermann, A. Fick, G-udden und ich das Auftreten der Aderfigur dunkel auf hellem Grunde beschrieben, wenn man des Morgens beim Erwachen die Augen aufschl\u00e4gt.\nNach der Erholungstheorie ist es unverst\u00e4ndlich, dafs ein Nachbild bei geschlossenem Auge nicht schwindet, wenn man Blickbewegungen macht, auch nicht, wenn man rhythmischen Fingerdruck auf den Bulbus aus\u00fcbt, der gewifs gr\u00f6fsere Schwankungen des intraokul\u00e4ren Drucks erzeugt, als die willk\u00fcrlichen Augenbewegungen u. dergl. Die Nachbilder gehen dann mit den Blickbewegungen. Auch nach meiner Auffassung k\u00f6nnte man erwarten, dafs sie verschwinden; doch glaube ich, dafs sie im ersten Falle wohl deshalb nicht verschwinden, weil nicht nur das Mitgehen mit der Blickbewegung, sondern auch das Stehenbleiben der objektiven Eindr\u00fccke mafsgebend ist, und letzteres hier wegf\u00e4llt; deshalb verschwinden auch andre subjektive Erscheinungen bei geschlossenen Augen durch die Blickbewegungen nicht, z. B. die in der Umgebung der Fovea centralis infolge von Druck auf den Bulbus auftauchende Lichterscheinung, oder die schon von Goethe beschriebenen konzentrisch eingehenden oder sich ausbreitenden komplement\u00e4r gef\u00e4rbten Kreise ; im zweiten Falle, wo ein wechselnder Fingerdruck aus ge\u00fcbt wird, sind zwar thats\u00e4chlich Verschiebungen und Drehungen des Bulbus vorhanden, doch werden dieselben, da sie nicht durch willk\u00fcrliche Blickbewegungen hervorgerufen sind, nicht bemerkt. Damit h\u00e4ngt es auch zusammen, dafs, wenn derselbe Fingerdruck bei ge\u00f6ffnetem Auge ausge\u00fcbt wird, Scheinbewegungen der \u00e4ufseren Objekte gesehen werden. Ein Nachbild","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"Das Verschwinden der Nachbilder bei Augenbewegungen.\n51\naber, das man bei ge\u00f6ffnetem Auge beobachtet, schwindet nicht oder doch kaum, wenn w\u00e4hrend der Beobachtung der Grund durch diesen Fingerdruck in Scheinbewegung versetzt wird, schwindet aber wohl, wenn ebenso ausgiebige Augenbewegungen gemacht werden.\nSchliefslich will ich noch erw\u00e4hnen, dafs ich beim Mikroskopieren eine Erfahrung gemacht habe, die wohl viele Mikro-skopiker best\u00e4tigen d\u00fcrften, und die zu der vorgetragenen Auffassung ein Gegenst\u00fcck bildet. Man pflegt beim Mikroskopieren das Pr\u00e4parat vielfach zu verschieben, und insbesondere beim Unterricht die Hand an das Pr\u00e4parat zu legen, sobald man das Auge an das Okular bringt. Da habe ich nun vielfach erfahren, dafs ich es mir ganz abgewohnt habe, im Sehfeld irgend etwas zu bemerken, was sich bei Verschiebung des Objektes nicht bewegt.' Oft kommt es vor, dafs der Anf\u00e4nger mich nach einem Gebilde fragt, das ihm auf den ersten Blick aufgefallen ist; ich hatte es nicht bemerkt. Ich mufs nochmals in das Mikroskop blicken, um es zu erkennen und dem Sch\u00fcler zu sagen, es sei eine Verunreinigung im Okular des Instrumentes. Es hat sich, da es diesem, und nicht dem Objekte angeh\u00f6rt, nicht mitbewegt. Und wie oft ist der Mikroskopiker erstaunt \u00fcber die groben Verunreinigungen im Okular, die er erst bemerkt, wenn er dieses dreht und ihnen so Bewegung erteilt.\nBei der Benutzung des Mikroskopes interessiert uns nur das Objekt, und dieses ist dadurch kenntlich, dafs es sich infolge der intendierten Handbewegung im Sehfelde vorschiebt. Deshalb ignorieren wir mit der vollen Macht der Gewohnheit und, ohne uns dessen bewufst zu sein, die Gesichtseindr\u00fccke, deren Ursprung im Instrument liegt, und die bei dieser Bewegung in Euhe bleiben. \u2014 Bei Benutzung unseres Auges interessiert uns auch nur das Objekt, und auch dieses ist dadurch kenntlich, dafs bei der intendierten Blickbewegung sein Bild \u00fcber die Netzhaut streift. Was von den Gesichtseindr\u00fccken auf der Netzhaut in Buhe bleibt, hat sich dadurch als dem Auge angeh\u00f6rig erwiesen und wird ignoriert.","page":51}],"identifier":"lit3034","issued":"1890","language":"de","pages":"47-51","startpages":"47","title":"Das Verschwinden der Nachbilder bei Augenbewegungen","type":"Journal Article","volume":"1"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:53:54.783032+00:00"}