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{"created":"2022-01-31T15:03:36.773293+00:00","id":"lit30341","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Lipps, Theodor","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 16: 399-409","fulltext":[{"file":"p0399.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\nG. F. Stout. Analytic Psychology. London, Swan, Sonnenschein & Co., 1896.\n2 B\u00e4nde, 289 u. 314 S.\nEin scharfsinniges, von wichtigsten Gesichtspunkten geleitetes, vielfach anregendes und f\u00f6rderndes Buch. Es stellt die Psychologie, ohne die sekund\u00e4re Bedeutung anderer Methoden zu verkennen, auf ihre eigentliche Grundlage, n\u00e4mlich die Grundlage der individual-psychologischen Betrachtung. Es ist beherrscht von einer Grundtendenz, die mit Recht in der Psychologie unserer Tage mehr und mehr zur Geltung zu kommen scheint, n\u00e4mlich der Tendenz, neben dem blossen Zusammen der psychischen Elemente, aus welchem kein psychisches Leben verst\u00e4ndlich werden kann, die das psychische Leben gestaltenden und vereinheitlichenden, selbst\u00e4ndigen und eigenartigen psychischen Faktoren und Funktionen heraus zu heben. Das Buch verwirklicht diese Tendenz gegen\u00fcber einer \u201eatomistisehen\u201c Assoziationspsychologie \u00fcberzeugend.\nZugleich ist hiermit freilich auch der Punkt bezeichnet, wo da und dort Einw\u00fcrfe sich auf dr\u00e4ngen. Der Verfasser ist, wie wohl begreiflich, vorzugsweise mit der englischen und amerikanischen Psychologie, Bain, Sully, Ward, James, Bradley vertraut. Dadurch wird er etwas einseitig. Er unterscheidet nicht immer gen\u00fcgend nebeneinderstehende und sich erg\u00e4nzende Fragestellungen und Gesichtspunkte. So bin ich gelegentlich in der sonderbaren Lage, denselben Aufstellungen Stout\u2019s freudig zuzustimmen, und auch wiederum sie sehr entschieden abweisen zu m\u00fcssen.\nIch gehe im Folgenden nur auf einige Punkte etwas n\u00e4her ein. Stout\u2019s Werk will betrachtet sein als Theil eines gr\u00f6sseren Ganzen. Auf verschiedenen Wegen kann psychologische Einsicht genommen werden. Vor Allem giebt es eine \u201egenetische\u201c oder \u201esynthetische\u201c' Methode. Sie stellt sich die Aufgabe \u201edie Entwickelung des Geistes von seinen niedrigsten zu seinen h\u00f6chsten Stufen zu verfolgen\u201c. Gewisse Fragen einer nach solcher Methode betriebenen Psychologie sind, wie der Verfasser bekennt, Gegenstand seines h\u00f6chsten Interesses. Aber hier will er sie zur Seite lassen. Ja Stout will auch solche Fragen, bei denen ihm die genetische Methode besonders erspriesslich scheint, hier nicht ins Auge fassen. So die","page":399},{"file":"p0400.txt","language":"de","ocr_de":"400\nBesprechungen.\npsychologische Untersuchung des Raumes, der Zeit, die Stufen der Entwickelung des Selbstbewusstseins und des Willens, und Aehnliehes. Er wTill sich begn\u00fcgen die Prozesse des entwickelten Bewusstseins, so wie wir sie selbst vorfinden, festzustellen und n\u00e4her zu bestimmen. Er will systematische Ordnung bringen in die F\u00fclle von psychischen Thatsachen, die sich uns ergeben, wenn wir unsere allt\u00e4gliche Erfahrung analysiren.\nUm Analyse psychischer Prozesse also handelt es sich. Solche Analyse ist introspektiv. Die Rechtfertigung dieses Standpunktes giebt die Einleitung, die von \u201eZiel und Methode der Psychologie\u201c handelt. Der Verfasser vollzieht diese Rechtfertigung in entschiedener und \u00fcberzeugender Weise, vor Allem gegen\u00fcber dem Anspr\u00fcche der Physiologie, die eigentliche oder gar einzige Basis einer psychologischen Theorie zu sein. Stout zeigt, wie durch solchen Anspruch der wahre Sachverhalt umgekehrt wird. Die gedankliche Verkn\u00fcpfung psychischer und physiologischer Ph\u00e4nomene setzt die unabh\u00e4ngige Kenntniss beider voraus. Und soweit ein bestimmter Zusammenhang angenommen werden darf, ist es vielmehr die Psychologie, die der Physiologie die Wege weist. \u201eDer ganze Weg der physiologischen Untersuchung der h\u00f6heren Gehirnprozesse ist bedingt und steht unter der Kontrolle psychologischer Daten und selbst Hypothesen\u201c. Es ist das Ungl\u00fcck der Physiologie, die mit jenen Prozessen sich besch\u00e4ftigt, dass sie allzuh\u00e4ufig diese psychologischen Daten und Hypothesen einfach so nimmt, wie sie dem common sense erscheinen, ohne vorangehende Analyse und. Kritik. Man nehme etwa die Bem\u00fchungen der Physiologen ein materielles Korrelat zu finden f\u00fcr die Vorstellungsassoziation. Von diesen muss ge-, sagt werden, dass sie im besten Falle mehr oder weniger gl\u00fcckliche Versuche sind einer vermuthungsweisen Uebertragung bekannter psychologischer Daten in die Sprache der Physiologie. \u2014 Ich darf wohl darauf aufmerksam machen, wie hier und an anderen Stellen des gleichen Zusammenhanges Stout\u2019s Wendungen gelegentlich sich in w\u00f6rtlicher Uebereinstimmung mit dem befinden, was ich an anderer Stelle betont habe.\nWie die physiologische, so ist \u00fcberhaupt die \u201eobjektive\u201c Methode jederzeit durch die \u201esubjektive\u201c bedingt. Wir k\u00f6nnen den Geist Anderer nicht unmittelbar beobachten. Was wir vorfinden sind Zeichen, und die k\u00f6nnen allein interpretirt werden auf Grund der Erkenntniss, die wir gewonnen haben durch Introspektion und Retrospektion.\nHier ist zur Introspektion die Retrospektion gef\u00fcgt. In der That ist die introspektive Methode in weitem Umfang nicht eine unmittelbar intro-spektive, sondern eine retrospektive. Ein dritter Weg ist dann der Weg der mittelbaren Beobachtung der psychischen Vorg\u00e4nge in Anderen. Die Psychologie bleibt aber nicht bei den Thatsachen des Bewusstseins stehen. Sie statuirt auch psychische Dispositionen. Stout rechtfertigt die Annahme derselben. Er bespricht dann und acceptirt den Gedanken eines \u201eSystems von Modifikationen des Bewusstseins, die einen so ausserordentlich niedrigen Grad von Intensit\u00e4t haben, dass sie keinen erheblichen Einfluss auf die Richtung der Aufmerksamkeit \u00fcben\u201c. Diese \u201esubconscious presentations\u201c sind dem Bewusstsein gegeben als Ganzes, ihre Elemente aber sind nicht unterschieden.","page":400},{"file":"p0401.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n401\nHier scheinen die v\u00f6llig unbewussten psychischen Vorg\u00e4nge ausgeschlossen. An anderer Stelle ist davon die Bede. Stout spricht selbst von psychischen Prozessen, die dem Bewusstsein dessen, in dem sie stattfinden, sich entziehen. Solche Prozesse scheinen also anerkannt zu werden. Sie kommen aber in Stout\u2019s Psychologie nicht zu ihrem Bechte.\nDamit komme ich auf einen entscheidenden Punkt. Die Frage nach der Natur eines einfachen oder komplexen psychischen Thatbestandes hat jedesmal einen doppelten Sinn: Worin besteht der Bewusstseinsthatbestand? Und: Worin besteht der psychologisch aufzeigbare psychische Vorgang oder Zusammenhang von Vorg\u00e4ngen, welcher diesem Bewusstseinsthatbestand zu Grunde liegt. Diese beiden Fragen finde ich bei Stout nicht gen\u00fcgend auseinandergehalten. Daher vor Allem meine bereits bezeichnete Doppelstellung Stout\u2019s Aufstellungen gegen\u00fcber.\nIch sage etwas bestimmter, was ich meine. Im Bewusstsein gegeben sind uns die Bewusstseinsinhalte und nur die Bewusstseinsinhalte. Dies ist eine einfache Tautologie. Ebenso gewiss ist, dass die Vorg\u00e4nge, durch welche es geschieht, dass Bewusstseinsinhalte da sind, nicht im Bewusstsein sich abspielen. Unmittelbar gegeben ist mir, wenn ich ein Haus wahrnehme oder vorstelle, dies Haus, aber nicht mein Wahrnehmen oder Vorstellen desselben. Es ist mir gegeben das Bewusstseinsresultat des psychischen Aktes aber nicht der psychische Akt selbst. Dies giebt der Physiologe, f\u00fcr den dieser Akt oder Vorgang ein physiologischer Vorgang ist, ohne Weiteres zu. Aber auch der Psychologe, der die Identit\u00e4t oder Nichtidentit\u00e4t psychischer Vorg\u00e4nge mit physiologischen dahin gestellt l\u00e4sst, wird ein Gleiches zugestehen m\u00fcssen.\nUnd ebenso wie die psychischen Vorg\u00e4nge, sind die Beziehungen .zwischen ihnen, durch welche der Zusammenhang des psychischen Lebens vermittelt wird, nicht unmittelbare Bewusstseinserlebnisse. Sofern eben dieser Zusammenhang des psychischen Lebens der eigentliche \u201eGegenstand\u201c der Psychologie ist, kann man auch sagen, der eigentliche Gegenstand der Psychologie sei ein dem unmittelbaren Bewusstsein Transcendentes, mit einem Worte ein nur erschliessbares \u201eUnbewusstes\u201c. Dies hindert doch nicht, dass der Ausgangspunkt oder das zu bearbeitende Material der Psychologie selbstverst\u00e4ndlich die unmittelbar gegebenen Bewusstseinsinhalte sind. So geht jede Wissenschaft von unmittelbar gegebenen Bewusstseinsinhalten aus, dann aber dar\u00fcber hinaus.\nWenn nun Stout von psychischen Prozessen redet, und diese \u201eanaly-sirt\u201c, was meint er damit, den Bewusstseinsthatbestand oder jene jenseits desselben liegenden Vorg\u00e4nge und Zusammenh\u00e4nge von solchen. Auf diese Frage bekomme ich \u00f6fter keine klare Antwort. Beides fliesst \u00f6fters in Eines zusammen. Bei Stout wie bei anderen Psychologen.\nDie gleiche Unklarheit liegt auch schon im Begriff der psychologischen Analyse. Dieser Begriff ist nicht etwa eindeutig, sondern, wie fast alle landl\u00e4ufigen psychologischen Begriffe, mehrdeutig. Er hat einen f\u00fcnffach verschiedenen Sinn. .\nMan versteht unter solcher psychologischen Analyse oft genug die Feststellung und Unterscheidung der nicht unmittelbar im Bewusstsein ge-\n26\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XVI.","page":401},{"file":"p0402.txt","language":"de","ocr_de":"402\nBesprechungen.\ngebenen sondern nur ans Bewusstseinsthatsachen zu erschliessenden Bedingungen der Bewusstseinsthatsachen. Offenbar kann diese Analyse nicht als Analyse von Bewusstseinsthatsachen bezeichnet werden. Sie ist \u00fcberhaupt nicht mehr eigentliche \u201eAnalyse\u201c. Es muss Verwirrung erzeugen, wenn hier trotzdem, ebenso wie in den F\u00e4llen der wirklichen Analyse von Bewusstseinsthatsachen von Analyse gesprochen wird, wenn gar diese Analyse gleichfalls als Bewusstseinsanalyse bezeichnet, oder von dieser nicht sicher unterschieden wird. Bei Stout fehlt diese sichere Unterscheidung.\nAber auch wenn wir von dieser \u201eAnalyse\u201c absehen, bestehen noch nebeneinander vier deutlich unterschiedene Arten der \u201eBewusstseinsanalyse\u201c. Ich nehme als Beispiele Kl\u00e4nge. Ich treibe gliedernde Analyse an einer im Bewusstsein gegebenen Folge von Kl\u00e4ngen; d. h. ich achte auf die einzelnen Kl\u00e4nge, nachdem ich vorher die Klangfolge als Ganzes aufgefasst habe. Ich vollziehe zweitens einen Akt der ab-strahirenden Analyse, wenn ich an dem einzelnen Klange die nicht nebeneinander gegebenen, sondern zu dem qualitativ einfachen Klange verbundenen, lediglich \u201ein abstracto\u201c unterscheidbaren Seiten oder Eigenth\u00fcmlichkeiten desselben unterscheide, wenn ich also abstrahirend jetzt die H\u00f6he, jetzt die St\u00e4rke, jetzt die Klangfarbe des Klanges \u201eheraushebe\u201c.\nIch mache drittens Kl\u00e4nge zum Gegenstand einer Verschmelzungsprodukte aufl\u00f6senden Analyse, wenn ich den einheitlichen, insbesondere in einer einzigen Tonh\u00f6he erklingenden Klang f\u00fcr das Bewusstsein in eine Mehrheit von verschieden hohen T\u00f6nen verwandle, oder genauer gesagt, wenn ich bewirke, dass die verschiedenen Tonempfindungsvorg\u00e4nge, die vorher zur Erzeugung des einzigen Bewusstseinsinhaltes, Klang genannt, zusammenwirkten, jetzt jeder f\u00fcr sich den ihm zugeh\u00f6rigen Bewusstseinsinhalt ins Dasein treten lassen. Meine Analyse ist endlich eine erweiternde oder vervollst\u00e4ndigende, wenn ich mir beim Anh\u00f6ren von Kirchenglockenkl\u00e4ngen die von meiner Kindheit her daran haftenden und f\u00fcr gew\u00f6hnlich unbewusst mitwirkenden Vorstellungen von Gottesdienst und gottesdienstlicher Feierlichkeit zum Bewusstsein bringe; wenn ich also in dieser Weise das Ganze, das in mir wirkt, f\u00fcr mein Bewusstsein vervollst\u00e4ndige.\nWie schon gesagt, sind auch diese vier letzteren Arten der Analyse wesentlich verschieden. Hier liegt mir vor Allem am Unterschied der beiden ersten und der beiden letzten. Dies darum, weil auch diese Unterscheidung von Stout nicht ausdr\u00fccklich vollzogen wird, und daraus wiederum Unklarheiten sich ergeben.\nIn allen diesen vier F\u00e4llen findet ein Herausheben statt; eine Diffe-renzirung, eine \u201eDiskrimination\u201c. Von solcher Diskrimination redet Stout im ersten Kapitel seines Buches. Sie unterscheidet das Denken vom blossen Dasein von etwas im Bewusstsein, oder von dem, was Stout \u201emere sentience\u201c nennt. Stout sagt auch, das Denken bestehe in der Beziehung des Bewusstseinsinhaltes auf ein Objekt. Hier speziell laufen Unklarheiten mit unter. Worin besteht diese Beziehung? Ist, wenn sie stattfindet, im Bewusstsein erstlich ein Inhalt, zweitens ein Objekt worauf dieser Inhalt","page":402},{"file":"p0403.txt","language":"de","ocr_de":"\nBesprechungen.\n403\nbezogen ist. und drittens die Beziehung zwischen beiden? Dergleichen kann gewiss stattfinden: Ich beziehe etwa eine Farbe bewusst auf einen gef\u00e4rbten K\u00f6rper, d. h. ich weiss die Farbe dem K\u00f6rper zugeh\u00f6rig. Aber dies meint der Verfasser offenbar nicht mit der fraglichen \u201ereference to an object\u201c. Er meint auch nicht das Bewusstsein der objektiven Wirklichkeit eines Inhaltes. Stout scheint hier vielmehr an Folgendes zu denken. Er scheint vorauszusetzen, dass uns die Inhalte unseres Bewusstseins zun\u00e4chst lediglich als Inhalte oder Modifikationen des Bewusstseins gegeben seien oder erscheinen, und erst durch einen besonderen Akt der Objektivi-rung vom Bewusstsein sozusagen losgel\u00f6st werden. Diese Objektivirung scheint der eigentliche Sinn der \u201ereference to an object\u201c. Indessen jene Voraussetzung trifft nicht zu. Das Erste und Urspr\u00fcngliche f\u00fcr unser Bewusstsein ist das einfache Dasein der Inhalte, das Dasein eines Hauses, einer Farbe, eines Tones. Das Haus, die Farbe, der Ton ist gewiss zun\u00e4chst etwas Subjektives. Aber es erscheint mir nicht ohne Weiteres so. Vielmehr ist dazu erforderlich, dass ich es auf mich beziehe; ich muss es als etwas mir Zugeh\u00f6riges erst erkennen. Gleichzeitig erkenne ich gewisse Inhalte meines Bewusstseins auch als nicht mir zugeh\u00f6rig, sondern von mir unabh\u00e4ngig. Diese letztere Erkenntniss kann ein Denken heissen. Aber jene Beziehung auf mich hat das gleiche Recht auf diesen Ehrentitel. Auch in ihr liegt ein Hinausgehen \u00fcber die \u201emere sentience\u201c.\nIndessen was uns hier wesentlich ist, ist dies, dass f\u00fcr Stout in der \u201ereference to an object\u201c jedesmal ein Herausheben des betreffenden Inhaltes aus dem Gesammtbewusstseinsthatbestande eingeschlossen liegt. Dies trifft nat\u00fcrlich zu. Wir m\u00fcssen nur hinzuf\u00fcgen, dass dieselbe Heraushebung, dasselbe \u201esingling out\u201c auch in der Erkenntniss ein Inhalt geh\u00f6re mir zu, in dieser \u201ereference to the subject\u201c, enthalten liegt.\nWas nun ist dies Herausheben eines Bewusstseinsinhaltes aus dem gesammten Bewusstseinsthatbestand ? Stout geht hier mit Recht an gegen den v\u00f6llig unklaren Gedanken verschiedener Grade der Bewusstheit. Aber indem Stout diesen Unterschied abweist, meint er nun den Unterschied zwischen herausgesonderten und nicht herausgesonderten Inhalten als einen Unterschied in diesen Bewusstseinsinhalten selbst bezeichnen zu zu m\u00fcssen. Dabei \u00fcbersieht Stout den eigentlichen Sinn der \u201eHeraussonderung\u201c. Ich sprach soeben von einer bewussten Beziehung zu mir, die in dem Bewusstsein der Zugeh\u00f6rigkeit zu mir bestehe. Diesem Bewusstsein stellte ich gegen\u00fcber das Bewusstsein der Unabh\u00e4ngigkeit von mir. Offenbar ist auch dieses letztere Bewusstsein eine bewusste Beziehung zu mir. Nun, in solcher Beziehung zu mir, mag sie der einen oder der anderen Art sein, liegt nicht nur eine \u201eHeraussonderung\u201c enthalten, sondern die Heraussonderung besteht darin. Die \u201eHeraussonderung\u201c, n\u00e4mlich als Bewusstseinserlebniss betrachtet, besagt eben dies, dass der \u201eherausgesonderte\u201c Inhalt zu mir in eine besondere bewusste Beziehung tritt, dass ich mich auf den Inhalt anders, unmittelbarer, inniger als auf andere Inhalte \u201egerichtet\u201c weiss, dass ich in nicht n\u00e4her beschreibbarer Weise ihn erfasse, mich seiner bem\u00e4chtige, ihn mir aneigne, ihn \u201eapperzipire\u201c. In diesem Apperzipirtsein besteht seine Sonderstellung oder seine Heraus-\n26*","page":403},{"file":"p0404.txt","language":"de","ocr_de":"404\nBesprechungen.\nhebung f\u00fcr das Bewusstsein. Es besteht nicht in einer Modifikation, die der herausgehobene Inhalt selbst erlitte. Die hiermit angedeutete That-sache ist eine fundamentale Bewusstseinsthatsache, deren Konstatirung und genauere Bestimmung eine der ersten Aufgaben jeder Psychologie sein m\u00fcsste. Ich habe die Thatsache gelegentlich, in meinen \u201eGrundz\u00fcgen der Logik\u201c, als \u201eSetzung\u201c bezeichnet und von dieser Setzung gesagt, dass dadurch erst gesonderte \u201eObjekte\u201c des Denkens f\u00fcr uns entstehen. Es kann gleich hinzugef\u00fcgt werden, dass auch jede gedankliche Beziehung eines Inhaltes oder Objektes auf ein anderes, als unmittelbares Bewusstseins-erlebniss betrachtet, so jedes Vergleichen, Identifiziren, Unterscheiden, eine Weise dieser Beziehung zum Ich bedeutet, oder eine Weise der Aufnahme in die Einheit des Selbstgef\u00fchles.\nEine \u201eHeraushebung\u201c der eben bezeichneten Art nun findet statt in den beiden ersten der oben unterschiedenen vier Arten der Analyse von Bewusstseinsinhalten. Bei den beiden anderen Arten dagegen findet zugleich eine Ver\u00e4nderung des Inhaltes, dem gegen\u00fcber die Heraussonderung geschieht, statt. Diesen Unterschied \u00fcbersieht Stout.\nAber wie schon gesagt, Stout l\u00e4sst auch den Gegensatz zwischen diesen vier Arten der Analyse und der vorher erw\u00e4hnten Analyse, die nicht mehr Analyse ist, nicht zu seinem Rechte kommen. Dies ist der Fall, wo Stout \u00fcbergeht zur \u201eAuffassung der Form\u201c. Gewiss ist die Einsicht wichtig, dass ein psychisches Ganze, eine Melodie etwa, immer mehr ist als die Summe seiner Elemente. Es ist ausserdem noch ein Ganzes. Aber was heisst dies? Stout stimmt hier der EHRENFELs\u2019schen Theorie der \u201eGestaltqualit\u00e4ten\u201c zu, und findet sie vollst\u00e4ndig und pr\u00e4zis. Ich finde, dass Ehrenfels und mit ihm Stout, in diesem Punkte zwei sehr verschiedene Dinge zusammenfliessen lassen. Die Melodie wird zu einem Ganzen f\u00fcr mein Bewusstsein durch die zusammenfassende Apperzeption oder \u201eSetzung\u201c. Ausserdem ist die Melodie ein Ganzes, nicht nur durch die die einzelnen T\u00f6ne verbindenden zeitlichen Beziehungen, sondern vor Allem durch die musikalischen Beziehungen. In diesen Beziehungen und den Beziehungen zwischen diesen Beziehungen, in dem einheitlichen Gewebe einander unter- und \u00fcbergeordneter Beziehungen, die in der Melodie stattfinden, besteht die eigentliche Gesammtform .der Melodie, das was die Melodie als Ganzes zu diesem einheitlich eigenartigen Gebilde macht. Mag man nun aber diese Beziehungen als Klangverwandtschaft oder mit Stumpf als spezifische Synergien oder, wie ich fordere, als unmittelbare Tonverwandtschaft denken, in jedem Falle bestehen diese Beziehungen und besteht das einheitliche System derselben als solches nicht im Bewusstsein. Es ist also auch die mit diesem System identische \u201eForm\u201c des Ganzen keine unmittelbare Bewusstseinsthatsache. Es giebt keine bewusste Auffassung der \u201eForm\u201c des Ganzen in diesem Sinne.\nDies hindert doch nicht, dass \u2014 nicht nur die einheitliche Melodie als Einheit oder als Ganzes, sondern auch diese Form relative psychische Selbst\u00e4ndigkeit besitzt, dass wir mit der Form unabh\u00e4ngig von dem speziellen Inhalte psychisch operiren, die Form auf einen anderen Inhalt \u00fcbertragen k\u00f6nnen u. s. w. Und die Art, wie Stout diese M\u00f6glichkeit betont, wie er die Form als ein Neues und relativ Selbstst\u00e4ndiges im Ver-","page":404},{"file":"p0405.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n405\ngleich mit den Inhalten oder den Elementen, die sie in sich befasst, zur Geltung kommen l\u00e4sst, beh\u00e4lt ihren Werth. Es ist ein wichtiges Kapitel der Psychologie, das hier angeschnitten wird. Auch hier muss aber eben \u00fcberall unmittelbares Bewusstseinserlebniss und diesem zu Grunde liegender psychischer Thatbestand deutlich unterschieden werden.\nWie hier, so schwanke ich zwischen Zustimmung und Gegensatz auch gegen\u00fcber den folgenden Kapiteln des Buches. Dass Worte und S\u00e4tze nicht von der bewussten Vorstellung dessen, was sie bedeuten, begleitet zu sein pflegen, ist gewiss zutreffend. Dass sie begleitet sein sollen von einem bildlosen Bewusstsein ihres Sinnes, einem \u201ecognitive consciousness\u201c, verstehe ich nicht. Ich habe ein \u201eBild\u201c von etwas, das ist mir nur ein anderer Ausdruck f\u00fcr: ich habe ein Bewusstsein von etw^as. Es ist ein Irrthum Stout\u2019s, zu meinen, unser Verst\u00e4ndniss von Worten ohne Bilder der gemeinten Objekte setze ein solches cognitive consciousness ihres Sinnes voraus. Es ist gar nicht einmal einzusehen, was ein solches Bewusstsein, das von den Vorstellungen oder Bildern der mit den Worten gemeinten Objekte verschieden w\u00e4re, n\u00fctzen, oder wie in seinem Dasein ein Verst\u00e4ndniss der Worte gegeben sein sollte. Im Uebrigen w\u00e4re auch hier wiederum zweierlei wohl zu unterscheiden: Einmal das bewusste Verst\u00e4ndniss der Worte, oder dies Verst\u00e4ndniss als ein unmittelbares Bewusstseinserlebniss. Dies besteht zun\u00e4chst in einem begleitenden logischen Gef\u00fchl. Davon unterschieden ist das Verst\u00e4ndniss im Sinn der Thatsache, dass wir mit den Worten genau so, als ob sie von den bewussten Sinnvorstellungen begleitet w\u00e4ren, geistig operiren. Diese Thatsache setzt Vorstellungsvorg\u00e4nge oder Zusammenh\u00e4nge von solchen, sie setzt unter anderem auch die relativ selbst\u00e4ndige psychische Existenz und Funktion \u201eabstrakter\u201c Vorstellungsvorg\u00e4nge voraus. Aber alles dies schliesst in keiner Weise das Dasein der diesen Vorg\u00e4ngen entsprechenden Bewusstseinsinhalte oder gar das Dasein eines ganz anderen Bewusstseins, wie es in jenem cognitive consciousness gegeben w\u00e4re, in sich.\nJenes logische Gef\u00fchl und diese Vorg\u00e4nge m\u00fcssen nat\u00fcrlich genauer bestimmt werden. Der unklare Begriff eines \u201eunanschaulichen\u201c Bewusstseins, einer \u201eimplicit apprehension\u201c, wie Stout auch wohl dieses Unding nennt, einer begrifflichen Vorstellung, wie man bei uns wohl sagt, muss aus der Psychologie verbannt werden, genau ebensowrohl wie der Begriff des halben oder dunkeln Bewusstseins, gegen den Stout selbst angeht. Die Unklarheit ist in allen diesen F\u00e4llen die gleiche. Entweder hat man von etwas ein Bewusstsein oder was dasselbe sagt, eine Empfindung oder Vorstellung, ein Bild, eine .Anschauung, oder man hat kein Bewusstsein davon.\nEine gute Bemerkung in diesem Zusammenhang ist die, dass wir nicht auf die Worte, sondern auf den Sinn einer Rede die Aufmerksamkeit zu konzentriren pflegen. Also, so w\u00fcrde ich schliessen, kann unsere Aufmerksamkeit wesentlich von unbewussten psychischen Vorg\u00e4ngen absorbirt sein. H\u00e4lt man dies f\u00fcr widersinnig, so versteht man unter Aufmerksamkeit etwas anderes, als ich darunter verstehe.\nAuch die \u201epsychical fringes\u201c von James werden an dieser Stelle er-","page":405},{"file":"p0406.txt","language":"de","ocr_de":"406\nBesprechungen.\n\u00f6rtert. Ich finde, dieser Ansdruck ist gut im Munde James\u2019. Aber man sollte ihn James lassen, und lieber klar sagen, was man damit meint.\nDas Urtheil oder das \u201ebelief\u201c wird yon Stout \u2014 im Anschluss an Brentano \u2014 f\u00fcr eine besondere psychische Thatsache erkl\u00e4rt. Gewiss mit Hecht. Aber dass diese Thatsache keiner weiteren Analyse f\u00e4hig w\u00e4re, ist irrig. Stout selbst giebt sp\u00e4ter etwas dergleichen. Er nennt das Glauben eine gehemmte geistige Aktivit\u00e4t. Dies wird es sein. Aber man darf die genauere Bestimmung dieser gehemmten Aktivit\u00e4t oder dieses Gen\u00f6thigtseins nicht unterlassen. Alles liegt daran, dass dies Gen\u00f6thigtsein ein objektives ist. Dies hat Stout nicht gen\u00fcgend charakterisirt. Das Gleiche gilt von dem spezifisch \u00e4sthetischen Glauben, der \u00e4sthetischen Illusion, die in diesem Zusammenhang mitbesprochen wird.\nIm folgenden Abschnitt \u00fcber Gef\u00fchl und Streben erfahren wir: Streben sei Richtung der geistigen Aktivit\u00e4t auf ein Ziel. Auch \u201eAufmerksamkeit\u201c ist geistige Aktivit\u00e4t. Dagegen wird nichts zu erinnern sein. Aber worin besteht die geistige Aktivit\u00e4t? Stout meint, sie existire, indem sie gef\u00fchlt werde. Sie ist ihm Gegenstand der unmittelbaren Erfahrung. Dagegen ist zu sagen, dass das Gef\u00fchl der Aktivit\u00e4t nichts ist als eben ein eigenartiges Gef\u00fchl. Was ihm zu Grunde liegt, die kausale Beziehung zwischen psychischen Vorg\u00e4ngen oder Faktoren, ist, so wenig wie irgendwelche Kausalit\u00e4t, unmittelbar erlebbar. \u2014 In diesem Zusammenhang ist erfreulich die sichere Abweisung des Versuchs, das Aktivit\u00e4tsgef\u00fchl in K\u00f6rperempfindungen aufzul\u00f6sen.\nWie die Aktivit\u00e4t \u00fcberhaupt, so l\u00e4sst Stout auch die erfolgreiche Aktivit\u00e4t unmittelbar erlebt oder gef\u00fchlt werden, und zwar als erfreulich. Hier ist die Art, wie Stout Bewusstsein serlebniss und Grund desselben in-einanderfliessen l\u00e4sst, besonders deutlich. Eine Aktivit\u00e4t sei erfolgreich. Dann ist doch nicht diese Thatsache, sondern die sie begleitende Lust im Gef\u00fchl der Lust gegeben.\nHier bemerke ich gleich, dass die sp\u00e4ter weiter ausgef\u00fchrte Ableitung des Gef\u00fchles der Lust auf einen Zirkel hinausl\u00e4uft. Lust stellt sich ein, wenn Erstrebtes sich verwirklicht. Aber wie giebt sich uns ein Objekt, das von einem Gef\u00fchl des Strebens begleitet ist, zu erkennen als \u201eErstrebtes\u201c, oder als ein Solches, auf welches das Streben gerichtet ist? Wie unterscheidet sich dies Objekt von demjenigen, gegen welches dies Streben sich 'wendet? Die Antwort muss lauten: Wir bezeichnen das Streben, das wir in uns f\u00fchlen, als Hinstreben nach, oder Erstreben von etwas, insofern wir es erleben, dass der Vollzug eines psychischen Erlebnisses oder die gedankliche Antizipation desselben das Streben befriedigt, d. h. in Lust oder relative Lust verwandelt. Das fragliche psychische Er-lebniss ist in diesem Falle das \u201eErstrebte\u201c. Dagegen erscheint uns das Streben als gegen etwas gerichtet, wenn das Streben in dem Maasse als ein psychisches Erlebniss sich verwirklicht oder seine Verwirklichung von uns antizipirt wird, sich versch\u00e4rft und Unlustcharakter gewinnt. Stout sagt also eigentlich: Lust entsteht aus dem, w~as Grund der Lust ist. Nat\u00fcrlich erhebt sich auch hier noch die Frage: Worin besteht dies Anti-zipiren? Diese Frage ist psychologisch von gr\u00f6sster Wichtigkeit.\nDer Verfasser er\u00f6rtert weiter genauer die Aufmerksamkeit. Ich weise","page":406},{"file":"p0407.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n407\nhier speziell hin auf zwei Punkte. Die Gewohnheit eines Objektes macht, dass es Gegenstand geringerer Aufmerksamkeit ist. Stout meint: Hier bestehe eine Adaptirtheit des Geistes f\u00fcr die Vorstellung des Objektes; diese Vorstellung bedinge demnach eine geringere geistige Ver\u00e4nderung, also eine weniger intensive Aktivit\u00e4t. Indessen damit ist die Sache nicht erledigt. Stout selbst erw\u00e4hnt drei Seiten sp\u00e4ter einen Fall, in welchem solche Adaptirtheit die geistige Aktivit\u00e4t steigert. In der That ist dies die n\u00e4chste Wirkung der Adaptirtheit. Soll der gegentheilige Erfolg ein-treten, so muss eine weitere Voraussetzung zu Recht bestehen. Vielleicht darf ich Stout hierf\u00fcr auf das verweisen, was ich in meiner Psychologie (\u201eGrundthatsaehen des Seelenlebens\u201c) \u00fcber den \u201eAbfluss\u201c der psychischen Bewegung, und andererseits \u00fcber die \u201eStauung\u201c desselben gesagt habe. Die letztere Thatsache, die \u201eStauung\u201c, kommt bei Stout sp\u00e4ter einiger-maassen zu ihrem Rechte.\nDer zweite Punkt ist dieser. Stout giebt an dieser Stelle seinem geringen Vertrauen auf die Wirkung der Assoziationen Ausdruck. Dem m\u00fcsste ich beistimmen, wenn ich mich entschliessen k\u00f6nnte, mit Stout die Aehnlichkeitsassoziation zu beseitigen. Aber dann m\u00fcsste ich die Psychologie beseitigen. Ich m\u00fcsste mit Stout alle die psychologischen Thatsachen \u00fcbersehen, in denen erst die Wirksamkeit und allumfassende Tragweite der Aehnlichkeitsassoziation zu Tage tritt. Zudem, was ist Assoziation? Ist es die Weise, wie im Bewusstsein Vorstellungen verbunden erscheinen, oder ist es das dieser Thatsache zu Grunde liegende? Ich nehme das Wort im letzteren Sinne. Oder vielmehr, ich verstehe unter Assoziationen allgemein die Beziehungen zwischen psychischen Vorg\u00e4ngen, die und sofern sie den psychischen Lebensablauf bestimmen. Ich suche die genauere Bestimmung dieser Beziehungen aus dem psychischen Lebensablaufe zu gewinnen. Sollte nicht das Misstrauen gegen die Assoziation, hier wie sonst, in einer ungenauen oder mangelhaften Bestimmung dieser Beziehungen, also in einem falschen oder allzu leeren Assoziationsbegriff seinen Grund haben? Eines will ich speziell erw\u00e4hnen : Die Assoziationsgesetze sind keineswegs bloss Gesetze der Reproduktion, sondern ebensowohl Gesetze der Auffassung oder Apperzeption von Wahrnehmungsinhalten.\nDas Hinausgehen des geistigen Geschehens \u00fcber die Wirkung der Assoziation, \u2014 ein solches giebt es ja auch f\u00fcr mich trotz des eben Gesagten \u2014 wird weiter er\u00f6rtert im Kapitel \u00fcber \u201eno\u00ebtische Synthesis\u201c und \u00fcber \u201erelative Suggestion\u201c. Unter no\u00ebtischer Synthesis wird verstanden die Einheit der Bewusstseinselemente \u2014 presentational elements \u2014 die in ihrer Beziehung auf ein einziges Objekt eingeschlossen liegt. Durch solche no\u00ebtische Synthesis entstehen die komplexen psychischen Einheiten, die die Namen Wahrnehmungen, Vorstellungen \u2014 ideas \u2014, Begriffe tragen. Relative Suggestion ist konstruktive Reproduktion, d. h. Reproduktion, die nicht nur Elemente in neuer Weise aneinanderf\u00fcgt, sondern ein neues Ganze schafft.\nHier scheint mir der eigentliche H\u00f6hepunkt der STouT\u2019schen Untersuchungen zu liegen; speziell der H\u00f6hepunkt der Bek\u00e4mpfung eines den Sinn der Assoziation missverstehenden, \u201eatomistischen\u201c Assoziationismus.","page":407},{"file":"p0408.txt","language":"de","ocr_de":"408\nBesprechungen.\nAuch bei Stout erscheint diese Bek\u00e4mpfung in diesem Zusammenhang als eine Korrektur des Assoziationsbegriffes. Ich zitire die Stelle. wr> Stout ausdr\u00fccklich eine solche Korrektur vollzieht. Die allgemeinste Formel der Assoziation ist ihm diese: \u201eWenn ein vorgestellter Inhalt einen Theil eines vorgestellten Ganzen he ausmacht, so schliesst der vorgestellte Inhalt \u00df die Tendenz in sich, ein Ganzes \u00dfy hervorzu-rufen, das hinsichtlich seiner Form dem bc entspricht.\u201c Dabei ist \u00df entweder eine Modifikation des b, oder es ist ein b, das in andere Beziehungen verflochten ist. Was hier Stout sagt, ist zutreffend und von eminenter Wichtigkeit. Man wird vielleicht geneigt sein, es etwas anders zu formuliren, wie ich es in der That nicht v\u00f6llig in gleicher Weise zu formuliren pflege. Zugleich meine ich dies psychologische Grundgesetz umfassender nehmen zu m\u00fcssen, als Stout zu thun scheint. Vor Allem so, dass es auch sehr viel elementarere, andererseits sehr viel komplexere psychische Thatbest\u00e4nde in sich schliesst, als diejenigen sind, worauf Stout dasselbe anwendet. Auch das Gesetz der Aehnlichkeitsassoziation liegt mir, neben dem der Erfahrungsassoziation, in diesem allgemeinen Gesetz enthalten. Indessen Stout verzichtet ausdr\u00fccklich auf allseitige Durchf\u00fchrung desselben. Aber was er im Einzelnen vorbringt, ist werthvoll genug. Wie man sieht, handelt es sich um eine schon oben ber\u00fchrte Thatsache. Es ist die Thatsache, dass psychisch Neues entsteht, nicht indem Elemente neu sich zusammenf\u00fcgen, sondern, wie Stout sagt, eine Form neu sich determinirt. Diese Form nun ist es, die ich allgemeiner fassen m\u00f6chte. Nicht nur die Form eines Ganzen aus Elementen, sondern jede, sei es im Bewusstsein repr\u00e4sentirte, sei es dem unmittelbaren Bewusstsein v\u00f6llig sich entziehende, also nur aus ihren Wirkungen er-schliessbare Eigenth\u00fcmlichkeit, Daseins weise oder Weise des Ablaufe\u00bb eines psychischen Vorgangs, weiterhin jedes Verh\u00e4ltniss, jede Beziehung, jede Art des Zueinanderhinzutretens von psychischen Vorg\u00e4ngen oder des Uebergangs von einem zum anderen, endlich auch der allgemeinste Charakterzug eines umfassendsten Zusammenhanges des psychischen Geschehens besitzt, wenn einmal gegeben, eine relative psychische Selbstst\u00e4ndigkeit, eine von der urspr\u00fcnglichen inhaltlichen oder konkreten Bestimmtheit relativ unabh\u00e4ngige Existenz, und eine dem entsprechende neue Determinirbarkeit oder Uebertragbarkeit auf Anderes. Oder anders gesagt: jede solche Eigenth\u00fcmlichkeit, Daseinsweise, Beziehung, Form etc. ist, wenn einmal in irgendwelchen Inhalten psychisch verwirklicht, eben-damit zugleich der M\u00f6glichkeit oder Disposition nach eine Eigenth\u00fcmlichkeit, Daseinsweise, Beziehung, Form etc. aller m\u00f6glichen psychischen Inhalte bezw. aller m\u00f6glichen Kombinationen von Inhalten, soweit und in dem Maasse als solche ihrer Natur nach in die fragliche Eigenth\u00fcmlichkeit, Daseinsweise etc. zieh zu f\u00fcgen oder sie an sich zu tragen verm\u00f6gen, and kann demnach als Eigenth\u00fcmlichkeit, Daseinsweise etc. solcher Inhalte psychisch sich verwirklichen. Handelt es sich um ein Verh\u00e4ltniss oder eine Beziehung zwischen mehreren psychischen Elementen, oder um eine -mehrere Elemente verbindende Form, so schliesst diese Verwirklichung zugleich das Zustandekommen einer Kombination solcher Elemente, die zu ^einander in dies Verh\u00e4ltniss, diese Beziehung treten, oder ein Ganzes von","page":408},{"file":"p0409.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n409\ndieser Form ergeben k\u00f6nnen, in sich. Ich bemerke, dass ich diese hier nur anzudeutende Thatsache in meinen \u201eGrundthatsachen des Seelenlebens\u201c unter dem Namen der kombinatorisch reproduktiven Th\u00e4tigkeit des Geistes etwas genauer bezeichnet habe. Zum vollen Verst\u00e4ndniss der Tragweite dieser Thatsache ist zugleich vorausgesetzt die Einsicht, dass psychische Vorg\u00e4nge und noch mehr Zusammenh\u00e4nge von solchen in weitem Umfange solche Eigenth\u00fcmlichkeiten, Beziehungen, Formen an sich tragen und solche Uebereinstimmungen und Verschiedenheiten besitzen k\u00f6nnen, die sich in den ihnen entsprechenden Bewusstseinsinhalten nicht repr\u00e4sentirt finden.\nIm folgenden, dem siebenten Kapitel, besch\u00e4ftigt sich Stout mit dem Streben und der cognitive synthesis, in den darauf folgenden der Reihe nach mit der Apperzeption; mit Vergleichung und Begriff; mit Gedanken und Sprache; mit Glauben und Einbildungskraft; endlich mit Lust und Unlust. Unter Apperzeption wird verstanden der Prozess, durch welchen ein psychisches System neue Elemente sich aneignet, oder eine neue Determination erf\u00e4hrt. Den Inhalt der beiden letzten Kapitel habe ich bereits ber\u00fchrt.\nIch habe hervorgehoben, was mir im ganzen Buche der Grundgedanke scheint. Es ist der, dass wenn auch ein Glasmosaikgem\u00e4lde aus Glasstiften sich zusammensetzt, doch das Gem\u00e4lde etwas v\u00f6llig anderes ist als eine Menge oder ein Nebeneinander von Glasstiften, n\u00e4mlich ein sinnvolles Ganze. Der Sinn ergiebt sich nicht aus den Glasstiften, wohl aber bestimmt er umgekehrt das Nebeneinander derselben. Dieser Vergleich, der nicht aus Stout stammt, hinkt stark. Die Glasstifte bleiben Glasstifte, auch wenn sie aus dem Gem\u00e4lde genommen werden; eine aus dem Zusammenhang des psychischen Lebens herausgenommene Vorstellung ist nichts mehr. \u2014 Im Rahmen oder auf der Basis seines Grundgedankens ber\u00fchrt Stout noch gar manche weitere Einzelprobleme, auf die ich aber nicht mehr im Einzelnen hinweisen kann. Ich empfehle das werthvolle Buch der ernstlichen Beachtung der Psychologen.\nTheodor Lipps.\nPaul Iwan Helwig: Eine Theorie des Sch\u00f6nen. Mathematisch-psychologische Studie. Amsterdam. Delsman u. Nothenius, Akademische Buchhandlung 1897, 87 S.\nSeitdem Adolf Zeising 1854 seine von der Wissenschaft l\u00e4ngst zu den Todten gelegte Theorie vom goldenen Schnitt als kosmischem Proportionsprinzip auf gestellt hat, ist kein Versuch gemacht worden, das zentrale Problem der formalen Aesthetik in so streng mathematischer Weise zu l\u00f6sen wie in der vorliegenden Abhandlung. Sie ist vielleicht die scheinbar strengste wissenschaftliche Untersuchung, die im Gebiet der idealistischformalen Aesthetik bisher \u00fcberhaupt geschrieben worden ist, und man kann","page":409}],"identifier":"lit30341","issued":"1898","language":"de","pages":"399-409","startpages":"399","title":"G. F. Stout: Analytic Psychology. London, Swan, Sonnenschein & Co., 1896. 2 B\u00e4nde, 289 u. 314 S.","type":"Journal Article","volume":"16"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:03:36.773298+00:00"}