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{"created":"2022-01-31T12:32:41.829588+00:00","id":"lit30366","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Mentz, P.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 16: 450-453","fulltext":[{"file":"p0450.txt","language":"de","ocr_de":"450\nLiteratur bericht.\ndas Problem der \u201eBekehrung\u201c studiren. Er versteht darunter aber nicht bloss die Bekehrung im religi\u00f6sen Sinne, sondern die scheinbar pl\u00f6tzliche Umwandlung im Charakter, die Umst\u00e4nde, die ihr vorangehen, die seelischen Affekte, < von denen sie begleitet ist und die Ver\u00e4nderungen, die sie f\u00fcr das Individuum nach sich zieht, freilich mit besonderer R\u00fccksicht auf die Ver\u00e4nderung in religi\u00f6sen Anschauungen. Um typische F\u00e4lle pl\u00f6tzlichen \u201eErwecktwerdens\u201c zu beschreiben, sie miteinander zu vergleichen und zu untersuchen, welche lebendigen Kr\u00e4fte dabei wirksam sind, versandte der Verf. einen Fragebogen, der Aufschluss verlangte \u00fcber die religi\u00f6sen Gewohnheiten der Befragten, die Art ihres Unterrichts und ihrer Erziehung, die Einfl\u00fcsse des Hauses und der Freundschaft, die K\u00e4mpfe gegen L\u00fcge und Versuchung, die Wandlungen im Glauben an Ideale, die physischen und psychischen Zust\u00e4nde vor der \u2018conversion\u2019 und nachher, die Art wie die \u201eErl\u00f6sung\u201c kam, ob die Wandlung sich in Folge eigner Denkarbeit oder durch Einfl\u00fcsse oder gar Wunder vollzog u. s. f. Von der Zahl der eingelaufenen Antworten hat der Verf. 137 F\u00e4lle als typisch untersucht. In allen handelt es sich um conversions bis zum Alter von 25 Jahren. (51 entfallen auf das m\u00e4nnliche, 86 auf das weibliche Geschlecht.) Schon aus dieser Einschr\u00e4nkung ergeben sich f\u00fcr die empirischpsychologische Untersuchung viele Unzutr\u00e4glichkeiten. Einmal ist die Zahl der ausgew\u00e4hlten F\u00e4lle zu gering, um allgemeing\u00fcltige S\u00e4tze aufzustellen, andererseits k\u00f6nnen sich junge Leute im Alter von 14\u201425 Jahren schwerlich zuverl\u00e4sslich \u00fcber jene Fragen \u00e4ussern. Der Verf. kommt denn auch \u00fcber Raisonnements allgemeinerer Natur einstweilen nicht hinaus. Dass diese conversions im Alter der Pubert\u00e4t am h\u00e4ufigsten sind, dass die F\u00e4lle, wo das Streben nach Idealen sie hervorruft, beim m\u00e4nnlichen Geschlecht zahlreicher sind als beim weiblichen, ergiebt sich ohne Weiteres ; viel mehr wird man auf der Grundlage eines so wenig F\u00e4lle umfassenden Materials nicht schliessen k\u00f6nnen. Die Zahl derselben muss bedeutend vermehrt, die Zahl der Fragen dagegen kann unseres Erachtens bei genauerer Fassung vermindert werden, vor Allem aber m\u00fcssten Individuen befragt werden, die sich zuverl\u00e4ssig \u00fcber ihre seelischen Ver\u00e4nderungen Rechenschaft ablegen k\u00f6nnen.\nTrotzdem wird man dem Verf. f\u00fcr seine Anregung dankbar sein und gerne seinen am Schluss des Artikels ge\u00e4usserten warmen Appell, ihm weiteres Material zur Verf\u00fcgung zu stellen, unterst\u00fctzen m\u00fcssen.\nW. Paszkowski (Berlin.)\nLeon M. Solomons and Gertrude Stein. Normal Motor Automatism. Psychol.\nRev. III. (5). S. 492\u2014512. 1896.\nDie Untersuchung besch\u00e4ftigt sich in Aufnehmung verwandter Versuche von Paulhan, Janet, Binet (1887, 1889) mit automatischen Bewegungen, hergestellt durch Uebung, und ihren besonderen Verh\u00e4ltnissen. Die Aufmerksamkeit ist dabei durch Lesen von direkt sich ab wickelnden Erz\u00e4hlungen, in einem Falle auch durch Hinh\u00f6ren besch\u00e4ftigt. Der bewegte Arm ruht auf einer auf Metallkugeln montirten und eine Schreibvorrichtung enthaltenden Glasplatte. Erste Reihe von Versuchen: Der Arm des Reagenten","page":450},{"file":"p0451.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turbericht.\n451\nwird w\u00e4hrend des Lesens in regelm\u00e4ssiger Bewegung hin und her gef\u00fchrt, dann zeigt sich bald die Neigung zur Fortsetzung derselben, anf\u00e4nglich ohne sichere Unterscheidung, ob die Bewegung selbst\u00e4ndig ist oder noch^om Experimentator veranlasst wird, sp\u00e4ter jedoch mit Unterscheidung in Folge von Uebung der Wahrnehmung. Diese automatischen Bewegungen werden erst durch ihre Ausf\u00fchrung nachtr\u00e4glich bewusst, und erscheinen extrapersonal. Letzteres ist der Fall, weil der individuelle motorische Impuls und Bewegungsvorstellungen nicht den Bewegungen vorausgehen, wie die Versuche durchweg zeigen. Bei Hinwendung der Aufmerksamkeit auf die Bewegungen tritt eine Tendenz zur willk\u00fcrlichen Hemmung derselben auf; bei Affekten werden sie unregelm\u00e4ssig oder aber ganz eingestellt; sich selbst \u00fcberlassen gehen sie schliesslich in die dem Arm bequemeren elliptischen Bewegungen \u00fcber.\nZweite Versuchsreihe: Bei Bewegung des Armes insbesondere nach Art des Schreibens tritt bei gen\u00fcgendem Automatismus die Tendenz auf, k\u00fcrzere Worte des gelesenen Textes, wie Artikel, Pronomina, Pr\u00e4positionen, wirklich zu schreiben, zum Theil ohne Bewusstsein und Erinnerung, zum Theil unter Bewusstwerden nach Vollziehung des Aktes in Folge seiner Komplexit\u00e4t und seiner Beproduktionen. Auch l\u00e4ngere Worte werden begonnen, aber selten vollendet, zumal da das Schreiben langsamer als das Lesen verl\u00e4uft.\nDritte Versuchsreihe: Zugleich mit dem Lesen eines weniger interessanten Textes werden Worte eines zweiten Textes in kurzen Pausen nicht zu laut diktirt. Der Beagent \u00fcberwindet bald die Neigung zu reflektorischer Hemmung seiner Besch\u00e4ftigung, um die diktirten Worte niederzuschreiben, und vermag nach hinreichender Ein\u00fcbung, wobei zuerst immer ein und dieselben Worte genommen werden, diese Worte ohne gleichzeitiges subjektives Erfassen niederzuschreiben. Die Pausen d\u00fcrfen bis zu 15 oder 20 Sekunden gehen. Zuerst verschwinden die Empfindung und die Gef\u00fchle der Anstrengung des Niederschreibens, sp\u00e4ter auch der motorische Impuls als Bewusstseinszustand. Die Bewegungen des Schreibens erscheinen wiederum extrapersonal, die Worte werden angefangen, zum Theil sogar vollendet, ehe man ihren Sinn erfasst, vorausgesetzt, dass dies wesentlich geschieht oder hier \u00fcberhaupt geschieht. Es ist hier also eine mehr oder weniger direkte Umsetzung des komplexen akustischen Beizes in die zugeh\u00f6rigen komplexen Bewegungen ohne Bewusstseinskontrolle vorhanden. In Folge der Unvollst\u00e4ndigkeit des Erfassens fehlt auch mehr oder minder die Erinnerung, selbst an eine Th\u00e4tigkeit \u00fcberhaupt. Zuweilen ist Unsicherheit, Spannung oder Neugierde vorhanden, welches wohl das geh\u00f6rte und begonnene oder bereits vollendete Wort sein mag. Bei interessanten Parthien des gelesenen Textes mischen sich Worte desselben in das Niederschreiben ein. Bei st\u00e4rkeren Affekten wird dasselbe wiederum ganz eingestellt. Das Lesen dieses Textes kann auch mit leiser Aussprache geschehen. Die eigentlichen Worte erscheinen dann wiederum extrapersonal, wie ein fernes fremdes Gemurmel oder gar Ger\u00e4usch.\nVierte Versuchsreihe: Der Beagent liest seinen Text leise vor und schreibt zugleich das Diktirte nieder, w\u00e4hrend der diktirende Experimentator\n29*","page":451},{"file":"p0452.txt","language":"de","ocr_de":"452\nLiteraturbericht.\nvor Allem auf das Yorgelesene h\u00f6rt. Hier tritt nicht selten der Fall auf, dass der Experimentator automatisch-unbewusst, in direkter Umsetzung der Gesichtsbilder des Lesens in die Bewegungen des Sprechens ohne Bewusstseinskontrolle diktirt, und der Reagent automatisch-unbewusst, in direkter Umsetzung der akustischen Komplexe in Bewegungen ohne Bewusstseinskontrolle das Diktirte niederschreibt, wobei ersterem die eigenen Worte, dem zweiten die eigenen Bewegungen fremd erscheinen oder ohne Perzeption ablaufen. Aehnliche Ein\u00fcbung durch Erziehung und Leben ist zu ber\u00fccksichtigen.\nF\u00fcnfte Versuchsreihe: Bei hinreichender Uebung l\u00e4uft das Nieder-schreiben des Gelesenen bereits automatisch ab, wenn der Reagent die Hauptaufmerksamkeit auf die Kontrolle des Geschriebenen richtet und dabei einige Worte hinter dem eben Geschriebenen zur\u00fcckbleibt. Dann zeigt sich die auch anderweitig bemerkliche Tendenz zu fehlerhafter Wiederholung, insbesondere bei sehr kurzen und zugleich unbetonten oder bei stark sinnbetonten Worten, als Folge des Strebens des Automatismus nach Ablauf und Mangels bewusster unmittelbarer Kontrolle. Auch hier tritt Erwartung, Spannung, Neugier auf, welchen Inhalt das eben Geschriebene wohl haben m\u00f6ge.\nSechste Versuchsreihe: Der Reagent liest einen Text und schreibt zugleich etwas Poetisches nach seiner Erinnerung sozusagen mechanisch nieder, ohne dass er dasselbe jedoch je zuvor in dieser Folge niedergeschrieben h\u00e4tte. Die vorausgegangene Uebung f\u00fcr die einzelnen Worte bezw. Lautkomplexe durch das Leben ist dabei allerdings nicht zu eli-miniren (Versuche von Paulhan). Das Schreiben und Lesen ist ja schon selbst durch Uebung Automatismus, wenigstens im Einzelnen.\nBei allen diesen automatischen Beth\u00e4tigungen ist die Neigung zur Steigerung der Geschwindigkeit im Verlaufe derselben, vielleicht als fortwirkende Innervation und das Bestreben, die Hauptth\u00e4tigkeit m\u00f6glichst wenig zu hemmen, bemerkenswerth. Das Schreiben wird immer undeutlicher, das Lesen immer unverst\u00e4ndlicher, das Diktiren \u00fcberhastet sich immer mehr. Zugleich tritt beim Sprechen und in den Wortz\u00fcgen zunehmende Monotonie auf. Das Bewusstsein tritt zwar intermittorisch kontrollirend auf, aber nur zeitweilig, wie ja schon bei schriftlicher Entwickelung von Gedanken in Bezug auf die Nebenth\u00e4tigkeiten. Die allgemeinen Tendenzen bei diesen Versuchsreihen sind: 1. Neigung zur Fortsetzung einer Bewegung, und Eintreten von zeitweiligem Automatismus f\u00fcr dieselben; 2. F\u00e4higkeit zu direkter Umsetzung komplizirter Reize in die zugeh\u00f6rigen komplizirten Bewegungen ohne Bewusstseinskontrolle ; 3. Neigung zu unwillk\u00fcrlichen, st\u00f6renden Bewegungsumsetzungen bei sehr einge\u00fcbten Worten, wie Partikeln, oder bei stark sinnbetonten Worten, also Worten h\u00f6herer Intensit\u00e4t; 4. Neigung des automatischen Ablaufes sich zu vollenden, so dass bei mangelnder Bewusstseinskontrolle zuweilen Wiederholung eintritt ; 5. die Hinwendung der Aufmerksamkeit auf einen der Sinne z. B. als Hinh\u00f6ren, ist nicht nothwendig identisch mit dem Erfassen des Reizes (Perzeption gegen\u00fcber Apperzeption). In manchen Einzelheiten sind hierbei die Zust\u00e4nde des sog. doppelten Bewusstseins Hysterischer, Epileptischer und der Hypnose mit den geschilderten Vorg\u00e4ngen dem Wesen","page":452},{"file":"p0453.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turbericht.\nnach identisch, aber, was die Verfasser \u00fcbergehen, in Vielem auch sehr verschieden, wie gerade diese Analyse zeigt.\nP. Mentz (Leipzig)-\nKraeft Ebing. Arbeiten ans dem Gesammtgebiete der Psycho- nnd Neuropathologie. II. Heft. Leipzig A. Barth 1897. 215 S.\nDas zweite Heft enth\u00e4lt ausser einer Eeihe kleinerer Arbeiten und Gutachten, \u2014 haupts\u00e4chlich aus dem Gebiete des Hypnotismus, der Nerven-und R\u00fcckenmarkskrankheiten \u2014, einen ausf\u00fchrlichen Bericht \u00fcber die Vort\u00e4uschung organischer Erkrankungen des Nervensystems durch Hysterie. Von allgemeinem Interesse ist die erste Abhandlung der Aetiologie der progressiven Paralyse, wobei ja leider die Syphilis die Hauptrolle spielt. Krafft-Ebing geht dabei n\u00e4her auf die sozialen Sch\u00e4den der Jetztzeit ein. Wer w\u00e4re wohl berufener dazu als er?\tTJmpfenbach.\nPaul Sollier. G\u00e9n\u00e8se et nature de Fhyst\u00e9rie. Recherches cliniques et exp\u00e9rimentales de psycho-physiologie. Paris, F\u00e9lix Alcan. 1897.\nIn zwei umfangreichen B\u00e4nden legt S. die Ergebnisse von Untersuchungen nieder, die er auf Anregung von Charcot hin unternommen hat; dieser forderte ihn vor mehreren Jahren auf, sich mit der Therapie der Hysterie zu besch\u00e4ftigen ; um aber den Auftrag zu erf\u00fcllen, musste S. sich ein Bild \u00fcber das Wesen der von ihm zu behandelnden Krankheit machen; was er in der Literatur vorfand, sagte ihm wenig zu, und so sah er sich gen\u00f6thigt, sich die n\u00f6thigen Unterlagen selbst zu schaffen. Das von ihm benutzte Material ist in zwanzig ausf\u00fchrlich mitgetheilten Krankengeschichten niedergelegt ; sie f\u00fcllen den ganzen zweiten Band (333 Seiten !).\nAls maassgebend f\u00fcr den Begriff der Hysterie betrachtet er die ihr zu Grunde liegende physische St\u00f6rung ; er schaltet den Begriff der Hysterie als den einer eigenen Krankheit aus und nennt hysterisch alles das, was sich auf eine besondere St\u00f6rung der Funktion des Gehirns zur\u00fcckf\u00fchren l\u00e4sst; er vergleicht diese mit einem Zustande von Bet\u00e4ubung, einem mehr oder minder tiefen Schlafe; er spricht geradezu von \u201evigilambules\u201c und setzt die hysterischen in Parallele zu den Somnambulen. Hat sich der Zustand entwickelt, so ist die Th\u00e4tigkeitj des Gehirns ver\u00e4ndert, und diese Ver\u00e4nderung zeigt die hysterischen Erscheinungen. Je nachdem welche Centren betroffen sind, ob alle oder nur einzelne, ob auf einmal oder nacheinander, ob vor\u00fcbergehend, oder dauernd, ist das Krankheitsbild ein verschiedenes.\nEr bespricht auch die St\u00f6rungen der Sinnesorgane, besonders die der Augen; er unterscheidet motorische St\u00f6rungen (L\u00e4hmungen und Kr\u00e4mpfe), sensible (An\u00e4sthesie der Konjunktiva und Cornea) und sensorielle; eingehend behandelt er die Einengung des Gesichtsfeldes und die St\u00f6rungen des Farbensehens bezw. Farbenblindheit. Er weist nach, dass sich auch f\u00fcr diese Erscheinungen wie f\u00fcr die anderen von ihm einzeln besprochenen Symptome der Hysterie seine Auffassung von dem Wesen der Hysterie als zutreffend erweist, dass es vor Allem zur Erkl\u00e4rung der hysterischen Ph\u00e4nomene nicht unbedingt der bisher beliebten Einschaltung des psychischen Faktors bedarf.\tE. Schultze (Bonn).","page":453}],"identifier":"lit30366","issued":"1898","language":"de","pages":"450-453","startpages":"450","title":"Leon M. Solomons and Gertrude Stein: Normal Motor Automatism. Psychol. Rev. III. (5). S. 492-512. 1896","type":"Journal Article","volume":"16"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:32:41.829594+00:00"}