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{"created":"2022-01-31T14:59:24.915354+00:00","id":"lit30440","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Meinong, A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 17: 161-204","fulltext":[{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Raddrehung, Rollung und Aberration.\nBeitr\u00e4ge zur Theorie der Augenbewegungen\nvon\nA. Meinono.\nWer immer versucht hat, sich oder Anderen die Gesetze der Augenbewegungen klar zu machen, kennt die Schwierig-keiten, die sich der angemessenen Ber\u00fccksichtigung jener That-Sachen in den Weg stellen, die man als \u201eRaddrehungen\u201c oder auch als \u201eRollungen\u201c zu bezeichnen sich gew\u00f6hnt hat Ohne Zweifel wurzeln viele dieser Schwierigkeiten in der psychologisch so bedeutsamen Unvollkommenheit der menschlichen Raum-Phantasie gerade in Betreff der dritten Dimension, und da vermag nichts zu helfen als Uebung und Veranschaulichungsmittel, wie deren schon so manche in Vorschlag gebracht worden sind. Neben diesen sozusagen inneren, weil in der Natur der Sache gelegenen Hindernissen sp\u00fcrt aber insbesondere der akademische Lehrer nur zu deutlich auch vergleichsweise \u00e4ufsere Hindernisse, solche n\u00e4mlich, an denen weniger die Sache als die gebr\u00e4uchliche oder doch dem Lernenden zun\u00e4chst zug\u00e4ngliche Behandlung derselben betheiligt ist, wie sie sich in den grundlegenden Kunstausdr\u00fccken resp. Begriffen und noch mehr in dem wiederspiegelt, was man die \u00f6ffentliche Meinung \u00fcber die Bedeutung jener Termini nennen k\u00f6nnte. Hier ist der Hinweis auf bestehende M\u00e4ngel der erste Schritt zu deren Beseitigung, und die Einf\u00fchrung eines geeigneteren Begriffes oder selbst Wortes kann leicht der letzte sein. In diesem Sinne zur Kl\u00e4rung der Theorie der Augenbewegungen beizutragen, ist die Absicht der folgenden Ausf\u00fchrungen. Vielleicht wird Mancher darin nur wiederfinden, was er sich bereits selbst zurecht gelegt hat; inzwischen hat ein an sich nebens\u00e4chliches, f\u00fcr die Sachlage aber sehr bezeichnen-\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XVII.\tH","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162\nA. Meinong,\ndes Verseh\u00e9h in O. Zoth\u2019s trefflichem Augenmuskelschema1 * * mir erst neuerlich wieder den Gedanken nahe ger\u00fcckt, das Wenige, was ich beizubringen habe, m\u00f6chte doch nicht zu wenig sein, um Manchem ein St\u00fcck nicht immer leichter Arbeit zu ersparen.\n\u00a7 1. Schwierigkeiten.\n1. War es oben statthaft, in so theoretischer Angelegenheit von \u00f6ffentlicher Meinung zu sprechen, so steht es mit dieser \u00f6ffentlichen Meinung sicher im Einkl\u00e4nge, wenn Wundt* die Ausdr\u00fccke Raddrehung und Rollung gleichbedeutend gebraucht, indem er als Rollung oder Raddrehung \u201edie Drehung\u201c bezeichnet, \u201ebei der die Gesichtslinie ... als festbleibende Axe erscheint\u201c. Bedeutet nun der Umstand, dafs das Auge bei einer Bewegung \u201eseine Orientirung beibeh\u00e4lt\u201c, so viel, als dafs es \u201ekeine Rollung erf\u00e4hrt\u201c8, dann darf das Gesetz : \u201edas Auge ver\u00e4ndert ..., wenn es sich von der Prim\u00e4rstellung aus dreht, seine urspr\u00fcngliche Orientirung nicht\u201c4, ohne Zweifel auch so ausgesprochen werden: bei Bewegungen aus der Prim\u00e4rstellung erf\u00e4hrt das Auge keine Raddrehung. Sofern ferner das Auge von einer Secund\u00e4rstellung aus seine constante Orientirung nicht beibeh\u00e4lt5, l\u00e4fst sich auch sagen, dafs im Falle solcher Be* wegungen Raddrehungen stattfinden.\nEs scheint nun aber vor Allem nicht m\u00f6glich, diese beiden Gesetze unter einander in Einklang zu bringen, wenn man zugleich, wie doch unvermeidlich, annimmt, dafs jede Stellung der Gesichtslinie beim Fernsehen mit einem und nur einem bestimmten Orientirungs- oder Raddrehungszustande des betreffenden Auges verkn\u00fcpft auftritt, ganz ohne R\u00fccksicht auf den Weg, auf dem die Gesichtslinie in diese Stellung gerathen ist Gesetzt z. B. das Auge blicke schr\u00e4g nach rechts oben, und dieser Erfolg sei einmal dadurch erzielt, dafs die Gesichtslinie m\u00f6glichst geraden Weges aus der Prim\u00e4rstellung zum betreffen* den Fixationspunkte gelangt. Ein andermal dagegen werde der\n1 \u201eDie Wirkungen der Augenmuskeln und die Erscheinungen bei L\u00e4hmung derselben\u201c von Dr. Obkar Zoth, Leipzig und Wien, 1897. Vergl. unten S. 176, Anm. 2.\n8 Grundzttge der physiol. Psychol., 4. Aufl, Bd. II, S. 110.\n8 Vgl. a. a. O. S. 114, Z. 26 f. v. o.\n4 A. a. O. S. 116.\n6 Vgl. a. a. O. S. 123.","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Raddrehung, Rollung und Aberration,\t163\nBlick aus der Prim\u00e4rlage zuerst vertical bis zur H\u00f6he des Fixationspunktes gehoben, dann erfolge eine Wendung horizontal nach rechts, bis der vorgegebene Punkt erreicht ist Nach dem ersten der obigen Gesetze nun gelangt das Auge, wenn es nur von der Prim\u00e4rstellung ausgeht, sowohl bei einer Vertical- als bei einer Schr\u00e4gbewegung raddrehungslos an sein Ziel : wie vertr\u00e4gt sich damit aber das zweite obige Gesetz, das implicite besagt, dafs der Uebergang aus einem Zustande der Raddrehungs-losigkeit in einen anderen Zustand gleichfalls der Raddrehungs-losigkeit gleichwohl mit einer Raddrehung verbunden sei? Allgemein darf man auch sagen: jede Augenstellung kann durch geradlinige Bewegung aus der Prim\u00e4rlage zu Stande gebracht werden; haben Bewegungen dieser Art keine Raddrehung zur ' Folge und geh\u00f6rt zu jeder Blicklinienstellung eine einzige Netzhautlage, so ist unverst\u00e4ndlich, in welchem Sinne dann bei Bewegung aus einer Secund\u00e4rstellung in eine andere gleichwohl eine Raddrehung resultiren k\u00f6nnte.\n2. Von den beiden sonach einander widerstreitenden Gesetzen scheint nun ferner das erste auch f\u00fcr sich unhaltbar. Bekanntlich hat man den Secund\u00e4rsteliungen, diesen Terminus enger fassend als dies oben geschehen ist, auch noch Terti\u00e4rstellungen an die Seite gesetzt, indem man den Ausdruck \u201eSe-cund\u00e4rstellung4* f\u00fcr Positionen aufsparte, die als durch blofse Horizontal- oder Verticalbewegung aus der Prim\u00e4rstellung hervorgegangen angesehen werden k\u00f6nnen. Von den durch den Gegensatz hierzu charakterisirten \u201eTerti\u00e4rlagen44 ist jetzt die Rede: der Beweis daf\u00fcr, dafs solche Terti\u00e4rlagen nicht ohne Raddrehung herzustellen sind, wenn anders das Listing sehe Gesetz dabei aufrecht bleiben soll, scheint durch eine einfache Erw\u00e4gung zu f\u00fchren.\nEs handle sich wieder um eine Bewegung schr\u00e4g nach rechts oben. Der die Endlage der Gesichtslinie bestimmende Fixationspunkt M hege etwa im ebenen, zur prim\u00e4r gestellten Blicklinie ann\u00e4hrend senkrechten Blickfeld so, dafs die ihn mit dem prim\u00e4ren Blickpunkte P verbindende Gerade PM gegen den Horizont um einen Winkel # geneigt ist, der einen beliebigen Werth zwischen 0\u00b0 und 90\u00b0, nat\u00fcrlich unter Ausschlufs dieser Grenzwerthe selbst, annehmen kann. Die LiSTiNG\u2019sche Axe f\u00fcr die Bewegung von P nach M steht dann nat\u00fcrlich gleichfalls\nschr\u00e4g, nur links \u00fcber, rechts unter dem Horizont und schliefst\n11*","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164\nA. Meinong.\nden Winkel S mit der Verticalen ein. Die Ebene, in der sich die Gesichtslinie verm\u00f6ge dieser Axe bewegt, schneidet das angenommene Blickfeld in PJ/, steht also ebenso rechts \u00fcber, links unter dem Horizonte, wie diese Linie selbst In dieser Ebene denke man sich nun irgendwo, z. B. im Punkte P, eine Senkrechte auf die prim\u00e4re Blicklinie errichtet und mit dieser fest verbunden, so dafs sie die Bewegungen der Blicklinie mitmachen mufs. In der Prim\u00e4rstellung f\u00e4llt diese Senkrechte mit der Linie PM zusammen; man erw\u00e4ge nun aber, was f\u00fcr sie eine Drehung der Blicklinie um die LisTix\u00f6'sche Axe zu bedeuten hat, wobei nur nicht aufser Acht zu lassen ist, dafs es sich eben um die Senkrechte selbst, nicht etwa um deren Projection auf das Blickfeld handelt Die Gesichtslinie beschreibt mit jedem ihrer Punkte, also auch mit dem Punkte P einen Kreis, und unsere Senkrechte f\u00e4llt bei jeder Stellung der Gesichtslinie mit der zugeh\u00f6rigen Tangente des in Rede stehenden Kreises zusammen. H\u00e4tte nun die Gesichtslinie eine ausreichende Excursionsf\u00e4higkeit, um mit ihrer Prim\u00e4rstellung selbst einen Winkel von 90\u00b0 einschliefsen zu k\u00f6nnen, so m\u00fcfste unsere Senkrechte, am h\u00f6chsten Punkte ihrer durch die Gesichtslinie mitbestimmten Bahn angelangt, eine horizontale Stellung einnehmen, w\u00e4hrend sie am Beginn der Bewegung, \u00fcbereinstimmend mit der Linie PM, um den Winkel S gegen den Horizont geneigt war. Ihre Neigung zum Horizont hat also, w\u00e4hrend die Gesichtslinie den ersten Quadranten ihres Kreises beschrieb, von S bis zum Nullwerthe abgenommen, kann also auch f\u00fcr beliebig kleinere Excursionen, wie das Auge sie that-s\u00e4chlich leisten kann, nicht unver\u00e4ndert geblieben sein.\nWer hierin nun noch nicht den Beweis f\u00fcr die obige These findet, denke sich in P auf die prim\u00e4r gestellte Gesichtslinie noch eine zweite Senkrechte errichtet; sie liege statt in der um den Winkel S zum Horizont geneigten Ebene nun in der Horizontalebene (resp. prim\u00e4ren Blickebene) selbst, in welchem Falle sie nat\u00fcrlich mit der ersten Senkrechten auch ihrerseits den Winkel S einschliefst. Ist sie mit der Gesichtslinie, daher auch mit der ersten Senkrechten, fest verbunden, d. h. wird auch sie von der Gesichtslinie bei ihrer Bewegung mitgenommen, so schliefst sie nat\u00fcrlich auch bei allen folgenden Stellungen der Gesichtslinie mit der ersten Senkrechten den Winkel S ein. Weil aber diese letztere selbst ihre Stellung zum Horizont ver\u00e4ndert,","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Baddrehung, Rollung und Aberration.\n165\nso dafs sie extremen Falles sogar horizontal wird, so kann auch die zweite, urspr\u00fcnglich horizontal gewesene Senkrechte nicht horizontal bleiben, mufs vielmehr schon bei beliebig kleineren Excursionsweiten von der Horizontalstellung nach rechts unten abweichen. Nat\u00fcrlich ist nun die Uebertragung auf den Netzhauthorizont oder den verticalen Meridian ohne Weiteres statthaft, so dafs man allgemein sagen kann: in jenen Secund\u00e4r-stellungen, die man gelegentlich auch durch den Namen \u201eTerti\u00e4rstellungen14 gekennzeichnet hat, bleibt der Netzhauthorizont nicht horizontal, der urspr\u00fcnglich verticale Meridian nicht vertical, die Stellung Beider ist vielmehr im gleichen Sinne verdreht, \u2014 verdreht, wie vorerst wenigstens kaum in Zweifel gezogen werden wird, um die Gesichtslinie als Axe, womit dann wohl erwiesen scheint, dafs den zu solchen Stellungen der Gesichtslinie geh\u00f6rigen Augenstellungen Raddrehungen nicht wohl abgesprochen werden k\u00f6nnen.\nDer vorstehende Beweis h\u00e4tte sich nat\u00fcrlich auch analytisch f\u00fchren lassen. Aber wenn das, was Schopenhauer einst der EucLm\u2019schen Geometrie zum Vorwurf gemacht hat, irgendwo Beachtung verdient, so ist es da, wo es nicht gilt, Geometrie um ihrer selbst willen zu treiben, sondern Thatsachen der Empirie mit H\u00fclfe geometrischer Vorstellungen zu erfassen. Die obige Betrachtungsweise aber hat nebst der Anschaulichkeit auch noch die Einfachheit f\u00fcr sich.\n3. Es entspricht dem eben Dargelegten, dafs man nun that-s\u00e4chlich f\u00fcr die sogenannten Terti\u00e4rstellungen Raddrehungsgesetze aufgestellt findet; es bedeutet aber eine neue Schwierigkeit, dafs \u00fcber den Sinn dieser Raddrehungen v\u00f6llig Entgegengesetztes behauptet wird. So bringt A. Graefe als Inhalt des DoNDERs\u2019schen Gesetzes1 unter Anderem folgende Positionen: \u201eBei Erhebung der BHcklinie nach oben links und bei Senkung derselben nach unten rechts ist der VM gegen den Horizont nach links geneigt2 . . . Bei der Erhebung der Blicklinie nach oben rechts und Senkung derselben nach unten links ist der VM nach rechts geneigt.44 Man vergleiche damit die bekannte Position bei Helmholtz8: \u201eIn erhobener Stellung der\n1 Graefe und A. Saemisch, Handbuch der Augenheilkunde, VI. Band, 4. Theil, S. 7.\n*\tVM. bedeutet nat\u00fcrlich \u201everticaler Meridian\u201c.\n*\tPhysiol. Optik,< 2. Aufl., S. 620.","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166\nA. Meinong.\nBlickebeil\u00a9 geben Seitenwendungen nach rechts Drehungen des Auges nach links und Seitenwendungen nach Mnks Drehungen nach rechts. In gesenkter Stellung der BJickebene dagegen geben Seitenwendungen nach rechts auch Drehungen nach rechts und Seitenwendungen nach links Drehungen nach links.\u201c Hier scheint ohne Weiteres ersichtlich, dafs Helmholtz genau das Gegentheil dessen vertritt, was in der Graefe-Donders sehen Formulirung zum Ausdrucke gelangt.\n\u00a72. Raddrehung oder Rollung.\nEs z\u00e4hlt gewifs zu den \u201eSchwierigkeiten\u201c einer Materie, wenn die zu ihrer Darstellung erforderlichen Termini in wesentlich verschiedenem Sinne angewendet werden. Insofern h\u00e4tte noch als ein besonderer Punkt in der Aufz\u00e4hlung des vorigen Paragraphen namhaft gemacht werden k\u00f6nnen und verdient nun besondere Beachtung, dafs dasjenige, woran verschiedene Autoren bei der Anwendung der Ausdr\u00fccke \u201eRaddrehung\u201c und \u201eRollung\u201c thats\u00e4chlich denken, durchaus nicht Eines und dasselbe ist Darin freilich besteht allgemeinste Uebereinstimmung, dafs es sich jedesmal um eine Drehung um die Gesichtslinie als Axe handle. Die Verschiedenheit dessen jedoch, was des N\u00e4heren gemeint ist, tritt, wenigstens in drei Hauptf\u00e4llen, besonders deutlich an den Bestimmungen \u00fcber den Raddrehungswinkel zu Tage. Ich stelle diese F\u00e4lle neben einander.\nI.\tNach Wundt\u2019s oben schon einmal herangezogener Bestimmung ist der \u201eRollungs- oder Raddrehungswinkel\u201c der Winkel, den bei der Drehung um die Gesichtslinie \u201eder Netzhauthorizont mit seiner urspr\u00fcnglichen horizontalen Lage bildet\u201c.1 Der Gedanke geht mindestens auf Dondebs zur\u00fcck, nur dafs dieser statt des horizontalen Meridians den verticalen f\u00fcr seine Feststellungen maafsgebend sein l\u00e4fst.\nII.\tDie hierhergeh\u00f6rige Aufstellung Helmholtz\u2019, so bekannt sie ist, verdient gleichwohl in extenso wiedergegeben zu werden. Sie lautet : \u201e .. . Drehungen des Augapfels um die Blicklinie als Axe pflegt man Raddrehungen zu nennen, weil di\u00a9 Iris sich dabei dreht wrie ein Rad. Um die Gr\u00f6fse der Raddrehung zu messen, mufs der Winkel bestimmt wrerden, den eine im Auge\n1 Physiol. Psych. II, S. 110.","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Baddrehung, Rollung und Aberration.\n167\nfeste Ebene mit der Bliekebene macht. Als solche habe ich die Ebene gew\u00e4hlt, welche mit der Blickebene zusammenf\u00e4llt, wenn der Blick beider Augen der Medianebene parallel in aufrechter Kopfhaltung nach dem unendlich entfernten Horizont gerichtet ist, und habe diese im Auge feste Ebene den Netzhauthorizont genannt.. . Den Winkel zwischen dem Netzhauthorizonte und der Blickebene nennen wir den Raddrehungswinkel des Auges, und nehmen ihn positiv, wenn das obere Ende des verticaleu Meridians der Netzhaut nach rechts abgewichen ist.u 1 Es d\u00fcrfte f\u00fcr die Wirkung dieser Stelle auf die meisten ihrer vielen Leser verh\u00e4ngnifsvoll geworden sein, dafs, solange man sich an den blofsen Wortlaut h\u00e4lt, nichts im Wege zu stehen scheint, diese Position mit der oben sub. I. wiedergegebenen f\u00fcr identisch zu nehmen und dafs der M\u00f6glichkeit einer solchen Auffassung auch sonst an keiner Stelle der \u201ePhysiologischen Optik\u201c entgegen-getreten wird. Dennoch kann daran nicht gezweifelt werden, dafs diejenigen im Rechte sind, die Helmholtz\u2019 Meinung in dieser Sache v\u00f6llig anders deuten.2\nAn sich n\u00e4mlich be weifst der Umstand, das Helmholtz den Raddrehungswinkel als Function des \u201eErhebungs\u201c- und \u201eSeitenwendungswinkels\u201c darstellt11, streng genommen freilich noch nicht, dafs er auch den Begriff des Raddrehungswinkels auf den des Erhebungs- und des Seitenwendungswinkels auf baut. Denn ist der Begriff des Raddrehungswinkels nur so beschaffen, dafs durch das Gesetz der gleichen Netzhautlage bei gleicher Blicklage auch eine bestimmte Gr\u00f6fse des Raddrehungswinkels an eine bestimmte Lage der Blicklinie gebunden ist, so wird, da jede Blicklage durch Erhebung und Seitenwendung im Helmholtz\u2019-schen Sinne herzustellen ist, auch der gesetzm\u00e4fsige Zusammenhang zwischen Erhebungs- und Seitenwendungswinkel einerseits, Raddrehungswinkel andererseits nicht fehlen k\u00f6nnen. Dennoch bleibt die Wahl gerade dieser beiden Winkel auffallend genug, um es als willkommene Rechtfertigung dieser Wahl zu versp\u00fcren,\n1 Phys. 0., 8. 462 der ersten, 8. 618 f. der zweiten Auflage.\n* Vgl. Donders im Archiv f\u00fcr Ophthalmologie, Bd. XVI, W. Sch\u00f6n a. a. O. Bd. XX f., Alfred Graefe in Gbabfe u. Saemisch, Handbuch der gesammten Augenheilkunde, Bd. VI, 8. 8, Hering in Hermann\u2019s Handbuch III, 1. Theil, 8. 492 ff.\na Phys. O., 2. Aufl., S. 619.","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"A. Meinong.\nwenn die Natur der auf jene Winkel gegr\u00fcndeten Function dar* thut, dafs neben der Gesetzm\u00e4fsigkeit noch eine direct aus dem Begriffe des Raddrehungswinkels ersichtliche Beziehung zu Er* hebungs- und Seitenwendungswinkel vorliegt.\n\u201eIn den von mir gebrauchten Bestimmungen\u201c, sagt Helmholtz kurz vor der Einf\u00fchrung des Raddrehungsbegriffes1, \u201ewird die Blicklinie erst mit der Blickebene gehoben, und dann in der Blickebene seitw\u00e4rts gewendet.\u201c An dieses Verfahren kn\u00fcpft auch das, was Helmholtz Raddrehung nennt, an. F\u00e4llt n\u00e4mlich bei der so gewonnenen Endlage der Blicklinie der Netzhauthorizont immer noch in die Blickebene, dann hat im Sinne Helmholtz keine Raddrehung stattgefunden: der Raddrehungswinkel hat Nullwerth. Dagegen hat Raddrehung, positive oder negative, stattgefunden, sobald bei Gelegenheit der Seitenwendung sich der Netzhauthorizont aus der um den Erhebungswinkel aus ihrer Prim\u00e4rstellung verr\u00fcckten Blickebene herausgedreht hat. Streng genommen ist die oben wiedergegebene Helmholtz'scIic Definition des Raddrehungswinkels nur insofern ungenau oder unvollst\u00e4ndig, als darin nicht ausdr\u00fccklich gesagt wird, dafs die Blickebene, mit der der Netzhauthorizont den Raddrehungswinkel ausmacht, nicht die prim\u00e4re, sondern die gehobene resp. gesenkte Blickebene ist; aber allerdings ist eben dieser Zusatz bedeutsam genug, einen v\u00f6llig neuen Begriff zu schaffen.\nDie Richtigkeit dieser Position zu erh\u00e4rten, k\u00f6nnte billig dem Studium der einschl\u00e4gigen Ausf\u00fchrungen Helmholtz\u2019 \u00fcberlassen bleiben, w\u00e4re es dem Leser derselben nicht so schwer gemacht, in der Sache klar zu sehen. Wie die Dinge aber einmal stehen, wird eine Zusammenstellung der Gedanken, durch die ich selbst zur Klarheit gelangt zu sein hoffe, wohl nicht zu pers\u00f6nlich sein2, um auch noch Anderen F\u00f6rderung zu bieten; vielleicht, dafs die Theorie dabei auch sonst nicht ganz leer ausgeht.\nWas oben als Beweiskraft des Zusammenhanges in Anspruch genommen wurde, dem gem\u00e4fs sich Helmholtz\u2019 Raddrehungs-\n1\tA. a. O. S. 618.\n2\tDafs ich nicht der Einzige gewesen bin, der in dieser Sache Schwierigkeiten zu \u00fcberwinden hatte, davon \u00fcberzeugte mich die nachtr\u00e4gliche Kenntnifsnahme von W. Sch\u00f6n\u2019s beiden Mittheilungen \u201eZur Raddrehung\u201c im Archiv f\u00fcr Ophthalmologie, Bd. XX und XXI.","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"Heber Raddrehung, Rollung und Aberration.\n169\nwinkel nach seinem Erhebungs- und Seitenwendungswinkel richtet, betrifft nat\u00fcrlich die bekannte Formel:\nsin a sin \u00df u\tcos a + cos \u00df\nin welcher a den Erhebungs-, \u00df den Seitenwendungs-, y den Raddrehungswinkel bedeutet. Es ist klar, dafs \u00fcber den Sinn, in dem hier das Symbol y zu verstehen ist, nichts einfacher Aufschlufs geben kann, als die Ableitung der Formel : aber man sucht in der \u201ePhysiologischen Optik41 f\u00fcrs Erste vergeblich nach dieser Ableitung. In den mathematischen Ausf\u00fchrungen zum Paragraphen \u00fcber die Augenbewegungen1 trifft man zwar einen Winkel a an ; damit ist aber nicht der Erhebungswinkel, sondern derjenige Winkel gemeint, den die Anfangs- und Endlage der Blicklinie mit einander einschliefsen. Die Symbole \u00df und y kommen darin \u00fcberhaupt nicht vor, und auch von einem \u201eRaddrehungswinkel44 ist darin mit keinem Worte die Rede.\nDa nun aber Helmholtz die Hauptergebnisse seiner Untersuchungen \u00fcber Augenbewegungen bereits vor Abfassung der einschl\u00e4gigen Ausf\u00fchrungen in der \u201ePhysiologischen Optik44 in Graefe\u2019s \u201eArchiv44 niedergelegt hatte2 3 so liegt nahe, sich daselbst Raths zu erholen. In der That findet man nun hier unter dem Titel \u201eBerechnung der Versuche unter Voraussetzung der G\u00fcltigkeit von Listing's Gesetz44 8 die Ableitung des Ausdruckes4\nsin \u00df sin X\nC08 \u00df + cos r\ndessen Uebereinstimmung mit der oben wiedergegebenen Formel sofort in die Augen springt. Wirklich ist hier auch \u00e7 als Symbol f\u00fcr den \u201eRaddrehungswinkel44 eingef\u00fchrt, k\u00f6nnte also f\u00fcr gleichbedeutend mit dem Symbol y der ersten Formel genommen werden.5 Aber X und \u00df sind nicht etwa Erhebungs- und Seiten-\n1 S. 645 ff. der zweiten Auflage.\n* \u201eUeber die normalen Bewegungen des menschlichen Auges\", Archiv f. Ophthalm. Bd. IX, Abth. II, S. 153 ff.\n3\tA. a. O. 8. 206 ff.\n4\tIbid. 8. 210.\n4 Kein Geringerer als Aubert scheint ihn wirklich daf\u00fcr genommen zu haben, vgl. dessen \u201ePhysiologische Optik\u201c in Graefe und Sabmiscb, Handb. d. Augenheilkunde, II. Band, 2. Theil, S. 666.","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170\nA. Mcinong.\nwendungswinkel1 * *, sondern Fick\u2019s \u201eLongitudo\u201c und \u201eLatitudo\u201c* zwei Winkel also, deren ersterer die Drehung um eine vertikale, deren zweiter die um eine urspr\u00fcnglich transversale, bei der erstgenannten Drehung aber mitgenommene Axe bedeutet Und sieht man n\u00e4her zu, so erkennt man nun auch leicht, dafs die hier als Winkel q bezeichnete \u201eRaddrehung\u201c trotz dieser Benennung von dem oben mit y Bezeichneten offenbar v\u00f6llig verschieden ist. Sie setzt n\u00e4mlich schon ihrem Begriffe nach die mit \u00c0 und \u00df bezeichneten Drehungen \u2014 ich fasse sie im Anschl\u00fcsse an W. Sch\u00f6n 3 als Ficxsche Drehung zusammen \u2014 insofern voraus, als die Abweichung (etwa des Netzhauthorizontes) von dem Resultate einer solchen FiCK\u2019schen Drehung eben dasjenige ist, was als Raddrehung gemessen erscheint Befremdlich ist demjenigen, der sich die Bedeutung einer solchen Fick sehen Drehung ausreichend anschaulich gemacht hat, andererseits aber aus der \u201ePhysiologischen Optik\u201c an die dort angewendete, \u00fcbrigens sich auch durch ihre Nat\u00fcrlichkeit empfehlende Weise, die Vorzeichen + und \u2014 zu gebrauchen, gew\u00f6hnt ist, immerhin der sich hier f\u00fcr q ergebende negative Werth. Denn das h\u00e4tte ja etwa wieder f\u00fcr die bereits als Beispiel verwendete Bewegung der Gesichtslinie nach rechts oben die Bedeutung, dafs ein Auge, falls dessen Gesichtslinie durch Ficx'sche Drehung in die angegebene Lage h\u00e4tte gebracht werden k\u00f6nnen, einer Linksdrehung um diese Gesichtslinie als Axe bed\u00fcrfte, um in die dem LiSTiNo\u2019schen Gesetze entsprechende Position zu gelangen. In Wahrheit f\u00fchrt dagegen nur eine Rechtsdrehung zu diesem Ziele. Indes wird gegen das negative Vorzeichen gleichwohl keine Einwendung zu erheben sein, weil Helmholtz bei dieser Berechnung die Vorzeichen doch etwas anders setzt als nachher in der \u201ePhysiologischen Optik\u201c, wie die Bemerkung ergiebt: \u201eDer Winkel \u00df ist... positiv genommen, wenn die Gesichtslinie gehoben ist, i, wenn sie nach links abgelenkt ist.\u201c4 In unserem Beispiele w\u00e4re sie nach rechts abgelenkt, daher negativ, und der resultirende Werth f\u00fcr q positiv.\n1 Obwohl diese Begriffe bereits in der in Rede stehenden Abhandlung aufgestellt sind, vgl. a. a. O. S. 156, wo nur noch die \u201eInnenWendung\u201c die Stelle der \u201eSeitenwendung\" vertritt.\n*\tA. a. O. S. 210.\n*\tArch. f. Ophthalm. Bd. XXI, Abth. 2, 8. 209.\n4 A. a. O. Bd. IX, S. 207.","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"lieber Raddrehung, Rollung und Aberration.\n171\nF\u00fcr den gegenw\u00e4rtigen Zusammenhang ist aber vor Allem die folgende Frage wichtig: wenn die von Helmholtz gegebene Ableitung den Winkel q betrifft, was ist von der gleichlautenden Formel f\u00fcr den Winkel y zu halten? Ihr gem\u00e4fs hat \u201eErhebung\u201c und \u201eSeitenwendung\u201c, die ich im Anschl\u00fcsse an Sch\u00f6n 1 als Helmholtz sehe Drehung zusammenfasse, f\u00fcr den Winkel y genau dasselbe zu bedeuten, wie die Ficitsche Drehung f\u00fcr den Winkel q. Ist letzterer also sozusagen die Differenz zwischen FiCK\u2019scher und LisTiNG\u2019scher Drehung, so ger\u00e4th man nun sofort auf die Vermuthung, es k\u00f6nnte sich beim Winkel y in \u00e4hnlichem Sinne um die Differenz zwischen HELMHOLTz\u2019scher und LisTiNG\u2019scher Drehung handeln. Dafs f\u00fcr Winkel y, wenn man ihn so versteht, wirklich das analoge gilt wie f\u00fcr Winkel q, ergebt folgende Betrachtung.\nDenkt man sich in den Drehpunkt des Auges ein rechtwinkeliges Coordinatensystem gelegt, dessen x-Axe, wie herk\u00f6mmlich, mit der prim\u00e4r gestellten Gesichtslinie zusammenf\u00e4llt, indes die y-Axe transversal, die z-Axe vertikal zu liegen kommt, so ist, um die Gesichtslinie durch Ficx\u2019sche Drehung nach rechts oben zu f\u00fchren, zweierlei erforderlich: zuerst eine Drehung um die z-Axe (Winkel \u00c0), dann eine Drehung um eine vor der ersten Drehung mit der y-Axe zusammenfallende, nach derselben mit der y-Axe den Winkel l einschliefsenden Axe (Winkel /?* *); nach gew\u00f6hnlicher Bezeichnungsweise (conform der von Helmholtz in der \u201ePhysiologischen Optik\u201c angewendeten) sind beide Winkel positiv. Nun denke man sich das Coordinatensystem so in das Auge gelegt, dafs die a>Axe an derselben Stelle bleibt wie zuvor, dagegen die y-Axe und die z-Axe ihre Pl\u00e4tze vertauschen: die neue Lage kann als Erfolg einer Drehung um 90\u00b0 angesehen werden, bei der die ar-Axe die Rolle der Drehungsaxe spielt Diese zweite Lage des Coordinatensystems vorausgesetzt, lassen sich nun die beiden wesentlichen Schritte jener Helmholtz*-schen Drehung, durch welche die Gesichtslinie gleichfalls in die nach rechts oben gewandte Stellung gelangen k\u00f6nnte, so charakteri-\n1 Arch. f. Ophth. Bd. XXI, Abth. 2, S. 207 f.\n* Nat\u00fcrlich ist Fick\u2019s \u201eLatitudo\u201c gemeint: eine Verwechselung mit dem \u00df der anderen Formel (Helmholtz\u2019 Seitenwendungswinkel) ist wohl nicht zu besorgen. Ein Minimum von Verwechselungsgefahr mufs ich hier auf mich nehmen, wenn die Helmholtz'scIio Bezeichnungsweise unge\u00e4ndert bleiben soll.","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"172\n\u00c0. Meinen g.\nsiren : den Anfang macht eine Drehung um die z-Axe (Winkel ff), dann folgt eine Drehung um eine Anfangs mit der y-Axe zusammenfallende, nun mit ihr den Winkel a einschliefsende Axe (Winkel \u00dfl). Um die Vorzeichen dieser Winkel zu bestimmen, mufs man sich nat\u00fcrlich bei der Verdrehung des Coordinaten-system8 aus der ersten in die zweite Lage derart mitgedreht denken, dafs man die y-Axe, obwohl sie nun vertikal steht, in transversaler Lage vor sich hat. Nimmt man, was unter den gegenw\u00e4rtigen Umst\u00e4nden das einfachere ist, die Drehung des Systems als entgegen dem Sinne des Uhrzeigers vollzogen an, dann ist f\u00fcr unser Beispiel a positiv, dagegen \u00df negativ; denkt man sich das System und dessen Beschauer entgegengesetzt (also im Sinne des Uhrzeigers) gedreht, so wird er negativ, \u00df positiv Vergleicht man nun die sonach f\u00fcr die Fick\u2019sehe und die f\u00fcr die \u00dcELMHOLTz\u2019sche Drehung g\u00fcltigen Bestimmungen, so f\u00e4llt deren Gleichartigkeit sofort auf. Hier wie dort erfolgt erst eine Drehung um die z-Axe, dann eine Drehung um die sozusagen verdrehte y-Axe ; nur dem Vorzeichen nach ist von den dabei sich ergebenden Winkeln einer seinem Gegenst\u00fccke ungleich. Da nun aber die Lage des Coordinatensystems willk\u00fcrlich ist, so beweist die auf gewiesene Uebereinstimmung, dafs die analytische Behandlung der Ficx\u2019schen wie der HELMHOLTz\u2019schen Drehung zu \u00fcbereinstimmenden Ergebnissen f\u00fchren mufs, soweit nicht die Verschiedenheit in Betreff der Vorzeichen dabei eine Rolle spielt. Diese Uebereinstimmung mufs ferner auch zu ihrem Rechte kommen, wenn es gilt, das Ergebnifs jeder der beiden Drehungen mit dem Ergebnifs einer LiSTixo\u2019schen Drehung zu vergleichen.\nEin Vorbehalt k\u00f6nnte hierbei freilich noch erforderlich scheinen. Bekanntlich kn\u00fcpft Helmholtz in der \u201ePhysiologischen Optik\u201c seine Bestimmung \u00fcber die Bedeutung der LisTiNG\u2019schen Drehung an den Netzhauthorizont, indem er die Frage stellt: Was wird aus dem vor der Bewegung horizontal stehenden Meridian ? Beziehen wir nun, wie eben geschehen ist, die Helm-HOLTz\u2019sche Drehung auf das Coordinatensystem in seiner zweiten Lage, so mufs der im Sinne des Systems erster Lage als horizontal bezeichnete Meridian f\u00fcr vertikal gelten. Sollte also eine auf die Fick\u2019sehe Drehung bezogene Berechnung auf Grund der\n1 Diesmal iet nat\u00fcrlich der \u201eSeiten wendungewinkel\u201c gemeint.","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Raddrehung, Rollung und \u00c0berration.\n173\neben angestellten Betrachtung mit einer auf Helmholtz'scIio Drehung bez\u00fcglichen auf eine Linie gestellt werden k\u00f6nnen, so m\u00fcfste der ersteren Berechnung gleichfalls ein im Sinne des da-bei verwendeten (d. h. des in erster Lage befindlichen) Coordi-natensystems verticaler Meridian, d. h. also ein verticaler Meridian kurzweg zu Grunde gelegt werden. An der Stichh\u00e4ltigkeit dieser Erw\u00e4gung ist in der That, wie mir scheint, nicht zu zweifeln: f\u00fcr das Endergebnis aber ist dieser Umstand unwesentlich, sofern es sich nur darum handelt, in Winkelgraden anzugeben, was f\u00fcr eine Drehung um die Gesichtslinie erforderlich w\u00e4re, um das Ergebnis der FiCK\u2019schen Drehung einerseits, und dann wieder, um das der HELMHOLTz\u2019schen Drehung andererseits in das Ergebnis der LiSTiNG\u2019schen Drehung \u00fcberzuf\u00fchren. Denn der Winkel, um den dabei der urspr\u00fcnglich horizontale Meridian seine Lage \u00e4ndern mufs, kann kein anderer sein als der, welchen etwa der verticale oder sonst ein Meridian bei dieser Ueberf\u00fchrung beschreibt.\nMan kann also zusammenfassen: auf Grund der n\u00e4mlichen analytischen Schritte, mit deren H\u00fclfe Helmholtz im neunten Bande des \u201eArchiv f\u00fcr Ophthalmologie\u201c den functioneilen Zusammenhang des Winkels q mit Fick\u2019s \u201eLongitudo\u201c und \u201eLati-tudo\u201c dargethan hat, mufs sich der n\u00e4mliche, h\u00f6chstens in Betreff der Vorzeichen abweichende Zusammenhang des HELMHOLTz\u2019schen \u201eErhebungs- und Seitenwendungswinkels11 mit dem Winkel y ergeben, falls letzterer ebenso die Abweichung des HELMHOLTz\u2019schen, wie erstere die des FiCK\u2019schen Drehungsergebnisses vom LisTiN\u00f6\u2019schen bedeutet. Es stimmt dies auf\u2019s Beste mit den Resultaten W. Sch\u00f6n\u2019s1, der mit H\u00fclfe sph\u00e4risch-trigonometrischer Untersuchungen, also auf ganz anderem Wege, zur Feststellung der Uebereinstimmung zwischen den beiden in Rede stehenden Functionen gef\u00fchrt worden ist.\nWir sind damit zugleich zur Beantwortung unserer Ausgangs-frage gelangt, welche die Natur des Winkels zum Gegenst\u00e4nde hatte, den Helmholtz in der \u201ePhysiologischen Optik\u201c als \u201eRaddrehungswinkel\u201c y berechnet. Die Berechnung, k\u00f6nnen wir jetzt sagen, ist richtig, falls der Winkel y der HELMHOLTz\u2019schen Drehung ebenso gegen\u00fcbersteht, wie der Winkel q der FiCK\u2019schen. Der Winkel q ist der Winkel, der erforderlich ist, um bei ge-\n1 Arch. f. Ophth. Bd. XXI.","page":173},{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"174\nA. Mdnong.\ngebener Position der Blicklinie mittels Drehung um die Gesichtslinie aus der Ficx\u2019schen Stellung, wie hier der K\u00fcrze halber zu sagen gestattet sei, in die LisTiNGsche Stellung zu gelangen. In gleicher Weise mufs, soll der Winkel y richtig berechnet sein, dieser den Winkel bedeuten, der beschrieben werden mufs, um das Auge aus der HELMHOLTz\u2019schen Stellung in die LisTiNo\u2019sche \u00fcberzuf\u00fchren. Nun ist es f\u00fcr die \u00dcELMHOLTz\u2019sche Drehung charakteristisch, dafs der Netzhauthorizont auch nach vollzogener Drehung immer noch in der Blickebene liegt, \u2014 aber nat\u00fcrlich nicht in der prim\u00e4ren, sondern in der gehobenen resp. gesenkten Blickebene. Wird also, wie dies bei Helmholtz thats\u00e4chlich der Fall ist, der Netzhauthorizont als derjenige Meridian verwendet, an dessen Lage man gleichsam die Lage des ganzen Auges abliest, so ist nun auch klar, dafs der Netzhauthorizont eines nach dem LiSTiNG\u2019schen Gesetze bewegten Auges mit der Blickebene, aber nat\u00fcrlich wieder mit der gehobenen resp. gesenkten Blickebene, keinen anderen Winkel als eben den Winkel y ein-schliefsen kann. Helmholtz s Raddrehungswinkel ist also der Winkel zwischen Netzhautmeridian und der gehobenen resp. gesenkten Blickebene.\nSchliefslich darf aber nicht unerw\u00e4hnt bleiben, dafs diese Erkenntnifs auch auf directerem Wege bereits der \u201ePhysiologischen Optik\u201c zu entnehmen ist Die Ableitung des Winkels y fehlt n\u00e4mlich doch nicht darin; vielmehr wird er zusammen mit dem Winkel q aus allgemeinen Voraussetzungen heraus bestimmt,1 nur freilich durch die ganz neu eingef\u00fchrten Symbole k und k' mehr verborgen als gekennzeichnet, sowie auch deren Variable unter neuen Symbolen auftreten. Dafs dabei an Stelle des Ausdruckes \u201eBlickebene\u201c der Terminus \u201eVisirebene\u201c bevorzugt wird, verschl\u00e4gt nat\u00fcrlich nichts; und f\u00e4llt dabei auch das Wort \u201eRaddrehung\u201c seltsamer Weise nicht ein einziges Mal, so ist doch dessen Sinn durch diese Berechnung ganz eindeutig der obigen Auffassung gem\u00e4fs interpretirt.\nHI. In ohne Weiteres auffallender Abweichung von I und II baut Hebing den Begriff der Rollung auf den der \u201eeinfachen\n1 A. a. O. S. 495 fl der ersten, S. 658 fl. der zweiten Auflage. Vgl. auch die Nachtrags-Ausf\u00fchrungen S. 853ff. der ersten Auflage, die, wenn ich nicht irre, in die zweite Auflage nicht aufgenommen sind.","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Raddrehung, Rollung und Aberration.\n175\nDrehung\u201c auf1 und die Klarheit seiner Aufstellungen macht alle Interpretation entbehrlich. Einfach gedreht heifst das Auge, wenn es aus der ersten in die zweite Stellung durch Drehung um eine Axe \u00fcberf\u00fchrt gedacht werden kann, die auf der Anfangs- und Endstellung der Gesichtslinie senkrecht steht. Steht die Axe nicht senkrecht oder, was dasselbe ist, kann die senkrechte Axe nur der einen Componente der Drehung zugeschrieben werden, indes die andere Componente die Gesichtslinie zur Axe hat, dann liegt Rollung vor. Der Rollungswinkel aber liefse sich dann einfachst etwa in folgender Weise bestimmen: Die Ebene, in welche die Gesichtslinie sowohl in ihrer Anfangs- als in ihrer Endstellung zu liegen kommt, schneidet das Auge in seiner ersten und zweiten Stellung in je einem Meridian; der Winkel, den die beiden Meridiane einschliefsen, ist der RollungswinkeL\nIV. Haupts\u00e4chlich um nicht wissentlich unvollst\u00e4ndig zu sein, mufs ich nun auch noch daran erinnern, dafs man nicht selten auch dort von einer \u201eRaddrehungscomponente\u201c spricht, wo es sich darum handelt, sich \u00fcber die Wirkungsweise der einzelnen Augenmuskeln schematisch zu orientiren. Mit \u201eRaddrehung\u201c ist dann stets die Drehung um eine sagittale Axe gemeint. Dem Gedanken der Drehung um die Gesichtslinie l\u00e4fst sich auch diese Bedeutung unterordnen, solange das Auge seine Prim\u00e4rstellung bewahrt, nicht aber dar\u00fcber hinaus. W\u00e4hrend also bei den anderen Bedeutungen unseres Terminus die Stellung der Gesichtslinie sozusagen willk\u00fcrlich bleibt, ist sie hier vorgegeben und zwar so, dafs in den Secund\u00e4rlagen Drehung um dieselbe nirgends mehr mit Raddrehung in diesem Sinne zusammenf\u00e4llt Jedenfalls steht diese Bedeutung den drei vorerw\u00e4hnten an theoretischem wie praktischem Belang so erheblich nach, dafs im Folgenden auf sie zur\u00fcckzukommen entbehrlich sein m\u00f6chte.\nImmerhin l\u00e4fst sich aber der Gedanke an die Drehung um die sagittale Axe von dem der unver\u00e4nderlich sagittal gestellten Gesichtslinie auch losl\u00f6sen. Eine Augenbewegung k\u00f6nnte dann frei von Raddrehung heifsen, sofern keine Componente derselben in die sagittale Richtung f\u00e4llt; der Raddrehungswinkel w\u00e4re dann nat\u00fcrlich wieder die durch Drehung um die Gesichtslinie\n1 Hirmahn\u2019b Handbuch III, 1, 8. 469 f. Vgl. bereite \u201eDie Lehre vom binocularen Sehen\u201c S. 63 ff.","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"176\nA. Meinong.\nzu charakterisirende Abweichung von dieser Position. F\u00fcr den Fall, dafs die in diesem Sinne als raddrehungslos der Betrachtung zu Grunde gelegte Bewegung eine einfache Drehung ist, f\u00e4llt diese Bestimmung mit einem speciellen Falle der eben sub ID besprochenen zusammen. Denkt man sich dagegen zwei einfache Drehungen hinter einander vorgenommen, die der Bedingung, keine sagittale Componente zuzulassen, beide gen\u00fcgen, so findet man sich in einem ausgezeichneten Specialfalle auf ein Ergebnils gef\u00fchrt, durch welches der in Rede stehende modificirte Be-griff IV zu den obigen Begriffen I und II in imerwartete Beziehungen tritt. Dieselben werden im Verlaufe der folgenden Untersuchungen von selbst zum Vorschein kommen1; im Uebrigen wird auch dieser modificirte Begriff IV im Folgenden unber\u00fccksichtigt bleiben k\u00f6nnen.\n\u00a7 3. Rotation. Raddrehung und Rollung.\nMehrdeutigkeiten pflegen dem unsch\u00e4dlich zu sein, der sie erkannt hat. Aber sie bergen jederzeit die Gefahr in sich, unerkannt zu bleiben. Das hat sich auch an der Theorie der Augenbewegungen reichlich bew\u00e4hrt2, so dafs die Frage, ob an Stelle Eines technischen Ausdruckes mit drei oder vier verschiedenen Bedeutungen nicht mehrere Ausdr\u00fccke mit nur je Einer Bedeutung zu setzen w\u00e4ren, sich von selbst aufdr\u00e4ngt\n1\tVgl. den Schlafs von \u00a7 8.\n2\tDafs die in den beiden vorigen Paragraphen ber\u00fchrten Schwierigkeiten ihre Actualit\u00e4t bis in die j\u00fcngste Vergangenheit herein bewahrt haben, zeigt eine der neuesten einschl\u00e4gigen Publicationen, 0. Zoth\u2019s oben bereits erw\u00e4hnte Schrift \u00fcber die Augenmuskel-L\u00e4hmungen. Auf S. 10 derselben findet man den Begriff der Raddrehung im Sinne der Hklmholtz\u2019-schen Definition eingeftihrt: der Sinn aber, in dem der Terminus weiterhin Anwendung findet, ist nicht der HELMHOi/rz\u2019sche. Auf S. 12 bei Zerlegung der Muskelkr\u00e4fte in ihre Componenten beruft sich der Autor selbst auf das FiCK\u2019sche Coordinatensystem : aber die sich dabei ergebende, in Tafel I dargestellte Rotations-Componente wird gleichwohl von ihm Raddrehungs-Componente genannt. Auch das zweite und dritte \u201eGesetz der Augenbewegungen\u201c (S. 10 f., vgl. die \u00fcbereinstimmende Zeichnung S. 22) mufs, da es sich um die Neigung des verticalen Meridians handelt, gem\u00e4fe den Bestimmungen auf S. 12 f. je ein Gesetz \u00fcber Raddrehung sein. Beide Gesetze aber sagen genau das Gegentheil dessen aus, was Helmholtz von seinen Raddrehungen behauptet. Der Brauchbarkeit und dem Werthe der in Rede stehenden Arbeit thut \u00fcbrigens dieser Mangel keinen Eintrag.","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Raddrehung, Rollung und Aberration.\n177\nGanz ohne Convention k\u00f6nnte eine solche Reform freilich nicht zu Stande kommen ; wer aber den guten Willen hat, es zu einer solchen zu bringen, wird im gegenw\u00e4rtigen Stande der Angelegenheit g\u00fcnstige Vorbedingungen hierf\u00fcr antreffen. Vor Allem liegt nicht Ein mehrdeutiger Terminus vor, sondern es stehen solcher Ausdr\u00fccke zwei zur Verf\u00fcgung, die man promiscue f\u00fcr dieselbe Sache zu gebrauchen pflegt, n\u00e4mlich die W\u00f6rter Raddrehung und Rollung: nichts liegt n\u00e4her, als diesen Ueber-flufs der Beseitigung jenes Mangels nutzbar zu machen. Dann aber ist eine diesbez\u00fcgliche Reform des Sprachgebrauches schon mehrfach angebahnt, und endlich sind von den oben aus einander gehaltenen vier Bedeutungen ohnehin nur die drei ersten wichtig genug, um die Feststellung je eines besonderen Terminus w\u00fcnschenswerth erscheinen zu lassen.\nIndes m\u00f6chte sich empfehlen, ehe in dieser Weise eine angemessene Sonderung der Begriffe und Vertheilung der Termini herbeizuf\u00fchren versucht wird, dem Gesammtgebiete, das sich wenigstens bisher, wenn auch augenscheinlich mehr als billig, als Ganzes behauptet hat, eine eindeutige, aber nicht pr\u00e4-judicirende Bezeichnungsweise zu sichern. Dazu dient ungezwungen ein Moment, das wir schon vom Beginne dieser Untersuchungen an als ein allen hierhergeh\u00f6rigen Begriffen in irgend einer Weise angeh\u00f6riges erkannten: der Gedanke der Drehung um die Gesichtslinie als Axe. Drehungen um diese Axe sollen im Folgenden allgemein als \u201eRotationen\u201c bezeichnet werden. Streng genommen haben auf diesen Namen freilich alle Augenbewegungen Anspruch, die nicht, oder sofern sie nicht Translationen sind. Aber von einer Anwendung dieses \u2022 Wortes in engerer Bedeutung sind wohl keine MifsVerst\u00e4ndnisse zu besorgen, \u2014 um so weniger, je besser es der theoretischen Bearbeitung gelingen m\u00f6chte, die verschiedenen durch erst zu pr\u00e4cisirende Beziehungen zu dieser \u201eRotation\u201c verbundenen Begriffe aus einander zu halten. Diese Begriffe selbst aber k\u00f6nnen wir passend unter dem Namen der \u201eRotationsbegriffe\u201c zusammenfassen.\nDas N\u00e4chste, wof\u00fcr im Interesse geh\u00f6riger Sonderung dieser Begriffe eingetreten werden mufs, ist nun dies, dafs davon abgegangen werde, die W\u00f6rter \u201eRaddrehung\u201c und \u201eRollung\u201c synonym anzuwenden. Es ist dies im Grunde nur die Wiederholung des schon vor fast dreifsig Jahren von Hering gemachten Vor-\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XYII.\t12","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"178\nA. Meinong.\nSchlages/ zur Bezeichnung des oben charakterisirten Falles III an Stelle des herk\u00f6mmlichen (fr\u00fcher* auch von Hering selbst gebrauchten) Ausdruckes \u201eRaddrehung\u201c wegen dessen oft ganz anderer Bedeutung den Ausdruck \u201eRollung\u201c zu setzen.\nAcceptirt man nun ferner auch den positiven Theil dieses Vorschlages, was bei der Wichtigkeit und Sch\u00e4rfe der von Hering gegebenen Begriffsbestimmung im Grunde nur selbstverst\u00e4ndlich ist, so bleibt in Betreff des Ausdruckes \u201eRaddrehung\u201c nur noch die Wahl zwischen Bedeutung I und Bedeutung II offen, falls man nicht etwa vorzieht, Beides als Raddrehung zu bezeichnen und nur noch f\u00fcr eine terminologische Differentiation zu sorgen. Wirklich ist auch ein solcher Vorschlag gemacht worden : Gbaefe hat f\u00fcr den in Uebereinstimmung mit ihm oben sub II bestimmten Begriff den Ausdruck \u201eHELMHOLTz\u2019sche Raddrehung\u201c in Anspruch genommenn und Aubert hat dieser Bezeichnungsweise zugestimmt.1 * * 4 Man k\u00f6nnte dann etwa, ohne Zweifel im Sinne wenigstens des erstgenannten Autors, den oben sub I formulirten Begriff als \u201eDoNDERs\u2019sche Raddrehung\u201c benennen. Aber man weifs, wie wenig so zusammengesetzte Ausdr\u00fccke das zu leisten im Stande sind, was man von einem wirklich handlichen terminologischen H\u00fclfsmittel zu erwarten berechtigt ist.R Zudem schliefst die Zueignung eines Terminus an einen Autor, auch wenn sie in ganz anderem als historischem Interesse erfolgt, doch jederzeit Behauptungen \u00fcber wissenschaftsgeschichtliche Thats\u00e4chlichkeiten in sich, f\u00fcr deren Richtigkeit nur derjenige einstehen k\u00f6nnte, der eigens darauf hin die \u00e4ltere Literatur zur Theorie der Augenbewegungen einem eingehenden\n1 \u201eDie Lehre vom binocularen Sehen\" S. 63.\n*\tVgl. z. B. \u201eBeitr\u00e4ge zur Physiologie\" S. 259.\n*\tHandbuch der Augenheilkunde Bd. VI, S. 8.\n4 A. a. O. Bd. II, Theil 2, 8. 657. Auch W. Sch\u00f6n spricht gelegentlich (Arch. f. Ophthalm, Bd. XXI, Abth. II, S. 210) von \u201eHkLMHOLTz\u2019scher Baddrehung\", der er die \u201eFiCK\u2019sche\" zur Seite stellt.\nDer Uebelstand m\u00fcfste sich im Zusammenh\u00e4nge der gegenw\u00e4rtigen Darlegungen besonders st\u00f6rend f\u00fchlbar machen, nachdem wir einige analog gebaute Ausdr\u00fccke (\u201eHELMHOLTz\u2019sche Drehung\", \u201eLiSTiNG\u2019sche Drehung\", \u201eFicx\u2019sche Drehung\") in Gebrauch genommen haben, was an sich im Hinblick auf das minder h\u00e4ufige Vorkommen dieser Termini wohl zu recht-fertigen war, indes man Cumulationen wie: \u201e\u00dcELMHOLTz\u2019sche Drehung hat HELMHOLTz\u2019sche Raddrehung von der Gr\u00f6fse 0 zur Folge\" doch lieber vermeiden wird.","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Raddrehuny, Rollung und Aberration.\n179\nStudium unterzogen h\u00e4tte. Ohne mich so genauer historischer Kenntnifs in der ziemlich verwickelten Angelegenheit r\u00fchmen zu d\u00fcrfen, kann ich doch wenigstens darauf hinweisen, dafs Donders sich einerseits auch des Ausdruckes \u201eRollung\u201c bedient1 *, andererseits gelegentlich sogar f\u00fcr Vermeidung der Bezeichnung \u201eRaddrehung\u201c eingetreten ist8, indes es hinwiederum auch nicht an Gr\u00fcnden fehlen m\u00f6chte, unseren Begriff I nach dem Vorg\u00e4nge W. Sch\u00f6n's mit den Untersuchungen Fick\u2019s in eine schon ber\u00fchrte Beziehung zu bringen, von der weiter unten noch besonders zu reden sein wird. Kurz, so weit ich sehe, thun wir besser von dergleichen zueignenden Terminis v\u00f6llig abzusehen, also, wie von \u201eRollung\u201c ohne Beisatz geredet werden kann, so auch von \u201eRaddrehung\u201c ohne Beisatz zu sprechen. Bei der Verbreitung aber, welche durch Helmholtz speciell dem Begriffe II unter dem Namen der Raddrehung zu Theil geworden ist, scheint mir angemessen, von anderen Bedeutungen f\u00fcr dieses Wort abzusehen und unter Raddrehung jeder Zeit nur das zu verstehen, was Helmholtz unter diesem Namen definirt hat.\nDie beiden herk\u00f6mmlichen Ausdr\u00fccke \u201eRaddrehung\u201c und \u201eRollung\u201c sind in dieser Weise eindeutig bestimmt: aber unser Begriff I ist bei dieser Vertheilung der Namen leer ausgegangen. Ehe wir versuchen, diesem Uebelstande abzuhelfen, m\u00f6chte eine etwas n\u00e4here Erw\u00e4gung der Thatsachen und Bed\u00fcrfnisse am Platze sein, auf die dieser Begriff gegr\u00fcndet ist.\n\u00a7 4. Die \u201esch\u00e4dliche\u201c Rotation.\nEs empfiehlt sich zu diesem Ende, \u00fcber den Bereich des Begriffes I insofern noch einmal hinauszugreifen, als zur Beantwortung der Frage erforderlich ist, aus welchem theoretischen Bed\u00fcrfnisse denn eigentlich die oben sub I\u2014IV zusammengestellten Begriffsbildungen hervorgegangen sind. Die Frage macht freilich sogleich die Voraussetzung, dafs es ein und dasselbe Bed\u00fcrfnifs ist, dem diese verschiedenen Begriffe dienen sollen: aber es ist nicht zu besorgen, dafs jemand diese Annahme mit seinen pers\u00f6nlichen und literarischen Erfahrungen unvereinbar finden wird. Ueberdies l\u00e4fst der Umstand, dafs man f\u00fcr diese verschiedenen Begriffe denselben Namen, mochte\n1 Vgl. z. B. \u201eHoll\u00e4ndische Beitr\u00e4ge\u201c Bd. I, S. 117.\n* So Archiv f\u00fcr Ophthalm. Bd. XVI, S. 158.\n12*","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180\nA. Meinong.\ndieser nun \u201eRaddrehung\u201c oder \u201eRollung\u201c lauten, gleich anwendbar fand, vermuthen dafs die Uebereinstimmung im theoretischen Zwecke \u00fcber die Verschiedenartigkeit der diesem wirklich oder vermeintlich zugewendeten Mittel hinwegget\u00e4uscht haben wird.\nL\u00e4fst sich also n\u00e4her angeben, was dieser so verschieden bestimmten \u201eDrehung um die Gesichtslinie\u201c eigentlich in solchem Ma&fse die allgemeine Aufmerksamkeit zugewendet hat? Jeder kann darauf, wie ich meine, die Antwort aus eigener Erfahrung geben, der sich der Umst\u00e4nde noch zu erinnern weifs, unter denen er selbst zur Einsicht gelangt ist, wie wenig eine bestimmte Stellung der Gesichtslinie an sich bereits eine bestimmte Stellung des Auges ausmacht. Hat man einmal in der Drehung um die Gesichtslinie eine aus nahe liegenden Gr\u00fcnden vorher nie bedachte M\u00f6glichkeit erkannt, dann erhebt sich sofort die Frage nach den Folgen der Verwirklichung dieser M\u00f6glichkeit f\u00fcr die Sehpraxis, und man erkennt ohne Weiteres, wie durch eine unbeschr\u00e4nkte, uncontrolirte Rotationsf\u00e4higkeit des Auges um seine Gesichtslinie alles Sehen von Lagen illusorisch gemacht werden m\u00fcfste.\nFragt man sich n\u00e4mlich nach den Bedingungen, an die zun\u00e4chst beim ruhend gedachten Auge das Sehen von Lagen (mit Einschlufs des Wiedererkennens vorher gesehener Lagen) gebunden ist, so ist es vor Allen Ein Umstand, auf den man sich als auf ein selbstverst\u00e4ndliches Erfordemifs hingewiesen findet Wie immer das Auge dazu gelangt sein mag, uns zur Erkenn tnifs der horizontalen, verticalen oder schr\u00e4gen Lage einer gesehenen Linie zu verhelfen, so viel scheint unerl\u00e4fslich, dafs bei der Wahrnehmung der betreffenden Lage Netzhautstellen functioniren, deren eigene Lage der Lage des Gesehenen in gewisser Weise gesetzm\u00e4fsig zugeordnet ist. Ueber die Natur dieser Gesetzm\u00e4fsig-keit ist dadurch noch nichts vorbestimmt : dagegen f\u00fchrt die physikalische1 Thatsache des Netzhautbildes sofort auf einfachste Annahmen in Betreff dieser Gesetzm\u00e4fsigkeit. Sofern sich Horizontales horizontal, Verticales vertical, Schr\u00e4ges schr\u00e4g abbildet (von der dritten Dimension nat\u00fcrlich abgesehen), scheinen hori-\n1 Vgl. die musterg\u00fcltige Auseinanderhaltung des Physikalischen, Physiologischen und Psychologischen am r\u00e4umlichen Sehen in A. H\u00f6fler\u2019s Psychologie, Wien 1897, S. 287 ff.","page":180},{"file":"p0181.txt","language":"de","ocr_de":"lieber Raddrehung, Rottung und Aberration.\n181\nzontale, verticale sowie entsprechend schr\u00e4ge Netzhautschnitte diejenigen Complexe von Netzhautelementen zu bezeichnen, mit deren H\u00fclfe sich die Wahrnehmung der betreffenden Lagen naturgem\u00e4fs vollzieht. Im Ganzen, d. h. wenn man Unrege 1-m\u00e4fsigkeiten vernachl\u00e4ssigt, wie sie namentlich in der Netzhau t-incongruenz liegen, stimmt diese Annahme auch mit der Erfahrung bestens \u00fcberein, solange man sich an die \u201enat\u00fcrliche11 Augenstellung desjenigen h\u00e4lt, der geradeaus vor sich in die Ferne blickt.\nWie aber, wenn das Auge, w\u00e4hrend es einen bestimmten Punkt fixirt, sich um die Gesichtslinie als Axe drehen kann? Man kann nicht verkennen, dafs dadurch die ganze eben ber\u00fchrte Gesetzm\u00e4fsigkeit in Betreff der Zuordnung zwischen bestimmten Lagen der sichtbaren Objecte und den durch sie afficirten Netzhautschnitten aufgehoben ist. K\u00f6nnte nun der Sehende sein eigenes Netzhautbild sehen, dann liefse sich freilich denken, dafs ihm die objectiv horizontale oder verticale Lage des Bildes die entsprechende Lage des Objectes k\u00f6nnte erkennen lassen. Oder wenn der Sehende wenigstens von Sinn und Betrag jener angenommenen Rotationsbewegung eine Empfindung h\u00e4tte, dann k\u00f6nnte er den Umstand, dafs in Folge der Rotation dieselbe Horizontale, die sich fr\u00fcher auf gewissen Netzhautelementen abgebildet hat, nun andere Elemente erregt, irgendwie in Rechnung bringen. Ist aber nichts davon der Fall, dann scheint unabsehbar, wie eine Wahrnehmung von Lagen noch vor sich gehen soll.\nUnd was von ruhender Gesichtslinie gilt, mufs nun ebenso von bewegter Gesichtslinie gelten. W\u00e4hrend aber, solange das Auge wenigstens anscheinend unbewegt ist, der Gedanke, es k\u00f6nnte eine unbemerkte Rotation um die Gesichtslinie ein-treten, fast nur den Charakter einer auf blofse M\u00f6glichkeiten gerichteten Erw\u00e4gung zeigt, gewinnt die Schwierigkeit dort, wo irgend eine Bewegung, zun\u00e4chst die der Gesichtslinie, nachweislich vorliegt, ein durchaus praktisches Ansehen. Wenn einmal die M\u00f6glichkeit solcher Rotationsbewegungen in s Auge gefafst werden mufs, wer b\u00fcrgt mir daf\u00fcr, dafs sie ausbleiben, wenn die Gesichtslinie sich bewegt, \u2014 falls sie mit Bewegungen der Letzteren nicht etwa gar durch geometrische Nothwendigkeit verkn\u00fcpft sind?\nMit Einem Worte: der Gedanke an die M\u00f6glichkeit einer","page":181},{"file":"p0182.txt","language":"de","ocr_de":"182\nDrehung des Auges um die Gesichtslinie wirkt, wenn man ihn zum ersten Male erfafst, wie die Erkenntnifs einer bisher immer \u00fcbersehenen Gefahr, und es erw\u00e4chst daraus das Bed\u00fcrfnifs, festzustellen, ob die M\u00f6glichkeit zugleich auch als Chance oder gar unter Umst\u00e4nden als Wirklichkeit auftrete. Ein Theil dieser Gefahr kommt nun freilich gegen\u00fcber dem Gesetze von der gleichen Netzhautlage bei gleicher Blicklage aufser Betracht: es wird dadurch wenigstens f\u00fcr jede Blicklage eine gesetzm\u00e4fsige Beziehung zwischen der Lage der Objecte und der durch diese gereizten Netzhautelemente m\u00f6glich. Aber das Gesetz schliefst nicht aus, dafs diese Beziehung f\u00fcr jede Blicklage eine andere sein k\u00f6nnte, was, recht grofse Ver\u00e4nderungen in der Beschaffenheit dieser Beziehung angenommen, das Sehen der Lagen immer noch aufserordentlich erschweren, vielleicht unm\u00f6glich machen m\u00fcfste. Dem steht der Fall des Gleichbleibens jener Beziehungen f\u00fcr beliebige Blicklagen als der vom Standpunkte der damit verbundenen psychischen Leistungen ideal zu nennende Fall gegen\u00fcber, derselbe, der jedem wahrscheinlich als selbstverst\u00e4ndlich realisirt erschienen ist, solange er an die M\u00f6glichkeit jener Rotationsbewegungen nicht dachte. So f\u00fchren sich diese Bewegungen als in besonderem Maafse disteleologisches Moment1 ein, und das Interesse, das ihnen zugewendet wird, hat ohne Zweifel in erster Linie diesen psychologisch-praktischen Hinter grand.\n\u00a7 5. Aberration.\nSo nat\u00fcrlich sich nun aber diese ihrem Wesen nach teleologische Betrachtungsweise an den Gedanken der Rotation um die Gesichtslinie anschliefst, so wenig wird verkannt werden d\u00fcrfen, dafs jenes disteleologische Moment doch nicht etwa in der Rotation selbst liegt. Denn es ist sowohl eine Rotation denkbar ohne Zweckwidrigkeit, als die Zweckwidrigkeit ohne Rotation.\nErsteres erhellt in recht \u00e4ufserlicher, gleichwohl einem Einwurfe kaum ausgesetzter Weise aus jeder Drehung, die einen durch vorhergehende Drehung angerichteten Schaden dadurch gut macht, dafs sie jene compensirt. Die Annahme, bei\n1 Bezeichnend redet Wundt einmal von der \u201esch\u00e4dlichen Rollung\u201c vgl. Physiol. Psych. Bd. IL S. 115.","page":182},{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"lieber Raddrehung, Rollung und Aberration.\n183\neiner Bewegung der Gesichtslinie aus der Stellung A in die Stellung B k\u00f6nnte das Auge erst eine gewisse Linksdrehung, dann eine eben so grofse Rechtsdrehung um die Gesichtslinie ausf\u00fchren, ist freilich k\u00fcnstlich genug ; aber man erkennt daraus, wie wenig es im Grunde in unserer Sache auf die Drehung selbst, wie ausschliefslich es hingegen auf das Ergebnifs der allf\u00e4lligen Drehung ankommt.\nDoch auch noch Anderes warnt uns im selben Sinne davor, allzusehr bei der Drehung selbst zu verweilen. Da die Angelegenheit der \u201esch\u00e4dlichen\u201c Rotation wohl kaum je f\u00fcr den Fall der ruhenden Gesichtslinie in Betracht gezogen worden sein wird, \u00fcberdies das Gesetz von der gleichen Netzhautlage bei gleicher Blicklage eine andere Eventualit\u00e4t als die der bewegten Blicklinie gar nicht in Erw\u00e4gung zu ziehen gestattet, haben wir mit der in Rede stehenden Rotation nie als mit einer isolirten, sondern stets als mit einer an andersartige Bewegung gekn\u00fcpften Begleitthatsache zu thun. Man kann sich diese Begleitrotation an der sich bewegenden Gesichtslinie sozusagen selbst\u00e4ndig vor-genommen denken, oder aber (im Gegensatz zu solcher Drehung um \u201ebewegliche Axenu) in die Bewegung der Gesichtslinie um eine feste Axe als Componente implicirt: nat\u00fcrlich aber kann solche explicite und implicite Rotation Zusammentreffen, einerlei ob simultan oder successiv. Nun d\u00fcrfte implicite Rotation um die Gesichtslinie ohne explicite jederzeit \u201esch\u00e4dlich\u201c sein, explicite ohne implicite wenigstens in der Regel.1 Dagegen k\u00f6nnen explicite und implicite Rotation unter g\u00fcnstigen Umst\u00e4nden einander com* pensiren und dann mufs wenigstens eine von beiden Rotationen im Einblick auf die andere \u201en\u00fctzlich\u201c heifsen.\nVon noch weit gr\u00f6fserer charakteristischer Bedeutung scheint mir nun aber die zweite der oben erw\u00e4hnten M\u00f6glichkeiten, die n\u00e4mlich, dafs der \u201eSchaden\u201c in Betreff der Orientirung eintreten kann auch ohne Rotation um die Gesichtslinie. Das beleuchtet der schon zu Beginn dieser Mittheilung2 dargelegte Thatbestand der LiSTiNG\u2019schen Bewegung. Den dort gebrauchten Ausdruck \u201eRaddrehung\u201c werden wir nunmehr nat\u00fcrlich lieber vermeiden, und ein Ersatz daf\u00fcr steht uns vorerst noch nicht zu Gebote; doch das Eine unterliegt jetzt keinem Zweifel, dafs hier von\n1 Die Ausnahme soll sogleich zur Sprache kommen.\ns Vgl. oben S. 163 ff.","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184\nA, Mtinong.\neiner Drehung um die Gesichtslinie in keinem Sinne die Rede sein kann. Es ist ja gerade der LiSTiNG\u2019schen Drehung wesentlich, eine in die Gesichtslinie fallende Axe ex definitione auszuschliefsen* Dennoch hat eine solche Drehung den Erfolg, dafs die Lage eines Netzhautmeridians, auf dem sich in der Prim\u00e4rstellung eine beliebig schr\u00e4ge Linie abbildete, sich bei Bewegung der Gesichtslinie aus der Prim\u00e4rstellung heraus mehr oder weniger einer Lage ann\u00e4hert, in der das Bild einer horizontalen Linie auf ihn fallen k\u00f6nnte. Dafs dergleichen m\u00f6glich ist, mag den, der es sich zum ersten Male klar macht, immerhin \u00fcberraschen; die M\u00f6glichkeit hat aber offenbar darin ihren Grund, dafs f\u00fcr eine mit dem Auge fest verbunden gedachte Netzhautschnittebene der Weg von der verticalen Lage zur horizontalen allerdings durch Drehung um die Gesichtslinie genommen werden kann, aber aufserdem auch noch durch Drehung um eine Axe, die auf der Verticalen und der Gesichtslinie senkrecht steht, kurz um die Transversalaxe, welche nat\u00fcrlich durchaus keine in die Gesichtslinie fallende Componentenaxe aufweist Es ist damit bewiesen, dafs Orientirungsst\u00f6rungen sehr wohl m\u00f6glich sind, die nicht auf Rotation um die Gesichtslinie zur\u00fcckgehen. Nur in der Weise w\u00e4re hier noch eine Verbindung mit dem Rotationsgedanken herzustellen, dafs Fehler der in Rede stehenden Art durch angemessene Rotation um die Gesichtslinie corrigirt werden k\u00f6nnten: das ist aber dann keine \u201esch\u00e4dliche\u201c sondern eine n\u00fctzliche Rotation, \u2014 es ist der oben bereits angedeutete Fall, in dem eine explicite Rotation um die Gesichtslinie keine disteleologische Bedeutung h\u00e4tte, obwohl eine zu compensirende implicite Rotation nicht vorl\u00e4ge.\nDamit scheint mir erwiesen, dafs das Interesse, welches der Frage zugewendet ist, ob das Auge am Ende einer Bewegung die durch die Anfangslage bedingte Orientirung verloren hat oder nicht, sich im Grunde ganz mit Unrecht an die Rotation um die Gesichtslinie h\u00e4lt, da vielmehr nur die wie immer zu Stande gekommene Abweichung von der Anfangslage wesentlich ist, soweit diese Abweichung n\u00e4mlich als f\u00fcr den Orien-tirungszustand des Auges charakteristisch in Betracht kommt Ich will diese Abweichung als Aberration bezeichnen1 und versuche\n1 Eine Verwechselung mit der in der Physik gebr\u00e4uchlichen Bedeutung des Wortes wird ja wohl nicht zu besorgen sein.","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Raddrehung, Rollung und Abeivation.\n185\ndamit einen Terminus einzuf\u00fchren, der zun\u00e4chst die Lage des Auges am Ende seiner Bewegung im Vergleich mit der wie immer beschaffenen Anfangslage betrifft, aber mit Vortheil dahin eingeschr\u00e4nkt wird, dafs er f\u00fcr die verschiedenen Endstellungen im Hinblick auf eine allen Bestimmungen gemeinsam zu Grunde zu legende Ausgangsstellung gilt. Seit die Prim\u00e4rstellung bekannt ist, kann ein Zweifel dar\u00fcber nicht aufkommen, dafs und warum sie und nur sie die in Rede stehende Ausgangsstellung sein kann.\n\u00a7.6. Genauere Pr\u00e4cisirung des Aberrationsbegriffes.\nWas hier also mit dem Ausdrucke \u201eAberration\u201c gemeint ist, l\u00e4fst sich f\u00fcrs Erste am leichtesten an dem Thatbestande kennzeichnen, der vorliegt, sofern eine Aberration nicht vorhanden ist. Frei von Aberration wird eine Augenstellung n\u00e4mlich heifsen m\u00fcssen, sofern sich in derselben horizontal, vertical oder in bestimmter Weise schr\u00e4g gegen einander gelegene Punkte im Aufsenraume auf solchen Gruppen von Netzhautelementen abbilden, die auch in der Prim\u00e4rstellung zur Wahrnehmung horizontaler, verticaler oder in der betreffenden Weise schr\u00e4ger Richtungen zusammengewirkt haben oder doch zu-sammenwirken konnten. Versucht man nun aber darauf hin auch positiv zu sagen, worin die Aberration besteht und was ihre Gr\u00f6fse bestimmt, so sind nun doch noch einige Erw\u00e4gungen erforderlich.\nEs handelt sich dabei vor Allem darum, den bisher vom Auge als Ganzem genommenen Aberrationsgedanken dadurch zu pr\u00e4cisiren, dafs man ihn sozusagen an eine bestimmte, in m\u00f6glichst geeigneter Weise auf der Netzhaut festgelegte Linie kn\u00fcpft Als solche wird seit Helmholtz ziemlich allgemein der Netzhauthorizont bevorzugt; es liegt darauf hin nahe, in dem Winkel, den der in eine zweite Lage gedrehte Netzhauthorizont mit seiner prim\u00e4ren Lage einschliefst, Wesen und Maafs der Aberration f\u00fcr diese secund\u00e4re Lage zu erblicken, wobei nat\u00fcrlich statt des horizontalen Meridians besser die Ebene in Betracht zu ziehen ist, als deren Schnittlinie er angesehen werden kann. Aber zwischen der urspr\u00fcnglichen und der verdrehten Horizontal* ebene ist auch bei einfacher Hebung oder Senkung des Blickes ein Winkel anzutreffen, und niemand wird hier von Aberration reden wollen. W\u00e4hlt man nun statt des horizontalen den ver-","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"k\n186\nticalen Meridian, resp. die durch ihn gelegte Verticalebene, ist zwar f\u00fcr Hebung und Senkung der Mifsstand beseitigt, ste Bich aber daf\u00fcr in Betreff reiner Rechts- oder Linkswendung gleich auff\u00e4lliger Weise heraus* Fast m\u00f6chte man bedauei dafs der Gedanke der Rotation um die Gesichtslinie sich i ungeeignet erwiesei^ hat, als H\u00fclfsbestimmung herangezogi zu werden.\nEin Anderes kommt hinzu. Es ist leicht, sich eine Art Id* von Aberrationsfreiheit in dem Sinne zu bilden, dafs horizonta verticale und schr\u00e4ge Linien des Aufsenraumes sich auf d> horizontalen, vertiealen und schr\u00e4gen (d. h. in der Prim\u00e4rstellui horizontal, vertical und schr\u00e4g gewesenen) Netzhautmeridiam oder auf Parallelkreisen zu denselben abbilden. Man mufs ni aber doch auch bedenken, dafs dieses Ideal nur f\u00fcr ein auf d Gesichtslinie oder doch auf der Ebene des (urspr\u00fcnglich) ver calen Meridians senkrechten Gesichtsfelde realisirbar ist, i des bei anders gestellten (ebenen) Gesichtsfeldern die Projecti\u00ab eich Abweichungen erzwingt, f\u00fcr welche der Aberration sozusag\u00ab die Verantwortung aufzuerlegen handgreiflich unnat\u00fcrlich w\u00e4i\nDiesem letzteren Umstande wird Rechnung getragen werd< k\u00f6nnen, falls an den verschiedenen an der Netzhaut festlegbar\u00ab Linien (Meridianen oder Schnitten) nicht alle den Projektior anomalien, wenn man so sagen darf, in gleichem Maafse unfe worfen sind: es empfiehlt sich dann nat\u00fcrlich, die Thatsacl der Aberration ex definitione gleichsam an denjenigen Ne1 hautmeridian zu kn\u00fcpfen, an dem sie am reinsten zum Vorsche kommt. In der That ist nun in diesem Sinne auf die sch< von Donders1 hervorgehobene Vorzugsstellung des Vertical\u00ab hinzuweisen, die damit zusammenh\u00e4ngt, dafs der Raum zw: zwei horizontale Dimensionen hat, aber nur eine vertical \u201eEine verticale Linie\u201c, sagt Dondehs, \u201ef\u00e4llt zusammen mit jed anderen vertiealen Linie, worauf sie projicirt wird, welcl Stellung sie im Verh\u00e4ltnifs zu einander und zum Auge au< immer einnehmen m\u00f6gen. Mit horizontalen Linien ist es gai anders: eine horizontale Linie, die sich von uns entfernt, wii absteigend gesehen, wenn sie \u00fcber, aufsteigend aber, wenn s unter unserem Auge gelegen ist.\u201c F\u00fcr einen vertiealen Meridia k\u00f6nnte also das Ideal der Aberrationsfreiheit uneingeschr\u00e4nl\n1 Arch. f. Ophth. Bd. XVJ, S. 168.","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"lieber Raddrehung. Rollung und Aberration.\n187\nerf\u00fcllt sein: darum wird man die Aberration am klarsten als Abweichung des verticalen Meridianes von seiner urspr\u00fcnglichen verticalen Lage definiren.\nNun verlangt aber auch noch der oben an erster Stelle erw\u00e4hnte Umstand ber\u00fccksichtigt zu werden. Dies geschieht, wenn wir den aberrirten verticalen Meridian nun doch nicht kurzweg mit seiner urspr\u00fcnglichen (durch die Prim\u00e4rstellung gegebenen) Lage Zusammenhalten, sondern mit dem, was sozusagen \u00fcbrig bleibt, wenn wir von dem durch die zweite Stellung repr\u00e4sentirten Theile der Lagever\u00e4nderung absehen, der in der Annahme einer ver\u00e4nderten Lage der Gesichtslinie eingeschlossen ist, ohne gleichwohl den dem Aberrationsgedanken wesentlichen Umstand zu ber\u00fchren. Dies l\u00e4fst sich ins Werk setzen, indem man durch die in der zweiten Stellung befindliche Gesichtslinie eine Vertical-ebene gelegt denkt: der Winkel, den die Ebene des (verdrehten) verticalen Netzhautmeridians mit dieser Ebene einschliefst, ist dann der Aberrationswinkel. Wer Anlafs hat, sich dennoch zun\u00e4chst an den Netzhauthorizont zu halten, findet den n\u00e4mlichen Winkel zwischen der Ebene dieses (verdrehten) Netzhauthorizontes und einer rechtwinkelig zur oben angenommenen absoluten Vertical-ebene in die Gesichtslinie gelegten Ebene.\n\u00a77. Aberration gegen\u00fcber Raddrehung und Rollung.\nEs ist an der Zeit, wieder zu unseren drei Rotationsbegriffen zur\u00fcckzukehren. Ist es richtig, dafs sie eigentlich Interessen entsprungen sind, die im Aberrationsgedanken ihren ausreichend bestimmten Ausdruck finden, so ist nicht zu verkennen, dafs wenigstens der Raddrehungs- und der Rollungsbegriff sich jenem Ausgangsinteresse doch ganz erheblich entfremdet haben.1\n1 Bezeichnend hierf\u00fcr scheint mir die Antwort eines medicinischen Freundes, dem ich den Unterschied in der Behandlung darzulegen versucht hatte, die das Problem der \u201eRaddrehung\u201c (das Wort in der hier von mir bek\u00e4mpften vulg\u00e4ren Unbestimmtheit verstanden) durch Helmholtz und Hebino erfahren hat. Dafs bei Bewegungen aus der Prim\u00e4rstellung nach Helmholtz \u201eRaddrehungen\u201c eintreten, nach Hebing nicht, das, meinte er, sehe er wohl ein: was er aber eigentlich wissen m\u00f6chte, sei dies, ob das Auge unter den in Rede stehenden Umst\u00e4nden \u201ewirkliche Raddrehungen\u201c erfahre oder nicht. Ich zweifle nicht, dafs in dieser so untheoretisch klingenden Frage eines \u00fcbrigens theoretisch wohl Geschulten das Interesse an der Aberration zur Geltung kam.","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188\n\u00c2. Meinong.\nDies tritt besonders auff\u00e4llig an der Raddrehung zu Tage, \u2014 das Wort nun nat\u00fcrlich immer in der oben1 festgesetzten Bedeutung gebraucht \u2014 namentlich, wenn man den Zustand, in dem sich das nach dem LisTiNo\u2019schen Gesetze gedrehte Auge in einer der von Manchen \u201eterti\u00e4r\u201c genannten Stellungen befindet, auf Raddrehung bestimmt. F\u00fchrt man eine solche Bewegung, z. B. wieder die nach rechts oben, an einem Modelle aus, so ergiebt schon directe Anschauung, dafs der verticale Meridian mit seinem oberen Ende eine Neigung nach rechts angenommen hat, dafs sonach Aberration mit positivem Vorzeichen vorliegt. Dagegen ist die Raddrehung in diesem Falle negativ; die directe Anschauung der Sachlage bietet aber nicht den geringsten Grund, weshalb die vom in Rede stehenden Meridian eingenommene Position als Ergebnifs einer Verdrehung nach links zu betrachten w\u00e4re. In der That erscheint der zu jeder Stellung der Gesichtslinie geh\u00f6rige Raddrehungsnullpunkt v\u00f6llig k\u00fcnstlich bestimmt, wenigstens solange man blofs das monoculare Sehen in Erw\u00e4gung zieht, auf das der Begriff der Blickebene ja streng genommen noch keine Anwendung findet. Fingirt man f\u00fcr die zu einer Terti\u00e4rstellung f\u00fchrende Bewegung des Auges zwei Axen, von denen eine mit der Verticalen einen zu grofsen Winkel einschliefst, so ist es im Allgemeinen sehr nat\u00fcrlich, dafs man dann schliefslich den verticalen Netzhautmeridian wird zur\u00fcckdrehen m\u00fcssen, um den Fehler wieder gut zu machen: dagegen ist die Neigung eines urspr\u00fcnglich verticalen Netzhautschnittes gegen den Horizont eine rein objective, von k\u00fcnstlich in die Betrachtung eingef\u00fchrten Annahmen v\u00f6llig unabh\u00e4ngige Sache. \u2014 Damit soll indes nicht gesagt sein, dafs der dem Raddrehungsgedanken zu Grunde liegenden Annahme jede Bedeutung und daher Berechtigung fehle. Diese kommt dort zur Geltung, wo die (variable) Blickebene, nach der sich ja der Raddrehungsnullpunkt bestimmt, eine charakteristische Rolle spielt : beim binocularen Sehen. Die Abweichungen vom LiSTiNo\u2019schen Gesetze, die bei convergirenden und gesenkten Blicklinien eintreten* *, lassen sich ja geradezu als Tendenz zu m\u00f6glichster Herabsetzung des Raddrehungswinkels auffassen. Nebenbei soll, da oben dem verticalen Meridian vor\n1 Vgl. S. 179.\n* Vgl. Hering in Hermann\u2019s Handb. Ill, 1, S. 501 f.","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"lieber Raddrehung, Ro\u00fcung und Aberration.\n189\ndem horizontalen eine Art Vorzugsstellung zugesprochen wurde, hier nicht unerw\u00e4hnt bleiben, dafs beim Nahesehen thats\u00e4chlich das Ideal der Aberrationsfreiheit der R\u00fccksicht auf das Erfassen des Horizontalen v\u00f6llig geopfert erscheint, soweit jenes Ideal auf die Verticale bezogen wird: bei den in Rede stehenden Abweichungen vom LisTiKG\u2019schen Gesetz kommt ja die Verticale in demselben Maafse mehr zu Schaden, je besser das binoculars Erfassen der Horizontalen gelingt, d. h. je n\u00e4her die mittleren Querschnitte der beiden Augen dem Ziele kommen, mit der Blickebene zusammenzufallen.\nAnders stehen die Dinge bei der Rollung wenigstens insofern, als deren Nullwerth nicht auf fictive, sondern auf empirisch wohl beglaubigte Voraussetzungen gestellt ist, \u00fcberdies der Gegensatz der einfachen und zusammengesetzten Drehung in keinem Sinne den Charakter des Conventionellen an sich tr\u00e4gt Ohne Zweifel haben wir im Rollungsbegriff eine f\u00fcr die Theorie der Augenbewegungen ganz unentbehrliche Conception vor uns : der Aberrationsgedanke aber ist auch in ihr v\u00f6llig verloren gegangen. Das beweist das eben gebrachte Beispiel von der Terti\u00e4rstellung gero\u00e4fs dem LiSTiNo\u2019schen Gesetze. Das Listin o'-sehe Gesetz negirt die Rollung: aber es wurde oben bereits im Hinblick auf den Augenschein des blofsen Modellversuches hervorgehoben, dafs Aberrationen bei LisTiN\u00f6\u2019schen Bewegungen ganz zweifellos stattfinden. Praktisch steht die Rollung der Aberration allerdings n\u00e4her als die Raddrehung; denn f\u00fcr jede Stellung der Gesichtslinie giebt es eine Augenstellung von positiver Aberration, die negative Raddrehung, aber blofs null-werthige Rollung aufweist. Der Raddrehungsnullpunkt ist eben vom Aberrationsnullpunkt weiter entfernt als der Rollungs-hullpunkt ; aber die v\u00f6llige Verschiedenheit des Rollungs- gegen\u00fcber dem Aberrationsgedanken kann dies nicht mildern.\nDagegen ist nun sicher jedem Leser bereits auff\u00e4llig geworden, wie nahe der Aberrationsgedanke dem steht, was bisher als Begriff I noch unbenannt geblieben ist. Ganz f\u00e4llt dieser Begriff, wenigstens in der oben1 gegebenen Formulirung freilich nicht mit dem Aberrationsbegriffe in seiner pr\u00e4cisirten Gestalt zusammen. Aber einerseits war die oben gew\u00e4hlte Formulirung doch insofern nur zuf\u00e4llig herausgegriffen, als ihr andere wirk-\n1 Vgl. S. 166.","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190\nA. Meinotig.\nlieh ausgesprochene und wohl noch mehr m\u00f6gliche Formulirungen zur Seite stehen. Dann aber ist ja im Obigen eben erst der Versuch gemacht worden, den Aberrationsgedanken so theoretisch brauchbar zu gestalten als m\u00f6glich ist, ohne ihn seiner eigentlichen Natur zu entkleiden: insoweit der Versuch das Richtige getroffen hat, insoweit wird es auch f\u00fcr den Begriff I ein Vortheil sein, die oben gewonnene Pr\u00e4cisirung sich anzueignen. So k\u00f6nnen wir denn unbedenklich sagen: Begriff I ist seiner Natur und Intention nach nichts Anderes als der Aberrationsbegriff und durch die Einf\u00fchrung dieses Terminus ist zugleich die durch die oben vorgeschlage\u00fce Vertheilung der Termini Raddrehung und Rollung geschaffene Schwierigkeit beseitigt. Der Raddrehung und Rollung steht eben die Aberration als Gegenstand des dritten (oder ersten) der drei oben1 aus einander gehaltenen Hauptbegriffe zur Seite.\n\u00a7 8. Zugeordnete Drehungen.\nEs wird der Klarheit des Einblickes in die Natur und das gegenseitige Verh\u00e4ltnifs dieser drei Begriffe f\u00f6rderlich sein, noch auf einen ihnen allen gemeinsamen Umstand hinzuweisen. Wir haben an den f\u00fcr den Raddrehungs- und den Rollungswinkel geltenden Gr\u00f6fsenbestimmungen erkannt, dafs sowohl der Begriff der Raddrehung als der der Rollung auf eine Art vorausgesetzter Normalbewegung des Auges hinweist. In diesem Sinne ist die Raddrehung auf die HELMHOLTz\u2019sche, die Rollung auf die Listing sehe Drehung gegr\u00fcndet. Ein Auge, das durch LiSTiNG?sche Drehung in bestimmte Lage gelangt ist, zeigt, wie wir sahen, keine Rollung; ein Augp, d\u00e4s durch Helmholtz'sehe Drehung in die betreffende Lage gelangt w\u00e4re, w\u00fcrde keine Raddrehung aufweisen. Giebt es nun eine Drehung, die in \u00e4hnlicher Weise als Voraussetzung der Aberration angesehen werden k\u00f6nnte? Die Frage f\u00e4llt mit der anderen zusammen, ob sich Axen namhaft machen lassen, um die das Auge aus einer ersten in eine zweite Stellung \u00fcbergef\u00fchrt gedacht werden k\u00f6nnte, ohne dafs eine Aberration eintr\u00e4te. Dafs dabei nach \u201eAxen\u201c gefragt werden mufs und nicht etwa blofs nach Einer Axe erhellt daraus, dafs eine Drehung um nur Eine Axe eine \u201eeinfache\n1 Vgl. \u00a7 2.","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Raddrehung, Rollung und Aberration.\n191\nDrehung\u201c w\u00e4re, eine solche also, wie das LisTiNG\u2019sclie Gesetz sie verlangt, dessen Erf\u00fcllung, wie wir wissen, Aberrationsfreiheit nicht mit sich f\u00fchrt. Weiter ist aber leicht einzusehen, dafs jene Bewegung, die uns unter dem Namen der Ficx\u2019schen Drehung bereits begegnet ist, den obigen Anforderungen Gen\u00fcge leistet. Wir fanden einer solchen Bewegung wesentlich, dafs das Auge erst um eine verticale, dann um jene horiaeaptate \u00c8jm gedroht wird, die vor der ersten Drehung transversal gestellt war. Nun kann aber die Drehung um die verticale Axe begreiflicher Weise der Stellung des verticalen Meridians der Netzhaut nichts an-haben. Die weitere Drehung um die vorher transversal gewesene Horizontalaxe kann es wohl und thut es auch, aber in einer Weise, die sich dem pr\u00e4cisirten Aberrationsbegriffe gegen\u00fcber schon auf den ersten Blick als bedeutungslos herausstellt, indem dabei die durch die Gesichtslinie gelegte Verticalebene nicht verlassen wird.\nDie Ficx\u2019sche Drehung steht also der Aberration \u00e4hnlich gegen\u00fcber wie die Helmholtz\u2019sehe Drehung der Raddrehung. Nun darf man sich aber diese Zuordnung nicht etwa in der Weise denken, als ob der Aberrationsnullwerth nur durch Fick-sche Drehung zu erreichen w\u00e4re. Man kommt augenscheinlich zum selben Ziele, wenn man mit einer \u201eErhebung\u201c beginnt, wie sie bei der Raddrehung in Frage kommt, also mit einer Drehung um die transversale Axe, dann aber die so erhobene oder gesenkte Gesichtslinie sich nun nicht um die durch die Erhebung verdrehte, sondern um eine durch die Erhebung unbeeinflufst ge-dacht\u00e8 Verticalaxe, die also auch nach der Drehung noch vertical steht, gedreht denkt. Es ist ohne Weiteres einleuchtend, dafs auch bei solcher Drehung der urspr\u00fcnglich verticale Meridian seine verticale Stellung beibehalten mufs.\nHat sich uns aber, wir wir nun, auf \u00a7 2 zur\u00fcckblickend, sagen k\u00f6nnen, die Aberration ihrer ganzen Natur nach als eine Art Gegenst\u00fcck zur Raddrehung dargestellt, so kann es nun auch nicht \u00fcberraschen, wenn nicht nur die Aberrationsnull nicht ausschliefslich auf die Ficx\u2019sche Drehung, sondern ganz in gleicher Weise auch die Raddrehungsnull nicht ausschliefslich auf die Helmholtz\u2019-sche Drehung angewiesen ist. N\u00e4her braucht man, um das Aequivalent f\u00fcr die Helmholtz\u2019sehe Drehung zu finden, nur die Analogie zu dem eben f\u00fcr die Aberration festgestellten Sachverhalte ins Auge zu fassen. Ficx\u2019sche und HELMHOLTz\u2019sche","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192\nA.\nDrehung haben mit einander gemein, dafs jedes Mal der ersten nat\u00fcrlich um eine noch unverdrehte Axe sich vollziehenden Partialdrehung eine zweite Partialdrehung um die zweite, aber durch die erste Partialdrehung verdrehte Axe folgt Das eben erw\u00e4hnte Aequi* valent der FiCK\u2019s\u00e7hen Drehung hebt insofern entgegengesetzt an wie diese, als die erste Partialdrehung nicht um die verticale, sondern um die horizontale (\u00fcbrigens aber nat\u00fcrlich gleichfalls noch unverdrehte) Axe vor sich geht. Die zweite Partialdrehung benutzt dann nat\u00fcrlich die andere, d. h. die horizontale Axe, hat aber das Charakteristische an sich, dafs es nicht etwa die verdrehte Verticale (das erg\u00e4be die HELXiHoi/rz\u2019sehe Drehung), sondern die wirkliche, imver\u00e4ndert gedachte Verticalaxe ist Das Aequi-valent zur Helmholtz\u2019sehen Drehung wird also zu gewinnen sein, wenn man die erste Partialdrehung der Ficx'schen Drehung gleich macht, also mit der verticalen Axe ^beginnt, zur zweiten Partialdrehung nun aber gleichfalls nicht die durch die erste verdrehte, sondern die wirkliche Transversalaxe benutzt Die urspr\u00fcnglich verticale Axe und damit auch der Netzhauthorizont wird am Ende dieser zweiten Partialdrehung sich genau in der Lage befinden m\u00fcssen, die im Falle der HELMHoi/rz'schen Drehung der Verticalaxe durch die Erhebung, dem Netzhauthorizonte durch die Seitenwendung ertheilt worden ist\nInzwischen ist von keiner der beiden Aequivalentdrehungen zu besorgen, dafs sie der FiCK\u2019schen resp. HELMHOLTz'schen Drehung sozusagen den Rang streitig machen k\u00f6nnte. Letzteren Drehungen ist n\u00e4mlich der Einfachheits- oder Uebersichtlichkeitsvorzug dadurch gesichert, dafs bei ihnen nur solche Axen zur Verwendung kommen, die auf der Gesichtslinie senkrecht stehen. Damit ist gew\u00e4hrleistet, dafs die Gesichtslinie sich hier ausschliefslich in ebenen Bahnen bewegt, w\u00e4hrend sie bei den Aequivalenzf\u00e4llen stets einmal, n\u00e4mlich bei der zweiten Partialdrehung, einen Theil eines Kegelmantels zu beschreiben hat\nUebrigens darf nicht unerw\u00e4hnt bleiben, dafs es nun doch auch einen Gesichtspunkt giebt, unter dem diese Aequivalente sich als das Einfachere darstellen. Sie sind dies n\u00e4mlich ohne Zweifel im Hinblick auf die Lage ihrer Axen, die in beiden F\u00e4llen kurzweg transversal und vertical gestellt sind, so dafs der Unterschied zwischen den beiden F\u00e4llen darin gefunden werden kann, dafs das eine Mal die Transversaldrehung den Anfang macht, das andere Mal die Verticaldrehung. Was diesen Axen-","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Raddrehung, Rollung und Aberration.\n193\nStellungen ein besonderes Interesse verleiht, ist der Umstand, dafs durch dieselben unsere beiden Aequivalenzdrehungen in eine, wenn ich nach mir urtheilen darf, ganz unvermuthete Beziehung zum vierten der im Beginne dieser Untersuchungen1 gekennzeichneten, Rotationsbegriffe treten. Ist n\u00e4mlich, wie wir gesehen haben, f\u00fcr diesen Begriff die Drehung um die sagittale Axe wesentlich, dann stellen unsere beiden Aequivalenzf\u00e4lle nicht nur Aberrations- resp. Raddrehungsnullen, sondern auch Nullwerthe im Sinne jenes modificirten vierten Rotationsbegriffes dar, den unsere bisherigen Erw\u00e4gungen v\u00f6llig unber\u00fccksichtigt gelassen haben, dessen Zugeh\u00f6rigkeit zum vorliegenden Untersuchungsgebiete dadurch aber nun doch zur Geltung kommt.\nN\u00e4her besteht der Zusammenhang darin, dafs der in Rede stehende Rotationsbegriff, indem er ausschliefslich auf die sagittal gerichtete Drehungsaxe Bedacht nimmt, in der Negation dieser Drehung eine Charakteristik bietet, die allgemein genug ist, um sowohl auf Aberration als auf Raddrehung anwendbar zu sein. Dafs Aberrations- wie Raddrehungslosigkeit durch Bewegungen um dieselben zwei von einander unabh\u00e4ngigen Axen zu erzielen ist, blofs nach Maafsgabe der Reihenfolge, in der man die beiden Axen sozusagen ins Spiel treten l\u00e4fst, das ist eine Thatsache, durch welche auf das eigenth\u00fcmliche Verh\u00e4ltnifs zwischen Aberration und Raddrehung gewifs beachtenswerthes Licht f\u00e4llt. Zugleich liegt aber in der Allgemeinheit resp. Unbestimmtheit des vierten Rotationsbegriffes, die hierin trotz der Beschr\u00e4nkung auf horizontale und verticale Partialdrehungen zu Tage tritt, die Rechtfertigung daf\u00fcr, dafs er in den vorstehenden Untersuchungen mit den drei anderen Rotationsbegriffen nicht auf gleichem Fufse behandelt und dafs namentlich von einer besonderen Benennung auch dieses Begriffes abgesehen worden ist\n\u00a7 9. Bewegungs- und Lagebegriffe.\nWas im Obigen \u00fcber die Zuordnung unserer drei (Haupt-) Rotationsbegriffe zu gewissen einfacheren oder zusammengesetzteren Bewegungen dargelegt worden ist, bedarf nun noch einer Erg\u00e4nzung in Bezug auf die Art dieser Zuordnung, und es steht zu erwarten, dafs eine genauere Feststellung der letzteren\n1 Vgl. oben \u00a7 2 am Schl\u00fcsse. Zeitschrift f\u00fcr Psychologie XVII.\n13","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"194\nA, Meinomg.\nauch zu klarerer Erkenntu i Tb der Natur der in Rede stehenden Begriffe f\u00fchren \u00bb\u00bbfe. Dafe die Zuordnung darauf beruht, dafe jede der in Rede stehenden Bewegungen geeignet ist, einen Nullfall auf dem Gebiete des betreffenden Rutadonshegriffee ker-zustellen, wissen wir. Raddnebung, Rollung und Aberration \u00abteilen sieh insofern als Abweichungen von den in jenen Bewegungen vorgegebenen Normalf\u00e4llen dar, und dies legt die Frage nahe, ob unsere drei Begriffe direct im Hinblicke auf jene Bewegungen coneipirt, genauer, ob sie auf jenen Bewegungsbegriffen als ihren gegenst\u00e4ndlichen Voraussetzungen auf-gebaut sind.\nWie die Frage gemeint ist, beleuchtet am besten der Fall der Rollung, bei dem die Antwort ohne Bedenken affirmativ aasfallen rouis : f\u00fcr den Gedanken der zusammengesetzten Drehung ist der der einfachen eonetitutiv ; die Rollung ist somit in diesem Sinne bereits ihrem Gedanken nach auf die LisTisro\u2019sche Drehung aufgebaut. Dafs nun aber weder bei der Raddrehung, noch bei der Aberration Analoges anzutreffen sein wird, das i\u00e4fst schon der \u00e4ufsere Umstand vermuthen, dafe wir sonst f\u00fcr jeden dieser F\u00e4lle bereite sozusagen die Concurrenz zweier Bewegungsgrundlagen angetroffen h\u00e4tten. Und wirklich I\u00e4fst eich der Raddrehungsgedanke bereits ohne jede Zuh\u00fclfenahme von Azenstellungeo erfassen, wenn man nur sofort die Sachlage beim binocularen Sehen heranzieht. Raddrehung ist dann eben die Abweichung des Netzhauthorizontes von der Blickebene, deren Stellung unter der Voraussetzung, dafs die beiden Blicklinien in Einer Ebene liegen, mit der Lage Einer Blicklinie mitgegeben ist Was am Raddrehungsgedanken \u00fcberhaupt bedeutsam ist, findet in dieser Formulirung seinen nat\u00fcrlichsten Ausdruck. H\u00f6chstens in dem Umstande, dafs hier der Netzhauthorizont mit der als beweglich vorausgesetzten Blickebene zusammengehalten wird, kann man, wenn auch nicht den Gedanken an die Helmholtz-sehe Drehung, so doch irgend einen Bewegungsgedanken beschlossen finden. Insofern zeigt nun der Aberrationsgedanke eine noch weitergehende Voraussetzungslosigkeit, indem die durch die Gesichtslinie gelegte Verticalebene, mit der der verticale Netzhautmeridian hier verglichen erscheint, weder die Annahme von Axen noch die von Bewegungen zu seiner Bestimmung irgend bedarf.\nWir m\u00fcssen also zusammenfassen : nur im Begriffe der","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"lieber Raddrehuug, Mollung und Aberration.\n195\nRollungsnull ' haben wir einen wirklichen Bewegungsbegriff vor uns; der Gedanke der Raddrehungsnull dagegen ist, h\u00f6chstens abgesehen von einem gewissen Vorbehalte, ebenso der der Aberrationsnull ohne jeden Vorbehalt kein Bewegungs- sondern ein Lagegedanke. Nat\u00fcrlich kn\u00fcpft sich an diese Erkenntnifs sofort die Frage, ob wir ihr gegen\u00fcber noch ein Recht haben, unsere drei Begriffe unter der Gesammtbenennung \u201eRotations* begriffe44 zusammenzufassen. So viel ich sehe, ist eine f\u00fcr alle drei Begriffe vorhaltende Legitimation hierf\u00fcr nur in Einem Sinne in Anspruch zu nehmen: jede Abweichung von einem der obigen drei Nullwerthe kann als durch Rotation um die Ge-sicht\u00dflmie aus der betreffenden Nullposition hervorgegangen resp. durch eine eben solche Drehung entgegengesetzten Sinnes in die Nullposition zur\u00fcckf\u00fchrbar angesehen werden. Dagegen ist eine ihrer Axe nach in die Gesichtslinie fallende Drehungscomponente nur durch die Rollung gew\u00e4hr-leistet : f\u00fcr Aberration und nat\u00fcrlich auch Raddrehung beweisen, wie ber\u00fchrt, die Bewegungen nach dem Li\u00dfTiNo\u2019schen Gesetz, wie in beiden Hinsichten von Null verschiedene Werthe auch durch Drehungen zu erzielen sind, denen eine Components yon der in Rede stehenden Beschaffenheit durchaus fehlt. Etwas anders liegen die Dinge, wie wir oben sahen, in Betreff einer als sagittal bestimmten Components, die bei den Aequivalenz-drehungen zur H\u00dfLMHOLTzschen und Fick sehen Drehung, <L h. wenn statt einer einfachen Drehung deren zwei nach einander und zwar erst um eine verticale, dann um eine transversale Axe, resp. umgekehrt, vorausgesetzt werden, jedenfalls Raddrehung resp. Aberration bedeutet Wer aber m\u00f6chte Determinationen dieser Art in den Raddrehungs- oder Aberrationsgedanken hineinlegen?\nDer Rotationsgedanke wird uns also, da er eventuell eben nur eine m\u00f6gliche oder fictive Rotation betrifft, nicht daran irre machen d\u00fcrfen, auch \u00fcber die von Null verschiedenen Werthe von Aberration, Rollung und Raddrehung ebenso zu denken, wie wir dem Obigen gem\u00e4fs \u00fcber die bez\u00fcglichen Nullf\u00e4lle denken m\u00fcssen. Allgemein also : nur der Rollungsgedanke ist wirklich ein Bewegungsgedanke ; der Raddrehungs- sowohl wie der Aberrationsgedanke dagegen sind Lagegedanken. Dafs dies in der nat\u00fcrlichen Bedeutung des Wortes \u201eAberration14\nganz von selbst hervortritt, spricht sicherlich f\u00fcr die Brauchbar-\n13*","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"196\nkeit des neuen Terminus. Dagegen ist, den wirklichen Sachverhalt zu betonen, dem Worte \u201eRaddrehung\u201c gegen\u00fcber um so wichtiger, als dieses doch eigentlich seiner n\u00e4chsten Bedeutung nach ein Bewegungsausdruck ist Deutlicher w\u00e4re jedenfalls, hier statt von Raddrehung sogleich von dem durch die Gr\u00f6fse des betreffenden Raddrehungswinkels gegebenen Raddrehungszustande zu reden, indes \u201eAberrationszustand\u201c f\u00fcr \u201eAberration\u201c zu setzen, zwar augenscheinlich jederzeit statthaft, aber kaum in irgend einem Falle ein merklicher Gewinn w\u00e4re. Es kann dann immer noch einen Sinn haben, unter \u201eRaddrehung\u201c gelegentlich auch eine Art Bewegung zu verstehen, die unter Umst\u00e4nden stattfindet oder nicht stattfindet, wenn es sich dabei n\u00e4mlich um Uebergang aus einem Raddrehungszustand in einen anderen handelt, wobei einer der beiden Zust\u00e4nde auch Raddrehungs-losigkeit sein kann. Nur darf man sich dann dar\u00fcber nicht t\u00e4uschen, dafs das bereits eine \u201eDrehung\u201c oder \u201eBewegung11 in sehr \u00fcbertragenem Sinne des Wortes ist, so dafs Helmholtz\u2019 oben1 wiedergegebene Berufung darauf, dafs die Iris gedreht werde wie ein Rad, jedenfalls darauf nicht anwendbar ist. Es wurde ja schon erw\u00e4hnt, dafs die LisxiNo\u2019sche Drehung aus der Prim\u00e4r- in eine geeignete Secund\u00e4rstellung (oder auch aus einer Secund\u00e4rstellung im engeren Sinne in eine Terti\u00e4rstellung) mit einer Raddrehung im eben ber\u00fchrten, \u00fcbertragenen, sozusagen dynamischen Sinne verkn\u00fcpft ist, von einer Drehung der Iris aber, die nat\u00fcrlich um die Gesichtslinie als Axe stattfinden m\u00fcfste, dabei in keinem Sinne die Rede sein kann.\nWer den letzten Bemerkungen den Vorwurf zu machen geneigt sein sollte, dafs sie Begriffen und Worten mehr Aufmerksamkeit zuwenden, als durch das Interesse an der Sache gerechtfertigt werden kann, wird hier\u00fcber doch wohl anders urtheilen, wenn ihm die Auseinanderhaltung von Bewegung*-begriff und Lagebegriff zum Verst\u00e4ndnifs eines wichtigen Unterschiedes verhilft, der zwischen der Rollung einerseits, der Raddrehung und Aberration andererseits besteht Ist eine bestimmte Augenstellung gegeben, so ist damit auch der Raddrehuugs-und Aberrationszustand des Auges bestimmt: ob dagegen und in welchem Maafse Rollung stattgefunden hat, kann nur int gleichzeitigen Hinblick auf die Weise genauer auf den Aus*\n1 Vgl. 8. 166.","page":196},{"file":"p0197.txt","language":"de","ocr_de":"lieber Raddrehung, Rollung und Aberration.\n197\ngangspunkt entschieden werden, in der, resp. von dem aus die gegebene Augenstellung zii Stande gekommen ist. K\u00fcrzer ausgedr\u00fcckt : Raddrehung und Aberration bestimmen sich vergleichsweise absolut, Rollung bestimmt sich vergleichsweise relativ. Unter Voraussetzung des Gesetzes von der gleichen Netzhautlage bei gleicher Blicklage besagt dies: zu derselben Blicklage geh\u00f6rt ein und nur Ein Raddrehungs- und ebenso nur Ein Aberrationswerth; die in Betracht kommenden Rollungswerthe hingegen sind variabel, denn sie sind allemal durch die vorhergehende Blicklage mitbestimmt, ja \u00fcberhaupt nur relativ zu einer fr\u00fcheren Blicklage zu pr\u00e4cisiren. Bern LisTiNG\u2019schen Gesetze gemftfs ist von der Prim\u00e4rstellung aus jede Secund\u00e4rstellung, das Wort im weitesten Sinne verstanden, ohne Rollung zu erreichen; damit ist aber begreiflicher Weise gar nicht gesagt, dafs darum die so vorbestimmten Secund\u00e4rlagen auch unter einander durch einfache Drehungen gleichsam zu verbinden sein m\u00fcfsten. Insoweit dies nicht der Fall ist, insoweit wird eine Stellung, die von der Prim\u00e4rlage aus selbstverst\u00e4ndlich ohne Rollung zu erreichen ist, von einer Secund\u00e4rlage aus nicht anders als mit Rollung zu erreichen sein.\n\u00a7 10. Ergebnisse.\nEs empfiehlt sich, zum Schl\u00fcsse dieser Ausf\u00fchrungen die durch dieselben zun\u00e4chst betroffenen Punkte der Lehre von den Augenbewegungen unter den im Obigen gewonnenen Gesichtspunkten kurz zusammenzufassen.\nWas man herk\u00f6mmlich ziemlich unterschiedlos bald mit dem Worte \u201eRaddrehung\u201c, bald mit dem Worte \u201eRollung\u201c auszudr\u00fccken pflegt, sind der Hauptsache nach drei wesentlich verschiedene Gedanken, die man immerhin unter der Benennung \u201eRotationsgedanken\u201c zusammenfassen kann, wenn man, was in diesem Zusammenh\u00e4nge ohne Schaden geschieht, das Anwendungsgebiet des Wortes \u201eRotation\u201c auf den speziellen Fall der Drehung um die Gesichtslinie als Axe einschr\u00e4nkt. Die drei Gedanken entsprechen drei Fragen, die sich angesichts einer jeden Blickbewegung dem praktischen und theoretischen Interesse aufdr\u00e4ngen und etwa so formulirt werden k\u00f6nnen:\n1. Nimmt das Auge am Ende der Bewegung eine solche Stellung ein, dafs die Netzhautpartien, auf denen sich in der","page":197},{"file":"p0198.txt","language":"de","ocr_de":"198\nAnfangslage Horizontales, Verticales resp. Geneigtes abbildete, auch noch in der Endlage bei Perception des Horizontalen, Verfr calen resp. in gleicher Weise Geneigten functioniren?\n% Bleibt die Lage des Netzhauthorizontes zur Blickebene eine unver\u00e4nderte ? \u2014 oder, falls man als Ausgangsposition die Prim\u00e4rstellung genommen hat: bleibt der Netzhauthoriaont ein f\u00fcr allemal in der (nat\u00fcrlich mit dem Blicke sich hebenden oder senkenden) Blickebene?\n3. Ist die Endstellung des Auges eine solche, daJs es in sie durch \u201eeinfache\u201c Drehung um eine Axe \u00fcbergef\u00fchrt werden konnte, welche auf der Blicklinie in ihrer ersten und zweiten Lage senkrecht steht?\nIn Betreff der drei der Beantwortung dieser Fragen dienenden Begriffe ist vor Allem terminologische Sopderung uner-l\u00e4fslich, die gegen\u00fcber dem bisherigen Wortgebrauche nicht ohne ausdr\u00fcckliche Uebereinkunft zu erzielen ist In diesem Sinne erscheint es am nat\u00fcrlichsten, den Ausdruck \u201eRaddrehung\u201c mit Helmholtz auf das Gebiet der Frage 2, den Ausdruck \u201eRollung\u201c mit HEbing auf das Gebiet der Frage 3 einzuachr\u00e4nken, Der Gedanke der Frage 1, obwohl die psychologische Leistung am directesten betreffend und daher bereits naiver Betrachtungsweise n\u00e4chststehend, geht bei solcher Vertheilung des terminologischen Vorrathes leer aus: ich versuche durch den neuen Terminus \u201eAberration\u201c die L\u00fccke auszuf\u00fcllen. Zur Pr\u00e4cisirung des so benannten Begriffes scheint mir der DoNDEBs\u2019sche Gedanke der Abweichung des verticalen Meridians von der absolut verticalen Lage am besten geeignet.\nIch trete sonach f\u00fcr drei \u201eRotations\u201c\u00abBegriffe und f\u00fcr nachstehende Definitionen dieser Begriffe ein:\n1.\tAberration ist die Abweichung des verticalen Netzhautmeridians von der absoluten Verticalen.\n2.\tRaddrehung ist die Abweichung des Netzhauthorizontes von der (zur betreffenden Augenstellung geh\u00f6rigen) Blickebene.\n3.\tRollung ist die \u201ein die Gesichtslinie fallende Componente\u201c1 einer Augenbewegung, k\u00fcrzer deren Rotationscomponente, wenn das Wort \u201eRotation\u201c in dem eben wieder ber\u00fchrten engeren Sinne verstanden wird.\nWie man aus diesen Definitionen unmittelbar ersieht, ist von den drei so bestimmten Begriffen nur der der Rollung\n1 Hebin\u00f6 in Hermann's Handbuch III, 1, S. 404.","page":198},{"file":"p0199.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Baddrehung, Rollung und Aberration.\tJ99\nwirklich ein Bewegungsbegriff ; der der Aberration, aber auch der der Raddrehung ist zun\u00e4chst nur ein Lagebegriff. D\u00e4\u00bb Keeht, f\u00fcr einen ,, Rotations\u201c-Begriff im obigen pr\u00e4gnanten Sinne to gelten, ist daher nur f\u00fcr die Rollung selbstverst\u00e4ndlich: bei Raddrehung und Aberration ist aber eine Rechtfertigung daf\u00fcr in dem Umstande zu finden, dafs jede Ver\u00e4nderung im Rad-drehungs- wie Aberrationszustande durch Drehung um die Gesichtslinie als Axe herbeigef\u00fchrt gedacht werden kann. Dafs die Verwandtschaft dieser Gedanken sich bisher mehr auf gedr\u00e4ngt hat, als der Gegensatz des Bewegungsbegriffes gegen\u00fcber den Lagebegriffen, dazu haben insbesondere zwei Umst\u00e4nde mitgewirkt Einmal gestattet das Gesetz der gleichen Netzhautlage bei gleicher Blicklage, das, was zwischen Anfangs- und Endstellung bei einer Bewegung liegt, d. h. eben die Bewegung selbst gegen\u00fcber ihrem- Ergebnisse zu vernachl\u00e4ssigen, sonach auch die Rollung nicht als wirkliche Bewegungscomponente, sondern nur als eine das Ergebnifs, die Endlage n\u00e4mlich, in besonders einfacher Weise charakterisirende Fiction zu behandeln. Tritt so bei der Rollung leicht die Lage in den Vordergrund, so l\u00e4fst sich zweitens auch umgekehrt Raddrehung und Aberration nicht nur insofern mit einer Bewegung (der \u201eRotation\u201c) in Verbindung bringen, als es sich um Werthe \u00fcber Null handelt, vielmehr hat der Nullwerth selbst in beiden F\u00e4llen einen Bewegungarepr\u00e4sentanten, der damit zur \u201eeinfachen Drehung\u201c in Analogie tritt. Wie die LiSTiso\u2019sche Drehung ohne Rollung erfolgt, so schliefst die Helmholtz1sehe Drehung die* Raddrehung, die Ficx\u2019sche Drehung die Aberration aus. Indes kann solcher Parallelismus dar\u00fcber nicht hinwegt\u00e4uschen, dafe, w\u00e4hrend die Rollung in der einfachen Drehung wirklich ihr\u00a9 gedankliche Voraussetzung hat, die beiden anderen Drehungen h\u00f6chstens als Schein Voraussetzungen f\u00fcr Raddrehung und Aberration gelten k\u00f6nnen, was aufser den Definitionen dieser beiden Begriffe auch der Umstand erkennen l\u00e4fst, dafe sowohl der Frcx\u2019schen als der KELMHOLTzsehen Drehung ein Aequivalent zur Sehe zu stellen ist, das zur Veranschaulichung, des betreffenden Nullwerthes immerhin praktisch etwas weniger geeignet sein mag; seinem Begriffe nach aber sicher nicht weniger Recht h\u00e4tte, die Stellung einer \u201eVoraussetzung\u201c zu beanspruchen.\nAberration und Raddrehung erweisen ihre Verwandtschaft nicht nur dadurch, dafe Lagebegriffe erforderlich sind, sie in","page":199},{"file":"p0200.txt","language":"de","ocr_de":"200\tA. Meine ny.\nnat\u00fcrlicher Weise zu erfassen: ihre Verwandtschaft erhellt auch aus der durchg\u00e4ngigen Analogie zwischen Ficx\u2019scher und Helm\u00ab HOLTz\u2019scher Drehung. Und wenn hier noch manches durch den Umstand verdunkelt werden mag, dafs bei jeder dieser Drehungen die Lage der zweiten Axe, weil von der Drehung um die erste abh\u00e4ngig, immer eine gewisse Unbestimmtheit beh\u00e4lt, die dem anschaulichen Erfassen der Sachlage nicht g\u00fcnstig ist, entf\u00e4llt bei den Aequivalenten zur Ficx\u2019schen und Helmholtz\u2019sehen Drehung auch dieses Hindernifs. Denn beide Aequivalent-drehungen haben je zwei von einander unabh\u00e4ngige Axen, ja bei beiden kommen sogar dieselben Axen ins Spiel, eine horizontale und (soweit die prim\u00e4re Blicklinie als horizontal gestellt anzunehmen ist) eine verticale, und nur die Reihenfolge, in der die beiden Partialdrehungen stattfinden, entscheidet, ob Nullwerth in Betreff der Aberration oder Nullwerth in Betreff der Raddrehung resultirt. Aberration und Raddrehung stehen hier unverkennbar als Gegenst\u00fccke einander zur Seite, und die ausgezeichnete Stellung der beiden f\u00fcr sie in gleicher Weise bedeutsamen Axen bietet eine Gew\u00e4hr f\u00fcr die Nat\u00fcrlichkeit der ihnen zugewandten Conceptionen. Der Aberrationsgedanke hat eine solche Gew\u00e4hr f\u00fcr seine Nat\u00fcrlichkeit freilich nicht n\u00f6thig; dagegen kann ich nicht leugnen, dafs die Einsicht in die Nat\u00fcrlichkeit des Raddrehungsgedankens mir f\u00fcr mein Theil wenigstens erst mit Hilfe der Betrachtung der eben ber\u00fchrten Zusammenh\u00e4nge auf gegangen ist.\nWelche Rolle die drei in dieser Weise pr\u00e4cisirten Rotationsbegriffe gegen\u00fcber der Empirie zu spielen berufen sind, dar\u00fcber giebt das LisTiNG\u2019sche Gesetz, wenigstens innerhalb seines Geltungsbereiches, Aufschlufs. Diesem zufolge giebt es beim Uebergange von der Prim\u00e4r- in eine Secund\u00e4rstellung in keinem Falle eine Rollung, dagegen in der Regel sowohl Raddrehung als Aberration, was im Hinblick auf die disteleologische Bedeutung der letzteren besagt, dafs die im Interesse genauen Lagensehens zun\u00e4chst unerl\u00e4fslich scheinende Forderung einer gleichen, (nicht blofs constanten) Orientirung f\u00fcr die verschiedenen Stellungen der Blicklinie thats\u00e4chlich unerf\u00fcllt ist. Ueber die Gr\u00f6fse der zu einer Blicklage geh\u00f6rigen Raddrehungs- und Aberrations-werthe gew\u00e4hren Helmholtz\u2019 Berechnungen in doppelter Weise Aufschlufs :","page":200},{"file":"p0201.txt","language":"de","ocr_de":"Heber Raddr\u00e9hung, Rollung und Aberration.\n201\nI. Ist k der Raddrehungs-, k4 der Aberrationswinkel1, so\nsind die zu einer Blicklage geh\u00f6rigen Werthe von Je und kf\ndirect zu bestimmen, wenn die Lage der Blicklinie bekannt\nist. Schliefst n\u00e4mlich eine durch die prim\u00e4re und die secund\u00e4re\nBlicklinie gelegte Ebene mit der prim\u00e4ren Blickebene den\nWinkel #, die secund\u00e4re Blicklinie \u00fcberdies mit der prim\u00e4ren\nden Winkel a ein, dann ist:\n,\t_ cos & sin & (1 \u2014 cos a)\ntang Je =\t2\nsm2 %r 4- cos a cos2 &\ncotg k4\ncos S' sin S (1 \u2014 cos a) cos2 & -f sin2 S cos a\nII. Raddrehung und Aberration lassen sich indirect bestimmen, wenn die \u00dcELMHOLTz\u2019sche oder FiCK\u2019sche Drehung bekannt ist, durch welche die Blicklinie in die betreffende Lage \u00fcbergef\u00fchrt werden k\u00f6nnte. Darin sind wieder zwei Bestimmungsm\u00f6glichkeiten implicirt :\na)\tAm n\u00e4chsten liegt nat\u00fcrlich, jeden der Werthe k Mnd k* mit H\u00fclfe der ihm zugeordneten Scheinvoraussetzung festzu-stellen. F\u00fcr den Raddrehungswinkel ergiebt sich in dieser Weise, wenn k den Erhebungs-, (ti den Seitenwendungswinkel bezeichnet :\n.\tsin a sin k\ntaug k =-------\u2014-----r .\ncos f.t + cos K\nBedeutet ebenso l und m Fick\u2019s Longitudo und Latitudo, so erhalten wir f\u00fcr den Aberrationswinkel:\n,\t. J sin m sin l\nlang Je4 = ---------\nCOS 7)1 + cos l\nDer erstere Ausdruck ist die bekannte Raddrehungsformel, nur in ungewohnten Symbolen.\nb)\tMan kann aber auch jeden der beiden Werthe mit H\u00fclfe\nder dem anderen zugeordneten Scheinvoraussetzung bestimmen.\nMan erh\u00e4lt so f\u00fcr den Raddrehungswinkel:\n,\tsin m cos m sin l (1 \u2014 cos m cos l)\ntang k =---------\u00ab---------^---r-\u2014- ;\nsm* m + cos\u00f6 m sin* l cos l\nebenso f\u00fcr den Aberrationswinkel:\ntang k4 =\nsin (Li cos f.i sin k (1 \u2014 cos f.i cos k) sin2/.i + cos8 jii sin2 k cos k\n1 F\u00fcr diese Zusammenstellung wird es am angemessensten sein, Helmholtz1 eigene Symbole (Physiol. 0. 2. Aufl., S. 645 ff.) einfach zu","page":201},{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"202\tA. Meinong.\nMan ersieht aus den sub lia und IIb verzeichneten Ausdr\u00fccken unmittelbar, wie die Verwandtschaft zwischen Raddrehung und Aberration zum Vorschein kommt, wenn man beide auf ihre Scheinvoraussetzungen resp. auf deren Aequivalente bezieht Der Wechsel in den Vorzeichen l\u00e4fst zugleich erkennen , wie der zu einer Blicklage geh\u00f6rige Raddrehungs-und Aberrationsnullpunkt zu einander und zum rollungs-freien Ergebnifs der thats\u00e4chlich stattfindenden Bewegung stehen. Aberrationsfreiheit und Raddrehungslosigkeit stellen zwei Extreme dar, zwischen denen die Wirklichkeit in der Mitte* 1 liegt. N\u00e4her kann man sich die drei Nulllagen leicht mit H\u00fclfe der zugeh\u00f6rigen Lagen des (urspr\u00fcnglich) verticalen Meridians anschaulich machen. Denkt man sich das monocul&re Blickfeld durch eine L\u00e4ngs mitte llinie und eine Quermittellinie in vier Quadranten getheilt, den urspr\u00fcnglich verticalen Meridian aber etwa in der Weise der Nachbild versuche darin sichtbar j gemacht, so l\u00e4fst sich allgemein sagen: vom Standpunkte des monocularen Blickfeldes betrachtet, steht in jedem seiner Quadranten die Aberrationsnull am meisten gegen innen, die Raddrehungsnull am meisten gegen aufsen. Oder: die Aberrationsnull steht jederzeit der verticalen, die Raddrehungsnull der \u2022 horizontalen Mittellinie zun\u00e4chst, womit zugleich gesagt ist, dafs die die Rollungs- und Raddrehungsnull repr\u00e4sentirenden Lagen j unseres Meridianes von der absoluten Verticalen stets gegen aufsen (dies nat\u00fcrlich wieder vom Standpunkte des monocularen Gesichtsfeldes) abweichen.\nDer Werth der so gewonnenen terminologischen wie gedanklichen Kl\u00e4rung kommt nat\u00fcrlich auch den Schwierigkeiten gegen-\nacceptiren. Auf die Inconvenienz, die darin liegt, dafs man f\u00fcr Raddrehungs-, Erhebung\u00bb- und Seitenwendungswinkel gerade im Anschl\u00fcsse an Helmholtz andere Symbole zu gebrauchen sich gew\u00f6hnt hat, wurde bereits oben 8. 174 hingewiesen.\n1 Diese Mittelstellung der Rollungsnull ist wieder mit H\u00fclfe der Aequivalente zur Ficx\u2019schen und HELKHOLTz\u2019schen Drehung besonders leicht zu verstehen. Ergeben sich durch Drehung um zwei von einander unabh\u00e4ngige Axen A und B zwei verschiedene Stellungen derart, dafs einmal zuerst um A und dann um B, das andere Mal erst um B und dann um A gedreht wird, so ist es nur nat\u00fcrlich, dafs, wenn nun ein drittes Mal zugleich um A und um B gedreht wird, die so zu erzielende End-stellung zwischen der zuerst und zuzweit gewonnenen Endstellung inmitten liegen wird.","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Baddrehung, Rollung und Aberration.\n203\n\u00fcber zur Geltung, von denen diese Untersuchungen ihren Ausgang nahmen. Es ist selbstverst\u00e4ndlich, dafs, solange Aberration, Raddrehung und Rollung nicht auseinander gehalten werden, an eine \u00fcbereinstimmende Formulirung der in der Erfahrung anzutreffenden Gesetzm\u00e4fsigkeiten nicht zu denken ist H\u00e4lt man dagegen die drei Rotationsbegriffe auseinander, so erkennt man zun\u00e4chst, dafs die Prim\u00e4rstellung weder dadurch ausgezeichnet ist, dafs von ihr aus keine Raddrehung, noch dadurch, dafs von ihr aus keine Aberration zu Stande kommt Auch steht nichts im Wege, ergiebt sich vielmehr aus dem eben Dargelegten, dafs der Sinn der eintretenden Aberration entgegengesetzt ist dem. Sinne der eintretenden Raddrehung. Rechtswendung des erhobenen Blickes ergiebt Raddrehung nach links, aber Aberration nach rechts und Niemand kann darin ein Paradoxon finden. Dagegen ist der Prim\u00e4rstellung allerdings eigen, dafs von ihr aus keine Rollung stattfindet, und es k\u00f6nnte immer noch befremden, dafs gleichwohl zwischen Secund\u00e4rstellungen, die sonach rollungslos von der Prim\u00e4rstellung aus zu erreichen waren, nun doch Rollung m\u00f6glich, ja in der Regel wirklich sein soll. Aber man wird daran doch nicht l\u00e4nger Anstofs * nehmen, als bis man sich des oben festgestellten Umstandes erinnert, dafs Rollung eine Bewegung ist und keine Lage. Die Bewegung von einer Secund\u00e4rstellung zu einer anderen wird in der Regel eben thats\u00e4chlich einen anderen Charakter haben als die Bewegung von der Prim\u00e4rstellung aus. Man kann sich ja leicht davon \u00fcberzeugen, dafs zwei nach dem LiSTiNGschen Gesetze bestimmte Secund\u00e4rlagen thats\u00e4chlich zumeist nicht so beschaffen sind, dafs man durch einfache Drehung aus der einen in die andere gelangen k\u00f6nnte. Das Gesetz von der gleichen Netzhautlage bei gleicher Blicklage steht dem in keiner Weise entgegen: es ist eben ein Lage- und nicht ein Bewegungsgesetz.\nEs wird vielleicht nicht unangemessen sein, im gegenw\u00e4rtigen Zusammenh\u00e4nge auch noch eines Versuches zu gedenken, an dem man gew\u00f6hnlich das LisTiNG\u2019sche Gesetz zu verificiren pflegt und der dann f\u00fcr die Psychologie des Lagesehens noch seine besondere Bedeutung hat. Ich meine den Versuch mit dem aufrechten Nachbildkreuz, \u00fcber dessen Verschiebung bei \u201eterti\u00e4ren\u201c Augenstellungen irrige Annahmen nicht selten sind. Daran denkt nat\u00fcrlich Niemand, sowohl in der Verschiebung des verticalen a 1 s in der des horizontalen Armes eine Raddrehung","page":203},{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204\nA. Meinong.\nod. dgl. zu erblicken; eher sieht man in dem entgegengesetzten Sinne dieser Verschiebungen einen Beweis daf\u00fcr, dafs keine \u201eRollung\u201c oder keine \u201eRaddrehung\u201c stattfindet. Dagegen nimmt man keinen Anstand, beide Verschiebungen der Projection beizumessen 1 und damit wohl implicite anzunehmen, dafs ohne Projection der eine Arm des Nachbildkreuzes immer noch vertical, der andere immer noch horizontal erscheinen m\u00fcfste. Es gen\u00fcgt dem gegen\u00fcber auf Thatsache und Sinn der Aberration hinzuweisen, sowie daran zu erinnern, dafs die Verticale einer Verschiebung durch Projection nicht ausgesetzt w\u00e4re. Damit ist gesagt, dafs die entgegengesetzte Verschiebung der beiden Arme des Nachbildkreuzes auf zwei ganz verschiedene Momente zur\u00fcckgeht : am verticalen Arme kommt die Aberration zum Vorschein, am horizontalen die Projection, sofern ihr Einflufs m\u00e4chtig genug ist, den nat\u00fcrlich auch am horizontalen Arme zur Geltung kommenden Einflufs der Aberration zu compensiren und mehr als zu compensiren. Schon Dondebs, der auch in dieser Sache klarer gesehen hat als manche Sp\u00e4tere, hat Versuchsbedingungen angegeben2, unter denen die Tendenz der Aberration, beide Arme in gleichem Sinne verschoben erscheinen zu lassen, zu ihrem Rechte gelangt\n1 Vgl. Aubert, Grundztige der physiologischen Optik, S. 655 u. 657 u.\n8 Arch. f. Ophthalm. Bd. XVI, S. 168 ff.\n(Eingegangen d. 19. Jan. 1S98.)","page":204}],"identifier":"lit30440","issued":"1898","language":"de","pages":"161-204","startpages":"161","title":"Ueber Raddrehung, Rollung und Aberration: Beitr\u00e4ge zur Theorie der Augenbewegungen","type":"Journal Article","volume":"17"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:59:24.915363+00:00"}