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{"created":"2022-01-31T12:31:38.034569+00:00","id":"lit30442","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Weinmann, Rud.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 17: 215-252","fulltext":[{"file":"p0215.txt","language":"de","ocr_de":"Die erkenntnifstheoretische Stellung des Psychologen.\nZugleich ein Beitrag zur Begr\u00fcndung der realistischen Denkweise als einzig m\u00f6glicher.\nVon\nRud. Weikmann.\nViel Selbstverst\u00e4ndliches wird zu sagen sein bei einer Er\u00f6rterung des erkenntnifstheoretischen Standpunktes, den wir nothwendig einnehmen, sobald wir Psychologie treiben. Aber gerade das Selbstverst\u00e4ndliche wird leicht \u00fcbersehen. In unserem speziellen Falle begegnet man im Bereich der neuesten philosophischen Literatur noch dazu Ansichten, die ihm direct zuwiderlaufen a.\nDarum das Folgende, das \u2014 so allzu plausibel es Manchem scheinen mag \u2014 die Berechtigung ausdr\u00fccklicher Constatirung darin finden m\u00f6chte, dafs es implicite Anerkanntes zu begr\u00fcnden und festzulegen sucht und zugleich verschiedenen, unser gesundes Denken mehr und mehr bedrohenden erkenntnifstheoretischen Positionen eritgegentritt.\nEin paar allgemeine Betrachtungen seien vorausgeschickt.\nMit stolzer Ueberlegenheit blickt der moderne Philosoph auf die \u201eAusschweifungen der Speculation1 11 eines Hegel, Schelling\n1 Ausgangspunkte \u2014 in negativem Sinne \u2014 f\u00fcr meine Auseinandersetzungen sind die erkenntnifstheoretischen Anschauungen, wie sie in erster Linie von Schuppe, Schubert - Soldern , Kaufmann, Mach, Rehmke; Leclaib, Laas, Cornelius, Avenarius vertreten werden und namentlich in der \u201eZeitschrift f\u00fcr immanente Philosophie\u201c und in der \u201e Vierteljahrsschrift f\u00fcr wissenschaftliche Philosophie\u201c ihre Heimst\u00e4tte gefunden haben.\nEntgegengetreten ist dieser ganzen Richtung erst k\u00fcrzlich Wundt, Philos. Studien Bd. 12 u. 13, \u201eUeber naiven und kritischen Realismus\u201c. \u2014 Im vorhinein m\u00f6chte ich auch auf eine eigene kleine Abhandlung \u201eWirklichkeitsstandpunkt\u201c, Vofs 1896, verweisen. \u2014","page":215},{"file":"p0216.txt","language":"de","ocr_de":"216\nzur\u00fcck. Denn er ist \u201ekritisch\u201c durch und durch. Mindestens also Kantianer. Mindestens \u2014 denn mehr und mehr h\u00e4ufen sich die Stimmen, die auch im Kantianismus zu viel an Metaphysik, zu wenig an Kritik sehen, und zwar gerade in seiner ges\u00fcndesten Seite, der Anerkennung einer in ihrer Existenz von uns, d. h. von unserem Denken unabh\u00e4ngigen, unserer Bewufstr seinsweit zu Grunde liegenden Objecten- oder Aufsenwelt. Die andere Seite der KANT\u2019schen Lehre, die in ihrem subjectivistisch aufgel\u00f6sten Begriff des \u201eDinges an sich\u201c liegt, hat ja schon \u00f6fter und schon fr\u00fcher mit vollstem Recht Widerspruch erfahren Das \u201eDing an sich\u201c, raum-, zeit- und causalit\u00e4tlos gefafet, ist ein Unbegriff. Nicht vorstellbar, nicht denkbar. Die Aufsenwelt zu einem derartigen x verfl\u00fcchtigen, heifst, sie in nichts auf-l\u00f6sen. Causalit\u00e4t auf die \u201eWelt der Erscheinung\u201c beschr\u00e4nken, fordert zugleich, von einer Wirkung des Dinges an sich auf unsere Psyche abzusehen. So bleibt ein x, das jedenfalls f\u00fcr uns ein Nichts ist. \u2014 Also \u00fcberfl\u00fcssig? Werfen wir es \u00fcber Bord? Das that der Idealismus. Der neuere Kantianismus wollte, von richtigen realistischen Instinkten geleitet, das Ding an sich retten. Er versuchte es mit einem grofsen Aufgebot au Scharfsinn und Dialectik. Ueberzeugen konnte er nicht. Denn eine unm\u00f6gliche Sache ist und bleibt diese ^r-Philosophie.\nDa kam der Positivismus in seinen verschiedenen Formen* zuletzt als \u201eBewufstseinsmonismus\u201c, \u201eimmanente Philosophie\u201c, und Standpunkt der \u201ereinen Erfahrung\u201c\nSeine Vertreter (s. vorige S. Anm. 1) r\u00fchmen sich, die \u201enat\u00fcrliche Weltansicht\u201c zu verfechten, und nennen sich gerne\n1 Dieser letztere von Avbnarius vertretene Standpunkt weicht trotz gleicher Grundlinien einigermaafsen von den anderen genannten und zu besprechenden Erkenntnistheorien ab. Darauf wird zur\u00fcckzukommen sein. Namentlich ist das \u00e4ufsere Gewand, der Ausdruck, bei Avexajuus objectivistiecher gef\u00e4rbt als bei den \u00fcbrigen Positivisten. Wenn ich dies . einstweilen nicht ber\u00fccksichtige und den Standpunkt der \u201ereinen Erfahrung*1 in die Besprechung der \u00fcbrigen verwandten Anschauungen mit einschliefee, so geschieht dies im Interesse der Einfachheit der Darstellung, vor Allem aber in Anbetracht der \u2014 in der That und eingestandenennaaCsen \u2014 gemeinsamen Grundanschauung der positivistischen Denker. \u2014 Ich bitte, die folgenden Ausf\u00fchrungen, was Avbnarius betrifft, in diesem Sinne hinzunehmen und das sp\u00e4ter (S. 228 ff.) \u00fcber Avenajrius Gesagte als Correctur des zun\u00e4chst Folgenden anzusehen, \u2014 Indem ich dies ausdr\u00fccklich bemerke, hoffe ich Mifsverst\u00e4ndnissen vorgebeugt zu haben.","page":216},{"file":"p0217.txt","language":"de","ocr_de":"Die erkenntnifstheoretische Stellung des Psychologen.\n217\n\u201enaive Realisten41. Im Grunde sind sie \u2014 verkappte Idealisten. Von diesen unterscheiden sie sich lediglich durch einen noch gesteigerten Ph\u00e4nomenalismus.\nDiese modernste Erkenntnistheorie verwirft das \u201eDing an sich\u201c. Sie nimmt aber ebenso dem vorstellenden, denkenden, kurz bewufsten Ich seine wirkliche Existenz '. \u201eSubject\u201c und \u201eObject\u201c stehen ihrer Ansicht nach in unl\u00f6sbarer Beziehung zueinander, keinem von beiden kommt selbstst\u00e4ndige Realit\u00e4t zu. Jegliche \u201eTranscendenz\u201c wird verworfen, alles in eine sozusagen in der Luft, im Nichts schwebende \u201eBewufstseinswelt\u201c aufgel\u00f6st Es bleibt nichts als ein Traum, der \u2014 im ph\u00e4no-menalistischen Gegensatz zum Idealismus \u2014 auch nur von einem getr\u00e4umten Ich getr\u00e4umt wird............\nDem Ungedanken des \u201eDinges an sich\u201c w\u00e4re man nun allerdings entgangen. Aber zugleich mit diesem x hat man auf alle Realit\u00e4t verzichtet \u2014 Glaubt man damit jenseits von Idealismus und (kritischem) Realismus angelangt zu sein, erhaben \u00fcber dieses traditionelle Entweder \u2014 Oder, so ist hieran sicherlich richtig, dafs von Realismus bei dieser Position keine Rede sein kann. Freilich auch nicht von \u201enaivem\u201c Realismus und \u201enat\u00fcrlicher Weltansicht\u201c! Dagegen ist es f\u00fcr jeden Unbefangenen unverkennbar, dafs die neutrale Haltung gegen\u00fcber Idealismus und Realismus nur eine versuchte und scheinbare ist und alle hierhergeh\u00f6rigen Erkenntnifstheoretiker, indem sie den Realismus verschm\u00e4hen, alsbald im Idealismus wieder festsitzen. Denn heilst es nicht, das Object zu Gunsten des Subjects fallen lassen, das Subjective zum wahrhaft Realen erheben, wenn ich alles Sein zu \u201eBewufstsein\u201c mache? \u2014 Rehmke, Schuppe, Leclair, Laas \u2014; wenn ich die \u201eEmpfindung\u201c als Element alles Wirklichen erkl\u00e4re? \u2014 Mach, Schubert-Soldern. \u2014Denn \u201eBewufstsein\u201c, \u201eEmpfindung\u201c bedeutet doch wohl nicht nur im allgemeinen Sprachgebrauch, nicht nur in der concreten Wissenschaft \u2014 was allein schon gen\u00fcgte ! \u2014, sondern auch f\u00fcr den abstracten Erkenntnifstheoretiker zun\u00e4chst wenigstens etwas Psychisches, Ideelles, dem Ich Angeh\u00f6riges, kurz etwas Subjectives. \u2014\nMufste man wirklich, da die KANT\u2019schen \u201eDinge an sich\u201c nichts taugten, auch auf die \u201eDinge\u201c verzichten?\nWunderlich ist es, dafs diese wirklichkeitszerst\u00f6renden \u201eAus-\n1 Siehe z. B. Kaufmann, Ztschr. f. imm. Philos. Bd. 1, S. 392 f.","page":217},{"file":"p0218.txt","language":"de","ocr_de":"218\tlind. Weinmann.\nSchweifungen der Erkenntnistheorie\u201c, die den oben genannten \u201eAusschweifungen der Speculation\u201c um nichts nachstehen, gerade zu einer Zeit sich breit machen, da die Naturwissenschaft, die Erforschung und technische Unterwerfung der Aufsenwelt ungeahnte, riesige Erfolge erzielt. Zu einer Zeit, da an phy-sicalischen Entdeckungen Aufsergew\u00f6hnliehes geleistet wird, da unsere Lebensanschauung, unser Kunstleben aufs intensivste der Wirklichkeit zugekehrt ist. Zu erkl\u00e4ren ist das einmal als vor\u00fcbergehende Reactionserscheinung gegen die Sturmgewalt, mit der der naturwissenschaftliche Geist alles eroberte und in seinen einseitig materialistischen Bannkreis zog. Dann aus der ganzen philosophiegeschichtlichen Entwicklung des Erkenntnifsproblems heraus. Davon gleich ein Weiteres.\nWir fragen : soll es f\u00fcr die ganze reiche grofsartige Wirklichkeit in der That keine andere philosophische Formel geben als x oder 0 ? Das x war nicht zu retten. Gut. Deshalb aber es einfach streichen? Nie und nimmer. Unm\u00f6glich.\nUnser gesundes Denken, unser Handeln, alle unsere Wissenschaften erheischen und setzen voraus die Realit\u00e4t, die wirkliche Existenz der Aufsenwelt ebenso wie der empfindenden, denkenden, wollenden, f\u00fchlenden Iche. Und wenn die Aufsenwelt den krampfhaftesten Versuchen, sie als undefinirbares \u201eDing an sich\u201c zu fassen, widersteht, so habe man doch den Muth, sie als positive Gr\u00f6fse zu nehmen, als die positive Gr\u00f6fse, die bei aller m\u00f6glichen Abstraction unweigerlich \u00fcbrig bleibt: als r\u00e4umlich-zeitlich-eausale Welt. Nehmen wir sie als solche, so thun wir nichts anderes als alle (concrete) Wissenschaft, der Natur und des Geistes, immer schon gethan hat Wir befinden uns also damit in ganz guter Gesellschaft und scheuen uns nicht, dieser Anschauung auch die erkenntnifstheoretische Sanction zu er-theilen. Wof\u00fcr wir freilich auf die souver\u00e4ne Verachtung der modernen Herren Erkenntnifstheoretiker gefafst sind.\nOhne Frage ist diese im wahren Sinne des Wortes realistische, vom KANT\u2019schen Subjectivismus gereinigte erkenntnifstheoretische Position1 die denkbar einfachste und zwangloseste, und wenn ihre M\u00f6glichkeit vom modernen Ph\u00e4nomenalisten kaum geahnt wird, so beweist dies nur, dafs man in der\n1 Vgl, meinen \u201eWirkliclikeitastandpunkt\u201c, L. Vofa, 1896, wo ich dieselbe dargelegt habe.","page":218},{"file":"p0219.txt","language":"de","ocr_de":"Die erkenn tn if \u00bbtheoretisch e Stellung des Psychologen.\n219\nPhilosophie leider noch immer dem Gesunden, Einfachen, weil am Ende zu Banalen, \u00e4ngstlich aus dem Wege geht. Wenn sie aber die einfachste und naheliegendste Position ist (was man schwerlich leugnen k\u00f6nnte), so hat jede andere Position die Beweislast, und da der positivistische Ph\u00e4nomenalismus seine Ansichten vor allem der unhaltbaren \u201eDing-a n-s ich\u2018\u2018-Philosophie entgegengestellt hat *, so m\u00fcfste er sich mit der von ihm nicht vorgesehenen9 \u201eDinguphilosophie abfinden. Vornehme Verachtung w\u00e4re noch kein Gegenbeweis.\nSeitdem der philosophirende Menschengeist einmal zu der gewifs unbezweifelbaren Einsicht gelangt ist, dafs alles, was wir empfinden und vorstellen, zun\u00e4chst ein Bewufstes, Subjectives, eine Aeufserung und Beth\u00e4tigung unserer Psyche ist1 * 3, seitdem ist er auch von Schritt zu Schritt mehr dem Gedanken verfallen, dies zun\u00e4chst Subjective und Bewufste nur als solches fassen zu m\u00fcssen. Die Sophisten, Augustin, Descartes, Berkeley, Kant, Fichte, der moderne Ph\u00e4nomenalismus endlich : eine aufsteigende Linie von der Erkenntnifs jener Wahrheit zu der Consequenz, die da lautet: Es giebt objectiv nur ein unerkennbares , bestimmungsloses und bestimmungsunm\u00f6gliches x \u2014 Kantianismus. Oder: es existirt \u00fcberhaupt nur die uns un-\n1 Diese Thatsache ist nicht zu \u00fcbersehen I Der Kampf gegen den Realismus ist allenthalben ein Kampf gegen die KANT\u2019sche \u201eAn-8ich\u201c-Trans-cendenz. Er verliert seine Spitze, sobald man den Realismus von diesem Begriff, der ihm durchaus nicht wesentlich ist, im Gegentheil aus dem Kantianismus heraus zum Idealismus gef\u00fchrt hat, reinigt; wie wir dies versucht haben. \u2014 Man betrachte z. B. unter diesem Gesichtspunkt den Ph\u00e4nomenalismus Rehbikks, dessen ganzes Buch \u201eDie Welt als Wahrnehmung und Begriff\u201c sich ausschliefslich gegen den Realismus im Binne der Kant \u2019sehen Transcendenz richtet. (8. besonders 8.1 ff.\u2019 S. 275 ff.) Ebenso verf\u00e4hrt der Empiriokritizismus Avenakius\u2019. Die M\u00f6glichkeit eines Realismus ohne \u201eDing-an-sich\u201c wird gar nicht in Betracht gezogen. Vgl. z. B. R. Willy, \u201eDer Empiriokritizismus als einzig wissenschaftlicher Standpunkt\u201c, Viertdjahrsschrift f. wissensch. Philos.. Bd. 20, fi. 195f., S. 215.\n51 Da er sie, wie es scheint, ihrerseits durch den Kantianismus f\u00fcr erledigt h\u00e4lt.\n3 F\u00fcr die erkenntnifs theoretische Reflexion! Psychologisch betrachtet ist das \u2014 weder subjectiv noch objectiv gedeutete, so zu sagen neutrale \u2014 Erlebnifs, das \u201eDasein\u201c von Objecten, das Urspr\u00fcngliche. Vgl. Lipps, Logik, S. 2 f. u. 10. S. auch W\u00fcndt, a. a. O., Phil. St Bd. 12, S. 394 ff.","page":219},{"file":"p0220.txt","language":"de","ocr_de":"220\n]{\nmittelbar gegebene Bewufstseinswelt \u2014 Idealismus, Ph\u00e4nome* nalismus.\nMit der dritten grolsen M\u00f6glichkeit aber \u2014 wieder und endg\u00fcltig \u2014 Ernst zu machen, ist es vielleicht nunmehr an der Zeit: gewifs ist uns zun\u00e4chst nur unsere Bewufstseinswelt gegeben; aber sie kann nie und nimmer anders begriffen werden denn als (mehr oder minder ad\u00e4quate) Spiegelung 1 einer objectives von uns unabh\u00e4ngig existirenden (und insofern als transcendent zu bezeichnenden) Aufsemvelt Diese also existirt einmal objectiv, realiter; dann aber subjectiv, ideell so oft, als sie sich in bewufstseinsbegabten Wesen spiegelt und in ihnen ein Weltbild schafft.\nUnsere specielle Aufgabe nun soll es sein, die erkenntnifs-theoretische Formel aufzuzeigen, unter der jedwede psychologische Fragestellung steht2 * * 5 ; unser Ziel, nachzuweisen, dafs diese Formel keine andere ist und sein kann als die des eben angedeuteten wahrhaften Realismus. Gelingt dies, so leuchtet ein, dafs zugleich damit ein umfassender, schwerwiegender Beweis daf\u00fcr\n1 Nebenbei Bei bemerkt, dafs der Ausdruck \u201eSpiegelung\u201c nat\u00fcrlich\nnur gleiclinifsweise gilt. Wir m\u00fcssen uns nothwendiger Weise mit einem\nBilde begn\u00fcgen, da das Verh\u00e4ltnis des Ideell-Geistigen zu seinem realen Aequivalent ein ganz einzigartiges ist. Das Bild des \u201eSpiegelns\u201c nun ist aus dem Gebiet des Objectiven genommen und bezeichnet eine gewisse\nWeise des Verhaltens realer Objecte zu einander. Immerhin d\u00fcrfte es den Vorgang des \u201eErkennens\u201c am besten charakterieiren. Daher es auch immer schon in diesem Sinne gebraucht wurde. Vgl. u. a. Wundt, Phys. Psych., 4. Auf!., 2. Bd., S. 64S.\n5 Dafs der Standpunkt des Psychologen \u00fcberhaupt eine erkenntnifs-theoretische Stellungnahme involvirt (was man vielleicht bezweifeln konnte), wird sich im Folgenden implicite erweisen. Nur so viel sei voraus-greifend bemerkt: Daraus, dafs ich nicht fortw\u00e4hrend auf die jeweilige erkenntnifstheoretische Position gelegentlich einer psychologischen Untersuchung reflektire, ja dies in dem und dem Falle gar nicht n\u00f6thig habe, folgt nichts weniger, als dafs ich nun auch thats\u00e4chlich keine erkenntnifs-theoretische Stellung einnehme. W\u00e4re dem so, dann g\u00e4be es erkenntnifstheoretische Standpunkte eigentlich nur f\u00fcr den eben schaffenden Er-kenntnifstheoretiker. Es ist aber zweifelsohne umgekehrt, n\u00e4mlich so, dafs zu jedem Moment wissenschaftlichen und vorwissenschaftlichen Denkens die erkenntnifstheoretische Formel gefunden werden kann. Dafs man diese gew\u00f6hnlich als \u201enaive\u201c oder \u201eprovisorische\u201c bezeichnet im Gegensatz zur h\u00f6heren des Erkenntnifstheoretikers, thut dem keinen Abbruch; und wird noch seine Beleuchtung finden.","page":220},{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"Die erkenntnifstheoretische Stellung des Psychologen.\n221\ngeschaffen ist, dafs der erkenntnifstheoretische Realismus der einzig m\u00f6gliche und allenthalben geforderte Standpunkt \u00fcberhaupt ist. Denn wenn alle Wissenschaft ihn gar nicht entbehren kann, \u2014 und das vorwissenschaftliche und einfache gesunde Denken erst recht nicht \u2014, wenn keinerlei logische oder immanente Schwierigkeit ihm rein philosophisch betrachtet anhaftet \\ dann wahrlich haben wir keinen Grund mehr, von paradoxen erkenntnifstheoretisehen Gedankenspielen \u2014 oft, wie gesagt, wahren Ausschweifungen der menschlichen Vernunft \u2014 f\u00fcrder uns beunruhigen zu lassen. Wir m\u00f6gen sie durchdenken, wie sie denn einmal von der Philosophie als Stufen m\u00f6glicher Speculation durchlaufen worden sind. Aber dann endlich, nach all den Umwegen und fruchtlosen Anstrengungen, zur Natur zur\u00fcck, zu einer ebenso einfachen wie gesunden wie widerspruchslosen Betrachtungsweise vom Denken und Sein.\nNur als Zeichen, Bilder f\u00fcr ein unabh\u00e4ngig von uns Exi-stirendes k\u00f6nnen wir das verstehen, was wir in der eigenth\u00fcm-lichen Form des Psychischen (speciell der Empfindung und Vorstellung) erleben. Der psychologische Zwang, der uns treibt, das Bewufste, Erlebte, Erfahrene als ein Objectives aufzufassen 2, ist kein blofser Scherz, den sich unsere Psyche leistet, sondern der instinctive Hinweis auf die Anschauung, zu der uns auch die rein philosophisch-logische Betrachtung des Erlebten folgerichtig hinf\u00fchrt. Nicht aus Gesetzen unseres Bewufstseins, sondern nur aus den Gesetzen einer unabh\u00e4ngig von uns exi-stirenden Wirklichkeit ist das Geschehen um uns her begreiflich und verst\u00e4ndlich. Und leicht unterscheiden wir hievon diejenigen Gesetze, denen unser seelisches Leben folgt, wenn es von \u00e4ufseren Impulsen hinweg seine eigenen Wege geht. Je ein Beispiel hief\u00fcr. Ein neuer Fixstern wird entdeckt; \u2014 ich erinnere mich, angeregt durch den Geruch einer Orange, an eine einstige Reise nach Italien, an bestimmte landschaftliche Situationen, an Erlebnisse mit Menschen, denen ich damals begegnet u. s. w. \u2014 Letzteres erkl\u00e4rt sich aus psychologischem Gesetz, aus dem Spiel der Associationen. Aber ersteres ? ! Wieso entdecke ich einen ungekannten Stern? Wie komme ich zu dieser Vervollkommnung meiner Erkenntnifs ? Ist dieses freilich\n1 S. Wirklichkeitsstandpunkt.\n9 Ueber das \u201eBewufstsein der Objectivit\u00e4t\u201c vgl. Lipps, Logik, S. 4ff.","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"222\tRud. Weinmann,\nzun\u00e4chst Psychische, aus Empfindungen, Vorstellungen, Urtheilen zusammengesetzte Gebilde, genannt neuentdeckter Fixstern, in seinem Dasein auch psychologisch zu erkl\u00e4ren? Nimmermehr. So gewifs es zun\u00e4chst ein Psychisches, Bewufstes ist, so ist es doch nur als Zeichen, Abbild f\u00fcr ein objectiv Wirkliches zu verstehen. Ein \u201eDing\u201c steckt dahinter, dessen Dasein, Herkunft, Bedeutung nur aus seinem Zusammenhang mit anderen \u201eDingen\u201c begriffen werden kann. Physicalische, nicht psychologische Gesetze kommen hier in Betracht.\nDer psychologistische Positivist w\u00fcrde nun einfach sagen, dafs physicalische Gesetze nur gewisse, besonders geartete Gesetze des Bewufstseins seien, die man von den im engeren Sinne psychologischen Gesetzen unterscheiden m\u00fcsse. Damit stehen wir mit einem Schlage vor dem Cardinalpunkt des Verh\u00e4ltnisses des Nichtrealismus zur Psychologie.\nDer Nichtrealismus (Positivismus, Idealismus, Ph\u00e4nomenalismus, Bewufstseinsmonismus, immanente Philosophie), der kurz gesagt in der Behauptung gipfelt, dafs alles Sein Bewufstsein ist, er operirt mit einem Doppelsinn des Begriffes \u201eBewufstsein\u201c. Dies mufs nothwendigerweise am eclatantesten da hervortreten und sich in seiner ganzen verwirrenden Unm\u00f6glichkeit offenbaren, wo der Versuch gemacht wird, von solchem psycho-logistischen Standpunkt aus \u2014 Psychologie zu treiben.\nSolange man in den Sph\u00e4ren der erkenntnifstheoretischen Abstraction schwebt, losgel\u00f6st vom Staube concreter Wissenschaft, da ist \u2014 so ziemlich alles m\u00f6glich. In dem Sinne wenigstens, dafs es gelingt, f\u00fcr Augenblicke den Schein der Widerspruchslosigkeit und Vern\u00fcnftigkeit zu wahren. Ebenso vermag man gegen\u00fcber dem gesunden Menschenverstand, dem vorwissenschaftlichen Denken, also den allerconcretesten F\u00e4llen denkender Beth\u00e4tigung, gewisse erkenntnifstheoretische Absurdit\u00e4ten zu retten: man hat ja hier das bequeme Mittel, auf den gesunden Menschenverstand g\u00f6nnerhaft als etwas Naives, das der Erkenntnifstheorie gewissermaafsen selbstverst\u00e4ndlich entgegenstehen mufs, herabzublicken. Schwieriger wird es schon angesichts der Naturwissenschaft. Aber dank einer gewissen Ueberlegenheit wird man auch mit ihr fertig. Die Naturwissenschaft, so erkl\u00e4rt man, ist in der eigenth\u00fcmlichen Lage, gewisse naiv-metaphysische Voraussetzungen machen zu m\u00fcssen, aus Zweckm\u00e4fsigkeitsgr\u00fcnden. Das sei als provisorischer Standpunkt","page":222},{"file":"p0223.txt","language":"de","ocr_de":"Die erkenntni\u00dftheoretische Stellung des Psychologen.\n223\n.hinzunehmen, der sich f\u00fcr den Erkenntnifstheoretiker aber ohne weiteres und h\u00f6chst einfach in den alleinseligmachenden : \u201eSein = Bewufstsein41 verwandeln lasse; die ganze Seinswelt des Natur-wissenflchaftlers sei eben im Grunde die Bewufstseinswelt. Basta. Recht fatal nun wird die Situation angesichts der Psychologie. Da ger\u00e4th die Ichphilosophie arg in die Enge. Leicht begreiflicher Weise. Gegenstand der Psychologie sind, allgemein gesprochen, die Zusammenh\u00e4nge des Bewufstseinslebens. Da nun die ph\u00e4nomenalistische Ansicht aufser Bewufstsein bezw. Bewufst-seinsinhalten nichts Wirkliches gelten l\u00e4fst, alles Sein in Bewufstsein aufl\u00f6st, so sieht sie sich gezwungen, zwischen Bewufstsein und \u2014 Bewufstsein zu unterscheiden.\nHieher geh\u00f6rt vor Allem der Versuch Schuppe\u2019s^zu diesem Behufe zwei \u201eBewufstseins\u201c-Begriffe herauszukl\u00fcgeln ; wovon einer dem entsprechen soll, was gew\u00f6hnliche Menschen unter Bewufstsein verstehen und als Gegenstand der Psychologie betrachten. \u2014 So sehr nun derartige Versuche, das Unm\u00f6gliche m\u00f6glich zu machen, scheitern und scheitern m\u00fcssen, so sind sie doch anerkennenswerther als die Beruhigung bei der bequemen Ausflucht, auch die Psychologie als eine Einzelwissenschaft mag sich\u2019s bei ihrem \u201enaiven\u201c erkenntnifstheoretischen Standpunkt gen\u00fcgen lassen.\nAus diesem Versuch spricht immerhin das Gest\u00e4ndnifs : .wenn der ph\u00e4nomenalistische Standpunkt m\u00f6glich sein soll, so mufs er wenigstens so weit herab ins Concrete zu rechtfertigen sein, dafs er mit dem Sinn aller Psychologie in Einklang zu bringen ist. In der That. Eine Erkenntnistheorie, die nur im Reich abstractester Abstraction Halt und St\u00fctze findet, ist eine werthlose logische Spielerei. Eine Erkenntnistheorie zumal, die wie der Ph\u00e4nomenalismus ganz und gar auf dem Begriff des \u201eBewufstseins\u201c basirt, mufs sich zum Mindesten mit der Wissenschaft ins Reine bringen k\u00f6nnen, die es speciell mit dem Bewufstseinsleben zu thun hat.\nSchuppe also unterscheidet zwischen individuellem Bewufstsein und \u201eBewufstsein \u00fcberhaupt\u201c. Letzteres ist das allen individuellen Bewufstseinen gemeinsame gattungsm\u00e4fsige Moment ; es ist als solches ein und dasselbe in jedem Einzelbewufstsein\n1 \u201eBegriff und Grenzen der Psychologie\u201c, Zeitschrift f. imm. Philos 1. Bd., S. 37 ff.","page":223},{"file":"p0224.txt","language":"de","ocr_de":"224\nund verh\u00e4lt sich zu allen diesen wie das Generische zuin Sped* fischen \u2019. In jedem Einzelbewufstsein findet sich demgew\u00e4fs solches, das zum \u201eBewufstsein \u00fcberhaupt\u201c geh\u00f6rt, und anderes, das, wenn nicht sein Dasein, so doch seine besondere Art und F\u00e4rbung aus der Individualit\u00e4t hat und zu ihr geh\u00f6rt *. Psychologie nun ist \u201enicht die Wissenschaft von dem ganzen individuellen Bewufstsein mit seinem Inhalte, sondern von demjenigen, was darin eben zur Individualit\u00e4t geh\u00f6rt und diese ausmacht\u201c 1 * 3. Was dagegen zum \u201eBewufstsein \u00fcberhaupt\u201c geh\u00f6rt, bildet die allen Individuen gemeinsame objective Welt und Wirklichkeit und dementsprechend den Gegenstand der \u00fcbrigen Wissenschaften.\nEs ist hier nicht der Ort, die Unm\u00f6glichkeiten und Gezwungenheiten dieser Zurechtlegung4 * 6 und ihrer Consequenzen einzeln ans Licht zu ziehen*. Nur auf ein paar Punkte sei hingewiesen.\nDie angef\u00fchrte Scheidung wird von Schuppe zun\u00e4chst ausdr\u00fccklich als eine rein logische hingestellt. \u201eBewufstsein\u00fcberhaupt\u201c soll nichts weiter sein als der \u201eGattungsbegriff\u201c, zu welchem jedes individuelle Bewufstsein als unter denselben fallendes \u201eEinzelding\u201c geh\u00f6rts. Aber im Handumdrehen gewinnt diese Abstraction \u201eBewufstsein \u00fcberhaupt\u201c eine eminent ontologische, metaphysische Bedeutung7, wenn an sie die Existenz der f\u00fcr alle Individuen g\u00fcltigen und von ihnen unabh\u00e4ngigen Welt \u201egekn\u00fcpft\u201c wird. Die Rolle, die damit dem \u201egattungsm\u00e4fsigen Moment\u201c des individuellen Ich zugesehrieben wird, seine Beziehung zu allen concreten Bewufstseinen, die Behauptung einer an einen blofsen Begriff (der also seiner Natur nach gar nicht wirklich existirt) gekn\u00fcpften und sich doch nur in den Einzelbewufstseinen offenbarenden Welt ist etwas\n1 A. a. O. S. 60, 46.\n\u00ab S. 48.\n* S. 50.\n4 Die ihren Gipfel gelegentlich der Construction der raum-zeitlichen\nAufsenwelt erreichen, S. 60ff., besondere S. 68 f.\n6\tVgl. die Kritik Wusdt\u2019s, a. a. 0. Bd. 12, S. 399 f.; auch R. Willy, Vierteljahrsachr. Bd. 18, S. Iff.\n\u00bb A. a. 0. S. 39.\n7\tNebenbei auch einen an die platonischen Ideen erinnernden Bei-geschmack.","page":224},{"file":"p0225.txt","language":"de","ocr_de":"Die crkenntnifstheorctische Stellung des Psychologen.\n225\ngeradezu Mysteri\u00f6ses. Dadurch wird die metaphysischeste Metaphysik in den Schatten gestellt Das \u201ereine Ich\u201c, eingestandener-maafsen eine leere Abstraction, gewonnen aus dem allein wirklichen individuellen Ich *, wird zum Producenten der Gesammt-wirklichkeit, zum Gef\u00e4fs, in dem diese eingeschlossen ist. Schuppe dr\u00fcckt sich freilich nicht so aus ; er spricht vom \u201eGekn\u00fcpftsein\u201c der objectiven Wirklichkeit an das Gattungsm\u00e4fsige im Bewufst-sein. Aber das ist nur der vorsichtige und euphemistische Ausdruck hief\u00fcr und beweist \u2014 nicht, dafs Schuppe kein Idealist ist, sondern lediglich \u2014, dafs er keiner sein will. Die Behauptung, die objective Wirklichkeit sei an das \u201ereine Ich\u201c gekn\u00fcpft, kann nichts anderes bedeuten \u2014 sofern man \u00fcberhaupt mit Worten eine verst\u00e4ndliche, greifbare Bedeutung verbinden will und nicht etwa sich\u2019s am Worte schon genug sein l\u00e4fst! \u2014 als einen verschleierten Idealismus. Oder man setzt die Existenz, die selbstst\u00e4ndige Realit\u00e4t der objectiven Wirklichkeit dabei schon voraus, bringt sie nur in Beziehung zu dem sie erfassenden Bewufstsein \u2014 und ist eben damit uneingestandener Realist\nFerner: Warum ist dieses an das \u201eBewufstsein \u00fcberhaupt\u201c \u201egekn\u00fcpft\u201c, anderes nur dem individuellen Ich zugeh\u00f6rig? Wie ist das Dasein der und der an das Bewufstsein \u00fcberhaupt gekn\u00fcpften Objecte in einem bestimmten concreten Bewufstsein, ihr Kommen und Gehen daselbst, ihre Verkn\u00fcpfung untereinander und mit anderen verst\u00e4ndlich zu machen?\nDie von Schuppe beliebte Scheidung giebt auf alT das keine Antwort Sie ist, selbst wenn an sich richtig und Thats\u00e4chhches constatirend, jedenfalls erkenntnifstheoretisch ganz und gar unfruchtbar. Sie giebt umgekehrt nur selbst Fragen auf, eben die genannten, und deren L\u00f6sung ist einzig und allein auf der Basis der realistischen Denkweise zu gewinnen. Oder vielmehr : der Realismus ist der von gesundem und concret-wissenschaftlichem Denken im vorhinein und instinctiv eingeschlagene Ausweg aus allen Fragen und Schwierigkeiten, die der Reflexion aus der erkenntnifskritischen Betrachtung und logischen Zergliederung unserer Erlebnisse8 sich aufdr\u00e4ngen k\u00f6nnen.\nSchuppe und \u00e4hnliche Denker ignoriren diesen l\u00e4ngst ge-\n1 8. 62.\na Z. B. nach der Art Schuppe\u2019s. Zeitschrift fur Psychologie XVII.\n15","page":225},{"file":"p0226.txt","language":"de","ocr_de":"226\nBud. Weinmann.\ngebeneil, klar vorgezeichneten, unserem Denken sich auf zwingenden Ausweg. Aber haben sie eine andere Erkl\u00e4rung f\u00fcr jene Fragen? Oder gar eine bessere und einfachere \u2014 was man erwarten und verlangen k\u00f6nnte, da sie die vorhandene vornehm verschm\u00e4hen ? \u2014 Bewahre. Sie haben keine und \u2014 sie wollen gar keine. Sie machen das, worauf der Mensch, solange er denkt, schon eine Antwort hatte, (sofern es \u00fcberhaupt zur Frage kam und mithin eine Antwort n\u00f6thig war,) zum R\u00e4thsel aller R\u00e4thsel, f\u00fcr das es keine L\u00f6sung geben soll. Dafs in einem individuellen Bewusstsein dieses und jenes vorgeht, das eine verschwindet w\u00e4hrend das andere auftaucht u. s. w. u. s. w., das sollen wir als letzte Thatsache hinnehmen, nach deren Warum zu fragen keinen Sinn hat. Die ebenso abstruse wie unvermeidbare Consequenz des Idealismus (mit dem alle Ich- oder Bewufstseinsphilosophie im Grunde identisch ist), dafs das Ich das Nichtich producire, wird todtgeschwiegen ; denn zu einer solchen \u201eErkl\u00e4rung\u201c m\u00f6chte man sich doch nicht offen bekennen. Und dem Realismus und seinem Erkl\u00e4rungswerth steht nun einmal das Vorurtheil der modernen Erkenntnifstheorie entgegen\nDie Welt ist voll von R\u00e4thseln; \u2014 Philosophen vom Schlage Schuppe's vermehren sie um das gr\u00f6fste, indem sie Welt und Wirklichkeit zur mysteri\u00f6sen Bewufstseinsfatamorgana machen.\nAber um diese und alle sonstigen allgemeineren Bedenken bei Seite zu lassen \u2014 was nicht leicht f\u00e4llt! \u2014: kann die Wissenschaft der Psychologie mit dem von Schuppe zurechtgezimmerten Begriffsapparat in Einklang gebracht werden? Kann sie auf seiner Basis auch nur einen Schritt vorw\u00e4rts thun, eine reale Frage behandeln oder auch nur stellen? Kann in Schuppe\u2019s Sprache ein concretes psychologisches Problem \u00fcberhaupt ausgedr\u00fcckt werden?\nEin Blick, ein fl\u00fcchtiges Erinnern an Psychologie und psychologische Fragen giebt schon gen\u00fcgenden Bescheid. Welches die erkenntnifstheoretische Basis ist, auf der der Psychologe operirt und operiren mufs, welche erkenntnifetheore-tische Sprache er dabei spricht, davon soll alsbald des N\u00e4heren die Rede sein und es wird kein Zweifel dar\u00fcber bleiben k\u00f6nnen, dafs dieselbe himmelweit verschieden ist von der Schuppe\u2019s.\nUnhaltbar ist schon die Gebietstheilung in der Schuppe\u00ab sehen Definition der Psychologie, ihrerseits selbst wieder ver-","page":226},{"file":"p0227.txt","language":"de","ocr_de":"Die ci'kenntnif^theoretische Stellung des Psychologen.\n227\nursacht durch die erkenntnifstheoretische Stellung des Verfassers. Da nach dieser aufser, hinter, neben dem Bewufstsein nichts existirt, so rnufste, wie wir sahen, dessen Inhalt in zwei Theile zertrennt werden, wovon einer den Gegenstand f\u00fcr die Psychologie, der andere den f\u00fcr die \u00fcbrigen (objectiven) Wissenschaften abgeben \u00aboll.\nF\u00fcrs erste ist nun die Grenzabsteckung zwischen beiden Gebieten eine sehr vage1 ; im grofsen Ganzen liegt die Sache dabei so, dafs Schcjppe nicht aus seiner Definition heraus die Gebiete begrifflich trennt, sondern von seiner allgemein-wissenschaftlichen Erfahrung aus eben weifs, was zur Psychologie geh\u00f6rt, was nicht, und darauf hin so gut es gehen will die Dinge zurechtzulegen und in seinen beiden F\u00e4chern, Bewufstsein \u00fcberhaupt und individuelles Bewufstsein, unterzubringen sucht. Dabei giebt es manche Verlegenheit.\nDies ist begreiflich. Denn \u2014 zweitens \u2014 auch und gerade das Gattungsm\u00e4fsige im Bewufstsein geh\u00f6rt zur Psychologie, w\u00e4hrend umgekehrt das Individuelle als solches f\u00fcr die Wissenschaft der Psychologie nicht in Betracht kommt. Das Individuelle im geistigen Leben ist gewifs ein Gegenstand von gr\u00f6fstem Interesse. Es spielt in Kunst und Leben eine ungeheuere Rolle und ihm geb\u00fchrt als Individualpsychologie (Menschenkunde, Seelenkunst) auch eine Stelle im Reich der Geisteswissenschaft. Aber eine besondere Stelle. Die Psychologie im engeren Sinne zielt wie jede Wissenschaft auf das Allgemeine, Gattungsm\u00e4fsige ab. Damit allein hat sie es zu thun und das Concrete, Individuelle ber\u00fccksichtigt sie nur und mufs es ber\u00fccksichtigen, insofern sich in ihm das Allgemeine kundgiebt. Ganz wie es die Physik z. B. auch macht. Das Individuelle und nur das Individuelle liefert das Erfahrungsmaterial. Aufgabe der Wissenschaft aber ist es, \u00fcber die individuellen Verschiedenheiten hinweg zum Generischen zu gelangen. Darum neben der Beobachtung das Experiment und die Wiederholung von Beobachtung und Experiment, bis individuelle Zuf\u00e4lligkeiten als ausgeschlossen gelten k\u00f6nnen.\nDas weifs nat\u00fcrlich Schuppe so gut als wir und durch Klauseln und Modificationen sucht er diesem Sachverhalt gerecht zu werden und den Verlegenheiten, Schwierigkeiten, Wider-\n1 S. z. B. S. 48.\n15*","page":227},{"file":"p0228.txt","language":"de","ocr_de":"228\nSpr\u00fcchen zu entgehen, in die ihn seine Definition nothwendiger-weise verstrickt Dabei geschieht es denn, dafs die Begriffe Be-wuistsein \u00fcberhaupt und individuelles Bewufstsein mehr und mehr an Bestimmtheit verlieren und ihre urspr\u00fcngliche Bedeutung gemach in nichts zerbr\u00f6ckelt.1 *\nSchuppe\u2019s Definition der Psychologie, ihre Abgrenzung gegen andere Wissenschaften ist falsch. Nicht gegenst\u00e4ndlich, sondern der Betrachtungsweise, dem inneren Zusammenhang nach unterscheidet sich das Gebiet der Psychologie von dem der anderen Wissenschaften. Auch hiervon gleich ein Positives.\nVorher mufs noch der besonderen Stellung des Standpunktes der \u201ereinen Erfahrung\u201c (Empiriokritieismus) in dieser Angelegenheit gedacht werden.9 Sein monistisch-ph\u00e4no-menalistischer Grundcharakter verbindet ihn zwar aufs innigste mit der \u00fcbrigen modernen. Erkenntnifstheorie. Doch fehlt bei ihm der Subjectivismus, das psychologisirende Verfahren der Schuppe, Schubebt-Soldebn, Rkttmef. u. s. w. und so kommt es, dafs er sich gerade in der Auffassung der Psychologie auffallend und wesentlich vom \u00fcbrigen Positivismus scheidet3 4\nAvexari\u00fcs Standpunkt ist ph\u00e4nomenalistisch. Denn er verwirft jegliche Transcendenz, d. h. jedes selbstst\u00e4ndige Sein im Sinne des Realismus. \u201eSubject\u201c und \u201eObject\u201c haben zwar andere Namen bekommen, sie heifsen \u201eCentralglied\u201c und \u201eGegenglied\u201c (\u201eUmgebung\u201c), aber sie spielen die gleiche Rolle wie bei allen Ph\u00e4nomenalisten : keine Umgebung ohne Centralglied, kein Centralglied ohne Umgebung*. Avenabitts ist ferner Monist Er l&fst keinerlei \u201eVerdoppelung\u201c oder \u201eWiederholung\u201c, keine Trennung des Erfahrungsinhaltes in \u201eSachding\u201c und \u201eGedankending\u201c, Physisches und Psychisches, Reelles und Ideelles zu5\nW\u00e4hrend aber die \u00fcbrigen Monisten, hierin mit ihm einig, alsbald unzweideutigst das Psychische, Ideelle, Subjective als\n1 So wenn Schuppe die Lehre von den Sinnesempf indungen, die mit dem Individuellen nichts zu thun hat, wohl oder \u00fcbel in der Psychologie unterbringen mufe, \u2014 weil sie eben einmal trotz Schuppe und seiner Definition zur Psychologie geh\u00f6rt. S. S. 70.\n*\tVgl. oben S. 216, Anm. 1.\n*\tSiebe Avbkamus\u2019 \u201eBemerkungen zum Begriff des Gegenstandes der Psychologie\u201c, Vierteljahrmhr. Bd. 18 u. 19.\n4 Bd. 18, S. 146 u. 405. Auch S. 159, Anm. 1.\n*\tBd. 19, S. Iff.","page":228},{"file":"p0229.txt","language":"de","ocr_de":"Die erkenntnifstheoretische Stellung des Psychologen.\n229\ndas allein Wirkliche proclamiren, aus der Welt eine Bewufstseins-welt machen, das \u201eSachding\u201c als dualistisch streichen, Schillert Avenabius Standpunkt, \u2014 in dem Bestreben jenseits von \u201ePhysisch\u201c und \u201ePsychisch\u201c eine neutral-monistische Haltung einzunehmen \u2014, zwischen solchem Subjectivismus und \u25a0einer Art objectivistischen Monismus hin und her.1 * * * * * * So dafs bei ihm umgekehrt auch wieder das \u201eGedankending\u201c als \u00fcberfl\u00fcssige Wiederholung des \u201eSachdinges\u201c erscheint.\nAm deutlichsten nun zeigt sich solcher (dem Materialismus verwandter) Objectivismus in der Stellungnahme Avenabius\u2019 zur Psychologie. Und die nat\u00fcrliche Folge ist seine materialistische Definition derselben.\nDas monistische Vorurtheil f\u00fchrt bei diesem Denker somit zu ganz eigenartigen Consequenzen.\nAvenabius wendet sich gegen die herrschende Ansicht, Gegenstand der Psychologie sei das \u201ePsychische\u201c, das \u201eBewufst-sein\u201c, das \u201eInnere\u201c; denn das alles setze einen Gegensatz zum \u201eK\u00f6rperlichen\u201c voraus, sei also dualistisch.8 Der \u201enat\u00fcrliche Weltbegriff\u201c aber schliefse jeglichen Dualismus aus.\nDer nat\u00fcrliche Weltbegriff nun enth\u00e4lt nach Avenabius zwei Bestandtheile : ein thats\u00e4chlich Vorgefundenes \u2014 den empirio-kritischen Befund \u2014 und eine Hypothese. Der \u201eempiriokritische Befund\u201c scheidet sich in \u201ezwei Haupttheile, deren einer alles umfafst, was zu \u201emir\u201c, d. h. zu dem als \u201eIch\u201c-Bezeichneten geh\u00f6rt ; der zweite alles, was zu dem geh\u00f6rt, was man philosophisch gern als das \u201eNicht-Xch\u201c bezeichnet, was man aber einfacher und positiv als die \u201eUmgebung\u201c bezeichnen kann\u201c.8 Die dazu-kommende \u201eHypothese\u201c besagt, dafs den mitmenschlichen Be-\n1 Auch bei dem eifrigen Interpreten empiriokritischer Weisheit, B. Willy, findet sich deutlich dieses Schwanken zwischen einem sub-jectivistischen und ob jecti vis tischen Monismus. (\u201eDer Empiriokriticismus als einzig wissenschaftlicher Standpunkt\u201c, Vierteljahrsschrift Bd. 20, S. 55ff.,\n191 ff., 261 ff.). Das subjectivistische Moment gewinnt aber durch das\nnachdr\u00fcckliche Betonen des Centralgliedes als erster Bedingung f\u00fcr das\nBestehen einer Umgebung, f\u00fcr das Sein unserer Welt immer wieder die\nOberhand (s. S. 197 ff.). Und hierin ber\u00fchrt sich der Empiriokriticismus\naufs Engste mit dem Idealismus.\n*\ta. a. O. Bd. 18, S. 140-142.\n*\tS. 145.","page":229},{"file":"p0230.txt","language":"de","ocr_de":"230\nRad. Weinmann.\nwegungen in Analogie zu meinen eigenen eine \u201emehr-als-mecha-nische\u201c (\u201eamechanische\u201c) Bedeutung zuzuerkennen ist.1\nUnd worin besteht diese mehr-ais-mechanische Bedeutung meiner und meiner Mitmenschen Bewegungen ? Darin, so h\u00f6ren wir, dafs sie ein \u201eGef\u00fchltes\u201c sind, dafs sie in engster Beziehung zu \u201eLust-Unlust\u201c, zu \u201eBed\u00fcrfnissen\u201c, zu \u201eGedanken\u201c, zu \u201egesehenen\u201c Umgebungsbestandtheilen stehen.2\nEs liegt nun gewifs recht nahe, zu vermuthen und zu behaupten, mit diesen vornehm in G\u00e4nsef\u00fcfschen geh\u00fcllten Worten sei nichts anderes bezeichnet als eben das \u201ePsychische\u201c, die Ph\u00e4nomene des \u201eBewufstseins^, die man allgemein \u2014 freilich ohne G\u00e4nsef\u00fcfschen \u2014 als Gegenst\u00e4nde der Psychologie anf\u00fchrt. Dies liegt so nahe, dafs Avenarius sich zu einem umfangreichen Nachweis des Gegentheils gezwungen sieht.3 Und er weist nach, dafs die den menschlichen Bewegungen zugeschriebene mehr-als-mechanische Bedeutung nicht identisch sei mit dem Sinne der von der herrschenden Psychologie bez, Philosophie vorgenommenen \u201eIntrojection\u201c, d. h. der Hineinverlegung z. B. des \u201eBaumes vor mir\u201c als eines \u201eComplexes von Gesichtsempfindungen\u201c in den Menschen (bezw. in das Gehirn desselben). Diese \u201eIntrojection\u201c besage etwas \u201eprincipiell Anderes\u201c als die Hypothese des nat\u00fcrlichen Weltbegriffs.4 *\nWenn Avenarius 1 die \u201eIntrojection\u201c bek\u00e4mpft, so hat er gewifs Recht; \u2014 die herrschende Psychologie aber wird davon nicht getroffen. Denn diese behauptet lediglich, dafs die Empfindungen, Gedanken, Gef\u00fchle an das Gehirn und seine Functionen gebunden, gekn\u00fcpft sind. Und das behauptet doch Avenarius auch. Und die herrschende Philosophie und Erkenntnifstheorie auch. Es ist eben schlechthin Thatsache.\nAuf den mifslichen Ausdruck, das Psychische sitze \u201eim Gehirn\u201c, wird sich kaum ein Erkenntnifstheoretiker capriciren. Dafs gar alle wahrgenommenen Umgebungsbestandtheile nichts seien als \u201eVorstellungen in uns\u201c, dafs z. B. der \u201eBaum vor mir\u201c eine \u201eErscheinung\u201c sei \u201evon jenem Stoff, aus welchem die Tr\u00e4ume gewebt sind\u201c8, \u2014 was ebenfalls in der \u201eIntrojection\u201c\n,\t1 S. 147.\n2\tS. 148 f.\n3\tS. 150 ff.\n4\tS. 150\u2014154.\n\u00f6 S. 153, 54.","page":230},{"file":"p0231.txt","language":"de","ocr_de":"Die erkenntnifstheoretische Stellung des Psychologen.\n231\nenthalten sein soll \u2014, wird die dualistisch-realistische Erkenntnistheorie, gegen die sich Avenari\u00fcs vor allem wendet, am wenigsten behaupten. Denn gerade sie ist es, die dem Subjec-tiven ein Objectives entsprechen l\u00e4fst.\nWorin liegt also in Wirklichkeit das trennende Moment f\u00fcr Avenari\u00fcs und die herrschende Psychologie?\nNicht in der \u201eIntrojection\u201c, die im Grunde Avenari\u00fcs sich selbst construit hat, um sie zu bek\u00e4mpfen; sondern im Dualismus, dem Avenari\u00fcs seinen Monismus entgegensetzen zu m\u00fcssen glaubt. Und die ganzen Ausf\u00fchrungen Avenari\u00fcs\u2019 laufen darauf hinaus, das Psychische, in dem er sehr richtig eine ideelle Wiederholung des Realen erkennt, sozusagen wegzueskamotiren. Darum die Leugnung des \u201ePsychischen14 als Gegenstandes der Psychologie, darum das unbestimmtere Wort \u201emehr-als-mecha-nisch44 oder \u201eamechanisch44, darum die Anf\u00fchrungszeichen bei Worten wie \u201eGef\u00fchl44, \u201eGedanke44, \u201eGesehenes44 etc., darum endlich das Operiren mit den Ausdr\u00fccken \u201eCharaktere44 und Elemente44 an Stelle von \u201eGef\u00fchle44 und \u201eDinge -{\u201c Gedanken44.1 Auf solche Weise soll sich das Psychische, Subjective, Ideelle mehr und mehr in nichts verfl\u00fcchtigen, und \u00fcbrig bleibt \u2014 das \u201eSystem C44, das Centralnervensystem, von dessen Aenderungen alle Erfahrung abh\u00e4ngig ist Die Psychologie wird \u2014 im Princip\n\u2014\tzur Gehirnphysiologie2 3; mindestens zur Psychophysiologie. Dagegen nun w\u00e4re vor Allem alles das anzuf\u00fchren, was man den materialistischen Bestrebungen mancher Psychologen \u2014 sogenannter Psychologen \u2014 oft genug schon entgegengehalten hat. Hier\u00fcber ist in diesem Zusammenhang kein Wort zu verlieren. \u2014 Aber abgesehen davon: ist die lebendige, concrete Psychologie, so fragen wir bei Avenari\u00fcs wie schon bei Schuppe, mit solchem Monismus nur irgendwie in Einklang zu bringen?!\n\u2014\tWir werden sehen, dafs Avenari\u00fcs selbst den Weg zu ihr nur durch versteckte Concessionen an die Anschauung gewinnt8, die wir nunmehr allen monistischen Constructionen \u2014 als positive Kritik \u2014 entgegenstellen wollen. Sie besagt:\nDie uns immittelbar gegebene Bewufstseinswelt ist das Spiegelbild, die ideelle Reproduction einer (von uns unabh\u00e4ngig)\n1 8. 407 ff.\n* S. 417 ff. \u2014 Vgl. die Kritik Wundt\u2019s, a. a. O. S. 406 ff. \u2014\n3 S. diese Arbeit S. 248 ff.","page":231},{"file":"p0232.txt","language":"de","ocr_de":"232\nUnd, Weinmann.\nseienden Dingwelt Beiden kommt Wirklichkeit, Existenz zu; der Welt der Dinge und der Welt des Geistes.* 1 Letztere ist nur begreiflich unter Voraussetzung der ersteren, die sie ideell wiedergiebt. Tr\u00e4ger, Besitzer solcher Weltbilder sind in verschieden vollkommenem Grade alle lebenden Wesen. Dieselben zeichnen sich somit vor anderen Bestandteilen der Dingwelt auch und vor Allem dadurch aus, dafs ihnen zu ihrer h\u00f6heren physischen Organisation auch noch das eigent\u00fcmliche, nicht weiter definirbare Verm\u00f6gen des \u201eBewufstseins11 gegeben ist ; d. h. (um doch eine Definition anzudeuten) das Verm\u00f6gen, Zust\u00e4nde und Ver\u00e4nderungen des eigenen K\u00f6rpers sowohl wie der Umgebung, also die philosophisch sogenannte Aufsenwelt, zu erfassen , zu empfinden, vorzustellen. So stellen die psychophysischen Wesen K\u00f6rpersysteme dar, die in denkbar zweck-m\u00e4fsigster Weise ihrer Umgebung angepafst sind. Je h\u00f6her die psychophysische Organisation, um so vollkommener gestaltet sich die Erfassung der Aufsenwelt, um so complicirter, \u00fcberlegter, berechnender, selbstst\u00e4ndiger werden die entsprechenden zweck-m\u00e4fsigen Reactionen. Das menschliche Bewufstsein ist entwicklungsgeschichtlich betrachtet die einstweilen h\u00f6chste und letzte Stufe biologischer Organisation. \u201eEs bildet den Knotenpunkt im Naturlauf, in welchem die Welt sich auf sich selber besinnt\u201c.2 *\nDer Sinn der Psychologie von solcher Anschauung aus w\u00e4re somit: den gesammten Bewufstseinsinhalt, sofern er Bewufstsein s inhalt ist, zu beschreiben und seine \u2014 subjectiven \u2014 Zusammenh\u00e4nge gesetzm\u00e4fsig darzustellen.8 Alles was wir erleben, Empfindungen, Vorstellungen, Wollungen, Gef\u00fchle sind Gegenstand der Psychologie. Ganz dasselbe, nur von einer anderen Seite betrachtet, sofern es n\u00e4mlich ein Objectives wiedergiebt (oder sich auf ein solches bezieht) und dadurch seinem Inhalt nach bestimmt ist, ist Gegenstand der Naturwissenschaft (Physik,\n1 Ygl. Lipp8, Logik, S. 11, wo in gleichem Sinne vom \u201edoppelten Dasein der Welt\u201c als einer logisch - erkenntnifskritischen Forderung die Bede ist.\n1 Wundt, Physiol. Psych., 4. Aufl., 2. Band, S. 648.\n1 Ygl. Wundt, Definition der Psychologie, Philos. Studien Bd. 12, S. Iff.;\nLipps, Grundthatsachen des Seelenlebens, S. 10 ; Ebbinghaus, Grundz\u00fcge der\nPsychologie, S. Iff.","page":232},{"file":"p0233.txt","language":"de","ocr_de":"Die erkenntnifstheoretische Stellung des Psychologen.\n233\nPhysiologie etc.). Letztere abstrahirt von der Thatsache des Weltbildes, sie sieht in ihm nur die Welt.\nDie Naturwissenschaft geht also von vornherein ganz und gar objectivistisch vor. Sie leugnet jedoch deshalb nirgends das die Welt erfassende Subject, nur braucht sie es nicht bei ihrer Darstellung der Welt. Ihr Objectivismus widerspricht daher keineswegs unserer dualistischen These von der Wirklichkeit des Sub-jectiven und Objectiven. Ebensowenig und noch weniger aber folgt aus der Bearbeitung des Subjectiven seitens der Psychologie irgend eine erkenntnistheoretische Konsequenz subjeetivisti-scher Natur. Selbst da, wo sich die Psychologie ganz in ihre subjective Welt zur\u00fcckzieht, l\u00e4fst die erkenntnistheoretische Reflexion jeder Zeit und an jedem Punkt erkennen, dafs die realistische Position zu Grunde liegt, dafs die Existenz einer Objectenwelt stillschweigend als erkenntnifstheoretischer Factor in die Rechnung mitaufgenommen ist, dafs das Subjective, Psychische, Bewufste auf ein reales Objectives bezogen erscheint, ohne dessen Voraussetzung es seinen Sinn verliert Aber noch mehr: die Gebiete, wo dieser objective Factor lediglich vorausgesetzt ist, sind klein. Weitaus der gr\u00f6fste Theil psychologischer Fragen ist ohne Hereinbeziehung des Objects gar nicht zu bearbeiten; ja gar nicht einmal gegeben.\nDies gilt insbesondere \u2014 aber durchaus nicht ausschliefs-lich \u2014 von jener umfassenden Wissenschaft, die allgemein als Theil der Psychologie betrachtet wird, der Wissenschaft von den Beziehungen zwischen Physischem und Psychischem: Psycho-physik und Psychophysiologie.\nDas Subjective, Ideelle in seiner Abh\u00e4ngigkeit, seinen Beziehungen, seinem Zusammenhang mit dem Objectiven, Realen (der Aufsenwelt) zu erforschen, ist Aufgabe dieser, Geistes- und Naturwissenschaft verbindenden, Disciplinen.\nDas quantitative Verh\u00e4ltnifs zwischen Reiz und Empfindung ist Gegenstand der Psychophysik im engeren Sinne. Man braucht dieses Verh\u00e4ltnifs nur auszusprechen und die ganze Ungeheuerlichkeit des Bewufstseinsmonismus steht klar vor uns. Denn der Reiz ist nach ihm nichts \u201edraufsen\u201c, nicht Aufser-psychisches; er ist ja selbst nur wieder ein Bewufstes, Empfundenes. Der Dualismus: Sachding und Gedankending aber sine S\u00fcnde wider den heiligen Geist aller Philosophie. Warum, erfahren wir zwar nirgends; dagegen wird man nicht m\u00fcde, zu","page":233},{"file":"p0234.txt","language":"de","ocr_de":"versichern, dafs nur ein unrettbarer, unheilbarer \u201eMetaphysiker11 an einer solchen Verdoppelung festhalten k\u00f6nne. Und doch thuen dies die gesainmten Psychologen, \u2014 inclusive der Er* kenntnifstheoretiker, soferne sich dieselben vor\u00fcbergehend zu concreter Geisteswissenschaft herablassen.\nMag es so sein, dafs \u201ereine Erfahrung\u201c, \u201eBeschreibung des Gegebenen\u201c \u00fcber das blofse Dasein von Objecten nicht hinaus-komme, mag es sein, dafs sie zu keinerlei \u201eVerdoppelung\u201c f\u00fchre, so ist eben auf dem Boden \u201ereiner Erfahrung\u201c und \u201eBeschreib bung\u201c die Wissenschaft der Psychologie unm\u00f6glich; und, so folgern wir weiter, \u201ereine Erfahrung\u201c, \u201eBeschreibung des Go* gebenen\u201c wissenschaftlich unbrauchbar.\nDas FECHNEit\u2019sche Gesetz z. B. wird ohne diese \u201eVerdoppe* lang\u201c entweder baarer Unsinn oder es m\u00fcfste bei einem Versuch, es in die Sprache des Ph\u00e4nomenalismus zu \u00fcbertragen, zu einer fratzenhaften Ausgeburt philosophischer Begriffsphantasie ver* kr\u00fcppeln. \u2014\nMan denke \u00fcberhaupt an die Lehre von den Empfin-d\u00fcngen. Auch das qualitative Moment der Empfindungen untersuchen wir in seiner Beziehung zu den realen Aequivalenten. Farben-, Ton-, u. s. w\\ -Empfindungen geben, losgel\u00f6st von ihren objectiven Grundlagen, der Forschung wenig oder gar keine Fragen auf.1\nNoch mehr. Eng verbunden mit der Psychologie der Empfindungen ist die Physiologie der Sinnesorgane. Aeufserer Reiz, psychisches Gebilde und nerv\u00f6ses Substrat bilden hier gleichwertige Realit\u00e4ten. Wollte man den damit vorausgesetzten Dualismus streichen, so werden alle einschl\u00e4gigen Untersuchungen zu unentwirrbaren, unverst\u00e4ndlichen Worthaufen-\nWas soll es z. B. heifsen, dafs \u2014 eine Thatsache der sog. Lehre von den spezifischen Sinnesenergien \u2014 ein galvanischer Reiz im Stande ist, wenn er auf das Auge bezw. den Sehnerv wirkt, Lichtempfindung zu erzeugen, wTas soll dies heifsen, wenn ich zugleich dabei denken soll, dafs der galvanische Reiz, das Auge, der Sehnerv auch nur \u201eEmpfindung\u201c, ein Bewufstes ist\n1 Ich erinnere an die Contraeterscheinungen, Nachbilder, Farbenblind*\nheit; an die ganze Psychologie der Tonempfindungen; an die Verfluche \u00fcber AV\u00e4rme-, K\u00e4lte- und Tasten)pfindnngen, \u00fcber Geschmacks* und Geruchs\u00bb qu\u00e4lit\u00e4ten ; u. e. tv., u. 8. w*","page":234},{"file":"p0235.txt","language":"de","ocr_de":"Die erkennt nifstheoret\u00fc'che Stellung des Psychologen.\n235\nund aufser dem Bewufstsein keine selbstst\u00e4ndige Existenz hat?! \u201eNicht die K\u00f6rper erzeugen Empfindungen, sondern Empfindungs-complexe .... bilden die K\u00f6rper\u201c, meint Mach.1 Das ist psychologisch freilich richtig; erkenntnifstheoretisch aber unbrauchbar, widersinnig, falsch. Den gleichen Verwechslungsfehler begeht Sch\u00fcbert-Soldern. Das Entstehen der Empfindung \u201eaus der Einwirkung der Aufsenwelt auf die peripherischen Enden der Nerven\u201c zu erkl\u00e4ren, h\u00e4lt er f\u00fcr absurd. Weil ja \u201edie Aufsenwelt,\nwelche einwirkt,___aus der Empfindung selbst\u201c bestehe. Und weil\n-ebenso \u201eGehirn und Nerven . . . selbst Empfindung\u201c seien.\u201c2 Ein falscher Psychologismus und die monistische Furcht vor dem Gespenst der \u201eVerdoppelung\u201c verf\u00fchrt so Sch\u00fcbert-Soldern zu erkenntnistheoretischen Gezwungenheiten, auf deren Basis psychologische Wissenschaft einfach zur Unm\u00f6glichkeit w\u00fcrde. \u2014 Aber angenommen, es gel\u00e4nge, eine passable Wortfolge zu finden, die uns obengenannten Fall (aus der Lehre von den spezifischen Energien) \u2014 einer unter tausenden \u2014 monistisch \u00fcbersetzt wiedergiebt, so frage ich s\u00e4mmtliche vern\u00fcnftige Bewohner unseres und anderer Gestirne: wo ist die gr\u00f6fsere Einfachheit, Ungezwungenheit, Klarheit der Zurechtlegung: beim Dualisten oder Monisten ? . .. .\nDie Wirlichkeit bietet uns eben einmal zwei Seiten dar und l\u00e4fst sich keinen Monismus andictiren. Wer sie nimmt wie sie ist \u2014 und das hat gesundes Denken und die von erkenntnifs-theoretischer Verzerrung nicht angekr\u00e4nkelte Wissenschaft der Natur und des Geistes instinctiv schon immer gethan \u2014 der whrd sie verstehen und verst\u00e4ndlich beschreiben k\u00f6nnen. Wer sich als monistischer Philosoph anmafst, ihr gebieten zu wollen, der wird wohl Worte machen k\u00f6nnen, aber die Wirklichkeit lacht seiner Worte Hohn. \u2014\nWir sprachen bisher von der Empfindungslehre. Hier, wo physikalisches, physiologisches und psychologisches Moment am untrennbarsten miteinander verbunden sind, tritt die Noth-wendigkeit, realistisch zu denken, am greifbarsten in die Erscheinung. Aber sie reicht weiter, sie gilt f\u00fcr den ganzen Umkreis psychologischer Fragestellung.\n1 Beitr\u00e4ge zur Analyse der Empfindungen, S. 20.\n* Ursprung und Element der Empfindung, Zeitschr. f. tmm. Philosophie, X Band, S. 31, 32. \u2014","page":235},{"file":"p0236.txt","language":"de","ocr_de":"236\nJtud. Wcwimann.\nBleiben wir zun\u00e4chst noch bei der Psychophysiologie. \u2022Die Thatsache dieser Wissenschaft an sich, deren Aufgabe es ist, Gehirn und Nerven auf ihre Eigenschaft als Tr\u00e4ger psychi-scher Functionen zu untersuchen, fordert unseren dualistischen Realismus. Denn immer rechnet sie mit den zwei Factoren Innen- und Aufsenwelt (psychisches und physisches \u2014 nerv\u00f6ses \u2014 Gebilde, psychischer und physischer \u2014 nerv\u00f6ser -\u2014 Vorgang) als gleichrealen Werthen.1\nGanz das Gleiche nun hat auch Geltung f\u00fcr die Binnengebiete der Psychologie, f\u00fcr die eigentliche oder reine Psychologie. Zwar sieht sie von den physischen Begleitvorg\u00e4ngen des Psychischen ganz ab; nicht nur aus empirischen Gr\u00fcnden, weil uns Gehimanatomie und -physiologie schon sehr bald g\u00e4nzlich im Stiche lassen, wo es sich um seelische Vorg\u00e4nge h\u00f6herer und complicirterer Art handelt, sondern auch aus logischen und methodologischen Gr\u00fcnden. Die seelischen Zusammenh\u00e4nge sind durchaus besonderer Natur, sie folgen ihren eigenen Gesetzen und sind nie und nimmer durch eine R\u00fcckf\u00fchrung auf Bewegungsvorg\u00e4nge in der nerv\u00f6sen Substanz, m\u00f6gen sie mit denselben auch aufs innigste verkn\u00fcpft sein, begreiflich zu machen, zu erkl\u00e4ren.\nDafs aber eine solche innige und untrennbare Verkn\u00fcpfung besteht, dafs zu jedem psychischen Moment ein physiologisches Substrat zu denken ist, das ist einer jener wenigen S\u00e4tze, worin die gesammte moderne Wissenschaft so ziemlich einig ist Es ist die Hypothese vom psychophysischen Parallelismus und mit seiner Anerkennung ist auch f\u00fcr jeden Punkt der rein *= psychologischen Wissenschaft der realistische Dualismus stillschweigend zugegebenI Die selbstst\u00e4ndige Existenz des Objects ist allenthalben \u2022 vorausgesetzt ; und - zwar in Form des menschlichen K\u00f6rpers bezw. Theilen desselben, genannt Gehirn und Nervensystem.-\n1 Beispiele anzufQhren, ist wohl \u00fcberfl\u00fcssig. Trotzdem sei au die Frage der Localisation geistiger Procease im Centralorgan, an daa gehimpliysiologische Experiment, an die sog. Ausfallversuche erinnert. Daran schliefst sich eng an die Psychiatrie und Psychopathologie, insofern eie organische Ver\u00e4nderungen und Anomalien des Centralnervensystems in ihrem Zusammenhang mit geistigen St\u00f6rungen betrachtet bezw. diesen Zusammenhang aufsucht.\n* Wie eng der psychophysische Parallelismus mit einer realistiach-dualistischen Grundanschauung verkn\u00fcpft ist, ersieht man schon daran*.","page":236},{"file":"p0237.txt","language":"de","ocr_de":"Die erkenntnif\u00bbtheoretische Stellung des Psychologen.\n237\nAber noch in anderer, directer Weise und im engeren Sinne setzt die reine Psychologie stets die Existenz des Objects voraus. Die Bearbeitung des Vorstellungslebens geht nothwendiger Weise auf die den Vorstellungen corresponehrenden realen Verh\u00e4ltnisse zur\u00fcck. Welchen Sinn h\u00e4tten die Theorien \u00fcber Raum-wahmehmung (des Gesichts- und Tastsinnes), wenn man nicht an eine ideelle Nachbildung des objectiven Raumes seitens unserer Psyche denkt? Die Gesetze der musikalischen Harmonie und Disharmonie, die Gesetze des Rythmus, den Zeitsinn studiren wir, indem wir das Subjective im Verh\u00e4ltnifs zu seinen objectiven Grundlagen betrachten. Die Formen der Assoziation \u2014 auf denen wieder Ged\u00e4chtnifs, Phantasie u. s. w. beruhen \u2014 scheidet die Psychologie nach jenen Beziehungen, in welchen die den Vorstellungen entsprechenden Objecte zu einander standen. \u2014\nDie Ph\u00e4nomene der Illusion, Hallucination, des Traumes, der geistigen St\u00f6rung ferner sind gerade durch ihr Abweichen, ihren Zwiespalt, ihren Widerspruch mit dem Realen charakterisiert, welch\u2019 letzteres daher in der Betrachtung eine unentbehrliche negative Rolle spielt.\nAehnliches ist hinsichtlich des grofsen Gebietes der T\u00e4uschungen zu sagen. Die ideelle Wiedergabe des realen Objects ist hier aus der richtigen Bahn geleitet. Nie hat noch ein Forscher beispielsweise eine optische T\u00e4uschung behandelt, ohne von dieser \u201eVerdoppelung\u201c des \u201eDinges\u201c, der subjectiven Nachbildung eines objectiv Gegebenen stillschweigend auszugehen. Es w\u00e4re auch schwerlich m\u00f6glich, auf irgend eine andere (subjectivistische, monistische) Weise eine T\u00e4uschung verst\u00e4ndlich zu beschreiben.\nDer Wille f\u00fchrt ohne Weiteres ins Gebiet des Objectiven durch die von ihm gesetzte Willenshandlung (K\u00f6rperbewegung). Das Capitel der Ausdrucksbewegungen und Gem\u00fcths-bevregungen zeigt Seelisches und Somatisches (Innen- und Aufsenwelt also) in enger Verbindung.\nWom\u00f6glich noch eindringlicher tritt die realistische Basis \u00fcberall da in die Erscheinung, wo die Psychologie experimen-\ndafs er dem Monismus ein rechter Dorn im Auge ist. Siehe Ayenamub a. a. 0., Bd. 19, S. 13. Vgl. hierzu diese Arbeit S. 247.","page":237},{"file":"p0238.txt","language":"de","ocr_de":"238\nUnd. Weinman*!.\ntell verf\u00e4hrt1, d. h. wo sie die psychischen Ph\u00e4nomene unter absichtlich herbeigef\u00fchrten Bedingungen beobachtet Diese Bedingungen sind physikalischer oder physiologischer Natur oder beides und ihnen gegen\u00fcber steht das psychische Resultat als gleiche, durchaus nicht h\u00f6here Realit\u00e4t Ein Blick etwa auf die verschiedenen Formen der Reactions versuche, auf die Zeitsinn- und Ged\u00e4chtnifsversuche, auf die Suggestionsversuche macht dies klar.\nEine Betrachtung der experimentellen Methode r\u00fcckt \u00fcbrigens noch einen Hauptpunkt in den Vordergrund, den wir bis jetzt ganz aufser Acht gelassen haben und der ebenfalls zwingend auf die realistische Grundlage der Psychologie hinweist.\nEs ist die Vielheit der das eine Object erfassenden Subjecte. Wir haben bisher dem Object ganz allgemein das Ich gegen\u00fcbergestellt, der real gegebenen Aufsenwelt die ideell sie wiedergebende Innenwelt Dieser Dualismus bedarf der Berichtigung : der Aufsenwelt gegen\u00fcber steht die beliebig grofee Mehrheit der sie spiegelnden Bewufstseine.\nDie experimentelle Methode verwerthet die Aussagen fremder Bewufstseine im selben Sinne wie die des eigenen.2 * * * Auf das gleiche Object l\u00e4fst sie verschiedene Subjecte reagiren. Das eigene Ich nimmt unter diesen durchaus keinen besonderen Rang ein.\nEs ist einer der Vorz\u00fcge der experimentellen Methode, dafs sie durch das Operiren mit einer Vielheit von Subjecten eher als die Methode der einfachen Selbstwahmehmung im Stande ist, individuelle Zuf\u00e4lligkeiten zu vermeiden und Allgemeing\u00fcltigkeit zu erreichen.8\nIn noch ausgedehnterem Maafse st\u00fctzt sich die vergleichende Methode der Psychologie auf die Aeufserungen fremder Bewufstseine: V\u00f6lker-, Kinder-, Thierpsychologie.\nWas folgt hieraus f\u00fcr unsere These, dafs die psychologische Wissenschaft durchaus realistische Annahmen invol-virt ? Nichts Geringeres als ein weiterer schwerwiegender Beweis.\n1\tDie schon behandelte Psychophysik ist nur ein Theil der experimentellen Psychologie.\n2\tDem widerspricht nat\u00fcrlich nicht, dafs das eigene Bewufstsein, die\nunmittelbare innere Erfahrung als Schl\u00fcssel zum Verst\u00e4ndnifs eines\nfremden Seelenlebens vorausgesetzt ist.\n\u2022 S. Ebbinghaus, Psychologie, S. 56 ff., \u00fcber die Methode der Psychologie","page":238},{"file":"p0239.txt","language":"de","ocr_de":"Die erkenninif8theoretische Stellung des Psychologen.\n239\nZu den vielen Schwierigkeiten aller nichtrealistischen Standpunkte geh\u00f6rt die Frage nach der Existenz anderer Bewufstseine. Diese Frage hat der Ichphilosophie schon viel Schweifs und Kopfzerbrechen gekostet. Man hat sich gewunden und gequ\u00e4lt, um monistisch-ph\u00e4nomenalistisch die Realit\u00e4t anderer Iche zu sichern, da man zu dem wenigstens consequenten Solipsismus (den Schopenhauer ins Irrenhaus verweist und von dem man nach Shakespeare sagen kann: \u201eIst dies schon Tollheit, hat es doch Methode44) nicht den Muth hat. Und doch ist ihm ohne die Annahme einer realen, psychisch nur jeweils reproducirten Aufsenwelt nimmermehr zu entgehen: Solipsismus oder Realismus \u2014 es giebt keine andere Wahl.1 \u2014 Niemals zum Mindesten kann man von nichtrealistischem (bewufstseinsmonistischem, ph\u00e4nomenalistischem) Standpunkte aus zur Anerkennung g 1 e ic h -werthiger2 anderer Bewufstseine kommen. Im g\u00fcnstigsten Falle zur Anerkennung von Bewufstseinen sozusagen niedererer Potenz; aus dem einfachen Grunde, weil nach dem \u00a7 1 jeglicher Ichphilosophie alles und alles \u2014 somit auch ein evt. fremdes Bewufstsein \u2014 immer nur wieder als Inhalt unseres eigenen Bewufstseins gegeben sein kann. So dafs ein derartig erkanntes und anerkanntes fremdes Bewufstsein niemals zum Rang des eigenen, welches eine total andere und ganz einzige Be- . deutung besitzen mufs, erhoben werden k\u00f6nnte. s\nAber noch mehr. Es geh\u00f6rt zum philosophischen Abc, dafs wir zur Erkenntnifs, oder auch nur zu dem Gedanken, eines fremden Bewufstseins immer nur auf demUmweg \u00fcber Physisches, Objectives, Bestandteile der raumzeitlichen Aufsenwelt gelangen. Es sind bekanntlich Aeufserungen, Bewegungen anderer K\u00f6rper, physiologische Beth\u00e4tigungen, aus denen wir auf ein gewissen physischen Systemen innewohnendes, unserem\n1 Und sie d\u00fcrfte daher nicht schwer fallen. Denn schon den blofsen Verdacht des Solipsismus scheuen sogar die robustesten Ph\u00e4nomenalsten. Daher ihr oft auf starkes Schuldbewufstsein hindeutender Eifer, mit dem eie an der Hand nicht zu tibertreffender Begriffsspaltereien der Behauptung vorzubeugen suchen, ihre Theorie habe mit dem Solipsismus eine bedenkliche Aehnlichkeit.\n* Wie solches die psychologische Forschung ohne Weiteres und als selbstverst\u00e4ndlich annimmt.\ns Diese und die folgende Schwierigkeit hat auch Cornelius (Psychologie als Erfahrungswissenschaft) nicht gel\u00f6st, sondern nur umgangen.\n8. 123 ff.","page":239},{"file":"p0240.txt","language":"de","ocr_de":"240\neigenen mehr oder minder gleichendes Innen- oder Bewufstseins-leben schliefsen. Geben wir nun die \u2014 von unserem Denken unabh\u00e4ngige \u2014 Realit\u00e4t der Aufsenwelt und damit auch der genannten Theile derselben auf, so ist keine M\u00f6glichkeit vorhanden, die Realit\u00e4t von etwas zu retten, was an die Existenz jener Theile gekn\u00fcpft ist und durch das physische Benehmen derselben von uns \u00fcberhaupt erst als existirend angenommen wird! \u2014 In dem Moment, wo wir die Aufsenwelt subjectivistisch auf l\u00f6sen, geben wir also auch die Objectivit\u00e4t eines von unserem eigenen Bewufstsein unabh\u00e4ngig existirenden Bewufstseins auf: Solipsismus. Wie einfach gestaltet sich diese f\u00fcr den Nichtrealisten so heikle Frage von unserem Standpunkt aus. Nach unserer Anschauung existirt die Aufsonwelt so gut wie unser Ich \u2014 und deshalb existiren auch die anderen Iche so gut und so reell wie unser eigenes und die Aufsenwelt\nAber nehmen wir selbst einmal an, es gel\u00e4nge ohne Anerkennung der objectiven Existenz der Aufsenwelt die Existenz von anderen Bewufstseinen erkenntn\u00ef\u00eestheoretisch zu sichern, so stehen wir und so steht insbesondere die Psychologie vor neuen verwirrenden Schwierigkeiten. Eingangs dieser Ausf\u00fchrungen war davon die Rede, wie der Bewufstseinsinhalt als solcher schon, um begreiflich und in seinem Ablauf, seinen Zusammenh\u00e4ngen verst\u00e4ndlich zu werden, gebieterisch die Annahme einer objectiven (transeendenten) Welt erheischt, die ihm zu Grunde liegt und deren lediglich ideeller Wiedersehem er ist.1 Dieselbe Forderung erw\u00e4chst, noch dringender wom\u00f6glich, aus der Thatstfche, dafs sich aus den Aussagen der verschiedenen Bewufstseine ein vollkommen einheitliches, harmonisches, zusammenh\u00e4ngendes Weltbild ergiebt Diese Einheitlichkeit ohne Realismus erkl\u00e4ren zu wrollen, f\u00fchrt unabwendbar zur mystischesten Metaphysik.\nDie Wissenschaft der Psychologie aber geht auch darin wieder schlechtweg realistisch vor und stellt, wenn sie z. B. experimentell verf\u00e4hrt, dem einen Object die bowufstseins-begabten Subjecte gegen\u00fcber. Ohne auch nur einen Augenblick in diesen etwas anderes zu erblicken als quasi mit geistigem Spiegel ausgestattete Wesen, die bei ihrer im Allgemeinen \u00fcbereinstimmenden Organisation naturgem\u00e4fs auch einen ann\u00e4hernd\n1 S. dieee Arbeit \u00df. 221.","page":240},{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"Die erkenntnifstheowtische Stellung des Psychologen.\n241\ngleichen Eindruck von diesem Object empfangen, es ann\u00e4hernd \u00fcbereinstimmend auffassen werden.1\nIn ernstliche Verlegenheit k\u00e4me man, wollte man die realistischen Voraussetzungen der psychologischen Wissenschaft durch Beispiele aus der Literatur und Forschung belegen : denn man k\u00f6nnte zu diesem Zweck rundweg alle psychologischen Werke und Untersuchungen ausschreiben. Die Psychologen m\u00f6gen nicht immer bewufst und gewifs nicht immer eingestandenermaafsen realistisch vorgeheh \u2014 stets aber in der That! Und darauf kommt es uns an. Man schlage irgend eine Seite auf im weiten Reich concret-psychologischer Literatur und man wird unschwer finden, dafs allenthalben die von uns vertretene dualistisch-realistische Auffassung vom Sein und Bewufstsein zu Grunde liegt.2 3 \u2014\n1 In dieser Auffassung des Subjects, des Bewufstseins in seinem Ver-h\u00e4ltnifs zum Object harmonirt die Psychologie ganz und gar mit der Naturwissenschaft. Beide wissen nichts von der h\u00f6chst mysteri\u00f6sen unl\u00f6sbaren Beziehung zwischen \u201eSubject\u201c und \u201eObject\u201c, welche die monistische Erkenntnistheorie predigt. Nur f\u00fcr diese, nicht f\u00fcr die concrete Wissenschaft, wird daher der unabwendbare Gedanke, dafs sich das Bewufstsein (im Zusammenhang mit seiner physischen Grundlage, der nerv\u00f6sen Organisation, dem Gehirn) entwickelt hat, dafs es geworden ist und einstmals nicht war und doch eine Welt existirte, zum unbequemen Problem. Da mufs denn das eigene Subject, auf das es bei allem consequenten Ph\u00e4nomenalismus doch ankommt, zurttck-escamotirt werden um die n\u00f6thigen Jahrhunderttausende. Bescheidenere Ph\u00e4nomenalsten begn\u00fcgen sich mit irgend einem hinzugedachten \u201eSubject\u201c oder \u201eCentralglied\u201c. (Aber schon wieder dr\u00e4ngen sich unbequeme Fragen auf: ist ein menschliches \u201eCentralglied\u201c n\u00f6thig? oder gen\u00fcgt ein Affe? oder konnte ohne Weiteres schon zur Zeit der ersten primitiven\nLebewesen ein \u201eObject\u201c bestehen ?____) S. u. a. Avenabius, a. a. 0., Bd. 19,\n8. 144 f., Anm. 2.\n3 Um \u00fcbrigens doch auch Namen f\u00fcr unsere Anschauungen sprechen zu lassen, so sei auf eine Reihe von Forschern hingewiesen, die in gleichem Maafse als M\u00e4nner der psychologischen Wissenschaft wie allgemein philosophisch einen ersten Platz einnehmen und welche Vertreter der realistischen Denkweise sind: Fechner, Lotzk, Helmholtz, Spencer (s. besonders Psychologie, 2. Bd., deutsche Ausgabe, S. 307 ff., woselbst eine gl\u00e4nzende Rechtfertigung des Realismus), Wundt, Stumpf, Lipps (s. Logik, 8.10 ff.), Ebbinghaus (s. Grundz\u00fcge der Psychologie, die einleitenden Capitel), Jodl (durch dessen ganzes Lehrbuch der Psychologie die realistische Grundansicht des Verf. deutlich zu verfolgen ist), Hering (Zur Lehre v. d. Beziehungen zw. Leib und Seele, Wiener Akademie*Berichte, Bd. 72, 3. Abth., 1875).\nZeitschrift fur Psychologie XVII.\n16","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242\nRud. Weinmann.\nDas monistische Vorurtheil und eine die logischen Forderungen des erkenntnifstheoretischen Standpunktes g\u00e4nzlich \u00fcbersehende psychologistische Verfahrungsweise hindert die moderne Erkenntnifstheorie offenbar immer wieder, den letzten, oft recht kleinen Schritt zum Realismus zu thun, veranlafst sie, sich um die wahrhaft \u201enat\u00fcrliche Weltansicht\u201c herumzuqu\u00e4len.\nNicht bei allen Ph\u00e4nomenalisten sind beide Motive gleich bestimmend. Avenaeius z. B. zeigt sich nur von ersterem geleitet. Cornelius umgekehrt erscheint in seiner \u201ePsychologie als ErfahrungsWissenschaft\u201c als typischer Vertreter des extremen \u201ePsychologismus\u201c.\nCornelius gelangt, in Uebereinstimmung mit dem Realismus zum Begriff einer objectiv existirenden Aufsenwelt.1 Aber, indem er die psychologische Entwickelung und Bedeutung dieses Begriffes darstellt, l\u00f6st er ihn zugleich auch wieder psychologisch auf.2 * Sein Standpunkt, f\u00fcr den sich in der psychologischen Bedeutung eines Begriffes seine Bedeutung \u00fcberhaupt ersch\u00f6pft, f\u00fchrt ihn zur psychologischen Aufl\u00f6sung der Gesammtwirklich-keit in infinitum. An Stelle der objectiven Existenz der Welt treten \u201eErwartungsurtheile\u201c \u2014 und wieder \u201eErwartungsurtheile\u201c.8 Denn der Satz : das und das hat objective Existenz dr\u00fccke nichts Anderes aus als unsere \u201eUeberzeugung, dafs wir bei Erf\u00fcllung bestimmter Bedingungen den betreffenden Inhalt wahrnehmen werden\u201c4; sofern wir ihn n\u00e4mlich nicht momentan wahrnehmen.\nDer Realismus nun giebt lediglich die logisch einfachste, nat\u00fcrlichste und zwingendste Antwort auf die grofse Frage, mit der uns Cornelius\u2019 Psychologismus entl\u00e4fst: wieso unsere Erwartungsurtheile best\u00e4tigt werden ; warum unsere Ueberzeugung, dafs wir diese und diese Dinge wahrnehmen werden, gerechtfertigt ist. Das bleibt ein Mysterium ohne die Antwort: weil die Welt und alle ihre von uns entweder wahrgenommenen oder erwarteten \u2014 oder einstweilen unbekannten, noch zu entdeckenden \u2014 Inhalte und Dinge objectiv existiren, im Sinne der realistischen Auffassung. \u2014 Cornelius selbst nennt die Be-\n1 a. a. O. S. 100.\n* S. 100 ff.\n8 S. 1061\n4 S. 111.","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"Die erkenntnifntheoretische Stellung des Psychologen.\n243\nhauptung einer \u201efortdauernden Existenz nicht gegenw\u00e4rtig wahrgenommener Inhalte und Dinge\u201c eine nothwendige Folge \u201edes Princips der Oekonomie des Denkens\u201c.1 Dieses von Mach aufgestellte Princip (identisch mit Avenarius\u2019 Princip des \u201eDenkens nach dem kleinsten Kraftmaafse\u201c \u2014 Cornelius bezeichnet es kurz als \u201eEinheitsprincip\u201c \u2014) erscheint \u201eals die Grundlage alles Begreifens und Verstehens unserer Erlebnisse\u201c, als \u201edas Grundgesetz des Verstandes\u201c. Denn dieses Princip \u201esetzt uns \u00fcberall die vereinfachende Zusammenfassung unserer Erfahrungen zum Ziele\u201c, es f\u00fchrt uns dazu, \u201eauf m\u00f6glichst einfache Weise, mit m\u00f6glichst geringem Kraftaufwande oder mit m\u00f6glichster Sparsamkeit zu classificiren\u201c.2 *\nSchon im vorwissenschaftlichen Denken zeigt sich das Oekonomieprincip wirksam, indem es zu \u201eeiner vereinfachenden Zusammenfassung, einer Abbreviatur unserer Erfahrungen\u201c und damit zur Bildung von \u201eTheorien\u201c f\u00fchrt, die Cornelius im Vergleich mit den wissenschaftlichen als \u201enat\u00fcrliche Theorien\u201c bezeichnet. Die Behauptung \u201eder Existenz von Objecten\u201c ist eine solche \u201enat\u00fcrliche Theorie\u201c. \u201eDie wissenschaftlichen Bestrebungen\u201c, so h\u00f6ren wir ferner, sind als Fortsetzung jener \u201enat\u00fcrlichen und unwillk\u00fcrlichen, schon im vorwissenschaftlichen Denken \u00fcberall nachweisbaren Th\u00e4tig-keit zu betrachten\u201c, die besagte Abbreviaturen unserer Erfahrung in Form \u201enat\u00fcrlicher Theorien\u201c hervorbringt.8\nDer Realismus kann sich nicht besser rechtfertigen, als indem er jeden dieser S\u00e4tze unterschreibt! Denn er ist lediglich die Consequenz des Oekonomieprincips in der Frage nach dem Verh\u00e4ltnifs zwischen Denken und Sein und die wissenschaftliche Fortbildung der im vorwissenschaftlichen Denken bereits gegebenen \u201enat\u00fcrlichen\u201c Erkenntnistheorie.\nCornelius aber tr\u00e4gt dem von ihm so hoch gepriesenen Princip in Wahrheit keine Rechnung, er macht, so zu sagen, nicht Emst damit, wenn er die Position des Realismus durch sein psychologisirendes Verfahren wieder aufhebt! Er construirt zugleich damit einen Gegensatz zwischen nat\u00fcrlicher und wissenschaftlicher Theorie, dessen Berechtigung er nicht nur unbe-\n1 S. 114.\n8 S. 85, 86.\n* S. 85.\n16*","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244\nBud, TVWnmatw.\nwiesen l\u00e4fst, sondern dem auch seine eigenen Worte (die wissenschaftlichen Bestrebungen seien die \u201eFortsetzung\u201c (l) der nat\u00fcrlichen Theorienbildung) direct widersprechen.\nDer gesunde Menschenverstand, der nichts Anderes ist als unsere nat\u00fcrliche Logik, f\u00fchrt uns zum Realismus. Die wissenschaftliche Logik und Erkenntnifstheorie hat keinen Grund, ihn nicht zu best\u00e4tigen, Dafe die Begriffe und Annahmen, die sein Wesen ausmachen, einer psychologischen R\u00fcckf\u00fchrung und Aufl\u00f6sung f\u00e4hig sind, ist kein Grund. Denn der psychologische Standpunkt dockt sich nicht mit dem erkenutnifs-theoretisch-logischen. Der Psychologe steht \u2014 wie unsere Auseinandersetzungen dargethan haben \u2014 bereits selbst auf einer erkenntnifstheoretischen Basis. Dafs diese f\u00fcr die physiologische Psychologie (und Psychophysik) die dualistisch-realistische ist, giebt auch Cornelius zu, praktisch und theoretisch.1 Wie wir betrachtet ferner Cornelius die physiologische Psychologie wie die reine Psychologie als \u201eintegrirende Bestandtheilo der psychologischen Gesammt-Wissenschaft\u201c.2 Darin aber liegt einmal das Zugest\u00e4ndnifs, dafs ein Theil der Psychologie \u2014 entgegen Cornelius' Grund-anschauung und im Widerspruch zur erkenntnifstheoretischen Tendenz seines Buches \u2014 auf realistischer Grundlage ruht, und \u00fcberdies die Forderung einer gemeinsamen und einheitlichen erkenntnifstheoretischen Basis f\u00fcr diese Gesammtwissenschaft! Thatsachengr\u00fcnde liefsen uns diese Forderung, die Cornelius nicht herauszuf\u00fchlen scheint, von vornherein erf\u00fcllen. Wir zeigtendafs auch die reine Psychologie realistische Annahmen involvirt. Schon wegen des allenthalben vorausgesetzten psychophysischen Parallelismus.4 Die Analyse des Erkenntnifsvorganges nun ist ein Theil der reinen Psychologie wie jeder andere. Daraus folgt zweierlei. Erstens wird unsere obige Behauptung best\u00e4tigt, dafs die Psychologie des Erkennens nicht Erkenntnifstheorie ist; denn sie setzt letztere voraus, bezw. steht wie alle reine Psychologie von vornherein auf einer bestimmten erkenntnifstheoretischen Basis. Und darum beweist all1 das, was der Psycho-\n1 S. 9f., 2\u00dc9 f.\n\u00c4 S. 10.\n* Diese Arbeit S. 236 ft.\n4 Diese Arbeit S. 236.","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Die erkmntni/stheoretische Stellung des Psychologen.\n245\nlogismus gegen die realistische Erkenntnistheorie geltend macht, nichts gegen deren logische, bezw. specifisch-erkenntnifstheoretische Positionen.\nUnd zweitens ist nicht zu vergessen, dafs das intellectuelle Leben, die Urtheilsvorg\u00e4nge, dem psychophysischen Parallelismus gem\u00e4fs, ebenfalls abh\u00e4ngig sind und Zusammenh\u00e4ngen mit gleichzeitigen physiologischen Vorg\u00e4ngen im Nervensystem (wof\u00fcr wir uns noch dazu auf Cornelius selbst berufen k\u00f6nnen1). Jedes Urtheil setzt mithin einen nerv\u00f6sen Bewegungsvorgang voraus. Also auch jedes \u201eErwartungsurtheilu! Und wollte der Psychologismus diese gleichzeitigen nerv\u00f6sen Bewegungsvorg\u00e4nge \u2014 mit denen die objective Existenz der Welt im Sinne des Realismus vorausgesetzt ist! \u2014 wiederum zum Gegenstand eines \u201eErwartungsurtheils\u201c machen, so verf\u00e4llt er einer psychologischen Aufl\u00f6sung der Wirklichkeit ohne Ende. Denn jedem \u201eErwartungsurthe\u00fc\u201c halten wir aufs Neue sein physiologisches, der Welt der seienden Dinge angeh\u00f6rendes Correlat entgegen 1 \u2014\nVielleicht noch schlagender als durch alle Beweise mani-festirt sich der Sieg der realistischen Denkweise \u00fcber s\u00e4mmtliche Gegentheorien in den ungewollten und unvermeidbaren R\u00fcckf\u00e4llen der monistisch-ph\u00e4nomenalistischen Erkenntnistheorie in den Realismus. Dar\u00fcber w\u00e4re ein recht lehrreiches und \u2014 recht umfangreiches Capitel zu schreiben.\u00ae Und zwar brauchte man gar nicht etwa so boshaft sein und Ausf\u00fchrungen heranziehen, wo diese Erkenntnifstheoretiker Detailfragen der con-creten Wissenschaft behandeln* * * 8; nein, mitten in ihren monistischen Abstract]onen m\u00fcssen sie dem gesunden Menschenverstand, dem logischen Zwang der Thatsachen trotz aller philosophischen Vorurtheile ihren Tribut zahlen.\nEin sorgloser Augenblick so zu sagen, ein sich instinctiv aufdr\u00e4ngendes Wort, ein etwas zu anschaulicher Ausdruck gen\u00fcgt und der Monist, der eben noch so krampfhaft auf dem Kopfe stand, steht pl\u00f6tzlich wie andere Menschenkinder auf seinen zwei Beinen; will sagen denkt und spricht dualistisch-\n1 a.a.0. S.307 ff. (\u201eDas Nervensystem als Bedingung des intellectuellen\nLebens.\u201c)\n* Im Folgenden seien nur ein paar Beispiele hervorgehoben.\n8 Wie z. B. Mach, a. a. O., in den mittleren sechs Capiteln.","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246\nJ\nrealistisch. Was gewifs begreiflich ist \u2014 und auch verzeihlich w\u00e4re, wenn besagte philosophische Kopfsteher nicht unerbittlich gegen Alle eiferten, die es auch eingestehen, dafa man es auf die Dauer doch nur auf den zwei Beinen aush\u00e4lt, auf die uns die Natur nun einmal gestellt hat\nDaran ist schon unsere Sprache selbst schuld, die ganz und gar auf einer realistisch-dualistischen Auffassung vom Denken und Sein basirt und so von ihr durchtr\u00e4nkt ist, dafs es schwer f\u00e4llt, oft unm\u00f6glich ist, Worte zu finden, die keinen Realismus in sich schliefsen. Der Realismus macht sieh als \u201enat\u00fcrliche Theorie\u201c eben auch im Gef\u00fcge unserer Sprache geltend ; unserer Ansicht nach nur ein weiterer vollg\u00fcltiger Beweis f\u00fcr seine Unvermeidbarkeit \u00fcberhaupt. Jedenfalls offenbart sieh die Ueber-macht des Realismus \u00fcber alle entgegenstehendon Anschauungen unwiderleglich in der Tliatsache, dafs unsere Gegner mitten in der Demonstration ihrer Ueberzeugungen der nat\u00fcrlichen Theorie des Realismus unterliegen; oder ihr, wo das Gegentheil von vornherein allzu unbequem w\u00e4re, eingestandenermaafsen gehorchen.\nWie Cornelius, wenn er \u00fcber die \u201esubjective\u201c und \u201eobjective\u201c Methode der Psychologie (Analyse eigener und fremder Bewufst-seinsinhalte), wenn er \u00fcber Psychophysik und physiologische Psychologie handelt.1 Cornelius stellt sich da ganz auf den Boden der nat\u00fcrlichen Theorie, der Bequemlichkeit und Einfachheit halber, und er l\u00e4fst erkennen, dafs er sich dessen wohl bewufst ist. Er \u00fcbersieht aber, dafs dies laut und deutlich f\u00fcr -die \u00fcberragende Einfachheit und f\u00fcr die Unvermeidbarkeit der von ihm bek\u00e4mpften Anschauung spricht; und dafs cs auf die \u201eEinfachheit\u201c der \u201eBeschreibung\u201c mit den Mitteln des Psychologismus ein eigent\u00fcmliches Licht wirft, \u2014 namentlich in einem Werke, das eine \u201eerkenntnistheoretische Grundlegung der Psychologie\u201c im Sinne des Psychologismus sein willl*\nIn dem besprochenen Aufsatz Schuppe's ferner findet man eine Reihe von Stellen, wo der Verfasser, unwillk\u00fcrlich, dem Realismus unterliegt; obwohl er die Sph\u00e4re reiner Abstraction nirgends verl\u00e4sst, kein concretes Problem ber\u00fchrt und seine\n1 a. a. O. S. 8, 9f., 117 ff., *292 ff., 299 ff. * S. 1.","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"Die erkenntnifstheoretische Stellung des Psychologen.\n247\nganzen Auseinandersetzungen direct darauf abzielen, dem Realismus zu entgehen.\nWenn Schuppe bei der Construction der raumzeitlichen Welt1 durch seinen monistischen Standpunkt ein Heer von Schwierigkeiten heraufbeschw\u00f6rt, die es dann wieder zu l\u00f6sen gilt, so geschieht diese L\u00f6sung in Wahrheit durch ein unvermerktes, Schuppe gewifs selbst unbewufstes Hin\u00fcbergleiten zu einer realistischen Zurechtlegung der Dinge. Er selbst wie der Leser glaubt noch auf monistischer Basis zu stehen und auf ihr Klarheit erreicht zu haben, w\u00e4hrend diese Klarheit nur die Folge der realistischen Denk- und Ausdrucksweise ist, die sich instinctiv und zwingend beider bem\u00e4chtigt hat. (Man lese daraufhin seine Ausf\u00fchrungen auf S. 65, 68, 69, 70, 71; und man mache die Probe aufs Exempel und betrachte diese Stellen losgel\u00f6st von dem Vorausgegangenen: man wird kaum etwas Anderes als einen etwas abstrus und gequ\u00e4lt ausgedr\u00fcckten Realismus herauslesen k\u00f6nnen.2)\nAehnliches gilt von Avenakius. Sein ganzes Bestreben geht, wie wir sahen, dahin, den Dualismus Physisch und Psychisch, K\u00f6rperlich und Geistig, Reell und Ideell zu umgehen.\nDafs das \u201eAmechanische\u201c oder \u201eMehr - als - Mechanische\u201c nur ein anderes Wort ist f\u00fcr das von Avenakius geleugnete \u201ePsychische\u201c, haben wir schon angedeutet8 Denn es hat bei Avenakius den gleichen Sinn4 und \u2014 welchen anderen sollte es auch haben? Dasselbe ist von den Ausdr\u00fccken \u201eElemente\u201c und \u201eCharaktere\u201c zu sagen, welche Avenakius f\u00fcr \u201eGedanken\u201c und \u201eGef\u00fchle\u201c setzt.5 Mit all\u2019 dem ist der dualistische Sachverhalt nur anders bezeichnet; und vom Monismus bleibt nichts \u00fcbrig als die oft wiederholte Versicherung, dafs das \u201eAmechanische\u201c nicht wie das \u201ePsychische\u201c ein \u201eprincipiell Zweites und ewig Anderes\u201c sei ; dafs es f\u00fcr die \u201evolle\n1 a. a. O. S. 60 ff.\n*\tManchmal scheint Schuppe allerdings die bedenkliche N\u00e4he des Realismus zu f\u00fchlen; er hilft sich dann, indem er z. B. sagt, dafs die Empfindungen \u201eangeblich\u201c von der Aufsenwelt Kunde geben fS. 70); oder indem er dictirt, dafs uns die Vermittlerrolle der Sinnesorgane in er-kenntnifstheoretischer Beziehung nichts anzugehen habe (S. 68).\n*\tOben S. 280.\n4\tTrotz S. 4, Avenabius, a. a. 0. Bd. 19.\n5\ta. a O. Bd. 18, S. 407.\n4 Bd. 18, S. 164.","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248\nErfahrung14 weder \u201ePhysisches41 noch \u201ePsychisches44 \u201eim metaphysischen (!) absoluten (!) Begriff giebt441; dafe zwischen den \u201ek\u00f6rperlichen Dingen44 und den \u201enichtk\u00f6rperlichen Gedanken44 \u201ekein absoluter (!) Unterschied im metaphysischen (!) Sinne besteht44 9 ; dafs es \u201ein der reinen \u201evollen Erfahrung44 kein \u201ePsychisches44 ira metaphysisch(!}-dualistischen Sinne giebt440; u. s. w. u. s. w.4\nIm selben Geleise bewegt sich dann auch die Widerlegung des psycho - physischen Parallelismus.* Zun\u00e4chst erkl\u00e4rt ihn Avenaricb f\u00fcr \u201eunhaltbar und widersinnig44. Gleich darauf aber erfahren wir, dafs dies nur vom \u201emetaphysischen ( ! ) Parallelismus44 gelte ; wogegen auch die Analyse der \u201evollen Erfahrung44 einen \u201egewissen41 (!) Parallelismus ergebe. Der metaphysische sei lediglich die Entstellung dieses \u201eempirischen44 Parallelis-mus, der ein zweifacher sei; einmal ein Parallelismus zwischen der mechanischen und amechanischen Bedeutung der Bewegung der menschlichen Glieder; dann ein solcher zwischen bestimmten Aenderungen des Systems C und Farben, T\u00f6nen, Lust, Unlust (Elementen und Charakteren).'1 * * 4\nGenau das behauptet nun die herrschende Psychologie und in Uebereinstimmung mit ihr die realistisch-dualistische Erkenntnistheorie auch. Ein Unterschied ist schlechthin nicht iherauszufinden ; Avemarius bekennt sich nothgedrungen zum gleichen Parallelismus, wie ihn dem dualistischen Thatbestand zufolge die concrete Wissenschaft anerkennt Und auch hier bleibt vom Monismus nichts bestehen als die Zur\u00fcckweisung des \u201emetaphysischen44 Charakters des Parallelismus.\nDazu ist zweierlei zu bemerken. Einmal sind \u201emetaphysisch44, \u201eabsolut44 etc. nur Worte; \u2014 die vielleicht schrecklicher klingen als sie sind. Jedenfalls wv\u00e4re zun\u00e4chst auszumachen, was man darunter versteht. Immerhin geniefsen sie bei der modernen Philosophie wenig Kredit und es gilt als Zeichen sch\u00f6ner Vorurteilslosigkeit und einer gewissen H\u00f6he kritischer Besonnenheit,\n1 Bd. 19, S. 2.\n* Ebenda, S. 4.\n5 S. 4.\n4 S. 3, 9, 13.\nA Vgl. hierzu die Kritik W\u00fcndt'b, a. a. O. S. 415 ff. 0 S. 13\u201415.","page":248},{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"Die erkenn tni/stheorctische Stellung des Psychologen.\n249\nsie ver\u00e4chtlich auszusprechen. Dann aber darf man mit ihnen nicht Ansichten eines unbequemen Gegners charakterisiren, dem es niemals eingefallen ist, sie im Wort oder in der That f\u00fcr sich in Anspruch zu nehmen. Der psycho-phyaische Dualismus und Parallelismus der concreten Wissenschaft und der realistischen Erkenntnifstheorie hat sich nie als \u201emetaphysischer14 oder \u201eabsoluter44 ausgegeben noch ist er ein solcher gewesen. Mit derartigen Worten ist weder f\u00fcr noch gegen eine Sache etwas auszurichten. Der Dualismus \u2014 man nenne ihn wie man will \u2014, dessen Anerkennung uns durch die Thatsachen aufgezwungen wird, ist bei Avenarius wie bei der von ihm bek\u00e4mpften Wissenschaft genau der gleiche. Und so ist auch die \u201evolle Erfahrung44, entgegen der vollt\u00f6nenden Schlufsbehaup-tung Avenarius\u2019, nur scheinbar und in Worten \u201eerhaben \u00fcber den Dualismus von Physischem und Psychischem44.1 \u2014\nWenn die speculative Metaphysik die zwei Seiten, die uns die Wirklichkeit nun einmal darbietet, in eine Einheit aufzul\u00f6sen, den dualistischen Thatbestand monistisch zu deuten sucht, so ist dagegen nichts einzi&wenden. Denn die Metaphysik ist nicht mehr Wissenschaft; sie geht weiter als diese zu gehen vermag, ihr eigentliches Gesch\u00e4ft ist Weltinterpretation. Sie ist der Kunst nahe verwandt. Aesthetische Interessen spielen daher bei den Begriffsdichtungen der Metaphysiker herein und das Streben, Einheit in das Mannigfaltige der Wirklichkeit zu bringen, wird begreiflich und berechtigt. Man mag als Gegner jeglicher Metaphysik vielleicht einwenden, dafs solche Vereinheitlichungen der Wirklichkeit doch nur in Worten gelingen k\u00f6nnen; dafs im Grunde nichts erreicht und geleistet sei, wenn ich \u2014 als Spiritualist \u2014 die Welt f\u00fcr Geist erkl\u00e4re oder umgekehrt \u2014 als Materialist \u2014 alle geistigen Ph\u00e4nomene in materielle Vorg\u00e4nge zu verwandeln suche, damit aufser der Materie nichts Wirkliches \u00fcbrig bleibe. Genug, dafs\n1 a. a. O. S. 15. \u2014 Vergleiche \u00fcbrigens Bd. 18, 8.410\u2014412, wo Avenarius die Gebiete zwischen Naturwissenschaft nnd Psychologie abgrenzt. Hier gelingt es Avenarius trotz aller Bem\u00fchung nicht, sich \u00fcber den Eintheilungs-grund der dualistischen Auffassung hinwegzusetzen und wir erfahren zu unserem monistischen Erstaunen, dafs die \u201ek\u00f6rperlichen Dinge\u201c zur Naturwissenschaft, \u201eGef\u00fchle\u201c, \u201eGedanken\u201c, \u201eBegriffe\u201c, das \u201eGedankenhafte\u201c, \u201eIdeelle\u201c, \u201eGeistige\u201c zur Psychologie geh\u00f6ren I \u2014 An den Monismus erinnern da nur mehr die famosen, sehr bequemen \u2014 G\u00e4nsef\u00fcfschen.","page":249},{"file":"p0250.txt","language":"de","ocr_de":"250\nder Metapbysiker damit implicite die eigentlich und ur-spr\u00fcnglich gegebene Zweiheit zugiebt, von der er ja selbst ausgeht und deren einen Bestandteil, deren eine Seite er sich als Wesen aller Wirklichkeit aus w\u00e4hlt\nDie Erkenntnistheorie aber \u2014 dar\u00fcber kann wohl kein Zweifel sein \u2014 geh\u00f6rt ganz und voll in den Bereich der Wissenschaft. Eine Erkenntnistheorie, die mit der Wissenschaft in Widerspruch ger\u00e4th, mufs daher Bedenken erregen. Die Wissenschaft aber kommt um die dualistische Auffassung der Wirklichkeit nie und nimmer herum. Oder richtiger gesagt: in der Wissenschaft der Natur sowohl wie des Geistes offenbart sich \u2014 \u00fcbereinstimmend mit dem vorwissenschaftlichen Denken und den} gesunden Menschenverstand \u2014 die Zweiheit des Wirklichen. Die Erkenntnifstheorie hat kaum das Recht, \u00fcber den gesunden Menschenverstand zur Tagesordnung \u00fcberzugehen; sie hat aber ganz gewifs kein Recht, erkenntnifstheoretische Voraussetzungen und Resultate zu ignoriren, die die concrete wissenschaftliche Denkarbeit der Jahrtausende in sich schliefst.1\nMit dem philosophischen Schimpfwort \u201eDualismus14 werden dieselben ebensowenig abgethan wie eine Erkenntnifstheorie, die offen an sie und ihren in der That durchaus dualistischen Charakter ankn\u00fcpft und sich so mit aller Wissenschaft, zu deren Gebiet sie doch geh\u00f6rt, eins weifs. \u2014\nDer monistischen Erkenntnifstheorie sei der zweifelhafte Ruhm geg\u00f6nnt, dafs weder gesundes Denken noch concrete Wissenschaft zu ihrer H\u00f6he hinaufreicht.* * Losgel\u00f6st von beiden bewegt sie sich im Reiche der Worte. Da sind denn ihre Vertreter auch Meister und verm\u00f6gen die Ueberlegenen zu spielen.*\n1 Vgl. Wundt, \u201eUeber naiven u. krit. Realismus\u201c, a. a. O. Bd. 12, S. 407 f.\n* Auch die Metaphysik setzt, wie oben gesagt, den Dualismus voraus.\n,1 Es ist kein Zufall, dafs im Allgemeinen die monistischen Erkenntnis-theoretiker \u2014 im Gegensatz zu den oben (S. 241 Anm. 2) angef\u00fchrten Forschern \u2014 keine concreten wissenschaftlichen (psychologischen) Leistungen aufzuweisen haben. Sie sind fast durchaus Manner der abstractesten Abstraction. Man denke an Schuppe, Schubert-Soldbrx, Avenarius und R. Willy.\nCharakteristisch ist u. v. A. f\u00fcr die Rolle, die das Wort in der monistischen Erkenntnifstheorie spielt, die Antwort Schufpb's (Zcitschr. f. imm. Philos. Bd. II) auf Wundt\u2019s oben eit. Aufsatz. Gegen Wundt\u2019s allent-","page":250},{"file":"p0251.txt","language":"de","ocr_de":"Die erJcenntnifotheoretische Stellung des Psychologen.\n251\nIhren abstracten, unfruchtbaren Zurechtlegungen den concreten Fall der Psychologie gegen\u00fcberzustellen, zu zeigen, dafs auch und speciell die Wissenschaft des Geistes erkenntnifstheoretische .Voraussetzungen involvirt, die mit einer monistischen, nicht-realistischen Erkenntnistheorie nicht in Einklang zu bringen sind, war der engere Zweck dieser Ausf\u00fchrungen. \u2014\nDer von uns vertretene Realismus mag gern eine Hypothese .genannt werden. Dann ist er eben eine Hypothese von ungeheurer .Wahrscheinlichkeit Eine Hypothese, die vor dem gesunden Menschenverstand ganz ebenso wie vor dem Erkenntnifs-theoretiker Stich h\u00e4lt; was unserer Ansicht nach nichts weniger als ein Mangel ist! Eine Hypothese endlich, die die gr\u00f6fste Einfachheit und Klarheit der Beschreibung und wissenschaftlichen Bearbeitung der Wirklichkeit gestattet. Was schon daraus hervorgeht, dafs sie sich dem Menschen vor und bei aller wissenschaftlichen Beth\u00e4tigung seit jeher und mit zwingendster Notwendigkeit auf gedr\u00e4ngt hat.* 1\nUnd eine solche Hypothese verdient nach allgemein wissenschaftlicher Maxime den Vorzug vor jeder anderen Hypothese, selbst vor dem \u2014 Verzicht auf eine Hypothese 1\nDie monistisch - ph\u00e4nomenalistische Erkenntnistheorie behauptet gerne von sich, dafs sie nur das \u201eGegebene\u201c \u201ebeschreibe\u201c, unter Verzicht auf alles \u201eHypothetische\u201c; dafs sie die \u201ereine Erfahrung\u201c nicht durch \u201emetaphysische\u201c Elemente \u201everf\u00e4lsche\u201c. Wogegen der Realismus hypothetisch und metaphysisch sei.\nWir geben die \u201eHypothese\u201c zu und will man sie \u201emetaphysisch\u201c nennen, so haben wir schliefslich auch gegen dieses Wort kein \u00e4ngstliches Vorurtheil.\nWir bekennen uns eben dann zu der \u201eMetaphysik\u201c, ohne die gesundes Denken und concrete Wissenschaft nun einmal\nhalben greifbare, so zu sagen anschaulich-concrete Argumente k\u00e4mpft Schuppe mit Wortklaubereien, die zu verfolgen geradezu aufreibend ist. Auf jede noch so harmlose Umschreibung seiner Anschauungen hat er die Antwort: So habe ich nicht gesagt, dieses Wort habe ich nicht gebraucht. Traurig f\u00fcr eine Theorie, wenn sie so ganz und gar auf bestimmte m\u00f6glichst unfafsbare, m\u00f6glichst abstracto Worte basirt ist, denen man (wie den Orakelsprtichen) nicht beikommen kann.\n1 S. Wirklichkeitsstandpunkt, S. 23ff. \u2014 Vgl. diese Arbeit S. 242 (\u00fcber \u201enat\u00fcrliche Theorien\u201c [Cornelius] und das \u201ePrincip der Oekonomie des Denkens\u201c etc.). \u2014","page":251},{"file":"p0252.txt","language":"de","ocr_de":"252\nnicht sein kann, und hoffen, dafs jeder Verstehende solche \u201eMetaphysik\u201c von der eigentlichen Metaphysik, der speculative!! Weltinterpretation, unterscheiden k\u00f6nne und \u2014 wolle.\nEs sei dahingestellt, ob die nichtrea\u00dcBtische Erkenntnistheorie und ihre Vertreter thats\u00e4chlich solche \u201eMetaphysik\u201c und alles \u201eHypothetische\u201c vermieden haben. Angenommen es w\u00e4re so ; so folgte f\u00fcr uns eben nur, dafs in diesem Falle die \u201eHypothese\u201c der Nichthypothese, die \u201eMetaphysik\u201c der \u201ereinen En fahrung\u201c und \u201eblofsen Beschreibung des Gegegebenen\u201c gegen\u00fcber im Rechte ist. \u2014\n(Eingegangen d. 26. Januar 1898.)","page":252}],"identifier":"lit30442","issued":"1898","language":"de","pages":"215-252","startpages":"215","title":"Die erkenntni\u00dftheoretische Stellung des Psychologen: Zugleich ein Beitrag zur Begr\u00fcndung der realistischen Denkweise als einzig m\u00f6glicher","type":"Journal Article","volume":"17"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:31:38.034575+00:00"}