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{"created":"2022-01-31T13:01:59.300260+00:00","id":"lit3047","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Exner, Sigm.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 12: 313-330","fulltext":[{"file":"p0313.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber autokinetische Empfindungen.\nVon\nSlGM. ExNER,\nProfessor der Physiologie in Wien.\nWenn man in einem \u00fcbrigens vollkommen verdunkelten Baume einen Lichtpunkt durch Minuten fixiert, so scheint es bald, dafs er sich bewegt. Oft schon wenige Sekunden nach dem Beginne der Fixation glaubt man eine sanfte Verschiebung an ihm zu sehen, dann entsteht der Eindruck, dafs er langsam nach irgend einer Richtung hin getragen wird, wie die behaarte Frucht von Leontodon bei leiser Luftbewegung \u00fcber die Wiese hinschwebt, oftmals die Richtung wechselnd, zeitweise aber auch lange nahezu geradlinige Strecken zur\u00fccklegend. Der Lichtpunkt kann bisweilen um 20, 30 Winkelgrade und mehr aus seiner urspr\u00fcnglichen Lage gewichen erscheinen.\nSelbstverst\u00e4ndlich liegt hier eine subjektive Gesichtserscheinung vor. Sie wurde in der geschilderten Form eingehend zuerst von Aug. Charpentier1 beschrieben, doch reicht die Kenntnis verwandter Erscheinungen recht weit zur\u00fcck.\nAlexander v. Humboldt erz\u00e4hlt im Kosmos2: \u201eEs ist hier der Ort wenigstens beil\u00e4ufig einer anderen optischen Erscheinung zu erw\u00e4hnen, die ich, auf allen meinen Bergbesteigungen, nur einmal, und zwar vor dem Aufgange der Sonne den 22. Junius 1799 am Abhange des Pies von Teneriffa, beobachtete. Im Malpays,\n1\tCompt. Bend. 1886. S. 1155 : Sur une illusion visuelle.\n2\tStuttgart und Augsburg. 1850. Bd. III. S. 73. Auch in Voyage aux B\u00e9gions \u00e9quin. Tome I. S. 125 hat v. Humboldt, wie er selbst zitiert, die Erscheinung beschrieben.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XII.\t21","page":313},{"file":"p0314.txt","language":"de","ocr_de":"314\nSigm. E\u00e6ner.\nohngef\u00e4hr in einer H\u00f6he von 10 700 Fufs \u00fcber dem Meere, sah ich mit unbewaffnetem Auge tiefstehende Sterne in einer wunderbar schwankenden Bewegung. Leuchtende Punkte stiegen aufw\u00e4rts, bewegten sich seitw\u00e4rts und fielen an die vorige Stelle zur\u00fcck. Das Ph\u00e4nomen dauerte 7 bis 8 Minuten und h\u00f6rte auf lange vor dem Erscheinen der Sonnenscheibe am Meereshorizont. Dieselbe Bewegung war in einem Fernrohr sichtbar; und es blieb kein Zweifel, dafs es die Sterne selbst waren, die sich bewegten. \u201c Es wird dann weiter erz\u00e4hlt, dafs fast ein halbes Jahrhundert sp\u00e4ter Prinz Adalbert von Preufsen am selben Orte und unter denselben Umst\u00e4nden die gleiche Erscheinung beobachtet hat, ohne von Humboldts Erfahrung zu wissen. Bei dieser Erz\u00e4hlung gebraucht v. Humboldt f\u00fcr die Erscheinung den Namen \u201eSternschwanken\u201c und berichtet weiter in einem Zusatz, dafs dieses am 20. Januar 1851 zwischen 7 und 8 Uhr auch in Trier am Sirius beobachtet wurde, wie aus einem Brief des Oberlehrers der Mathematik Herrn Flesch in Jahns Unterhaltungen f\u00fcr Freunde der Astronomie hervorgeht.\nIm Jahre 1858 ver\u00f6ffentlichte Gr. Schweizer1 in Moskau eine Studie \u201e \u00dcber das Sternschwankenu, welcher Name seit v. Humboldt unter den Astronomen eingeb\u00fcrgert erscheint, und stellt zum ersten Male fest, dafs man es hier mit einer subjektiven Erscheinung zu thun habe. Er beschreibt sie folgendermafsen: \u201eEntweder scheinen die Sterne Kreise oder Ellipsen von kleinerem oder gr\u00f6fserem Durchmesser, die bis auf mehrere Grade gehen k\u00f6nnen, zu beschreiben, das eine Mal sich bewegend wie die Zeiger einer gew\u00f6hnlichen Taschenuhr ; das andere Mal in der entgegengesetzten Bichtung. \u2014 Oder die Sterne scheinen mehr fortschreitend, z. B. von links nach rechts, oder von oben nach unten eine Strecke weit bis zu einem Hauptpunkte sich fortzubewegen, da eine Zeit lang zu verweilen und dann in retrograder Bichtung dem Anfangspunkte wieder zuzueilen. \u2014-Oder endlich, die Sterne beschreiben unregelm\u00e4fsige, sei es geschl\u00e4ngelte, sei es gerade gebrochene Linien nach verschiedenen Bichtungen, jedoch immer so, dafs sie zum Ausgangspunkte wieder zur\u00fcckkehren.\u201c Die subjektive Natur des\n1 Der mir zur Verf\u00fcgung stehende Separatabdruck stammt aus der \u201eBuchdruckerei der Kaiserlichen Universit\u00e4t, 1858\u201c und tr\u00e4gt in russischer Sprache die Bezeichnung \u201eAus No. 4 des Bulletins 1857.\u201c","page":314},{"file":"p0315.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber autoMnetiscke Empfindungen.\n315\nPh\u00e4nomens hat Schweizer dadurch dargethan, dafs er denselben Stern gleichzeitig von mehreren Beobachtern fixieren liefs, wobei sich herausstellte, dafs die Richtung desselben in einem gegebenen Momente f\u00fcr jeden eine andere sein konnte. Schweizer hat aber auch schon einen k\u00fcnstlichen Stern auf seine Scheinbewegung untersucht, indem er eine enge L\u00fccke in dem sonst undur\u00e7hsichtigen Geh\u00e4use einer Laterne im dunklen Zimmer beobachtete. Er hatte also den von Charpentier in j\u00fcngster Zeit publizierten Versuch schon im Jahre 1858 ausgef\u00fchrt. H. de Parville hat alsbald nach Charpentiers Mitteilung auf die alten Beobachtungen Schweizers hingewiesen.1 Dabei will ich schon hier bemerken, dafs das Sternschwanken, sowie die von Schweizer im Zimmer angestellten physiologischen Versuche doch nur zum Teile mit der von Charpentier beschriebenen Erscheinung zusammenfallen, wie schon daraus hervorgeht, dafs fr\u00fcher immer nur von Ausweichungen um einige Grade die Rede war, w\u00e4hrend letzterer viel gr\u00f6fsere Elongationen gesehen hat. Schweizer teilt z. B. folgenden Versuch mit: \u201eZeichnet man einen schwarzen Punkt oderauch gr\u00f6fseren runden Flecken auf eine weifse Wand und stellt man sich in eine Entfernung, dafs Punkt oder Flecken noch recht deutlich sichtbar sind, so wird sich, wenn man dieselben l\u00e4ngere Zeit unverwandt ansieht, die merkw\u00fcrdige Erscheinung zeigen, dafs Punkt oder Flecken anf\u00e4ngt, sich scheinbar allm\u00e4hlich von der Stelle zu bewegen, und zwar nach verschiedenen Richtungen hin, aber jedesmal wieder an den fr\u00fcheren Ort zur\u00fcckkehrt.\nDiese scheinbaren Bewegungen sind allerdings viel geringer als die Lokalver\u00e4nderungen beim Sternschwanken\u201c.. .. \u201eZugleich mit den geringen Orts Ver\u00e4nderungen der genannten Objekte schienen diese auch an den R\u00e4ndern ihre Gestalt zu ver\u00e4ndern, so dafs besonders der schwarze Punkt den Eindruck machte, als ob auf der weifsen Wand sich ein Insekt bef\u00e4nde, das versuchte, bald da-, bald dorthin zu kriechen, aber immer wieder auf den Anfangspunkt zur\u00fcckkehrte. Die T\u00e4uschung, etwas Lebendes auf der Wand zu sehen, ist so vollkommen, dafs Derjenige, welcher nicht das Gegenteil ausdr\u00fccklich weifs, sich von dem letzteren erst durch IST\u00e4hergehen vergewissern\n1 Compt, Bend. 1886. S. 1309.\n21*","page":315},{"file":"p0316.txt","language":"de","ocr_de":"316\nSigm. Exner.\nmufs.\u201c Andere Beobachter hatten denselben Eindruck. Obwohl wir es hier also mit Erscheinungen zu thun haben, die kaum nur quantitativ von jener Charpentiers verschieden sind, bin ich doch n\u00e4her auf dieselben eingegangen, weil, wie ich sp\u00e4ter zeigen werde, ein kausaler Zusammenhang zwischen beiden besteht.\nDie Erscheinung des Sternschwankens scheint sp\u00e4ter in der astronomischen Litteratur gang und gebe zu sein, wie ich einem Aufsatze von E. Weiss entnehme,1 in welchem dasselbe zwischen der Besprechung der Scintillation und der des Einflusses dicker Luftschichten auf das Aussehen der Sterne besprochen ist.\nIm Jahre 1887 stiefs Aubert gelegentlich seiner Studien \u00fcber Bewegungsempfindungen wieder auf diese Erscheinung,2 ohne vorl\u00e4ufig die Mitteilungen Charpentiers und die Beobachtungen von dessen Vorg\u00e4ngern zu kennen. Indem er sich bem\u00fchte, die untere Grenze f\u00fcr die optische Bewegungsempfindung bei Ausschlufs ruhender sichtbarer Objekte, also im dunklen Baume zu ermitteln, erfuhr er, dafs oftmals sein Urteil auf \u201eBuhe\u201c lautete, wenn sich das Objekt bewegt hatte, und dafs er das Urteil \u201eBewegung\u201c f\u00e4llte, wenn das Objekt that-s\u00e4chlich in Buhe geblieben war. Er untersuchte und beschrieb dann eingehend diese subjektiven Bewegungsempfindungen und belegte sie mit dem Namen der \u201eautokinetischen Empfindungen\u201c. Erst nach seiner Publikation wurde er darauf aufmerksam,3 dafs im vorhergehenden Jahre Charpentier dieselbe Erscheinung beschrieben hatte.\nEine Erkl\u00e4rung derselben ist noch nicht gegeben, man \u00abm\u00fcfste denn die Deutung des letztgenannten Autors als solche auffassen, nach welcher es sich um Assoziationen von Vorstellungen handelt. Die Vorstellung einer Bichtung bewirkt eine Scheinbewegung des fixierten Lichtpunktes nach derselben Bichtung, wenn auch nicht jedesmal, so doch h\u00e4ufig. Meiner Meinung nach besteht kein Zweifel \u00fcber die Wirkung solcher Vorstellungen; wenn ich auch keine systematischen Versuche hier\u00fcber gemacht habe, so weifs ich doch, dafs sich mir h\u00e4ufig\n1\tG-. Neumayer, Anleitungen zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Meisen.\n2. Aufl. Berlin 1888. Bd. I. S. 895.\n2\tPfl\u00fcgers Arch. f. d.ges. Physiol. Bd. XXXX. S. 459.\n3\tEbenda S. 623.","page":316},{"file":"p0317.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber autoTcinetiscJie Empfindungen.\n317\nmit der Seheinbewegung des Lichtpunktes die Vorstellung eines in weiter Ferne schwebenden Luftballons oder Vogels: assoziierte und glaube wohl, dafs diese Vorstellung auf die Scheinbewegung zur\u00fcckgewirkt haben mag.\nEine befriedigende Erkl\u00e4rung kann ich darin aber nicht finden, denn es bleibt die Frage, warum scheinen sich unter denselben Assoziationen Lichtpunkte nicht auch dann zu bewegen, wenn ruhende Objekte im Sehfelde sind, und vor allem, warum dr\u00e4ngt sich hier die Bewegung dem Bewufstsein auf? Das geschieht n\u00e4mlich lange, ehe eine Vorstellung auftaucht, die sich mit der Wahrnehmung des Lichtpunktes assoziieren kann. Ja es sieht fast jeder Mensch die in Bede stehende Erscheinung an einem Objekt, von dessen Buhe er vollkommen \u00fcberzeugt ist. Auch werden einige weitere Umst\u00e4nde, welche auf die Erscheinung von Einflufs sind, und von denen alsbald die Bede sein wird, durch die Annahme jener Assoziation nicht verst\u00e4ndlicher.\nDas Interesse, das die autokinetische Empfindung verdient, liegt nicht so sehr in der Aufdeckung ihrer sog. \u201eUrsacheU1 \u2014 kennen wir doch eine grofse Menge subjektiver Gesichts-erscheinungen, deren \u201eUrsache\u201c zu erforschen wir l\u00e4ngst verzichtet haben \u2014, als vielmehr in der Schwierigkeit, dieselbe mit allgemein verbreiteten und acceptierten S\u00e4tzen der physiologischen Optik in Einklang zu bringen. Wie stimmt es mit der aufserordentlichen Feinheit unserer r\u00e4umlichen Orientierung durch das Auge, dafs wir glauben, ein Objekt wechsle seine Lage um einen Gesichtswinkel bis zu 30\u00b0, w\u00e4hrend es, sowie der eigene Kopf und Bulbus, thats\u00e4chlich in Buhe verharrt,-dafs wir andererseits ein Objekt f\u00fcr ruhend halten, wenn es sich, wie aus den Versuchen Auberts hervorgeht, mit einer Winkelgeschwindigkeit von ca. 30' bewegt und wir ihm mit dem Blicke folgen?\nEhe ich die Beantwortung dieser Fragen versuche, will ich3 einige eigene Experimente mitteil en.\nEin schwarz angestrichenes Zimmer, dessen Th\u00fcren und Fensterl\u00e4den geschlossen und einzelne Spalten noch durch T\u00fccher unsch\u00e4dlich gemacht waren, ergab einen Baum, in dem\n1 Charpentier spricht von den \u201ecauses possibles de cette illusion\u201c.","page":317},{"file":"p0318.txt","language":"de","ocr_de":"318\nSigm. Exner.\nich nichts sah; auch als ein kleines elektrisches Grl\u00fchl\u00e4mpchen zum Leuchten gebracht war, sah ich nur dieses. Damit es nichts bis zur Sichtbarkeit beleuchte, war es an einem hohen, frei auf dem Fufsboden stehenden Stativ angebracht, und in einem mit schwarzem Sammet ausgeschlagenen K\u00e4stchen eingeschlossen. Dieses liefs durch eine kleine \u00d6ffnung den gl\u00fchenden Kohlenfaden oder ein St\u00fcckchen desselben sehen, ohne dafs die Begrenzung der \u00d6ffnung kenntlich wurde. Auf einem Stuhl sitzend, sah ich absolut nichts als den, wie ein Lichtpunkt erscheinenden Kohlenfaden. Durch die Drehung der Schraube an einem Transformator konnte ich bequem die Helligkeit bis zur Null variieren. Wenige Sekunden, nachdem ich mich auf den Stuhl gesetzt und den Lichtpunkt zu fixieren begonnen, f\u00e4ngt derselbe seine Scheinbewegungen an ; sie w\u00e4hren so lange ich fixiere. Verschiedene Menschen sehen sie, nach der Beschreibung zu urteilen, in ziemlich \u00e4hnlicher Weise, doch habe ich zwei Herren im Laboratorium, die sie wenigstens bei einmaligem Versuche \u00fcberhaupt nicht sahen.\nDas erste, was bei diesen Beobachtungen auffallt, ist die Leichtigkeit, mit der die Fixation festgehalten wird. W\u00e4hrend unter gew\u00f6hnlichen Verh\u00e4ltnissen, wie bekannt, genaues Fixieren recht schwer, ja im strengen Sinne vielleicht unm\u00f6glich ist, wird hier der Blick \u2014 man m\u00f6chte sagen \u2014 vom Lichtpunkte angezogen : es ist kein Bed\u00fcrfnis f\u00fchlbar, die Bich-tung desselben zu wechseln. Man kann viele Minuten vor dem Apparate sitzen und, ohne sich anzustrengen, so fixieren, dafs eine Abweichung des Blickes nicht bemerkt werden kann. Das h\u00f6rt sofort auf, wenn man neben dem Lichtpunkt einen zweiten anbringt, oder andere sichtbare Objekte in die N\u00e4he stellt. Diese Thatsache spricht wieder daf\u00fcr, dafs wir uns die Blickbewegungen durch ein subkortikales Zentrum reguliert zu denken haben, das f\u00fcr eine instinktive Einstellung des Bulbus auf das uns interessierende Objekt sorgt.1 Hier besteht nur ein Objekt, das uns interessieren kann, deshalb wird der Blick von ihm angezogen und festgehalten. Es geht daraus auch hervor, dafs die Schwierigkeit des Fixierens unter ge-\n1 Vergl. Sigm. Exner, Entwurf einer physiologischen Erkl\u00e4rung der psychischen Erscheinungen. \"Wien 1894. S. 245, wo N\u00e4heres \u00fcber ein solches Zentrum gesagt ist, und S. 130.","page":318},{"file":"p0319.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber autoltinetische Empfindungen.\n319\nw\u00f6bnliclien Umst\u00e4nden nicht an den motorischen Nerven, den Muskeln oder dem Augenmuskelzentrum liegt, sondern an der Unm\u00f6glichkeit, die Aufmerksamkeit einem Punkte dauernd zuzulenken, wenn andere Gesichtsobjekte im Sehfelde sind.\nUnter diesen letztgenannten Umst\u00e4nden pr\u00fcfte ich die autokinetischen Empfindungen, indem ich neben dem ersten Lichtpunkt noch ein zweites Gl\u00fchl\u00e4mpchen oder gr\u00f6fsere und kleinere mit Leuchtfarbe bestrichene Pappscheiben aufstellte. Es zeigte sich, dafs ein zweiter Lichtpunkt die Scheinbewegung nicht vollkommen hintanh\u00e4lt, dafs er aber um so st\u00f6render auf ihr Zustandekommen wirkt, je n\u00e4her er sich an dem fixierten Lichtpunkt befindet. Aber auch, wenn die beiden nur auf wenige Zentimeter gen\u00e4hert sind \u2014 ich beobachtete aus einer Entfernung von 1,5\u20142 m \u2014, so zeigt der fixierte Punkt noch seine Scheinbewegungen. Der indirekt gesehene macht diese Bewegungen mit. Doch scheinen mir unter diesen Umst\u00e4nden die autokinetischen Empfindungen viel weniger lebhaft; auch stellen sie sich nicht so prompt ein.\nBringt man mehrere einen, oder auch einige Quadrat-Dezimeter grofse leuchtende Fl\u00e4chen in die N\u00e4he des Lichtpunktes, so kann die Scheinbewegung vollkommen sistiert werden. Unter solchen Umst\u00e4nden geschah es, dafs ich nach l\u00e4ngerem Fixieren den Punkt doch wieder die Wanderschaft antret en sah und erst nachtr\u00e4glich bemerkte, dafs die leuchtenden Fl\u00e4chen infolge der langdauernden Wirkung auf dieselben Netzhautstellen unsichtbar geworden waren. Eine kleine Blickbewegung machte die Fl\u00e4chen, wenigstens an den B\u00e4ndern, auftauchen, hemmte aber auch sofort die Scheinbewegung.\nWenn diese nicht vollkommen aufgehoben ist, so zeigt sich das nicht etwa in einer nennenswert verringerten Geschwindigkeit, sondern dadurch, dafs die Entfernungen von dem Ausgangspunkt geringer werden. Die Bewegung hat einen Charakter angenommen, den ich nur mit dem Ausdrucke der Zaghaftigkeit bezeichnen kann, indem der Lichtpunkt, wenn er in einer Bichtung fortschreitet, sehr bald dieselbe wechselt oder umkehrt, als k\u00f6nnte er sich nicht weiter vom Ausgangspunkt entfernen.\nF\u00fcr das Verst\u00e4ndnis der Erscheinung von Belang ist weiterhin, dafs die Bewegung des Lichtpunktes in recht merklichem Grade von seiner Helligkeit abh\u00e4ngig ist* Nimmt diese","page":319},{"file":"p0320.txt","language":"de","ocr_de":"320\nSigm. E\u00e6ner.\nzu, so nimmt die Scheinbewegnng ab. Die Assistenten des Physiologischen Institutes, die Herren Drn. A. Kreidl und P. Freihr. y. Seiller, welche ich, ohne dafs sie die Angaben anderer kannten, ersuchte, ihr Urteil in dieser Beziehung abzugeben, sagten sofort nach dem ersten vergleichenden Versuche aus, dafs die geringere Helligkeit die Scheinbewegung beg\u00fcnstige. Nach den drei \u00fcbereinstimmenden Urteilen schien mir eine Ausdehnung des Experimentes auf mehr Personen \u00fcberfl\u00fcssig. Der Unterschied ist eben sehr auffallend. \u00dcbrigens scheint dies schon Charpentier bemerkt zu haben, denn er giebt unter den Bedingungen der Erscheinung an, dafs das Objekt \u201ede petit diam\u00e8tre et faiblement \u00e9clair\u00e9\u201c sei. Meine Versuche wurden zum gr\u00f6fsten Teile bei einer Helligkeit des Kohlenfadens ausgef\u00fchrt, bei der er nach der \u00d6ffnung der Fenster gar nicht mehr oder kaum mehr als gl\u00fchend zu erkennen war.\nUm unbewufste Bewegungen des Rumpfes und des Kopfes auszuschliefsen, kann man sich in ein passend geformtes und mit einer erh\u00e4rtenden Masse belegtes Brettchen einbeifsen, \u2014 wie das bei ophthalmometrischen Messungen u. dergl. \u00fcblich ist \u2014 was auf die Erscheinung keinen Einflufs aus\u00fcbt.\nDie Scheinbewegungen treten also auf, w\u00e4hrend alle den Pumpf und den Kopf bewegenden und, wie die korrekte Fixierung er giebt, auch die den Bulbus bewegenden Muskeln in ihrem Kontraktionszustande beharren.\nIch komme nun auf die Frage zur\u00fcck, wie lassen sich die geschilderten Erscheinungen mit den gangbaren Anschauungen \u00fcber die Feinheit unserer optischen Lokaleindr\u00fccke vereinbaren?\nDas Urteil \u00fcber die Pichtung, in welcher sich ein Objektpunkt vor uns befindet, ist, wenn wir die Stellung des Pumpfes und Kopfes als gegeben annehmen, abh\u00e4ngig:\n1.\tvon der Pichtung unserer Gesichtslinie, d. i. von der Lage des Fixationspunktes. Diese wird uns bekannt durch die Art der Willensimpulse, die wir, um ihn zu gewinnen, aufgebracht haben, und die von Muskeln, Conjunctiva u. s. w. ausgehenden Empfindungen, welche mit der Erhaltung des Bulbus in der erreichten Lage verkn\u00fcpft sind.\n2.\tvon der relativen Lage des Objektbildes auf der Netzhaut zu der der Fovea centralis, also von dem sogenannten Lokalzeichen der' Befcina.","page":320},{"file":"p0321.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber autokinetisclie Empfindungen.\n32\u00ce\nMit anderen Worten : unser Bichtungsurteil bildet sich auf Grund 1) des Urteils \u00fcber die Lage des Gesichtsfeldes (oder des Fixationspunktes) im Blickfelde, 2) des Urteils \u00fcber die Lage des Objektes im Gesichtsfelde.\nIch bin nun zu der Anschauung gelangt, dafs die Beobachter v. Humboldt, Schweizer, Charpentier, Aubert, ich, und, wie ich wohl mit Becht vermute, noch manche Andere \u00fcber die in Bede stehende Erscheinung so befremdet waren, weil sie dem ersten der angef\u00fchrten Faktoren eine mafsgebendere Bolle f\u00fcr das Zustandekommen des, Bichtungseindruckes zugeschrieben haben, als er verdient.\nUnser Urteil \u00fcber die Bichtung des Fixationspunktes zu unserem Kopfe ist ein sehr unsicheres. Ganz einfache Versuche reichen hin, sich davon zu \u00fcberzeugen: wenn man im verdunkelten Baume den Lichtpunkt fixiert, denselben verl\u00f6schen l\u00e4fst und sich bem\u00fcht, die Fixation festzuhalten, so bemerkt man, indem man ihn nach mehreren Sekunden wieder aufleuchten l\u00e4fst, in wie unvollkommenem Masse dies gelungen ist. Oder man fixiert, l\u00f6scht ab, macht eine Blickbewegung, sucht den alten Fixationspunkt wieder auf und. l\u00e4fst aufleuchten. Wenn die ganze Prozedur auch nur 2 bis 3 Sekunden gedauert hat, so kann man um 10 oder 20 Winkelgrade gefehlt haben. Ich stehe 2 bis 3 Meter vor meiner Studierlampe, fixiere die Flamme, bedecke die Augen mit den H\u00e4nden, suche nach einigen Sekunden die Fixationsrichtung wieder zu finden und bemerke beim Abheben der H\u00e4nde, dafs ich mich um eine nennenswerte Zahl von Winkelgraden get\u00e4uscht habe. Die Ergebnisse der Versuche bleiben dieselben, wenn man den Kopf durch Einbeifsen fixiert hat.\nAlso die Erinnerung an die gesetzten motorischen Willensimpulse sowie an die Organempfindungen reichen nicht aus, auch nur nach wenigen Sekunden dieselbe Stellung des Bulbus wieder aufzufinden.\nAber zur Erkl\u00e4rung dieser mangelhaften F\u00e4higkeit, den Fixationspunkt wieder zu finden, braucht man das schlechte Erinnerungsverm\u00f6gen f\u00fcr die abgelaufenen Organempfindungen und Willensimpulse nicht heranzuziehen, sie erkl\u00e4rt sich aus der Mangelhaftigkeit der erworbenen Kenntnis von der Lage des fixierten Objektes gegen unseren K\u00f6rper.","page":321},{"file":"p0322.txt","language":"de","ocr_de":"322\nSigm. Exner.\nWir sind nicht nur aufser st\u00e4nde, dieselben Organgef\u00fchle des Auges wiederherzustellen, wir verm\u00f6gen auch nicht in anderer Weise die Richtung des Objektes gegen den K\u00f6rper mit einiger Genauigkeit anzugeben. Man ersieht dieses aus folgenden zwei Versuchen.\nIch stelle mich einem senkrechten bespannten Reifsbrett so gegen\u00fcber, dafs ich dasselbe bequem mit dem Zeigefinger erreiche. Auf dem Papier befindet sich eine Marke. Diese wird bei herabh\u00e4ngenden Armen (damit die H\u00e4nde nicht im Sehfelde sind) w\u00e4hrend einiger Sekunden fixiert, dann schliefse ich die Augen, und suche mit dem Nagel des rechten Zeigefingers den fixierten Punkt zu ber\u00fchren. Dabei werden bedeutende Fehler gemacht: 30 bis 40 Millimeter sind keine Seltenheit. Auffallenderweise ber\u00fchre ich fast immer zu tief.\nEs liegt auf der Hand, dafs bei diesen Mifserfolgen auch die Fehler mitspielen, welche in den intendierten Muskelbewegungen mit unterlaufen. Um ein Mafs f\u00fcr dieselben zn gewinnen, f\u00fchrte ich einen zweiten Versuch in der folgenden Weise aus. Auf die Fingerbeere des linken Zeigefingers machte ich eine wenige Millimeter grofse Marke. Dann stellte ich mich dem Reifsbrette gegen\u00fcber wie fr\u00fcher. Ein Geh\u00fclfe legte, w\u00e4hrend ich die Augen geschlossen hielt, meinen linken Zeigefinger so an das Reifsbrett, dafs die Marke desselben gerade vor der fr\u00fcheren Fixationsmarke zu stehen kam. Nun bem\u00fchte ich mich mit dem rechten Zeigefinger die Marke des linken zu ber\u00fchren. Es zeigte sich, dafs ich jetzt bedeutend geringere Fehler machte.\nDaraus geht hervor, dafs die durch die Blickaktion erworbene Kenntnis von der Lage der Marke eine schlechtere war, als die durch die Lageempfindungen des linken Zeigefingers erworbene, und dafs die mangelhafte Kenntnis von der Richtung des Fixationspunktes die grofsen Fehler im ersten Versuche mit bedingt hat. Ich mufs bemerken, dafs ich, um die Fehler, die mit der Sch\u00e4tzung der Entfernung verkn\u00fcpft sein k\u00f6nnten, zu vermeiden, meinen Finger stets in der Verbindungslinie zwischen der Kopfmitte und dem vermeintlichen Orte der Marke vorw\u00e4rts bewegte, bis ich anstiefs.\nDa bei derartigen Versuchen zweifellos individuelle Eigenschaften sehr in Betracht kommen, habe ich drei Herren ersucht, die Experimente zu wiederholen. Es ergab sich als","page":322},{"file":"p0323.txt","language":"de","ocr_de":"Uber autokinetische Empfindungen.\n323\ndurchschnittlieher Fehler s\u00e4mtlicher Einzelversuche der vier Experimentatoren f\u00fcr die erste Form des Versuches 29,5 mm, f\u00fcr die zweite Form 11,8 mm. Nehme ich meine Versuche allein heraus, so ist die Differenz nicht so bedeutend. Immerhin zeigt auch diese Erfahrung zur Gen\u00fcge, wie schlecht unser Urteil \u00fcber die Lage des Fixierpunktes im Blickfelde ist.\nGanz anders steht es in der Kegel mit dem zweiten Faktor, der bei der Bildung des Bichtungsurteils beteiligt ist. Die Orientierung im Sehfelde bei ruhendem Blicke oder auch unter Zuh\u00fclfenahme von Blickbewegungen ist in der That eine ausgezeichnete. Hier handelt es sich immer um die relative Lage der Objekte. F\u00fcr die Wahrnehmung dieser sind wir trefflich organisiert. Wenn ein Gegenstand, dessen Bild auf der Netzhautperipherie liegt, unsere Aufmerksamkeit erregt, so drehen wir unsern Augapfel mit aufserordentlicher Pr\u00e4zision gerade um jene Drehungsaxe und um so viele Winkelgrade, dafs dieses Bild auf die Fovea centralis der Netzhaut zu liegen kommt. Ich habe aber schon an anderem Orte1 gezeigt, dafs Bedingung dieser Pr\u00e4zision das Vorhandensein der Netzhautbilder selbst ist. Unbewufst wird die Blickbewegung durch die sensorischen Eindr\u00fccke der das Netzhautbild gleichsam abtastenden Elemente der Ketina reguliert. Mit anderen Worten: die Verschiebung des Sehfeldes im Blickfelde ist nur dann eine pr\u00e4zise, wenn sie durch die Netzhauteindr\u00fccke kontrolliert wird. Wir haben es hier eben mit einer Erscheinung der Senso-mobilit\u00e4t zu thun.\nAber auch bei fixiertem Blicke haben wir unter gew\u00f6hnlichen Verh\u00e4ltnissen eine recht scharfe Auffassung der gegenseitigen Lage von Gesichtsobjekten. Es beruht dieselbe auf den Beziehungen zwischen den Lokaleindr\u00fccken verschiedener Netzhautstellen, deren Mechanismus ich an anderem Orte dem Verst\u00e4ndnisse n\u00e4her zu r\u00fccken gesucht habe.2 Hier will ich nur auf den einfachen Versuch hinweisen,3 der zeigt, dafs wir f\u00fcr die gegenseitige Lage zweier gesehener Objekte viel\n1\tEntw. z. e. physiolog. Erkl\u00e4rung d. psychischen Erscheinungen. S. 130.\n2\tL. c. S. 248.\n3\tL. c. S. 262.","page":323},{"file":"p0324.txt","language":"de","ocr_de":"324\nSigm. Exner.\nempfindlicher sind, als f\u00fcr die Lage jedes derselben gegen unseren K\u00f6rper. Dasselbe gilt auch von den Lokaleindr\u00fccken des Tastsinnes: haben wir ein Kitzelgef\u00fchl an einer Hautstelle von geringer Empfindlichkeit (z. B. am Unterschenkel) und bem\u00fchen uns, die betreffende Stelle unter der Kontrolle des Auges mit dem Finger zu ber\u00fchren, so gelingt uns das in der Kegel nicht. Aber die durch den Finger erzeugte Tastempfindung lehrt uns sofort, ob wir zu hoch oder zu tief, oder seitlich gegriffen haben, so dafs wir nun die gesuchte Stelle augenblicklich finden. Also auch hier lehrt uns das Zusammenwirken beider Empfindungen auf das Genaueste die gegenseitige Lage der Keizstellen.\nAus alledem geht hervor, dafs sich unsere vortreffliche Orientierung im Kaume auf den \u2014 that-s\u00e4chlich .fast immer verwirklichten \u2014 Fall beschr\u00e4nkt, dafs unser Sehfeld mit Gesichts ob jekten erf\u00fcllt ist. Diese werden dann, sei es durch senso-mobil regulierte Blickbewegungen, sei es durch die ihre gegenseitigen Beziehungen in sich tragenden Lokaleindr\u00fccke verschiedener Netzhautstellen in ihrer relativen Lage mit grosser Genauigkeit erkannt.\nDiese vortreffliche Orientierung im Sehfelde ist aber nur unter den Verh\u00e4ltnissen des gew\u00f6hnlichen Sehens vorhanden. Sie h\u00f6rt auf, sobald wir uns den Grenzen des deutlichen Sehens n\u00e4hern, sei es wegen Herabsetzung der Keizst\u00e4rken, sei es wegen der Kleinheit der Netzhautbilder.\nErinnern wir uns an die Abh\u00e4ngigkeit der Lokalempfindungen der Netzhaut von der Helligkeit. Ein bedrucktes Blatt Papier zeigt uns bei zunehmender D\u00e4mmerung erst nur die nicht mehr lesbaren Worte, dann nur mehr die Zeilen, und schliefslich hebt sich blos das graue bedruckte Kechteck von dem weifsen Kande ab. Der Erfolg bleibt derselbe, wenn wir das Blatt durch eine enge L\u00fccke ansehen, woraus zu entnehmen ist, dafs die wechselnde Weite der Pupille dabei keine Kolle spielt, das Verwaschensein der Schrift vielmehr auch bei \u00fcber die Norm gesteigerter Sch\u00e4rfe der Netzhautbilder vorhanden ist, wenn diese nur lichtschwach genug sind. Ich zeichne drei parallele Striche nahe neben einander auf ein Blatt Papier, in gr\u00f6fserer Entfernung einen vierten von derselben Dicke und","page":324},{"file":"p0325.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber autokinetische Empfindungen.\t'\t325\nL\u00e4nge. Bei dem riclitigen Grade der D\u00e4mmerung sehe ich von dem einzelnen Strich nichts, aber da, wo die drei Striche neben einander stehen, sehe ich eine graue rechteckige Fl\u00e4che. Ein schwarzer Punkt kann schon unsichtbar sein, w\u00e4hrend vier neben einander stehende noch einen grauen Fleck bilden. B\u00fcckt man jene vier Punkte weiter aus einander, so liefern auch sie keine Gesichtswahrnehmung mehr. Daraus geht hervor, dafs die Erregung einer Netzhaut stelle unter den genannten Verh\u00e4ltnissen eine Wirkung aus\u00fcbt, als w\u00fcrde sich dieselbe auch auf die Nachbarschaft erstrecken und zu den dort gesetzten Empfindungen hinzuaddieren k\u00f6nnen. Die Empfindung, die ein Punkt ausl\u00f6st und die unter dem Schwellenwerte liegt, wird merklich, wenn ein zweiter und dritter in der Nachbarschaft hinzutritt, wobei dieselbe auf den Baum zwischen ihnen vertheilt erscheint. Wie weit auf der Netzhaut diese Fernwirkung reicht und wie sie mit der Entfernung abnimmt, mag vorl\u00e4ufig uner\u00f6rtert bleiben.\nWir kennen einige andere Erscheinungen, welche, dieser verwandt, in die Gruppe der \u00f6rtlich sekund\u00e4ren Empfindungen geh\u00f6ren und auf der Fern Wirkung einer gereizten Netzhautstelle im Sinne der Addition der Empfindungen beruhen. So hat bekanntlich A. E. Fick1 gezeigt, dafs man die Farbe eines Fleckes auf dunklem Grunde nicht mehr erkennen kann, wenn die Farbe einer Gruppe ganz gleichartiger Flecken noch erkannt wird, und Br\u00fccke hat bei Verkleinerung der Netzhautbilder verschieden gef\u00e4rbter Felder Mischfarben bekommen, obwohl man die Grenzen dieser Felder noch ganz wohl erkannte.2\nDie Erregung einer Netzhaut st eile, die, sei es wegen ihrer r\u00e4umlichen Beschr\u00e4nkung, sei es wegen geringer Intensit\u00e4t, an der Grenze ihrer Wahrnehmbarkeit steht, wirkt demnach so, als w\u00fcrde sich ihre Erregung den benachbarten Netzhautstellen mitteilen. Es muss vorl\u00e4ufig dahingestellt bleiben, ob diese Wirkung in der Netzhaut selbst oder in ihren Zentralorganen zu st\u00e4nde kommt. Ich will das Netzhautgebiet, auf welche sich dieselbe erstreckt, den Aktionskreis der gereizten Netz-\n1\tPfl\u00fcgers Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. XVII, S. 152; XXXIX S. 18 und XLIII, S. 441.\n2\t\u00dcber einige Konsequenzen der Young-HELMHOLTZschen Theorie. Sitzgs.-Ber. d Wien. \u00c4kad. d. Wiss., Bd. LXXX, Abt. III, Juli 1879.","page":325},{"file":"p0326.txt","language":"de","ocr_de":"326\nSigm. Exneu\nhautstelle nennen. Man k\u00f6nnte ihn auch als den physiologischen Zerstreuungskreis bezeichnen ; doch w\u00fcrde dieser Ausdruck zu Mifsverst\u00e4ndnissen verleiten, weshalb ich ihn lieber vermeide. Aufser dem gleich n\u00e4her zu er\u00f6rternden Umstande, durch welchen sich der Aktionskreis von einem dioptrischen Zerstreuungskreise unterscheidet, ist auch die Analogie zwischen beiden, die in dem verwaschenen D\u00e4mmerungsbilde einer bedruckten Seite so deutlich hervorzutreten scheint, eine ganz oberfl\u00e4chliche. Denn wenn man einen schwarzen Punkt auf weifsem Grunde wegen mangelhafter Akkommodation des Auges im Zerstreuungskreise sieht, so nimmt man diesen Zerstreuungskreis deutlich wahr und erkennt, dafs er gr\u00f6fser ist als der Punkt selbst. Wenn man diesen aber wegen herabgesetzter Beleuchtung undeutlich sieht, so erscheint er nie gr\u00f6sser als er ist. Man sieht ihn nicht oder man sieht ihn, im letzteren Palle aber n\u00e4herungsweise in der nat\u00fcrlichen Grofse.\nWas uns an diesem Aktionskreis aber zun\u00e4chst interessiert, ist der Umstand, dafs er seine Existenz der mangelhaften Lokalisation der Netzhautreizung verdankt. Die geschilderten Erscheinungen lassen sich eben hierauf zur\u00fcckf\u00fchren. Diese Mangelhaftigkeit der Lokalisation einer an der Grenze der Wahrnehmbarkeit stehenden Netzhauterregung zeigt sich nun auch dadurch, dafs wir dieselbe innerhalb ihres Aktionskreises in verschiedenen Zeiten an verschiedene Orte verlegen.\nDer Versuch Schweizers ist jederzeit und mit sicherem Erfolge zu wiederholen. Ein dunkler Punkt, auf weifsem Grunde fixiert, zeigt bei hinl\u00e4nglich herabgesetzter Beleuchtung Scheinbewegungen, die ganz vortrefflich mit den Bewegungen eines Insektes verglichen werden, das es versucht, dahin und dorthin zu kriechen, aber immer wieder an seinen Ort zur\u00fcckkehrt. Der dunkle Punkt, der nicht gr\u00f6fser erscheint als er ist, wird eben nacheinander an verschiedenen Stellen seines Aktionskreises gesehen. Schweizer dachte zur Erkl\u00e4rung davon an unwillk\u00fcrliche Augenbewegungen.\nUm mich \u00fcber diese Deutung zu orientieren, gab ich dem Versuche die folgende Form. Ein schwarzer Fleck von circa 1 cm Durchmesser auf weifsem Kartonpapier wurde im Zentrum durch einen Nadelstich durchbohrt. Der Karton wurde vor einem Ausschnitt im Fensterladen angebracht und nun die Beleuchtung im Inneren des Zimmers sowie das durch den","page":326},{"file":"p0327.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fcber autoJcinetisclie Empfindungen.\n327\nNadelstich eindringende Licht so reguliert, dafs der schwarze Fleck und der im Zentrum desselben gelegene Lichtpunkt eben noch deutlich gesehen werden konnten. Es war zu erwarten, dafs schwarzer Fleck und Lichtpunkt Scheinbewegungen zeigen. F\u00fchren diese von Augenbewegungen her, so mufsten sie immer gleichsinnig sein. Es ergab sich, dafs dieses nicht der Fall war, dafs vielmehr der Lichtpunkt in dem schwarzen Kreise hin- und herwanderte, in ziemlich raschem Tempo, oftmals die Lichtung wechselnd und niemals den Rand des schwarzen Fleckes erreichend. Letzterer machte Bewegungen von demselben Charakter, wie er sie ohne zentralen Lichtpunkt ausf\u00fchrte. Es waren also die Bewegungen beider ganz unabh\u00e4ngig voneinander.\nDaraus geht hervor, dafs sich die Fernwirkung einer gereizten Netzhautstelle unter Umst\u00e4nden auch manifestiert, indem das kleine Objekt zwar nicht gr\u00f6fser zu sein, aber innerhalb des Aktionskreises seinen Platz zu wechseln scheint. Darauf beruht die von Schweizer an einzelnen Punkten beobachtete Erscheinung und wahrscheinlich auch das sog. Sternschwanken, kurz jene Scheinbewegungen, die sich innerhalb einiger Winkelgrade halten.\nIch will diese Erscheinung das Punktschwanken nennen, als den allgemeineren Fall des Sternschwankens. Sie beruht auf mangelhafter Lokalisation des kleinen Gesichtsobjektes und tritt auch dann auf, wenn das Sehfeld mit ruhenden Objekten erf\u00fcllt ist; Bedingungen sind gute Fixation, geringe Helligkeit oder Kleinheit des Objektes. Da, wie gesagt, die Erscheinung auch an Sternen oder in dem oben angef\u00fchrten Versuche an ziemlich hellen Lichtpunkten zu sehen ist, so kann die Helligkeit wenigstens scheinbar recht bedeutend sein, wenn das Objekt nur hinl\u00e4nglich klein ist.\nAuf diese erl\u00e4uterte Erscheinung des Punktschwankens l\u00e4fst sich aber nicht unmittelbar das von Charpentier und Aubert beschriebene Ph\u00e4nomen zur\u00fcckf\u00fchren, denn bei diesen handelt es sich um 20\u201430 Winkelgrade und um eine Bewegung von recht nennenswert anderem Charakter.\nZum Verst\u00e4ndnis der autokinetischen Empfindungen ist zun\u00e4chst erforderlich, sich \u00fcber das Verhalten der Blicklinie beim Punktschwanken klar zu werden. Wir sind, wenn wir","page":327},{"file":"p0328.txt","language":"de","ocr_de":"328\nSigm. Exner.\ndasselbe beobachten wollen, bestrebt, den Punkt zu fixieren. Wenn derselbe nun eine Bewegung zu machen scheint, so sind zwei F\u00e4lle m\u00f6glich: entweder wir bewegen unsere Blicklinie im Sinne der Scheinbewegung und im Bestreben, den Punkt weiter zu fixieren, oder wir bewegen die Blicklinie nicht, da sich dieser thats\u00e4chlich nicht bewegt. Welcher Fall trifft in Wirklichkeit zu? Nach meinen Erfahrungen zweifellos der letztere. W\u00fcrden wir angeregt durch die Scheinbewegung die Blickrichtung wechseln, so w\u00fcrde das Netzhautbild des Punktes eine andere Stelle der Betina treffen, was uns eine charakteristische Empfindung verursacht und das ganze Ph\u00e4nomen sofort zum Schwinden bringt, wie man sich jederzeit leicht \u00fcberzeugen kann. Die leiseste Augenbewegung hemmt das Punktschwanken.\nEs mag sonderbar erscheinen, dafs wir im Streben zu fixieren und beim Obwalten einer Scheinbewegung den Blick festhalten sollen. Das Befremdende verschwindet aber, wenn man bedenkt, dafs, wie schon erw\u00e4hnt, die Augenmuskelzentren in gewissem Sinne selbst\u00e4ndige Funktionen haben und das Interesse f\u00fcr ein gesehenes Objekt sie veranlafst, die zur Fixation desselben n\u00f6tigen Impulse an die Muskeln abzugeben. Es mag das Sensorium dann den Punkt f\u00fcr bewegt halten oder nicht, jene Zentren werden daf\u00fcr sorgen, dafs sein Bild auf der Fovea centralis liegt, werden also den Tonus der einzelnen Muskeln nicht \u00e4ndern, wenn das Bild sich auf der Netzhaut nicht bewegt.\nKennen wir doch dieselbe Erscheinung von einem anderen Gebiete her. Wenn wir eine liniierte Trommel vor unseren Augen rotieren lassen, halten sie dann pl\u00f6tzlich fest und fixieren einen Punkt derselben, so sehen wir das negative Bewegungsnachbild, d. h. die Linien sowohl wie der fixierte Punkt scheinen sich in entgegengesetzter Dichtung zu bewegen. Wir sehen also auch an diesem letzteren eine Scheinbewegung, obwohl wir ihn bei ruhender Blicklinie in Fixation halten.\nW\u00e4hrend also das Sensorium bei seinem Interesse, das Objekt zu beobachten, den Eindruck einer Bewegung desselben erh\u00e4lt, k\u00f6nnen die subkortikalen Zentren in ihren Tonuszust\u00e4nden im Sinne der Fixation beharren.\nAuf dieser Grundlage erkl\u00e4ren sich nun die weit ausgreifenden Scheinbewegungen Charpentiers und Auberts. Der","page":328},{"file":"p0329.txt","language":"de","ocr_de":"\u00dcber autoJ\u00e4netische Empfindungen.\n329\nLichtpunkt macht die wenige Grade betragenden Punktschwankungen. Bei dem Bestreben, ihn in der Fixation zu halten, glauben wir ihm mit dem Blicke zu folgen, und wenn die Punktschwankung ihn z. B. f\u00fcr zwei Sekunden nach links f\u00fchrt, so glauben wir, zwei Sekunden lang ihn mit dem Blicke nach links zu verfolgen; f\u00fchrt ihn die Punktschwankung nun nach oben, so glauben wir, so lange er uns in dieser Richtung vom Fixationspunkt abzuweichen scheint, ihm dahin mit dem Blicke zu folgen. So kommt es, dafs die Scheinbewegung soviel \u00c4hnlichkeit mit der eines nicht ganz zentral betrachteten Nachbildes hat und der Wechsel der Richtung denselben Charakter tr\u00e4gt, wie die Scheinbewegung eines Nachbildes, an dem nacheinander verschiedene Anteile unser Interesse erwecken. Dafs hier die Ausschl\u00e4ge aber bis zu 30 Graden ansteigen k\u00f6nnen, r\u00fchrt von der oben dargelegten h\u00f6chst unvollkommenen Orientierung im Blickfelde her, also von dem ganz unzul\u00e4nglichen Urteil \u00fcber die Blickrichtung bei Ausschlufs der Kontrolle durch Netzhautbilder.\nSo wird auch verst\u00e4ndlich, dafs die autokinetische Empfindung um so lebhafter wird, je weniger hell der Lichtpunkt ist, denn dann ist das Punktschwanken deutlicher, und dafs benachbarte sichtbare Objekte hemmend wirken, denn das Punktschwanken wird voraussichtlich f\u00fcr jeden in einem gegebenen Momente nach einer anderen Richtung wirksam sein, und ein Durcheinanderfliefsen derselben ist wegen unseres feinen Gef\u00fchles f\u00fcr die gegenseitige Lage der Objekte unm\u00f6glich.\nIch fasse kurz zusammen: Wir sehen im \u00fcbrigens vollkommen verdunkelten Raume bei dauernder Fixation einen thats\u00e4chlich ruhenden Lichtpunkt Scheinbewegungen ausf\u00fchren, die ihn bis zu 20 und 30 Winkelgrade gegen seine urspr\u00fcngliche Stellung verschoben erscheinen lassen. Dieses Ph\u00e4nomen beruht auf Folgendem. Kleine oder lichtschwache Objekte, auf der Netzhaut abgebildet, geben unvollkommene Lokaleindr\u00fccke so, als w\u00fcrden auch die dem Bilde benachbarten Stellen der Retina von ihnen affiziert werden (Aktionskreis eines Netzhauteindruckes). Wird ein solches Bild durch l\u00e4ngere Zeit auf dem Orte des deutlichsten Sehens festgehalten, so zeigt sich diese\n22\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XII.","page":329},{"file":"p0330.txt","language":"de","ocr_de":"330\nSigm. JExner.\nFern Wirkung, indem es den Eindruck erweckt, als w\u00fcrde es successive an verschiedene Orte dieser Nachbarschaft hinwandern, so dafs man glaubt, das Objekt mache schwankende Bewegungen (Punktschwanken). Dieselben betragen nur wenige Winkelgrade, wenn das Sehfeld auch noch andere sichtbare Objekte enth\u00e4lt. Ist dasselbe aber bis auf den Lichtpunkt vollkommen dunkel, so dafs keine M\u00f6glichkeit besteht, aus der Verschiebung der Netzhautbilder bei intendierten Blickbewegungen eine Kontrolle f\u00fcr diese Blickbewegungen selbst zu gewinnen, so kann die scheinbare Ausweichung des Objektes viele Winkelgrade betragen, denn w\u00e4hrend der ganzen Zeit, in der eine Schwankung des Objektes nach einer bestimmten Sichtung stattzuhaben scheint, glauben wir \u2014 da wir uns mit Erfolg bestreben, das Objekt auf der Fovea centralis festzuhalten, d. i. zu fixieren \u2014 demselben mit dem Blicke in dieser Sichtung zu folgen. Bei der ausserordentlich schlechten Beurteilung der Sichtung unserer Blicklinie ohne Kontrolle kann die T\u00e4uschung jene bedeutende Grr\u00f6fse erreichen.","page":330}],"identifier":"lit3047","issued":"1896","language":"de","pages":"313-330","startpages":"313","title":"\u00dcber autokinetische Empfindungen","type":"Journal Article","volume":"12"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:01:59.300265+00:00"}