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{"created":"2022-01-31T15:09:07.399440+00:00","id":"lit30504","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Heymans","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 17: 383-396","fulltext":[{"file":"p0383.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechung.\nTh. Lipps. Ramlsthefik ui geometrisch-optische Tltschtag ei* Schriften der Gesellschaft f\u00fcr psycholog. Forschung, Heft 9 u. 10 (2. Samml.) Leipzig, J. A. Barth, 1897. YII und 424 S.\nDer Grundgedanke des vorliegenden Buches ist aus den fr\u00fcheren Schriften des Verfassers bekannt: es wird behauptet und zu beweisen versucht, dafs die symbolische Deutung des Gegebenen als Product mechanischer Kr\u00e4fte sowohl aller \u00e4sthetischen Auffassung, wie auch s\u00e4mmt-lichen geometrisch - optischen T\u00e4uschungen zu Grunde liege. Also das gleiche Thema wie in den \u201eAesthetischen Factoren der Raumanschauung\u201c (1891); jetzt aber bis zum f\u00fcnffachen Umfang ausgedehnt, und dementsprechend durch ein bedeutend reichhaltigeres, auch nach neuen Ein* theilungsgr\u00fcnden geordnetes und theilweise verschieden gedeutetes Material erl\u00e4utert. Eine kurze und dennoch einigermaafsen ad\u00e4quate Darstellung des Inhaltes wird durch den concreten, sehr ins Einzelne gehenden Charakter der Untersuchung sehr erschwert; ich beschr\u00e4nke mich darauf, den allgemeinen Verlauf und die haupts\u00e4chlichsten Ergebnisse derselben kurz zusammenzufassen, und daran einige Bemerkungen, vornehmlich \u00fcber die vom Verfasser befolgte Methode, festzukn\u00fcpfen.\nDie Einleitung (S. 1) giebt das Programm der Untersuchung: von den sch\u00f6nen r\u00e4umlichen Formen sollen hier nur die geometrischen, nicht die Naturformen besprochen, von jenen aber nachgewiesen werden, dafs auch sie \u201esch\u00f6n sind verm\u00f6ge ihrer Beziehung zur Natur oder zur lebendigen Wirklichkeit, nur dafs diese Beziehung bei ihnen besonderer Art ist.\u201c Des weiteren sei es die Absicht, \u201eauf eben diese Beziehung zur Natur oder lebendigen Wirklichkeit die sogenannten geometrisch - optischen T\u00e4uschungen zur\u00fcckzuftihren.\u201c\nDer erste Abschnitt (S. 3\u201460j giebt allgemeine Bemerkungen \u201ezur Aesthetik der sch\u00f6nen Raumform\u201c. An das Beispiel der f\u00fcr unsere Auffassung \u201esich aufrichtenden und zusammenfassenden\u201c dorischen S\u00e4ule wird unsere Neigung erl\u00e4utert, ohne alle Reflexion die gegebenen Raumformen","page":383},{"file":"p0384.txt","language":"de","ocr_de":"384\nBesprechung,\nzun\u00e4chst mechanisch, sodann anthropomorphiscli zu deuten ; also dieselben \u201eim Lichte eigenen Thuns zu betrachten\u201c, und dementsprechend mit denselben zu \u201esympathisiren\u201c. Auf die freie Zweckth\u00e4tigkeit, welche wir dabei in die geometrischen Gebilde hineinlegen, beruhe all\u00e9 Sch\u00f6nheit, auf St\u00f6rungen dieser freien Zweckth\u00e4tigkeit alle H\u00e4fslichkeit derselben. Zwar gefalle auch die blofse Regelm\u00e4fsigkeit an und f\u00fcr sich; der bestimmte Charakter oder die bestimmte F\u00e4rbung, welche dieser Wohlgef\u00e4lligkeit anhaftet, und damit ihre eigentliche \u00e4sthetische Bedeutung, sei aber nur in der angedeuteten Weise zu erkl\u00e4ren. Die \u00e4sthetisch-mechanische Interpretation des Gegebenen setze vergangene Erfahrungen voraus; diese wirken jedoch nicht als Einzelerinnerungen, sondern sie verdichten sich zu Gesetzen, welche in uns wirken, auch ohne uns bewufst zu werden; das Formgef\u00fchl lasse sich dem Sprachgef\u00fchl vergleichen. Mit der Personifikation gehe die Auffassung der sch\u00f6nen Form als \u00e4sthetisch-mechanische Einheit zusammen; diese Einheit sei entweder eine \u201esuccessive\u201c oder eine \u201esimultane\u201c oder eine \u201eantagonistische\u201c, je nachdem das Wahr genommene nach dem Urbilde des inhaltlich einfachen Willensactes, der gleichzeitig ein Mehrfaches umfassenden, jedoch einem qualitativ identischen Wollen entstammenden Th\u00e4tigkeit, oder der gleichzeitig nach entgegengesetzten Richtungen zielenden Willenshandlung gedeutet wird (S\u00e4ule, S\u00e4ulenreihe, Kreis). Indem aber die mechanisch-\u00e4sthetische Auffassung einer ruhenden Form einen Gleichgewichtszustand voraussetzt, m\u00fcsse \u00fcberall neben der \u201eprim\u00e4ren\u201c, eine r\u00e4umliche Wirkung erzeugenden Th\u00e4tigkeit eine \u201esecund\u00e4re Gegentendenz\u201c, welche derselben Schranken setzt, vorgestellt wTerden ; jene prim\u00e4re Th\u00e4tigkeit k\u00f6nne eine begrenzende, eine ausdehnende (der Schwere entgegenwirkende oder mit ihr zusammenfallende) oder eine ablenkende (Richtungs\u00e4nderung erzeugende) sein.\nDer zweite Abschnitt (S. 61\u201469) bringt den \u201eUebergang zu den optischen T\u00e4uschungen\u201c, welche allgemein darauf zur\u00fcckgef\u00fchrt werden, dafs die auf Grund der \u00e4sthetischen Auffassung in die Formen hineingelegte Th\u00e4tigkeit die wahrgenommene Wirkung derselben in der Vorstellung noch verst\u00e4rkt. Die optischen T\u00e4uschungen seien n\u00e4mlich nicht Modificationen der Wahrnehmungen, sondern Urtheilst\u00e4uschungen, genauer irrth\u00fcmliche Vergleichsurtheile oder Ablenkungen eines Vergleichsurtheils. Beim Vergleichen zweier Objecte \u00fcbertragen wir das Vorstellungsbild des einen Objectes auf das andere Object; \u201eso gewdfs (aber) die in der blofsen Vorstellung vollzogene Modification einer Form oder Gr\u00f6fse die Wahrnehmung dieser Form oder Gr\u00f6fse nicht zu \u00e4ndern vermag, so gewifs ist sie eine Ver\u00e4nderung des Vorstellungsbildes derselben .... Das Ergebnifs ist, dafs wir gar nicht, wie wir meinen, das Wirkliche, sondern das modi-ticirte Vorstellungsbild des einen Objectes auf das andere Object \u00fcbertragen. Damit ist naturgem\u00e4fs auch eine Ablenkung des Resultates der Ueber-tragung und Vergleichung gegeben\u201c. \u2014 Dem Einwurf, dafs das Gleichgewicht zwischen prim\u00e4rer und secund\u00e4rer Th\u00e4tigkeit zwei sich aufhebende T\u00e4uschungen erzeugen m\u00fcfste, begegnet der Verfasser durch die Bemerkung, dafs die prim\u00e4re Tendenz sich fr\u00fcher aufdringe und somit das TJebergewicht behalte, auch oft an anderer Stelle wirke als die secund\u00e4re. So wird die","page":384},{"file":"p0385.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechung.\n385\nscheinbare Verkleinerung eines umschlossenen Baumes auf die begrenzende Thfttigkeit der Contour, die scheinbare Yergr\u00f6fserung eines Gegenstandes innerhalb desselben auf die dort sich beth\u00e4tigende Ausdehnungstendenz, zur\u00fcckgef\u00fchrt.\nDer dritte Abschnitt (S. 70\u2014140) handelt \u00fcber \u201eAusdehnung und Begrenzung\u201c, und giebt zahlreiche Beispiele f\u00fcr die allgemeine Regel : \u201edaB Begrenzte wird als solches untersch\u00e4tzt\u201c; diese Untersch\u00e4tzung sei um so bedeutender, je ausschliefslicher sich die Vorstellung der begrenzenden Th\u00e4tigkeit geltend macht, je weniger also den begrenzenden Elementen noch andere selbst\u00e4ndige Functionen zukommen. Wo es verticale Ausdehnungen gilt, complicire sich mit dieser Wirkung eine andere, welche auf das hinzutretende Moment der Schwere beruht; diesem Momente sei es auch zuzuschreiben, dafs verticale Distanzen allgemein gegen horizontale, sowie verticale Distanzen gegen verticale Linien \u00fcbersch\u00e4tzt werden; in letzterem Verh\u00e4ltnisse sei der Grund f\u00fcr die PooGEKDORPF*sche T\u00e4uschung zu suchen. Wo schliefslich Anlafs gegeben ist, die wirkende Kraft mit einer gr\u00f6fseren f\u00fcr identisch zu halten, steigere sich auch die entsprechende Th\u00e4tigkeit; daraus wird erkl\u00e4rt, dafs die kleinere von mehreren wenig verschiedenen, gleich gerichteten und zusammen wahrgenommenen Linien \u00fcbersch\u00e4tzt wird; umgekehrt werden von mehreren Fl\u00e4chen, welche der Gr\u00f6fse nach verglichen werden, die kleineren untersch\u00e4tzt, indem hier nicht eine identische und verschiedentlich beschr\u00e4nkte, sondern st\u00e4rkere und schw\u00e4chere Ausdehnungskr\u00e4fte angenommen werden.\nIm vierten Abschnitt (8. 141\u2014256) ist von \u201eTheilung und Zusammensetzung\u201c die Rede. Theile werden als solche untersch\u00e4tzt; ein ge-theiltes Ganzes dagegen, in welchem die Theile als relativ selbst\u00e4ndige Ausdehnungsgr\u00f6fsen aufgefafst werden, werde demzufolge \u00fcbersch\u00e4tzt. Diese Wirkungen k\u00f6nnen ganz oder theilweise dadurch aufgehoben werden, dafs die Theile als Gegenst\u00e4nde innerhalb eines begrenzten Ganzen (s. oben) \u00fcbersch\u00e4tzt werden, und dafs das Ganze kraft der begrenzenden Th\u00e4tigkeit der Theile einer geringeren Ausdehnungstendenz zu begegnen zu haben scheint, und demzufolge einer Untersch\u00e4tzung unterliegt; beides finde vorzugsweise dann statt, wenn sich die Grenzen des Theiles demjenigen des Ganzen n\u00e4hern, und der Theil dem Ganzen gegen\u00fcber eine gr\u00f6fsere Selbst\u00e4ndigkeit beansprucht. Diese Verh\u00e4ltnisse werden ausf\u00fchrlich an geteilten Distanzen und concentrisch geteilten Kreisen erl\u00e4utert. Es folgen weitere Betrachtungen \u00dcber die M\u00fcLLER-LYEa\u2019sche Figur und ihren Verwandten; die Uebersch\u00e4tzung der einen H\u00e4lfte derselben wird auf eine durch den relativen Richtungsgegensatz verursachte Abschw\u00e4chung, die Untersch\u00e4tzung der anderen H\u00e4lfte auf eine durch Coincidenz mehrfacher Wirkungen bedingte Steigerung der begrenzenden Th\u00e4tigkeit zur\u00fcckgef\u00fchrt.\nDer f\u00fcnfte Abschnitt (S. 257\u2014320) behandelt \u201eRichtungsgleichheit und Richtungsgegensatz\u201c. Die durch eine gerade Linie erweckte Vorstellung einer bewegenden Kraft erstrecke sich auch auf den umgebenden Raum ; finden sich hier andere Geraden von etwas abweichender Richtung, so m\u00fcsse diese Abweichung einer ablenkenden Kraft zugeschrieben und\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XVII.\t25","page":385},{"file":"p0386.txt","language":"de","ocr_de":"386\nBesprechung.\nals prim\u00e4re Th\u00e4tigkeit derselben \u00fcbersch\u00e4tzt werden. Dem steht allerdings wieder gegen\u00fcber, dafs, wenn die eine Linie als die Fortsetzung der anderen erscheint, die in jener gegebene Bewegung schon in dieser angelegt gedacht, und somit die Abweichung auch untersch\u00e4tzt werden kann. Die hierbei stattfindende \u201eAusgleichung\u201c sollen auch schr\u00e4g aufserhalb einer Gerade liegende Punkte ergeben ; doch wecke hier die betreffende Tendenz wieder eine Gegentendenz, kraft welcher die an den Punkten vorbeigef\u00fchrte Linie denselben auszuweichen scheint. Aus dem n\u00e4mlichen Gesichtspunkte werden mehrere andere T\u00e4uschungen erkl\u00e4rt; u. A. die, welche entstehen, wenn eine Parallelseite eines Trapezes mit einer parallellaufenden Gerade, oder wenn zwei gleiche und parallele Kreisbogen, von welchen der eine um sich, der andere in sich concentrische Kreisbogen tr\u00e4gt, miteinander verglichen werden; und schliefslich das Z\u00f6LLNEB\u2019sche und das Hering sehe Muster.\nIm sechsten A b s c h n i 11 (S. 321\u2014419) ist die Rede von \u201ewechselnder Fl\u00e4chenbegrenzung\u201c. Von mehreren selbst\u00e4ndig neben einander stehenden gleich hohen Rechtecken werde den schm\u00e4leren eine gr\u00f6fsere verticale, den breiteren eine gr\u00f6fsere horizontale Ausdehnungstendenz beigelegt; demzufolge erscheinen jene verschm\u00e4lert und erh\u00f6ht, diese verbreitert und erniedrigt, und zwar um so auffallender, je mehr in allen die H\u00f6henaus dehnung \u00fcberwiegt. Erscheinen dagegen die Rechtecke als Theile einer einzigen Fl\u00e4che, so trete statt der Vorstellung mehrerer verschiedener Ausdehnungstendenzen diejenige einer identischen, mehr oder weniger eingeengten Ausdehnung in den Vordergrund, und es finde eine Ueber-Sch\u00e4tzung der mehr eingeengten Theilfl\u00e4che in der Richtung der Einengung statt. Aus entsprechenden Gr\u00fcnden \u00fcbersch\u00e4tze man die geringste, und untersch\u00e4tze man die gr\u00f6fste Weite im Trapez, jenes besonders bei geringer, dieses bei grofser H\u00f6he der Figur. Das Verh\u00e4ltnifs der letzteren T\u00e4uschungen zur M\u00fcLLER-LYER\u2019schen, und die Modificationen, welche jene erleiden, wenn das Trapez sich zum Dreieck vervollst\u00e4ndigt, oder wenn die schr\u00e4glinige Begrenzung in eine krummlinige \u00fcbergeht, werden schliefslich ausf\u00fchrlich er\u00f6rtert.\nDamit w\u00e4ren denn einige d\u00fcrftige Umrisse gezeichnet, welche vielleicht den Grundgedanken des Lipps\u2019schen Buches und seine haupts\u00e4chlichsten Anwendungen mit gen\u00fcgender Deutlichkeit erkennen lassen, von dem inhaltlichen Reichthum desselben aber auch nicht ann\u00e4hernd eine Vorstellung zu geben verm\u00f6gen. Ich habe gegen das Buch manche und principielle Bedenken ; um so mehr dr\u00e4ngt es mich, vor aller Kritik meiner tiefen Bewunderung f\u00fcr die ungeheure Denkarbeit und den hervorragenden Scharfsinn, welche es bezeugt, unzweideutigen Ausdruck zu geben. Ebensowenig wie andere Werke des Verfassers bietet das vorliegende eine leichte Lect\u00fcre; aber die Art und Weise, wie ein einziger abstracter Gedanke in allen seinen Verzweigungen bis zum concreten Einzelfall verfolgt, und in stets neuen, jedoch alle systematisch miteinander zusammenh\u00e4ngenden Gestaltungen dem Leser vor Augen gef\u00fchrt wird, gew\u00e4hrt hohen intellec-tuellen Genufs. Als ein musterg\u00fcltiges Beispiel streng deductiven Denkens","page":386},{"file":"p0387.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechung.\n387\ndarf sich diesem Buche, wie mir scheint, kein anderes aus der zeitgen\u00f6ssischen Literatur an die Seite stellen.\nDamit ist freilich auch schon der Punkt bezeichnet, an welchen sich meine Bedenken festkn\u00fcpfen. Das Lipps\u2019sche Buch ist das Product eines hervorragenden deductiven Verstandes; es hat alle Vorz\u00fcge, aber auch alle Fehler eines solchen. Zu jenen geh\u00f6ren Einheit und Uebersichtlichkeit, systematischer Zusammenhang und innere Consequenz; zu diesen Aus-schliefslichkeit des Erkl\u00e4rungsprincips, \u00fcbenn\u00e4fsiges Sicherheitsgeftihl, und vor allem ungen\u00fcgender Respect vor der Erfahrung. Ich werde im Folgenden diese Behauptungen zu begr\u00fcnden versuchen.\nVon den beiden Gebieten, auf welchen Lipps seine Hypothese anzuwenden versucht, wende ich mich an erster Stelle demjenigen der Aesthetik zu. Die hierauf sich beziehenden Bemerkungen finden sich, den entsprechenden Kapiteln \u00fcber optische T\u00e4uschungen anhangsweise hinzugeftigt, durch das Buch zerstreut; sie verrathen \u00fcberall den feinf\u00fchligen Aesthetiker, und liefern werthvolle Beitr\u00e4ge, besonders zum Verst\u00e4ndnis der architectonischen Sch\u00f6nheit. Die Bedeutung des sympathischen Sichhineinf\u00fchlens auch f\u00fcr die \u00e4sthetische Beurtheilung blofs geometrischer Formen wird in eingehender, vielfach neue Gesichtspunkte bietender Weise erl\u00e4utert; und nicht mit Unrecht glaubt Lipps, zur Begr\u00fcndung einer \u201ePsychologie der Formen\u201c wichtige Vorarbeit geleistet zu haben. Doch zeigt sich schon hier die erw\u00e4hnte exklusivistische Neigung. Statt sich zu beschr\u00e4nken auf dasjenige, welches wirklich bewiesen ist, dafs n\u00e4mlich ein grofser Theil der \u00e4sthetischen Freuden auf begl\u00fcckendes Sympathiegef\u00fchl beruht, schliefst Lipps in vollster Allgemeinheit: \u201eso ist alle Freude \u00fcber r\u00e4umliche Formen, und wir k\u00f6nnen hinzuf\u00fcgen, alle \u00e4sthetische Freude \u00fcberhaupt, begl\u00fcckendes Sympathiegef\u00fchl\u201c (S. 7). Dafs dieser Satz in seiner Allgemeinheit aufrecht erhalten bleiben k\u00f6nnte, scheint mir, auch nach Lipps eigenen Aeufserungen, wenig wahrscheinlich. Beschr\u00e4nken wir uns auf das Gebiet der geometrischen Formen, so erhebt sich naturgem\u00e4fs die Frage: wie verh\u00e4lt es sich mit unserem Wohlgefallen an der blofsen Regelm\u00e4fsigkeit als solcher? Lipps antwortet: \u201eRegelm\u00e4fsigkeit im Sinne der sichtbaren, in der Anschauung gegebenen, in der Wahrnehmung unmittelbar hervortretenden Ueberein-stimmung von Theilen .... gef\u00e4llt nach einem allgemeinen psychologischen Gesetz. In der Seele ist die Tendenz, von Aehnlichem zu Aehnlichem in der Wahrnehmung oder Auffassung fortzugehen. Es erweckt der Seele Befriedigung, wenn ihr Formen geboten werden, die ihr erlauben, dieser Tendenz zu gen\u00fcgen\u201c. Aber : \u201egeometrische Formen sind nicht blofs wohlgef\u00e4llig oder mifsf\u00e4llig, sondern ihre Wohlgef\u00e4lligkeit oder Mifsf\u00e4lligkeit hat zugleich jedesmal einen bestimmten Charakter, sie besitzt jedesmal zugleich eine bestimmte F\u00e4rbung. Wohlgef\u00e4lligkeit oder Mifsf\u00e4lligkeit, Sch\u00f6nheit oder H\u00e4fslichkeit ohne diese bestimmte F\u00e4rbung giebt es nicht, aufser in unserer Abstraction. Also ist auch nicht die Wohlgef\u00e4lligkeit oder Mifsf\u00e4lligkeit, sondern jedesmal diese bestimmte Wohlgef\u00e4lligkeit oder Mifsf\u00e4lligkeit das \u00e4sthetisch zu Erkl\u00e4rende\u201c (S. 27). Hiermit scheint jeden-\n25*","page":387},{"file":"p0388.txt","language":"de","ocr_de":"388\nBesprechung.\nfalls zugegeben zu sein, d&Ts die Regelm\u00e4\u00dfigkeit, wenn sie auch niemals ohne den bestimmten Charakter vorkommt, doch neben diesem zur Erzeugung des resultirenden Wohlgefallens beitr\u00e4gt; man k\u00f6nnte hinzuf\u00fcgen, dafs oft (etwa bei einfachen Ornamenten oder Mustern) der Charakter so sehr zur\u00fccktritt, dafs der weitaus gr\u00f6fsere Theil des Wohlgefallens der wahrgenommenen Regelm\u00e4\u00dfigkeit zugeeignet werden mu\u00df. Nun fragt sich : ist f\u00fcr Lipps jener Theil des Wohlgefallens, welcher auf die Rechnung der Regelm\u00e4\u00dfigkeit kommt, \u00e4sthetischer Natur oder nicht? Wenn ja, so ist eben nicht alle \u00e4sthetische Freude begl\u00fcckendes Sympathiegef\u00fchl. Wenn nein, so wird ein bedeutender Theil der architectonisehen, musikalischen und poetischen Sch\u00f6nheit einfach von dem \u00e4sthetischen Gebiete ausgeschlossen, aus keinem anderen Grunde, a\u00df weil es dem Verfasser so beliebt. Mit ebensoviel und ebensowenig Recht k\u00f6nnte man behaupten und hat man behauptet, nur die Freude an der Regelm\u00e4\u00dfigkeit, oder auch, nur die Freude an der typischen Gestalt oder an der Naturwahrheit sei das wahre und echte, specifisch \u00e4sthetische Gef\u00fchl. Zwischen diesen und anderen, umfassenderen Ansichten eine wissenschaftlich zu begr\u00fcndende Entscheidung zu treffen, scheint mir nur auf einem Wege m\u00f6glich: so n\u00e4mlich, dafs gefragt wird, ob vielleicht die associative, die formale, die typische und die auf Nachahmung beruhende Sch\u00f6nheit nach einem gemeinsamen psychischen Grundgesetze ein specifisch bestimmtes Lustgef\u00fchl hervorbringen. Sollte dies, wie ich glaubel, der Fall sein, so w\u00e4re damit die althergebrachte und in der Sprache festgelegte Zusammenfassung aller jener Erscheinungen unter den Begriff des Aesthetisch-Werth-vollen gerechtfertigt, und jede engere Fassung dieses Begriffes als unzweckm\u00e4\u00dfig zur\u00fcckgewiesen.\nIn Bezug auf die geome trisch- optische n T\u00e4uschungen, denen der weitaus gr\u00f6\u00dfte Theil des Lippa\u2019schen Buches gewidmet ist, mufs ich etwas ausf\u00fchrlicher sein; denn hier gilt mein Widerspruch nicht blofs einer \u00fcbereilten Verallgemeinerung, sondern der Untersuchungs- und Beweismethode \u00fcberhaupt. Was ich, trotz aller F\u00fclle empirischen Materials, in derselben vermisse, ist die f\u00fcr den inductiven Forscher charakteristische Neigung, kein Urtheil \u00fcber Thatsachen auch nur als m\u00f6glich zu denken, ohne sich sofort nach Erfahrungen umzusehen, welche es best\u00e4tigen oder widerlegen k\u00f6nnten; und keines als gesichert zu behaupten, ohne diese Erfahrungen bis zu Ende ausreden lassen zu haben. Und zwar scheinen mir diese M\u00e4ngel f\u00fcr die Stringenz der Lipps\u2019schen Beweisf\u00fchrung in solchem Grade verh\u00e4ngnisvoll zu sein, da\u00df die Bedeutung seines Grundgedankens f\u00fcr die Erkl\u00e4rung optischer T\u00e4uschungen vorl\u00e4ufig als eine durchaus problematische wird angesehen werden m\u00fcssen.\nWenden wir uns zun\u00e4chst der Frage \u00fcber das allgemeine Wesen der optischen T\u00e4uschungen zu (vgl. oben das Referat \u00fcber den 2. Abschnitt). Lipps beschreibt sehr genau, wie es dabei zugeht : wenn zwei Objecte unter\n1 S. meine Aesthetische Untersuchungen im Anschlu\u00df an die Lipps\u2019sche Theorie des Komischen, diese Zeitschr. XI. S. 333 \u2014 352.","page":388},{"file":"p0389.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechung.\n389\nt\u00e4uschungerregenden Umst\u00e4nden mit einander verglichen werden, seien es nicht die Wahrnehmungen, welche ver\u00e4ndert werden, sondern das Vorstellungsbild des einen Objectes erleide, w\u00e4hrend wir es auf das andere \u00fcbertragen, eine bestimmte Modification, und diese Modification bedinge das irrt hfl milche Vergleichsurtheil. So soll es sich verhalten; warum es sich so verhalten soll, wird nicht gesagt. Zwar wird kurz bemerkt: \u201edafs im normalen Leben reproductive Vorstellungen Wahrnehmungen zu modi-ficiren verm\u00f6gen, davon wissen wir nichts\u201c, und weiter darauf hingewiesen, dafs die T\u00e4uschung verschwindet, wenn wir die zu vergleichenden Objecte materiell zur Deckung bringen (S. 66). Aber jenes wiederholt nur das zu Beweisende in allgemeinerer Form; und dieses erkl\u00e4rt sich leicht aus dem Umstand, dafs bei der materiellen Deckung s\u00e4mmtliche T\u00e4uschungsmotive f\u00fcr beide Objecte in gleicher Weise gegeben sind. \u2014 Nun w\u00e4re aber nichts leichter gewesen, als jene Construction des vorliegenden Sachverlaufs experimentell zu pr\u00fcfen, und \u2014 widerlegt zu finden. Man zeichne neben einander eine einfache gerade Linie und eine andere, von gleicher Gr\u00f6fse, aber mit ausw\u00e4rts gerichteten Schenkeln versehen ; man bedecke die letztere mit einem Blatt Papier, und lasse eine Versuchsperson die erstere genau beobachten. Dann lasse man mittels einer schnellen Verschiebung des Blattes diese verschwinden und jene sichtbar werden, und sofort nachher das Urtheil abgeben. Man wiederhole den Versuch in v\u00f6llig gleicher Weise, nur so, dafs jetzt statt der Linie mit ausw\u00e4rts gerichteten eine solche mit einw\u00e4rts gerichteten Schenkeln zur Verwendung gelangt. Das Resultat ist eine Uebersch\u00e4tzung bezw. Untersch\u00e4tzung der zuzweit gesehenen Figur, genau so, wie wenn die drei Linien gleichzeitig dem Auge dargeboten werden. Was lehrt nun dieser Versuch? Das Vorstellungsbild der jedesmal zuerst gesehenen einfachen Gerade mag w\u00e4hrend der Ueber-tragung eine Vergr\u00f6fserung, eine Verkleinerung oder keine Ver\u00e4nderung \u00fcberhaupt erlitten haben ; es ist aber undenkbar, dafs das eine Mal dieses, das andere Mal jenes mit ihm stattfinden sollte. Wenn also die zuzweit wahrgenommene Schenkellinie einmal als gr\u00f6fser, das andere Mal als kleiner beurtheilt wird, so mufs der Grund f\u00fcr diese Verschiedenheit wohl in ihr selbst, und nicht in dem auf sie \u00fcbertragenen Vorstellungsbilde gesucht werden. Wenigstens sehe ich nicht ein, wie diese leicht zu controllirenden Versuchsergebnisse, wenn die Lipps\u2019sche Auffassung richtig w\u00e4re, m\u00f6glich sein sollten.\nSoviel vom allgemeinen Princip ; wenden wir uns jetzt der speciellen Ausf\u00fchrung zu. Was hieran vor Allem auff\u00e4llt, und auch nach dem eigenen Urtheil des Verfassers einer besonderen Rechtfertigung bedarf (S. 421), ist der \u201egeflissentliche Verzicht auf exacte quantitative Bestimmungen\u201c (8.170). In der That ist eine solche Rechtfertigung, sofern sie \u00dcberhaupt m\u00f6glich sein sollte, hier sehr bestimmt zu fordern. Eine Thatsache quantitativ bestimmen, heifst doch nichts weiter als: dieselbe m\u00f6glichst vollst\u00e4ndig, m\u00f6glichst genau erkennen. Auf solche quantitative Bestimmungen \u201egeflissentlich\u201c verzichten, kann also nur bedeuten: ohne Zwang und Noth, vielmehr freiwillig und vors\u00e4tzlich, sich mit einer unvollst\u00e4ndigen und ungenauen Erkenntnifs der zu erkl\u00e4renden Thatsachen","page":389},{"file":"p0390.txt","language":"de","ocr_de":"390\nBesprechung.\nbegn\u00fcgen; und es fragt sieh, ob eine derartige Gen\u00fcgsamkeit in einer empirischen Wissenschaft je gestattet sein kann. Lehrt doch, sofern ich sehe, die Geschichte s\u00e4mmtlicher empirischer Wissenschaften ohne Ausnahme ein doppeltes. Erstens dafs man, solange quantitative Bestimmungen felilten, es immer sehr leicht gefunden hat, umfassende Thatsachencomplexe als noth wendige Folgerungen aus wenigen einleuchtenden Principien verst\u00e4ndlich zu machen. Zweitens dafs, nachdem das quantitative Stadium erreicht war, man fast \u00dcberall sich gen\u00f6thigt gefunden hat, jene so plausibel erscheinenden Theorieen entweder ganz aufzugeben, oder doch dieselben in eingreifender Weise zu modificiren. Ich verweise auf die \u00e4lteren Lehren \u00fcber das Wesen der Gravitation, der W\u00e4rme, der chemischen Erscheinungen. Es steht zu bef\u00fcrchten, dafs, wenn die Lipps\u2019sche Methode f\u00fcr das vorliegende Thatsachengebiet Eingang finden sollte, die Nachwelt jenen Beispielen dasjenige der Lehre von den optischen T\u00e4uschungen wird hinzuf\u00fcgen m\u00fcssen.\nNun glaubt aber Lipps nachweisen zu k\u00f6nnen, dafs f\u00fcr die Pr\u00fcfung seiner Hypothese quantitative Bestimmungen einerseits u n n\u00f6 t h i g, andererseits unbrauchbar seien. Unn\u00f6thig, weil auch auf dem von ihm eingeschlagenen Wege sichere Resultate gewonnen seien (S. 424). Unbrauchbar, weil \u201eder Grad, in dem eine mechanisch-\u00e4sthetische Vorstellung oder Betrachtungsweise sich uns aufdr\u00e4ngt, sich nicht messen, . . . also auch das Verh\u00e4ltnifs zwischen der \u201epsychischen Energie\u201c der Vorstellung oder Betrachtungsweise, und ihrer optischen Wirkung (sich) nicht zahlenm\u00e4fsig bestimmen\u201c lasse (S. 421). Wir wollen beide Gr\u00fcnde etwas genauer auf ihre Stichhaltigkeit untersuchen.\nWas den ersteren Punkt betrifft, so w\u00e4chst ohne Zweifel die Wahrscheinlichkeit einer Hypothese ebensowohl mit der Zahl der F\u00e4lle, welche sie erkl\u00e4rt, wie mit der Pr\u00e4cision, welche ihren Erkl\u00e4rungen anhaftet; und man k\u00f6nnte demnach glauben, dafs eine Theorie, welche die un\u00fcbersehbare Menge der geometrisch-optischen T\u00e4uschungen als noth-wendige Folgerungen aus einem Principe abzuleiten vermag, ohne Schaden f\u00fcr ihre wissenschaftliche Bedeutung der quantitativen Exactheit entbehren k\u00f6nne. Nun hat es aber mit der Ableitung gegebener T\u00e4uschungen aus der Lipps\u2019schen Hypothese eine eigenthtimliche Bewandtnifs: diese Hypothese ist sehr biegsam, hat in hohem Grade die F\u00e4higkeit, sich den Verh\u00e4ltnissen anzupassen. Das liegt nun einmal in ihrer Natur: indem sie die T\u00e4uschungen auf Kr\u00e4fte zur\u00fcckf\u00fchrt, welche wir zum Wahrgenommenen hinzuzudenken uns gen\u00f6thigt finden, diese hinzuzudenkenden Kr\u00e4fte aber in der Mehrzahl der F\u00e4lle keineswegs eindeutig bestimmt sind, hat man fast immer die Wahl zwischen mehreren Auffassungen, denen nicht selten gerade entgegengesetzte T\u00e4uschungen entsprechen w\u00fcrden. Allerdings hat Lipps in solchen F\u00e4llen die Plausibilit\u00e4t der von ihm vorgezogenen Auffassung, bezw. des von ihm angenommenen St\u00e4rkeverh\u00e4ltnisses der con-fligirenden Tendenzen, ausf\u00fchrlich zu begr\u00fcnden versucht; ich kann mich aber des Eindruckes nicht erwehren, dafs diese Begr\u00fcndung bisweilen einen ziemlich willk\u00fcrlichen Charakter tr\u00e4gt. Dieser Eindruck kann zun\u00e4chst nur als ein rein subjectiver gegeben werden, und mufs es zum","page":390},{"file":"p0391.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechung.\n391\nTheil, sofern die gegenw\u00e4rtige Besprechung sich nicht zu einem Buche erweitern soll, auch bleiben; ich kann nur versuchen, durch einzelne Beispiele meine Kritik zu erl\u00e4utern, und mufs es dem Leser \u00fcberlassen, nach-zusehen, ob dieselbe nicht in weitem Umfange Anwendung findet. \u2014 Man lasse durch die Endpunkte einer geraden Linie senkrecht zu derselben, andere gerade Linien gehen; dann wird die erstere in Vergleich mit einer einfachen Gerade \u00fcbersch\u00e4tzt. Lipps giebt folgende Erkl\u00e4rung: es \u201econ-currirt in diesen Endpunkten mit der Vorstellung der gegen jene erstere Linie gerichteten begrenzenden Th\u00e4tigkeit die Vorstellung der Bewegung innerhalb dieser dazu senkrechten Linien. Soweit wir nun die Punkte auf diese letzteren Linien beziehen, oder als Punkte ihres Verlaufes betrachten, k\u00f6nnen wir sie nicht auf jene erstere Linie, als Grenzpunkte derselben, beziehen. Demgem\u00e4fs scheint diese Linie verl\u00e4ngert\u201c (S. 82). Das l\u00e4fst sich h\u00f6ren. Gesetzt nun aber einmal, die Empirie h\u00e4tte eine Untersch\u00e4tzung der betreffenden Linie ergeben, und es w\u00fcrde versucht, dieses Ergebnifs folgenderweise zu erkl\u00e4ren: die senkrechten Geraden erwecken in h\u00f6herem Grade als die Endpunkte der Linie den Eindruck einer beengenden, der Ausdehnungstendenz der Linie un\u00fcberwindliche Grenzen setzenden Th\u00e4tigkeit, aufserdem scheint sich die ganze Figur jetzt weniger in der Richtung der Grundlinie und mehr in derjenigen der Senkrechten zu erstrecken, also! \u2014 w\u00e4re dagegen mehr als gegen die jetzt gebotene Erkl\u00e4rung zu sagen? \u2014 Ein anderes Beispiel. In der M\u00dcLLER-LYEa\u2019schen Figur wird die Linie oder Distanz mit einw\u00e4rts gerichteten Schenkeln untersch\u00e4tzt, wTas folgenderweise erkl\u00e4rt wird: \u201ees unterst\u00fctzen sich dann drei begrenzende Th\u00e4tigkeiten. Der Endpunkt der Linie oder Distanz begrenzt nach innen, und dazu tritt die gleichfalls nach innen gehende begrenzende Th\u00e4tigkeit, welche derselbe Endpunkt auf die beiden schr\u00e4gen Linien \u00fcbt\u201c (S. 250\u2014251). Aber liefse sich nicht, wenn zuf\u00e4llig eine Ueber- statt Untersch\u00e4tzung stattf\u00e4nde, mit gleichem Schein von Recht behaupten, die begrenzende Th\u00e4tigkeit des Endpunktes m\u00fcsse sich jetzt \u00fcber die drei Linien vertheilen, und demnach jeder einzelnen gegen\u00fcber eine Abschw\u00e4chung erfahren? \u2014 Zuletzt noch ein drittes Beispiel (im Anschlufs an einen fr\u00fcher von mir erhobenen Einwand *). Von einer geraden Linie zweige sich an irgend einem Punkte eine andere gerade Linie ab, dann erscheint jene vom Verzweigungspunkte an in entgegengesetztem Sinne geneigt, was Lipps auf die Vorstellung einer bis dahin durch die abbiegende Tendenz in Gleichgewicht gehaltenen, jetzt aber sich befreienden Kraft zur\u00fcckf\u00fchrt. Was mufs nun aber mit der Zweiglinie vorzugehen scheinen? Ich denke, in die jetzt vorliegende Betrachtungsweise w\u00fcrde es am besten passen, wenn sie sich weniger abzubiegen schiene als thate\u00e4chlich der Fall ist : haben wir doch allen Grund, uns eine abbiegende Kraft, welche die Bewegung der Hauptlinie so wenig zu modificiren vermag, als \u00e4ufserst schwach vorzustellen. Dem steht nun allerdings gegen\u00fcber, dafs die Zweiglinie auch durch die Kraft der Hauptlinie mitgerissen\n1 Vgl. diese Zeitsckr. XIV, S. 112\u2014113, XV S. 132, Lipps S. 258-259, 273\u2014280.","page":391},{"file":"p0392.txt","language":"de","ocr_de":"392\nBc$precknng.\ngedacht werden, und demnach dieser sich zu widersetzen scheinen kann; was dann wieder eine (der Empirie entsprechende) Ue her Sch\u00e4tzung der Abbiegung zur Folge haben m\u00fcfste. Aber das ist es ja eben! Eine m\u00f6gliche Erkl\u00e4rung bietet die Lipps\u2019sche Hypothese in sehr vielen, eine sichere Vorhersage der wahrzunehmenden Erscheinungen gestattet sie nur in \u00e4ufserst wenigen F\u00e4llen. Man sollte einmal den Versuch machen, einem intelligenten Menschen die Grundlinien der Theorie deutlich auseinanderzusetzen, und ihn dann die Richtung einiger T\u00e4uschungen, von deren Dasein er bis dahin nichts gewufst h\u00e4tte, deduciren zu lassen. Ich f\u00fcrchte dafs er, gerade so oft wie das Richtige, den Ge gentheil desselben treffen w\u2019\u00fcrde.\nSollten nun, wie ich Grund habe zu vermuthen, diese oder \u00e4hnliche Bedenken auch Anderen sich aufdr\u00e4ngen, und ihnen die Beweiskraft der Lipps\u2019schen Deductionen als eine mehr oder weniger zweifelhafte erscheinen lassen, so w\u00e4re es f\u00fcr die letztere um so wichtiger, sich nicht nur an der rohen, blofs qualitativen, sondern auch an der feineren quantitativen Erfahrung in irgend welcher Weise messen zu k\u00f6nnen. Dafs hierzu jede M\u00f6glichkeit fehlen sollte, kann ich nicht zugeben ; vielmehr scheint es mir sicher, dafs die quantitative Untersuchung in doppelter Hinsicht zur Best\u00e4tigung bezw. Widerlegung der Lipps\u2019schen Hypothese Bedeutendes w\u00fcrde beitragen k\u00f6nnen. Damit w\u00e4ren wir denn beim zweiten Punkt angelangt.\nZun\u00e4chst scheint mir die quantitative Untersuchung unerl\u00e4fslich, um die Realit\u00e4t mehrerer von Lipps beschriebener T\u00e4uschungen als normaler Erscheinungen aufser Zweifel zu setzen. Unter den zahlreichen neuen Figuren, durch welche Lipps die allgemeine Geltung seines Grundgedankens zu erl\u00e4utern versucht, giebt es allerdings mehrere, welche in unzweideutiger Weise die geforderte T\u00e4uschung erkennen lassen; bei sehr vielen anderen aber fehlt (wenigstens f\u00fcr mich und f\u00fcr einige meiner Bekannten, denen ich ohne Commenter die betreffenden Figuren zeigte) diese Evidenz durchaus, oder scheint selbst eine entgegengesetzte T\u00e4uschung einzutreten1. Nun sagt Lipps allerdings ausdr\u00fccklich, er k\u00f6nne \u201enicht die Gew\u00e4hr daf\u00fcr \u00fcbernehmen, dals gerade in den von (ihm) ausgew\u00e4hlten Figuren die Bedingungen des theoretisch geforderten optischen Eindruckes f\u00fcr den Leser m\u00f6glichst g\u00fcnstige sind\u201c; in zweifelhaften F\u00e4llen werde also \u201eder Leser selbst zeichnen und dabei die Bedingungen variiren m\u00fcssen\u201c (S.VI). Aber einerseits geht es doch kaum an, in dieser Weise dem Leser die Herstellung eines umfangreichen Beweismateriales (zu welchem auch \u201eselbst\u00e4ndige, nicht blofs gezeichnete Fl\u00e4chen, Papptafeln u. dgl., oder gar plastische K\u00f6rper, etwa Holzmodelle\u201c geh\u00f6ren sollen) aufzub\u00fcrden ; andererseits wire auch so keine sichere Feststellung der Thatsachen erreichbar, indem das Suchen nach einer die T\u00e4uschung hervorbringenden Combination die eben in diesen Grenzf\u00e4llen unerl\u00e4fsliche Freiheit und Unbefangenheit des Urtheils noth wendig aufhebt, und der Autosuggestion unberechenbaren\n1 Z. B. bei Figg. 4, 8-11, 16, 20, 22, 27a, 29, 59, 62, 63, 65, 67, 68, 70d, 89, 121 u. A.\na","page":392},{"file":"p0393.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechung.\n393\nEinflufs gestattet. \u2014 Allerdings l\u00e4fst Lipps es bei dieser Appellation an den Leser nicht bewenden, er hat seine Zeichnungen mehreren Personen vorgelegt, und berichtet \u00fcber das Ergebnifs folgenderweise : \u201eIch fand unter denjenigen, denen ich meine Zeichnungen vorlegte, solche, die jedesmal mit voller Sicherheit und ohne einen Moment zu schwanken, ihr Urtheil abgaben. Diese urtheilten zugleich jedesmal in dem von der Theorie geforderten Sinne. Dagegen erkl\u00e4rten Andere gewissen Zeichnungen gegen\u00fcber kein sicheres Urtheil zu haben. Zweifellos hatte ich ein Recht in solchen F\u00e4llen das sichere und stets in gleicher Weise auftretende Urtheil als beweisend anzusehen. Nur ebenso sicher auftretende entgegengesetzte Urtheile h\u00e4tten die Beweiskraft derselben aufheben k\u00f6nnen\u201c (S. VI). Es scheint mir doch, als ob f\u00fcr den Leser, sofern er sich aus diesem Beweismaterial ein eigenes Urtheil \u00fcber die Wahrscheinlichkeit einer normalen T\u00e4uschungstendenz bilden soll, noch Verschiedenes zu fragen \u00fcbrig bliebe. Nach welchem Maafsstab wurde das \u201eebenso sicher\u201c der entgegengesetzten Urtheile bestimmt? Wie zahlreich waren in jedem Fall die positiven Instanzen, und wie verhielten sich die Anzahlen derselben zu denjenigen der negativen und unsicheren Entscheidungen ? Wie oft erforderte die positive Entscheidung ein \u201eVariiren der Bedingungen\u201c, und inwiefern war es dabei m\u00f6glich, alle Vermuthungen in Bezug auf die Richtung der theoretisch geforderten T\u00e4uschung auszuschliefsen ? \u2014 Aber auch mit der Antwort auf alle diese Fragen k\u00e4me man aus dem Gebiete des Nebelhaften nicht hinaus; w\u00e4hrend doch die Wege, welche hinausf\u00fchren, deutlich genug erkennbar sind. Man lasse mehrere Personen die zu vergleichenden Raumgr\u00f6fsen scheinbar gleich machen, messe die Abweichungen in einer oder der anderen Richtung, und ziehe das Mittel ; da hat man es in der Hand, durch H\u00e4ufung der Versuche den wahrscheinlichen Fehler des Resultates bis zu einem Grade herabzudr\u00fccken, der die Realit\u00e4t der T\u00e4uschung, falls eine solche da ist, aufser allen Zweifel setzt. Nur auf diesem Wege lassen sich die baconischen \u201einstantiae clandestinae\u201c wissenschaftlich feststellen, w\u00e4hrend f\u00fcr die Ja- und Neinmethode eben diese interessantesten F\u00e4lle nothwendig dem Gebiete des ewigen Zweifels \u00fcberlassen bleiben.\nAber auch wenn \u00fcber die Realit\u00e4t s\u00e4mmtlicher einschl\u00e4giger T\u00e4uschungen vollkommene Sicherheit gewonnen w\u00e4re, w\u00fcrde es kaum zul\u00e4ssig sein, f\u00fcr die Erkl\u00e4rung derselben auf die H\u00fclfe quantitativer Beatimmungen zu verzichten. Allerdings ist richtig, was Lipps bemerkt, dafs sich aus seiner Hypothese \u00fcber die absolute Intensit\u00e4t, mit welcher eine T\u00e4uschung unter gegebenen Umst\u00e4nden auftreten mufs, schwerlich etwas Vorhersagen l\u00e4fst. Aber damit ist doch nicht ausgeschlossen, dafs erstens der Verlauf der T\u00e4uschung bei allm\u00e4hlicher Modification der Umst\u00e4nde, sodann und besonders auch die gesetzm\u00e4fsige Beziehung zwischen den f\u00fcr verschiedene T\u00e4uschungen gefundenen Werthen, f\u00fcr die Best\u00e4tigung oder Widerlegung der Lipps\u2019schen wie jeder anderen Hypothese von entscheidender Bedeutung werden k\u00f6nnen. In Bezug auf das erstere brauche ich nur daran zu erinnern, dafs Lipps wiederholt ein Maximum, einmal selbst (S. 187) drei verschiedene Maxima bei allm\u00e4hlicher Ver\u00e4nderung eines bestimmten Umstandes fordert; eine Best\u00e4tigung solcher Vermuthungen","page":393},{"file":"p0394.txt","language":"de","ocr_de":"394\nBesprechung.\ndurch den Versuch bewiese gewifs ebensosehr f\u00fcr, wie das umgekehrte Resultat gegen seine Theorie. Was aber den \u00abweiten Punkt betrifft, so hat Lipp8 mehrfach T\u00e4uschungen, welche nach anderen Theorien nahe zusammengeh\u00f6ren, auf verschiedene Erkl\u00e4rungsprincipien zur\u00fcckgef\u00fchrt oder umgekehrt ; liefse sich nun experimentell feststellen, dafs solche T\u00e4uschungen in ihrem Verlaufe entw^eder eine sich entsprechende oder aber eine verschiedene Gesetzm\u00e4fsigkeit befolgen, so k\u00f6nnte das gleichfalls der Theorie schwerlich gleichg\u00fcltig sein. Ich halte daf\u00fcr, dafs, je seltener die Lipps\u2019sche Theorie dem exacten Experimente eine sichere Handhabe bietet, umsomehr es ihrem Begr\u00fcnder obgelegen h\u00e4tte, diese seltenen Gelegenheiten nicht unbenutzt zu lassen.\nIn Anschlufs an die letzteren Bemerkungen l\u00e4fst sich noch die Frage aufwerfen, ob vielleicht die wenigen bis dahin vorliegenden quantitativen Untersuchungen \u00fcber optische T\u00e4uschungen hie und da schon eine Folge rung in Bezug auf die Leistungsf\u00e4higkeit der Lipps\u2019schen Hypothese gestatten. Mir scheint dies in der That der Fall zu sein; und zwar glaube ich, dafs diese Untersuchungen fast durchwegs zu anderen Ergebnissen gef\u00fchrt haben, als nach jener Hypothese zu erwarten gewesen w\u00e4ren. \u2014 In Bezug auf die M\u00dcLLER-LYER\u2019sche Figur hat beispielsweise das Experiment gelehrt, dafs die T\u00e4uschung bei mittlerer Schenkell\u00e4nge ein Maximum erreicht, bei Verl\u00e4ngerung oder Verk\u00fcrzung der Schenkel von diesem Punkte aus aber regelm\u00e4fsig abnimmt. Dieses Resultat wird von Lipps folgender Weise gedeutet: \u201eDie begrenzende Th\u00e4tigkeit, wTelche die Endpunkte der horizontalen Linie gegen die schr\u00e4gen Linien \u00fcben, also auch die Ueber-sch\u00e4tzung der horizontalen Linie, w\u00e4chst mit der K\u00fcrze der schr\u00e4gen Linien. Nat\u00fcrlich wiederum innerhalb gewisser Grenzen\u201c (S. 240). Warum \u201einnerhalb gewisser Grenzen\u201c? Lipps giebt keine ausdr\u00fcckliche Antwort; in der vorhergehenden Alinea, worauf das \u201ewiederum\u201c verweist, finden wir aber folgende Erkl\u00e4rung: es \u201ew\u00e4chst nothwendig die Uebersch\u00e4tzung der horizontalen Linie innerhalb gewisser Grenzen mit der Ann\u00e4herung der Richtung der schr\u00e4gen Linien an die horizontale. Innerhalb gewisser Grenzen, d. h. soweit die schr\u00e4gen Linien doch zugleich v\u00f6llig deutlich als hinsichtlich ihrer Richtung selbstst\u00e4ndige, also deutlich als schr\u00e4ge Linien erscheinen\u201c. D\u00fcrfen wir die \u201egewissen Grenzen\u201c in unserem Falle analogisch deuten (und es ist in der That nicht abzusehen, welche andere Deutung m\u00f6glich w\u00e4re), so kann damit nur gemeint sein: wo die schr\u00e4gen Linien in Folge ihrer K\u00fcrze nicht oder kaum mehr wahrnehmbar sind, m\u00fcsse naturgem\u00e4fs ihre Wirkung sich vermindern und aufh\u00f6ren; bis zu diesem Punkte m\u00fcsse aber die T\u00e4uschung mit der K\u00fcrze zunehmen. Nun liegt aber das experimentell festgestellte Maximum bei einer Schenkell\u00e4nge, welche, je nach der Gr\u00f6fse des Schenkel winkeis, V'3 bis \u00c4,4 der L\u00e4nge der Vergleichslinien (also bei der betreffenden Versuchsordnung 2 bis 6 cm) betr\u00e4gt; ein Ergebnifs, welches, wie mir scheint, nicht als eine Best\u00e4tigung der Lipps\u2019schen Theorie angesehen werden kann. \u2014 In Bezug auf die PoGGENDORFF\u2019sche T\u00e4uschung hat Burmester1 die interessante Entdeckung\n1 Diese Zeitsehr. XII, S. 385.","page":394},{"file":"p0395.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechung.\n395\ngemacht, dafs dieselbe in der sogenannten Schenkelfigur, wo die schr\u00e4gen Linien, von den Ber\u00fchrungspunkten mit den Parallelen an, beide nach abw\u00e4rts gezogen werden, das Doppelte ihrer urspr\u00fcnglichen Intensit\u00e4t erreicht. Ich sehe nicht ein, wie diese Thatsache aus der Lipps\u2019schen Theorie, nach welcher die betreffende T\u00e4uschung auf die Uebersch\u00e4tzung verticaler Distanzen beruht (S. 108) sich h\u00e4tte vermuthen lassen. \u2014 Die Z\u00f6LLNEn\u2019sche und die LoEB\u2019sche T\u00e4uschung beruhen nach Lipp\u00ab auf durchaus verschiedenen Principien : jene in bekannter Weise auf die Vorstellung einer ahlenkenden Th\u00e4tigkeit, diese auf eine \u201eAusgleichung\", wTelche folgenderweise erl\u00e4utert wird: \u201eA und B seien zwei, in eine einzige ideelle Gerade fallende, verticale Linien. Nun werde rechts von der Linie B und in ziemlicher N\u00e4he derselben eine dritte, ihr gleiche verticale Linie C gesetzt\u201c; dann scheint \u201edie Linie \u00c2 nicht mehr in \u00a3, sondern zwischen B und C sich fortzusetzen.\u201c \u201eDies k\u00f6nnte gewifs\u201c, wie Loeb annimmt, \u201eauf einer scheinbaren Verschiebung des B von C hinweg beruhen. Es kann aber ebensowohl beruhen auf einer scheinbaren Richtungsverschiebung der Linie A. In der That ist diese letztere Deutung die richtige.\u201c \u201eA scheint zun\u00e4chst sich fortzusetzen in B, aber auch in gewissem Grade in C. Oder: die Bewegung in A \u201egeht \u00fcber\u201c in die Bewegung in B, aber auch in die Bewegung in C. Also scheint A auch optisch in B und zugleich in C ttber-zugehen oder in beiden sich fortzusetzen. D. h. die Fortsetzung des A scheint zwischen B und C zu treffen.\u201c1 Nun h\u00e4tte aber Lipps eben derjenigen Abhandlung, gegen welche sich seine Bemerkung richtet, ein Doppeltes entnehmen k\u00f6nnen. Erstens dafs die LoEB\u2019sche T\u00e4uschung (zwar aus leicht erkennbaren Gr\u00fcnden nicht f\u00fcr die rohe Beobachtung, aber vollkommen sicher auf experimentellem Wege) sich auch feststellen l\u00e4fst, wenn die Linie A durchaus fehlt, und die Verschiebung des B durch Vergleichung seiner Entfernungen zu zwei anderen parallelen Linien constatirt wird. Zweitens dafs aus den experimentell gefundenen Maafsverh\u00e4ltnissen der LoEB\u2019schen T\u00e4uschung sich nicht nur die Winkelgr\u00f6fse, bei welcher unter entsprechenden Umst\u00e4nden die ZoELLNE\u00df\u2019sche T\u00e4uschung ein Maximum erreicht, sondern auch die absolute Intensit\u00e4t der letzteren bei verschiedenen Winkelgr\u00f6fsen mit befriedigender Genauigkeit im Voraus berechnen l\u00e4fst. Daraus folgt aber, sofern wenigstens die Versuchsanordnung, mittels welcher jene Resultate gewonnen wurden, einwandfrei sein sollte, dafs die LoEB\u2019sche T\u00e4uschung nicht auf Ausgleichung, sondern mit der Z\u00f6LLNE\u00df\u2019schen auf einem gemeinsamen Princip beruht, und dafs dieses Princip nicht in der Vorstellung einer ablenkenden Th\u00e4tigkeit, zu welcher bei der LoEB\u2019schen T\u00e4uschung jede Veranlassung fehlt, gesucht werden darf.\nIch glaube demnach annehmen zu m\u00fcssen, dafs wenigstens die M\u00fcllek-LYER\u2019sche, die PoGGENDORFF\u2019sche, die ZoELLNE\u00df\u2019sche und die LoEB\u2019sche T\u00e4uschung sich der Lipps\u2019schen Erkl\u00e4rungsweise nicht unterordnen ; w\u00e4hrend ich mir \u00fcber die Leistungsf\u00e4higkeit derselben anderen T\u00e4uschungen gegen\u00fcber kein Urtheil zugestehe. Ueberhaupt scheint mir die Zeit noch nicht gekommen zu sein, allgemeine Theorieen \u00fcber die letzten Gr\u00fcnde der ein-\n1 Diese Zeitschr. XV, S. 130-136.","page":395},{"file":"p0396.txt","language":"de","ocr_de":"396\nschlltgigen Erscheinungen \u00abum Gegenst\u00e4nde wissenschaftlicher Diskussion zu machen; unser Wissen von den Thatsachen ist dazu noch viel zu unsicher, zu wenig umfassend und zu ungenau. Vor Allem gilt es, durch sorgf\u00e4ltiges und wiederholtes Experimentiren dieses Wissen zu befestigen, zu vervollst\u00e4ndigen und zu pr\u00e4zisiren: also in den Verlauf der einzelnen T\u00e4uschungen und in die Beziehungen zwischen denselben eine wohl begr\u00fcndete und unbezweifelbare Einsicht zu gewinnen; erst wenn dieses Ziel erreicht ist, wird es m\u00f6glich sein zu entscheiden, ob allen diesen Er* scheinungen ein\u2019 einziges, oder aber ob denselben mehrere selbst\u00e4ndige Prin-cipien zu Grunde liegen. F\u00fcr die hierzu erforderte Arbeit wird gewifs da\u00bb Lrpps\u2019sche Buch werthvolles Untersuchungsmaterial und fruchtbare Ideen in reichem Maafse zu liefern verm\u00f6gen; aber es kann dieselbe nicht ersetzen.\nHeymans (Groningen).","page":396}],"identifier":"lit30504","issued":"1898","language":"de","pages":"383-396","startpages":"383","title":"Th. Lipps: Raum\u00e4sthetik und geometrisch-optische T\u00e4uschungen. Schriften der Gesellschaft f\u00fcr psycholog. Forschung, Heft 9 u. 10 (2. Samml.) Leipzig, J. A. Barth, 1897. VII und 424 S.","type":"Journal Article","volume":"17"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:09:07.399446+00:00"}