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{"created":"2022-01-31T12:41:53.977023+00:00","id":"lit30540","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Ziehen","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 19: 70-71","fulltext":[{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\nG.\tHirth. Energetische Epigenesis und epigenetische Energieformen, insbesondere Merksysteme und plastische Spiegelungen. Eine Programmschrift f\u00fcr Naturforscher und Aerzte. M\u00fcnchen und Leipzig, G. Hirth, 1898. 218 S.\nEs ist sehr fruchtbar, wenn ab und zu ein wissenschaftliches Gebiet von einem Manne wie G. Hirth dargestellt wird, der bei aller wissenschaftlichen Vorbildung in erster Linie vom Standpunkte des Kunstverst\u00e4ndigen ur-theilt. Auch auf Gebieten, die scheinbar der Kunst s. str. ganz fern liegen, pflegt eine solche Darstellung nach Form und Inhalt befruchtend zu wirken. Auch das jetzt erschienene Buch Hirth\u2019s hat dies Verdienst. Gegen\u00fcber dem t\u00f6dtlich langweiligen Dissertationsstil \u2014 Stil der Worte und Stil der Gedanken \u2014 in den meisten sog. rein wissenschaftlichen Arbeiten ist die Lect\u00fcre der energetischen Epigenesis eine wahre Erquickung. Ein sinnvoller Vergleich erspart seitenlange Auseinandersetzungen. Allenthalben werden anregende Perspectiven f\u00fcr einen Augenblick ge\u00f6ffnet und \u2014 Gott sei Dank nicht immer bis ins Letzte zergliedert. Endlich fehlt auch der Witz im besten Sinne des Wortes nicht.\nInhaltlich entwickelt H. die Ansicht, dafs neben der phylogenetischen Entwickelung der Formen eine phylogenetische Entwickelung der Energien stattfinde. Diese Energien finden sich nicht in der Keimzelle pr\u00e4-formirt, sondern sie entwickeln sich epigenetisch. Nicht nur f\u00fcr den Gesammtorganismus, sondern f\u00fcr jedes einzelne Organ, ja f\u00fcr jede einzelne Zelle existirt neben der \u201emetamorphischen\u201c eine energetische Epigenesis. Auch das menschliche Gehirn ist im Wesentlichen als das Endresultat einer unendlich langen Reihe von energetischen Mehrungen und functio-nellen Anstrengungen anzusehen. Im lebenden Organismus haben sich eigenth\u00fcmliche Energieformen entwickelt, welche sich in das Schema der anorganischen Formen schwerlich unterbringen lassen. Dabei verwahrt sich H. doch auch gegen den alten und modernen Vitalismus. Das Ver-h\u00e4ltnifs der Energie zur Form wird nicht bestimmt definirt: bald spricht\nH.\tvon einer innigen Wechselbeziehung, bald wird die Energie als die Mutter der Form bezeichnet, bald scheint sie mit Function identisch. Nach der Auffassung des Ref. ist die Trennung der Energie von der Form \u00fcberhaupt nicht ausf\u00fchrbar und nicht zul\u00e4ssig. Die psychischen Processe speciell das Ged\u00e4chtnifs, betrachtet H. als Gehirnfunctionen. Die Ge-d\u00e4chtnifsf\u00e4higkeit oder Coercitivkraft der Rindenzellen ist die h\u00f6chstentwickelte Energieform. Die an die \u00e4ltere Auffassung der Selbstwahr-","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"Li ter a turberi ch t.\n71\nnehmung (innerer Sinn!) erinnernde Annahme, dafs auch das Bewufstsein nur eine Form sinnlicher Wahrnehmung sei (S. 77), muthet etwas befremdlich an. Die geistreichen Er\u00f6rterungen \u00fcber die Merksysteme lehnen sich an \u00e4ltere Ausf\u00fchrungen in Hirth\u2019s Kunstphysiologie an (vgl. auch die Thesen auf dem Internat. Psychol. Congrefs in M\u00fcnchen 1896).\nEin besonderer Abschnitt ist zum Schlufs den plastischen Spiegelungen und dem plastischen Sehen gewidmet. H. versteht darunter die (stereometrische) Nach-Aufsen-Projection der Empfindung. Sie wird nicht im Sinne der Empiristen ontogenetisch erworben, sondern sie ist eine epigenetisch entwickelte, ererbte Energieform. H. nimmt geradezu \u201eeine ununterbrochene latente (unbewufste) Aufmerksamkeit mit der Tendenz der Nachaufsenspiegelung\u201c an. \u2014 F\u00fcr das Ph\u00e4nomen des plastischen Sehens stellt H. folgendes Gesetz auf: \u201eDie Vereinigung der beiden Netzhautbilder und die Wahrnehmung scheinbar verschiedener Tiefen im Sammelbilde erfolgt durch einen nerv\u00f6sen Zwang. Hierbei werden nicht allein solche Partien, welche nur dem rechten oder dem linken Auge sichtbar sind, dem Sammelbilde als Bestandteile mit gr\u00f6fserer Tiefenwirkung eingef\u00fcgt, sondern es tritt auch bez\u00fcglich der beiderseits gesehenen, correspondiren-den Lichter und Contrastf\u00fchrungen mit rechts und links verschieden breiter Erstreckung eine unterschiedliche N\u00e4herempfindung ein, und zwar immer in der (auf der Netzhaut) temporalen Richtung des breiteren Netzhautbildes.\u201c Es ist sehr zu bedauern, dafs Hirth sich in diesem Zusammenhang nicht mit den neueren Arbeiten von Hillebrand, Arrer u. A. auseinandergesetzt hat. Die \u201eplastische Confluenz\u201c der Bilder der beiden Netzh\u00e4ute ist nach H. vielleicht auf \u201eeine Anziehungskraft nach Analogie der Anziehung entgegengesetzter elektrischer Str\u00f6me\u201c (S. 191) zur\u00fcckzuf\u00fchren. Das plastische Sehen mit einem Auge sucht er durch die Annahme verschiedener \u201eFernqualit\u00e4ten des Lichtes zu erkl\u00e4ren\u201c. Das objective Licht wird dadurch ver\u00e4ndert, dafs es die Atmosph\u00e4re durchdringt. F\u00fcr die relative Gr\u00f6fse dieser Ver\u00e4nderung sollen wir eine aufser-ordentlich feine Empfindungsf\u00e4higkeit besitzen, durch welche das Nah- und Ferngef\u00fchl unserer Gesichtsempfindungen entsteht. In Anmerkung 109 wdrd eine mathematische Analyse dieser Theorie der Fernempfindungen versucht.\nRef. glaubt, dafs Niemand das Buch ohne Einw\u00e4nde, ebenso aber auch Niemand ohne dankbare Anerkennung zahlreicher Anregungen lesen wird.\nZiehen (Jena).\nSt. Witasek. Beitr\u00e4ge zur speciellen Dispositionspsychologie. Arch. f. syst. Philos. III, 3, S. 273-293. 1897.\nHerbart und die Herbartianer hatten geglaubt, den ber\u00fchmten Verm\u00f6gensbegriff in der Psychologie f\u00fcr alle Zeiten todtgeschlagen zu haben lind die ganze neuere Psychologie hat es mit ihnen geglaubt. In letzter Zeit aber mehren sich die Anzeichen, dafs jener Tod nur ein Scheintod war; in der Form der \u201eDisposition\u201c regt sich das \u201eVerm\u00f6gen\u201c wieder, und ich m\u00f6chte glauben, dafs die Anspr\u00fcche, die es an f\u00fcrderes Leben stellt, nicht ohne Weiteres als unberechtigt zur\u00fcckgewiesen werden d\u00fcrfen. Bereits 1892 hat Meinong Vorlesungen \u00fcber Dispositionspsychologie gehalten","page":71}],"identifier":"lit30540","issued":"1899","language":"de","pages":"70-71","startpages":"70","title":"G. Hirth: Energetische Epigenesis und epigenetische Energieformen, insbesondere Merksysteme und plastische Spiegelungen. Eine Programmschrift f\u00fcr Naturforscher und Aerzte. M\u00fcnchen und Leipzig, G. 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