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{"created":"2022-01-31T12:41:56.597363+00:00","id":"lit30627","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Kries, J. von","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 19: 175-191","fulltext":[{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"(Ans dem Physiologischen Institut Freiburg i. Br.)\nKritische Bemerkungen zur Farbentheorie.\nVon\nJ. von Kries.\nIm Laufe des letzten Jahres ist die St\u00e4bchentheorie auch von Seiten Hering\u2019s und seiner Sch\u00fcler in einigen Arbeiten dis-cutirt worden.1 Ich m\u00f6chte es nicht l\u00e4nger hinausschieben auf diese Er\u00f6rterungen mit einigen Bemerkungen einzugehen, schon weil einige Mifsverst\u00e4ndnisse der sich vielleicht anbahnenden Kl\u00e4rung entgegenzustehen scheinen. Im Uebrigen beschr\u00e4nke ich meine Erwiderungen auf das Nothwendigste und unterlasse die Er\u00f6rterung so mancher relativ unerheblicher Punkte, in denen gegen mich gerichtete Einwendungen mir unbegr\u00fcndet erscheinen.\nWas zun\u00e4chst die angeborene totale Farbenblindheit anlangt, so habe ich im Sinne der erw\u00e4hnten Theorie die mit dieser Anomalie behafteten Personen als \u201eSt\u00e4bchenseher\u201c auf-gefafst. Es giebt aber weder von meiner Meinung noch von dem, was ich geschrieben habe, eine zutreffende Vorstellung, wenn Hering und Hess (a. a. O. S. 108) ohne jede Einschr\u00e4nkung oder Erl\u00e4uterung mir die Annahme zuschreiben, dafs die Zapfen mangeln, \u201ew\u00e4hrend die r\u00e4umliche Vertheihing der St\u00e4bchen mit der Norm \u00fcbereinstimmt\u201c.\n1 Hering und Hess, Untersuchungen an total Farbenblinden. Pfl\u00fcger\u2019s Archiv LXXI, S. 105.\nHess, Experimentelle Untersuchungen \u00fcber die Nachbilder bewegter leuchtender Punkte. Archiv f. Ophthalmologie XLIY, S. 445.\nTschermak, Ueber die Bedeutung der Lichtst\u00e4rke und des Zustandes des Sehorgans f\u00fcr farblose optische Gleichungen. Pel\u00fcger\u2019s Archiv LXX, S. 297.","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"176\nJ. von Kries.\nAuf dem Boden der St\u00e4bchenhypothese \u00fcberhaupt und der Annahme, dafs die total Farbenblinden St\u00e4bchenseher seien, habe ich jenes Verhalten vielmehr als eine der M\u00f6glichkeiten f\u00fcr die speciellere Durchf\u00fchrung dieser Ansicht angesehen. Die von Hering und Hess citirte Stelle lautet vollst\u00e4ndig :\n\u201eZun\u00e4chst scheint daher die Annahme nicht ausgeschlossen, dafs in den erw\u00e4hnten F\u00e4llen von totaler Farbenblindheit lediglich Mangel oder Functionsunf\u00e4higkeit des Zapfenapparats vorliegt, w\u00e4hrend die sonstigen Verh\u00e4ltnisse, insbesondere die r\u00e4umliche Vertheilung der St\u00e4bchen mit der Norm \u00fcbereinstimmen.\nSelbstverst\u00e4ndlich aber wird erst eine genauere Untersuchung der Monochromaten hier\u00fcber bestimmteren Aufschlufs geben k\u00f6nnen.\u201c 1\nAuf eine detaillirte Er\u00f6rterung noch anderer M\u00f6glichkeiten einzugehen hatte ich, in Ermangelung entscheidender Beobachtungen von der zuletzt angef\u00fchrten Art kaum Veranlassung, umsoweniger, als sachlich wohl Folgendes ziemlich selbstverst\u00e4ndlich ist. Eine Uebereinstimmung des den total Farbenblinden eigenen Sehapparats mit dem Dunkelapparat des Normalen, und zwar eine ganz vollst\u00e4ndige, auch hinsichtlich der localen Anordnung, Sehsch\u00e4rfe etc., w\u00e4re dann zu erwarten, wenn die \u201eangeborene\u201c totale Farbenblindheit auf einer Functionsunf\u00e4higkeit des von Haus aus angelegten Zapfenapparats, etwa durch eine Bildungshemmung, eine intrauterine Erkrankung o. dgl. beruhte. Wenn dagegen die ganze Affection eine Bildungs-Anomalie im eigentlichen Sinne darstellt, also aus unbekannten Gr\u00fcnden von vornherein nur St\u00e4bchen (statt normaler Weise Zapfen und St\u00e4bchen) gebildet werden, so ist jene Erwartung nat\u00fcrlich keineswegs eine selbstverst\u00e4ndliche; es ist vielmehr ebenso gut m\u00f6glich, dafs \u00fcberall statt der Zapfen St\u00e4bchen gebildet werden und dafs also u. A. ein der normalen Fovea entsprechender blinder Bezirk, ein Skotom, nicht existirt. Wie sich also die total Farbenblinden bez. der localen Verh\u00e4ltnisse der Sehsch\u00e4rfe, des Skotoms etc. verhalten w\u00fcrden, erschien mir stets als eine Frage, deren Beantwortung sowohl im einen wie im anderen Sinne mit der aus der St\u00e4bchentheorie sich ergebenden Deutung der totalen Farbenblindheit durchaus vereinbar ist; und diese Ansicht ist in der von Hering und Hess partiell\nCentralblatt f\u00fcr Physiologie VIII, S. 696.\ni","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"Kritische Bemerkungen zur Farbentheorie.\n177\ncitirten Stelle auch bereits deutlich genug ausgesprochen. \u2014 Die inzwischen gemachten Erfahrungen machen auch mir wahrscheinlich, dafs in gewissen F\u00e4llen von angeborener totaler Farbenblindheit von den mehrerw\u00e4hnten M\u00f6glichkeiten nicht die erste, sondern die zweite verwirklicht ist. Die Hauptfrage, auf die es dabei ankommt, die der Existenz eines centralen Skotoms, ist freilich von der Art, dafs es recht schwierig ist, sie in \u00fcberzeugender Weise im verneinenden Sinne zu beantworten. Doch bin ich bez. der beiden F\u00e4lle, die ich untersuchen konnte, auch eher geneigt anzunehmen, dafs ein Skotom nicht vorhanden ist. In dem einen Fall (Marie Binder), \u00fcber den ich in anderer Beziehung berichtet habe, war es mir wegen des leichten Nystagmus nicht m\u00f6glich, zu einer ganz sicheren Ueberzeugung zu gelangen. Das junge M\u00e4dchen aus Grindelwald, welches Seeing und Hess erw\u00e4hnen, und an dem durch die G\u00fcte des Herrn Collegen Pfl\u00fcger in Bern auch ich einige Beobachtungen anstellen konnte, zeigte (wie M. Binder) sehr gute Beobachtungsf \u00e4higkeit, und nur einen sehr geringen Nystagmus. Wenn ich auch mich nicht geradezu f\u00fcr das Fehlen des Skotoms verb\u00fcrgen m\u00f6chte, so kann ich doch jedenfalls sagen, dafs die Beobachtungen f\u00fcr die Annahme eines solchen keinerlei Anhalt gew\u00e4hrten. F\u00fcr beide F\u00e4lle w\u00fcrde ich also eine abnorme Bildung des Sehorgans, der zu Folge auch die normaler Weise nur mit Zapfen ausger\u00fcsteten Theile St\u00e4bchen f\u00fchren, anzunehmen geneigt sein. Ob dies f\u00fcr alle F\u00e4lle sich ebenso verh\u00e4lt, mufs \u00fcbrigens im Hinblick auf die bestimmten Angaben K\u00f6nig\u2019s zun\u00e4chst dahingestellt bleiben.\nObgleich nach dem Gesagten auch die Vergleichung der excentrischen Sehsch\u00e4rfen nur mit Vorsicht theoretisch verwerthet werden kann, f\u00fcge ich doch auch in dieser Beziehung einige Bemerkungen hinzu, weil die Darstellung von Hering und Hess mehrfach unzutreffend ist. Diese sagen (a. a. O. S. 122) :\n\u201eWenn wirklich die von v. Kries sogenannte \u201eSt\u00e4bchensehsch\u00e4rfe\u201c von 10\u201460 0 Excentricit\u00e4t unver\u00e4ndert bleibt, wie dies K\u00f6ster, wenigstens f\u00fcr den horizontalen Netzhautmeridian, an-giebt und mit der Kries\u2019sehen Anschauung im Einklang findet, so m\u00fcfste auf dem ganzen entsprechenden Gebiete die Gr\u00f6fse und der gegenseitige Abstand, bei welchem die Scheibchen eben als zwei wahrgenommen werden, nahezu constant sein. Dies ist aber nicht der Fall.\u201c\nNiemand kann verstehen, weshalb hier die St\u00e4bchentheorie\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XIX.\t12","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"178\nJ. von Kries.\nausschliefslich durch einen Befund K\u00f6ster\u2019s repr\u00e4sentirt wird, den dieser \u201emit der KRiEs\u2019schen Anschauung im Einklang findet\u201c. Ich selbst habe mit B\u00fcttmann gefunden, dafs die theoretisch als St\u00e4bchensehsch\u00e4rfe zu bezeichnende Function vom blinden Flecken bis zur \u00e4ufsersten Peripherie des temporalen Gesichtsfeldes nahezu ebenso absinkt wie die \u201eHellsehsch\u00e4rfe\u201c. Nichts Anderes besagt ja der Satz, dafs f\u00fcr alle diese Theile Hell- und Dunkelsehsch\u00e4rfe \u00fcbereinstimmen.1 2 Dafs also hier die Sehsch\u00e4rfe des total Farbenblinden \u201eanalog\u201c wie beim Normalsehenden abnimmt, kann ich weder \u00fcberraschend noch mit meinen Anschauungen unvereinbar finden. Ich mufs ferner bemerken, dafs H. und H. mir mit Unrecht einen Schlufs zuschreiben, der nur unter der \u201enicht eben wahrscheinlichen Voraussetzung zul\u00e4ssig w\u00e4re, dafs die St\u00e4bchensehsch\u00e4rfe innerhalb enorm weiter Grenzen unabh\u00e4ngig ist von der St\u00e4rke der Beleuchtung\u201c. Ich habe vielmehr mit aller Vorsicht gesagt:\n\u201eOhne also zur Zeit einen positiven Schlufs ziehen zu wollen, k\u00f6nnen wir es wohl als beachtenswerth bezeichnen, dafs die St\u00e4bchensehsch\u00e4rfe der Normalsehenden und die Sehsch\u00e4rfe jener total Farbenblinden sich innerhalb \u00e4hnlicher (nicht einmal sehr weiter) Grenzen, etwa zwischen 1/4 und 1/10 bewegt.\u201c -\nIm Uebrigen sage ich selbst, dafs die Beurtheilung dadurch verwickelt wird, dafs die excentrische Sehsch\u00e4rfe, wenn auch nur sehr langsam, doch merklich abnimmt, wenn man die Beleuchtung unter den f\u00fcr centrales Verschwinden erforderlichen Werth noch sehr verkleinert. (A. a. O. S. 696.)\nIch habe mir den Sachverhalt also nie anders vorgestellt als so, wie ihn neuerdings auch K\u00f6nig auseinanderlegt , dafs f\u00fcr den Dunkelapparat und den Hellapparat eine Abh\u00e4ngigkeit der Sehsch\u00e4rfe von der Beleuchtung existirt, die durch analoge Functionen nur mit ungemein verschiedenen Constanten dargestellt wird. Als selbstverst\u00e4ndlich aber m\u00f6chte ich nicht einmal das gelten lassen, dafs diese Abh\u00e4ngigkeiten f\u00fcr den einzelnen Apparat an allen Netzhaut-theilen die gleichen sind. So darf man z. B. auch den Befund von B\u00fcttmann und mir, dafs von 4 \u201412 0 die Dunkelsehsch\u00e4rfe\n1\tv. Kries, Ueber die Abh\u00e4ngigkeit centraler und peripherer Sehsch\u00e4rfe von der Lichtst\u00e4rke. Centralhlatt f\u00fcr Physiologie VIII, S. 695.\n2\tCentralbatt f\u00fcr Physiologie VIII, S. 696.","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"Kritische Bemerkungen zur Farbentheorie.\n179\nann\u00e4hernd constant bleibt, nicht vorschnell verallgemeinern. Bei sehr stark herabgesetzter Beleuchtung k\u00f6nnte ohne Zweifel ein Steigen der Sehsch\u00e4rfe mit zunehmender Excentricit\u00e4t demonstrirt werden, und bei st\u00e4rkerer w\u00fcrde vielleicht auch die St\u00e4bchensehsch\u00e4rfe sich umgekehrt verhalten. Man darf doch nicht vergessen, dafs wir beim Normalsehenden die St\u00e4bchensehsch\u00e4rfe nicht in hohen Beleuchtungen untersuchen k\u00f6nnen. Die Annahme bez. der Function der St\u00e4bchen so zu schematisiren, wie es H. und H. mir ohne Grund zuschreiben, als ob sie innerhalb enorm weiter Grenzen von der Beleuchtung gar nicht abhinge, liegt gar kein Anlafs vor.\nNach meiner theoretischen Auffassung habe ich es ferner stets f\u00fcr selbstverst\u00e4ndlich gehalten, dafs das Verh\u00e4ltnifs der Hell- und der Dunkelsehsch\u00e4rfe an einer bestimmten excentrischen Netzhautstelle individuell einigermaafsen schwankend sein wird ; es w\u00e4re mehr als merkw\u00fcrdig, wenn es absolut fixirt w\u00e4re. Thats\u00e4chlich scheint K\u00f6ster f\u00fcr die Dunkelsehsch\u00e4rfe etwas h\u00f6here, Bloom und Garten1 etwas geringere Werthe als f\u00fcr die Hellsehsch\u00e4rfe an gleicher Stelle zu erhalten, w\u00e4hrend Buttmann und ich nur ganz geringe, die Fehler kaum \u00fcbersteigende Differenzen constatirten ; dafs aber die Aenderung der Sehsch\u00e4rfe bei sehr starker Lichtverminderung peripher sich v\u00f6llig anders verh\u00e4lt als central, dafs die Peripherie mit ihren Leistungen f\u00fcr einen ganz anderen Spielraum der Beleuchtungen eingerichtet ist: das bleibt doch unzweideutig bestehen.2 \u2014\nTrotz dieser einer ganz directen und einfachen theoretischen Verwerthung entgegenstehenden Hindernisse bieten \u00fcbrigens die\n1\tBloom und Garten, Vergleichende Untersuchungen \u00fcber die Sehsch\u00e4rfe des hell- und des dunkeladaptirten Auges. Pfl\u00fcger\u2019s Archiv LXXII, S. 372.\n2\tUebrigens sei sehliefslich erw\u00e4hnt, dafs auch die neuerlich von Bloom und Garten (a. a. O.) gemachten Mittheilungen mir stark f\u00fcr die Duplicit\u00e4t des betheiligten Apparats zu sprechen scheinen. Nach unitarischer Auffassung war doch ohne Zweifel zu erwarten, dafs man im hell-und im dunkeladaptirten Auge die gleichen Sehsch\u00e4rfen erhalten werde, wenn die Lichtst\u00e4rken so gew\u00e4hlt w\u00fcrden, dafs die gesehene Helligkeit etwa auf den gleichen Werth sich stellte. Es ist eine gewifs beachtens-werthe Thatsache, dafs in jenen Beobachtungen dies nicht der Fall war. Es ist schwer zu sehen, welchen Angriffspunkt die unitarische Auffassung hier f\u00fcr eine Erkl\u00e4rung finden kann.\n12*","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180\nJ. von Kries.\nyon H. und H. mitgetheilten Thatsachen manches Beachtens-werthe.\nEs heilst (a. a. 0. S. 122): \u201eAus den bei Fri. F. mit hell-adaptirtem Auge yorgenommenen Messungen geht hervor (s. Tabelle), dafs das Unterscheidungsverm\u00f6gen bei ihr vom Centrum nach der Peripherie allm\u00e4hlich abnimmt. Vergleichende Messungen ergaben, dafs die Abnahme in ganz analoger Weise stattfindet, wie in meinem (Hess) normalen Auge. Die Unterschiede zwischen den an ihrem und an meinem Auge gefundenen Zahlen liegen innerhalb der Fehlergrenzen.\u201c\nWenn ich den letzten Satz nicht mifsverstehe, so besagt er wohl, dafs in der Peripherie (von etwa 10\u00b0 ab) die Sehsch\u00e4rfe des total farbenblinden und des normalen Auges nahe \u00fcbereinstimmen. Da nun central die Sehsch\u00e4rfe des total farbenblinden eine viel geringere ist, so ist denn doch die \u201eAnalogie\u201c der vom Centrum gegen die Peripherie hin stattfindenden Abnahme keine vollst\u00e4ndige. Dies best\u00e4tigen und erl\u00e4utern die weiteren Angaben (S. 123). Fri. F. konnte central den Haken von 2 mm Seitenl\u00e4nge, aus 24 cm Entfernung betrachtet, noch sicher erkennen; doch ist dies wohl der Grenze schon nahe gewesen (da er bei Momentanbeleuchtung nur noch ein Mal unter 6 Malen erkannt wurde). Bei 1\u00b0 40' Excentricit\u00e4t war der 3 mm-Haken leicht, lei 4\u00b0 40' \u201esehr m\u00fchsam\u201c zu erkennen. Darnach ist beim Uehergange vom Centrum zum Abstande 1\u00b0 40' die Sehsch\u00e4rfe etwa auf %, zu 4\u00b0 40' wohl auch nur wenig mehr abgesunken. Im normalen Auge sinkt bei diesen Excentricit\u00e4ten die Sehsch\u00e4rfe schon viel st\u00e4rker.\nWenn H. und H. sagen (S. 123), dafs das r\u00e4umliche Unterscheidungsverm\u00f6gen der Farbenblinden in analoger Weise vom Centrum nach der Peripherie abnimmt, wie bei uns, so legt diese Formulirung jedenfalls die Auffassung sehr nahe, dafs die Sehsch\u00e4rfe des Farbenblinden \u00fcberall etwa den gleichen Bruchtheil von der normalen darstelle. Dies scheint nach dem Obigen ganz und gar nicht der Fall zu sein. Der Unterschied beschr\u00e4nkt sich vielmehr auf einen m\u00e4fsigen centralen Bezirk, innerhalb dessen die Sehsch\u00e4rfe des Farbenblinden geringer ist und viel langsamer abnimmt, w\u00e4hrend sie aufserhalb die gleichen Werthe zeigt, wie beim Normalen.\nNicht minder unzutreffend ist es, wenn die Verff. einen Widerspruch gegen meine Annahmen daraus herleiten wollen,","page":180},{"file":"p0181.txt","language":"de","ocr_de":"Kritische Bemerkungen zur Farbentheorie.\n181\ndafs auch das total farbenblinde Auge, dunkeladaptirt, central geringere Lichtempfindlichkeit besitze. Weil nach mir, wie sie sagen, die centrale Minderempfindlichkeit \u201elediglich dadurch bedingt sein soll, dafs die Netzhaut an dieser Stelle nur Zapfen enth\u00e4lt\u201c, schreiben sie mir die Meinung zu, dafs alle \u00fcberhaupt st\u00e4bchenhaltigen Theile gleiche Empfindlichkeit besitzen m\u00fcfsten.\nIch w\u00fcfste nicht, welche Stelle meiner Arbeiten berechtigen k\u00f6nnte, mir diese Annahme, die alle M\u00f6glichkeiten verschiedener Leitungsverh\u00e4ltnisse, verschiedenen Purpurreichthums u. s. w. schlechtweg ignorirte, auch nur als Vermuthung, geschweige als nothwendiges Requisit der St\u00e4bchentheorie zuzuschreiben.\nAuch das endlich ist eine von Hering und Hess mir zugeschriebene, von mir aber niemals ausgesprochene Meinung, dafs der total Farbenblinde in hellerer Beleuchtung wegen Einbufse an Sehpurpur nur dunkles Grau empfinden k\u00f6nne (a. a. O. S. 111). Ob die Adaptation f\u00fcr den Empfindungseffect die Wechsel der Beleuchtung ganz oder theilweise compensire oder \u00fcbercompensire .(wie H. und H. ohne jeden Grund postuliren), dar\u00fcber habe ich nie eine Meinung ausgesprochen. M. E. beruht das schlechte Sehen des total Farbenblinden in hellem Licht auf der hochgradigen localen Adaptation und dem sehr langen Nachdauern der Reize; daher die Klage, dafs ihnen \u201eAlles verschwimmt\u201c, wie Marie Binder immer angab, wenn man eine Erkl\u00e4rung f\u00fcr die Abneigung gegen starke Beleuchtung sich ausbat. F\u00fcr den Normalen ist dies nicht der Fall, weil die Reizungseffecte der Zapfen in einem grofsen Uebergewicht sind.\nWenn daher H. und H. sagen: \u201eDie von v. Kries betreffs der total Farbenblinden entwickelten Ansichten haben sich somit s\u00e4mmtlich nicht best\u00e4tigt\u201c, so darf ich dazu bemerken, dafs es sich dabei um eine Ansicht handelt, die ich sehr ausdr\u00fccklich nur als eine zun\u00e4chst m\u00f6glich erscheinende bezeichnet habe, im Uebrigen aber um eine Anzahl von Ansichten, die die Verff. ohne mir ersichtliche Berechtigung in die St\u00e4bchentheorie hineinconstruirt haben.\nDie Angaben von H. und H. sind leider nur sehr kurz in Bezug auf den Punkt, \u00fcber den Genaueres zu erfahren besonders interessant gewesen w\u00e4re, n\u00e4mlich die bei den total Farbenblinden ermittelte Abh\u00e4ngigkeit der Sehfunction von der Helligkeit. Es wurde \u201ein verschiedener Weise festgestellt, dafs die Sehsch\u00e4rfe bei Fri. F. um so kleiner wurde, je weiter die Lichtst\u00e4rke unter das","page":181},{"file":"p0182.txt","language":"de","ocr_de":"182\nJ. von Kries.\nf\u00fcr sie g\u00fcnstigste Maafs herabgesetzt wurde. So vermochte sie bei Abendd\u00e4mmerung und 20 cm Abstand vom Auge J\u00e4ger Nr. 11 nur noch langsam zu lesen und bei noch st\u00e4rkerer Herabsetzung der Beleuchtung nur noch Nr. 14.\u201c (S. 124.) Das ist freilich nicht \u00fcberraschend. Aber wie hell mag jenes g\u00fcnstigste Maafs, wie hell die Abendd\u00e4mmerung, wie hell die noch st\u00e4rker herab-gesetze Beleuchtung gewesen sein? Nach anderen Erfahrungen an total Farbenblinden ist der Unterschied der Sehsch\u00e4rfe zwischen ihnen und den Normalen bei herabgesetzten Beleuchtungen nicht mehr zu bemerken, also die Abh\u00e4ngigkeit der Function von der Helligkeit doch auch ganz anders als beim Normalen, eine Thatsache, die doch gewifs beachtenswerth ist. Die obigen Angaben sagen nicht, dafs dies auch hier zutraf; aber sie schliefsen es nicht aus.\nResumirt man, so kann gesagt werden, dafs maximale Sehsch\u00e4rfe, locale Verh\u00e4ltnisse der Sehsch\u00e4rfe im centralen Bezirk, und Abh\u00e4ngigkeit der Sehsch\u00e4rfe von der Helligkeit sich beim total Farbenblinden ganz anders als beim Normalen verhalten. Und hier darf denn wohl auch gefragt werden, welche Erkl\u00e4rung wir denn f\u00fcr all dies haben, wenn die totale Farbenblindheit auf dem Fehlen der farbigen Sehsubstanzen beruhen soll, oder wie die hiernach weiter anzunehmende Modification der \u201eschwarz-weifsen Sehsubstanz\u201c greifbar gemacht werden soll. Die Verfk erw\u00e4hnen nicht einmal, dafs derartige Annahmen zu machen seien.\nK\u00fcrzer darf ich mich \u00fcber die Untersuchungen von Hess fassen, die sich neuerdings mit der Einwirkung kurz dauernder Lichtreize resp. mit den Nachbildern bewegter leuchtender Punkte besch\u00e4ftigen. Beim Studium der H.\u2019sehen Arbeit sind mir immer Zweifel aufgestiegen, ob H. die Erscheinung, von der Young, Davis, Exner, Bidwell, ich u. A. reden, \u00fcberhaupt und namentlich in seinen neueren Versuchen rein zu sehen bekommen hat, ob er nicht, und zwar wegen Anwendung zu starker Lichter ganz andere Dinge beobachtet hat. Dieser Gedanke ist dadurch nahe gelegt, dafs H. die seit Jahrzehnten bekannte Fundamentaleigenschaft, der zu Folge das PuRKiNJE\u2019sche Nachbild als ein in der Regel positiv complementer gef\u00e4rbtes bezeichnet wird, ganz in Abrede stellt.\nWenigstens die Blauf\u00e4rbung des Nachbildes bei Anwendung gelben Lichts h\u00e4tte Hess bei Einhaltung der richtigen Versuchs-","page":182},{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"Kritische Bemerkungen zur Farbentheorie.\n183\nbedingungen m. E. sehen m\u00fcssen; denn diese ist von ganz unverkennbarer Deutlichkeit und demgem\u00e4fs auch von allen fr\u00fcheren Autoren constatirt worden.3\nBei Anwendung sehr heller Lichter sind aber die Erscheinungen allerdings ganz andere, und ich komme damit auf einen Punkt, in dem Hass meine Anschauungen durchaus mifs-verstanden hat. Niemals ist es mir eingefallen zu meinen, dafs der Zapfenapparat keinerlei positive Nachbilder liefern k\u00f6nne. Den gleichgef\u00e4rbten Schweif, in den man bei lichtstarken Objecten das prim\u00e4re Bild sich ausziehen sieht, habe ich, wie sich aus all meinen Darstellungen ergiebt, auf die kurze Nachdauer im Zapfenapparat zur\u00fcckgeftihrt.1 2\nMacht man die Lichter stark, so streckt sich auch dies gleichfarbige Bild in die L\u00e4nge und es kommt bei hohen Lichtst\u00e4rken zun\u00e4chst dazu, dafs es das secund\u00e4re erreicht (das charakteristische Intervall also verschwindet) oder auch es \u00fcberdeckt und unbemerkbar macht. Es hat mich nicht \u00fcberrascht, dafs H. einer Anzahl von Personen gleichfarbige Nachbilder demonstriren konnte. Im Widerspruch mit meinen Erfahrungen w\u00e4re es nur, wenn hier zugleich das lange Dunkelintervall (i/5_i/4 gee.) bemerkbar gewesen w\u00e4re. Das aber wird nicht angegeben. Aus diesem Grunde also vermuthe ich, dafs H. in der Regel Lichtst\u00e4rken benutzt hat, die f\u00fcr die Beobachtung des nachlaufenden Bildes viel zu hoch waren.\"\nAuch in Bezug auf die Sonderstellung der Fovea sind viel-\n1\tSowohl in Bezug auf die F\u00e4rbung der nachlaufenden Bilder als auch hinsichtlich einiger anderer Punkte verweise ich \u00fcbrigens auf eine demn\u00e4chst erscheinende weitere Mittheilung aus dem hiesigen Institut.\n2\tOb auch hier bei sehr kurzen und intensiven Beleuchtungen eine negative Phase von ganz anderer Gr\u00f6fsenordnung unter Umst\u00e4nden beobachtet werden kann, wie dies besonders Charpentier angiebt, m\u00f6chte ich dahingestellt sein lassen.\n3\tVielleicht liegt hierin auch der Grund daf\u00fcr, dafs Hess die Erscheinung so sehr durch Erm\u00fcdung ver\u00e4nderlich fanci und dahei Pausen von 15 \u2014 20 Sec. zwischen den einzelnen Beobachtungen verlangt. Bei unserem Verfahren sieht man bei umlaufendem Object die charakteristischen Erscheinungen in sehr kurzen Pausen (1,5 \u2014 2 Sec.) wiederholt und viele Male hinter einander v\u00f6llig \u00fcbereinstimmend, wodurch die Beurtheilung an Sicherheit gewinnt. Der Einwand von Hess, dafs die Wiederholung durch Erm\u00fcdung sch\u00e4dige, ist umsomehr gegenstandslos, als die Erscheinung ja stets auch bei der erstmaligen Wendung des Blicks auf die Fixirmarke zu beobachten ist.\n/","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184\nJ. von Kries.\nleicht die Differenzen znm Theil auf die eben erw\u00e4hnten Umst\u00e4nde zur\u00fcckzuf\u00fchren. Ich mufs aufs Entschiedendste bestreiten, dafs das Springen des Nachbildes am Fixirpunkt auf den erm\u00fcdenden oder sonstwie st\u00f6renden Einflufs des Fixirzeichens selbst zur\u00fcckzuf\u00fchren sei. Fixirt man (zweckm\u00e4fsig mit H\u00fclfe einer zweiten \u00e4hnlichen Marke) daneben, so sieht man aufs Deutlichste das Nachbild \u00fcber das (nunmehr nicht fixirte, sondern m\u00e4fsig excentrisch gesehene) Lichtzeichen hinlaufen. Ob Hess hier durch die Benutzung \u00fcbersch\u00fcssig lichtstarker Fixirzeichen Fehlerquellen eingef\u00fchrt hat, vermag ich nicht zu beurtheilen. Ich selbst habe stets, wie ich gegen\u00fcber der von H. gemachten Andeutung hervorheben mufs, die Zeichen so lichtschwach gew\u00e4hlt , dafs sie der Grenze der centralen Sichtbarkeit nahe standen. W\u00e4hlt man das r\u00f6thliche Licht eines schwach gl\u00fchenden Platindrahts oder Gl\u00fchl\u00e4mpchens, so erscheinen diese Zeichen bei schwacher Dunkeladaptation paracentral zwar etwas, aber nicht sehr viel heller als im Centrum; das Hin\u00fcbergleiten des Nachbildes (ohne Sprung) ist dort selbst bei erheblich gr\u00f6fseren Lichtst\u00e4rken vollkommen deutlich zu sehen.\nSo entschieden ich also daran festhalten mufs, das in Bezug auf die nachlaufenden Bilder der centrale Bezirk functionsunf\u00e4hig ist (oder zum Mindesten in seiner Leistung bis zur Un-merklichkeit hinter den Nachbartheilen zur\u00fcckbleibt), so wenig habe ich je daran gedacht, das Vorkommen positiver Nachbilder auf der Fovea \u00fcberhaupt in Abrede zu stellen. Mir, wie zahlreichen anderen Autoren vor mir, ist das Purkinje\u2019sehe Nachbild ein besonderes, von dem allbekannten positiv gleichgef\u00e4rbten Nachbild durchaus zu unterscheidendes Ph\u00e4nomen gewesen. Indem Hess die nur ihm eigene Vorstellung, dafs es nur \u2022eine Art positiven Nachbildes gebe, in meine Ansichten hinein-tr\u00e4gt, gelangt er dazu, mir die ungereimte Meinung zuzuschreiben, dafs es auf der Fovea \u00fcberhaupt keine positiven Nachbilder gebe. Es wundert mich nicht, dafs bei den S. 463 angef\u00fchrten Versuchen (mittels eines Momentverschlusses aufleuchtende Bilder) foveale Nachbilder gesehen wurden. Bezweifeln aber m\u00f6chte ich (obwohl die \u201enegative Phase\u201c hier erw\u00e4hnt wird) ob die Lichtst\u00e4rken von der Art waren, dafs das charakteristische lange Intervall des PuKKiNJE\u2019schen Nachbildes (^\u20141/4 Sec.) wahrgenommen wurde.\nEntgegen meinen Angaben findet H., dafs nach mehr-","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"Kritische Bemerkungen zur Karbentheorie.\n185\nst\u00fcndiger Dunkeladaptation die Erscheinungen im Wesentlichen ebenso wie bei kurzer Dunkeladaptation sich verhalten. Dem Obigen zufolge mufs ich aber auch bezweifeln, ob er hier die charakteristische Form des Ph\u00e4nomens gesehen hat, deren Fehlen ich fand.\nEs erledigt sich nach dem eben Gesagten auch der scheinbare Widerspruch in Bezug auf die Wahrnehmung positiver Nachbilder durch total farbenblinde Personen. Dafs diese die umlaufenden Objecte bei h\u00f6heren Lichtst\u00e4rken in lange Schweife ausgezogen sehen, habe ich nie bezweifelt oder in Abrede gestellt. Aber davon habe ich mich nicht \u00fcberzeugen k\u00f6nnen, dafs M. Binder ein \u201erecurrent image\u201c, ein von dem prim\u00e4ren Bilde durch ein grofses Intervall von ca. 1/5 Sec. getrenntes zweites Bild unter irgend welchen Umst\u00e4nden wahrgenommen h\u00e4tte. Und eben dies fand ich bei einem mit Hemeralopie Behafteten fehlend.1\nIndem ich mich der Arbeit Tschermak\u2019s zuwende, darf ich zun\u00e4chst deutlicher als der Autor selbst es gethan hat, den Punkt hervorheben, in dem seine Ergebnisse, den fr\u00fcheren Hering\u2019sehen Behauptungen entgegen, sich den Befunden von K\u00f6nig, mir u. A. anschliefsen.\nEndlich, darf man sagen, hat auch die Hering1\u2019sehe Schule sich davon \u00fcberzeugt, dafs hell\u00e4quivalente^Lichter ungleichen D\u00e4mmerungswerth besitzen k\u00f6nnen. Wenn T.\u2019s. Darstellung die Wichtigkeit dieser Constatirung und ihren Gegensatz zu Hering\u2019s bisheriger Stellung wenig bemerklich macht, so soll ihm dies nicht verargt werden. Uns darf wohl gestattet werden, darauf hinzuweisen, dafs Hering eben die Unabh\u00e4ngigkeit der optischen Gleichungen von der Stimmung des Sehorgans mit besonderem Nachdruck ganz allgemein behauptet hat. Den \u201eSatz von der Constanz der optischen Valenzen\u201c erkl\u00e4rte er2 f\u00fcr einen Hauptsatz der Lehre vom Lichtsinne und noch 1893 schrieb er : \u201eDas NnwTON\u2019sche Gesetz der Farbenmischung hat zur Voraussetzung, dafs alle Farbengleichungen unabh\u00e4ngig sind nicht nur von Erregbarkeits\u00e4nderungen des Sehorgans, sondern\n3 Beil\u00e4ufig sei hier bemerkt, dafs neuerdings im hiesigen Institut auch an einem anderen Hemeralopen das Fehlen des secund\u00e4ren Bildes constatirt worden ist.\n2 Hering, Ueber Newton\u2019s Gesetz der Farbenmischung. Lotos VII, 1887, S. 40 des S.-A.","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"186\nJ. von Kries.\nauch von Aenderungen der Lichtintensit\u00e4t, sofern dieselben alle betheiligten Lichter im gleichen Verh\u00e4ltnifs treffen. Durch mannigfache Versuchsreihen habe ich mich immer wieder von der Richtigkeit dieser beiden Voraussetzungen \u00fcberzeugt.\u201c1\nBei der Schwierigkeit, auf die es st\u00f6fst, den Einflufs beider Momente, Lichtst\u00e4rke und Adaptation, von einander zu sondern (\u00fcbrigens auch, wie sogleich zu ber\u00fchren sein wird, im Hinblick auf theoretische Consequenzen), kann es jedenfalls einmal als die Hauptsache gelten, festzustellen, dafs bei hohen Lichtst\u00e4rken und Helladaptation andere Gleichheitsbedingungen existiren als bei geringen Lichtern und Dunkeiadaptation. In diesem Punkte Uebereinstimmung erzielt zu haben ist ohne Zweifel ein Fortschritt, selbst wenn \u00fcber die Bedingungen des ganzen Ph\u00e4nomens die Meinungen noch aus einander gehen.\nIch bespreche nun kurz die Punkte, in denen Tschermak\u2019s Ergebnisse sich von den meinigen noch unterscheiden. Der erste ist der, dafs T. eine Abh\u00e4ngigkeit der Gleichungen nur von der Adaptation und nicht von der Lichtst\u00e4rke behauptet, w\u00e4hrend ich den Unterschied der Hell- und der D\u00e4mmerungsgleichung auf beide Momente bezogen habe. Ich will es ab-warten, ob die Hering\u2019sehe Schule jenen Satz aufrecht erhalten wird, wenn sie die betr. Erscheinungen f\u00fcr das Sehorgan eines Deuteranopen gepr\u00fcft haben wird, wozu sich ja wohl die Gelegenheit auch einmal finden wird. Nach meinen Erfahrungen (und implicite best\u00e4tigen das eigentlich auch schon die Beobachtungen von Hering- und Hillebrand) findet man ganz feste und constante Resultate f\u00fcr die D\u00e4mmerungswerthe, mag man nach relativ kurzer oder nach sehr langer Dunkeladaptation untersuchen, sofern nur die Lichtst\u00e4rken immer so gering gew\u00e4hlt sind, dafs keine Farben gesehen werden. Gen\u00fcgende Licht-abschw\u00e4chung ist also immer ausreichend, die n\u00e4mlichen Gleichheitsbedingungen herbeizuf\u00fchren, selbst bei stark wechselndem Adaptationszustand.\nDaraus geht schon hervor, dafs der Tscn.\u2019sche Satz nicht richtig sein kann. Auf die Schwierigkeiten, die es hat, sehr verschiedene Lichtst\u00e4rken bei gleichem Adaptationszustande zu pr\u00fcfen, will ich nicht eingehen.\nDer zweite Punkt ist der, ob die erw\u00e4hnten Differenzen\n1 Hering, Ueber den Einflufs der Macula lutea auf spectrale Farbengleichungen. Pfl\u00fcger\u2019s Archiv 54, S. 309, 1893.","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"Kritische Bemerkungen zur Farbentheorie.\n187\nauch f\u00fcr den kleinen centralen (st\u00e4bchenfreien) Bezirk gelten oder nicht. Auch in dieser Hinsicht wird ja wohl das Ergebnifs weiterer Versuche abzuwarten sein und auch hier glaube ich, dafs die Beobachtungen der Dichromaten ungemein viel aussichtsreicher sind. F\u00fcr diese k\u00f6nnen weifse Felder hergestellt werden, die, bei der Hellbeobachtung gleich erscheinend, bei der D\u00e4mmerungsbeobachtung so stark verschieden sind, dafs das eine den 7 fachen Helligkeitswerth vom anderen besitzt. Bei derartigen Feldern sahen Nagel und Stark die Hellgleichungen auch nach Dunkeladaptation und bei abgesclrw\u00e4chter Beleuchtung central g\u00fcltig bleiben. Zu beurtheilen, ob eine geringe Helligkeitsdifferenz zweier Felder bei genau centraler Fixation besteht, halte ich f\u00fcr \u00e4ufserst schwierig. Und die Methode T.\u2019s, bei der die Fixirmarke nur als dunkler Fleck in den hellen Feldern gegeben ist, scheint mir keineswegs gl\u00fccklich ; bei lichtschwachen Feldern bietet sie gewifs keine gen\u00fcgend sichere Fixation.1 Dafs die Benutzung eines centralen Lichtp\u00fcnktchens geeignet sei, wie T. meint \u201eentweder die Wirkung der centralen Dunkeladaptation zu zerst\u00f6ren oder wenigstens durch Contrast den Helligkeits-unterschied zu beeintr\u00e4chtigen\u201c, ist ein wenig stichhaltiger Einwend. Es ist ja ganz selbstverst\u00e4ndlich, dafs bei all diesen Versuchen nicht etwTa dauernd fixirt wird; sondern von irgend einer anderen Stellung ausgehend wird das Auge pl\u00f6tzlich auf die Fixirmarke gerichtet und sofort das Aussehen der Felder beur-theilt. Dies ist ja schon unbedingt nothwendig, um die Hauptgefahr, das Gleiclrverden der Felder durch die Localadaptation, zu vermeiden. Wie soll hierbei die centrale Adaptation sofort aufgehoben werden, eine Annahme, die sich \u00fcbrigens am seltsamsten im Munde T.\u2019s ausnimmt, der es f\u00fcr m\u00f6glich h\u00e4lt, das Aussehen lichtstarker Gleichungen f\u00fcr dunkeladaptirte Theile zu pr\u00fcfen. Wie durch Contrast eine Helligkeitsdifferenz beeintr\u00e4chtigt werden soll, ist noch schwerer ersichtlich.\n1 Aus dem gleichen Grunde finde ich auch die von Sherman (Wundt\u2019s Philosophische Studien XIII, S. 434) mitgetheilten Beobachtungen \u00fcber das P\u00fcRKiN.jE\u2019sche Ph\u00e4nomen im Netzhautcentrum f\u00fcr mich nicht \u00fcberzeugend. Hier sollte die Mitte der zwischen rothem und blauem Feld verlaufenden dunkeln Trennungslinie fixirt werden. Die Seite des quadratischen Feldes \u25a0war \u00fcber 2\u00b0 lang. Die Mitte der dunkeln Linie, deren absolut genaue Fixirung also erforderlich gewesen w\u00e4re, ist, soweit ich sehe, gar nicht markirt gewesen.","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188\nJ. von Kries.\nDie ganze Frage des Verhaltens der Fovea sollte, wie ich glaube, schon gegenw\u00e4rtig nicht unter einem ganz speciellen Gesichtspunkt sondern in etwas allgemeinerer Weise und im Zusammenhang mit den anderen Erscheinungen betrachtet worden. Erw\u00e4gen wir die Thatsachen allgemeiner, so stellt sich, wie mir scheint, heraus, dafs nunmehr auch die Seeing\u2019sehe Schule auf dem Wege angelangt ist, der zu der Annahme eines gesonderten Dunkelapparats f\u00fchrt. Der total Farbenblinde sieht die verschiedenen Lichter in Helligkeitsverh\u00e4ltnissen, wie der Normale beim D\u00e4mmerungssehen; aber die hier zu ermittelnden Hellig-keitswerthe. w\u00e4hrend sie f\u00fcr den total Farben blinden durchweg zutreffen, sind f\u00fcr das normale helladaptirte Sehorgan nicht mehr g\u00fcltig. Folgerichtig gelangt auch T. dazu, die Frage zweier verschiedener, die Weifsempfindung vermittelnder Sehstoffe wenigstens zu discutiren 1 und folgerichtig vermutet er, dafs im total farbenblinden Sehorgan, \u201eabgesehen von dem die Farbenempfindung vermittelnden Apparate auch jener unbekannte Factor fehlt, welcher die St\u00f6rungen farbloser Gleichungen bei Zustands\u00e4nderung (Hell- oder Dunkeladaptation) im farbent\u00fcchtigen Sehorgan bedingt\u201c. Die Argumente, die f\u00fcr die Existenz eines besonderen Dunkelapparats und gegen eine durch die Adaptation bewirkte Beschaffenheits\u00e4nderung des im Hellen functionirenden Organtheils sprechen, lassen sich gegenw\u00e4rtig noch vermehren. Es geh\u00f6rt hierher eine Beobachtung, deren Ausf\u00fchrung in j\u00fcngster Zeit Herrn Dr. Nagel gelang und welche lehrt, dafs auf gewisse Weise auch bei ganz geringer Dunkeladaptation eine Function beobachtet werden kann, die die einzelnen Lichter nach Maafsgabe ihrer D\u00e4mmerungswerthe ausl\u00f6sen. Dies ist das nachlaufende Bild. In der That konnte Dr. Nagel sich \u00fcberzeugen, dafs zwei bei ruhender Betrachtung gleich erscheinende Lichter, ein homogenes Blaugr\u00fcn und ein Rothblau-gemisch, beide etwa farblos erscheinend, sich ebenso wie bez. ihrer D\u00e4mmerungswerthe auch bez. der nachlaufenden Bilder\n1 Die Frage, ob, weil die Apparate verschiedene SchwTellenwerthe haben, f\u00fcr die Gleichungen auch die absolute Intensit\u00e4t der Lichter in Betracht kommt, oder ob, wie T. annimmt, die Reiz Wirkungen ohne Weiteres von dem Mischungsverh\u00e4ltnifs beider Sehstoffe abh\u00e4ngig zu denken w\u00e4ren, die Gleichungen also nur vom Zustande des Auges und nicht von der Intensit\u00e4t der Lichter abh\u00e4ngen, ist unter diesem Gesichtspunkt in der That, wie oben schon erw\u00e4hnt, von nur secund\u00e4rer Bedeutung.","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"Kritische Bemerkungen zur Farbentheorie.\n189\nsehr stark unterscheiden. Das homogene Licht lieferte ein sehr deutliches, das Gemisch ein viel schw\u00e4cher oder gar nicht sichtbares nachlaufendes Bild.1 In der gleichen Richtung beachtens-werth ist dann auch das Springen der nachlaufenden Bilder, welches bei ganz geringer Dunkeladaptation zu beobachten ist. Unter diesen Umst\u00e4nden sieht das Centrum mittelstarke Lichter bei gew\u00f6hnlicher Dauerbetrachtung noch ebenso hell wie die Peripherie. Das Verhalten des nachlaufenden Bildes zeigt uns aber, dafs in einer bestimmten Beziehung gleichwohl das Centrum zum Mindesten sehr viel weniger leistungsf\u00e4hig ist als die Umgebung. Auch hieraus ergiebt sich, dafs der Unterschied von Peripherie und Centrum keineswegs ersch\u00f6pfend durch die dem Centrum zugeschriebene \u201egeringe Adaptationsf\u00e4higkeit\u201c erkl\u00e4rt werden kann,\nMir scheint nach alledem die Hoffnung berechtigt, dafs zun\u00e4chst einmal insofern eine Uebereinstimmung der Autoren sich herausstellen wird, als die Existenz eines besonderen Dunkelapparats f\u00fcr wahrscheinlich erachtet wird, bez\u00fcglich dessen localer Verbreitung jedenfalls das sicher w\u00e4re, dafs er im Centrum nur in \u00e4ufserst reducirtem Maafse vorhanden ist. Man hat bei dieser Auffassung dann die Frage allgemein zu stellen, ob sich Spuren des Dunkelapparats auch in der Fovea nachweisen lassen, und man wird selbstverst\u00e4ndlich gut thun, zu ihrer Beantwortung vor Allem diejenigen Methoden heranzuziehen, die ein m\u00f6glichst sicheres Ergebnifs zu liefern geeignet sind. In dieser Richtung gedenke auch ich noch \"Weiteres zu versuchen. Dafs die That-sachen, auf die ich urspr\u00fcnglich die Theorie st\u00fctzte, ein absolutes Fehlen des Dunkelapparats im Centrum nicht streng beweisen, sondern sich auch als eine, vollkommenem Fehlen sich nur ann\u00e4hernde Reduction auffassen lassen, mufs ich selbstverst\u00e4ndlich zugeben. Auf der anderen Seite mufs ich aber sagen, dafs bis jetzt kein Verfahren, welches ich f\u00fcr einwurfsfrei und zuverl\u00e4ssig anerkennen m\u00f6chte, ein central l\u00fcckenloses Vorkommen des Dunkelapparats herausgestellt hat.\nIch will die verschiedenen in dieser Hinsicht geltend gemachten Momente nicht nochmals er\u00f6rtern und beschr\u00e4nke mich\n1 Die Beobachtung wurde am HELMHOLTz\u2019schen Farbenmischapparat ausgef\u00fchrt, und zwar so, dafs die Felder mittels eines kleinen, dicht am Ocularspalt angebrachten Spiegelchens gesehen wurden, das um eine auf seiner Fl\u00e4che etwas schiefwinkelig stehende Axe rotirte.","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190\nJ. von Kries.\nauf eine Bemerkung bez. der fovealen Adaptation. Es w\u00e4re selbstverst\u00e4ndlich ein Irrthum, zu glauben, dafs ich Erm\u00fcdungen oder Umstimmungen des Zapfenapparats \u00fcberhaupt nicht ann\u00e4hme. Schon die negativ-complement\u00e4ren Nachbilder beweisen ja diese und ich habe daher immer dem Dunkelapparat nur einen (im Vergleich zu den Zapfen) besonders hohen Grad von Adaptationsf\u00e4higkeit zugeschrieben. Was die Beobachtungen \u00fcber die fovealen Schwellenwerthe anlangt, so bin ich durch die kurze Angabe T.\u2019s (a. a. O. S. 319) noch nicht von einem wirklichen Gegensatz \u00fcberzeugt. Die Untersuclier des hiesigen Instituts fanden, dafs, wenn man die ersten paar Minuten vor\u00fcbergehen l\u00e4fst (in denen wegen der zuf\u00e4lligen Beschaffenheit der vorher gesehenen Lichter und aller Nachbilder \u00fcberhaupt Schwellenwerthe schwer zu bestimmen und von keiner einheitlichen Bedeutung sind), alsdann eine Abnahme der centralen Schwellen-werthe bei l\u00e4ngerem Dunkelaufenthalt sich nicht heraussteht. T. giebt \u00fcber die Zeiten nichts Genaueres an; es bleibt also zun\u00e4chst die Frage offen, ob er die (fovealen) Schwellenwerthe vielleicht in den ersten 3 \u2014 4 Minuten des Dunkelaufenthalts abnehmen sah. Nur wenn er eine stetige Abnahme auch weiterhin, von der 5. bis zur 30. Minute und noch l\u00e4nger (wie es f\u00fcr die Peripherie gilt), auch foveal gefunden h\u00e4tte, st\u00e4nde das mit den hiesigen Erfahrungen im Widerspruch. \u2014 Die einzige That-sache, die einigermaafsen f\u00fcr das Auftreten des Dunkelapparats im st\u00e4bchenfreien Bezirk zu sprechen scheint, ist die Zunahme der Empfindlichkeit, die schon bei ganz geringen Excentricit\u00e4ten gegen\u00fcber dem Centrum selbst bemerkt wird. Ein Beweis kann aber darin gewifs nicht erblickt werden. Auch der gleiche Sehapparat kann selbstverst\u00e4ndlich aus mancherlei Gr\u00fcnden (z. B. mit abnehmender Sehsch\u00e4rfe, wegen g\u00fcnstigerer Circulations-und Ern\u00e4hrungsverh\u00e4ltnisse u. s. w.) abnehmende Schwellenwerthe zeigen. Gegen das foveale Vorkommen des Dunkelapparats sprechen die vorhin erw\u00e4hnten Beobachtungen der Dichromaten und das Fehlen des farblosen Intervalls beim Blau, woran ich f\u00fcr mich festh alten mufs, in U eher ein Stimmung mit Pebtz und Fick.1\n1 Im Uebrigen kann ich nur wiederholen, was ich bereits bei einer fr\u00fcheren Gelegenheit sagte, dafs mir eine absolute Freiheit des Centrums vom Dunkelapparat durchaus kein absolutes theoretisches Postulat ist. Als ich die Hypothese von dem gesonderten Dunkelapparat aufstellte, habe","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"Kritische Bemerkungen zur Farbentheorie.\n191\nWichtiger aber als die Einigung \u00fcber diesen schwer ganz sicher zu entscheidenden Punkt w\u00e4re es, wenn die HERiN&\u2019sche Schule zur Anerkennung und Best\u00e4tigung der ganz palpabeln Thatsachen sich veranlafst f\u00e4nde, die K\u00f6nig-, ich u. A., im Widerspruch mit Hering\u2019s fr\u00fcheren Lehren, gefunden haben. In dieser Richtung darf die T.\u2019sche Arbeit, trotz der Differenzen, die noch bleiben, und trotz der ablehnenden Form, wohl als ein erster Schritt begr\u00fcfst werden, sofern in ihr \u201eder Satz von der Con-stanz der optischen Valenzen\u201c fallen gelassen ist.\nich die Frage, ob St\u00e4bchen oder Sehpurpur Substrat des Dunkelapparats seien, in der Annahme, dafs der Purpur ausschliefslich in den St\u00e4bchen yorkomme, gar nicht aufgeworfen, und ich habe, wenn ich meist die St\u00e4bchen als Dunkelapparat bezeichnete, damit in dieser Richtung eine Entscheidung nicht treffen wollen. Sollte ein Vorkommen von Spuren des Dunkelapparats im st\u00e4bchenfreien Gebiet sich bewahrheiten, so w\u00e4re an das Eindringen des Purpurs zu denken, eine Vorstellung, der ich um so weniger abgeneigt bin, als auch die nachlaufenden Bilder den Gedanken eines aufserhalb der St\u00e4bchen befindlichen Purpurs angeregt haben. Uebrigens hat wohl hinsichtlich der Fragen, bis zu welchem Centralabstand vereinzelte St\u00e4bchen noch Vorkommen und welche Rolle hier individuelle Verschiedenheiten spielen, auch die histologische Untersuchung noch keineswegs ihre Akten geschlossen.\n(Eingegangen am 4. October 1898.)","page":191}],"identifier":"lit30627","issued":"1899","language":"de","pages":"175-191","startpages":"175","title":"Kritische Bemerkungen zur Farbentheorie","type":"Journal Article","volume":"19"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:41:56.597368+00:00"}