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{"created":"2022-01-31T12:52:00.869885+00:00","id":"lit30630","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"D\u00f6ring, A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 19: 222-224","fulltext":[{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\nD. Meecier. Les origines de la psychologie contemporaine. L\u00f6wen, Inet. sup. de philos. Paris, Alcan, 1897. 486 S.\nDiese Schrift ist in mehrfacher Beziehung nicht ohne Interesse, auch f\u00fcr den Psychophysiker. Zwar der Titel deutet nur auf eine der in ihr ausgef\u00fchrten Gedankenreihen hin, die Ableitung der haupts\u00e4chlichsten psychologischen Standpunkte der neueren Philosophie aus Descartes. Der Yerf. ber\u00fccksichtigt aber bei dieser Ableitung ebenso ausgiebig, wie die psychologischen auch die erkenntnifstheoretischen oder wie er selbst es nennt, die kriteriologischen Standpunkte. An diese Ableitung kn\u00fcpft sich sodann weiter eine Kritik sowohl der DESCARTEs\u2019schen, als der aus dieser hervorgegangenen Psychologien vom Standpunkte des Neuthomismus aus. Wir lernen die gewaltige Ausbreitung des Neuthomismus, seinen psychologischen Standpunkt, sein Bestreben kennen, sich auf allen Gebieten der Forschung durch Assimilirung der modernen Ergebnisse auf die H\u00f6he der Zeit zu erheben, und so auch insbesondere die aristotelisch-thomistische Seelenlehre durch Aufnahme moderner Elemente und speciell der psychophysischen Forschungsmethoden zu verj\u00fcngen. Der Yerf. zeigt auf dem Gebiete der modernen Philosophie und Psychologie eine universelle Orientirtheit, die geradezu in Erstaunen setzt.\nDie Schrift zerf\u00e4llt in acht Capitel. Im ersten wird die Descartes-sche Psychologie dargestellt als \u201eexcessiver\u201c, d. h. die Functionen der Seele ausschliefslich auf die Bewufstseinserscheinungen beschr\u00e4nkender Spiritualismus, neben dem eine mechanistische Anthropologie hergeht. Im zweiten wird aus der spiritualistischen Einseitigkeit bei Descartes der Occasionalismus und \u201eOntologismus\u201c Malebranche\u2019s und der Spino-zismus, so wie der erkenntnifstheoretische Idealismus und Positivismus, beide in ihren verschiedenen Gestaltungen bis zur Gegenwart, sowie aus der mechanistischen Richtung die materialistischen Erscheinungen bis zur Neuzeit hergeleitet. Das dritte Capitel charakterisirt die gegenw\u00e4rtige Psychologie einestheils in dreien ihrer bemerkenswerthesten Vertreter, Herb. Spencer, Fouill\u00e9e und Wundt, anderentheils durch Darlegung ihrer \u00fcbereinstimmenden Z\u00fcge. Als solche gelten dem Yerf. 1. die Beschr\u00e4nkung des Seelischen auf das ins Bewufstsein Fallende; 2. die Ablehnung der Metaphysik (dieser Punkt wird universell, nicht blos in Bezug auf das psychologische Problem, in grofser Ausf\u00fchrlichkeit [S. 224\u2014280] behandelt) ; 3. der experimentelle Betrieb. (An dieser Stelle findet sich ein interessantes statistisches Material \u00fcber die Ausbreitung dieser Studien in den ver-","page":222},{"file":"p0223.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turbericht.\n223\nschiedenen Kulturl\u00e4ndern seit der Gr\u00fcndung des ersten Laboratoriums in Leipzig 1873. Genannt werden die vorhandenen Laboratorien, die hervorragenden Vertreter, die Publikationen und die Congresse. Leider hat derVerf. auch nicht einmal andeutend versucht, diese zwanzigj\u00e4hrige internationale Arbeit nach ihrer mehr innerlichen Seite, nach der Seite der Forschungsmethoden, der untersuchten Probleme, der erreichten Resultate und der sich er\u00f6ffnenden Aussichten zu beurtheilen.\nDas vierte Capitel \u201ePsychologie et anthropologie\u201c stellt die charakteristischen Merkmale der aristotelisch-thomistischen Psychologie auf. Die haupts\u00e4chlichsten derselben sind : Die Psychologie ist Anthropologie, d. h. sie geht nicht ausschliefslich von den Bewufstseinserscheinungen aus, sondern vom ganzen Menschen als einer substantiellen Einheit, gem\u00e4fs der die erste und n\u00e4chste Function der Seele die Organisation des Stoffes ist. Ferner: es giebt \u2014 gegen Descartes \u2014 eine Mehrzahl von der seelischen Substanz realiter verschiedene seelische F\u00e4higkeiten. In den Aeufserungen dieser F\u00e4higkeiten ist nicht die ganze Seele th\u00e4tig; ihre vollst\u00e4ndige Acti-vit\u00e4t wird darin nicht wahrgenommen. Die Capitel 5.\u20147. geben eine ziemlich weitschweifige Kritik des erkenntnifstheoretischen Idealismus, des Mechanismus (dessen beide Grunddogmen sind : Alle Ph\u00e4nomene der k\u00f6rperlichen Welt, vielleicht des Universums \u00fcberhaupt, sind nur Modi der Bewegung; es giebt nur wirkende Ursachen), endlich des Positivismus. Manches von dieser \u201eKritik\u201c war schon in den drei ersten Capiteln vorweggenommen; im Ganzen \u00fcberwiegt hier das erkenntnifstheoretische Interesse \u00fcber das psychologische ; die Auseinandersetzung mit Descartes tritt hier, wie an manchen anderen Stellen der Schrift, immer wieder in den Vordergrund.\nDas achte Capitel endlich (S. 433\u2014496) stellt den Neuthomismus zun\u00e4chst im Allgemeinen nach seiner imposanten Entwickelung in den verschiedenen Culturl\u00e4ndern dar. Mit grofser Hoffnungsfreudigkeit wird ihm als der christlichen Philosophie die Zukunft \u00fcberwiesen. Mit Behagen werden Urtheile auch anders gerichteter Philosophen \u00fcber die geistige Bedeutung des Thomas von Aquino angef\u00fchrt. Der Neuthomismus erscheint nur als ein Specialzug in dem grofsen Gesammtbilde einer sich vollziehenden Erneuerung der mittelalterlich-kirchlichen Cultur. \u201eDepuis un bon quart de si\u00e8cle une renaissance m\u00e9di\u00e9vale s\u2019accuse\u201c (S. 439). Wir haben hier gewissermafsen ein philosophisches Seitenst\u00fcck zum Katholikentage vor uns. Dieser Neuthomismus ist, gem\u00e4fs den ausdr\u00fccklich von Leo XIII. in der Bulle Aeterni patris (1879) ihm ertheilten Directiven, aufnahmebegierig f\u00fcr alle wirklichen Resultate der modernen Wissenschaft, wie er auch aufnahme- und assimilationsf\u00e4hig f\u00fcr dieselben ist. Dies wird nun speciell in Bezug auf die neuthomistische Psychologie mit grofser W\u00e4rme auszuf\u00fchren versucht. Dieselbe erkennt insbesondere der physiologischen Psychologie ohne Einschr\u00e4nkung die \u201eraison d\u2019\u00eatre\u201c zu, was noch eine besondere Illustration durch die \u00fcberraschende Thatsache erh\u00e4lt, dafs an dem \u201eInstitut sup\u00e9rieur de philosophie\u201c in L\u00f6wen der belgische Episcopat einen Cursus und ein Laboratorium f\u00fcr physiologische Psychologie errichtet hat, und zwar in einem Zeitpunkte, wo ganz Frankreich eine derartige Einrichtung noch nicht aufzuweisen hatte (S. 452 f.).","page":223},{"file":"p0224.txt","language":"de","ocr_de":"224\nLiteraturbericht.\nVorstehend konnten nat\u00fcrlich nur einige markante Z\u00fcge aus dem mannigfachen Inhalt des M.\u2019sehen Buches gegeben werden. Das Ganze giebt zu denken, dem Philosophen \u00fcberhaupt und dem Psychologen insbesondere. Gegen\u00fcber einem so energischen und siegesgewissen Vordringen der mittelalterlichen Weltanschauung geht es doch wohl nicht mehr mit der unklaren agnostischen Ablehnung oder zaghaften Zur\u00fcckschiebung und Verdunkelung der principiellen Fragen ; es gilt, sich selbst \u00fcber seine prin-cipielle Stellung klar zu werden und Farbe zu bekennen. A. D\u00f6ring.\nA. Deews. Das Ich als Grundproblem der Metaphysik; eine Einf\u00fchrung in die speculative Philosophie. Freiburg i. B., Mohr, 1897. 322 S.\nDie Philosophie des Unbewufsten, die Metaphysik En. v. Hartmann\u2019s, hat in dem Karlsruher Docenten der Philosophie einen bemerkenswerthen Vertreter gefunden, der in schriftstellerischer Begabung dem Meister gleichzukommen scheint. In dem vorliegenden Buche er\u00f6ffnet Deews einen Feldzug gegen die philosophischen Systeme der Neuzeit, welche auf den von Cabtesius gelegten Grund des cogito ergo sum ihre Weltanschauung auf-bauten, also gegen die sogenannten Idealisten. Ihrer Philosophie des Be-wufsten stellt er als die wahre die Philosophie des Unbewufsten entgegen. Seine Kritik der idealistischen Philosophiesysteme ist \u2014 ich m\u00f6chte dies umsomehr hervorheben, je weniger ich seinen eigenen Aufstellungen zustimmen kann \u2014 eine schneidige und interessante, so dafs sie angelegentlichst dem Leser empfohlen werden kann. Auf die metaphysischen Er\u00f6rterungen des Verf. aber einzugehen, ist diese Zeitschrift nicht der Ort; ich werde mich daher in meiner Besprechung auf das beschr\u00e4nken, was an psychologischen Er\u00f6rterungen das Buch bietet.\nIch lasse also alle metaphysischen Unterstellungen der Philosophie des Unbewufsten bei Seite und frage nur nach der Berechtigung der vom Verf. auf gestellten Behauptungen, in denen Thatsachen des Seelenlebens vorgef\u00fchrt werden. Die Psychologie stellt sich immer auf den Boden, auf welchem Seelisches und Leibliches zweierlei Gegebenes sind, die zu einander in einem bestimmten Verh\u00e4ltnisse stehen und als Innenwelt und Aufsenwelt begriffen werden ; von diesem Boden aus sucht sie das Seelenleben zu verstehen.\nDeews geht nun davon aus, dafs \u201eman die Elemente des Seelenlebens ganz allgemein in solche des Vorstellens, des F\u00fchlens und des Wollens einzutheilen pflegt\u201c, und meint, \u201edafs alle Psychologen darin \u00fcbereinstimmen, dafs die Vorstellungselemente sich letzten Endes auf Empfindungen zur\u00fcckf\u00fchren lassen\u201c. Was er unter \u201eVorstellen\u201c begreift, deckt sich im Ganzen mit dem, was ich in meinem \u201eLehrbuch der allgemeinen Psychologie\u201c die gegenst\u00e4ndliche Bestimmtheit der Seele nenne; aber Drews meint: \u201eDie Empfindung bezieht sich unmittelbar noch nicht auf ein Gegenst\u00e4ndliches, wie die Vorstellung im eigentlichen Sinne; insofern gleicht sie dem Gef\u00fchle, wofern sie nicht gar mit diesem identisch ist; die Empfindung ist das \u201eInsichfinden der Seele\u201c (hoffentlich kein etymologischer Versuch!), in ihr wird sich die letztere ihres eigenen Zustandes als eines qualitativ bestimmten inne; wenn es daher ein psychisches Gebilde giebt, in welchem sich Dasein und Bewufstsein","page":224}],"identifier":"lit30630","issued":"1899","language":"de","pages":"222-224","startpages":"222","title":"D. Mercier: Les origines de la psychologie contemporaine. L\u00f6wen, Inst. sup. de philos. Paris, Alcan, 1897. 486 S.","type":"Journal Article","volume":"19"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:52:00.869890+00:00"}