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{"created":"2022-01-31T12:58:13.291631+00:00","id":"lit30640","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Aars, Kristian B. R.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 19: 241-250","fulltext":[{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die Beziehung zwischen apriorischem Causal-gesetz und der Thatsache der Reizh\u00f6he.\nVon\nKristian B. R. Aars, Dr. phil.\nDas Causalgesetz ist von Hume richtig als empirisches Gesetz betrachtet worden. Andererseits wird die unbeschr\u00e4nkte G\u00fcltigkeit dieses Gesetzes von Hume mit Unrecht als ein Absurdum des Menschenlebens angesehen.\nKant hat das Verdienst, dieses Absurdum wieder in seine logischen und psychologischen Rechte eingesetzt zu haben. Andererseits h\u00e4lt er es in einem nicht richtigen Sinne f\u00fcr ein apriorisches Gesetz, hat es so zur Mystik erhoben, hat das Ph\u00e4nomen des Parallelismus oder der Harmonie zwischen Menschengeist und Weltgeb\u00e4ude erst recht unerkl\u00e4rlich gemacht, und hat die Erkenntnifslehre f\u00fcr lange Zeiten gegen die Psychologie feindlich gestimmt.\nTrotz der psychologischen Forschung unserer Tage gilt bei recht vielen Philosophen das apriorische Causalgesetz noch als ein Glaubensartikel, und zugleich als eine Wunderformel, die der psychologischen Anmaafsung ihre un\u00fcbersteigliche Schranke setzt. Im Folgenden ein Versuch zur psychologischen Beleuchtung der Nothwendigkeit und G\u00fcltigkeit des Causalgesetzes.\nDas Causalgesetz ist in keinem anderen Sinne apriorisch, als wie das Empfindungsmaximum den Reizh\u00f6hen gegen\u00fcber apriorisch ist.\nDie unbeschr\u00e4nkte Anwendung des Causalgesetzes steht nur dann mit seiner empirischen Ableitung im Widerspruch, wenn man von der Thatsache der seelischen Maxima absieht.\nDie G\u00fcltigkeit und Nothwendigkeit des Causalgesetzes ist nur ein Einzelfall der Regel der seelischen Maxima.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XIX.\n16","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242\nKristian B. R. Aars.\nEs kann heutzutage als allgemein von den Anh\u00e4ngern des Apriori zugestanden gelten, dafs unser Causalbewufstsein nicht vor den Erfahrungen einherschreitet, sondern an diesen sich entwickelt. Ebenso kann als zugestanden gelten, dafs die Specialf\u00e4lle des Causalgesetzes, wie \u201ePflanzensamen brauchen Licht und N\u00e4sse\u201c, \u201eWindm\u00fchlen brauchen Wind\u201c u. d. m. nicht apriorische Gesetze sind, sondern empirische Associationen, die freilich meistens zugleich in Abstractionen aufgel\u00f6st sind. Es w\u00fcrde uns zu weit f\u00fchren, wenn wir hier das Problem der Abstraction in Angriff nehmen wollten. Wir setzen dieses Ph\u00e4nomen als von der Psychologie her bekannt voraus. Die eben genannten Specialf\u00e4lle des Causalgesetzes nennen wir empirische Pegeln der Association; wie nun aus diesen das unbeschr\u00e4nkte Causalgesetz als gewagte Hypothese entstehen kann, ist offenbar nur eine Frage der Abstraction von ganz derselben Art wie die nach der Entstehung der empirischen Regeln. Eine Schwierigkeit ganz anderer Art hat man seit Hume darin gefunden, dafs sowohl eine empirische Regel als noch mehr das abstracte Causalgesetz unbeschr\u00e4nkte G\u00fcltigkeit, Nothwendigkeit erhalten kann. Noth-wendigkeit ist ein absoluter Begriff, der aus H\u00e4ufung der Einzelf\u00e4lle, d. h. der relativen Begriffe nicht soll entstehen k\u00f6nnen. Dagegen hat man eine andere Betrachtung zu setzen. Die Nothwendigkeit einer empirischen Regel oder des Causalgesetzes ist nichts Anderes als die Gewifsheit derselben, und diese entsteht sehr leicht aus H\u00e4ufung der Einzelf\u00e4lle. Die menschliche Gewifsheit ist eine absolute Gewifsheit, sobald sie eine maximale geworden ist. Oder mit anderen Worten!: von der menschlich maximalen Gewifsheit kann auch nicht ein einziger Schritt aufw\u00e4rts nach der g\u00f6ttlich absoluten Gewifsheit gemacht werden.\nWir sind endliche Wesen. W\u00e4ren wir dar\u00fcber im Zweifel, gen\u00fcgte die Thatsache der Reizh\u00f6he, um diese Ueberzeugung wieder herzustellen. Ueber ein gewisses Maximum hinaus kann keine Empfindung, also auch keine Vorstellung und kein Gef\u00fchl durch irgend welchen Zusatz gesteigert werden. Wie mit Empfindung, Vorstellung, Gef\u00fchl, so steht es auch mit der Reac-tionsf\u00e4higkeit, mit der Uebung: auch sie erreicht ein Maximum, von wo an sie durch neue Th\u00e4tigkeit nicht mehr gesteigert wird. Dies Gesetz, das f\u00fcr die Intensit\u00e4t der Empfindungen und f\u00fcr die Festigkeit der Reactionsassociationen gilt, mufs auf die Er-","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"Ueb. cl. Beziehung zw. apriorischem Causalgesetzu. cl. Thatsache cl. Reizh\u00f6he. 243\nwartungsassociationen, die in dem Causalgesetze ihren Ausdruck finden, \u00fcbertragen werden k\u00f6nnen. Die Wiederholung eines physischen Nexus erzeugt unter Umst\u00e4nden eine Erwartungsassociation von so grofser Festigkeit, dafs keine weitere Wiederholung die Festigkeit zu steigern vermag.\nSo wird beim Anblick der bewegten Windm\u00fchle die Erwartung, dafs an jenem Orte Wind zu versp\u00fcren sei, mit maximaler Festigkeit associirt. Die Frage, wie es kommen kann, dafs unser Causalgesetz \u201ef\u00fcr alle vern\u00fcnftigen Wesen gilt\u201c, dafs es eine apriorische G\u00fcltigkeit und Nothwendigkeit besitzt, die um unendliche Best\u00e4tigung sich gar nicht k\u00fcmmert, nimmt in der Psychologie eine andere Gestalt an, und kann in folgender Weise formulirt werden: erhalten die allgemeinsten Erwartungen, die in dem abstracten Causalgesetze ihren Ausdruck finden, so h\u00e4ufig Best\u00e4tigung, dafs sie das Maximum der Gewifsheit behaupten k\u00f6nnen ?\nDies ist zun\u00e4chst, aus recht naheliegenden Gr\u00fcnden, anzunehmen. Das Maafs der Festigkeit einer Erwartungsassociation ist ihr Verh\u00e4ltnifs zur \u00e4ufseren Empfindung ; die Empfindung ist ja die Pr\u00fcfung der Erwartung. Wenn mir eine Erwartung eine Thatsache genau so sicher verb\u00fcrgt, wie die schon erlebte Empfindung, dann ist maximale Festigkeit der Erwartungsassociation vorhanden. Dieses Maximum wird selbst in Specialf\u00e4llen, wo T\u00e4uschung vorkommt, leicht erreicht. (Ein Hut h\u00e4ngt in dem Gange; ein \u00e4hnlicher Hut geh\u00f6rt meinem Freunde; mein Freund ist in der Stube; ich gehe im Moment nicht hinein, meine Sicherheit ist aber dieselbe als wenn ich ihn mit Augen gesehen h\u00e4tte ; das Maximum ist schon da.)\nEs ist auffallend, dafs eine maximale Gewifsheit sich so leicht f\u00fcr die Specialerwartungen einstellt, welche doch so sehr vielen T\u00e4uschungen ausgesetzt gewesen sind. Wenn aber Specialerwartungen get\u00e4uscht werden, werden gleichzeitig in den weitaus zahlreichsten F\u00e4llen die allgemeinsten Erwartungen des Causalgesetzes best\u00e4tigt. Die Best\u00e4tigungen des Causalgesetzes sind demnach \u2014 den Best\u00e4tigungen der Specialerwartungen plus dem gr\u00f6fseren Tlieil der F\u00e4lle, wo Specialerwartungen get\u00e4uscht sind. So scheint denn das Causalgesetz nothwendig eine maximale, in gew\u00f6hnlicher Sprache eine absolute Gewifsheit erhalten\n16*\nzu m\u00fcssen.","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244\nKristian B. R. Aars.\nGanz allgemein kann man sagen: je mehr T\u00e4uschungen ein Mensch in betreff einer Specialerwartung erlebt, umsomehr Best\u00e4tigungen mufs er f\u00fcr dieselbe Erwartung erleben, damit im Falle der Wiederholung seine Erwartung wieder eine maximale sei.\nj\u00df\nAuf dem Verh\u00e4ltnisse der Best\u00e4tigungen zu den T\u00e4uschungen,-^, beruht also die Gewifsheit. Wenn man den kleinsten Werth\nj\u00df\ndieses Verh\u00e4ltnisses -^, wobei noch Gewifsheit der Erwartung\nsich behaupten kann, bestimmt, hat man sozusagen den Reizwerth des Erwartungsmaximum. Denken wir uns einen Geist, der in endlicher Zeit die Unendlichkeit begreift, da nimmt dieser\nj\u00df\nkein Gesetz an, bei dem der Werth -^r nicht unendlich ist, und\nT nicht 0 ist. Wir Menschen dagegen k\u00f6nnen im Leben einem\nB\nGesetze volles Zutrauen gehen, selbst wenn der Werth end-\njj\nlieh ist, ja k\u00f6nnen eine gewisse Gr\u00f6fse des von dessen unendlicher Gr\u00f6fse nicht unterscheiden.\nDiese ganz schematische Darstellung gilt nat\u00fcrlich nur den\nB\nTotalwirkungen der Erfahrungen. Der Werth bezeichnet\neben nicht eine ruhende Gr\u00f6fse, sondern eine Summe variabler Erlebnisse. Der Reiz, der eine Erwartung hervorruft, kann von \u00e4ufserst verschiedener Art sein, der Reiz, der eine Erwartung\nB\nzerst\u00f6rt, ebenso. Vor Allem aber giebt ein Gemisch wie , wo\nerbauende und zerst\u00f6rende Reize nach einander Vorkommen, nicht in jedem Moment dasselbe Resultat. Nach jeder Entt\u00e4uschung ist die Festigkeit der betreffenden Erwartungsassociation ganz ersch\u00fcttert, es bildet sich vielleicht eine st\u00e4rkere oder schw\u00e4chere Gegenerwartung, und eine Discussion kann zwischen der Erwartung und Gegenerwartung stattfinden. So lange Erwartung und Gegenerwartung beide existiren, kann keine von beiden das Maximum erreichen. Ja selbst wenn die Gegenerwartung ganz vergessen, verschwunden ist, wird es in der Regel lange dauern, bis die Erwartung wieder ihr Maximum erreicht.\nWenn nun auch die allgemeinsten Erwartungen, die im","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Ueb. d. Beziehung zw. apriorischem Causalgesetzu. d. Thatsache d. Beizh\u00f6he. 245\nCausalgesetze ihren Ausdruck haben, zuweilen get\u00e4uscht werden, wird die Folge davon sein, dafs uns das Causalgesetz nicht immer zuverl\u00e4ssig erscheint, sondern zuweilen recht wenig zuverl\u00e4ssig, zuweilen wieder absolut und nothwendig.\nDiese Schwankung k\u00f6nnte freilich im Momente des Causal-glaubens uns nie hewufst sein; der Causalglaube beruht darauf,\njg\ndafs der Werth maximal erscheint, wobei ja T sich von 0\nnicht merklich unterscheidet, d. h. wo T vergessen ist; w\u00fcrde aber die Schwankung des Causalglaubens in der Erinnerung festgehalten, so k\u00f6nnte der T-Fall auch nicht vergessen werden.\nNun wird man wohl mit Recht annehmen, dafs eine T\u00e4uschung der allgemeinsten Causalerwartungen schwerer vergessen wird, als eine T\u00e4uschung specieller Erwartungsassociationen. Wenn eine Specialerwartung get\u00e4uscht wird, hilft sich das Bewufstsein durch die Gegenerwartung, und wenn dieser Uebergang nicht zu schmerzlich ist, wird er nach hinreichenden R-F\u00e4llen wieder vergessen. Wird aber die ahstracte Causalerwartung get\u00e4uscht, da kann sich keine positive Gegenerwartung darbieten ; man hat wegen des Mangels contr\u00e4rer Gegens\u00e4tze der Erwartungen eine um so lebendigere Empfindung des diametralen Widerspruches. Die Folge dieser Sachlage kann eine doppelte sein. Entweder wirken die T\u00e4uschungen der Causalerwartung so intensiv und andauernd, dafs der Causalglaube schwerlich oder niemals maximale Gewifsheit erreicht, oder es wirkt die maximale (= absolute) Causalerwartung so stark, dafs die T\u00e4uschungen der Causalerwartung nicht als solche zum Bewufstsein kommen k\u00f6nnen. Beides kommt im Leben vor.\nDies ist freilich eine andere Sachlage, als wenn alle vern\u00fcnftigen Wesen apriorische Gewifsheit des Causalgesetzes be-s\u00e4fsen. Nach unserer Auseinandersetzung wird man vielleicht denken, dafs kein vern\u00fcnftiger Mensch jemals Gewifsheit des Causalgesetzes erreichen k\u00f6nne.\nDiese Folgerung w\u00e4re doch wieder \u00fcbereilt. Wir wollen versuchen zu zeigen, dafs die aus der Maximumstheorie fliefsen-den Folgerungen den Thatsachen viel mehr entsprechen, als die aus der apriorischen oder absoluten Theorie abgeleiteten. Erstens erinnern wir daran, dafs selbst wenn die Erinnerung f\u00fcr T\u00e4uschungen sehr gesch\u00e4rft werden kann, sie doch nicht unendlich wird; die untere Grenze der Maximalgewifsheit kann","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246\nKristian B. R. Aars.\nalso fur das abstracte Causalgesetz zwar bedeutend gehoben\n~\u00df\nwerden, dadurch aber nicht der Formel -jy (alias no \u2014 0) gleich\nwerden, wie beim unendlichen Geiste. Selbst wenn ein Mensch die Zweifel am Causalgesetze erlebt, wird er trotzdem bei hinreichend grofsem B zu Zeiten wieder an das Causalgesetz unwiderstehlich glauben m\u00fcssen.\nGegen die apriorische G\u00fcltigkeit des Causalgesetzes f\u00fcr alle vern\u00fcnftigen Wesen f\u00fchren wir gleich hier einige Thatsachen an.\nEs kann nach einer solchen Auffassung Hume kaum zu den vern\u00fcnftigen Wesen geh\u00f6rt haben. Es l\u00e4fst sich ferner sehr gut die Idee des Wachsthums der materiellen Energie oder der geistigen Energie oder gar beider aufstellen und denken. Es giebt viele Menschen, die imBereiche derWillensentschl\u00fcsse an kein Causalgesetz glauben, sondern meinen, dafs sie Entschl\u00fcsse ohne Causalnothwendigkeit fassen. Wollten wir auch diese Leute von den vern\u00fcnftigen Wesen aus-schliefsen, w\u00fcrde unsere Theorie sich recht romantisch gestalten. Endlich giebt es wohl auch Menschen genug, die da meinen, ihre Tr\u00e4ume kommen \u201eohne Ursachen\u201c. Das stimmt alles mit der Maximumstheorie recht gut, mit der apriorischen G\u00fcltigkeit des Gesetzes sehr \u00fcbel.\nImmerhin hat das Causalgesetz in den meisten F\u00e4llen f\u00fcr sehr viele vern\u00fcnftige Menschen, Hume eingeschlossen, eine aufserordentliche G\u00fcltigkeit, ja Gewifsheit. Da sagen nun unsere Gegner, dafs die Erfahrung so schwankend ist, dafs das Gegen-theil dieser Gewifsheit zu erwarten w\u00e4re; der Werth T sei vielleicht geradezu gr\u00f6fser als der Werth B. Dieser Gedanke ist sehr verbreitet und sieht, wenn man an das bunte Spiel der Welt denkt, recht plausibel aus; er w\u00e4re wohl sogar richtig, wenn man meinen d\u00fcrfte, jedes Erlebnifs in der Welt trete in positive oder negative Beziehung zum Causalgesetze; wenn man alle B- und alle T-F\u00e4lle in der Welt als gleichwerthig zusammenz\u00e4hlen d\u00fcrfte; wenn die Festigkeit einer Erwartungsassociation und das Interesse an einer Erwartung ein und dasselbe w\u00e4re. Das ist alles nicht. Interesse an einer Erwartung und Festigkeit einer Erwartungsassociation sind zwei psychophysische Functionen, die nicht von einander in gleichem Sinne abh\u00e4ngig sind. Aus maximaler Festigkeit der Erwartungsassociation braucht kein Interesse an der Erwartung zu erwachsen. Dagegen bestimmt das Interesse an der Erwartung das Gewicht, w7omit die einzelnen","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"Ueb. d. Beziehung zw. apriorischem Causalgesetzu. d. Thatsache d. Reizh\u00f6he. 247\nii-F\u00e4lle und die einzelnen T-F\u00e4lle zum Gesammtwerthe beitragen, und somit den Einflufs der Einzelf\u00e4lle auf die Gewifsheit der Erwartung. W\u00e4re dieses nicht der Fall, so bliebe es unbegreiflich, dafs so viele Specialerwartungen trotz der recht betr\u00e4chtlichen T\u00e4uschungen maximale Gewifsheit behalten. Anh\u00e4nger des Apriori werden uns versichern, dafs dieses eben von dem uns apriorisch innewohnenden Causalgesetze kommt, das die Erfahrung zu bew\u00e4ltigen sucht. Dagegen spricht schon die eine Thatsache, dafs es Menschen giebt, die die Causalit\u00e4t der Willensentschl\u00fcsse (vielleicht auch der Tr\u00e4ume) gar nicht annehmen. Diese Menschen haben also die Noth Wendigkeit des allgemeinen Causalgesetzes aufgegeben, glauben aber an absolute G\u00fcltigkeit einer Specialregel. (\u201eAlle Erscheinungen, die nicht Willensentschl\u00fcsse sind, haben ihre nothwendigen Ursachen.\u201c) Bei diesen Leuten wenigstens kann dann die Gewifsheit der Specialregel nie und nirgends von der Gewifsheit des abstracten Causalgesetzes herr\u00fchren; vielleicht darf man selbst Kaxt als einen solchen Menschen ansehen.\nDie Gewifsheit der Specialregel stammt denn bei solchen Leuten zweifelsohne aus jenen zahllosen F\u00e4llen, wo nach besonderer Wirkung die besondere Ursache entdeckt wird. Wenn wir nun diesen Procefs begreifen wollen, gilt es sich zu erinnern, dafs das Resultat wesentlich auf die mit Interesse verfolgten Erlebnisse beruht; nicht jede Wirkung, die mit ihrer Ursache zusammen erlebt wird, und nicht jede Wirkung, die ohne ihre Ursache erlebt wird, tragen zum Resultate wesentlich bei, sondern die Erlebnisse, die mit Interesse an die Erwartungsassociationen verbunden sind, d. h. die Erlebnisse, wo nach den Ursachen und nach den Wirkungen gefragt wird. T\u00e4uschungen der Causal-erwartung sind denn diejenigen F\u00e4lle, wo nach Ursachen gefragt und geforscht wird, aber keine gefunden werden. Diese sind sehr selten, wenn mit denjenigen verglichen, wo nach Ursachen geforscht und gefragt wird, und solche reichlich gefunden werden. Daher die G\u00fcltigkeit der Specialregel, daher die G\u00fcltigkeit des Causalgesetzes.\nUebrig bleibt die Frage, wie es denn mit den F\u00e4llen steht, wo man nicht nach Ursachen und Wirkungen forschen will, oder nicht nach ihnen forschen kann. Obwohl sie den anderen F\u00e4llen gegen\u00fcber sehr wenig Werth haben, werden sie doch","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248\nKristian B. B. Aars.\nkaum vollst\u00e4ndige Nullwerthe sein, sondern zur G\u00fcltigkeit der Gesetze ihren kleinen positiven oder negativen Beitrag geben.\nNun nehmen wir an, dafs diese F\u00e4lle nur im Sinne der schon vorhandenen Erwartung ihren Beitrag geben. Da die Erwartung: \u201eeine jede besondere Begebenheit hat absolut keine besondere Ursache\u201c niemals maximale Gewifsheit erreicht, k\u00f6nnen alle F\u00e4lle, die im Sinne des Cansalgesetzes ihren Beitrag abgeben, ungehindert wirken, wenn auch nicht stark. Die F\u00e4lle dagegen, die einer schon gewissen Regel zuwiderlaufen, thnn dieser Regel keinen Eintrag; die Regel hat ja nicht allein Lebenskraft, sondern maximale Lebenskraft. W\u00fcrde sie ernstlich bedroht, m\u00fcfste sie demnach nothwendig zur n\u00e4heren Untersuchung treiben. Ist das Interesse nicht grofs genug, um eine Untersuchung zu veranlassen, verschlingt die Regel den ohne Interesse erlebten Einzelfall, nicht umgekehrt. Demnach k\u00f6nnen die ohne Causalinteresse erlebten Empfindungen zwar vorliegende Regeln befestigen, aber nicht vorliegende Regeln entkr\u00e4ften.\nGanz besonders wichtig sind f\u00fcr das Causalgesetz diejenigen dieser F\u00e4lle, wo die Erwartung \u00fcberhaupt keine unmittelbare ist, sondern sich an Bedingungen kn\u00fcpft; ich erwarte in dem fr\u00fcher genannten Beispiel den Freund im Zimmer zu sehen erst nachdem ich selbst hineingegangen bin. Ich erwarte nicht den Wind, der die Fl\u00fcgel der M\u00fchle treibt, zu versp\u00fcren, so lange ich in meiner Stube bleibe. Eine Specialregel, wenn auch von maximaler Festigkeit, besagt h\u00e4ufig nicht, dafs eine Empfindung mit einer anderen direct, sondern durch gewisse Zwischenempfindungen verkn\u00fcpft ist.\nDas Causalgesetz besagt auch nicht, dafs mit jedem Erlebnisse in der Welt das Erleben der Ursachen und Wirkungen direct verkn\u00fcpft sei, sondern dafs das Erleben der Ursachen und Wirkungen unter Voraussetzung von Zwischenempfindungen (Bedingungen) damit verbunden ist. Daraus folgt, dafs ich in zahlreichen F\u00e4llen mich gew\u00f6hne, die Existenz der Ursachen und Wirkungen ruhig anzunehmen, ohne zu verlangen, dafs ich sie erlebe. Ich bleibe dabei, dafs wenn die Bedingungen erf\u00fcllt w\u00fcrden, w\u00fcrde die Ursache resp. Wirkung auch erlebt werden. So wenn ich meine, dafs die M\u00fchle durch Wind getrieben wird.\nDies ist f\u00fcr denjenigen sehr zu beachten, der die Annahme unsichtbarer Ursachen begreifen will. Nach Hume ist die An-","page":248},{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"TJeb. d. Beziehung zw. apriorischem Causalgesetz u. cl. Thatsache d. Reizh\u00f6he. 249\nn\u00e4hme einer unsichtbaren Ursache (einer nie empfundenen Ursache) etwas absurdes, und hat in der Erfahrung keinen Anhalt. Dieses Rathsei scheint den modernen Psychologen weniger erschreckend, schon weil die Erfahrungen der Wirkungen eigener Willensacte einen so grofsen Theil der Causalerfahrungen in der Welt bilden, dafs die Annahme einer unserem Willen analogen Kraft, ob gesehen oder nicht gesehen, dem Causalgesetze gen\u00fcgen kann. Hier soll nur von den nicht gesehenen und unsichtbaren Ursachen besonders gesagt werden, dafs sie nach Analogie der bedingten Causalerwartungen gebildet werden. Man denkt sich in der That hier wie dort eine Ursache, die wegen nicht erf\u00fcllter Bedingungen nicht erlebt wird, aber trotzdem da sein mufs. Eine solche Ursache ist in den Mythologien die eine oder andere Gottheit: wir sehen sie nur deshalb nicht, weil wir sterbliche Menschen sind, d. h. weil die Bedingungen f\u00fcr das Sehen uns fehlen; doch ist die Ursache da und wird genau so wie sichtbare Ursachen durch ein Phantasiegebilde gedacht. Eine solche Ursache ist die potentielle Kraft der fr\u00fcheren Naturforschung. Derjenige, welcher eine ungesehene Ursache aus eigenem Geiste schafft, schreitet also nur den von der Erfahrung angewiesenen Weg; und deshalb schreitet er diesen Weg, weil der Causalglaube schon durch das empirische Material ein Maximum der Gewifsheit erreicht hat.\nDurch den Begriff der unsichtbaren Ursache helfen sich alle diejenigen Menschen, denen das allgemeinste Causalgesetz eine Nothwendigkeit geworden ist, in F\u00e4llen get\u00e4uschter Causal-erwartung, indem wie oben gesagt die T\u00e4uschung der Causal-erwartung nie mehr als solche empfunden wird, sondern statt dessen als ein besiegbares Problem der Causalforschung. (So wenn jetzt viele Leute f\u00fcr ihre Tr\u00e4ume an nothwendige Causation glauben.)\nDie Nothwendigkeit des Causal g esetzes r\u00fchrt also daher, dafs die menschliche Gewifsheit gar leicht ihr Maximum erreicht.\nWer die Thatsache der niedrigen Reizh\u00f6he menschlicher Maximalgewifsheit erkannt hat, wird in dieser Erkenntnifs einen Reiz zum Zweifel an dem Gesetze haben. Es wird ein ganz abnormer Mechanismus des Zweifels bei ihm in Gang gesetzt, der unabh\u00e4ngig von dem nat\u00fcrlichen (,,instinctivenu) Causalglauben seinen Weg schreitet. Freilich, das \u201eapriorische\u201c Causalgesetz","page":249},{"file":"p0250.txt","language":"de","ocr_de":"250\nKristian B. B. Aars.\nverb\u00fcrgt uns nicht im geringsten die Gesetzm\u00e4fsigkeit der \u201eWelt an sich\u201c. Aber auch das aposteriorische Causalgesetz kann sie nicht verb\u00fcrgen. Die Gewifsheit des philosophischen Causal-glaubens ist unersch\u00fctterlich, wie die des gesunden Menschenverstandes. Dem Philosophen ist aber diese Gewifsheit nicht eine g\u00f6ttlich unendliche, sondern eine maximale menschliche. Von diesem philosophischen Standpunkte kann freilich die M\u00f6glichkeit nicht geleugnet werden, dafs Ursachloses in der Welt geschehe.\nWahrscheinlichkeit hat zur Zeit (trotz H\u00fcme und Kant) diese Annahme freilich nicht. Wahrscheinlichkeit w\u00fcrde sie erst erhalten, wenn beobachtete F\u00e4lle thats\u00e4chlich ursachlos zu sein schienen, d. h. wenn zuweilen bei genau gleichen Ursachen verschiedene Wirkungen gesehen w\u00fcrden. Die absolute M\u00f6glichkeit des Ursachslosen leugnen kann aber nur ein unendlicher Geist, der die unendliche Zahl der F\u00e4lle von jedem beliebigen Maximum zu unterscheiden verm\u00f6chte.\nDagegen ist es eine falsche Vorstellung, wenn man meint, dafs Gesetzm\u00e4fsigkeit in einer \u00e4ufseren Welt nicht existiren k\u00f6nne, sondern nur im Geistesleben zu Hause w\u00e4re. Unter Gesetzm\u00e4fsigkeit verstehen wir das Verh\u00e4ltnifs, dafs unter denselben Umst\u00e4nden immer dasselbe geschieht. Ob dies der Fall ist, kann mit unendlicher Gewifsheit nur ein unendlicher Geist entscheiden. Aber absurd ist die Gesetzm\u00e4fsigkeit der Welt schon f\u00fcr Menschen nicht. Es ist aufser Zweifel, dafs unter denselben Umst\u00e4nden dasselbe so oft geschieht, dafs uns maximale menschliche Gewifsheit daraus entsteht. Es ist aber ebenso m\u00f6glich, dafs es noch \u00f6fter geschieht, und es ist nicht ausgeschlossen, dafs es immer geschieht. Diese letztere M\u00f6glichkeit wird uns Gewifsheit, sobald wir uns wieder den normalen Einfl\u00fcssen des Menschenlebens hingeben.\nJedenfalls haben wir Menschen keine Gesetze geschahen; wir haben sie gefunden. Die Welt hat uns Gesetze gezeigt. Diese sind gr\u00f6fser als die, welche sie gefunden haben.\n(.Eingegangen am 20. Octbr. 1898.)","page":250}],"identifier":"lit30640","issued":"1899","language":"de","pages":"241-250","startpages":"241","title":"Ueber die Beziehung zwischen apriorischem Causalgesetz und der Thatsache der Reizh\u00f6he","type":"Journal Article","volume":"19"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T12:58:13.291637+00:00"}