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{"created":"2022-01-31T15:25:24.510094+00:00","id":"lit30641","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Schoute, G. J.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 19: 251-262","fulltext":[{"file":"p0251.txt","language":"de","ocr_de":"Wahrnehmungen mit einem einzelnen Zapfen der\nNetzhaut-.1\nVon\nDl*. G. J. Schoute,\nI. Assistenten an der Universit\u00e4ts-Augenklinik in Leiden.\nWenn man zwei kreisrunde Gegenst\u00e4nde, deren einer doppelt so grofs ist als der andere, in gleicher Entfernung vom Auge betrachtet, erscheint in Uebereinstimmung mit der Wirklichkeit der eine auch doppelt so grofs als der andere, weil dabei im Allgemeinen das eine Netzhautbild sich \u00fcber zwei Mal so viel nebeneinanderliegende Zapfen erstreckt als das andere.\nWas wird aber geschehen, wenn wir uns so weit von den beobachteten Objecten entfernen, dafs nicht nur das Netzhautbild des kleinen sondern auch dasjenige des grofsen auf einem einzigen Zapfen liegt?\nObgleich dann der Unterschied in der Anzahl der gereizten Zapfen aufgehoben ist, bleibt, wie meine Beobachtung zeigt, dennoch der Unterschied in der Gr\u00f6fse der beiden Gegenst\u00e4nde sichtbar, wobei freilich vorausgesetzt werden mufs, dafs die Gegenst\u00e4nde hinreichend beleuchtet sind, was jedoch immer ohne M\u00fche zu erzielen ist.2\nEs giebt sogar nicht nur zwei Gr\u00f6fsen, die man in dieser Weise mit einem Zapfen unterscheiden kann, sondern mindestens acht. Es ist n\u00e4mlich m\u00f6glich \u2014 obgleich mit M\u00fche und erst nach einiger Uebung \u2014 in 20 m Entfernung Gr\u00f6fsenunterschiede\n1\tDie ausf\u00fchrliche Mittheilung der Versuche findet sich in meiner Inaugural-Dissertation: Waarnemingen met een enkelen Netvlieskegel. Leiden 1898.\n2\tZ. B. war mir ein runder Gegenstand von 10,5 mm Durchmesser noch sichtbar in einer Entfernung von 40 m bei einer Beleuchtungsst\u00e4rke von 0,0003 Meterkerzen.","page":251},{"file":"p0252.txt","language":"de","ocr_de":"252\nG. J. Schonte.\nwahrzunehmen zwischen Gegenst\u00e4nden von 1, 1,25, 1,75, 2,5, 3, 3,75, 4,25 und 5 mm Durchmesser.1 2\nWie ist dieses m\u00f6glich, w\u00e4hrend doch das Moment, was uns dabei gew\u00f6hnlich hilft, n\u00e4mlich der Unterschied in der Anzahl der gereizten Zapfen, aufgehoben ist?\nSchon Volkmann 2 hat f\u00fcr diese Thatsache eine Erkl\u00e4rung gegeben :\nWenn man die Gr\u00f6fse eines Uetzhautbildes berechnet, kann man zwar Dimensionen finden, welche kleiner sind als ein Zapfendurchschnitt ; man darf aber dabei nicht vergessen, dafs das menschliche Auge nicht fehlerfrei, sondern in hohem Grade mit Unregelm\u00e4fsigkeiten behaftet ist, wodurch das Bild, das nach der Berechnung auf einem Zapfen liegen m\u00fcfste, sich doch \u00fcber mehrere Zapfen ausbreitet.\nVolkmann glaubt annehmen zu k\u00f6nnen, dafs selbst die kleinsten wahrnehmbaren Gegenst\u00e4nde noch Bilder geben, deren Zerstreuungskreise auf vielen Zapfen liegen und dafs somit der beobachtete Gr\u00f6fsenunterschied auch dabei auf Differenz der Anzahl der gereizten Zapfen zur\u00fcckgef\u00fchrt werden sollte.\nHerr Prof. Koster theilte mir mit, dafs auch Hering der Meinung war, dafs der Gr\u00f6fsenunterschied der Zerstreuungskreise unsere Wahrnehmung in diesen F\u00e4llen leitete.\nMan findet dieselbe Vorstellung auch wohl sonst noch in der Literatur z. B. bei Herrn Dr. Leon Asher, aus dessen Feder, vielleicht etwas voreilig, die Behauptung fliefst, es sei durch die Zerstreuung sogar unm\u00f6glich, ein Bild auf einem Zapfen der Uetzhaut zu bekommen.\nUachdem ich die oben erw\u00e4hnte Beobachtung von acht wahrnehmbaren Gr\u00f6fsenabStufungen gemacht hatte, untersuchte ich, ob bei ungleich stark beleuchteten, aber in der Gr\u00f6fse gleichen Gegenst\u00e4nden, deren Bilder nach der theoretischen Berechnung auch auf einen Zapfen oder einen Theil eines Zapfens fallen, noch Beleuchtungsunterschiede wahrnehmbar w\u00e4ren.\nEs ergab sich, dafs dieses bei nicht zu kleinen Unterschieden der Fall war. Bei manchen Beobachtungsreihen war es mir jedoch m\u00f6glich zu zeigen, dafs bei sehr kleinen Uetzhautbildern Be-\n1\tDer Berechnung der Bildgr\u00f6fse auf der Netzhaut wurde das reducirte Auge zu Grunde gelegt.\n2\tvon Gh\u00e4fe-S\u00e4misch, Handbuch der ges. Augenheilkunde, Theil II, S.576, Leipzig 1876.","page":252},{"file":"p0253.txt","language":"de","ocr_de":"Wahrnehmungen mit einem einzelnen Zapfen der Netzhaut.\n253\nleuchtungsuntersehiede gew\u00f6hnlich als Gr\u00f6fsenunterschiede auf-gefafst wurden.\nMit der Theorie der Zerstreuungskreise ist auch diese That-sache sehr gut vereinbar.\nUm das stark beleuchtete Netzhautbild liegen n\u00e4mlich stark beleuchtete Zerstreuungskreise ; um das schwach beleuchtete Bild nur schwach beleuchtete. Der Aufsenrand dieses schwachen Zerstreuungsbildes erh\u00e4lt so wenig Licht, dafs es keinen wahrnehmbaren Reiz liefert; hei dem stark beleuchteten Bilde dagegen ist noch Licht genug in dem Rande des Zerstreuungsgebietes vorhanden, um die Zapfen merklich zu reizen : hieraus folgt, dafs das Bild des schwach beleuchteten Gegenstandes weniger Zapfen als das Bild des stark beleuchteten Gegenstandes reizt.\nEs ist dieses eine einfache und plausibele Erkl\u00e4rung, die fast allgemein als die richtige angenommen worden ist.\nWenn man nun behaupten will, dafs man alle Gr\u00f6fsenunterschiede, welche man anscheinend mit einem einzigen Zapfen wahrnimmt, thats\u00e4chlich wahrnimmt durch den Unterschied in der Anzahl Zapfen, \u00fcber welche sich die Zerstreuungskreise ausbreiten, so mufs man freilich voraussetzen, dafs hei dem gr\u00f6fsten Gegenst\u00e4nde, welcher scheinbar noch mit einem Zapfen gesehen wird, die Zerstreuungskreise sehr grofs sind.\nWie grofs diese werden k\u00f6nnen, ist bis jetzt nicht genau f\u00fcr alle Momente zu berechnen, aber z. B. allein durch die Chromasie des Auges wird ein Bild, dafs nach theoretischer Berechnung nur 4,4 p sein sollte (ein Zapfendurchmesser) schon 50 tl gr\u00f6fser. Man wird einsehen, dafs solche Dimensionen gen\u00fcgen, um die Gr\u00f6fsenwahrnehmung beeinflussen zu k\u00f6nnen ; es ist daher \u00fcberfl\u00fcssig, noch mehr Momente und Zahlen herbeizuziehen. 1\n1 Nach den Untersuchungen von Koster (Ned. Tydschrift voor Genees-kunde 1895 II Nr. 8 und: Archives d'Ophthalmologie Tome XV p. 428: Etudes sur les c\u00f4nes et les b\u00e2tonnets dans la r\u00e9gion de la fovea centralis de la r\u00e9tine chez l\u2019homme) meine ich berechtigt zu sein, den Zapfendurchmesser auf 4,4 g zu setzen.\nAufser der Chromasie habe ich bei meinen Experimenten als Ursachen der Zerstreuung immer den Mangel an Aplanasie und die ungenaue Augeneinstellung ber\u00fccksichtigt. Die Diffraction des Lichtes am Rande der Iris und durch den faserigen Bau der Linse kann unbeachtet bleiben, weil sie, wie vox Helmholtz gezeigt hat (Physiol. Optik 2. Aufl. S. 180) nur bei sehr","page":253},{"file":"p0254.txt","language":"de","ocr_de":"254\n\u25a0 G. J. Schoute.\nImmerhin ist doch nicht zu vergessen, dafs man bei solchen Rechnungen nicht die ganze Ausdehnung der Zerstreuungskreise, sondern nur denjenigen Theil zu beachten hat, welcher hell genug ist, um die Zapfen merklich z.u reizen.\nMan kann den Einflufs der Zerstreuung sehr beschr\u00e4nken, indem man mit monochromatischem Lichte experimentirt oder ein Diaphragma mit sehr kleiner Oeffnung z. B. von 0,1 mm Durchmesser benutzt.\nNachdem ich mit diesen beiden H\u00fclfsmitteln dieselben Beobachtungen wiederholt hatte, war mir der vorausgesetzte Einflufs der Zerstreuung sehr zweifelhaft geworden.\nIch will das aber Alles auf sich beruhen lassen, und werde nun zeigen, wie ich entschied, dafs die betrachteten Gegenst\u00e4nde wirklich, trotz der Zerstreuung, Bilder erzeugten, deren wahrnehmbarer Theil auf einem Zapfen lag. Ich rufe noch einmal die Thatsache ins Ged\u00e4chtnifs zur\u00fcck, dafs ich bei den Gegenst\u00e4nden, deren Bilder, ohne Ber\u00fccksichtigung der Zerstreuung berechnet, kleiner als ein Zapfendurchschnitt sein sollten, noch wenigstens acht verschiedene Gr\u00f6fsen unterscheiden konnte. Ich will mich bei der folgenden Beweisf\u00fchrung auf die Anzahl vier beschr\u00e4nken.\nWenn ich die Wahrnehmbarkeit jener vier verschiedenen Gr\u00f6fsen mittels der von Volkmanx und Anderen aufgestellte Theorie erkl\u00e4ren will, so ist folgende Betrachtung nothwendig :\nEs w\u00e4re m\u00f6glich, dafs das kleinste der vier Bilder, mit Inbegriff der Zerstreuungskreise, auf einem Zapfen l\u00e4ge.\nDann mlifste das zweite auf einem Zapfen und wenigstens einem Kranz Zapfen um diesen herum liegen.\nDas dritte auf einem Zapfen und wenigstens zwei Kr\u00e4nzen Zapfen um diesen herum, und das Gr\u00f6fste auf einem Zapfen und wenigstens drei Kr\u00e4nzen Zapfen um diesen herum.\nIn dieser Art w\u00fcrde ein Urtheil \u00fcber die Gr\u00f6fse durch Wahrnehmung der Ausdehnung des Netzhautbildes m\u00f6glich werden.\nKleiner als hier vorausgesetzt ist, kann das wahrnehmbare Zerstreuungsgebiet der verschiedenen Bilder nicht sein, denn wenn das der Fall w\u00e4re, w\u00fcrden wir schon Bilder haben, welche\nintensiven Lichtquellen in Betracht kommt. Ich habe aber Sorge getragen, meine Beobachtungen immer so anzustellen, dafs sie auf jedwelch.es zerstreute Licht, wie auch entstanden, anwendbar sind.","page":254},{"file":"p0255.txt","language":"de","ocr_de":"Wahrnehmungen mit einem einzelnen Zapfen der Netzhaut. 255\nauf derselben Anzahl Zapfen l\u00e4gen und dennoch ungleich grofs erschienen.\nIch machte nun einen Ring von Gegenst\u00e4nden, welche alle so grofs waren als der gr\u00f6fste der eben besprochenen Vier. Nach der genannten Voraussetzung \u00fcber die Ausdehnung der Zerstreuung w\u00fcrde jeder dieser Gegenst\u00e4nde auf der Netzhaut eine Fl\u00e4che mit einem Radius von 3,5 Zapfen beleuchten.\nDer Durchmesser des Ringes und die Entfernung des Beobachters waren derart gew\u00e4hlt, dafs zwischen je zwei Bildern,\nwelche auf demselben Durchmesser des Ringes lagen, wenn man die Zerstreuung aufser Rechnung l\u00e4fst, nur drei ungereizte Zapfen liegen konnten. Nebenstehende Figur zeigt die Anordnung der Bilder auf der Netzhaut ohne die etwaigen Zerstreuungskreise.\nMan mufs dann annehmen, dais die wahrnehmbaren Theile der Zerstreuungskreise \u00fcber einander fallen d. h., dafs innerhalb des Ringbildes kein einziger ungereizter Zapfen mehr liegt. Das braucht uns aber nicht zu hindern, immer einen Ring zu sehen, denn dazu ist \u00fcberhaupt nur noting, dafs die im Innern liegenden Zapfen mit geringerer Intensit\u00e4t gereizt werden.\nIch fertigte vier dergleichen Ringe an und stellte in die Mitte eines jeden von ihnen einen der vier Gegenst\u00e4nde, welche ich ohne diesen umgebenden Ring als verschieden grofs hatte wahrnehmen k\u00f6nnen. Es zeigte sich dabei, dafs auch unter diesen Umst\u00e4nden derselbe Gr\u00f6fsenunterschied wahrnehmbar war.\nHieraus geht hervor, dafs Volkmann\u2019s Erkl\u00e4rung nicht richtig sein kann.\nDenn die Zerstreuungskreise der leuchtenden Fl\u00e4chen des Ringes mischen sich nun ganz mit jenen inneren Bildchen und also w\u00fcrden wir jetzt nicht mehr \u00fcber die Gr\u00f6fse der innerhalb des Ringes gestellten Gegenst\u00e4nde urtheilen k\u00f6nnen.\nDafs wir es wohl k\u00f6nnen, beweist, dafs wir bei diesen kleinen Gegenst\u00e4nden also nicht, wie im Allgemeinen bei der Gr\u00f6fsenwahrnehmung, unser Urtheil bilden aus der Ausdehnung des Netzhauteindruckes (und zwar in Zusammenhang","page":255},{"file":"p0256.txt","language":"de","ocr_de":"256\nG. J. Schonte.\nmit unserem Urtheil \u00fcber die Entfernung, in welcher der Gegenstand sich befindet), sondern dafs ein ganz anderes Moment hier unser Gr\u00f6fsenurtheil bestimmt.\nDenn wollte man bei der Auffassung Volkmann\u2019s beharren, so w\u00fcrde man zu der absurden Meinung kommen, dafs der Zapfen wahrnehmen k\u00f6nnte, ob ein oder zwei Bilder \u00fcber ihn irradiiren ; und welcher Theil des Lichtes von dem einen Gegenstand k\u00e4me und welcher vom anderen.\nEs mufs also bei Betrachtung des gr\u00f6fsten der vier innerhalb der Ringe befindlichen Bilder dieses vom Bilde des Ringes noch durch einen Kranz weniger gereizter Zapfen getrennt sein, m. a. W. es kann sogar das gr\u00f6fste der vier Bilder, sa mint dem wahrnehmbaren Theil der Zerstreuungskreise h\u00f6chstens so grofs sein als ein Zapfendurchschnitt.\nBei dieser Beweisf\u00fchrung war die Ausdehnung der vier Bilder mit ihren Zerstreuungskreisen so klein wie m\u00f6glich gew\u00e4hlt\nW\u00e4hlt man die Radien der Zerstreuungskreise gr\u00f6fser als hier gethan, so wird Alles was innerhalb des Ringes liegt noch st\u00e4rker gereizt und immer fallen doch auch die Zerstreuungskreise der Mittelbilder auf bereits beleuchtete Partien der Netzhaut, weil der Ring zusammengesetzt ist aus Gegenst\u00e4nden, welche so grofs sind als der gr\u00f6fste der vier Mittelgegenst\u00e4nde, und weil die Bilder jenes Ringes Zerstreuungskreise haben, welche sich weiter ausdehnen als die Zerstreuungskreise des im Inneren des Ringes aufgestellten Gegenstandes.\nDer Beweis ist also in allen F\u00e4llen g\u00fcltig, wie grofs auch immer die Zerstreuungskreise sein m\u00f6gen.\nEs macht daher auch gar nichts aus, durch welche Momente das Licht im Auge zerstreut wird, oder in wie grofsem Maafse dies geschieht.\nIn gleicher Weise zeigte sich, dafs die Zerstreuungskreise keinen Einflufs \u00fcben bei Gegenst\u00e4nden, welche gleich grofs aber verschieden stark beleuchtet sind, und welche uns jetzt durch diesen Beleuchtungsunterschied ungleich grofs erscheinen.\nDas Ph\u00e4nomen \u00e4nderte sich n\u00e4mlich nicht, wenn ich die gleich grofsen ungleich stark beleuchteten Gegenst\u00e4nde in die oben beschriebenen Ringe stellte : unter diesen Umst\u00e4nden mufs, theoretisch gesprochen, jedes der Bilder auf einem Zapfen liegen, und, wie wir gerade bewiesen haben, ist das auch wirklich der Fall; dann kann auch in diesen F\u00e4llen die Wahrnehmung der","page":256},{"file":"p0257.txt","language":"de","ocr_de":"Wahrnehmungen mit einem einzelnen Zapfen der Netzhaut.\n257\nGr\u00f6fsenunterschiede nicht dadurch verursacht werden, dafs der wahrnehmbare Theil der Zerstreuungskreise sich bei einem stark beleuchteten Bilde \u00fcber mehr Zapfen ausdehne als bei einem schwach beleuchteten.\nAuf eine eigenth\u00fcmliche Erscheinung mufs ich hier noch aufmerksam machen : Wenn der Gegenstand innerhalb des Ringes kleiner erscheint, sehen wir den Abstand zwischen diesen Beiden nicht gr\u00f6fser werden, sondern gleich bleiben: die ganze Figur mufs uns also etwas kleiner scheinen. Dies war auch wohl zu erwarten, da wir wissen, dafs bei abnehmender Beleuchtung die Sehsch\u00e4rfe nicht zunimmt, sondern dieselbe bleibt oder abnimmt, wenn eine gewisse Stufe \u00fcberschritten wird.\nIch habe diese Erscheinung auch noch studirt an drei in einer Reihe auf gestellten kreisrunden Gegenst\u00e4nden, deren Bilder gleich einem Zapfendurchschnitt waren und welche so weit von einander entfernt waren, dafs zwischen je zwei gereizten Zapfen ein ungereizter lag. Eine solche Linie erscheint uns stark beleuchtet viel gr\u00f6fser als schwach beleuchtet ; die einzelnen Gegenst\u00e4nde erscheinen uns bei beiden Linien aneinander liegend, die Zwischenr\u00e4ume sind also in beiden Linien scheinbar gerade gleich Null, Irradiationseinflufs ist also auch hier auszuschliefsen.\nIch stellte diese Untersuchungen erst an mit beleuchteten Gegenst\u00e4nden auf dunklem Hintergrund und dann mit schwarzen Objecten auf hellem Felde.\nBei Beiden mit demselben Ergebnisse.1\nBei meinen Versuchen, die Erscheinungen zu erkl\u00e4ren, ber\u00fccksichtigte ich die unwillk\u00fcrlichen kleinen Bewegungen, welche man bei jedem Fixiren mit Kopf und Auge macht; dadurch n\u00e4mlich w\u00e4re es m\u00f6glich, dafs die Ausdehnung der Zerstreuungskreise Einflufs \u00fcbte, trotzdem ihr wahrnehmbarer Theil auf einer gleichen Anzahl Zapfen resp. auf einem Zapfen l\u00e4ge.\nWenn ein stark beleuchtetes Bild ein gr\u00f6fseres wahrnehmbares Zerstreuungsgebiet hat als ein ebenso grofses Bild, das weniger stark beleuchtet ist, und wenn jedes der beiden Bilder\n1 Zur Darstellung der Ersteren machte ich kreisrunde Oeffnungen in mattem, schwarzem Carton, \u00fcberzog diese mit Seidenpapier und beobachtete das Ganze mit durchfallendem Lichte ; die Letzteren bekam ich, indem ich einen innen matt schwarz angestrichenen Kasten mit einem weifsen Deckel schlofs, in dem kreisrunde Oeffnungen gebohrt waren. Der Deckel wurde dann bei auffallendem Lichte betrachtet.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XIX.\n17","page":257},{"file":"p0258.txt","language":"de","ocr_de":"258\nG. J. Schonte.\nauf einem Zapfen liegt, wird durch die kleinen Bewegungen, welche man beim Fixiren mit Kopf und Auge macht, das gr\u00f6fsere Bild eher den benachbarten Zapfen in Reizung setzen als das kleinere.\nDieser Unterschied in der Zeit oder in der Ausdehnung der zu dieser neuen Reizung erforderlichen Bewegungen k\u00f6nnte ein Urtheil \u00fcber Gr\u00f6fse geben.\nDafs wir aber hierin nicht das urtheilbedingende Moment zu suchen haben, wird bewiesen durch folgenden Versuch.\nEine gewisse Lichtmenge vertheile man auf einen Ring, der gerade noch auf einem Zapfen Platz finden kann; bei der geringsten Bewegung von Kopf oder Auge wird dann dieses Bild auch einen benachbarten Zapfen erregen. Eine gleiche Lichtmenge vertheile man auf einen Kreis von gleicher Oberfl\u00e4che als der Ring (dessen Bild dann auch dieselbe Lichtst\u00e4rke wie der Ring hat); dieses Bild wird sich, weil es kleineren Durchmesser als das Bild des Ringes hat, noch einigermaafsen hin und her schieben k\u00f6nnen, ohne einen benachbarten Zapfen zu erregen.\nWenn nun die kleinen Bewegungen von uns zum Urtheilen benutzt w\u00fcrden, m\u00fcfste der Ring gr\u00f6fser erscheinen als der Kreis. Sie erscheinen uns aber gleich grofs, womit bewiesen ist, dafs dieses Moment nicht benutzt werden kann.\nEin falsches Urtheil \u00fcber die Entfernung, worin sich die betrachteten Gegenst\u00e4nde befanden, ist auch nicht mit im Spiele.\nWir kommen also zu folgendem Schl\u00fcsse :\nEs hat sich gezeigt, dafs wir bei der Beurtheilung der Gr\u00f6fse von Gegenst\u00e4nden, deren Bilder theoretisch berechnet auf einem Zapfen liegen, nicht mehr eine gr\u00f6fsere oder kleinere Ausdehnung des Netzhautbildes benutzen; \u00fcberdies hat sich gezeigt, dafs keine einzige physikalische Erkl\u00e4rung hier in Anwendung zu bringen ist. Weil aufserdem gezeigt worden ist, dafs Unterschiede der Lichtintensit\u00e4t bei diesen kleinen Gegenst\u00e4nden den Eindruck machen von Gr\u00f6fsenunterschieden, so d\u00fcrfen wir eine psychologische Erkl\u00e4rung annehmen und zwar diese :\nWenn ein einzelner Zapfen gereizt wird, wird unser Urtheil \u00fcber die Gr\u00f6fse des Gegenstandes, von welchem das Licht herkommt, bestimmt durch die Lichtmenge.\nEine starke Reizung macht den Eindruck, es sei ein grofser Gegenstand da; eine schwache Reizung den Eindruck eines kleineren.","page":258},{"file":"p0259.txt","language":"de","ocr_de":"Wahrnehmungen mit einem einzelnen Zapfen der Netzhaut.\n259\nWird der Unterschied in Reizst\u00e4rke verursacht durch Gr\u00f6fsen-unterschied der Gegenst\u00e4nde, so ist unser Urtheil zuf\u00e4lliger Weise richtig; wird aber jener Unterschied verursacht durch Unterschied in objectiver Lichtintensit\u00e4t der Gegenst\u00e4nde, so ist unser Urtheil falsch.\nWir beurtheilen hierbei nat\u00fcrlich nicht die absoluten Lichtquantit\u00e4ten, welche den einzelnen Zapfen erreichen, sondern den Reizunterschied zwischen diesem und den umgebenden Zapfen. Wenn dieser Unterschied grofs ist, sehen wir einen gr\u00f6fseren Gegenstand; w^enn er klein ist, so sehen wir einen kleineren. Wir sehen einen leuchtenden Punkt oder einen dunklen, je nachdem der Zapfen st\u00e4rker oder schw\u00e4cher als seine Umgebung erregt wird. Ob das Licht \u00fcber einen kleineren oder \u00fcber einen gr\u00f6fseren Theil jenes Zapfens ausgebreitet liegt, macht f\u00fcr unsere Wahrnehmung gar nichts aus.\nWenn wir also zwei Gegenst\u00e4nde haben, deren einer doppelt so grofs ist als der andere, und wenn beide gleich stark beleuchtet sind, bekommen wir, wenn jedes der Bilder auf einen Zapfen f\u00e4llt, den Eindruck von zwei Lichtmengen, deren eine doppelt so grofs ist als die andere.\nDen n\u00e4mlichen Eindruck bekommen wir, wenn wir zwei Gegenst\u00e4nde betrachten, von welchen zwei gleich grofse Bilder auf je einem Zapfen entworfen werden, von denen aber der eine doppelt so stark beleuchtet ist als der andere.\nIn beiden F\u00e4llen glauben wir zwei runde Gegenst\u00e4nde zu sehen, welche gleich stark beleuchtet sind und deren einer zweimal so grofs ist als der andere.\nAuch die Form der Gegenst\u00e4nde macht gar nichts aus; sie kann von der einfachsten bis zu der verwickeltsten wechseln, die Wahrnehmung bleibt immer dieselbe.\nMan k\u00f6nnte sich wundern, dafs ein Unterschied in der St\u00e4rke eines Lichtreizes durch unser Urtheil als Unterschied in der Ausdehnung gedeutet wird.\nDie folgende Ueherlegung scheint mir dar\u00fcber einige Aufkl\u00e4rung zu geben : Gr\u00f6fsenunterschiede fehlen fast bei keiner Wahrnehmung; bei den einfachsten Betrachtungen handelt es sich fast immer um die Wahrnehmung von Dimensionen.\nBeleuchtungsunterschiede dagegen treten viel weniger in den\nVordergrund, und wenn sie bei einer Wahrnehmung nicht ganz\naufser Betracht bleiben, so haben wir in unserem tagt\u00e4glichen\n17*","page":259},{"file":"p0260.txt","language":"de","ocr_de":"260\nG. J. Schonte.\n-Leben doch viel weniger damit zn schaffen als mit der Be-nrtheilnng von Gr\u00f6fsenunterschieden.\nWir sind dadurch geneigt, eine zweimal st\u00e4rkere Empfindung als von einem zweimal gr\u00f6fseren Gegenst\u00e4nde herkommend zu deuten.\nIn \u00e4hnlicher Weise w\u00e4re es zu erkl\u00e4ren, dafs uns alle Gegenst\u00e4nde, deren Bilder auf einem Zapfen liegen, rund erscheinen: das Urtheil breitet n\u00e4mlich die Lichtmenge \u00fcber die einfachste Fl\u00e4che d. h. \u00fcber einen Kreis aus.\nDie Hauptsache dieser Betrachtungen kann man zusammenfassen in dem Satze :\nBei Bildern, die auf einem Zapfen liegen, kommt nur das Product aus Oberfl\u00e4che und Lichtst\u00e4rke f\u00fcr den Gr\u00f6fseneindruck in Betracht.\nIn einer italienischen Publication1, welche mir leider im Original nicht vorliegt, giebt A. Ricio denselben Satz mit der -Beschr\u00e4nkung: \u201eauf der Grenze des Wahrnehmbaren\u201c, womit genannter Autor meint : bei Bildern, die h\u00f6chstens auf ungef\u00e4hr zwei Zapfen liegen.\nIch kann die Behauptung Ricio \u2019s nach meinen Experimenten v\u00f6llig best\u00e4tigen; ich habe versucht, ob die W\u00f6rter \u201eauf der Grenze des Wahrnehmbaren\u201c durch eine etwas genauere Definition zu ersetzen w\u00e4re, doch habe ich darauf verzichtet, denn wenn die Netzhautbilder gr\u00f6fser sind als zwei Zapfen, ist es mir deutlich, dafs ich mein Urtheil bilde aus der Ausdehnung des Netzhautbildes; dagegen wenn sie kleiner sind als ein Zapfen zweifelsohne aus der Lichtmenge ; wenn sie aber zwischen ein und zwei Zapfen grofs sind, ist mein Urtheil schwankend, so dafs ich nicht mit Gewifsheit sagen kann, ob ich dann die Gr\u00f6fse nach der Lichtmenge oder nach der Ausdehnung des Bildes be-urtheile.\nIndem bei beleuchteten Bildern auf schwarzem Grunde die Gr\u00f6fse beurtheilt wird nach der Lichtmenge, welche den Zapfen trifft, wird bei schwarzen Bildern auf beleuchtetem Grunde die Gr\u00f6fse beurtheilt nach der Lichtmenge, welche auf den Zapfen weniger f\u00e4llt als auf die Umgebung.\nDadurch scheint von zwei gleich grofsen Gegenst\u00e4nden der st\u00e4rkst beleuchtete am gr\u00f6fsten, wenn der Grund dunkler ist als\n1 Kelazione fra il minimo angolo visuale e l\u2019intensit\u00e0 lmninosa, An-nali d\u2019 Ottalmologia Anno VI Fase. III, 1877.","page":260},{"file":"p0261.txt","language":"de","ocr_de":"Wahrnehmungen mit einem einzelnen Zapfen der Netzhaut.\n261\njene zwei; und der schw\u00e4chst beleuchtete am gr\u00f6fsten, wenn der Grund heller ist als jene zwei Gegenst\u00e4nde.\nMit einigen Worten m\u00f6chte ich noch die Wichtigkeit dieser Wahrnehmungen betonen.\nHauptsache ist, dafs hier die Rede ist von Erscheinungen, welche mit H\u00fclfe des Urtheils erkl\u00e4rt werden m\u00fcssen. Wir betreten damit das Gebiet der von Helmholtz sogenannten un-bewufsten Schl\u00fcsse, denen Hering und seine Sch\u00fcler hartn\u00e4ckig das Recht zum Dasein verweigert.1 Ich glaube bewiesen zu haben, dafs wir in einzelnen F\u00e4llen bei der Betrachtung von gewissen Helligkeiten und Gr\u00f6fsen wesentlich den sogenannten F\u00e4lschungen des Urtheils ausgesetzt sind.\nSehr starke Beleuchtung ist bei meinen Erw\u00e4gungen stets aufser Betracht geblieben, denn dafs dabei das zerstreute Licht zur Wahrnehmung kommt, kann von Niemand angezweifelt werden : ich brauche nur als Beispiel an das Lichtbild zu erinnern, das wir von der Sonne bekommen, oder von strahlenden Sternen, bei welchen auf den im Dunklen sehr empfindlichen Netzhautelementen in der Umgebung des getroffenen Zapfens gerade das zerstreute Licht dem Bilde das sternartige Ansehen verleiht.\nWas zum Schl\u00fcsse die oben citirte Arbeit von Dr. Leon Asher betrifft, so gr\u00fcnden sich die darin verzeichneten Ergebnisse auf Versuchen von Volkmann 2, welche sp\u00e4ter von Aubert wiederholt worden sind und wobei letztgenannter Autor selber den Beweis liefert, dafs die Schl\u00fcsse Volkmann\u2019s auf die wirkliche Gr\u00f6fse der Netzhautbilder illusorisch sind.3\nDas Wesentliche dieser Versuche ist, dafs ein Gegenstand von 2 mm Breite betrachtet wird durch einen Makroskop, das einen willk\u00fcrlichen Grad von Verkleinerung gestattet. Es zeigte sich, dafs bei allen Graden der Verkleinerung das Bild doch immer gleich grofs erschien ; hieraus wurde der Schlufs gezogen : es giebt eine untere Grenze f\u00fcr die Dimensionen eines wahr-\n1\tVergleiche z. B. : E. Hering, Zur Lehre vom Lichtsinne S. 8 und 10; und L. Asher, Zeitschrift f\u00fcr Biologie XXXV, S. 400.\n2\tVolkmann. Physiologische Untersuchungen im Gebiete der Optik 1863 und 1864.\n3\tvon Gr\u00e4fe-S\u00e4misch. Handbuch der gesammten Augenheilkunde. Leipzig 1876. Th. II, S. 583.","page":261},{"file":"p0262.txt","language":"de","ocr_de":"262\nG. J. Schonte.\nnehmbaren Netzhautbildes; es ist nicht m\u00f6glich ein kleineres Netzhautbild als yon 1 bis 2 Zapfendurchschnitten zu erzeugen.\nWas aber macht der Makroskop?\nWeil immer derselbe Gegenstand mit derselben Beleuchtung beobachtet wurde, vertheilte man mit dem Makroskop immer genau dieselbe Lichtmenge \u00fcber abwechselnd gr\u00f6fsere oder kleinere Theile der Netzhaut und zwar hei den Asher\u2019sehen Versuchsreihen \u00fcber einen oder zwei Zapfen.\nDafs also der Gegenstand immer gleich grofs erschien, wie sehr auch die Verkleinerung sich \u00e4nderte, ist eine logische Folgerung aus den in den vorliegenden Seiten niedergelegten Beobachtungen, wobei sich zeigte, dafs in dergleichen F\u00e4llen nur das Product aus Oberfl\u00e4che und Lichtst\u00e4rke entscheidend ist f\u00fcr die Wahrnehmung.\nEs beweist keineswegs, wie Asher will, dals es unm\u00f6glich ist, ein Bild auf einem Zapfen zu entwerfen.\nIm Gegentheil meine ich bewiesen zu haben, dafs es gar keine M\u00fche erheischt, ein Bild auf einem Zapfen zu bekommen.\nDoch freue ich mich dem genannten Autor nachr\u00fchmen zu k\u00f6nnen, dafs auch er schliefslich zu dem Ergebnisse kommt, dafs bei sehr kleinen Netzhautbildern die Gr\u00f6fsenwalirnehmung von der Lichtmenge abh\u00e4ngig ist, was gewifs beweist, wie ob-jectiv er seine Untersuchungen ausgef\u00fchrt hat.\nHerrn Prof. Koster will ich an dieser Stelle f\u00fcr die Ueber-lassung dieser Untersuchungen und das rege Interesse, welches er mir bei der Abfassung dieser Arbeit stets zu Theil werden liefs, meinen ergebensten Dank sagen.\n{Eingegangen im Juli 1898.)","page":262}],"identifier":"lit30641","issued":"1899","language":"de","pages":"251-262","startpages":"251","title":"Wahrnehmungen mit einem einzelnen Zapfen der Netzhaut","type":"Journal Article","volume":"19"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:25:24.510100+00:00"}