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{"created":"2022-01-31T13:06:26.246871+00:00","id":"lit30644","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 19: 296-297","fulltext":[{"file":"p0296.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\nSiKORSKi. Quelques traits de la psychologie des Slaves. Rev. philos. Bd. 45 Nr. 6, S. 625\u2014635. 1898.\nDie vorliegende Abhandlung bietet einen Beitrag zur V\u00f6lkerpsychologie. Die Anthropologie zeigt, mit welcher Beharrlichkeit die physischen Eigenschaften einer Race oder eines Stammes, z. B. die Farbe der Haut, des Haars, der Augen, die Form und die Dimensionen des Sch\u00e4dels, sich Jahrhunderte hindurch erhalten. Dasselbe ist auch in Bezug auf die moralischen Eigenschaften der Fall. Verf. sucht dies f\u00fcr die Slaven nachzuweisen.\nDie Entwickelung der Grundz\u00fcge des slavischen Geistes ist besonders von der Beschaffenheit der \u00e4ufseren Natur beeinflufst worden. Die rauhe und arme Natur veranlafste die Slaven, sich in sich selbst zu verschliefsen und dort erhebende Eindr\u00fccke zu suchen. Die Producte der russischen Maler zeugen von der Tiefe ihrer psychologischen Motive. Also die Entwickelung des Innenlebens geh\u00f6rt zu den Grundz\u00fcgen. \u2014 Die Eigenschaften des slavischen Temperaments wurzeln in dem Triebe nach der Erhaltung des Lebens, wie derselbe sich in einem moralischen Leben offenbart. Verf. hat die Russen mit den \u00fcbrigen V\u00f6lkern Europas in Bezug auf die Zahl der j\u00e4hrlich vorkommenden Selbstmorde, Verurtheilungen wegen Mordes, wegen Diebstahls, wegen Verbrechen gegen die Sittlichkeit verglichen und gefunden, dafs die Russen hierbei die geringsten Procents\u00e4tze liefern. Das moralische Streben erfordert einen gewissen Aufwand von physiologischer Kraft und dem Sammeln dieser Kraft kommen die vielen Feste zu Gute. \u2014 Die harte physische und moralische Arbeit, welche die Slaven bew\u00e4ltigen, hat die Entwickelung bestimmter typischer Charakterz\u00fcge zur Folge gehabt: des Tr\u00fcbsinns, der Geduld und Seelengr\u00f6fse. Das russische Volk neigt zur Melancholie. Dieselbe f\u00fchrt jedoch weder zum Pessimismus, noch zur Verzweiflung, noch zum Selbstmord, sondern zu grofsen Dingen. Vor Allem regt sie zu Betrachtungen \u00fcber das Schicksal und die Ereignisse an und sichert auf diese Weise das moralische Gleichgewicht. Was den zweiten Zug der Slaven, ihre Geduld, betrifft, so ist dieselbe auf das Zur\u00fcckdr\u00e4ngen des physischen und moralischen Leidens gerichtet. Sie bildet eine gute moralische Gymnastik. Die Frucht dieser Uebung besteht in der Beherrschung des eigenen Ich, in der Unterdr\u00fcckung der Unruhe im eigenen Innern und in der Herbeif\u00fchrung des inneren Friedens. So ist","page":296},{"file":"p0297.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turberich t.\n297\ndas verh\u00e4ltnifsm\u00e4fsig seltene Vorkommen des Selbstmords bei den Slaven erkl\u00e4rlich. Der anziehendste Zug der slavischen Race aber ist ihr Idealismus, welcher in einer feinen Sensibilit\u00e4t wurzelt. Die slavische Sensibilit\u00e4t ist jedoch frei von Sentimentalit\u00e4t, sie ist tief und stark. Diese Eigenschaft, verbunden mit der Friedensliebe und Aufrichtigkeit der Slaven, hat als Basis gedient f\u00fcr die Principien der Familie. Die feine Sensibilit\u00e4t l\u00e4fst die Slaven auch die Dinge auf ihren wahren Werth hin erkennen, und sie h\u00e4lt den Glauben an eine bessere Zukunft aufrecht. Die Entwickelung der Gef\u00fchle der Humanit\u00e4t macht die Slaven unparteiisch, tolerant in nationaler und religi\u00f6ser Hinsicht. Die Israeliten f\u00fchlen sich daher in Rufsland wohl, die V\u00f6lker Finnlands und Asiens haben sich mit den Russen vereinigt. Zu den typischen Z\u00fcgen der Slaven geh\u00f6rt endlich die Unentschiedenheit und Willensschw\u00e4che. Verf. bezeichnet dies als eine Art Klugheit, welche die Grenzen \u00fcberschreitet. S. prophezeit dem russischen Volke auf Grund der angef\u00fchrten Eigenschaften eine grofse Zukunft.\nAnkn\u00fcpfend an diese Schlufsbemerkung erlaube ich mir, auf die Bienenfabel von Mendeville hinzuwTeisen. Ein Volk, welches einen grofsen Theil seiner Kraft im Kampfe mit ung\u00fcnstigen Natur Verh\u00e4ltnissen vergeuden mufs und einen anderen Theil seiner Kraft zu moralischen K\u00e4mpfen verwendet, wird niemals in intellectueller Beziehung etwas Bedeutendes leisten k\u00f6nnen.\tGiessler (Erfurt).\nE. Tardieu. Psychologie du malade. Lev. philos. Bd. 45, Nr. 6, S. 561\u2014593. 1898.\nW\u00e4hrend die gesunden Menschen bis ins Unendliche differiren, werden die Kranken immer mehr einander \u00e4hnlich, die Individualit\u00e4ten gehen durch Krankheit verloren. Krankheit bezeichnet eine Vereinfachung des Individuums, die R\u00fcckkehr zum Amorphen, wodurch es der Psychologie m\u00f6glich wird, den Typus des Kranken festzustellen. Es liegt daher auch keine Veranlassung vor, vom Standpunkte der Psychologie aus Kategorien von Krankheiten aufzustellen, denn welches auch der Sitz der Krankheit ist, mag es sich um Magenkrankheit, Zuckerruhr, Schwindsucht, Nierenkrankheit u. s. w. handeln, immer wiederholen sich dieselben Merkzeichen. Die chronische Krankheit ver\u00e4ndert das Denken, die Lebensauffassung, den sprachlichen Ausdruck, den Charakter, die Pers\u00f6nlichkeit. Die Kranken kennen sich nicht wieder, eine neue Pers\u00f6nlichkeit entsteht in ihnen. Nur eine radikale Ver\u00e4nderung des Charakters vermag die Krankheit nicht zu bewirken.\nDas erste Kapitel schildert den Verfall des Kranken in ausf\u00fchrlichster Weise. Ref. verzichtet darauf, die umfassenden und mit grofser Feinheit ausgef\u00fchrten Schilderungen des Krankheitsbildes im Auszuge wiederzugeben. Sie w\u00fcrden dadurch zu sehr an Sch\u00f6nheit verlieren. Das zweite Capitel setzt das Krankheitsbild im Gegensatz zum Bilde des gesunden Menschen, wie er fr\u00fcher war: Der Kranke ist jetzt ganz K\u00f6rper, sein Be-wufstsein ist erf\u00fcllt von den biologischen Operationen, welche fr\u00fcher un-bewufst vor sich gingen. Seine sich zersetzenden Gewebe erlangen eine ungeheuere Sensibilit\u00e4t. Fr\u00fcher waren ihm alle Speisen, Getr\u00e4nke, der","page":297}],"identifier":"lit30644","issued":"1899","language":"de","pages":"296-297","startpages":"296","title":"Sikorski: Quelques traits de la psychologie des Slaves. Rev. philos. 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