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{"created":"2022-01-31T13:00:05.812837+00:00","id":"lit30658","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 19: 310-311","fulltext":[{"file":"p0310.txt","language":"de","ocr_de":"310\nLiteraturbericht.\nWorte ankn\u00fcpft. \u2014 Alles znsammengenommen, der scharfe Blick, die umsichtige Aufmerksamkeit und das ungew\u00f6hnliche Ged\u00e4chtnifs, sowie die Combinationsgabe, theils nat\u00fcrliche, theils k\u00fcnstlich durch festen Willen gepflegte Anlagen, bef\u00e4higten D. in hohem Grade zur Ausf\u00fchrung der vom Publikum verlangten Kunstst\u00fccke des Gedankenlesens.\nDas Kunstst\u00fcck besteht gew\u00f6hnlich in der Aufgabe, eine irgendwo versteckte Nadel aufzusuchen, die gefundene einer gewissen Person anzuheften, oder damit einen Buchstaben auf der bestimmten Seite eines Buches zu bezeichnen u. dergl. m.\nEs geschieht indefs nur mit H\u00fclfe einer Mittelsperson, die der K\u00fcnstler an der Hand ergreift und mit sich auf die Suche herumf\u00fchrt. D. ist in der Wahl dieser Mittelsperson sehr bed\u00e4chtig, da von ihr das Gelingen des Versuches a b h \u00e4 n g t.\nIndem er die Physiognomie der ihn umgebenden Gesellschaft mustert, ersp\u00e4ht sein psychologischer Scharfblick die f\u00fcr seinen Zweck geeignetsten Personen, die er \u00fcberdies zuvor pr\u00fcft, indem er aus der Art ihres H\u00e4ndedruckes sich eine Art von \u201eMuskelvocabular\u201c zusammenstellt, aus dem er die Richtung seines zu nehmenden Weges erkennt, das Ja oder Nein, die N\u00e4he oder Entfernung vom Ziele.\nDanach und aus ihrem Gang, Athemholen, ihren Blicken unterscheidet er die guten von den schlechten Sujets. Als letztere erscheinen ihm die zerstreuten, deren Muskeln gar nichts sagen, dann die absichtlich schweigsamen, die ihn zu t\u00e4uschen suchen (insbesondere Aerzte) und die hochgradig nerv\u00f6sen. Gute Sujets sind die willig folgsamen, die im Gelingen des Experimentes eine Ehre sehen, und gewissermaafsen von dem F\u00fchrer suggestionirt sind. Uebrigens spielt bei dem ganzen Vorgang auch die erwartungsvolle Stimmung des Publikums mit, die sich in Ausrufungen des Beifalls oder des Gegentheils Luft macht und dem Suchenden damit auf die Spur hilft. Die ganze Sache, die vorzugsweise in England als Willing game in erlesenen Kreisen betrieben wird, ist also wirklich nur ein Spiel, das auf der physiologischen Thatsache beruht, wonach jede Wahrnehmung und Gem\u00fcthsbewegung von Muskelbewegung, in diesem Falle von den feinsten, und unter gew\u00f6hnlichen Umst\u00e4nden kaum wahrnehmbaren Bewegungen begleitet sind. Freilich geh\u00f6rt, um diese zu deuten und die Gedanken der Wilier zu errathen, eine bis ans Krankhafte grenzende Feinf\u00fchligkeit dazu, wrie sie D. nebst anderen Gaben besitzt. \u2014 Ihm selbst wie den Verff. ist es zu danken, dafs alles Mystische des Gegenstandes, von dem sogar ernsthafte Forscher seinerzeit sich t\u00e4uschen liefsen, eine Erkl\u00e4rung gefunden hat.\tFraenkel.\nR. de la Grasserie. La cat\u00e9gorie psychologique de la classification, r\u00e9v\u00e9l\u00e9e par le langage. Rev. philos. B. 45, Nr. 6, S. 594\u2014624. 1898.\nVerf. bezeichnet als das Ziel der Classification, dafs jedes Ding in einer Weise placirt wird, dafs wir schon daraus seine Definition, Beziehungen, Grenzen, Aehnlichkeiten und Un\u00e4hnlichkeiten mit allen anderen Dingen erkennen. K\u00fcnstliche Classificationen gehen dieser wahren genealogischen oder causativen voraus. Die vorliegende Abhandlung will an der Hand der Sprache den classifieirenden Instinkt erkennen.","page":310},{"file":"p0311.txt","language":"de","ocr_de":"Li teraturberich t.\n311\nZu dem Ende werden unter Heranziehung einer grofsen Anzahl von Sprachen im ersten Capitel concrete d. h. auf das Individuelle bez\u00fcgliche, im zweiten Capitel abstracte Classificationen behandelt. Bei Letzteren ergiebt sich, dafs den ersten Eintheilungsgrund merkw\u00fcrdigerweise nicht das Sexuelle, sondern der Unterschied zwischen Lebendem und Leblosem bildet. Bewegung ist also das Entscheidende, als grofser Transformationsfactor der Natur, welcher sich in W\u00e4rme, Licht, chemische Action verwandelt. Die Objecte ohne Bewegung k\u00f6nnen nicht handeln, sondern nur leiden, woher es auch kommt, dafs im Lateinischen der Aecusativ mit dem Neutrum identisch ist. Andere Classificationen unterschieden den Menschen von Allem, was nicht Mensch ist oder den Mann von allem Uebrigen oder die vern\u00fcnftigen Wesen von den unvern\u00fcnftigen. Ein weiterer Eintheilungsgrund war der der Intensit\u00e4t, wie derselbe in gewissen Sprachen als Com parativ, Diminutiv, Augmentativ bei Adjectiven und Substantiven vorkommt. Ferner wurden graduelle Unterschiede gemacht, der des St\u00e4rkeren und Schw\u00e4cheren, des Niederen und H\u00f6heren. Zuletzt erscheinen sexuelle Unterschiede. Allen diesen Eintheilungen liegt die Idee der Superiorit\u00e4t und Inferiorit\u00e4t zu Grunde. Verf. bezeichnet die genannten Classificationen als die vitalistische, hoministische, virilistische, rationalistische, mas-culinisehe, intensivistische, gradualistische, sexualistische. Letztere wurde vom Menschlichen auf das S\u00e4chliche \u00fcbertragen. Der Geist entdeckte Analogien, welche gewissen Objecten eine Superiorit\u00e4t, einen m\u00e4nnlichen Charakter zu verleihen schienen. In gewissen Sprachen trifft man neoen der sexualistischen noch die vitalistische Classification an z. B. in der Gestalt der Interrogativa quis, quid. Die letztgenannten beiden Eintheilungen haben \u00fcberhaupt unter Allen die gr\u00f6fste Rolle gespielt. Aufser diesen einfachen Classificationen giebt es aber noch zusammengesetzte d. h. solche, in denen sich mehrere einfache h\u00e4ufen.\nZum Schlufs stellt sich Verf. die Frage, wie weit die Zahl einen Ein-flufs auf die Bestimmung des Geschlechts aus\u00fcben kann. In einigen Sprachen tritt n\u00e4mlich das Geschlechtliche erst im Plural zu Tage. Die vom Verf. auf diese Frage gegebene Antwort (S. 623) erscheint mir etwas unverst\u00e4ndlich. Ich gebe daher die Antwort in folgender Form wieder: Der Grund ist vielleicht darin zu suchen, dafs jene Worte, welche im Singular kein Geschlecht zeigen, einer Periode der concreten Classification entstammen, wo das betreffende Individuum oder Ding noch individuell von allem Anderen unterschieden wurde, w\u00e4hrend man erst in einer sp\u00e4teren Periode, welche mehr Aehnlichkeiten wahrzunehmen gelernt hatte, den Plural des betreffenden Wortes bildete. In dieser Periode schwang man sich aber zugleich zur sexuellen Classification des Wortes empor. So wurde Beides mit einander verbunden.\nDie fleifsige Arbeit bietet eine Reihe interessanter psychologischer Aufschl\u00fcsse, unter Anderem auch \u00fcber die Entstehung des Z\u00e4hlens.\nGiesslee (Erfurt).","page":311}],"identifier":"lit30658","issued":"1899","language":"de","pages":"310-311","startpages":"310","title":"R. de la Grasserie: La cat\u00e9gorie psychologique de la classification, r\u00e9v\u00e9l\u00e9e par le langage. Rev. philos. B. 45, Nr. 6, S. 594-624. 1898","type":"Journal Article","volume":"19"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:00:05.812843+00:00"}