Open Access
{"created":"2022-01-31T14:41:34.008249+00:00","id":"lit30687","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Wreschner, Arthur","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 19: 335-336","fulltext":[{"file":"p0335.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turberi ch t.\n335\nDies d\u00fcrften die Leits\u00e4tze des vorliegenden Buches sein. Seit es eine Philosophie giebt, hat man sich bem\u00fcht, alle R\u00e4thsel der Welt durch eine einzige, allumfassende Formel zu l\u00f6sen. Und in der That, eine Sehnsucht nach Einheit, die Ahnung eines einheitlichen Welt- und Erkenntnifsgrundes durchzieht den Geist jedes philosophischen Denkers. Aber Schwierigkeiten th\u00fcrmen sich diesem Streben entgegen, vor Allem ist das Denken selbst, seiner Natur nach, zergliedernd, zerlegend, abstrahirend. Es herrscht nur, indem es trennt. Und zu den entscheidenden Trennungen wird es durch wichtige Gr\u00fcnde gef\u00fchrt. Will man daher Materie und Geist, Kraft und Stoff, Ich und Aufsenwelt \u2014 oder wie immer man die Grundgegens\u00e4tze sonst formuliren mag \u2014 in einer h\u00f6heren Einheit aufl\u00f6sen, so mufs man vor Allem die Gr\u00fcnde der Entgegensetzung durchdacht und durchdrungen haben. Herrische Behauptungen f\u00fchren so wenig zum Ziel, als verwischendes Gleichsetzen .aller Begriffe. Das zweite, ein Mangel an Sch\u00e4rfe und Klarheit, ist der Hauptfehler des lebendig geschriebenen Buches. So bleibt schon der Titel unklar. Im Sinne der deutschen Philosophie ist der Standpunkt des Verf. ein naiv realistischer. Nur wenn man jede nicht materialistische Auffassung \u201eIdealismus\u201c nennt, kommt diese Bezeichnung dem vorgetragenen Systeme zu. Wie in der Auffassung des Wortes \u201eIdealismus\u201c, so zeigt sich auch sonst \u00fcberall im Buche ein gr\u00fcndliches Unverst\u00e4ndnifs gegen\u00fcber der Erkenntnifstheorie. So wird S. 14 von einer \u201eepistemological psychology\u201c gesprochen, die annimmt, dafs das Erkennen (knowledge) oder Bewufstsein im Allgemeinen ein besonderer Zustand des Selbst ist und daher nur aus sich selbst heraus erkl\u00e4rt werden darf.\nWenn eine Unkenntnifs der erkenntnifstheoretischen Problemstellungen leider noch weit verbreitet ist, so sollte man doch wenigstens ein leidlich logisches Denken von einem Manne erwarten, der philosophische B\u00fccher zu schreiben vorgiebt. Aber \u2014 um nur ein Beispiel zu geben \u2014 S. 159 wird davon geredet, dafs Materie und Geist, ebenso wie Raum und Zeit, nur je eine Abstraction f\u00fcr etwas an dem anderen Wesentliches ist. Also: Materie ist eine Abstraction f\u00fcr etwas am Geiste Wesentliches \u2014 und Geist wiederum ist eine Abstraction f\u00fcr etwras an der Materie (also an einer Abstraction des Geistes) Wesentliches. Man denke nicht, dafs dies vereinzelt bleibt, nur ist die Ausdrucksweise meist so wenig pr\u00e4cis, dafs der logische Widersinn erst durch genauere Analyse klargelegt werden k\u00f6nnte.\nDiese unklare, saloppe Art des Denkens verdirbt dem Leser auch die Freude an manchem guten Einfall, manchem Ausdruck tieferen Erlebens, der sich zweifellos in dem Buche findet. J. Cohn (Freiburg i. B.).\nL. Dugas. Analyse psychologique de l\u2019id\u00e9e de devoir. Rev. philos. 44 (10). 390\u2014412. 1897.\nDer Begriff der \u201ePflicht\u201c, welcher sich mit dem der Regel deckt, liegt allen Moral-Theorien zu Grunde. Selbst der Hedonist erstrebt vor Allem die Disposition, die Freuden des Lebens geniefsen zu k\u00f6nnen, handelt nach einem von den augenblicklichen sinnlichen Reizen unabh\u00e4ngigen Instinkte und bleibt sich und seinen Principien treu. \u2014 Geradezu wesentlich aber ist der Begriff der \u201ePflicht\u201c dem Utilitaris-","page":335},{"file":"p0336.txt","language":"de","ocr_de":"336\nLiteraturbericht.\nmus, selbst in der Form des Egoismus. Denn der Egoist folgt nur seiner Vernunft, nicht seinen Neigungen, geniefst seine Klugheit und Pers\u00f6nlichkeit, nicht deren Erfolge und Fr\u00fcchte. Dieses sucht Verf. durch einen sehr eingehenden Vergleich mit dem Geiz halse zu erweisen. Auch dieser will die Vortheile des Reichthums nur in der Idee geniefsen, und folgt einer Gewohnheit, einem nat\u00fcrlichen Automatismus, einer Leidenschaft, die, wie jede Leidenschaft, ihre Existenzbedingungen in sich tr\u00e4gt und von den augenblicklichen Reizen unabh\u00e4ngig ist. Eine solche Gewohnheit charakterisirt aber die Tugend, so dafs dem Geizhalse nur ein besseres Ziel fehlt, um den Anforderungen der Moral zu gen\u00fcgen. Dies schliefst allerdings nicht aus, dafs man sich des Ursprungs der Gewohnheit bewufst wird und sich die Frische der Gef\u00fchle und die Lust am Vergn\u00fcgen bei aller Herrschaft \u00fcber dieselben bewahrt. \u2014 Neben dieser negativen, die Gef\u00fchle einschr\u00e4nkenden Pflicht, giebt es aber auch eine positive. Sie ist dem Altruismus eigen. Hier ersetzt die Pflicht und Gewohnheit den Mangel an sympathischen Gef\u00fchlen, die dem Einen \u00fcberhaupt fehlen, bei dem Anderen fl\u00fcchtig, zuf\u00e4llig und nicht immer in dem n\u00f6thigen Grade wach sind. Auf diese Weise werden die einzelnen Gef\u00fchlsregungen vermittels des Willens und Verstandes gleichsam generalisirt und die Eindr\u00fccke des Augenblicks verlieren wiederum ihren bestimmten Einflufs, andererseits aber werden die Gef\u00fchle hierdurch nur erg\u00e4nzt, verst\u00e4rkt und dauer haft, nicht ausgeschlossen. Weder der Mysticismus, noch der Intellectualis-mus sind berechtigt. \u2014 Auf Grund dieser Ausf\u00fchrungen kommt Verf. zu dem Ergebnisse, dafs die \u201ePflicht\u201c aus den Gef\u00fchlen stammt, also empirischen Ursprunges ist und nichts Anderes bedeutet, als das Gesetz, dem die Gef\u00fchle folgen m\u00fcssen, um unter der Leitung der Vernunft zu ihrem Ziele zu gelangen ; die \u201ereine\u201c Pflicht ist etwas ausschliefslich Formales und Kant\u2019s Lehre ist f\u00fcr die Moral das N\u00e4mliche, was die Logik f\u00fcr die Wissenschaft ist. Aber auch der Hedonismus sowohl wie der Stoi-cismus krankt an einer einseitigen und mangelhaften Auffassung der \u201ePflicht\u201c. Die moralischen Regeln m\u00fcssen sich m\u00f6glichst vollkommen an die zusammengesetzte menschliche Natur anpassen, und die Vernunft mufs immer neue Formen f\u00fcr das moralische Ideal finden.\nAll\u2019 diese Ausf\u00fchrungen stehen und fallen mit dem jedenfalls nicht angriffsfreien Satze, dafs \u201eMoral\u201c die Herrschaft der Vernunft \u00fcber die Sinne ist. Indes selbst von diesem rationalistischen Standpunkte aus d\u00fcrfte die gegebene Analyse trotz der vielfach sehr treffenden Bemerkungen nicht ersch\u00f6pfend sein; der Begriff der \u201ePflicht\u201c ist doch sowohl der Ent-ztehung als den Folgen und Wirkungen nach ein complicirteres Ph\u00e4nomen, als der Verf. annimmt. Dies geht schon aus den einfachsten allt\u00e4glichen Erfahrungen hervor, insbesondere aber aus den recht gezwungenen Erkl\u00e4rungsversuchen, zu denen Verf. bei dem Hedonismus und Egoismus seine Zuflucht nehmen mufs.\tArthur Wreschner (Giefsen).","page":336}],"identifier":"lit30687","issued":"1899","language":"de","pages":"335-336","startpages":"335","title":"L. Dugas: Analyse psychologique de l'id\u00e9e de devoir. Rev. philos. 44 (10). 390-412. 1897","type":"Journal Article","volume":"19"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:41:34.008254+00:00"}