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{"created":"2022-01-31T13:16:31.867574+00:00","id":"lit30692","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Exner, Sigm.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 20: 34-36","fulltext":[{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\nJ. von Kries. Ueber die materiellen Grundlagen der Bevufstaeliserscheiniingei.\nProgramm zur Feier des Geburtsfestes \u00ab. K\u00f6n. Hoh, des Grofsherzogs Friedrich. Freiburg i. B., 1888, 71 S.\nNach der Besprechung der verschiedenen Wege* die zur Auffindung der materiellen Grundlagen von psychischen Vorg\u00e4ngen oder zur Vertiefung der Erkenntnifs von Gehirnfunctionen eingeschlagen worden sind, und der gegen die Erfolg\u00a9 derselben gerichteten Bedenken sagt Verf. zum Schl\u00fcsse der vorliegenden Rectoratsrede :\n\u201eNur das wire zu beklagen, wenn die Bem\u00fchungen der Forscher von diesen Problemen \u00fcberhaupt abgelenkt w\u00fcrden, sei es durch die optimistische Auffassung, da.Cs hier nichts mehr zu suchen sei, sei es durch die pessimistische, dafs hier vorderhand nichts gefunden werden k\u00f6nne.\u201c Schon von diesem Gesichtspunkte aus, den jeder f\u00fcr die seelischen Erscheinungen sich interessirende Naturforscher als berechtigt anerkennen wird, ist die scharfsinnige Rede auf das Freudigste zu begr\u00fcfsen. Regt sie doch mannigfaltig zum erneuten Nachdenken \u00fcber die unserer Psyche zun\u00e4chst liegenden Probleme der Physiologie an, indem sie Kritik \u00fcbt und neue Gedanken in. das Ge woge der Meinungen wirft. Da wir uns grofsentheile im Bereich\u00a9 von Hypothesen, bewegen und nicht so sehr Erkl\u00e4rungen, als M\u00f6glichkeiten von Erkl\u00e4rungen zu finden trachten, so wird die Kritik auf das Mildeste ge\u00fcbt, und die eigenen Anschauungen mit gr\u00f6fster .Zur\u00fcckhaltung dargelegt.\nIndem Verf. die aus der Anatomie und Physiologie des Nerven-syst\u00e8mes gewonnenen Lehren als Erkl\u00e4rungsprincipe f\u00fcr die psychischen Erscheinungen bespricht, findet er in gewissen physiologischen Thatsachen die Correlate zu psychischen (Erregung oder 'Th\u00e4tigkeit im Gegens\u00e4tze zur Ruhe; Leitung) und untersucht eingehender das \u201eLeitungsprincip oder di\u00a9 Leitungslehre\u201c, die in neuerer Zeit bei der Erkl\u00e4rung psychischer Erscheinungen eine hervorragende Rolle spielt. Sie scheint gut mit den Ph\u00e4nomenen der Association zu stimmen, und ihre Erg\u00e4nzung oder Erweiterung durch die Lehre von der Hemmung und Bahnung, somit von der physiologischen \u201eVer\u00e4nderlichkeit der Zusammenh\u00e4nge\u201c im Centralnervensysteme reichen Aufschlufs zu. versprechen. Ist doch, die Ver\u00e4nderlichkeit f\u00fcr das psychische Geschehen, ganz besonders charakteristisch.\nWenn sich aber auch, in der angedeuteten Richtung manche Hoffnungen eines Verst\u00e4ndnisses er\u00f6ffnet haben, so erscheint es doch sehr","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"LUeraturberich t\n35\nfraglich, ob die Principien dieser Art ausreichen, di\u00a9 Erkl\u00e4rbarkeit der psychischen Vorg\u00e4nge m\u00f6glich erscheinen zu lassen. Die Schwierigkeiten, die sich hier entgegenstellen, systematisch zu er\u00f6rtern, w\u00fcrde in dem Rahmen des Vortrages nicht m\u00f6glich sein, weshalb Verf. es vorzieht, die Frage nur an einer Anzahl herausgegriffener Probleme zu pr\u00fcfen. Schon bei dem erw\u00e4hnten, anscheinend g\u00fcnstigen Fall, der Association, stofse man auf Schwierigkeiten. Wenn der Name eines gesehenen Objectes erlernt werden soll, so geschieht es in der Regel, indem beide Sinneseindr\u00fccke n\u00e4herungsweise gleichzeitig wirken. Der erste (akustische) Eindruck gelangt in den Schl\u00e4felappen, der zweite (optische) in den Occipitallappen. \u2014 \u201eWo ist denn nun jene \u201e\u201eBahn\u201c\u201c, auf deren zunehmender Wegsamkeit die Ausbildung unserer associativen Verkn\u00fcpfung beruhen soll? Kein Zweifel: das Princip erl\u00e4utert wohl die Verst\u00e4rkung und Befestigung einer bereits bestehenden Verkn\u00fcpfung; ist es erst so weit, dafs bei dem optischen Eindruck der Name uns einf\u00e4llt (wenn auch vielleicht noch schwierig und unsicher), so ist die Grundlage gegeben, auf der sich unser Princip bedeutungsvoll erweist. Aber f\u00fcr den eigentlichen Anfang, wo jeder der zu associirenden Sinneseindr\u00fccke durch seine Pforte ins Gehirn eindringt, ist es unzul\u00e4nglich.\u201c Der Vorgang mache eher den Eindruck, als w\u00fcrden die beiden Erregungen in ein neutrales Terrain eintreten und jeder in demselben gewissen Gesammtzustand veranlassen. Die Coexistenz zweier solcher Gesammtzust\u00e4nde stelle den Zusammenhang beider Eindr\u00fccke her.\nHiermit verwandt sind die Verh\u00e4ltnisse bei \u201eden Complexen\u201c. Wie soll nach dem Leitungsprincip der Eindruck eines Winkels entstehen, da doch die Linien, die ihn bilden, nur eine Anzahl einzelner Gesichtseindr\u00fccke bewirken, oder wie soll der Eindruck einer Rose, eines Pferdes auf diese Weise zu Stande kommen ? Auch hier kann es sich nicht um \u201edie Summe einzelner Fortleitungen\u201c handeln. Eine besondere Schwierigkeit aber stellt sich der Leitungstheorie in jenen Associationen entgegen, bei denen die zeitliche Folge maafsgebend ist. Ein Rhythmus, eine Melodie wird dem Ge-d\u00e4chtnifs \u00a9ingepr\u00e4gt; auch das, was Verf. die \u201eGeneralisation\u201c nennt, das Wachrufen ein und desselben Bewufstseinsvorganges durch verschiedenartige Sinneseindr\u00fccke erwecke Bedenken gegen das Erkl\u00e4rungsprincip. Eine Rose, ein Pferd erwecke nach der Stellung des Beschauers, nach Beleuchtung etc. verschiedene Sinneseindr\u00fccke, und doch solle der centrale Vorgang immer derselbe sein. Es wird dann auf die Wahrnehmung von Formen \u00fcberhaupt eingegangen, und von der Unzul\u00e4nglichkeit gehandelt, dieselben durch die \u201eBewegungsantriebe\u201c f\u00fcr das Muskelsystem zu erkl\u00e4ren. Auch Bewegungen selbst, wie die einge\u00fcbten geordneten Bewegungs-saccessionen bieten Schwierigkeiten, so dafs den Auffassungen Mach\u2019s \u00fcber die Rolle der Muskelgef\u00fchle nicht beigepflichtet wird. Das bezieht sich insbesondere auch auf die oben genannten Probleme von der Wahrnehmung von Formen und Richtungen. Von dem Postulat, dafs jedem Psychischen ein Physisches entsprechen m\u00fcsse, sagt der Verf.: \u201eMir scheint nun, dafs von allen Axiomen und Principien keines bedenklicher, keines gr\u00f6lseren Mifsverst\u00e4ndnissen ausgesetzt ist, als dieser Satz. Sollte er nichts Anderes sein als eine Umschreibung des sogen. Parallelprincips, so w\u00fcrde er weder\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36\nLiteratur bericht.\nab neu. noch mb besondere fmchtbmr gelten k\u00f6nnen, und das Gewicht, da\u00ae auf ihn gelegt wird, nicht verdienen. Wenn er dagegen besagen soll, dafs Allem, was wir psychologisch ab etwas Einheitliches herausheben k\u00f6nnen. Jedem Verhftltnifs, jeder Form, kur* Allem, was wir ab eine Allgemein-Vorstellung bezeichnen k\u00f6nnen, ein bestimmtes Element, ein Bestandtheil des physiologischen Geschehens, entsprechen mufs, so kann, glaub\u00a9 ich, dies\u00a9: Formulirung nur ab 'bedenklich und irref\u00fchrend bezeichnet werden.\u201c .Es wird diese Anschauung wesentlich begr\u00fcndet durch das Verhalten der Allgemein Vorstellungen, deren selbstst\u00e4ndige Natur und Einheitlichkeit her-vorgehoben wird, gegen\u00fcber der Auffassung, nach welcher sie durch eine Art Abstraction, durch Forti.as8u.ng des Verschiedenen ans einer Anzahl von Einzelgebilden 'und Zusammenfassung des diesen Gemeinsamen entstehen. Nachdem auch noch von der Bildung des Urtheib gehandelt wurde, kommt Verf. zu dem, Schl\u00fcsse, dafs \u201edie Vorg\u00e4nge des Central-nervensystems sich nur zum Theil in der vom. Leitungsprincip angenommenen Weise auffassen und verstehen, lassen, zu einem anderen 'Theil aber, wenn auch vorderhand nur dunkel und. andeutungsweise, ganz andere Arten des Geschehens verrathen.\u201c Was f\u00fcr Arten des. Geschehens das sein k\u00f6nnten, wagt Verf. nur anzudeuten. Es geschieht abermals an der Hand eines Beispiele\u00ab, und zwar indem nach der m\u00f6glichen centralen Repr\u00e4sentanz des optischen Eindruckes eines Pferdes gefragt wird. Sie werde in einem Complex von functioneil gleichwertigen, in einem. Rindenfelde gelegenen Zellen zu finden sein. Diese Zellen w\u00e4ren durch vorhergehende Eindr\u00fccke heim Anblick eines Pferdes in ihren Eigenschaften mod.ifi.cirt worden, es w\u00e4re im Leben eine \u201eDifferenzirung\u201c von Zellen erworben, und wenn dieselben durch ihre Forts\u00e4tze weitverbreitete Verbindungen besitzen, von denen ihr jeweiliger Th\u00e4tigkeitszustand abh\u00e4ngig ist, so k\u00f6nnte ihnen \u201edie Function einer verallgemeinernden Aufbewahrung optischer Bilder\u201c zufallen. \u201eIn Zellen, die von mehreren verschiedenen Seiten her beeinflufst werden, w\u00fcrde eine Art Anpassung verschiedener Zust\u00e4nde anzunehmen sein, derart, dafs der eine den anderen bedingt und hervorruft, oder aber auch, von der Art, dafs ihre etwa anderweit bedingt\u00a9 Coexistenz sich mit bestimmten Qualificationen begleitet, durch die sie .als ein\u00a9 gewohnte oder ungewohnte, geltende oder widersprechende, empfunden w\u00fcrde.\u201c Es wird somit ein Theil der Functionen, welche die Leitungstheorie ab intercellular au.ffa.fst, in das Innere der Zellen verlegt. Verf. macht schliefslich selbst auf gewisse Bedenken aufmerksam, welche auch gegen, dies\u00a9 'intracellul\u00e4re Deutung erhoben werden k\u00f6nnen, indem, er die ConSequenzen derselben nach verschiedener Richtung verfolgt.\nEs ist unm\u00f6glich die besprochenen zum Theil. sehr verwickelten Problem\u00a9 in einem Referate mit gen\u00fcgender Klarheit darzulegen. Ref. mufste sich begn\u00fcgen di\u00a9 Art derselben und die Richtung ihrer Behandlung anzudeuten.\tSion. Exnkb (Wien).\nH\u00f6vkbk. Ile papUsehe Darstellung Als \u25a0Ittel 1er Brxiektig stm nnaikalft-Sihei Urea. Sechzehnter Jahresbericht Hier das Herzoglich Anhaitische Landesseminar zu G\u00f6then. Ostern 1898.\nDie Tendenz seines interessanten Aufsatzes kennzeichnet der Verf. durch das Wort Hiemanw Ritter\u2019s: \u201eDer Hauptfactor in, der musikalischen","page":36}],"identifier":"lit30692","issued":"1899","language":"de","pages":"34-36","startpages":"34","title":"J. von Kries: Ueber die materiellen Grundlagen der Bewu\u00dftseinserscheinungen. Programm zur Feier des Geburtsfestes s. K\u00f6n. Hoh. des Gro\u00dfherzogs Friedrich. Freiburg i. B., 1898. 71 S.","type":"Journal Article","volume":"20"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:16:31.867580+00:00"}