Open Access
{"created":"2022-01-31T13:19:51.091303+00:00","id":"lit30717","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Fraenkel","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 20: 60-63","fulltext":[{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\nLiteraturbericht.\nmofdcandidaten waren im Augenblick der That 23 n\u00fcchtern, 87 mehr oder weniger betrunken, bei 33 war die Erinnerung erhalten, Nach der Lebensdauer stellten die Jahre 25-.% das Hauptcontingent bei beiden Geschlechtern, w\u00e4hrend sonst in England da\u00ab Maximum der Selbstmorde 'bet den. M\u00e4nnern in die Jahre 45\u2014 55, bei den Frauen 35\u201445 f\u00e4llt. Im Uebrigen kommt S. zu folgenden Schl\u00fcssen: Die Selbstmordneigung entsteht fast immer erst bei chronischen Alkoholisten. Der Versuch wird meist in einem Stadium der Trunkenheit .gemacht. In der gr\u00f6fseren Mehrzahl der F\u00e4lle besteht hinterher Amnesie. Die Alkoholisten, die zu Selbstmord neigea, sind meist schon geistig geschw\u00e4cht, namentlich in der gem\u00fcthlichen Sph\u00e4re, ihre Pers\u00f6nlichkeit ist mehr oder weniger bereite eine andere geworden, \u25a0\u2014 daher auch die Neigung zum. Selbstmord. Zu dieser Aenderung der Pers\u00f6nlichkeit tr\u00e4gt bei die degenerative Wirkung des Alkohols auf alle K\u00f6rperorgane, namentlich die Generationswerkzeuge, vor Allem bei, dem weiblichen Geschlecht. \u2014\tUmpfenbach.\nKoppen. Uebtr ieMrakraikloitii der ersten, Lebeospeiiodea, als Beitrag: itr Lehrt vom Idiotismis. Archiv f\u00fcr Psychiatr. 30. Bd., S. 890\u2014906. 1898.\nK. untersuchte das Gehirn eines drei Monate nach der Geburt gestorbenen Kindes, das zeitlebens an Kr\u00e4mpfen gelitten hatte. Die Section ergab \u00fcber 'beiden Hinterhauptslappen ein zum Theii noch aus fl\u00fcssigem Blut bestehendes subdurales H\u00e4matom. Die unter demselben gelegenen Himtheile waren stark comprimirt, und wie das Mikroskop dann lehrte, histologisch sehr ver\u00e4ndert. Auf letzteren Befund hier einzugehen, ist nicht der Ort. Das H\u00e4matom war, wie man. annehmen mufs, die Folge der verz\u00f6gerten Geburt oder zu enger Geburtswege. Der Druck, welchen das H\u00e4matom auf das Gehirn aus\u00fcbte, wird wahrscheinlich die Ver\u00e4nderungen, in den betr. Himtheilen verursacht haben. Aehnlichen Befund hat Koppen fr\u00fcher bereits In einem anderen Fall, beschrieben. (Archiv Bd. 28), wo das betr. Individuum bis zum 15. Jahre am Leben blieb, wenn es auch, schwachsinnig wrar. Danach w\u00e4re in. manchen F\u00e4llen anzunehmen, dafs die Idiotie indirect verursacht wird durch Sch\u00e4dlichkeiten, die der kindliche Sch\u00e4del bei der Geburt erleidet.\tUmpfenbach,\nS. DB Sanctis. Contribute ai la conoscenxa dalla Process\u00a9\u00bb aiS a (Storta 41, OU f&miglia degenerata.) Riv. Speriment. di Frm. XXIV (2) S. 350\u2014374 1898.\nIn dem Beitrag zur Kenntn\u00eefs der Processirsucht erl\u00e4utert der Verl, an dem Beispiel der Geschichte einer degenerirten Familie die psychischen Zust\u00e4nde der an sogen. Quer ul a nt en. Wahnsinn Leidenden. Das Queruliren, der Ausdruck einer unbefriedigten Gemftthsverfassung, ist ein in mehr oder minder pathologischen Zust\u00e4nden allerlei Art, insbesondere bei Hysterischen und bei Personen mit beschr\u00e4nktem Gesichtskreise, h\u00e4ufiges Vorkommnifs. Anfangs noch, im Be-' reiche der sogen, physiologischen Breite werden vorgefafste Meinungen, vor Allem solche, die den Schein des Hechtes oder der Billigkeit an sich tragen , durch die ihnen entgegentretenden Hindernisse und Abweisungen zu Zwangsideen, die mit der Z\u00e4higkeit fanatischen Glaubens an sich","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"Literatur berich t.\n61\nselber festgehalten, die Belehrungen und triftigsten Gegengr\u00fcnde von Gesetzeskundigen und Beh\u00f6rden f\u00fcr den Ausdruck des l Jehel wollen\u00ab und der Feind Seligkeit ansehen, dazu bestimmt die Wahrheit zu ersticken und das Recht zu verdrehen.\nAuf dieser Bahn ist es ein Leichtes, dal\u00ab sich ein regelrechter Vor folgungswahn mit allen seinen Consequenzen au\u00ab einem noch ziemlich ge sunden Zustande entwickelt. Einerseits ergiebt sich aus dem Vertrauen und Trotzen auf vermeintliches Recht die Sucht de\u00ab Proeessiren\u00ab, andererseits aus dem Mifstrauen und zur Abwehr gegen vermeintliche Feinde die des Benunzirens, \u2014 Sind die betr. Individuen erblich belastet, ausgesprochen imbecill oder an chronischem Wahnsinn leidend, so ist ihr Queruliren als Ausfiufs (Episode) ihres Zustande\u00ab von vornherein zu erkl\u00e4ren und von einem eigentlichen Querulantenwahn sinn nicht zu sprechen, wohl aber wenn jene\u00ab nicht der Fall ist. \u2014 In dieser Weise scheint sich der Verf. die verschiedenen Ansichten der Autoren \u00dcber die Procefswuth zurecht zu legen.\nEr glaubt indes, dafs in den Mittheilungen, insbesondere den Kranken geschichten, \u00fcber die Sache noch betr\u00e4chtliche L\u00fccken sich befinden, namentlich vom Gesichtspunkt der Erblichkeit aus, auf die Guicciardini neuerlich (1897) aufmerksam gemacht hat. G. spricht sich dahin aus, dafs die Processomanie eher den Charakter zwangam\u00e4fsiger Impulsivit\u00e4t als den des VerfolgungsWahnsinns trage. Die vom Verf. vorgetragene Familien, geschickte scheint diese Gesichtspunkte allerdings, wenigstens theilweise, zu best\u00e4tigen.\nAus der Vorgeschichte der Familie soll sich die Herausbildung des speciellen Charakters derselben erkl\u00e4ren \u2014 ein Umstand, der wie das betr. \u201eMilieu\u201c bei der Beschreibung psychopathischer F\u00e4lle noch zu wenig beachtet werde. So erf\u00e4hrt man, dafs die in einem weltverlassenen Gebirgsdorfe seit mehr als einem Jahrhundert unter dem Druck eines Feudalherrn ans\u00e4ssige F ami lie pl\u00f6tzlich aus H\u00f6rigen zu freiem Eigenthum und verh\u00e4ltnifsm\u00e4fsigem Wohlstand und in Folge dessen zu Anmaafsungen und einer Art hoff\u00e4rtigen Gr\u00f6fsenwahns gelangt sind. Bei den zwei Ersten, die in das Licht der Geschichte eintreten, sind denn auch die entsprechenden Leidenschaften und Laster, die in den \u00dcbrigen l\u00f6 Gliedern des mitgetheilten Stammbaumes hervortreten, schon hinl\u00e4nglich entwickelt. Die Gebr\u00fcder Francesco und Giacomo (M\u00f6nch) sind hochm\u00fcthig, habs\u00fcchtig, abergl\u00e4ubisch, balbimbecill. Von Francesco\u2019s drei Kindern ist die Tochter Rita imbecill, ein Sohn und eine Tochter der letzteren desgleichen, ein Sohn streits\u00fcchtig und unmoralisch, nur eine Tochter normal (?). Francesco\u2019s \u00e4ltester Sohn Filippo, ein Dieb, der seinen Bruder, den streits\u00fcchtigen, halbimbecillen und geizigen Priester Valeriano bestiehlt, ist abergl\u00e4ubisch, erotisch, Processomane. Mit seiner ihm ebenb\u00fcrtigen Frau, einer l\u00fcgnerischen, geizigen Diebin, hat er drei S\u00f6hne und zwei T\u00f6chter. Zwei der S\u00f6hne sind streits\u00fcchtig und Diebe, der eine davon epileptisch, der dritte (Gordiano) Processomane und Mystiker und glaubt sich verfolgt, halbimbecill, von den zwei T\u00f6chtern die kinderlose Rosa imbecill, procefss\u00fcchtig und diebisch; die andere habs\u00fcchtig und eitel. \u2014 Von den drei Kindern der S\u00f6hne ist eine Tochter neuro-","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62\nLi ten I turberich t.\npathisch, unmoralisch, ein Sohn imbecili. \u2014 Wie sieh ans dieser .Liste er-giebt, ist nicht \u00fcbertriebenes Rechtegef\u00fchl, sondern Habsucht (sentiment\u00a9 esagerato delta propri\u00e9t\u00e9) der Grundzug im Charakter dieser netten Familie, der sie zu zahlreichen Processen unter einander und mit Fremden verf\u00fchrte, \u2014 An Degenerationsleichen fand der Yerf. abgesehen von manchen weniger auff\u00e4lligen:\n1.\tGrofsknochigen K\u00f6rperbau, \u2014 plumpe H\u00e4nde und F\u00fcfse.\n2.\tRinnen\u00e4hnlich eingedr\u00fccktes Brustbein in drei F\u00e4llen.\n3.\tWeitl\u00e4ufige Zahnstellung und fr\u00fchzeitiges Ausfallen der Z\u00e4hne wie 'bei Epileptischen und Idioten h\u00e4ufig,\n4.\tMyopie \u2014- in vier F\u00e4llen,\n5.\tUnangenehme zischende Stimme bei fast allen Familiengliedern.\n6.\tUnreiniichkeit an K\u00f6rper und Kleidung.\nAls psychische Stigmata der Familie sind neben der Verstandes-schw\u00e4che der moralische Mangel, die Scham- und Piet\u00e4tlosigkeit hervorzuheben, die sich in ihren h\u00e4uslichen und b\u00fcrgerlichen Verh\u00e4ltnissen, namentlich in Bezug auf das Mein und Dein kund gaben, vergesellschaftet mit dem krassesten Bigottismus und Aberglauben. Die Neigungen der Familie zeigen sich nicht als extrasocial wie es bei Idioten (nach Solmer) der Fall ist, sondern als antisocial wie bei Imbecillen, merkw\u00fcrdigerweise aber meist in Bezug auf das Eigenthum; unter den zahllosen Processen, in die sie verwickelt war, spielten Attentate auf die Person keine Rolle, L\u00fcgen, Tr\u00fcgen, Stehlen bilden den Hauptinhalt ihrer Reehtsstreitigkeiten.\nVor Allem aber ist es der z\u00e4nkische, rechthaberische Sinn, die von den Stammv\u00e4tern ererbte Streitsucht, die in unaufh\u00f6rlichen Erb Schaftsstreitigkeiten zum Ausdruck kam und den Ruin mancher Verm\u00f6gen nach sich zog,\nUm ein Bild der moralischen Verkommenheit der Familie zu geben, werden einige charakteristische Z\u00fcge aus ihrer Geschichte gen\u00fcgen. Rita, die bis zu ihrer Verheirathung mit ihrem Vater Francesco (er wurde B\u00f6 Jahre alt) in Einem Bett schlief, f\u00fchrte gegen ihren Bruder Filippo einen Erbschaftsstreit, der erst nach 34 Jahren durch Vergleich endete. \u2014 Derselbe Filippo hatte seinem Bruder Don Valeriano in der Beichte bekannt, dafs er ihn um 400 Skudi bestohlen habe und drohte ihm mit Anzeige beim Bischof, wenn er das Beiehtgeheimnifs verrathe. \u2014 Eine unvergessliche Gerichtsscene gab es, sagt der Yerf., als der 70j\u00e4hrige Filippo den M\u00e4nnern zweier Frauen, die ihm auf Anrathen seines Arztes, ihre Milch von der Brust hatten trinken lassen, den stipulirten Ammenlohn abstreiten wollte. \u2014 Beine Tochter Rosa \u2014 ein h\u00e4fsliches Mannweib \u2014 processirte gegen ihn, gegen ihren ersten und zweiten Mann, gegen den Ortepfarrer und ihre Br\u00fcder; die letzteren \u00fcbrigens auch unter sich. Leonardo\u2019s Pro cefs gegen seinen Vater dauerte 3 \u2014 4 Jahre. Am ausgepr\u00e4gtesten aber war die Procefswilth bei Gordiano, der nach eigener Angabe mindestens 20 Civil- und Criminalklagen durchfocht und aufserdem in fremde Streitsachen sich einmischte, da er sich einbildete, dafs an ihm ein Advokat verloren gegangen sei. Dabei glaubte er \u00fcberall von der Camorra verfolgt zu werden und sch\u00f6pfte seine mystischen Vorstellungen von einem Planeten, unter dessen Schutz er stehe, aus Traumb\u00fcchern und","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"Litera t urbericht.\n63\nProphezeiungen seines Oheims, des imbecillen Priesters Va 1eriano. Im Dorfe, wo der Tr\u00e4umer, der trotz aller Vorg\u00e4nge einige Mal Aemter bekleidete, wohnte, glaubte man, er Bei mit dem \u201eb\u00f6sen Blick\u201c behaftet, 'Ander\u00a9 sahen in ihm einen Narren und der Verf. einen ausgesprochenen Paranoiker. \u2014\tFraenkkl.\nGustavo Tosti. Social Psychology aid Sociology. Psychol Memew V (4), S. 347 Ms 381. 1898.\nL. Wikiarski. Essai sir la micaaique sociale. Meme philos. Bd. 46, Nr, 4, S. 361\u2014386. 1898.\nDafs die moderne Sociologie liber ihre eigenen Ziele noch im Unklaren ist\u00bb beweist am besten der Umstand, dafs ihre Arbeiter in der Mehrzahl methodologische Polemiken oder neue Vorschl\u00e4ge enthalten, .Der kleine Aufsatz Tosti\u2019s f\u00fchrt uns mitten in eine solch\u00a9 methodologische Debatte hinein. Es handelt sich um, eine Gebietsabgrenzung zwischen der Sociologie und der sogenannten \u201esocialen Psychologie\u201c, von der man. in England und Amerika mehr spricht als in Deutschland. Die Tosn\u2019sche und wohl auch, jede andere Scheidung scheint uns m\u00fcfsig, da immer die Object\u00a9 'beider Wissenschaften in. Wechselwirkung stehen werden. Tosti will di\u00a9 Psychologie genau auf die Bewufstaeinsvorg\u00e4nge des Individuums ein-Bchr\u00e4nken, di\u00a9 sociale Psychologie h\u00e4tte dann, mit den socialen Factoren nur insofern zu, thun, als sie das Individuum beeinflussen. Dabei wird, gut spencerisch, eine phylogenetische und eine ontogenetische Beeinflussung unterschieden. Der Sociologie bleibt dann die Aufgabe, die Wechselwirkung der also erforschten Individuen zu erforschen. Man sieht ohne Weiteres, wie gewaltsam diese theoretische Scheidung in praxi sein w\u00fcrde.\nDer Versuch Winiarski\u2019s verdient eine genauere Betrachtung. An die Anwendung der Mathematik in der \u2014 auch nicht experimentellen \u2014 Psychologie ist man heute genugsam gew\u00f6hnt, Niemand, wird sich mehr prin-cipiell skeptisch dagegen verhalten. Neu aber ist, dafs W. auch in der Sociologie alles Heil von der Mathematik und nur von. ihr erwartet. Dagegen ist zu sagen, dafs wenigstens von seiner mathematischen Methode der Sociologie wenig Heil erwachsen wird. W\u00e4hrend er \u2014 z. Th. mit Hecht \u2014 die biologische Methode tadelt, weil sie ihre Schlu\u00dffolgerungen anstatt aus Thatsachen aus einem blofsen Gleichnifs ableite, verf\u00e4llt er selber nur noch, \u00e4rger in den. gleichen Fehler. Er wendet die exacteste aller Methoden auf Objecte an, die sich zwar gleichnifeweise, nicht aber exact so zu einander verhalten, wie die mathematischen Formeln voraussetzen. Damit wird alle Exactheit nat\u00fcrlich illusorisch. Egoismus und Altruismus z. B. sollen sich zu einander verhalten, wie Abstofsung und Anziehung. Gleichmifsweise ist das richtig, mathematisch ist es falsch, weil, zwei, gleich, grofse Quanto Egoismus und Altruismus sich nirgends in der Welt gegenseitig aufheben, wie es die mathemathischen Formeln doch verlangen. Die Anwendung von plus und minus ist also sinnlos, solange man nicht den Gebrauch des Wortes Altruismus einschr\u00e4nkt auf ein Streben, Anderen, zu n\u00fctzen, das nur durch Preisgebung eines gleich, grofsen Eigennutzes, denjenigen, des Wortes Egoismus auf \u00a9in. Streben nach","page":63}],"identifier":"lit30717","issued":"1899","language":"de","pages":"60-63","startpages":"60","title":"S. de Sanctis: Contributo alla conoscenza della Processomania. (Storia di una famiglia degenerata.) Riv. Speriment. di Fren. XXIV (2) S. 350-374. 1898","type":"Journal Article","volume":"20"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:19:51.091309+00:00"}