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{"created":"2022-01-31T13:43:00.986808+00:00","id":"lit30722","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Heymans, G.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 20: 164-173","fulltext":[{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"s\n>1\nZur Psychologie der Komik.\n\u00bb\nVon\nG, Hetmans.\nIn Beinern vor kurzem erschienenen Buch \u201eKomik und Humol*\u201c hat Lipps den Bemerkungen zu seiner 'Theorie des Komischen, welch\u00a9 ich vor zwei Jahren in dieser Zeitschrift ver\u00f6ffentlichte,1 eine eingehende Besprechung zu Theil werden lassen. Ich benutze um so lieber die mir gebotene Gelegenheit zu einer kurzen Duplik, als mir di\u00a9 Umst\u00e4nde f\u00fcr ein\u00a9 leichte Verst\u00e4ndigung m\u00f6glichst g\u00fcnstig zu liegen scheinen. Denn nicht nur herrscht in Bezug auf die Methode der Untersuchung und des Beweises zwischen Lipps und mir durchgehende Ueberein-stimmung, sondern auch seiner Erkl\u00e4rungshypothese habe ich mich voll und ganz, ohne jeden Vorbehalt, angescMossen. Nur \u00fcber die Frage, in welcher Weise aus dieser Hypothese die vorliegenden Thatsaehen zu erkl\u00e4ren seien, sind wir verschiedener Meinung; diese Verschiedenheit aber mufs durch eine m\u00f6glichst genaue und umfassende Durchforschung der Thatsaehen gehoben werden k\u00f6nnen.\nDes N\u00e4heren ist die Sachlage folgende. F\u00fcr mich sowohl wie f\u00fcr Lipps beruht ganz allgemein das Gef\u00fchl der Komik darauf, dafs einem Bedeutungslosen und zur Inanspruchnahme psychischer Kraft aus eigener Energie relativ Unf\u00e4higen in hohem Maafse psychische Kraft zur Verf\u00fcgung steht; w\u00e4hrend jedoch f\u00fcr ihn dieses Verh\u00e4ltnis sich nur verwirklicht, wenn entweder f\u00fcr ein erwartetes Bedeutungsvolles ein Bedeutungsloses eintritt, oder das N\u00e4mliche erst bedeutungsvoll erscheint,\n1 Aesthetische Untersuchungen in Anschlufa an die Lipps'sche Theorie 4e\u00a7 Komischen, I, Mme Zeitschrift XI, 8. 31\u201443.","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie der Komik.\n165\ndann als bedeutungslos sich herausstellt, glaubt\u00a9 ich noch mehrere andere F\u00e4lle, also etwa die Erkenntnifs eines die Neugierde reizenden Ungewohnten als durchaus interesselos, di\u00a9 Unterbrechung eines Bedeutungsvollen durch ein davon verschiedenes Unbedeutendes, eine momentane Steigerung des herabgesetzten Selbstgef\u00fchles, die pl\u00f6tzlich\u00a9 L\u00f6sung eines spannenden R\u00e4thsels, dem n\u00e4mlichen Gesichtspunkte unterordnen zu m\u00fcssen. Demgegen\u00fcber versucht jetzt Lipps nachzuweisen, dafs sein Schema allumfassend, die von mir vorgeschlagene Erweiterung desselben aber nicht nur unn\u00f6thig, sondern auch unzul\u00e4ssig sei.\nBevor ich auf Inhalt und Deutung der f\u00fcr die Entscheidung dieser Streitfrage in Betracht kommenden Thatsachen n\u00e4her eingehe , m\u00f6chte ich kurz bemerken, dafs m. A. n. schon von vornherein, ganz abgesehen von allen concreten Anwendungen, meine Vorschl\u00e4ge als nothwendige Folgerungen aus dem Lipps\u2019schen Grundgedanken mit demselben stehen und fallen m\u00fcssen. Mit anderen Worten: selbst wenn alle bekannten Thatsachen des komischen Gef\u00fchls sich aus den beiden von Lipps ausschliefslich anerkannten secundiren Principien vollst\u00e4ndig erkl\u00e4ren liefsen, w\u00fcrde man dennoch, kraft jenes Grundgedankens, wenigstens die M\u00f6glichkeit offen lassen m\u00fcssen, dafs auch auf den von mir angedeuteten Wegen nnter g\u00fcnstigen Umst\u00e4nden jenes Gef\u00fchl zu Stande kommen k\u00f6nne. Ist es doch kaum zu bezweifeln, dafs das gedr\u00fcckte Selbstgef\u00fchl, das Neue, das R\u00e4thselhafte ebensosehr wie das an und. f\u00fcr sich Bedeutungsvolle in hohem Maafse psychische Kraft in Anspruch nehmen; wird nun diese psychisch\u00a9 Kraft; durch eine momentan wirkende Ursache pl\u00f6tzlich freigemacht, ohne dafs gleichzeitig ein entsprechend Interessantes sich dem. Bewufstsein darbietet um \u00fcber sie zu verf\u00fcgen, so haben die zuf\u00e4llig anwesenden oder eintretenden, nicht interessanten Vorstellungen die gleiche Gelegenheit zur ungehemmten Ausbreitung in den leeren Raum des Bewufstseins, wie in denjenigen F\u00e4llen, wo die vorhergehend\u00a9 Spannung durch verwandte, bedeutsame oder bedeutsam erscheinende Vorstellungen begr\u00fcndet war. Und eben diese ungehemmte Ausbreitung der Vorstellungen erzeugt nach Lipps das Gef\u00fchl der Komik. \u2014 \u2018Auch hat Lipps, soweit ich. sehe, die abstracts M\u00f6glichkeit, daf\u00e4 die betreffenden psychischen Processe in eine komische Gef\u00fchlserregung auslaufen, nur f\u00fcr einen der angedeuteten F\u00e4lle zu widerlegen versucht, indem er ausf\u00fchrt, dafe ein durch seine","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166\nG. Heymans.\nNeuheit Auffallendes niemals pl\u00f6tzlich, sondern stets allm\u00e4hlich der Aufmerksamkeit wieder verlustig gehe (S. 67). Allein Mer liegt ein Mifsverst\u00e4ndnifs vor. Was Lipps sagt, .gilt nur von demjenigen Neuen, welches abgesehen von seiner Neuheit ein bleibendes Interesse bietet; das Interesse von Kindern f\u00fcr neue Kleider und Spielsachen, von Erwachsenen f\u00fcr neue Bekannte und neue Besch\u00e4ftigungen 'nimmt gewifs ganz allm\u00e4hlich ab; dieses Neue erzeugt aber, eben deshalb, auch kein Lachen1 Nun war aber eben von demjenigen Neuen, welches komisch wirkt, die Rede; dieses aber ist dasjenige, welches zwar durch seine Neuheit auff\u00e4llt, auch vielleicht, eben als Neues und Unbekanntes, bei sanguinischen Personen ein unbestimmtes Gef\u00fchl der Erwartung erregt; mit dem sich aber weiter nichts machen l\u00e4fst. Ein typischer Fall dieser Art liegt z. B. vor, wenn ein aufgewecktes aber etwas fl\u00fcchtiges Kind unerwartet einen com-plicirten wissenschaftlichen Apparat erblickt; es eilt darauf zu, fragt was es sei, bekommt aber keine befriedigende Antwort, gafft dann das unverst\u00e4ndliche Bing noch w\u00e4hrend einiger Augenblicke an, und wendet sich mit einem kurzen Lachen ab. Genau so verh\u00e4lt es sich nun meiner Ansicht nach mit dem Lachen roher Leute \u00fcber die schwarze Hautfarbe des Negers, \u00fcber K\u00f6rpergebrechen u. dergL : das Wahrgenommene zieht als ein Ungewohntes die Aufmerksamkeit f\u00fcr einen Augenblick auf sich, l\u00e4fst aber als ein an sich Nichtinteressantes dieselbe alsbald wieder frei \u2014 Nach Lipps hat bekanntlich die Sache einen ungleich complicirteren Verlauf : die wahrgenommene Abnormit\u00e4t erinnert durch Vermittlung der entsprechenden normalen Form oder Farbe an die mit letzterer associirten werthvollen Eigenschaften ; dann wendet sich die Aufmerksamkeit wieder dem abnormen Wahmehmungsinhalte zu, dem, solche Associationen fehlen, und der von der Theorie gefordert\u00a9 Uebergang vom\n1 Mit Unrecht, wie ich glaub\u00a9, spricht Lipps dem Lachen alle Bedeutung f\u00fcr die Feststellung der Thatsachen der komischen Gef\u00fchlserregnng ab (S. 68\u201464), Allerdings ist richtig, dafs es f\u00fcr die Psychologie nicht auf das Lachen, sondern auf die Komik ankommt ; das hindert jedoch nicht, \u00a9rsteres, genau so wie andere Ausdrucksbewegungen, als ein wichtig\u00ab Symptom f\u00fcr das entsprechende Gef\u00fchl anzusehen und zu verwenden* Solange nicht nachgewiesen ist, dafs auch andere Gef\u00fchle neben demjenigen der Komik sich in Lachen \u00e4ufsern, wird man mit gleichem Rechte an-nehmen d\u00fcrfen, dafs einem lachenden Kinde komisch, wie daft \u00a9ine\u00ae 'weinenden Kinde traurig su Muthe ist.","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie der Komik.\n167\n* Bedeutungsvollen zum Bedeutungslosen Ist da. \u2014 Es sind rum haupts\u00e4chlich zwei Gr\u00fcnde, welche mich nach wie vor davon abhalten, dieser Deutung des vorliegenden Sachverhaltes mich anzuschliefsen. Erstens scheint es mir aller psychologischen Erfahrung zu widersprechen, das werthvolle Associationen, welche mit irgendeinem Wahrnehmungsinhalte verkn\u00fcpft sind, durch \u2022einen abweichenden, aber an jenen erinnernden Wahmehmungs-/ Inhalt abwechselnd in h\u00f6chster Klarheit reproducirt, und wieder vollst\u00e4ndig losgelaasen werden sollten. Mit dem Anblick einer Orange verkn\u00fcpfen sieh werthvolle Vorstellungen von italienischen Landschaften u. dergl. ; eine gelbe Kugel, welche jener Orange oberfl\u00e4chlich \u00e4hnlich sieht, wird uns 'vielleicht schwach' an Italien .erinnern, aber keineswegs wird sie abwechselnd das Bewufstsein mit italienischen Reminiscenzen vollst\u00e4ndig ausf\u00fcllen, und \u00fcber .den ganzen Umfang desselben f\u00fcr .'ihre eigen\u00a9 Nichtigkeit verf\u00fcgen. Dann kommt aber noch ein Zweites, f\u00fcr mich Entscheidendes hinzu. Es sind doch, wie ich schon in meiner fr\u00fcheren Abhandlung bemerkte, vorzugsweise die rohesten und stumpfesten Leute, welche \u00fcber k\u00f6rperliche M\u00e4ngel, fremdartige Kleidung u. dergl. lachen; wird man es aber glaubhaft machen k\u00f6nnen, dafs bei diesen di\u00a9 Vorstellung des Normalen, der sinnlichen Wahrnehmung entgegen, am leichtesten erregt werden und die interessantesten Associationen mit sich f\u00fchren sollte? Ich denke kaum; vielmehr glaubeich, dafs f\u00fcr die betreffenden Thatsachen die einfachste und m\u00f6glichst wenig voraussetzend\u00a9 Erkl\u00e4rung, wenn sie im Uebrigen den theoretischen und thatsich-lichen Forderungen entspricht, vorgezogen zu werden verdient \u2014 Man wird \u00fcbrigens bemerkt haben, dafs ich mich in Bezug auf die vorliegende Frage der Lipps\u2019schen Erkl\u00e4rungsweise insofern ann\u00e4here, als ich ein unbestimmtes, nur1 durch die Neuheit des Wahrgenommenen verursachtes, bei fortgesetzter Wahrnehmung aber als illusorisch erkanntes Erwartungsgef\u00fchl als mitwirkend\u00a9 Ursache anerkenne.\nIch wende mich jetzt den weiteren Differenzpunkten zu, welche, soweit Ich sehe, sich ausschliefslich auf die Deutung gegebener Thatsachen beziehen.\nIch hatte also erstens behauptet, dafs in manchen F\u00e4llen die Unterbrechung eines wirklich Bedeutungsvollen durch ein, davon v\u00f6llig verschiedenes, aber momentan die Aufmerksamkeit \u2022auf sich ziehendes Unbedeutendes komisch wirkt, und als Bei-","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"166\nG. Reyman*.\nspiel il. A. das Miauen einer Katze w\u00e4hrend einer feierlichen 'Red'\u00a9 angef\u00fchrt. Demgegen\u00fcber meint nun Lipps, nur insofern jenes Miauen selbst als eine Art der Rede auftrete, demnach momentan als zur Rede geh\u00f6rig oder auf die Rede sich beziehend aufgefafst, dann aber als bedeutungslos erkannt werde, erzeuge es das Gef\u00fchl der Komik; und er f\u00fchrt daf\u00fcr an, dafs eine architectoni8che Linie oder ein Lichtschein, welcher w\u00e4hrend der Rede momentan das Interesse fesselt, nicht komisch wirkt Die Thatsach\u00a9 ist unbedingt anzuerkennen; aber die Deutung derselben hat keineswegs die gleiche Sicherheit. Um dies einzusehen, fragen wir zuerst, was geschehen wird, wenn die miauende Katze nicht w\u00e4hrend einer Rede, sondern w\u00e4hrend einer anderen, die Aufmerksamkeit in gleichem Grade spannenden, jedoch lautlosen Handlung, also etwa im H\u00f6rsaal w\u00e4hrend der Vorbereitung eines wichtigen Experimentes, an der Spielbank w\u00e4hrend des der Entscheidung vorhergehenden erwartungsvollen Schweigens, oder in der N\u00e4he eines in seligen Gef\u00fchlen schwelgenden Paares sich h\u00f6ren l\u00e4fst. Ich denke, die komische Gef\u00fchlserregung wird gewifs nicht Ausbleiben ; obgleich Mer der anf\u00e4ngliche Gegenstand der gespannten Aufmerksamkeit und der dieselbe unterbrechende Eindruck nichts mit einander zu schaffen haben. \u2014 Fragen wir nun weiter, warum die Unterbrechung durch heterogene Reize in diesen F\u00e4llen wohl, in den von Lipps angef\u00fchrten dagegen nicht zur Komik f\u00fchrt, so ist die Antwort, wie mir scheint, leicht zu geben : einfach weil die architectonische Linie und der \u201cLichtschein bei weitem nicht so stark und nicht so pl\u00f6tzlich 'die Aufmerksamkeit auf sich ziehen 'wie das Katzengeschrei Dafs dem so ist, liegt wieder an verschiedenen Umst\u00e4nden: zum Theil an der bekannten gr\u00f6fseren Eindmcksf\u00e4higkeit von Schalleindr\u00fccken \u00fcberhaupt; zum Theil an der Eigenart dieses besonderen, \u00e4ufserst durchdringenden Lautes; zum Theil auch an der - erwartungsvollen Stille, von welcher sich derselbe in dem erw\u00e4hnten F\u00e4llen abhebt. \u25a0\u2014 Machen mir nun zum Schilds 'di\u00a9 entscheidende Probe. Wenn einmal einem Lichtreize, der ein\u00a9 Rede unterbr\u00e4che, die gleiche Eindringlichkeit 'und Pl\u00f6tzlichkeit zuk\u00e4me, wie dem. oben erw\u00e4hnten Katzengeschrei, so muubte nach der Lrpps\u2019schen Auffassung die Komik dennoch unterbleiben, nach der meinigen aber m\u00fcfste sie sich ganz gewifs einstellen. Thate\u00e4cWieh aber stellt sie sich unter solchen Umst\u00e4nden ein; \"Wof\u00fcr ich zwei Belege aus eigener Erfahrung anzuf\u00fchren mit","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie der Komik.\n169\nerlaube, Vor einiger Zeit wohnte ich in einem sp\u00e4rlich beleuchteten Local\u00a9 einem Vortrage bei, w\u00e4hrend dessen eine der Lampen abwechselnd fast ganz ausging und dann wieder pl\u00f6tzlich hoch aufflackerte ; der komische Effect liefe sich in unzweideutiger -Weise feststellen. Ebenso liefe sich w\u00e4hrend eines academischen Vortrags bei einem The il der Zuh\u00f6rer \u00a9in. unverkennbarer Ausbruch von Heiterkeit constatiren, als unerwartet (und fast ger\u00e4uschlos) ein Fenster Vorhang herunterkam und im H\u00f6rsaal pl\u00f6tzliche Dunkelheit zu Wege brachte. Solche F\u00e4lle, denen Jeder aus eigener Erfahrung leicht andere wird hinzuf\u00fcgen k\u00f6nnen, scheinen mir zu beweisen, dafs es f\u00fcr die Erzeugung eines komischen Effectes nicht auf die Homogeneit\u00e4t der unterbrochenen und unterbrechenden Sinneseindr\u00fccke, sondern ausschliefslich auf die Eindringlichkeit und Pl\u00f6tzlichkeit der letzteren ankommt Selbstverst\u00e4ndlich wird dadurch nicht ausgeschlossen, dafs jene Eindringlichkeit auch von der vorhergehenden Richtung 'der Aufmerksamkeit abh\u00e4ngt, und dementsprechend der Homogeneit\u00e4t der Eindr\u00fccke ein gewisser, jedoch nur secund\u00e4rer Einflufs zukommen kann.\nIch hatte zweitens bemerkt, dafs die pl\u00f6tzliche Aufhebung eines auf das Bewufstsein lastenden Druckes, also etwa eine momentan eintretende Hebung des herabgesetzten Selbstgef\u00fchls oder der scharfe Contract zwischen eigenem Selbstgef\u00fchl und fremdem Minderwerthigkeitsgef\u00fchl, nach der Lipps\u2019schen Hypothese an und f\u00fcr sich gen\u00fcgen m\u00fcsse um komisch zu wirken; und ich hatte daf\u00fcr einige Beispiele angef\u00fchrt, von denen ich glaubte, dafs mehrere sich in keiner Weise aus get\u00e4uschter Erwartung erkl\u00e4ren lassen (S. 41). Demgegen\u00fcber bemerkt jetzt Lipps, diese Erkl\u00e4rung liege jedesmal auf der Hand; und er analysirt zum Beweise zwei F\u00e4lle (das Lachen von Kindern oder Wilden bei einem scheinbaren oder wirklichen Siege), bei welchen sich in der That die Mitwirkung des betreffenden Factors nicht leicht \u00fcbersehen l\u00e4fst. Nun hatte ich aber (was ich allerdings ausdr\u00fccklich anzuweisen unterlassen hatte) mit jenen \u201emehreren F\u00e4llen\u201c nicht diese, sondern die beiden anderen von mir angef\u00fchrten Beispiel\u00a9 gemeint, also das Lachen von Idioten (und, me ich jetzt Mnzuf\u00fcge, auch von anderen an habituellem Selbst-mifstrauen leidenden Personen) aus befriedigter Eitelkeit, und \u00e9m Lachen roher Leute, wenn es ihnen gelingt, Einen zu \u00e4ngstigen oder zu erschrecken. Dies\u00a9 F\u00e4lle hat aber Lipps in seiner","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170\nG. Meymam.\nPolemik nicht ber\u00fccksichtigt; und ebensowenig hat er die auf alle vorliegenden F\u00e4lle sich beziehende Bemerkung widerlegt, \u201ees beweise schon das ganz verschiedene Verhalten eines unparteiischen Dritten, dafs das Selbstgef\u00fchl etwas mit der Sache zu schaffen hat\u201c. Dagegen macht er auf zwei weitere F\u00e4lle aufmerksam, in denen die momentane Aufhebung eines auf das Bewufstsein lastenden Druckes gegeben sei, ohne dafs doch eine komische Wirkung eintrete, n\u00e4mlich die U\u00dcbertragung der Aufmerksamkeit von einer bedr\u00fcckenden auf eine erfreuliche That-sache, und die Befreiung aus bedr\u00fcckter Lag\u00a9 durch die energische H\u00fclfeleistung eines Freundes. Aber er f\u00fcgt selbst die Erkl\u00e4rung hinzu, indem er darauf Mnweist, dafs unter jenen Umst\u00e4nden \u201eein mich Bedr\u00fcckendes durch etwas Anderes au\u00bb .meinem Bewufstsein verdr\u00e4ngt wird\u201c (S. 66); welches Andere, wie ich hinzusetze, an sich bedeutungsvoll ist und demnach sofort \u00fcber die freigewordene psychische Kraft verf\u00fcgt. Wo es sich anders verh\u00e4lt, wo also beispielsweise nicht der helfende Freund, sondern die unerwartete Erbschaft eines entfernten Verwandten oder das grofse Loos aus der Lotterie der gedr\u00fcckten \u25a0Lage pl\u00f6tzlich ein End\u00a9 macht, wird auch die convulsivische Heiterkeit, welche f\u00fcr die komische Gem\u00fcthsstimmung charakteristisch ist, gewifs nicht unterbleiben.\nEine letzte Meinungsverschiedenheit zwischen Lipps und mir bezieht sich auf die komische Wirkung, welche R\u00e4thsel und Taschenspielerk\u00fcnste, Druckfehler und Versprechungen, schlie\u00dflich diejenigen Witze, welche den vern\u00fcnftigen Sinn, den sie enthalten, in einer zun\u00e4chst unverst\u00e4ndlichen Form aussprechen, zu Stande bringen. Allerdings sind wir hier \u00fcber den thats\u00e4ch-lichen Verlauf der psychischen Process\u00a9, auf welche die Komik sich aufbaut, in der Hauptsache einverstanden : wir nehmen beide an, dafs einem ersten Stadium der Verbl\u00fcffung ein zweites des Verstehens folgt; und ich kann wenigstens f\u00fcr viele F\u00e4lle zugeben, was Lipps f\u00fcr alle behauptet, dafs ein drittes Stadium des Sichbesinnens auf das Alogische, welches der Sache zu Grunde liegt, den Procefs abschliefst Nur dar\u00fcber herrscht Streit, ob, wie Lipps annimmt, erst der Uebergang vom zweiten zum dritten Stadium (also vom Verstehen des Sinnes zur Er-kenntnifs der Sinnlosigkeit), oder ob, wie ich glaube, schon der Uebergang vom, ersten zum zweiten Stadium (also vom Staunen \u00fcber die Sinnlosigkeit zum Verstehen des Sinnes) die Komik","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie der Komik.\n171\nTaervorbringt Ich glaube nun auch in Bezug auf diese Frage aus doppeltem Grunde bei meiner urspr\u00fcnglichen Ansicht verharren zu m\u00fcssen. Erstens lassen sich, wie mir scheint, ohne M\u00fche F\u00e4lle auffinden, welche f\u00fcr das Lirps\u2019sohe dritte Stadium\ndurchaus keinen .Raum lassen, weil etwas Sinnloses, worauf man sich nach erhaltener Aufkl\u00e4rung besinnen k\u00f6nnte, einfach nicht vorliegt. Ich erinnere, von anderen fr\u00fcher von mir angef\u00fchrten Beispielen zu schweigen, an zwei bekannte Witzr\u00e4thsel. Man fragt, in welcher Weise es Einem m\u00f6glich sei, einen Wolf, eine Ziege und einen Korb Kohl \u00fcber einen Flufs zu schaffen, wenn das einzig verf\u00fcgbare Boot aufser ihm nur f\u00fcr einen der drei Gegenst\u00e4nde Platz hat, und weder Wolf und Ziege, noch Ziege und Kohl ohne Aufsicht zusammenbleiben d\u00fcrfen. Oder man erbietet sieh, Einem etwas zu zeigen, was vor ihm noch kein Anderer gesehen hat, und nach ihm kein Anderer auch je sehen wird. Bekanntlich lautet di\u00a9 L\u00f6sung des ersten R\u00e4thsels : der Mann f\u00e4hrt zuerst die Ziege hin\u00fcber, holt dann den Wolf, \u25a0nimmt die Ziege wieder mit sich zur\u00fcck, transportirt jetzt den Kohl, und schliefslich noch einmal die Ziege ; w\u00e4hrend die L\u00f6sung des zweiten darin besteht, dafs man eine Mandel zerbricht, den Kem vorzeigt, und denselben sofort verzehrt. In beiden F\u00e4llen ist nun, worauf es mir Mer allein ankommt, die L\u00f6sung des R\u00e4thsels eine durchaus rationelle; etwas Sinnloses liegt \u00fcberhaupt nicht vor; aber eine anfangs Ms sehr schwierig empfundene Sache erscheint pl\u00f6tzlich, durch das Hervortreten niner zuerst \u00fcbersehenen M\u00f6glichkeit, als lufserst einfach; dl\u00a9 gespannte Aufmerksamkeit l\u00f6st sich mit Einem Schlage, und die Komik ist da. \u2014 Wichtiger noch erscheint mir eine zweite Ueber-legung. Vergleichen wir in der Selbstwahrnehmung die Intensit\u00e4t der Aufmerksamkeitsspannung in den drei von Lipps unterschiedenen Stadien, so finden wir, dafs in fast allen einschl\u00e4gigen F\u00e4llen die Spannungsdifferenz zwischen dem ersten .und dem zweiten Stadium bedeutend gr\u00f6fser ist als diejenige zwischen dem zweiten und dem. dritten .Stadium. Die Erkenntnifs der Sinnlosigkeit beansprucht gewifs nur ein Minimum psychischer Kraft; aber auch der \u201everborgene Sinn\u201c der meisten Witze ist an und f\u00fcr sich viel zu unbedeutend um in irgend erheblichem Maafse unser Interesse zu fesseln, w\u00e4hrend dagegen kaum etwas so sehr wie das R\u00e4thselhafte und Verbl\u00fcffende das ganze Bewnfstsein auf Einen Punkt zu .concern-","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"172\nG. HeytmnB.\ntriren vermag. Wenn dem, aber so ist, so wird auch das die Komik bedingend\u00a9 Uebermaafs psychischer Kraft, beim lieber* gang vom ersten, zum zweiten, viel st\u00e4rker als beim U ebergang vom zweiten zum, dritten Stadium sich einstellen m\u00fcssen. Dafs es sich wirklich so verh\u00e4lt, l\u00e4fst sich vielleicht, mit R\u00fccksicht auf die schnelle Aufeinanderfolge der drei Stadien, durch directe Selbstbeobachtung nicht vollkommen sicher feststellen ; wohl aber ist es m\u00f6glich, auf experimentellem Wege, durch systematische\u00ab Variiren der Umst\u00e4nde, den Beweis daf\u00fcr zu erbringen. Wir haben oben gesehen, dafs bei einigen Witzen das Lipps\u2019sche dritte Stadium, durchaus fehlt; hier findet also nur der Ueber-gang vom ersten zum zweiten Stadium statt, 'die Erfahrung lehrt aber, dafs dieser Uebergang mm Hervorbringen der Komik gen\u00fcgt. Diesen Instanzen stellen wir ander\u00a9 gegen\u00fcber, weiche sich durch den Mangel des ersten Stadiums auszeichnen ; h\u00f6ren wir z. B. einen uns schon bekannten Witz, oder stofsen wir auf einen Druckfehler, der, indem er ein \u00fcberhaupt nichtbestehendes Wort ergiebt, sofort als solcher erkannt wird, so bleibt die Verbl\u00fcffung aus ; der Uebergang von Sinn zu, Unsinn aber kann in gleicher Weise wie sonst stattfinden; die Komik jedoch stellt sich nicht oder doch nur in sehr abgeschw\u00e4chtem Maafse ein. \u2014 Fragen wir zuletzt noch, was geschehen wird, wenn das zweite Stadium, in Folge einer tieferen Bedeutung des im Witze verborgenen Sinnes, mehr als sonst psychische Kraft f\u00fcr sich in Anspruch nimmt. Es wird dadurch offenbar die Spannungs-differenz zwischen dem ersten und dem zweiten Stadium verringert, diejenige zwischen dem zweiten und dem dritten Stadium vergr\u00f6fsert ; nach, der Lipps\u2019schen Auffassung mufs demnach eine Verst\u00e4rkung, nach, der meinigen dagegen ein\u00a9 Herabsetzung der komischen Wirkung ein treten. Nun mache man, etwa mit der ScHLEiEEMACHEa\u2019schen Definition der Leidenschaft oder mit Pascal\u2019s \u201eroseau pensant11, den Versuch: man wird h\u00f6chstens ein feines L\u00e4cheln, aber gewifs nicht den Heiterkeitsausbruch wahmehmen, den der d\u00fcmmste Witz, ich m\u00f6chte fast sagen je d\u00fcmmer je besser, hervorzubringen vermag. Aehnliches gilt von denjenigen Witzen, welche, um verstanden zu werden, einiges Nachdenken erfordern,, und bei denen also die mit dem Uebergang vom ersten zum zweiten Stadium verbundene Entspannung der Aufmerksamkeit nicht pl\u00f6tzlich, sondern allm\u00e4hlich zu Stande kommt. Kurz, \u00fcberall erweist sich dieser Uebergang als enU","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Psychologie der Komik.\n173\nsch\u00e8idend, jener andern aber als durchaus belanglos f\u00fcr die\nEntstehung des komischen Gef\u00fchls; was eben zu beweisen war.\nSchliefslich kann es der Lipps\u2019schen Theorie ziemlich gleich-g\u00fcltig sein, in welcher Weise diese Streitfragen ihre L\u00f6sung finden werden. Die Existenz derselben beweist f\u00fcr die Anpassungsf\u00e4higkeit der Theorie, und verst\u00e4rkt das Vertrauen, dafs sie, die 'bereits so Vieles geleistet hat, sieh, auch des Weiteren ihrer Aufgabe voll und ganz gewachsen erweisen wird.\n(Eingegangen am 8, Februar 1899.)","page":173}],"identifier":"lit30722","issued":"1899","language":"de","pages":"164-173","startpages":"164","title":"Zur Psychologie der Komik","type":"Journal Article","volume":"20"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:43:00.986814+00:00"}