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{"created":"2022-01-31T13:41:14.152020+00:00","id":"lit30776","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Pelman","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 20: 221-224","fulltext":[{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht\n221\nhier von Charcot sagt\u00bb dato er nicht nur Gutes, sondern das Gute auch in einer sch\u00f6nen Form gegeben, kann man in gleicherweise auf Moebius an wenden.\nUeberall in seinen verschiedenen Aufs\u00e4teen tritt uns der Naturforscher entgegen, gleich frei von Vorurtheilen wie von sch\u00fcchterner Befangenheit, aus seinen Untersuchungen die Consequenzen zu ziehen. \u2014 Die Aufs\u00e4tze wirf\u00bb daher ihren dauernden Werth behalten.\tPelman.\nF, Raymond et Pierre Janet. livroses et Id\u00e9es txes. Travaux du laboratoire de Psychologie de la Clinique \u00e0 te Salp\u00eatri\u00e8re, Paris, F. Alcan. 2 Bde. 1898.\nIm ersten Bande beschr\u00e4nkt sich Janet darauf, von einigen wenigen Krankheitsf\u00e4llen eine ausf\u00fchrliche psychologische Analyse zu geben unter Benutzung aller Methoden und Apparate, die das psychologische Laboratorium der Neuzeit benutzen mufs. Fixe Ideen setzen immer eine gewisse geistige Schw\u00e4che voraus, namentlich wird di\u00a9 active synthetische Function der Seele gar nicht, oder zu langsam in Th\u00e4tigkeit gesetzt, die neuen Gef\u00fchle und Bilder werden nicht geh\u00f6rig appercipirt, mit dem bisherigen geistigen Capital verschmolzen, automatische Vorg\u00e4nge gewinnen die Oberland. Fast immer handelt es sich um ererbten oder angeborenen Schwachsinn, \u2014 seltener um einen erworbenen, etwa nach Typhus.\nIm zweiten Band handelt es sich um \u00fcber 150 Kranke aus der Poliklinik der Salp\u00eatri\u00e8re. Wae hier Raymond f\u00fcr psychologisch interessant fand, schickt er in das psychologische Laboratorium zu Janet zu kurzer Untersuchung. W\u00e4hrend im ersten Band jeder Fall lange und gr\u00fcndlich beobachtet wird, sieht im zweiten Band Janet jeden Fall nur kurz, 1\u20142 Mal. Trotzdem bietet die Sammlung so ziemlich Alles aus dem Gebiete der Nervenkrankheiten, auf psychischem und somatischem Gebiete, und zeigt so recht die Bedeutung psychologischer Studien f\u00fcr die Erkl\u00e4rung und oft auch die Behandlung nerv\u00f6ser Krankheiten. Aufser dem Mediciner findet auch der Psychologe sehr viel Interessantes und Anregendes.\nUmppenbach.\nP. J. Moebius. Ueber i\u00ab Pathologische hoi Goethe. Leipzig, J. A. Barth, 1898. 208 S.\nEin neues Buch von Moebius bedeutet einen neuen. Genufs, gleichviel ob er sein Werk dem engeren Gebiete der Fachwissenschaft entnimmt, oder sich auf den breiteren Bahnen der Kunst bewegt. Auf beiden Pfaden ist er ein, zuverl\u00e4ssiger F\u00fchrer, dem man sich, getrost anvertrauen darf, und ich kann nichts Besseres thun, als mich dem Kritiker des \u201eLiterarischen Centralblattes\u201c anzuschliefsen, der das Buch f\u00fcr di\u00a9 inhaltreichste Frucht der Goetheforschung der j\u00fcngsten Jahre erkl\u00e4rt. Goethe habe seine Kennte niese der pathologischen Geisteszust\u00e4nde durch Beobachtung des allgemeinen Lebens gewonnen. In der klaren Auffassung und der Wiedergabe dieser Verh\u00e4ltnisse lieg\u00a9 die Bedeutung des Werkes, das \u00a9ine Fundgrube des Neuen und Anregenden darbiete.\nMokbius geht von. der Voraussetzung aus, dafs sich der Dichter nicht nur mit dem normalen, sondern auch mit dem. abnormen Menschen be-schattigen m\u00fcsse, weil der Normalmensch zugleich auch der mittelm\u00e4fsige uni langweilige sei.","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"222\nLitera turbench t.\nDies Bed\u00fcrfnifs nach dem Pathologischen in der Dichtung nehme tag-t\u00e4glich zu, und wenn auch die Ausw\u00fcchse Tadel verdienten, so lege der modernen Bestrebung doch ein richtiges Gef\u00fchl zu Grunde. Man beginnt eben zu begreifen, dato ohne das Verst\u00e4ndnis krankhafter Geisteszust\u00e4nde eine zutreffende Beurtheilung menschlicher Zustande und Werk\u00a9 \u00fcberhaupt unerreichbar sei. Und weil wir bei Goethe das dichterisch \u00a9rfatote Bild des wirklichen Lebens finden, deshalb sind seine Darstellungen so reich an pathologischen Z\u00fcgen und an Hinweisen auf das. Pathologische. In einer Bemerkung \u00fcl)\u00a9r Schillbb spricht sich Goethe geradezu dahin aus, dafs unsere Aesthetik immer enger mit Physiologie, Pathologie und Physik vereinigt werden m\u00fcsse, um die Bedingungen zu erkennen, welchen einzelne Menschen sowohl als ganze Nationen, die allgemeinsten Weltepochen eben so gut als der heutige Tag unterworfen sind.\nWie Goethe \u00fcber das Verh\u00e4ltnis von Geist und K\u00f6rper dachte, ist schwer zu sagen. Anzunehmen ist, dato er Psychiker war, d. h. die Entstehung der Geistesst\u00f6rungen aus psychischen Ursachen herleitete. Der Wahnsinn ist ihm die h\u00f6chste Stufe der Leidenschaft, Leidenschaft aber macht f\u00fcr den Dichter den wahren Menschen. Was ihn anzieht, sind die problematischen Naturen, und nicht der Normalphilister. Daher stotoen wir auch bei Shakespeare und Goethe auf die meisten pathologischen Figuren, nicht gerade auf Wahnsinnige, sondern mehr auf pathologische Zwischenxust\u00e4nde.\nBes\u00e4te Goethe Kenntnisse \u00fcber Geisteskranke?\nAus seinen gelegentlichen Aeuteerungen ergiebt sich ein groteer Ab scheu vor Irrenanstalten, und dato er jemals eine solche Anstalt besucht haben sollte, ist bei diesem Abscheu nicht gerade wahrscheinlich.\nMoebius unterzieht die beiden Anstalten, deren Besuch noch am. wahrscheinlichsten gewesen wire, Frankfurt a. M. und Jena, einer h\u00f6chst interessanten historischen Untersuchung.\nNachdem sich Moebius kurz mit den Bezeichnungen auseinandergesetzt hat, die Goethe benutzte \u2014 Hypochonder, Wahnsinn, Narrheit -\u2014 beginnt er mit Weither\u00ab Leiden.\nWeither war eine pathologische Natur, auf deren Untergrund der Selbstmord schlummerte. Die Leidenschaft l\u00f6ste diese Neigung aus, f\u00fchrte nicht dazu. Werther war leidenschaftlich, weil er abnorm war. \u201eMeine Leidenschaften waren nie weit vom Wahnsinn/4 Dar\u00fcber war sich Gobthk klar. Wir w\u00fcrden Weither jetzt zu den d\u00e9g\u00e9n\u00e9r\u00e9s sup\u00e9rieurs rechnen.\nIhm steht der junge Wahnsinnige gegen\u00fcber, der sehr gut nach der Natur portrait!rt ist.\nIn Lila behandelt Goethe den Fall, wie ein Geisteskranker durch Eingehen auf sein\u00a9 Ideen geheilt wird. Er zeichnet dabei 'in Lila eine Paranoische, obwohl er von Paranoia kein\u00a9 Ahnung haben und folglich auch nicht wissen konnte, dato sie unheilbar sei. Er f\u00fchrt einen Gedanken von sich aus, dato man sich durch entschiedene Hinneigung zum Wirklichen aus einer krankhaften Verstimmung befreien k\u00f6nne.\nHier wie noch mehrfach im Verlaufe der Darstellung k\u00f6nnen wir nn\u00a7 des Eindruckes nicht erwehren, als ob Moebius des Guten etwas zu viel thue. Er legt sein grotoes Wissen in die Waagschale der Gedanken und","page":222},{"file":"p0223.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n223\nmuthet Goethe Ideen und Absichten zu, die er allem Vermuthen nach nicht hatte und nicht haben konnte, ln die Werkst\u00e4tte des Genies einzudringen, ist ein schweres Unterfangen, das auch den Scharfsinnigsten zuweilen auf Abwege f\u00fchren kann.\nIn Gretchen schildert Gokthk die Verworrenheit, w\u00e4hrend er bei Orest die Krynnien des alten Euripides in dem modernen Gew\u00e4nde der Gewissensbisse auftreten l\u00e4fst, und in Orest kaum einen Geisteskranken sieht.\nAte er seinen Tasso begann, wufste er von der Geisteskrankheit Tasso\u2019s noch nichts. Nachher arbeitete er das St\u00fcck um, und daher ist es gekommen, dafs er einen wirklich Geisteskranken auf die B\u00fchne bringt, was nicht \u00e4sthetisch ist. An und f\u00fcr sich ist die Schilderung der Paranoia vortrefflich.\nDen Wilhelm Meister hat Goethe vielfach \u00fcberarbeitet, und daher mag es kommen, dafs die einzelnen Theile nicht recht zusammenstimmen. Zudem ist es mehr eine Bildung der Phantasie, eine poetische (J\u00dcbertragung als \u00a9ine Zeichnung nach der Natur. Aus Wahrheit und Dichtung sind es Lenz und Zimmermann, die uns hier ber\u00fchren. Ersterer ist ein mal \u00e9quilibr\u00e9, den Mobbius an Dementia praecox erkranken l\u00e4fst, w\u00e4hrend Zimmermann wohl ein Genie ist, aber ein vielfach krankhaftes.\nAuch sonst stofsen wir vielfach auf Erscheinungen, die wir bald als wunderbar, bald als d\u00e4monisch zu bezeichnen geneigt sind. Sie fallen ebenso wie das Gew\u00f6hnliche in den gesetzlichen Zusammenhang der Dinge, es liegt nur an unserer Unkenntnifs, dafs wir ihre gesetzlichen Beziehungen nicht verstehen.\nDen Schlufs des Werkes bilden Angaben \u00fcber Gobtbb\u2019b Person und Familie. Der Vater war wenig bedeutend, eng, pedantisch. Die Mutter dagegen geistig begabt, und Mobbius ist geneigt, mit Anlehnung an die Lehre \u00dcchopenhaubb\u2019s von der Erblichkeit, die geistige Bedeutung Goethb's nach Bismarck\u2019s trefflichem Ausdrucke als ein Kunkellehn auf zu fassen.\nSeine Schwester Cornelia war entschieden pathologisch.\nGokthk selber machte Perioden des Weltschmerzes durch, auch erlitt or einen Blutsturz und war sp\u00e4terhin wiederholt krank. Stellenweise wird -er von Nervosit\u00e4t heimgesucht, und Gedanken an Selbstmord treten bei ihm auf.\nBeil\u00e4ufig bemerkt, ist neuerdings der Versuch gemacht worden, dem grofsen Dichter allerhand nicht gerade sch\u00f6ne Krankheiten anzuh\u00e4ngen. Diese angeblich aus eigenh\u00e4ndigen Angaben Goethe's herstammenden, in Wirklichkeit aber geradezu bei den Haaren herbeigezogenen Ungeheuerlichkeiten finden an anderer Stelle {M\u00fcnch. Medic. Zeitung) von Mobbius die geb\u00fchrende Abweisung.\nZur Zeit des Mannesalters war er ausgereift. Er war wie Tamino durch Feuer und Wasser gegangen, das Pathologische verschwindet, obwohl or auch noch jetzt periodischen Schwankungen unterworfen ist, in denen \u00a9r mit besonderer Leichtigkeit dichtete (sein Hafis). Auch der sp\u00e4tere Johannistrieb geh\u00f6rt hierher, wie nun einmal H\u00f6herstehen und Pathologisch-\u00a9ein untrennbar zusammen geh\u00f6ren.\nDie Christine Vulpius wird von Mobbius in Schutz genommen, obwohl er sie vom Verdachte des Trinkens nicht frei sprechen kann. Der einzige","page":223},{"file":"p0224.txt","language":"de","ocr_de":"224\nLitera turberi eh t\nS\u00f6hn Goethes trinkt und stirbt wahrscheinlich durch Selbstmord. Moebius ist nicht abgeneigt, ihn f\u00fcr paralytisch zu halten. Die anderen Kinder Gobthe\u2019s sterben jung.\nMoebius schliefst sein vortreffliches Buch mit den Worten : Man sagt, daft die Familien, wie die Einzelnen eine bestimmte Lebensdauer haben. Der Stamm Goiimrt ist verdorrt. Seine Familie 'trieb in ihm. eine k\u00f6stliche Bln the und str\u00f6mte damit ihre Kraft ans, nach ihm aber folgten nur noch lebensechtwache Triebe. Der Genius erscheint auf der Erde nicht, um die Zahl der Menschen zu vermehren, seine Werke sind seine unsterblichen Kinder.\tPblman.\nK. Mendel. Heber ZvtlgSYOFSteUllgei. Neurol. Centralblatt 17 (1), 8. 7\u201410.\n1898.\nDie Arbeit ist wesentlich von klinischem Interesse und w\u00e4ret insbesondere davor, den Begriff \u201eZwangsvorstellung44 gar zu weit auszudehnen, wie das letzthin mehrfach geschehen ist. M. schliefst sich eng an die Definition Westphai/h an, der 1877 die Zwangsvorstellungen in die deutsche Psychiatrie einf\u00fchrte, und hebt vom psychologischen Standpunkte aus als f\u00fcr sie charakteristisch hervor, \u201edafs entweder der Associationsvorgang von Ursache und Wirkung oder der des Contrastes di\u00a9 Herrschaft im Denk vorgange \u00fcbernimmt\u201c.\tErnst Schultz* (Bonn).\nFrancis 0. Simpson. The Specific firtvtfj if fie lutARS Iralft. Jmm. of\nMent. Sc. October 1898.\nS. beruft sich mm Vergleich auf die Arbeit von Sonkey \u00fcber da\u00a7 spec. Gewicht des Gehirns (British and Foreign Medico-Chirurg. Review of IBM). Nach Sonrky ist das spec. Gewicht der grauen Substanz im Durch schnitt 1034, der weifsen Substanz 1041. Simpson berechnete das Gewicht bei SO Gehirnen von Geisteskranken, und zwar 14 M\u00e4nnern und 16 Weibern. Die Untersuchung fand statt durchschnittlich B\u00f6 Stunden post mortem. Das Durchschnittsalter der Verstorbenen war 54, und zwar handelte es sich um. allg. Paralyse, senile Demenz, epileptische und anderen Demenz, Im-becillit\u00e4t, \u2014 also um chronische Krankheitszust\u00e4nde. Das spec. Gewicht wechselt je nach der Localisation im, Gehirn.. Es sei hier nur erw\u00e4hnt, daft die weifte Substanz bei beiden Geschlechtern im Durchschnitt 1041 betrag, also wie bei dem, Gehirn Geistiggesunder. Die graue Substanz 'betrug im Durchschnitt 1037, und zwar bei den M\u00e4nnern 1039, bei den Weibern 1082, bei ersteren also h\u00f6her als das Normalgewicht, bei letzteren geringer.\tUmpfbnbach.","page":224}],"identifier":"lit30776","issued":"1899","language":"de","pages":"221-224","startpages":"221","title":"P. J. Moebius: Ueber das Pathologische bei Goethe. Leipzig, J. A. Barth, 1898. 208 S.","type":"Journal Article","volume":"20"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:41:14.152025+00:00"}