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{"created":"2022-01-31T15:15:40.650745+00:00","id":"lit30832","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Meyer, Max","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 20: 444-446","fulltext":[{"file":"p0444.txt","language":"de","ocr_de":"444\nLiteraturbericht.\nRudolf Schulze. \u00dceber IltAgaialjie. Philosophische Studien 14 (3), 471\u2014489. 1898.\nWir haben dem Verfasser daf\u00fcr zu danken, dafs er sich der ge wife nicht sehr angenehmen M\u00fche unterzogen hat, Versuche, die um 5 bis 7 Jahre zur\u00fcckliegen, noch nachtr\u00e4glich zu ver\u00f6ffentlichen. Er merkt selber an, dafs er auf eine eingehendere Er\u00f6rterung der betreffenden Probleme in ihrer augenblicklichen Entwickelung verzichte. Die Versuche werden vielmehr vom Verfasser von dem Standpunkte aus dargestellt und gedeutet, den er bei ihrer Anstellung einnahm. Wenn ich im Folgenden einzelne Ausf\u00fchrungen des Verfassers zur\u00fcckweise, so geschieht 'dies nicht, um ihm f\u00fcr seine M\u00fche noch obendrein einen Tadel auszusprechen, sondern vielmehr, um zu zeigen, dafs der Standpunkt, von dem aus die betreffenden Fragen heutzutage zu betrachten sind, ein wesentlich anderer geworden ist.\nS. behauptet zun\u00e4chst : \u201eWirken zwei oder mehrere Smussehwmgungen (auf unser Geh\u00f6rorgan) ein, so ist man im Stande, die Empfindung nachzuweisen als die Summe mehrerer Empfindungen, also zu analysiren\u201c. Diese Behauptung ist in ihrer Allgemeinheit nachweislich falsch. Z. B. ist die Empfindung bei Tonerzeugung durch eine Stimmgabel gew\u00f6hnlich nicht analysirbar, obwohl object!v wirklich mehrere (verschieden frequente) Sinusschwingungen vorhanden, sind.\nBei seiner Fragestellung im Weiteren lifst sich der Verfasser leiten durch die R\u00fccksicht auf die HelmholTz\u2019sche Annahme mitschwingender Theilchen.\nFerner sagt der Verfasser: \u201eDas Gesetz der musikalischen Verwandtschaft besagt, dafs Gonsonanzen schwerer zu analysiren Bind als Dissonanzen\u201c. Sollte dieses Gesetz wirklich in der Musik \u2014 z. B. in Bebt-hoven*\u00ae Symphonien \u2014 verwirklicht sein?\nSodann meint der Verfasser, in Analogie mit anderen Sinneagebieten m\u00fcsse man auf Grund der HELMHOLTz\u2019schen Theorie erwarten, dafe bei naheliegenden T\u00f6nen die Analyse erschwert sei. Es frag\u00a9 sich, warum dar\u00fcber nichts bekannt sei. Mir scheint freilich die Analogie zu einer derartigen Behauptung \u00fcberhaupt nicht hinreichend zu sein.\nIn Bezug auf di\u00a9 Ausf\u00fchrung der Versuche ist zu erw\u00e4hnen, dafe die zu h\u00f6renden Kl\u00e4nge zwei Secunden (eine f\u00fcr musikalisch ge\u00fcbte Beobachter sehr lange Zeit) andauerten. Ein bedenklicher Mangel scheint mir zu sein, dafs \u00df. \u2014 freilich in bester Absicht \u2014 Stimmgabelt\u00f6ne an wandte, da deren St\u00e4rke nicht constant ist.\nDi\u00a9 Ergebnisse zu deuten, ist nun f\u00fcr jeden, der nicht die genauesten Einzelheiten der Versuche kennt, aufeerordentlich schwierig. Ich kann mir daher keine eigene Meinung bilden, sondern will nur die Schl\u00fcsse, die S\u00ab zieht, kritisch betrachten.\nWenn unter je 60 F\u00e4llen der Klang 1:3:5 42 Mal, der Klang 1: 2:4 : i nur 3 Mal mehr, n\u00e4mlich 45 Mal \u201eunanalysirt bleibt\u201c, so w\u00fcrde ich mich noch nicht f\u00fcr berechtigt halten zu achiiefeen, dafe die Versuchsperson die gradzahligen Obert\u00f6ne etwas schwerer zu analysiren vermag. Gr\u00f6feer ist freilich der Zahlenunterschied bei den anderen Versuchspersonen. (Siehe Tabelle.)","page":444},{"file":"p0445.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turberich t.\n445\n\tA\tB\tC\n1:3:5\t42\t1\t44\t41\n1: 2 : 4 : 6\t45\t22\t25\nAber wenn man einen Schlufs ziehen wollte, so m\u00fcfste man zun\u00e4chst wissen, was dies\u00a9 Zahlen \u00fcberhaupt bedeuten? \u201eDafs der 'Klang keinen Anhalt f\u00fcr die Analyse bot\u201c, meint der Verfasser. Aber damit ist gar nichts gesagt. Was geschah denn in den \u00fcbrigen F\u00e4llen? Einen Vierklang analysiren ist doch nicht etwa vergleichbar damit, wenn ich einen aus vier St\u00fccken zusammengeleimten Holzrahmen auseinanderreifse. Was f\u00fcr Urtheile f\u00e4llten die Versuchspersonen bei \u201eNicht-Analyse\u201c und bei \u201eAnalyse ?\u201c\nWas heilst das, dafs \u201edie Kl\u00e4nge zusammenfliefsen?\u201c Ich habe trotz der gr\u00f6fsten Anstrengung noch nie etwas von einem Zusammenfliefsen von Kl\u00e4ngen wahraehmen k\u00f6nnen!\nWie der Verfasser seine Tabelle III berechnet hat, weifs ich nicht. Ich kann daher nur sagen, sie scheint mir nicht einwandfrei zu sein.\nAuch aus Tabelle IV vermag ich nichts auch nur mit einiger Sicherheit zu erschliefsen. Was der Verfasser von einem \u201eNormalklang jedes Individuums\u201c sagt, kann etwas Wahres enthalten.\nS. 478 f. stellt der Verfasser dann Betrachtungen an, die sich ziemlich decken mit meinen Ausf\u00fchrungen (diese Zeitschrift ltd. 17, 8. 413\u2014416) \u00fcber besondere das IJrtheil beeinflussende Klangeigenth\u00fcmlichkeiten, deren Wichtigkeit bei Versuchen der in Frage stehenden Art neuerdings auch von Stumpf zugegeben wird. (Beitr\u00e4ge zur Akustik und Musikwissenschaft, 2, Heft, S. 1691; bestritten diese Zeitschrift Bd. 17, S, 429 sowie Bd. 18, \u00df. 301). Aber die Erkennung derartiger Klangeigenth\u00fcmlichkeiten kann man nicht wohl eine \u201eAnalyse\u201c des Klanges nennen I\nSehr wichtig sind nun die Versuche mit Zweikl\u00e4ngen von k\u00fcrzerer Bauer, wobei die Versuchsperson die geh\u00f6rten T\u00f6n\u00a9 nachzusingen hatte. Der Verfasser zieht aus seinen Versuchen den Schlufs, dafs die Analyse hei engeren Intervallen schwerer sei als bei weiteren. Er behauptet, dafs \u201edies Gesetz bisher nicht zur Beobachtung gelangt ist.\u201c Das d\u00fcrfte doch wohl ein Irrthum sein; wird \u00a9s doch bereits in Stumpf*s Tonpsychologie erw\u00e4hnt. So freilich, wie der Verfasser es hinstellt, d\u00fcrfte es erheblichen Ein w\u00fcrfen ausgesetzt sein, wie ich sogleich zeigen will.\nEr meint, dafs die Schwebungen bei Secunden und Terzen unter gew\u00f6hnlichen Umst\u00e4nden leicht verhindern k\u00f6nnen, dafs ein Beobachter einen Klang f\u00fcr einen Ton erkl\u00e4rt. Bas d\u00fcrft\u00a9 kaum bestritten werden k\u00f6nnen. Aber diesem Uebelstande kann man doch kaum dadurch entgehen, dafs man die absolute Anzahl der Schwebungen bei den verschiedenen Intervallen durch Verk\u00fcrzung der Klangdauer bei den weiteren Intervallen gleichgrofs macht.1 Zwei Schwebungen innerhalb 0,008 Sec. sind doch nicht ebensoleicht merklich wie zwei Schwebungen innerhalb 0,1 Sec. Die\n1 Der Verfasser hat dies nicht wirklich so gethan, doch l\u00e4uft seine Deutung der Versuche darauf hinaus.","page":445},{"file":"p0446.txt","language":"de","ocr_de":"446\nBehauptung des Verfassers, dafs z. B. zwei Gabeln von 297 und 495 Schwingungen (3:6, grofse Sexte) 198 Schwebungen in der Seconde erzeugen, mufs ich als nicht auf Beobachtung, sondern auf einer falschen Theorie beruhend ablehnen. Freilich zwei Gabeln von 4000 und 4198 Schwingungen w\u00fcrden 198 Schwebungen erzeugen ; die Gabeln des obigen Intervalls thun es nicht. Wenn man zur Erkl\u00e4rung der Tabelle IX \u00fcberhaupt sinnee* physiologische Daten heranziehen will, so k\u00f6nnte es meines Erachtens h\u00f6chstens das starke Auftreten eines Zwischentons bei den kleineren Intervallen (den drei ersten der Tabelle) sein ; bei den \u00fcbrigen Intervallen, bei denen ein Zwischenton (in dieser H\u00f6henlage) kaum noch auftritt, zeigten sich auch keine weiteren Unterschiede der Zeitdauer. Aber ich sehe \u00fcberhaupt nicht, was derartige peripher-physiologische Erkl\u00e4rungen mit der Analye zu thun haben, die doch nicht in einer Empfindungs\u00e4nderung besteht. Wenigstens halte ich es nicht f\u00fcr durchf\u00fchrbar, mit \u201eAnalyse4* die verschiedenartigsten Vorg\u00e4nge zu bezeichnen. Ich betone jedoch noch, dafs ich 8. in der Annahme einer Erleichterung der Analyse durch Ver-gr\u00f6fserung des Intervalls (mit Abstraction von allem Wechsel sonstiger Verh\u00e4ltnisse) durchaus zustimme, wenn ich auch in dieser rein psychologischen Thatsache keine St\u00fctze der HaLMHOLTz\u2019schen Theorie des H\u00f6rens erblicke.\nSehr interessant ist, dafs auch bei den Versuchen von 8. die Con-sonanzen leichter richtig an\u00e4lysirt wurden. Der Verfasser meint, das scheine mit der musikalischen Uebung zusammenzuh\u00e4ngen; er sagt aber nicht, wie. Mir scheint es nicht gerechtfertigt, eine vollzogene \u201eAnalyse\u201c (in der psychologischen Bedeutung des Wortes) anzunehmen, es sei denn, dafs die Analyse auch richtig ist. Bei \u201eunrichtiger Analyse\u201c d\u00fcrfte eben die Analyse unfertig geblieben und das Urtheil auf Grund eines indirecten Kriterium vollzogen sein. (8. scheint das allerdings auch Analyse zu nennen I)\nWichtig ist die Bemerkung von 8., dafs h\u00e4ufig \u201edie Gleichzeitigkeit in eine Succession aufgel\u00f6st\u201c worden sei.\nDie physiologisch-theoretischen Betrachtungen, die 8. hierbei anstellt, scheinen mir jedoch nichts weniger als \u00fcberzeugend. Vor Allem bin ich geneigt zu bezweifeln, dafs die Dauer der k\u00fcrzesten Kl\u00e4nge wirklich 0,006 Sec. betrug. Der Verfasser hat nichts beigebracht, um zu beweisen, dafs innerhalb seines Leitungsrohres Schallreflexionen (und damit Verl\u00e4ngerung der Klangdauer) ausgeschlossen waren. Er scheint daran \u00fcberhaupt nicht gedacht zu haben.\nSodann verstehe ich nicht, was f\u00fcr ein Zusammenhang in Bezug auf k\u00fcrzeste Zeitdauer nothwendigerweise besteht zwischen einer \u201eSuccession von Empfindungen\u201c und einer durch einen periodischen physikalischen Vorgang bewirkten Geh\u00f6rsempfindung.\nM\u00f6gen auch manche Folgerungen des Verfassers nicht unanfechtbar sein, so hat er doch durch die Ver\u00f6ffentlichung seiner Versuche die bisher bekannten Thatsachen auf dem Gebiete der Klangbeurtheilung um einige interessante Einzelheiten vermehrt.\nMax Mstsr (Hanover U. S. A.).","page":446}],"identifier":"lit30832","issued":"1899","language":"de","pages":"444-446","startpages":"444","title":"Rudolf Schulze: Ueber Klanganalyse. Philosophische Studien 14 (3), 471-489. 1898","type":"Journal Article","volume":"20"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:15:40.650751+00:00"}