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{"created":"2022-01-31T13:56:02.855770+00:00","id":"lit30842","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Wreschner, Arthur","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 13: 81-84","fulltext":[{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\nC. G\u00fcttler. Psychologie und Philosophie. Ein Wort zur Verst\u00e4ndigung.\nM\u00fcnchen, Piloty & Loehle. 1896. 34 Seiten.\nF. Kr\u00fcger. Ist Philosophie ohne Psychologie m\u00f6glich? Eine Erwiderung.\nM\u00fcnchen, Ackermann. 1896. 28 Seiten.\nDen III. Internationalen Kongrefs f\u00fcr Psychologie und die zu seinen Gunsten am Ende vorigen Jahres in M\u00fcnchen gehaltenen \u00f6ffentlichen Vortr\u00e4ge nimmt G\u00fcttler als Veranlassung zu einem energischen Proteste gegen die moderne \u201ePsychologie ohne Seele\u201c. Er schildert zun\u00e4chst im Anschl\u00fcsse an das Arbeitsprogramm des Kongresses die Aufgaben, welche sich die heutige Psychologie stellt, wendet sich darauf der \u201ewissenschaftlichen Definition\u201c der Psychologie zu, um schliefs-lich das Verh\u00e4ltnis der Psychologie zur Philosophie und die Stellung der ersteren innerhalb der Universit\u00e4tswissenschaften festzulegen.\nWenn die heutige Psychologie, so f\u00fchrt Verfasser in dem ersten Abschnitte aus, sich mit den mannigfaltigsten und verschiedenartigsten Problemen befasse, so ber\u00fccksichtige sie nur \u201edas vorbereitende Stadium der Induktion\u201c, w\u00e4hrend dem Begriffe der Psychologie doch auch \u201eeine deduktive Bedeutung zukommt, insofern alle Forschung erst auf Grund einer bereits vorhandenen mit Urteilskraft ausgestatteten Psyche in Angriff genommen werden kann.\u201c (S. 7.) Eine einheitliche Wissenschaft verlange eine genau bestimmte Methode; die heutige sogenannte \u201eempirische\u201c Psychologie f\u00f6rdere nur den Dilettantismus.\nWas die Definition der Psychologie betrifft, so stritten heute mindestens drei Psychologien um den Vorrang: Psychophysiologie, Psychophysik und die Psychologie des normalen Individuums. Einm\u00fctig sei man nur in der Ablehnung jeder spiritualistischen Psychologie und in der Forderung der empirischen Methode, ohne hierbei allerdings zu bedenken, dafs der Materialismus, der Begriff der Apperzeption mit der Aktualit\u00e4tstheorie und dem Voluntarismus, sowie die Lehre vom Unbe-wufsten metaphysiche Voraussetzungen sind und dafs, wie neuere Arbeiten von Dilthey, Ebbinghaus und Wundt selbst klarlegen, die heutige Psychologie voll von allerlei Hypothesen ist.\nDie empirische Psychologie kann also nicht als \u201eWissenschaft des Geistes\u201c Anspruch auf eine \u201eGrund- und Zentral Wissenschaft\u201c erheben und somit an die Stelle der alten Philosophie treten. Wird eine philo-\n6\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XIII.","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nLitter atur bericht.\nsophische Schulung der akademischen Jugend verlangt, so m\u00fcssen Geschichte der Philosophie, Logik, Erkenntnistheorie, Religionsphilo-sophie etc., die eigentlich philosophischen Disziplinen, wieder in ihr altes Hecht treten, in philosophischen Seminaren, an denen obligatorisch alle zuk\u00fcnftigen Staatsdienstaspiranten teilzunehmen haben, ge\u00fcbt werden, und neben der empirischen Psychologie mufs die metaphysische gepflegt werden. Wenn man die Philosophie auch als ein \u201eFach\u201c bezeichne, so sei dies ein Unrecht und eine Folge der \u201eDemokratie der Wissenschaft\u201c, welche die \u00dcberordnung irgend eines Gebietes nicht vertrage. Den Schlufs bildet ein Hinweis auf die hohe Bedeutung der Metaphysik, Kunst und Religion, insbesondere des Unsterblichkeitsglaubens und des Gottesbewufstseins.\nEine Erwiderung fand diese Schrift durch F. Kr\u00fcger, einen jungen Gelehrten aus der M\u00fcnchener \u201ePsychologenschule\u201c, welche, wie Verfasser selbst bekennt, \u201ein bewufstem Gegensatz zu der Einseitigkeit einzelner physiologischer Psychologen und psychologisierender Naturforscher in erster Linie die Psychologie des \u201enormalen Individuums\u201c, diese aber in ihrer ganzen Breite und Tiefe empirisch zu erforschen sich bem\u00fcht.\u201c (12) Er wirft G\u00fcttler vor allem eine Verwechselung der Begriffe von experimenteller, naturwissenschaftlicher und empirischer Methode vor. Die heutige Psychologie sei keine Naturwissenschaft, sondern eine Erfahrungswissenschaft, die die induktive, aber ihrem Objekte entsprechende und eigent\u00fcmliche Methode zur Anwendung bringe. Hierzu geh\u00f6re allerdings auch das Experiment, welches \u00fcbrigens einen sehr weiten Sinn haben kann, aber nur als H\u00fclfsmittel, ebenso wie auch die Tier-, Kindes- und V\u00f6lkerpsychologie nur H\u00fclfswissenschaften der reinen empirischen Psychologie, welche \u201edas psychische Leben in seiner ganzen Mannigfaltigkeit als ein gesetzm\u00e4fsiges\u201c zu begreifen sucht, seien. Nur Dilettanten, die allerdings immer noch in grofser Zahl vorhanden sind, glauben die Psychologie durch Physiologie ersetzen zu k\u00f6nnen. Selbst die Lehre vom psychophysischen Parallelismus sei nur ein regulatives und heuristisches Prinzip, welches lediglich soweit Geltung hat. als es durch die Erfahrung best\u00e4tigt wird. Ebenso wenig k\u00f6nne man aus der Anwendung von Hypothesen der Psychologie einen Vorwurf schmieden, da sie in jeder Wissenschaft, wenn sie auch noch so exakt ist, n\u00f6tig und keineswegs \u201emetaphysische Voraussetzungen\u201c sind. Das deduktive Verfahren lehne die empirische Psychologie durchaus nicht ab, fordere allerdings stets die Kontrolle der Erfahrung, auf welche jedoch die G\u00fcTTLERSche Psychologie mit ihrem Substanzbegriffe verzichte. Die Definition der Psychologie habe vielmehr auf die unmittelbar gegebenen, keinem kritischen Bedenken und Zweifel unterworfenen Bewufstseinsthatsachen zu rekurrieren, w\u00e4hrend eine Unterscheidung zwischen empirischer und metaphysischer Psychologie methodologisch unm\u00f6glich sei und gegen die Einheit des Bewufst-seins verstofse. Auch bleiben f\u00fcr die metaphysische Psychologie keinerlei Probleme \u00fcbrig, da das Unsterblichkeitsdogma und das Gottesbewufstsein, abgesehen von ihrer empirisch-psychologischen Bedeutung, keine wissenschaftlichen Fragen sind.","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n83\nHieraus ergiebt sich nach dem Verfasser von selbst das Verh\u00e4ltnis der Psychologie zur Philosophie. Denn diese als \u201eWissenschaft der Prinzipien\u201c m\u00fcsse auf die letzten Daten der Erfahrung d. h. auf die Be-wufstseinserscheinungen, mit denen es ja alle Wissenschaft zu thun habe (\u201eDie Welt ist Bewufstseinsinhalt\u201c), zur\u00fcckgehen. Selbst die Naturwissenschaften machen psychologische Voraussetzungen; die Geisteswissenschaften (Jurisprudenz, Theologie, National\u00f6konomie etc.) st\u00e4nden noch n\u00e4her der Psychologie; am unmittelbarsten aber seien mit der Psychologie die sogenannten philosophischen Disziplinen (Ethik, \u00c4sthetik, Geschichte der Philosophie, Logik, Erkenntnistheorie, Religionsphilo-sophie etc.) verbunden, die eigentlich nur Teile oder Anwendungen der empirischen Psychologie sind. Daher verdanken diese Wissenschaften, namentlich die National\u00f6konomie und Logik, auch ihre Fortschritte in der neueren Zeit vor allem der Ber\u00fccksichtigung der empirischen Psychologie. \u201eSoll \u00fcberhaupt von einem einigenden \u201egeistigen Bande aller einzelnen Wissenschaften\u201c die Rede sein, so kann nur die empirische Psychologie \u2014 eine andere giebt es nicht \u2014 hierf\u00fcr in Betracht kommen.\u201c (25.) Wenn diese empirische Psychologie die \u201eletzten und h\u00f6chsten Fragen\u201c aufser Acht lasse, so k\u00e4me es zun\u00e4chst darauf an, was die \u201eletzten und h\u00f6chsten Fragen\u201c seien. Sodann aber besch\u00e4ftige sie sich doch thats\u00e4chlich mit sehr vielen bisher als metaphysisch angenommenen Fragen (Mitleid, Ichgef\u00fchl etc ). Die wirklich transzendentalen Probleme k\u00f6nnen aber f\u00fcglich erst ans Ende der wissenschaftlichen Untersuchung als \u201eKr\u00f6nung\u201c gestellt werden, wie dies Fechner, Lotze und Wundt auch wirklich gethan haben. Metaphysik sei etwas Grofses und Erhabenes, aber \u201edie allerpers\u00f6nlichste Sache der Welt und interessant wie alles Pers\u00f6nliche\u201c, das von den wissenschaftlichen Resultaten wohl zu trennen ist. \u201ePhilosophie als Wissenschaft ist daher v\u00f6llig unm\u00f6glich ohne empirische Psychologie.\u201c (28.)\nZu dem Streite, den die neuere Psychologie mit der Physiologie durchzufechten hat, kommt nunmehr also auch ein solcher mit der Philosophie, und der empirische Psychologe befindet sich in der schwierigen Position, einen Kampf nach zwei Fronten gleichzeitig zu f\u00fchren. Wer sich jedoch selbstth\u00e4tig mit der neueren Psychologie besch\u00e4ftigt, wird kaum im Zweifel sein, auf wessen Seite das Recht und der Sieg liegt. Jene Psychologie, welche G\u00fcttler als die metaphysische bezeichnet, d\u00fcrfte ein sehr wenig geeignetes Mittel zur \u201eVerst\u00e4ndigung\u201c sein. Es ist durchaus richtig, wenn Kr\u00fcger sc\u00fcarf zwischen Erfahrungsund Naturwissenschaft unterscheidet. Und doch scheint mir auch dieser mit seinen Ausf\u00fchrungen weit \u00fcber das Ziel hinausgeschossen zu haben. Wenn man ihm auch vom theoretischen und rem logischen Standpunkte aus v\u00f6llig beistimmt, so wird man doch zugeben m\u00fcssen, dafs in Wirklichkeit die Verh\u00e4ltnisse anders liegen, als man nach seinen Darstellungen vermuten d\u00fcrfte. Zun\u00e4chst wird doch der Begriff der Psychologie nur selten in so weitem und umfassendem Sinne von ihren Vertretern gefafst, als es Kr\u00fcger darlegt. Und wenn er von einer ganzen Psychologenschule in M\u00fcnchen spricht, so ist bisher von dieser in der weiten \u00d6ffentlichkeit doch noch wenig bekannt. Kr\u00fcger wird selbst zu-\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\nJAtteraturbericii t.\ngestehen m\u00fcssen, dafs sich oft recht einseitige und namentlich auf das Experimentelle beschr\u00e4nkte Richtungen unter den heutigen Psychologen, die auch Vertreter der Philosophie sein sollen, geltend machen. Sodann aber, seihst wenn man den Begriff der Psychologie im KR\u00dcGERSchen Sinne annimmt und zugiebt, dafs Erkenntnistheorie, Logik, Geschichte der Philosophie etc. nur Anwendungen der Psychologie sind, so ist es doch eine nicht zu bestreitende Thatsache, dafs diese Anwendungen nur selten gemacht werden.\nNeben dieser allgemeinen Bemerkung fordert aber die KR\u00fcGERsche Arbeit noch einige spezielle heraus. Zun\u00e4chst scheint es mir eine k\u00fchne Behauptung zu sein, dafs das Gesetz von der Erhaltung der Energie nur von \u201ew\u00e4gbaren Massen und mefsbaren Bewegungen\u201c gilt. (S. 19.) Das N\u00e4mliche gilt von dem Satze, dafs der ganze Gegensatz zwischen normativen und erkl\u00e4renden Wissenschaften ein \u201ev\u00f6llig \u00e4ufserlicher und psychologisch unberechtigter\u201c ist. (S. 22.) \u2014 Die Verteidigung der Hypothesen ist eine wenig gl\u00fcckliche zu nennen. Gewifs sind Hypothesen n\u00f6tig und wertvoll, aber es kommt doch sehr darauf an, in welcher Zahl sie auftreten, welchen Grad von Wahrscheinlichkeit, eine wie breite empirische Grundlage sie haben und welche Bedeutung sie innerhalb eines Wissensgebietes beanspruchen. Sehr wenig \u00fcberzeugend scheint mir auch der Hinweis, dafs alles letzten Endes eine Bewufst-seinsthatsache ist. Wenn dem so ist, dann h\u00f6rt eben diese Thatsache auf, ein unterscheidendes Kriterium zwischen den einzelnen Erscheinungsgebieten zu sein, und die einzelnen Wissenschaften haben ohne R\u00fccksicht auf diese Thatsache nach einem anderen Einteilungsprinzip sich voneinander zu sondern. In der That, wie herzlich wenig Psychologie hat doch der Physiker, Botaniker etc. n\u00f6tig, um etwas T\u00fcchtiges in seinem Gebiete zu leisten! Endlich noch ein Wort zu der L\u00f6sung der \u201eletzten und h\u00f6chsten\u201c Fragen durch die empirische Psychologie. Ich gehe zu, dafs manche Fragen, welche bisher die Metaphysik in dogmatischer Weise behandelte, durch die empirische Psychologie mit der Zeit ihre befriedigende, wissenschaftliche L\u00f6sung finden werden. Aber dessenungeachtet werden \u201eletzte\u201c Fragen \u00fcbrig bleiben, vor denen auch die vollkommenste Psychologie Halt machen mufs. Man leistet gerade der empirischen Psychologie einen schlechten Dienst, wenn man sie als den Schl\u00fcssel zu allen, selbst den geheimsten und innersten Gem\u00e4chern der Natur hinstellt.\tArthur Wreschner (Berlin).\nW. Jerusalem. Die Psychologie im Dienste der Grammatik und Interpretation. Wien, A. Holder. 1896. 23 S.\nJeder Satz ist nach dem Verfasser aus zwei Elementen zusammengesetzt, dem generischen und individuellen. Jenes besteht in W\u00f6rtern und Wortverbindungen, welche von den Sprachgenossen verstanden und ebenfalls angewendet werden; dieses liegt in den besonderen Beziehungen, Assoziationen von Vorstellungen, Gef\u00fchlen und Willensimpulsen, die beim Aussprechen des Satzes in der Seele des Sprechenden wirksam sind. Mit dem generischen Elemente besch\u00e4ftigt sich die Grammatik und das Lexikon, mit dem individuellen die Inter-","page":84}],"identifier":"lit30842","issued":"1897","language":"de","pages":"81-84","startpages":"81","title":"C. G\u00fcttler: Psychologie und Philosophie. Ein Wort zur Verst\u00e4ndigung. M\u00fcnchen, Piloty & Loehle. 1896. 34 Seiten / F. Kr\u00fcger: Ist Philosophie ohne Psychologie m\u00f6glich? Eine Erwiderung. 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