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{"created":"2022-01-31T14:06:51.646811+00:00","id":"lit30845","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Wallaschek","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 13: 88-89","fulltext":[{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\nLitteraturbericht.\nsich dann auch die von ihm ausgesprochene Hoffnung, dafs wir k\u00fcnftig einmal, bei genauer Typenkenntnis, im st\u00e4nde sein werden, eine Prognose \u00fcber den Einflufs eines bestimmten Ereignisses auf ein bestimmtes Individuum anstellen zu k\u00f6nnen.\nDie folgenden Teile der Abhandlung Shands stehen nur in ganz losem Zusammenh\u00e4nge mit dem ersten. Sie wollen die Prinzipien entwickeln, nach denen eine Einteilung der Gef\u00fchle zu erfolgen hat, eine Einteilung, die nach Shand notwendige Vorbedingung f\u00fcr eine Klassifikation der Typen ist. Die Hauptscheidung, die er macht, ist die zwischen \u201eemotions\u201c und \u201esentiments\u201c, Affekten einerseits, Neigungen, Interessen, Tendenzen andererseits. Ihr Unterschied liegt in dem Grade der Organisation. Die Neigungen sind hochorganisierte Gef\u00fchle, die Affekte stehen auf einer Stufe relativer Isolierung und Einfachheit; jene sind stabil, diese wechseln, jene bilden die Zentren, um welche sich diese gruppieren. So ist die Liebe zu jemandem ein \u201esentiment\u201c, welches unter verschiedenen Umst\u00e4nden die verschiedensten \u201eemotions\u201c : Freude, Trauer, Hoffnung, Mitleid u. s. w., ausl\u00f6sen kann. Die Affekte streben danach, sich zu dauernden Tendenzen auszubilden.\nW. Stern (Berlin).\nLionel Dauriac. \u00c9tudes sur la Psychologie du Musicien. VI. Le Plaisir et L\u2019\u00c9motion Musicale. Rev. Phil. Bd. 41. S. 1\u201423 u. Bd. 42. S. 155\u2014173. Juli u. August 1896.\nEs scheint, dafs die Musikpsychologie aus gewissen Grundfragen nicht herauskommen will. Noch immer besch\u00e4ftigt sie das Problem der Wirkung der Musik auf den Menschen, noch immer scheinen alle Erkl\u00e4rungsversuche nicht gen\u00fcgend zu sein, obgleich sie seit mehr als einem Jahrhundert immer wieder mit denselben Methoden operieren. Seit Burke vor mehr als hundert Jahren die Ursache des \u00e4sthetischen Vergn\u00fcgens auf eine zweckm\u00e4fsige Bewegung der Eingeweide zur\u00fcckf\u00fchrte und man ihm darauf erwiderte, dafs eine erh\u00f6hte Peristaltik denn doch etwas Anderes sein m\u00fcsse, als die Wirkung einer Symphonie von Beethoven, seit jener Zeit bek\u00e4mpfen sich die physiologische und psychologische Dichtung mit derselben Intensit\u00e4t und, wie es scheint, auch mit derselben Aussichtslosigkeit wie ehedem. In der Polemik, die Dauriac in seinem Aufsatz gegen L\u00e9chalas (Rev. Phil. XVII. 1894 ; Mode d\u2019action de la musique) einflicht, und in der das Prinzip seiner Theorie zu Tage tritt, kann man \u00e4hnliche Gegens\u00e4tze bemerken. L\u00e9chalas be-zeichnete als die beiden Mittel, durch welche Musik auf den Organismus wirke: \u201ele nerf acoustique et le nerf pneumogastrique\u201c. Der letztere beschleunige die Atmung und damit die Blutzirkulation, und damit sei das Vergn\u00fcgen erkl\u00e4rt, das wir an der Musik haben. Mit Recht entgegnet ihm Dauriac, dafs damit die Wirkung der T\u00f6ne, aber nicht die der Musik erkl\u00e4rt sei, und Sein Beispiel von dem Effekt der Marseillaise zeigt zur Gen\u00fcge, dafs noch ein anderes Element zur Sprache kommen m\u00fcsse, das kurz als assoziative Wirkung bezeichnet werden k\u00f6nnte. Da nun Musik ohne T\u00f6ne nicht denkbar ist, so ist L\u00e9chalas\u2019 Theorie nicht gerade falsch, aber nicht vollkommen gen\u00fcgend. Es fehlt noch ein","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht.\n89\nMittelglied zur v\u00f6lligen Erkl\u00e4rung der musikalischen Wirkung. Dieses bildet bei Dauriac das alte Auskunftsmittel \u2014 die \u201eSeele\u201c. Diese Seele erkennt die an ihr vor\u00fcberziehende Musik als Bewegung der Seele und wird nun dadurch selbst auch bewegt. Diese Bewegung enth\u00e4lt allerdings zun\u00e4chst nur quantitative Bestimmungen, indem sie die Tiefe und Intensit\u00e4t des Affekts hervorruft, aber an der Hand dieser quantitativen Bestimmungen k\u00f6nnen wir nach Datjriac auch die Qualit\u00e4t des Vergn\u00fcgens angeben. Die Quantit\u00e4t dient als Zeichen f\u00fcr die Qualit\u00e4t, die wir mit H\u00fclfe eines Raisonnements aus der ersteren zu erkennen verm\u00f6gen. Somit l\u00e4fst sich Dauriacs Ansicht! kurz als emotionale Lokalzeichentheorie bezeichnen.\nWer wie ich kein Anh\u00e4nger von Lotzes Lokalzeichentheorie war, wird auch in Dauriacs Ausf\u00fchrungen keine Bereicherung der Musikpsychologie erblicken k\u00f6nnen. Die Theorie, welche die \u201eK\u00f6rperwelt\u201c von der \u201eseelischen\u201c trennt, vollzieht damit nicht nur eine Isolierung, die in Wirklichkeit nicht existiert, sondern sie setzt auch an Stelle der Erkl\u00e4rung der beiderseitigen Wechselwirkung eine neue Hypothese.\nAllerdings hatte Dauriac Recht, wenn er das Gef\u00fchl hatte, L\u00e9chalas\u2019 Theorie sei nicht ausreichend. Das war sie ebensowenig, wie die Burkes. Aber die Seelentheorie hilft da nicht, weil wir ebensowenig wissen, wie die Musik durch den K\u00f6rper auf die Seele kommt, als wir erkl\u00e4ren k\u00f6nnen, wie sie im Musiker die Seele verlassen und in die K\u00f6rperwelt eintreten konnte. Ein Umstand, den L\u00e9chalas wie Burke zu erw\u00e4hnen ver-gafs, war die Ausl\u00f6sung der Reize in der Hirnrinde. Diese ist es, die die Vielheit der T\u00f6ne zur Einheit der Musik zusammenfafst, gerade so, wie sie mehrere Buchstaben zur Einheit des Wortes, mehrere Worte zur Einheit des Gedankens verbindet. Diese \u201eUnification des sons\u201c \u2014 die Dauriac sehr gut kennt \u2014 ist es, die nur die menschliche Hirnrinde vollzieht, die tierische nicht, sie ist also die Ursache, weshalb das Tier immer nur T\u00f6ne, der Mensch allein Musik kennt. Die \u201eSeele\u201c erkl\u00e4rt diesen Unterschied ebensowenig, als die zuf\u00e4lligen Assoziationen, die wir etwa mit einem Musikst\u00fccke verbinden.\nVon der Ansicht Dauriacs trennt mich also eine tiefe Meinungsverschiedenheit in den psychologischen Grundprinzipien, die ich umsomehr bedauere, als sein Artikel wie immer reich ist an treffenden Einzelbemerkungen, die insbesondere den Fachmusiker interessieren sollten. Nicht zu vergessen die gl\u00e4nzende Darstellung, derzufolge sich die Arbeit wie eine Novelle angenehm liest, wenn sie auch eben deshalb vielleicht zu langatmig geworden ist.\tWallaschek (Wien).\nTheodor Heller. Studien zur Blinden-Psychologie. Leipzig, Wilhelm Engelmann. 1895. 130 S. (Phil. Stud. XI. 2-4. S. 226\u2014253, 406-470 u. 531\u2014562.)\nSo umfangreich die Litteratur \u00fcber das Seelenleben der Blinden, Tauben, Taubstummblinden sein mag, so m\u00fcssen wir doch gestehen : die Ausbeute f\u00fcr eine Psychologie der Mindersinnigen ist bisher recht d\u00fcrftig gewesen. Die Ursache liegt zu Tage: Bei gr\u00fcndlichen Kennern jener Individuen \u2014 hiermit w\u00e4ren in erster Linie die Bliuden und","page":89}],"identifier":"lit30845","issued":"1897","language":"de","pages":"88-89","startpages":"88","title":"Lionel Dauriac: \u00c9tudes sur la Psychologie du Musicien. VI. Le Plaisir et L'\u00c9motion Musicale. Rev. Phil. Bd. 41. S. 1-23 u. Bd. 42. S. 155-173. Juli u. 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