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{"created":"2022-01-31T13:31:56.182956+00:00","id":"lit30856","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Kiesow, Friedr.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 13: 104-109","fulltext":[{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104\nLi tteraturberich i.\nT. E. Shields. The Effect of Odours, Irritant Vapours and Mental Work upon the Blood Flow. Dissertation of John Hopkins Univ. Journ. of Experim. Med. I. 1. 42 S. 4\u00b0. 7 Taf. Baltimore 1896.\nVerfasser benutzte zu seinen Untersuchungen einen Plethysmographen mit wesentlichen von ihm angebrachten Verbesserungen. Diese bewegten sich in folgenden Richtungen: 1. Festlegung des Armes im Glasgef\u00e4fs, 2. besondere Aufschreibung der schnellen, durch den Puls bewirkten, und der langsamen, weit betr\u00e4chtlicheren vasomotorisch bewirkten Volum\u00e4nderungen, 3. m\u00f6glichste Verringerung der Tr\u00e4gheit des pulsregistrierenden Apparates und Ausschlufs jeder eigenen Periodizit\u00e4t bei demselben, 4. m\u00f6glichst normaler und konstanter Wasserdruck auf den Arm.\nDie mit diesem Apparat angestellten Versuche zeigen bei Ruhe eine Vermehrung, bei tiefer Einatmung, Muskelbewegung und geistiger Arbeit eine Verminderung des Armvolums. \u2014 Ger\u00fcche, noch mehr aber scharfe D\u00e4mpfe, wie Ameisens\u00e4ure, bewirken eine Verminderung des Armvolums. Bei f\u00fcr Ger\u00fcche besonders empf\u00e4nglichen Personen tritt diese Verminderung sch\u00e4rfer hervor. Die von Lehmann behauptete Vergr\u00f6fserung des Armvolums bei lusterregenden Ger\u00fcchen konnte Shields nirgends best\u00e4tigen. Wo eine solche Vergr\u00f6fserung vor\u00fcbergehend eintrat, ist sie auf beschleunigte Herzbewegung zur\u00fcckf\u00fchrbar.\nDie Abhandlung scheint f\u00fcr die Methodik derartiger Versuche sehr bedeutungsvoll zu sein. Leider erschweren die \u00fcberaus unklaren photographischen Abbildungen sehr die Einsicht in den gebrauchten Apparat.\nJ. Cohn (Berlin).\nRudolf Weinmann. Die Lehre von den spezifischen Sinnesenergien.\nHamburg und Leipzig. Leopold Voss. 1895. 96 S.\nSeit der Fassung, welche die Lehre von den spezifischen Sinnesenergien durch Joh. M\u00fcller in seiner Arbeit. \u201eZur vergleichenden Psychologie des Gesichtssinnes\u201c erhielt, sind fast dreiviertel des Jahrhunderts verflossen, ohne dafs \u00fcber dieselbe in der Forschung eine Einigung erzielt wurde, und es steht kaum zu hoffen, dafs das zur Neige gehende Jahrhundert dem \u00fcber diese Fragen entbrannten Streite ein Ende machen werde. Dennoch aber scheinen sich in der Gegenwart wieder Stimmen zu mehren, welche sich von dem dogmatischen Charakter jener Lehre zu emanzipieren streben und die wahre Bedeutung derselben, soweit dieselbe durch unleugbare Thatsachen erh\u00e4rtet wird, in ihre eigensten Grenzen zur\u00fcckzuweisen suehen. Diese Emanzipation von der Lehre M\u00fcllers und deren Modifikationen hielt wohl stets gleichen Schritt mit der Emanzipation von Kant, und diese Thatsache ist um so bedeutsamer, als, wie wohl zumeist anerkannt, die Eigenart dieser Lehre in den Grundlehren jenes grofsen Denkers ihre haupts\u00e4chlichsten Wurzeln hat. In diesem Sinne will auch die vorliegende Schrift des Verfassers zur L\u00f6sung jener Fragen einen Beitrag liefern. Der Verf. hat erkannt, dafs diese Lehre etwas anderes ist, als wof\u00fcr sie sich aus-","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht.\n105\ngiebt, dais sie nimmermehr, wie oft, wenn auch stillschweigend, angenommen, ein Erkl\u00e4rungsprinzip sein kann, sondern dafs, soweit es sich hier um Thatsachen handelt, auf die sie sich st\u00fctzt und die sie zum Teil voraussehen liefs, gerade diese eine Erkl\u00e4rung verlangen, f\u00fcr welche keine philosophische Reflexion ausreicht, sondern die nur auf naturwissenschaftlichem Gebiete gewonnen werden kann.\nWie der Verfasser im Vorworte bemerkt, will die vorliegende Arbeit \u201eeine historische und systematisch-kritische Darstellung der Lehre von den spezifischen Sinnesenergien sein\u201c. \u201eDabei ist sie \u2014 als eine philosophische \u2014 auf die Ermittelung des theoretischen, begrifflichen und allgemeinen (eventuell erkenntnistheoretischen) Gehaltes der Lehre gerichtet\u201c. Er gliedert seinen Stoff in 3 Hauptteile. W\u00e4hrend er im 1. einen mehr historisch-kritischen Abrifs der Lehre giebt, behandelt er im 2. \u201edas Prinzip der spezifischen Energie\u201c und sucht im 3. die \u201eallgemeinere, namentlich erkenntnistheoretische Tragweite von Form und Fassung der Lehre darzulegen.\nTeil 1. Der Verf. stellt zun\u00e4chst die Hauptpunkte der Lehre M\u00fcllers, wie sie sich in dessen Werken \u201eZur vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes\u201e \u00dcber die phantastischen Gesichtserscheinungen\u201c und in dem \u201eHandbuch der Physiologie\u201c niedergelegt finden, objektiv zusammen. Sodann erfolgt ein Versuch, der Vorgeschichte der Lehre nachzusp\u00fcren, doch hebt der Verf. hervor, dafs, da dieselbe als Ganzes eine \u201eoriginale Sch\u00f6pfung\u201c ist, es sich hier nur um einzelne Elemente derselben handeln kann. Erkenntnistheoretisch ist dem Verf. die Lehre \u201eeine Frucht des anthropozentrischen Standpunktes, wie ihn die neuere Philosophie von Descartes an bis zu Kant und Fichte mehr und mehr herausgebildet hat\u201c. \u201eJedenfalls ist die Lehre der phy-siologischeNiederschlagdes erkenntnistheoretischen Subj ektivismus, und sofern dieser in Kant seinen Hauptrepr\u00e4sentanten hat, mag man sie immerhin eben mit ihm in Beziehung bringen.\u201c In diesem Sinne stimmt der Verf. auch der bekannten \u00c4ufserung Auberts (Physiologie der Netzhaut S. IV) zu. Einzelne Thatsachen der Lehre weist der Verf. sodann bereits bei Aristoteles, wie bei Sulzer, Volta, Magendie, Eichel (Soc. Med. Ham , Collectanea I. 1774), Elliot (Physiol. Beobacht, \u00fcber die Sinne, a. d. Engl. 1785) und namentlich bei Purkinje nach. Letzterer \u201elieferte nicht nur nebst vielen anderen das Thatsachenmaterial, auf dem sie basiert, sondern er und dann auch Goethe haben in erster Linie \u201edie Aufmerksamkeit der deutschen Naturforscher auf die Wichtigkeit dieser Thatsachen hingeleitet\u201c (Helmholtz). M\u00fcller selbst spricht sich hier\u00fcber aus: \u201eDie subjektiven Gesichtsph\u00e4nomene, die man .... Gesichtst\u00e4uschungen und zuf\u00e4llige Farben zu nennen gewohnt war, wurden zum endlichen Heile, der Physiologie als Gesichtswahrheiten erkannt und f\u00fchrten zu den wesentlichen, dem Sinne selbst einwohnenden Energien\u201c. Trotzdem M\u00fcller selbst neben Purkinje und Goethe hier auch noch Himly, Troxler, Steinbuch. Elliot, Ritter und Hjort erw\u00e4hnt, teilt der Verf. P. und G. doch \u201ezweifellos das gr\u00f6fste Verdienst um die Einsetzung der subjektiven Empfindungen als Sinneswahrheiten\u201c zu. \u201eDas eigentlich Neue in M\u00fcllers Lehre war, dafs die an sich schon fr\u00fch bekannten und sp\u00e4terhin auch beachteten anormalen Empfindungen zum ersten Male Gegenstand","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106\nLilteralurbericht.\neiner zusammenfassenden Theorie wurden; verbunden damit war eine Modifikation der bisherigen Anschauungen \u00fcber das Verh\u00e4ltnis von Reiz und Empfindung im allgemeinen.\u201c Indem der Verf. diesem Gedanken weiter folgt, sucht er zu ergr\u00fcnden, wie man sich vor M\u00fcller mit jenen Erscheinungen abfand, und von welchen Anschauungen die Physiologie der Sinne vor M\u00fcller beherrscht wurde. Indem die Ausf\u00fchrungen der fr\u00fcheren Forscher, namentlich die Purkinjes, Eichels, Elliots, Ch. Bells, Autenrieths trefflich beleuchtet werden, sieht der Verf. in den fr\u00fcher mehr im Sinne von Anpassungen an \u00e4ufsere Reize gedeuteten Sinnesfunktionen in der Einf\u00fchrung des M\u00fcLLERSchen Prinzips eine Verdunkelung einer fr\u00fcher als richtig erkannten Wahrheit. Erw\u00e4hnt sei hier noch, dafs der Verf. der Anschauung Max Dessoirs, die Lehre M\u00fcllers m\u00fcsse besser den Namen Bells tragen, entgegen tritt, indem er in Bells Ausf\u00fchrungen nicht eine Theorie wie bei M\u00fcller erblickt. Ein weiterer Abschnitt dieses ersten Teiles behandelt sodann \u201edie Erweiterung der Lehre und die Anwendung des Prinzips der spezifischen Energie auf andere Gebiete\u201c. Der Verf. berichtigt die Anschauung, dafs die Ausf\u00fchrung der Lehre M\u00fcllers auf die Qualit\u00e4ten der verschiedenen Modalit\u00e4ten erst durch Helmholtz geschehen sei, indem er auf die Ausf\u00fchrungen Natansons (Analyse der Punktionen des Nervensystems, Arch. f. physiol. Heilkunde. 3. Jahrg. Stuttgart 1844) verweist, der jenes Prinzip bereits eingehend durchf\u00fchrt, \u201eJedes Organ des Nervensystems hat eine nur ihm allein zukommende Funktion. Kein Organ des Nervensystems kann zwei oder mehrere der Art nach verschiedene Funktionen aus\u00fcben.\u201c Das Tastorgan besteht nach Natanson aus temperaturempfindenden, widerstandf\u00fchlenden und im eigentlichen Sinne tastenden Nerven. Im entgegengesetzten Sinne zieht, wie bekannt, Volkmann aus der M\u00fcLLERSchen Lehre seine Konsequenzen. Der Verf. zeigt sodann weiter, wie erst durch Helmholtz jenes Prinzip innerhalb der Modalit\u00e4ten allgemeine Anerkennung und B\u00fcrgerrecht in der Wissenschaft fand. Er bespricht sodann die Ausf\u00fchrungen Hermanns, Ficks, Wunderlis,E. H. Webers, Herings. Funkes, Rosenthals, Blix\u2019, Goldscheiders, Dessoirs, Stumpfs, Lipps\u2019, Wundts, K\u00fclpes, Horwics, Exners und versucht eine kurze Kritik der in Frage stehendenden Erscheinung. In dieser stimmt er der Forderung Dessoirs, \u201edie eindeutige Beantwortung beliebiger Reize\u201c, mit Recht zu und sieht diese nicht durchweg erf\u00fcllt. \u201eSo ist im allgemeinen der Anhaltspunkt der M\u00fcLLERSchen Lehre bei der \u201eneueren Fassung\u201c g\u00e4nzlich vergessen: die Gleichg\u00fcltigkeit des Reizes, der, wie immer beschaffen, jeden Sinnesnerv nur zu seiner spezifischen Reaktion\nveranlafst......Was sie neues bringt, ist die (eventuelle) Einsicht, dafs\nunsere, dem Empfindungsleben zu Grunde liegende nerv\u00f6se Organisation eine noch weiter ins Detail gehende Arbeitsteilung aufweist, als man bis dahin anzunehmen gewohnt war.\u201c Es kann jedoch trotz der Vorbemerkung, dafs nicht jedem Einzel versuche nachgegangen werden konnte, dem Verf. hier der Vorwurf nicht erspart bleiben, dafs namentlich die innerhalb der sogenannten niederen Sinnesgebiete angestellten Untersuchungen der letzten Jahre, wie z. B. die sch\u00f6ne Arbeit \u00d6hrwalls \u00fcber den Geschmackssinn, die Arbeiten von Frey, Nagel, Aronsohn, Zwaardemaker","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturberichi.\n107\nund Anderer, die, obwohl teils im Gegens\u00e4tze zu einander geschrieben, f\u00fcr die Arbeit des Verf. von Bedeutung sein mufsten, weder ber\u00fccksichtigt noch erw\u00e4hnt sind. Ein letzter Abschnitt dieses Kapitels behandelt \u201edie Thatsachen der Lehre seit M\u00fcller\u201c. Eine eingehende Ber\u00fccksichtigung erfahren die Ausf\u00fchrungen Lotzes, Webers, Dessoirs, wie die entgegengesetzte Anschauung Bosenthals. In einer Zusammenfassung des Besprochenen gelangt der Verf. zu dem Ergebnis: \u201eAls Fazit aus dem Gesagten ergiebt sich unweigerlich, dafs die Lehre von den spezifischen Energien, soweit sie der zusammenfassende Ausdruck einer gewissen Klasse von Thatsachen ist, sich nicht in dem gew\u00f6hnlich behaupteten Umfange best\u00e4tigt\u201c. Soweit sich der Bef. nach den Ergebnissen selbst angestellter Versuche \u00fcber diese Fragen ein Urteil erlauben darf, verhalten sich die einzelnen Sinnesgebiete in dieser Beziehung verschieden von einander. So wenig die Gleichg\u00fcltigkeit des Beizes f\u00fcr die Ausl\u00f6sung der spezifischen Empfindung zu einem allgemeinen und f\u00fcr alle Sinnesorgane mafsgebenden Prinzip erhoben werden darf, ebensowenig wird man in Abrede stellen k\u00f6nnen, dafs einzelne Sinnesorgane, wie z. B. die Blix- Goldscheider-DoNALDSONschen K\u00e4ltepunkte unserer K\u00f6rperhaut, eine Entwickelungsstufe erreichten, auf der jeder inad\u00e4quate Beiz thats\u00e4chlich die ad\u00e4quate Empfindung hervorzurufen vermag, wenn auch mit nach der intensiven Seite hin vorhandenen Unterschieden. Eine \u00e4hnliche, obwohl nicht v\u00f6llig gleiche Stufe erreichten vielleicht die Druckpunkte der Haut. Zur\u00fcckgeblieben scheinen in dieser Beziehung die W\u00e4rmepunkte zu sein. Entschieden zur\u00fcckgeblieben sind aber die Geschmackspapillen der Zunge. Bef. konnte hier best\u00e4tigen, dafs, wie \u00d6hrwall zuerst zeigte, einige Papillen nur dem einen oder dem anderen Geschmacksstoff angepafste sind, nicht aber, dafs jeder indifferente Beiz spezifisch im Sinne der Lehre von den spezifischen Energien wirke. Diese Thatsachen d\u00fcrfen nun freilich nicht mehr im Sinne M\u00fcllers gedeutet werden, als antworte der betreffende Nerv nur und immer nur mit der ihm immanenten Energie, sondern wir haben es mit entwickelungsgeschichtlichen Besultanten zu thun, unter denen die Organe der h\u00f6chsten Ausbildung und ihre Fortsetzung bis zum Zentralorgan unter dem prim\u00e4ren Einfl\u00fcsse des ad\u00e4quaten Beizes eine solche Empfindlichkeit oder Zustands\u00e4nderung erfuhren, dafs nun auch inad\u00e4quate Beize in denselben die der ad\u00e4quaten Beizung analoge molekulare Ver\u00e4nderung hervorrufen. Diese letzten Fragen f\u00fchren uns tief hinein in die Chemie der lebenden Substanz und k\u00f6nnen, wenn \u00fcberhaupt endg\u00fcltig l\u00f6sbar, nur von der physiologischen Chemie und den Naturwissenschaften \u00fcberhaupt beantwortet werden. Wie weit, wie es scheint, generelle und individuelle Entwickelung hier Zusammenwirken, ist eine Frage, die erst beantwortet werden kann, wenn die Besultate der Nervenanatomie und -physiologie eindeutigere geworden sind. Im \u00fcbrigen verweist der Bef. auf die Fortsetzungen seiner eigenen Arbeiten.\nTeil 2. Der Verfasser behandelt \u201edas Prinzip der spezifischen Energie\u201c, indem er diese Lehre zun\u00e4chst als eine \u201ephvsiologischeAnge-le genhe it\u201c hinstellt. \u201eNicht jeder gleiche Beiz, aber jeder gleiche Nerven-zustand mufs die gleiche Empfindung zur Folge haben.\u201c In der Identifi-","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108\nLitter aturbericht.\nkation dieser beiden an sieb g\u00e4nzlich verschiedenen Vorg\u00e4nge sieht der Verfasser sowohl hei Joh. M\u00fcller wie hei seinen Nachfolgern den Grund der Inkonsequenzen, die sich aus jener Lehre ergehen m\u00fcssen. \u201eAm unklarsten liegt die Sache hei M\u00fcller selbst, eine Folge seiner schiefen Psychologie.\u201c Man wird dem Verfasser hierin durchaus zustimmen m\u00fcssen, ebenso sehr aber auch darin, dafs er Lotze das Verdienst zuschreibt, auf die \u201erein physiologische Bedeutung des Problems\u201c, wie auf die \u201eUnterscheidung von Nervenprozefs und Empfindung\u201c mit Nachdruck hingewiesen zu haben. Es scheint dem Referenten, dafs auch unter den Gegnern der Theorie diese scharfen Auseinandersetzungen Lotzes nicht immer in gen\u00fcgender Weise ber\u00fccksichtigt worden sind. Es folgt des weiteren eine Aufz\u00e4hlung der verschiedenen Definitionen, welche von neueren Forschern der spezifischen Energie gegeben wurden (Hering, du Bois-Reymond, Meynert, Stumpf, Valentin) und sodann eine durchaus w\u00fcrdige Darstellung der \u201eErkl\u00e4rung des Sachverhaltes nach Lotze.\u201c Letztere d\u00fcrfte als bekannt vorauszusetzen sein. Ein weiterer Abschnitt dieses zweiten Teiles der Abhandlung ist \u00fcberschrieben: \u201eDie Lehre von den spezifischen Energien als Lehre von der verschiedenen Beschaffenheit der physiologischen Tr\u00e4ger der Empfindung.\u201c Aus demselben sei noch hervorgehoben, dafs der Verfasser die Dreifarbentheorie verwirft und der HERiNG-E\u00dfBiNGHAUsschen Grundfarbentheorie zuerkennt, dafs sie \u201ewenigstens den Anspr\u00fcchen der popul\u00e4ren Psychologie einigermafsen entspricht.\u201c Der wissenschaftlichen Psychologie aber r\u00e4umt der Verfasser die Berechtigung einer \u201epsychophysiologischen Zurechtlegung\u201c der Thatbest\u00e4nde nicht ein. Er f\u00e4hrt fort: \u201eTrotzdem nun viele die Einfachheit jeder Farbenempfi\u00fcdung einr\u00e4umen, bekennen sie sich doch zu einer Grundfarbenlehre \u2014 als w\u00e4re es eine ausgemachte Sache, dafs das \u201ePrinzip der spezifischen Energie\u201c allenthalben Geltung haben m\u00fcsse. \u2014 Soviel ich sehe, emanzipieren sich nur Wundt, Lipps, K\u00fclpe entschieden von diesem Vorurteil. Sie nehmen in Konsequenz ihrer psychologischen Anschauungen nicht verschiedene Sehsinnsubstanzen an, sondern lassen ein und dieselbe Substanz je nach dem gerade einwirkenden Reize in entsprechende Erregung geraten,\u201c Es h\u00e4tten wohl auch hier neuere Arbeiten eine Ber\u00fccksichtigung erfahren d\u00fcrfen. \u201eDie Frage nach dem Sitz der spezifischen Energie\u201c beantwortet der Verfasser nach einer durchaus zutreffenden Beleuchtung der in dieser Beziehung aufgeworfenen Ansichten (M\u00fcller, Natanson, Meyer, Valentin, Arndt, Helmholtz, du Bois-Reymond, Hering, Stumpf, Munk, Rosenthal, Lotze, Meynert, Wundt, K\u00fclpe), wie dem Referenten scheint, mit vollem Recht dahin, \u201edafs in der That die Gesamtheit der Sinnessubstanz als Sitz der Energie, d. h. als spezifisch beschaffen, zu denken ist.\u201c\nEin letzter Abschnitt dieses Kapitels betrifft die Frage: \u201eSind die Verschiedenheiten der nerv\u00f6sen Sinnessubstrate angeboren oder ein Produkt der Entwickelung und Gew\u00f6hnung?\u201c Sind dieselben bei M\u00fcller als angeboren zu denken, so treten, wie bekannt, E. H. Meyer und Lotze dieser Auffassung entgegen, indem sie dieselben als ein Produkt individueller Entwickelung hinzustellen bem\u00fcht sind\u00ab","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"Litter at urberich t.\n109\n\u00c4hnlich Horwitz. Besonders einleuchtend behandelt der Verfasser den derzeit zwischen M\u00fcnk und Wundt gef\u00fchrten Streit, nimmt Bezug auf die \u00c4ufserungen Herings, Ziehens und Stumpfs und stimmt am Ende dem letzteren zu, indem er den Paragraphen mit den Worten schliefst: \u201eImmerhin stellen die zitierten Ausf\u00fchrungen Stumpfs die Form auf, in der unsere Lehre ihren allgemeinsten, diesseits eventueller Meinungsverschiedenheiten sich haltenden Ausdruck findet, wie auch wir ihn schon, in anderem Zusammenh\u00e4nge, statuiert haben: die den verschiedenen Empfindungsmodalit\u00e4ten zu Grunde liegenden nerv\u00f6sen Gebilde sind verschieden geartet.\u201c\nTeil 3. Der Verfasser gliedert diesen Teil in zwei Unterabteilungen: 1. Allgemeines. 2. Erkenntnistheoretisches. Er zeigt unter 1. nochmals, dafs die Lehre in der M\u00fcLLERSchen Fassung, \u201edafs jeder Sinn jeden beliebigen Reiz spezifisch beantwortet, ein schiefes Bild der wirklichen Verh\u00e4ltnisse giebt.\u201c M\u00fcller unterdr\u00fcckte die unleugbare Thatsache der \u201eAngepafstheit der Sinnesorgane an bestimmte Bewegungsvorg\u00e4nge der Aufsenwelt.\u201c Sodann sucht der Verfasser, was auch schon im ersten Teile dieser Abhandlung geschieht, darzuthun, dafs sich die neuere Fassung der Lehre in einem Gegens\u00e4tze zur Mutterlehre befindet. \u201eDenn die ganze neuere Lehre liefert gerade die gl\u00e4nzendsten Beispiele f\u00fcr die strenge Angepafstheit des Organs an den Reiz. In dem rein erkenntnistheoretischen Abschnitte behandelt der Verfasser 1. J. M\u00fcllers physiologischen Subjektivismus, 2. Unbeabsichtigte Konsequenzen der hergebrachten Fassung der Lehre, 3. Die Lehre im Dienste des Subjektivismus und Apriorismus. Er kommt zu dem Resultate, dafs die Lehre von den spezifischen Energien keine erkenntnistheoretische Bedeutung, sondern lediglich ein physiologisches Interesse habe.\nIn einigen Schlufsbemerkungen sind die Hauptresultate der Arbeit nochmals zusammengestellt.\tFriedr. Kiesow (Turin).\nAmy Tanner and Kate Anderson. Simultaneous Sense Stimulations.\nPsychol. Bev. III. (4). S. 378\u2014383. 1896.\nDie Verfasser fanden in \u00dcbereinstimmnng mit Urbantschitsch in Bezug auf gleichzeitige Sinnesreizung: Ein bereits vorhandener, aber nicht oder nur schwach wahrgenommener, optischer Reiz (und zwar Farbe), auf den sie sich beschr\u00e4nkten, wird durch etwa darauf folgende gleichzeitige optische Reize (Farbe), Stimmgabelt\u00f6ne verschiedener H\u00f6he, Ger\u00e4usch des Induktionsapparates, elektrische Reize auf die Handfl\u00e4che, in einer \u00fcberwiegenden Verh\u00e4ltniszahl gegen\u00fcber allen anderen m\u00f6glichen F\u00e4llen (wie \u201ekeine Ver\u00e4nderung, Nichtwahrnehmung, falsche Wahrnehmung, schwache Wahrnehmung\u201c) \u00fcber die Schwelle gehoben oder verst\u00e4rkt, am wenigsten jedoch bei gleichzeitigem elektrischen Reiz oder gleichzeitigem Ger\u00e4usch des Induktionsapparates, was m\u00f6glicherweise auf verschiedenen Ursachen beruhen mag. Sie fanden im einzelnen konstantere Resultate als Urbantschitsch, was sie der gr\u00f6fseren Konstanz der beiden Reizzeiten und ihrer Zwischenpause zuschreiben; die Vorsichts-mafsregeln waren \u00fcberhaupt mit gr\u00f6fster Umsicht getroffen.\nP. Mentz (Leipzig).","page":109}],"identifier":"lit30856","issued":"1897","language":"de","pages":"104-109","startpages":"104","title":"Rudolf Weinmann: Die Lehre von den spezifischen Sinnesenergien. Hamburg und Leipzig. Leopold Voss. 1895. 96 S.","type":"Journal Article","volume":"13"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:31:56.182962+00:00"}