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{"created":"2022-01-31T16:08:31.582998+00:00","id":"lit30895","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Runze, Geo.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 13: 145-148","fulltext":[{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturbericht.\n145\nRichtungen des zust\u00e4ndlichen Wollens in seiner dreifachen Abstufung als \u201esinnliche, intellektuelle und intelligible Welt\u201c ergeben. Innerlich ist diese Auffassung allerdings v\u00f6llig widerspruchsfrei, doch erkl\u00e4rt sich hiermit noch keineswegs der eigent\u00fcmliche Charakter von Lust, Unlust, Zorn u. s. w., da diese eben einfach als nicht weiter erkl\u00e4rte Modifikationen des zust\u00e4ndlichen Wollens in der Erfassung des \u201eDenkens\u201c (Cogito) erscheinen, auch nicht die Anl\u00e4sse f\u00fcr Lust, Unlust, Zorn u. s. w., da diese eben von vorneherein als Richtungen des zust\u00e4ndlichen Wollens in der Erfassung des Cogito erscheinen. So liefert denn dieses erkenntnistheoretisch so durchgearbeitete Ger\u00fcst gerade in Bezug auf Wesen und Vorhandensein der Gef\u00fchle nichts Zureichendes. Auch bleibt nicht klar, wann und wie Denken ohne Gef\u00fchle und zust\u00e4ndliches Wollen ohne Denken oder Gef\u00fchle existieren k\u00f6nnen.\tP. Mentz (Leipzig).\n1.\tGustav Vorbrodt. Psychologie des Glaubens. Zugleich ein Appell an die Ver\u00e4chter des Christentums unter den wissenschaftlich interessierten Gebildeten. G\u00f6ttingen, Vandenhoek & Ruprecht. 1895. 258 S.\n2.\tJames H. Leuba. A Study in the Psychology of Religious Phenomena.\nAmer. Journ. of Psychol. VII. 3. 309\u2014385. 1896.\nDer Verfasser der zuerst genannten Arbeit will mit seinem Buche eine Anregung geben zu einer eingehenderen Besch\u00e4ftigung der Theologen mit der Psychologie und will zugleich den philosophisch gebildeten Nichttheologen die Objekte der positiven Religionswissenschaft dadurch anziehender und schmackhafter machen, dafs er ihre hervorragende Verwertbarkeit im Dienste der psychologischen Forschung darzuthun sucht. Der Zweck ist l\u00f6blich, wenn auch sein Entwurf keineswegs neu. Wenn irgend ein Gebiet des Seelenlebens zugleich problematisch und reizvoll, zugleich r\u00e4tselhaft und allgemeinfafslich ist, so ist es das Gebiet der Fr\u00f6mmigkeit oder des Glaubens im subjektiv-religi\u00f6sen Sinne. Und wenn es auch ungleich wertvoller w\u00e4re, der Verfasser h\u00e4tte seine Aufgabe eingeschr\u00e4nkt, um innerhalb irgend eines Ausschnittes aus dem weiten Umkreis seines Gegenstandes durch gr\u00fcndliche Spezialuntersuchungen das induktiv zu gewinnende und f\u00fcr die Gesamtwissenschaft dann unmittelbar verwertbare Material zu bereichern, andererseits aber, er h\u00e4tte die Prinzipien und die Methode seiner Wissenschaft in schlichter und b\u00fcndiger Sprache und mit mehr philosophischer Ino/rj \u00fcberzeugend entwickelt, anstatt mit geistreichen Aper\u00e7us, vielversprechenden Zukunftsperspektiven, pastoraler Rhetorik gleichgestimmte Gem\u00fcter \u201eanzuregen\u201c, \u2014 so wollen wir doch mit ihm dar\u00fcber nicht rechten. Die Gewohnheit erbaulicher Rede, deren berufsm\u00e4fsige Pflege dem wissenschaftlichen Denktriebe selten f\u00f6rderlich ist, hat zwar auch im vorliegenden Buche ihren Einflufs geltend gemacht, doch ohne die wissenschaftliche Tendenz als solche zu gef\u00e4hrden; und daf\u00fcr mufs man dankbar sein; mag auch infolge eines enzyklop\u00e4dischen Vollst\u00e4ndigkeitsstrebens die Darstellung mehr in die Breite als in die Tiefe gehen. Aber die Frage, ob der Verfasser seinen Zweck wenigstens im allgemeinen erreicht haben wird, kann ich leider nicht bejahen. H\u00f6chstens per contrarium: das Buch zeigt, wie wir Theologen es nicht zu machen haben, wenn wir Anspruch\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XIII.\t10","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"146\nLitteraturbericht.\nerheben wollen, in psychologicis mitzuwirken. Die Gefahr, seelische Empfindungen individueller Art durch vorgefafste Meinungen in unrichtige objektive Beleuchtung zu stellen, ist f\u00fcr den Theologen \u2014 auch f\u00fcr den, der alles psychologisch zu verstehen sich bem\u00fcht \u2014 grofs; darum sollte gerade er doppelt auf der Hut sein, den dogmatischen Standpunkt nicht allzusehr hervorzukehren. Der Verfasser kennt die Gefahr, trotzdem werden wir auf Schritt und Tritt mit seiner Dogmatik bekannt gemacht; und zur Abwehr der Gefahr w\u00e4hlt er zwei Mittel, die Bedenken erregen: formell entzieht er sich durchweg einer gr\u00fcndlichen, elementaren Analyse der psychischen Vorg\u00e4nge \u2014 und zwar mit der wenig Vertrauen erweckenden Entschuldigung, dafs dies nicht der Zweck seines Buches sei; materiell sucht er den modernen, aber gar nicht psychologischen, sondern erkenntnistheoretisch-ethischen Unterschied zwischen Seinsurteilen und Werturteilen in einem Grade auszubeuten, dafs mindestens eine eingehendere Pr\u00fcfung seiner Berechtigung unerl\u00e4fslich gewesen w\u00e4re. Die Frage: was f\u00fcr einen Wert hat f\u00fcr uns die Erscheinung der Person Christi in der Weltgeschichte? verdr\u00e4ngt ihm g\u00e4nzlich die Seinsurteile z. B. \u00fcber die Gottheit Christi, \u00fcbernat\u00fcrliche Geburt, Inspiration der Bibel. Damit mag man sympathisieren. Aber der Frage: wie entsteht psychologisch der Gedanke des \u00dcbernat\u00fcrlichen, der Offenbarung, \u2014 insonderheit: wie entsteht der Gottesgedanke? weicht er sorgf\u00e4ltig aus; \u00fcber psychogenetische Untersuchungen, wie z. B. die des Beferenten \u00fcber das verwandte Gebiet des Unsterblichkeitsglaubens und der Unsterblichkeitsleugnung, welche Monographie s. Z. in dieser Zeitschrift eine eingehende und verst\u00e4ndnisvolle Beurteilung von William Stern erfahren hat, geht er wie \u00fcber ein Noli me tangere mit allgemeinen und inhaltslosen Bemerkungen hinweg, die dem Beferenten fast danach aussehen, als bef\u00fcrchte der Verfasser den Schein einer Kompromittierung vor derjenigen theologischen Bichtung, der er vorzugsweise huldigt. Und doch h\u00e4tte die psychogenetische Problemstellung bez\u00fcglich des Gottes- und Jenseitsglaubens ihm die beste Gelegenheit gegeben, dem Gedanken n\u00e4herzutreten, ob nicht gerade in dem Lebensherde jener Vorstellungen, die wir unter dem Namen der religi\u00f6sen zusammenzufassen pflegen, der Gegensatz zwischen Seinsurteilen und Werturteilen neutralisiert ist. Soll ich glauben, Gott sei der Wert aller Werte, aber ohne fragen zu d\u00fcrfen, ob die Entstehungsweise dieses Glaubens eine B\u00fcrgschaft biete f\u00fcr das Sein dieses Wertobjekts, so ist damit das schleichende Gift des Zweifels ohne Gegengift dem Glauben in die Wiege gelegt. Erst wenn ich an den seienden Gott glaube, hat Gott f\u00fcr mich seinen Wert; und eine Beligionspsychologie, welche wie die des Verfassers von dem Streben beherrscht ist, alles der theologischen Denkweise G\u00fcnstige hervorzukehren, h\u00e4tte vor allem dies festzustellen, inwiefern die thats\u00e4chliche Harmonie, in welcher dem glaubenden Gem\u00fct das gesteigerte Bewufstsein des Lebenswertes mit der Voraussetzung einer seienden \u00fcbermenschlichen person\u00e4hnlichen Allmacht steht, den allgemeinen Bewufstseinsthatsachen entspricht. Die psychische Erfahrung: nur im Gottesbewufstsein finde ich das ausreichende Korrektiv meiner psychischen Gleichgewichtsst\u00f6rungen, \u2014 nur im Mitwollen mit","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"Litteraturberich t.\n147\nder jenem Bewufstsein entsprechenden Zwecksetzung finde ich die Energie zu den h\u00f6chsten pers\u00f6nlichen Leistungen : \u2014 diese Erfahrungstatsachen des frommen Bewufstseins involvieren bereits ein elementares Seinsurteil, das Urteil: mein vern\u00fcnftiges Leben ist nur dann von wertvoller Beschaffenheit, wenn ich an eine seiende Vorsehung glaube. Ob ich durch den Syllogismus practicus des Gem\u00fctslebens aus dem Wertbewufst-sein das Seinsurteil mit Anspruch auf Allgemeing\u00fcltigkeit und Notwendigkeit erschliefsen darf, das ist allerdings eine nicht blofs psychologische Frage; aber dafs dieser Schlufs gegenw\u00e4rtig von jedem Frommen, der des Verfassers Weltanschauung teilt, unwillk\u00fcrlich gemacht wird, hat eine psychologisch feststellbare Wahrscheinlichkeit f\u00fcr sich, gleichviel, welche Allgemeing\u00fcltigkeit dem Syllogismus zukomme, und gleichviel auch, seit wann und durch welche geschichtlichen Einfl\u00fcsse diese unsere Denkweise sich entwickelt hat. Der Unterschied zwischen Wert- und Seinsurteil, den der Verfasser f\u00f6rmlich zu Tode hetzt, \u00e4hnlich dem zwischen \u201eh\u00f6heren und niederen Ich\u201c, mit dem er ebenfalls recht modern, aber vielleicht \u201eallzumenschlich\u201c operiert, \u2014 ist psychologisch viel weniger mafsgebend als der religionsgeschichtlich und religionspsychologisch ungleich wichtigere zwischen Individuellem und Allgemeing\u00fcltigem, der in dem doch ebenfalls modernen Schlagwort: \u201eBeligion ist Privatsache\u201c einseitig fruktifiziert wird, und den der Verfasser \u00fcber der F\u00fclle seiner Perspektiven meistenteils g\u00e4nzlich aus dem Auge verliert. Das dem\u00fctigende Bewufstsein, dem wir Theologen unterliegen, dafs wir mit unserem Glauben nur dasjenige verk\u00fcndigen, was wir und unseresgleichen eben glauben k\u00f6nnen oder auf Grund unserer Vererbung, Erziehung, Selbstbildung glauben m\u00fcssen (und zwar sowohl als Wertvolles wie als Seiendes glauben m\u00fcssen), \u2014 hat doch wiederum zur Kehrseite eine Liebe zu unserer Glaubensgemeinschaft, die zu ernster, gewissenhafter Detailforschung \u00fcber Ursprung und Art und Berechtigung unseres Glaubens unersch\u00f6pfliche Antriebe in sich birgt, dieselben aber nur dann dauernd und unverk\u00fcmmert beth\u00e4tigen wird, wenn jene dem\u00fctigende Selbsterkenntnis mit einer Bescheidenheit in den Anspr\u00fcchen sich paart, die ebenso \u00dcbergriffe und Grenzverwischungen ausschliefst, wie sie die Gr\u00fcndlichkeit und Wahrhaftigkeit zur Pflicht macht. Ich zweifle nicht: der Verfasser hat mit Ernst nach diesem Ideal gestrebt; aber er kann Besseres leisten. Die hohe Begabung, welche aus seinem Buche spricht, w\u00fcrde im Verein mit einer strengeren Zucht und Vertiefung des Denkens noch manche Bl\u00fcten treiben, die nicht blofs schillern und duften, sondern Fr\u00fcchte zeitigen, die ihm selber mehr Freude und Anderen mehr Belehrung schaffen werden.\nEinen ganz entgegengesetzten Eindruck wie das soeben besprochene Werk macht der dem Inhalte nach verwandte Aufsatz von Leuba. Keine Spur von jenem weitschichtigen gelehrten Apparat aus der Geschichte der Wissenschaften, der modernen Litteratur, der Schulphilosophie und Schultheologie; keine enzyklop\u00e4dische Vollst\u00e4ndigkeit, selbst nicht innerhalb des gew\u00e4hlten Spezialgebietes. Es werden nur einzelne hervorragende Ph\u00e4nomene des frommen Bewufstseins \u2014 und zwar speziell des christlichen \u2014 einer sorgf\u00e4ltigen Analyse unterzogen. Die Eintei-\n10*","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148\nLitter aturberich t.\nlung hat nichts K\u00fcnstliches ; sie folgt gangbaren praktisch-soterio-logischen Gesichtspunkten. Und dieser Rekurs auf die praktische Dogmatik st\u00f6rt den wissenschaftlichen Gesamteindruck deshalb nicht, weil die Abhandlung vorzugsweise induktives Material aus dem Seelenleben (methodistisch) \u201ebekehrter\u201c Christen bieten will und demgem\u00e4fs alles, was sich der praktischen Heilung und Besserung der Seelenzust\u00e4nde solcher Christen dienlich erwiesen hat, einfach in die gel\u00e4ufig biblischtheologische Schulsprache eingekleidet vorf\u00fchrt. (Analysis der Bekehrung, Selbsthingabe, Glaube, Rechtfertigung, Freude, appearance of newness u. s. w.) Ein Anhang erg\u00e4nzt die induktive Thatsachen-feststellung durch eine Reihe von Selbstzeugnissen aus typischen Bekehrungsf\u00e4llen, in denen auch die Heilsarmee eine Rolle spielt. Manches Einzelne in dem Aufsatz befremdet den deutschen Leser; aber der Gesamteindruck wird auch demjenigen, der diesen Dingen fernsteht, deshalb ein befriedigender sein, weil die Darstellung nicht mehr bieten will, als sie bietet, und dasjenige, was sie bietet, in einer ebenso einfachen wie ersch\u00f6pfenden Form giebt. \u00dcber Einzelheiten, z. B. dafs intellektueller Zweifel die Umwandlung des Gem\u00fctes nicht aufhalte, mag man streiten. Zugestehen aber wird jeder, der diesen Aufsatz gelesen hat, dafs Ereignisse wie die innere Umwandlung eines Paulus, Augustinus, Luther, Wesley zu den hervorragendsten Objekten psychologischer Forschung geh\u00f6ren und individuelle Parallelen, wie die hier vorgef\u00fchrten, an der Hand einer sorgf\u00e4ltigen Analyse wohl geeignet sind, ein Licht auf jene merkw\u00fcrdigen Vorg\u00e4nge zu werfen.\nGeo. Runze (Gr.-Lichterfelde).\nJ. Jastrow. Psychological notes upon sleight-of-hand experts. Science.\nN. S. Vol. II. No. 71. S. 685-689. 1895.\nZwei Taschenspieler, verschiedenen physiologischen und psychologischen Versuchen unterzogen, erwiesen sich, abgesehen von einer auffallend kurzen Reaktionszeit und grosser Motilit\u00e4t der Finger, nicht verschieden von den sonstigen Versuchspersonen. Hinsichtlich der Feinheit des Tastgef\u00fchls der H\u00e4nde blieben sie sogar etwas hinter dem Durchschnitt zur\u00fcck,\tSchaefer (Rostock).\nAlexander F. Shand. Attention and will: a study in involuntary action.\nMind. N. S. Vol. IV. No. 16. S. 450-471. 1895.\nDer Verfasser nimmt eine dreifache Teilung der Willenshandlung vor: voluntary action nennt er die eigentliche Willenshandlung, non-voluntary die unwillk\u00fcrlichen Handlungen, bei denen der Wille fehlt, und involuntary diejenigen Handlungen, welche unter Beteiligung unseres Willens, aber im Gegens\u00e4tze zu demselben zu st\u00e4nde kommen. Wir glauben im Folgenden durch die Ausdr\u00fccke: willentliche, unwillentliche und widerwillentliche Handlung dieser Dreiteilung am besten gerecht zu werden.","page":148}],"identifier":"lit30895","issued":"1897","language":"de","pages":"145-148","startpages":"145","title":"1. Gustav Vorbrodt: Psychologie des Glaubens. Zugleich ein Appell an die Ver\u00e4chter des Christentums unter den wissenschaftlich interessierten Gebildeten. G\u00f6ttingen, Vandenhoek & Ruprecht. 1895. 258 S. / 2. James H. Leuba: A Study in the Psychology of Religious Phenomena. Amer. Journ. of Psychol. VII. 3. 309-385. 1896","type":"Journal Article","volume":"13"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:08:31.583004+00:00"}