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{"created":"2022-01-31T14:43:40.872985+00:00","id":"lit30923","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Stern, W.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 13: 222-225","fulltext":[{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"222\nLitteraturbericht.\nscheinung trete, wenn sich auf der betreifenden Netzhautstelle ein Objekt abbildet, das die Aufmerksamkeit bes Individuums erregt. Eine St\u00f6rung der Beweglichkeit des Auges bat zur Folge, dafs die gewohnte Innervationsgr\u00f6sse nicht ausreicht, das von der Aufmerksamkeit erfafste Objekt auf der Netzhautmitte zur Abbildung zu bringen. Auf diese Weise erkl\u00e4rt es sich, dafs bei Augenmuskell\u00e4hmungen vorbei getastet wird.\nDer dritte Faktor beim Tastversuch ist das tastende Organ, die Hand. Sachs sieht von der Existenz eines aus Tastempfindungen aufgebauten Tast- oder F\u00fchlraumes ab und nimmt an, dafs wir bestrebt sind, der Hand denselben Ort im Gesichtsraume zu geben, welchen das zu tastende Objekt einnimmt. Wir haben die Neigung, das Tasten durch den Gesichtssinn zu kontrollieren. Die einzelnen Netzhautpunkte resp. deren zentrale Projektion sind in \u00e4hnlicherWeise mit dem motorischen Zentrum der oberen Extremit\u00e4t verkn\u00fcpft, wie mit den Bewegungszentren der Augenmuskeln nach der oben gegebenen Darstellungsweise. In einem Fall von konjugierter L\u00e4hmung der Linkswender der Augen mit normalem Gesichtsfelde, den Sachs beobachtete, wurden rechts gelegene Objekte stets rasch und sicher getastet, w\u00e4hrend bei Gegenst\u00e4nden, welche in die linke Gesichtsfeldh\u00e4lfte gebracht wurden, nach allen m\u00f6glichen Richtungen, nicht, wie man h\u00e4tte erwarten k\u00f6nnen, nur links vorbeigetastet wurde. Sachs nimmt an, dafs es sich in diesem Falle um eine L\u00e4hmung der oben angenommenen Assoziationsbahnen auf einer K\u00f6rperseite gehandelt habe.\tGroenottw (Breslau).\nErnst Mettmann. Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Zeitbewufstseins. Dritte Abhandlung. Philos. Stud. XII. 2. S. 127\u2014254. 1896.\nIn der vorliegenden Abhandlung f\u00e4hrt Mettmann fort mit der Ver\u00f6ffentlichung seiner zahlreichen, in den letzten Jahren angestellten experimentellen Untersuchungen \u00fcber Zeitsch\u00e4tzung, und zwar besch\u00e4ftigt er sich diesmal mit den T\u00e4uschungen des Zeitbewufstseins, die beim Absch\u00e4tzen und Vergleichen verschieden ausgef\u00fcllter Zeit\" strecken auftreten.\nM. meint, \u201edafs die Sch\u00e4tzung kleinster durch blofse begrenzende Beize markierter Zeitintervalle als ein besonderer Fall der Zeitsch\u00e4tzung von derjenigen mittlerer und gr\u00f6fserer Zeitstrecken unterschieden werden m\u00fcsse.\u201c Im ersteren Falle (bei Zeiten bis zu etwa 0,5 Sekunden) liegt mehr eine Auffassung der Successionsgeschwindigkeit der Eindr\u00fccke selbst, als eine Perzeption der Dauer des zwischen ihnen liegenden Intervalls vor. Es ist bei diesen kleinsten Zeiten die Sch\u00e4tzung stark von sinnlichen Faktoren beeinflufst, in hohem Grade abh\u00e4ngig von der \u201cArt des gew\u00e4hlten Reizes. In den einleitenden Ausf\u00fchrungen beschreibt M. eine Reihe hierhergeh\u00f6riger T\u00e4uschungen, von denen als eine der frappantesten nur erw\u00e4hnt sei, \u201edafs indirekt gesehene Funken von grofser Geschwindigkeit der Aufeinanderfolge (0,05\u20140,3 Sekunden) langsamer zu verlaufen scheinen, wie [soll heifsen: als] direkt gesehene.\u201c (S. 181.)\nDer Hauptteil der Arbeit gilt dem Einflufs der Ausf\u00fcllung von Zeitstrecken auf die Beurteilung ihrer Dauer. Die diesmal geschilderten","page":222},{"file":"p0223.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturbericht.\n223\nExperimente sind s\u00e4mtlich so angestellt, dafs eine ausgef\u00fcllte Zeit mit einer \u201eleeren\u201c, d. h. nur reizbegrenzten Zeit verglichen wird. Der Begriff der \u201eleeren Zeit\u201c findet eine n\u00e4here psychologische Analyse. (S. 135 ff, auch S. 205.) Die Vergleichung wurde bei jeder Art der Ausf\u00fcllung f\u00fcr eine ganze Reihe absoluter Zeitwerte durchgef\u00fchrt. Gew\u00f6hnlich wurde die ausgef\u00fcllte Zeit als Normalzeit an erster Stelle gebracht.\nAls Instrument diente wiederum der bekannte Zeitsinnapparat; zur Erm\u00f6glichung kontinuierlicher Zeitausf\u00fcllungen von bestimmter Dauer wurde ein sehr sinnvoller, vom Verfasser konstruierter Drehkontakt (\u201eSternkontakt\u201c) angewandt. Das Verfahren war unwissentlich, die Vergleichszeit wurde in unregelm\u00e4fsig wechselnder \"Weise abgestuft. Bemerkenswert ist es, dafs auch M. sich veranlafst f\u00fchlt, die in letzter Zeit \u00f6fter hervorgehobene und als bedeutungsvoll hingestellte Unterscheidung der Urteile nach ihrem Gewicht (d. h. nach dem Grade ihrer Sicherheit) zu ber\u00fccksichtigen. Die Quanta der \u00dcber- und Untersch\u00e4tzung wurden durch diejenigen Werte bestimmt, von denen an das Urteil kleiner und gr\u00f6fser konstant wurde. Als Zwischenzeit zwischen Normal-und Vergleichszeit wurden, je nach deren absoluter Gr\u00f6fse, Intervalle von 1,2\u20145 Sekunden eingef\u00fcgt.\nWir wenden uns nunmehr den Resultaten der einzelnen Versuchsgruppen zu.\nErste Gruppe: Versuche mit Schallreizen. (S. 162.) Als Ausf\u00fcllung wurde zwischen die begrenzenden Reize (Hammerschl\u00e4ge) eine geringere oder gr\u00f6fsere Zahl von Schl\u00e4gen eingeschoben; die leere Normalzeit wurde ebenfalls durch Hammerschl\u00e4ge begrenzt. Bei Ausf\u00fcllung mit einem Schlag zeigte sich: \u00dcbersch\u00e4tzung der gef\u00fcllten Zeit bei kleinen Dauern, Indifferenz bei mittlerer Dauer (1,8 Sek.), Untersch\u00e4tzung der erf\u00fcllten Zeit bei gr\u00f6fseren Dauern. Das Quantum der T\u00e4uschung ist individuell sehr verschieden. Die Beobachter empfanden zwischen leerer und voller Zeit deutlich nicht nur eine quantitative, sondern auch eine qualitative Differenz. Bei kleineren absoluten Zeitwerten bewirkt das \u201eErlebnisreichere\u201c der ausgef\u00fcllten Zeit deren \u00dcbersch\u00e4tzung, bei gr\u00f6fseren Zeitwerten dagegen erscheint die leere Zeit wegen der grofsen Schwierigkeit der Aufmerksamkeitskonzentration und wegen der dadurch hervorgerufenen Unlust- und Erwartungsgef\u00fchle l\u00e4nger. \u2014 Wurde die ausgef\u00fcllte Zeit an die zweite Stelle gebracht, so war die Indifferenzlage eine h\u00f6here. \u2014 Wurde mehr als ein Schallreiz zur Ausf\u00fcllung verwandt, so fand der Umschlag der Urteilst\u00e4uschung erst bei viel gr\u00f6fseren Zeitwerten statt.\nZweite Gruppe: Einflufs k\u00fcnstlicher Unterst\u00fctzungsmittel auf die Vergleichung reizerf\u00fcllter und reizbegrenzter Zeitstrecken. (S. 177.) Hier untersucht M. die von einigen Beobachtern unwillk\u00fcrlich angewandten H\u00fclfsmittel in Bezug auf ihre Bedeutung f\u00fcr den Urteilsakt, indem er sie absichtlich ins Experiment einf\u00fchrt. Rhyth-misierung bewirkte einen viel fr\u00fcheren Umschlag der T\u00e4uschung (schon bei einer Sekunde wurde die leere Zeit \u00fcbersch\u00e4tzt), begleitende Taktierbewegungen vergr\u00f6fserten sie, Atembewegungen (die von M\u00fcnsterberg","page":223},{"file":"p0224.txt","language":"de","ocr_de":"224\nLitteraturbericht\nals Hauptsch\u00e4tzungsmittel hingestellt wurden) liefsen sie fast ungeschw\u00e4cht bestehen. \u2014 M. wirft sodann die Frage auf, wie es komme, dafs die scheinbare Differenz gleich langer leerer und ausgef\u00fcllter Zeiten in der Musik nicht so st\u00f6rend wirke, und f\u00fchrt als Hauptgrund die Thatsache an, dafs der ausf\u00fchrende Musiker, um die T\u00e4uschung zu kompensieren, die ausgef\u00fcllten Zeiten beschleunige. Er beweist dies experimentell dadurch, dafs er nach einer gegebenen leeren Schlagzeit die gef\u00fcllten vom Beobachter durch Taktierbewegungen selbst hersteilen liefs; sie wurden immer k\u00fcrzer gegriffen als jene. (Die obige Erscheinung kann ich aus messenden Versuchen an gespielten Musikst\u00fccken, denen ich assistierte, \u2014 von Herrn K. Ebhardt in Berlin angestellt \u2014, best\u00e4tigen ; eine Variation wurde, bei dem Bestreben, subjektive Tempogleichheit zu wahren, schneller gespielt als das ton\u00e4rmere Thema. Beim Anh\u00f6ren von Musikst\u00fccken, die auf mechanischen Musikwerken gespielt werden, wo jede Korrektion fehlt, macht sich obige T\u00e4uschung st\u00f6rend bemerkbar. Ref.)\nDritte G-ruppe: Die Zeitt\u00e4uschungen bei der Vergleichung different ausgef\u00fcllter Zeiten in den \u00fcbrigen Sinnesgebieten. (S. 195.) M. verwandte Zeitausf\u00fcllungen mit v\u00f6llig lautlosen Lichtreizen (elektrischen Funken) und schwachen elektrischen Tastreizen. Die Zeitbegrenzung wurde nat\u00fcrlich demselben Empfindungsmaterial entnommen. Das Resultat ist ein durchg\u00e4ngig mit den Schallversuchen \u00fcbereinstimmendes : erst \u00dcber-, dann Untersch\u00e4tzung der erf\u00fcllten Zeit, ferner Hinausschieben der Indifferenzzone mit wachsender Anzahl der ausf\u00fcllenden Reize.\nVierte Gruppe: Die Abh\u00e4ngigkeit der Zeitvergleichung von der Ausf\u00fcllung der Zeitstrecken mit kontinuierlichen Eindr\u00fccken. (S. 204.) Die Wirkung kontinuierlicher Ausf\u00fcllung ist umso wichtiger, als \u201eleere\u201c Zeiten auch als relativ homogen und kontinuierlich ausgef\u00fcllt (mit Druck-, Organ- und anderen Empfindungen) betrachtet werden m\u00fcssen. Zun\u00e4chst w\u00e4hlte M., gleichsam als \u00dcbergang zur Kontinuit\u00e4t, das schnurrende Ger\u00e4usch des WAGNERSchen Hammers zur Ausf\u00fcllung. Die leere Zeit wurde durch zwei Telephon-ger\u00e4usche begrenzt. Resultat: Die erf\u00fcllten Zeiten werden sehr betr\u00e4chtlich \u00fcbersch\u00e4tzt und die \u00dcbersch\u00e4tzung h\u00e4lt sich bis zu sehr grofsen Zeiten (\u00fcber 4 Sekunden!). Wurde die ausgef\u00fcllte Zeit an zweiter Stelle gebracht, so zeigte sich 1. ein viel geringeres Quantum der T\u00e4uschung, 2. ein fr\u00fcheres Eintreten des Umschlags (bei 2 Sekunden), 3. ein entschiedener zweiter Umschlag bei 0,2 und 0,3 Sekunden. Dies beruht wohl darauf, dafs eine ausgef\u00fcllte Zeit von V5 Sekunde als ann\u00e4hernd momentan erscheint und deshalb untersch\u00e4tzt wird gegen\u00fcber der doppelt begrenzten leeren Zeit. \u2014 Als vollkommen kontinuierliche Reize wurden Stimmgabelt\u00f6ne benutzt. Diese \u2014 freilich nur an einem Beobachter angestellten \u2014 Versuche zeigten \u00fcberhaupt keinen Umschlag des Urteils, wenigstens nicht, wenn die erf\u00fcllte Zeit voranging.\nF\u00fcnfte Gruppe: Die Wirkungen verschiedener Arten von differenter Zeitausf\u00fcllung auf das Zeiturteil bei demselben","page":224},{"file":"p0225.txt","language":"de","ocr_de":"Litter aturb er icht.\n225\nZeitintervall untereinander verglichen. (S. 215.) F\u00fcr einen Zeitwert von 0,4 Sekunden zeigten sich hei s\u00e4mtlichen Ausf\u00fcllungsarten \u00dcbersch\u00e4tzungen der erf\u00fcllten Zeit. Die \u00dcbersch\u00e4tzung bei diskontinuierlicher Ausf\u00fcllung ist gr\u00f6fser als bei kontinuierlicher; sie steigt mit der gr\u00f6fseren Zahl der erf\u00fcllenden Eindr\u00fccke, sinkt etwas bei Rhythmi-sierung der Eindr\u00fccke. F\u00fcr einen Zeitwert von 1 Sekunde ergab sich starke \u00dcbersch\u00e4tzung der erf\u00fcllten Zeit bei diskontinuierlicher, dagegen Untersch\u00e4tzung bei kontinuierlicher Ausf\u00fcllung. \u2014 Rhythmisierung wirkt, wie ausf\u00fchrlich nachgewiesen wird, der T\u00e4uschung stark entgegen, und zwar um so mehr, je mehr der Rhythmus ein \u00e4sthetisch wohlgef\u00e4lliger ist.\nSechste G-ruppe: Die Abh\u00e4ngigkeit der Zeitsch\u00e4tzung von der Ausf\u00fcllung derZeitstrecken mit geistiger Arbeit. (S. 228.) Die Normalzeit wurde durch Lekt\u00fcre von Worten, die auf einer Kymo-graphiontrommel rotierten, ausgef\u00fchrt; sodann mufste der Beobachter durch eine Druckbewegung eine leere Zeit von subjektiv gleicher L\u00e4nge selber abgrenzen (Herstellungsverfahren). Bei den gew\u00e4hlten Zeitwerten (5 und 8 Sekunden) wurde stets die Lesezeit betr\u00e4chtlich untersch\u00e4tzt, Wurden die Versuche mit demselben Lesestoff mehrere Male unmittelbar hintereinander wiederholt, so war der Grad der Untersch\u00e4tzung zuerst sehr hoch, nahm dann ab und dann nochmals zu. M. sucht dies so zu erkl\u00e4ren, dafs im ersten Stadium die Schwierigkeit des Lesens ein Achten auf die Zeitverh\u00e4ltnisse des Lesens selbst unm\u00f6glich macht, dafs. im dritten Stadium, nachdem die Lesereihe vertraut geworden ist, das Lesen den Charakter einer lustvollen, leicht von statten gehenden Th\u00e4tig-keit gewinne. Beide Male sei scheinbare Verk\u00fcrzung der Lesezeit die Folge.\nDie ausf\u00fchrlichere theoretische Auswertung seiner Resultate beh\u00e4lt sich M. f\u00fcr sp\u00e4tere Arbeiten vor.\tW. Steen (Berlin).\nM. Giesslee. Die physiologischen Beziehungen der Traumvorg\u00e4nge.\nHalle, Niemeyer. 1896. 46 S.\nDies lehrreiche Schriftchen will das Werk des Verfassers \u201eAus den Tiefen des Traumlebens\", Halle 1890, besonders nach der physiologischen Seite hin erg\u00e4nzen. Auf der neueren Gehirnphysiologie fufsend, beabsichtigt die jetzige Arbeit, die in dem fr\u00fcheren Buche dargelegten psychologischen Beobachtungen \u201ephysiologisch zu begr\u00fcnden und dabei zu wirklichen Traumgesetzen zu gelangen\u201c. Verfasser nimmt in den zwei von Wundt aufgestellten Bedingungen des Traumes seinen Ausgangpunkt und sieht es demgem\u00e4fs als seine Aufgabe an, die verschiedenen Weisen zu untersuchen, in denen die im Nervensystem w\u00e4hrend des Schlafes aufgespeicherte Energie auf Veranlassung von Reizen verteilt wird und sich in Tr\u00e4umen verschiedener Art Ausdruck giebt.\nSo behandelt Kapitel 1 die Arten der Energieverteilung, welche sich in Traumillusionen offenbaren, und Kapitel 2 die, welche zu Traumhalluzinationen f\u00fchren. Das interessante Kapitel 3 bespricht unter dem\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XIII.\t^","page":225}],"identifier":"lit30923","issued":"1897","language":"de","pages":"222-225","startpages":"222","title":"Ernst Meumann: Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Zeitbewu\u00dftseins. Dritte Abhandlung. Philos. Stud. XII. 2. S. 127-254. 1896","type":"Journal Article","volume":"13"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:43:40.872991+00:00"}